Die ersten drei Jahre Hochbegabtenförderung am LGH

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Die ersten drei Jahre Hochbegabtenförderung am LGH
Annette von Manteuffel
Intelligenz an sich ist ein Rüstzeug: Wertvoll wird sie erst durch die
positiven Ziele, in deren Dienst sie verwandt wird.
(William Stern, 1871 – 1938)
Die ersten drei Jahre Hochbegabtenförderung am LGH
Das LGH ist eine Versuchsschule für begabungsgerechte Förderung hochbegabter Kinder
und Jugendlicher. Das Zugangskriterium ist deshalb die Potentialanalyse, d. h. die von dafür
ausgebildeten Psychologen1 festgestellte
allgemeine intellektuelle Hochbegabung
unserer Bewerber.
Es gibt für das LGH keine weitere
Spezifizierung in Profile wie z.B. bei den
Spezialschulen in den neuen Bundesländern
– Aufnahmeprüfung für das jeweilige Profil
statt IQ-Test – oder in eine Auswahl nach
Hochleistern wie bei der Internatsschule
Schloss Hansenberg – Zugangskriterium ist
ein sehr guter Zeugnisdurchschnitt - oder
nach hochbegabten Problemkindern wie bei
verschiedenen Privatschulen.
Das LGH ist somit eine „Gesamtschule“ für Hochbegabte und muss sich deshalb sehr
umfassend mit dem Thema Hochbegabtenförderung auseinandersetzen.
1
Der besseren Lesbarkeit wegen verwendet die Verfasserin bei Personen nur die männliche Form.
Inhalt
1.
Rechtliche und organisatorische Grundlagen ............................ 3
1.1. Rechtliche Grundlagen ............................................................................... 3
1.2. Organisatorische Grundlagen .................................................................... 3
1.2.1.
Gymnasium ........................................................................................... 3
1.2.2.
Internat .................................................................................................. 3
1.2.3.
Kompetenzzentrum ............................................................................... 4
1.2.4.
Auswahlverfahren ................................................................................. 4
2.
Unsere Schüler ............................................................................. 5
2.1. Schulische Vorerfahrungen ........................................................................ 5
2.2. Soziales Umfeld ........................................................................................... 5
2.3. Nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale .................................................. 5
2.4. Profile ........................................................................................................... 6
2.4.1.
Hochleister ............................................................................................ 6
2.4.2.
Spezialisten ........................................................................................... 6
2.4.3.
Mittelmäßige Schüler/Minimalisten ........................................................ 6
2.4.4.
Underachiever ....................................................................................... 7
2.4.5.
Gemeinsamkeiten ................................................................................. 7
3.
Unser Förderkonzept .................................................................... 7
3.1. Unser Leitbild .............................................................................................. 8
3.1.1.
Individuelle Förderung – am Leitbild orientiert....................................... 8
3.1.2.
Individuelle Förderung – Strukturen ...................................................... 8
3.1.3.
Ganzheitliche Förderung – am Leitbild orientiert ................................. 11
3.1.4.
Ganzheitliche Förderung – Strukturen ................................................ 11
4.
5.
6.
Unsere Lehrer ............................................................................. 13
Unser Kompetenzzentrum für Hochbegabtenförderung.......... 13
Vorläufiges Fazit - Ausblick ....................................................... 14
-2-
1.
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1.1.
Rechtliche Grundlagen
Der Impuls zur Einrichtung des LGH kam im Jahre 2002 vom Ministerium für Kultus Jugend
und Sport Baden-Württemberg und wurde besonders gefördert von der damaligen
Kultusministerin Frau Dr. Annette Schavan.
Nach der Verfassung des Landes Baden-Württemberg hat jeder junge Mensch ohne
Rücksicht auf seine Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung
entsprechende Erziehung und Ausbildung (LV BW, Art.11). Das öffentliche Schulwesen ist
nach diesem Grundsatz zu gestalten.
