Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Zlín

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Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Zlín
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Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Zlín: Nicht nur eine Schuh-, sondern auch
eine Filmstadt
[ 2009-07-04 ] Autor: Daniel Kortschak
Die Kreishauptstadt Zlín in Ostmähren nahe der slowakischen Grenze ist hauptsächlich für ihre
Schuhproduktion bekannt. Wir haben über die rasante Expansion der dortigen Baťa-Werke und den damit
verbundenen Aufstieg des Bauerndorfes Zlín zu einer der wichtigsten Industriemetropolen der
Tschechoslowakei bereits ausführlich berichtet. Außerhalb Tschechiens kaum bekannt ist hingegen, das Zlín
neben Prag das wichtigste Zentrum der Filmproduktion hierzulande war und ist. Und – wie könnte es anders
sein – auch die Entwicklung der Filmstadt Zlín ist eng mit Tomáš Baťas Schuhfabrik verbunden.
Foto: www.zlin.cz
Das Große Kino (Foto:
www.zlin.estranky.cz)
Mit dem auch nach heutigen Maßstäben beeindruckend großen
Kinosaal mit seinen stark ansteigenden Sitzreihen ist das
Große Kino in Zlín eine Art Vorreiter für die heutigen so
genannten Multiplex-Kinos. Eigentlich war der Bau nur als
provisorische Konstruktion geplant, um den Zehntausenden
Baťa-Mitarbeitern rasch ein Freizeitangebot bieten zu können.
Doch durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die
Emigration der Baťas konnten die Pläne für das endgültige
Kino nicht mehr umgesetzt werden. Im Zweiten Weltkriegs
bekam das Große Kino einen Bombentreffer ab, doch bereits
kurz nach Kriegsende begann die Instandsetzung des
Gebäudes. Die Entwicklung der Filmproduktion in Zlín geriet
allerdings vorerst ins Stocken, wie Film-Professor Novotný
erzählt:
„Es dauerte bis zum Jahr 1960, bis Zlín wieder in den
Mittelpunkt der Filmproduktion rückte. Seither findet hier in
diesem Kino auch wieder ein internationales Filmfestival
statt.“
Bis heute lockt das Internationale Festival für Kinder- und
Jugendfilme jedes Jahr im Frühjahr Tausende Kino-Begeisterte
nach Zlín.
Doch wie begann alles? Was hat die Schuhfirma Baťa mit
Filmproduktionen zu tun? Darüber klärt uns der Zlíner
Filmwissenschaftler Petr Novotný auf:
Jedem Zlín-Besucher sticht er sofort ins Auge: Der wuchtige
weiße Quader, der rechts vor dem Hotel Moskva, dem
ehemaligen „Společenský dům“, zu Deutsch Gesellschaftshaus
liegt: „Velké Kino“ – zu deutsch schlicht „Das Große Kino“
Errichten ließ es die Firma Baťa nach Plänen des berühmten
Zlíner Architekten und Stadtplaners František Lydie Gahura.
Das 1932 eröffnete Haus war lange Zeit das größte Kino
Mitteleuropas, wie Petr Novotný erklärt, der an der Zlíner
Tomáš-Baťa-Universität am Institut für Filmwissenschaft lehrt:
„Das Große Kino hat heute 1010 Sitzplätze. Aber zum
Zeitpunkt seiner Entstehung waren es 2400. Der technische
Fortschritt machte mehrere Umbauten notwendig. Und jede
dieser Umgestaltungen kostete Sitzplätze.“
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eine Frauenstimme die Erlebnisse des Reifens. Fräulein Reifen
ist gerade in der Fabrikhalle zur Welt gekommen und zum
ersten Mal auf der Straße unterwegs:
„Über die Felder und durch die Täler: Jedes Stück der Welt ist
anders. Was für eine schöne Aussicht auf die Welt, so wie sie
Gott erschuf. In der Fabrik haben sie mich hergestellt, gute
Ratschläge hat man mir mit auf den Weg gegeben. Und dann
habe ich auch schon Arbeit gefunden, so schnell ging das.“
Arbeit hat Fräulein Reifen gefunden, indem sie an einen
großen glänzenden Wagen montiert wurde. Und der freut sich,
dass er sich mit den neuen Reifen sicher durch den immer
stärker werdenden Verkehr bewegen kann:
„Gottseidank habe ich gute Reifen. Wenn ich bremsen muss,
komme ich so sofort zum Stillstand.“
Das Große Kino nach dem Bombentreffer
(Foto: www.zlin.estranky.cz)
„Blicken wir also um mehr als 70 Jahre zurück. Wir schreiben
das Jahr 1937 und in Paris findet gerade die Weltausstellung
statt. Auf dieser Ausstellung bemüht sich jeder Staat und jede
Firma, sich mit seinen größten Fähigkeiten zu präsentieren.