Als weiterer Baustein im Rahmen der staatlichen Begabtenförderung entspricht die
Einrichtung eines LGH diesem Verfassungsauftrag. Das LGH ist eine öffentliche Schule mit
Internat und Kompetenzzentrum, die auf Initiative des Landes eingerichtet wurde. Es ist eine
Versuchsschule nach §22 und §30 des Schulgesetzes und soll unter anderem Unterrichtsund Fördermodelle für Hochbegabte entwickeln, erproben und anderen Schulen zugänglich
machen. Insbesondere die inzwischen dreizehn Hochbegabtenzüge an Gymnasien in ganz
Baden-Württemberg sollen von den Erfahrungen des LGH profitieren. Daher wurde neben
Schule und Internat auch ein Kompetenzzentrum eingerichtet.
Es besteht aus drei Abteilungen:
1. Gymnasium - Schulträger ist der „Schulverband für das Landesgymnasium für
Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd“. Dieser hat für die Abwicklung von Bau- und
Finanzierungsfragen im Wesentlichen die Stadt Schwäbisch Gmünd beauftragt. Die
Personalkosten obliegen dem Land.
2. Internat - Träger ist der Schulverband.
3. Kompetenzzentrum - Träger ist das Land Baden-Württemberg.
1.2.
Organisatorische Grundlagen
1.2.1.
Gymnasium
Das LGH richtet sich nach dem achtjährigen gymnasialen Bildungsgang, dessen
Bildungsplan und den dort formulierten allgemeinen pädagogischen Zielsetzungen.
Der Unterricht beginnt mit Klasse 7. Die Klassenstärke beträgt ca. 24 Schüler. Den
Abschluss bildet das Zentralabitur Baden-Württembergs, ggf. ergänzt durch weitere
Qualifikationen.
Das LGH wurde zunächst einzügig geführt und hat im Schuljahr 2007/08 mit dem Ausbau
der Zweizügigkeit begonnen. Im Endausbau werden 240 Internatsschüler und 48 externe
Schüler hier gemeinsam leben und lernen.
1.2.2.
Internat
Alle Schüler nehmen am Internatsleben teil. Die Unterbringung erfolgt in der Regel in
Doppelzimmern. Bis zu 6 Doppelzimmer (12 Schülerinnen oder Schüler) bilden eine
Wohngruppe, die von einer Internatsmentorin bzw. einem Internatsmentor betreut wird. An
jedem zweiten Wochenende fahren alle Schüler nach Hause – das Internat ist dann
geschlossen.
Die Kosten betragen 440,- € pro Monat für Unterkunft und Verpflegung. Eine Förderung ist
bereits ab Klasse 7 analog zu den BAFÖG - Richtlinien möglich.
-3-
1.2.3.
Kompetenzzentrum
Als Unterstützung wurde dem Landesgymnasium für Hochbegabte ein Kompetenzzentrum
für Hochbegabtenförderung (KH) mit einem internen und einem externen Aufgabenbereich
angegliedert:
Die internen Aufgaben umfassen vor allem:
-
die Organisation und Durchführung des Auswahlverfahrens,
-
die Einzelfallberatung für Eltern, Schüler und Lehrer,
-
die Begleitung der Unterrichtsentwicklung,
-
die schulinternen Fortbildungen,
-
die schulinterne Evatuation
Die externen Aufgaben haben folgende Schwerpunkte:
-
telefonische Beratung für Eltern, Lehrer und andere Interessierte, die Fragen zum
Themenbereich Hochbegabung haben,
-
Informationsbündelung zum Thema Hochbegabtenförderung in Baden-Württemberg,
-
Fortbildung für Multiplikatoren.
1.2.4.
Auswahlverfahren
Nur Schüler mit nachgewiesener intellektueller Hochbegabung und Internatsfähigkeit können
am LGH aufgenommen werden.
Das Auswahlverfahren für das LGH ist dreistufig und beginnt in der Regel im Herbst:
Erste Stufe: Einreichen der Bewerbungsunterlagen
Die Unterlagen der Bewerber müssen neben Zeugnissen auch eine Selbstbeschreibung und
Begründung der Schulwahl und ein Motivationsschreiben ihrer Eltern umfassen.
Zweite Stufe: Intelligenztest im Gruppensetting
Mit den Bewerbern wird ein Intelligenztest im Gruppensetting durchgeführt. Die Auswertung
ermöglicht eine Einschätzung des kognitiven Potentials eines Bewerbers sowie eine
Aussage über individuelle Stärken und Schwächen.
Dritte Stufe: Projekt mit den Bewerbern
Die Bewerber, die aufgrund der ersten beiden Phasen als geeignet für das LGH eingestuft
werden, nehmen an einem von Lehrkräften geleiteten Projektwochenende (Freitagmittag bis
Samstagmittag) teil und werden dabei auf ihre schulische Leistungsbereitschaft,
Teamfähigkeit, soziale Kompetenz und Motivation hin beobachtet.
-4-
Die Entscheidung über die Aufnahme trifft die Schulleitung. In beiderseitigem Interesse
werden die Schüler zunächst probeweise für sechs Monate aufgenommen. Gibt es mehr
geeignete Schüler als freie Plätze, wird eine Warteliste erstellt.
Die Bewerberzahlen sind von Jahr zu Jahr kontinuierlich gestiegen und liegen aktuell für das
Schuljahr 2008/09 bei weit über 300. Zu vergeben sind jeweils 20 Plätze im Internat für neue
Klassen 7 und 10 und ab dem Schuljahr 2008/2009 erstmals ca.4 Plätze pro Klasse für
externe Schülerinnen und Schüler.
2.
Unsere Schüler
Unsere Schüler in den jeweiligen Klassenstufen unterscheiden sich untereinander vor allem
in ihren schulischen Vorerfahrungen, in ihren nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen und
in Bezug auf ihr soziales Umfeld. Das Zusammenspiel dieser Faktoren bestimmt
maßgeblich, wie sowohl die schulische als auch die soziale und persönliche Entwicklung
eines Kindes verlaufen sind. Folgende Fragen verdeutlichen, wie groß die Unterschiede
zwischen unseren Schülern sein können.
2.1.
Schulische Vorerfahrungen
Zum einen gibt es Unterschiede darin, wie die Schüler ihre schulische Umwelt erfahren
haben: Haben sie ihren bisherigen Schulunterricht positiv erlebt – etwa als Herausforderung
– oder negativ als langweilige Pflicht, ohne die Möglichkeit, Freude an der eigenen
Anstrengung zu erfahren? Haben sie dadurch Selbstvertrauen gewinnen können oder
erwarten sie Misserfolge? Haben sie ein großes oder ein lückenhaftes schulisches
Vorwissen? Waren sie sozial isoliert oder integriert?
Unterschiede bestehen jedoch auch darin, wie ihnen bislang die schulische Umwelt
begegnet ist: Stand die Schule dem Thema Hochbegabung offen gegenüber oder wurde
eine Beschäftigung mit dieser Thematik abgelehnt? Wurde es dem Schüler ermöglicht,
seiner Begabung und seinem Lernstand entsprechend an individuellen Fragestellungen zu
arbeiten oder wurde generell eine Anpassung an das Klassenniveau erwartet?
2.2.
Soziales Umfeld
Gibt das Elternhaus Sicherheit und Geborgenheit oder muss sie sich hart erarbeitet werden?
Welche Werte werden vorgelebt? Welche Persönlichkeitsmerkmale werden eher gefördert
und verstärkt? Wie ging das Elternhaus mit den bisherigen Schulerfahrungen um? Waren die
Schüler in ihrem sozialen Umfeld isoliert oder integriert?
2.3.
Nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale
Ist das Kind angstfrei, ehrgeizig, hat es eine hohe Frustrationstoleranz und
Konzentrationsfähigkeit? Ist es sportlich und extrovertiert oder eher das Gegenteil? Wie ist
die Motivation, Leistung zu erbringen und daraus resultierend die Arbeitshaltung? Ist das
Kind ein „Strebertyp“, oder ist sein Erfolg mit einer gesellschaftlich anerkannten Leichtigkeit
verbunden? Ist es in seiner schulischen Laufbahn zum Problemkind geworden, weil ihm
Bewältigungsstrategien für permanente Unterforderung und Nichtpassung innerhalb der
Gruppe Gleichaltriger gefehlt haben? Welches Selbstkonzept hat das Kind entwickelt und
welches Selbstwertgefühl?
-5-
2.4.
Profile
Diese und weitere Fragen zur Vorerfahrung der Kinder verlangen ihre adäquate
Beantwortung vor allem durch eine begabungsgerechte Förderung, die diesen großen
Unterschieden Rechnung tragen soll.