Die Firma Baťa trat in Paris nicht nur mit ihren traditionellen
Produkten auf, sondern gab extra für die Weltausstellung vier
Reklamefilme in Auftrag. Kameramann dieser vier großartigen
Streifen war der schon damals berühmte Alexander
Hackenschmied. Einer dieser Filme ist eine Reklame für
Reifen.“
Denn auch Reifen stellte die Firma Baťa selbst her, und zwar
aus einem einfachen Grund: Das stark expandierende
Unternehmen besaß in den 1920er- und 1930-er-Jahren den
damals mit Abstand größten Fuhrpark an Lieferwagen und
Lkw. Und für eine derartige Flotte waren auf dem Markt kaum
Reifen in ausreichender Zahl zu bekommen. Außerdem sollen
die verfügbaren Reifen nicht den hohen Ansprüchen der Baťas
genügt haben. Also entschloss man sich, die bisher nur auf
Schuhsolen spezialisierte Gummiproduktion um Auto- und
Fahrradreifen zu erweitern. Bis heute werden übrigens in der
Zlíner Nachbarstadt Otrokovice unter dem Namen „Barum“
Reifen aller Art hergestellt.
Film-Professor Petr Novotný
„Baťa Reifen! Für jeden, der besten Service will, für alle, die
unentschlossen sind: Baťa-Reifen. Der gute Reifen – von
Baťa.“
Doch die Filmproduktion der Firma Baťa diente auch noch
anderen Zwecken, wie Petr Novotný zu berichten weiß:
„Baťa hat nicht nur Reklamefilme gedreht, sondern auch eine
ganze Reihe von Lehrfilmen für seine Mitarbeiter. Einer davon
beschreibt, wie sich ein guter Schuhverkäufer gegenüber einem
Kunden zu verhalten hat. Der Autor ist niemand geringerer als
der berühmte Dokumentarfilmer Bořivoj Zeman.“
Der Film beginnt mit einer Aufnahme eines der zahlreichen
Baťa-Geschäfte, die es damals in jeder größeren Stadt gab. Es
ist leer. Nur in der Ecke sitzt ein Verkäufer, der in ein
Romanheftchen vertieft ist. Herr Hájek, der Filialleiter sei mit
der neuen Kollektion unterwegs zu Kunden und Fräulein
Mašková sei gerade mit der Fußpflege bei einer Stammkundin
beschäftigt, klärt der Sprecher auf:
„Zurück geblieben ist also nur Herr Šejnoha, der, wie Sie
sehen, sehr in seine spannende Lektüre vertieft ist. Lesen ist ja
Der Film beginnt mit einem Autoreifen in Großaufnahme. Auf
Tschechisch heißt der Reifen „pneumatika“ und wie die
meisten Wörter, die auf –a enden, ist auch der Reifen im
Tschechischen weiblich. Also erzählt auch Baťa-Werbefilm
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an sich nichts Schlechtes, aber nicht im Geschäft. Außerdem
sollte man nur gehaltvolle Bücher lesen. Herr Šejnoha aber
liest etwas, was man gemeinhin ein ‚schlecht bedrucktes Stück
Papier’ nennt. Er gibt sich nämlich mit einem Zwei-KronenKriminalroman zufrieden.“
den Baťa-Laden gekommen. Filialleiter Hájek ist sichtlich um
den Kunden bemüht:
„Ich vermesse gleich ihre Füße. Das kommt dann in unsere
Kartei, damit wir sie nicht jedes Mal aufs Neue damit
belästigen müssen.“
Schnell ist anschließend ein passendes Paar Schuhe für den
Kunden gefunden und auf dem Weg zur Kasse bietet
Filialleiter Hájek noch Accessoires an. Ein wahres
Verkaufstalent sei Herr Hájek, lobt der Filmsprecher. Ihm
gelinge es fast immer, die Kunden zu überreden:
„Brauchen Sie nicht noch Socken?“
„Nein Danke!“
„Aber unsere Socken sind großartig. Und sie passen perfekt zu
den Schuhen, die Sie gerade ausgesucht haben. Probieren Sie
doch ein Paar aus, sie werden begeistert sein. Ich bin mir
sicher, Sie kommen bald vorbei, um sich ein weiteres Paar zu
kaufen.“
„Na gut.“
Foto: www.zlin.estranky.cz
Doch der Verkäufer wird bald in seiner Lektüre gestört. Ein
Kunde betritt den Laden. Er hätte gerne schwarze Halbschuhe.
Welche Größe? „40“. Und welche Breite? „Normal.“ Welche
Nummer? Er habe zwar schon Schuhe hier gekauft, erinnere
sich aber nicht mehr. Er habe immer Mühe, sich Zahlen zu
merken meint der Kunde.
„Das ist aber schlecht mein Herr. Zahlen sollte man sich immer
merken“, blafft der Verkäufer zurück und trottet in Richtung
Lager. Nach einiger Zeit kommt er zurück und knallt dem
Kunden einen Schuhkarton vor die Füße. Nachdem dieser
einen Schuh angezogen hat stellt er fest, dass er zu klein ist
und drückt. Er habe doch Größe vierzig verlangt, meint der
Verkäufer vorwurfsvoll. Eine andere sei auch gar nicht
vorrätig, aber mit der Zeit würden die Schuhe ohnehin weiter.
Wann denn die neue Lieferung komme, will der Kunde wissen.
Keine Ahnung, Zlín sei weit entfernt. Der Kunde verlässt
daraufhin den Laden, ohne etwas zu kaufen.
Wie man es richtig macht, das zeigt in der nächsten Szene der
Filialleiter vor. Wie durch ein Wunder ist der von Verkäufer
Švejnoha verprellte Kunde am nächsten Tag noch einmal in
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