Um die große Heterogenität einer Hochbegabtenklasse am LGH zu verdeutlichen, werde ich
zunächst vier typische, für uns schulisch sichtbar gewordene, unterschiedliche
Erscheinungsformen hochbegabter Kinder und Jugendlicher aufzeigen. Ich möchte damit
nicht den Eindruck erwecken, dass wir unsere Schüler in Schubladen einsortieren. Das
würde auch nicht gelingen, denn die Persönlichkeit ist unabhängig von allen beschriebenen
Gruppen und den IQ-Werten. Es gibt in allen Bereichen ängstliche, mutige, egoistische,
empathische, angepasste und rebellische Kinder, und es gibt in allen Bereichen Kinder mit
unterschiedlichem Habitus und unterschiedlichem Selbstkonzept.
2.4.1.
Hochleister
Ein Schüler, von dem jeder Lehrer träumt, ist der hochbegabte Hochleister. Vielseitig
interessiert, anstrengungsbereit, engagiert und mit sehr guten Leistungen bewertet er Schule
sehr positiv. Setzt er sich, wie zum Beispiel bei uns, einer Bewährung im Kreis der Besten
aus, birgt dies neben vielen positiven Effekten auch Gefahren, da er sich einem bisher
ungewohnten Wettbewerb stellen muss. Dieser trifft ihn - nach unserer Erfahrung – in der
großen Mehrzahl zwar im ersten Moment überraschend, lässt ihn aber dann in den meisten
Fällen in seiner Persönlichkeit reifen („Big-Fish-Little-Pond-Effekt“). Er hat vielleicht zunächst
nicht die gewohnten sehr guten Schulleistungen, der „Matthäus-Effekt“ bleibt aber wirksam.
Gute Leistungen behalten ihren hohen Stellenwert, ebenso wie Anstrengungsbereitschaft, so
dass Selbstvertrauen und Motivation gestärkt aus dieser Lebenserfahrung hervorgehen. „Es
fiel mir in meinen ersten Jahren auf dem Gymnasium sehr leicht, gute Noten zu
erzielen….Doch mit der Zeit beschlich mich immer mehr das Gefühl, dass ich mich nicht so
weiterentwickeln könnte, wie ich mir das vorgestellt hatte…Ich wollte Hürden in meinem
schulischen Leben haben, bei denen ich Kraft und Ausdauer entwickeln musste, um sie zu
überwinden…“(Zitat eines LGH-Schülers)
2.4.2.
Spezialisten
Auch Schüler, die bisher keine Hochleistung in allen schulischen Fächern zeigten, weil sie
besondere Begabungen und Interessen in einem bestimmten Bereich haben, in den sie ihre
Energie investieren und in dem sie über ein Fachwissen verfügen, das weit über das
altersgemäße Wissen hinausgeht („Spezialisten“), werden in der Regel von der
ungewohnten Konkurrenz besonders beflügelt. Zumeist treffen sie bei uns auf andere
Schüler mit ähnlichen Spezialgebieten, können sich austauschen und fühlen sich erstmals
am richtigen Platz. Da sie Erfolgserlebnisse, die aus eigener Anstrengung resultieren, gut
kennen, können sie diese Arbeitshaltung leicht auf andere schulische Gebiete übertragen,
wenn sie dies wollen.
2.4.3.
Mittelmäßige Schüler/Minimalisten
Das Entwicklungspotential von Kindern, die bisher durchschnittliche Schulleistungen erbracht
haben, ist vergleichsweise hoch und eher problemlos in Leistung und damit Erfolge
umzusetzen, da ihr Selbstvertrauen Leistungsmotivation zulässt. Sie haben diese bisher
aber als nicht so relevant erlebt, weil sie andere Schwerpunkte (z. B. sportliche, musische)
gesetzt haben, bzw. es bereits zu beginnenden Fehlentwicklungen kam. Besonders
Mädchen neigen dazu, ihre Leistungsfähigkeit bewusst zu verstecken, um eine Ausgrenzung
-6-
zu vermeiden, die sie in einer Gruppe Gleichgesinnter nicht befürchten müssen
(„Mittelmäßige Schüler bzw. Minimalisten“).
2.4.4.
Underachiever
Die problematische Gruppe jedoch sind – bezogen auf den schulischen Erfolg - die
hochbegabten Minderleister („Underachiever“), weil sie, u. a. bedingt durch permanente
Unterforderung, schulisches Leistungsverhalten nicht gelernt haben. Wenn dann noch durch
dafür ungünstige nichtkognitive Persönlichkeitsfaktoren und durch ein ungünstiges soziales
Umfeld Bewältigungsstrategien nicht angeboten bzw. wahrgenommen werden können,
haben diese Kinder kein Zutrauen zu ihren eigenen Fähigkeiten entwickelt und meiden
Schwierigkeiten, anstatt diese anzunehmen und im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten zu
bewältigen. Diese Kinder benötigen eine besonders intensive Betreuung - eine Erfahrung,
die wir bei unserer Aufnahmeentscheidung berücksichtigen müssen.
Die Verteilung der verschiedenen Hochbegabten-Typen innerhalb einer Klasse lässt sich
zahlenmäßig nicht genau erfassen, weil die Übergänge fließend und Überschneidungen
häufig sind. Grundsätzlich können wir sagen, dass wir etwa 10% Underachiever aufnehmen.
Auch Underachievement kann im Zusammenhang mit einer Entwicklungsphase auftreten
und ist daher nicht ohne weiteres vorhersehbar.
2.4.5.
Gemeinsamkeiten
Hochbegabte Kinder sind keine Intelligenzbestien - diese und ähnliche Mythen halten sich
hartnäckig. Sie sind auch nicht sozial inkompetent und psychisch krank – manche
Verhaltensweisen können allerdings durch Unkenntnis so interpretiert werden bzw. können
durch permanente Nichtpassung entstehen. Sie sind vielmehr Kinder mit denselben
Bedürfnissen nach Zuwendung und Anerkennung, nach Sicherheit und Geborgenheit wie
ihre Altersgenossen, und sie haben wie diese ein Recht darauf. Sie unterscheiden sich von
ihren Altersgenossen vor allem in ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit – in diesem Bereich
sind sie Gleichaltrigen um mindestens zwei Jahre voraus – und daraus resultieren ihre
anderen schulischen und sozialen Bedürfnisse bzw. die Nichtpassung. Sie haben nicht nur
eine besonders gute Antenne für komplexe und abstrakte Denkstrukturen, sondern ihre hohe
Empfindsamkeit zeigt sich auch in anderen Bereichen, z.B. bei Lärm, Gerüchen,
Ungerechtigkeiten, Mitleiden, Selbststeuerung, Selbstanspruch.
So ist es nicht verwunderlich, dass in allen unseren bisherigen Aufnahmeverfahren zwei
Gründe für einen Wechsel an das LGH bei fast allen Bewerbern im Vordergrund standen:
schulische Unterforderung und – mehr oder weniger bewusst empfundene – soziale
Isolation. Hier setzt die schulische Förderung des LGH an.
3.
Unser Förderkonzept
Da uns die oben beschriebene Heterogenität unserer Schüler im Laufe der ersten drei Jahre
immer deutlicher und verständlicher wurde, haben wir auf der Basis eines gemeinsam
entwickelten Leitbildes und unseres pädagogischen Konzepts sowohl schulorganisatorische
als auch inhaltliche Konsequenzen gezogen.
-7-
3.1.
Unser Leitbild
Intelligenz an sich ist ein Rüstzeug: Wertvoll wird sie erst durch die positiven Ziele, in deren
Dienst sie verwandt wird.
(William Stern, 1871-1938)
Unser oberstes Ziel ist es, hochbegabten jungen Menschen die positive Entfaltung ihrer
Talente zu ermöglichen.
Wir bekennen uns zu unseren Begabungen. Mit dem Eintritt in diese Schule erklären wir uns
dazu bereit, diese bestmöglich zu nutzen und bewusst weiterzuentwickeln.
Wir stellen uns dem Anspruch, einen Beitrag zur Heranbildung einer Verantwortungselite in
einer demokratischen Gesellschaft zu leisten.
Uns ist bewusst, dass dies nur in einem von gemeinsamen Wertvorstellungen getragenen
Lebensraum gelingen kann. Jeder Einzelne übernimmt dabei Verantwortung für die positive
Weiterentwicklung der LGH-Gemeinschaft.
Dies verpflichtet uns, stets zu überprüfen, ob unser Schulkonzept eine individuelle Förderung
des ganzen Menschen ermöglicht und gleichzeitig Gemeinschaft erfahrbar macht,
Verantwortung einübt und gemeinsames Leben und Lernen in einer wertschätzenden
Umgebung verwirklicht.
3.1.1.
Individuelle Förderung – am Leitbild orientiert
Eigene Stärken und Schwächen gilt es zunächst kennen zu lernen, und zwar sowohl über
Gelegenheiten, diese auszuprobieren und darüber konstruktive Rückmeldung zu bekommen,
als auch über einen hilfreichen Ansprechpartner.
In einem zweiten Schritt werden diese eigenen Stärken weiterentwickelt, indem
Unterstützung in allen Facetten erfahrbar und Anstrengungsbereitschaft erlernt wird, die
angestrebten Leistungen erreicht werden und sowohl die eigene Freude darüber als auch die
Anerkennung von außen das Selbstvertrauen stärken. So können immer neue und größere
Schwierigkeiten bewältigt werden.
Und drittens werden diese Leistungen als nutzbringend für die Gemeinschaft und bedeutsam
für die eigene Person erlebt und können in die Bereitschaft zur Übernahme von
gesellschaftlicher Verantwortung münden.
Wie haben wir diese Ziele in Strukturen gegossen?
3.1.2.
Individuelle Förderung – Strukturen
1. Als besonders hilfreich für alle drei Aufgabenbereiche erweist sich immer mehr das
Campusmodell – das gemeinsame Leben und Lernen von Lehrern und Schülern -, da
es Zeit für vielfältige und reale Handlungssituationen und menschliche
Begegnungsmöglichkeiten schafft.
2. Vertrauen, Anerkennung, Zuwendung sind wichtige Grundlagen für die positive
Entwicklung eines Kindes bzw. eines jeden Menschen. Daher steht das
Mentorenprinzip an oberster Stelle der individuellen Fördermaßnahmen. Jedes Kind
wählt einen Lehrer seines Vertrauens als seinen individuellen Lernbegleiter. Dieser
-8-
so genannte Gymnasialmentor (GM) steht zunächst bei der schulischen Entwicklung
beratend zur Seite, trifft und bespricht Zielvereinbarungen, gibt wertschätzende
Rückmeldung und unterstützt die Bedürfnisse „seines“ Schülers auch in Konferenzen
und bei ähnlichen Gelegenheiten. Der GM ist auch im Zusammenhang mit der Wahl
der Zusatzangebote (Addita/Enrichment) gefordert. Hier sorgt er z.B. für eine
Konzentration der Interessen, um der Gefahr des bloßen oberflächlichen Aufsaugens
und des Motivationsverlustes entgegenzuwirken.
Der Gymnasialmentor entscheidet auch zusammen mit seinem Schüler und nach
Anhörung
der
Fachkollegen,
wie
selbstständig
sein
Schüler
die
Unterrichtsvorbereitung erledigen kann. Muss er selbst organisiertes Lernen zunächst
noch erlernen, wird er in die von Lehrern beaufsichtigte Gruppe der „geführten
Lerner“ für die Hausaufgabenbetreuung in der Schule eingeteilt – hier können alle
Schüler fachliche
Hilfe erhalten. Die nächst höhere Stufe ist das „organisierte
Lernen“, d.h. der Schüler
kann in seinem Zimmer, aber zu festgelegten Zeiten,
arbeiten. Wer völlig selbständig
arbeiten kann, wird als „freier Lerner“ geführt.
Diese Einteilung geschieht unabhängig
vom Alter und wird jedes Trimester neu
getroffen.
3. Mit Hilfe eines Studienbuches werden unsere Schüler an ein Zeitmanagement
gewöhnt
(fristgerechte
Planung
der
kurzfristigen
und
längerfristigen
Unterrichtsvorbereitung, der Klassenarbeiten u. a.). Es gibt ihm selbst, seinem GM
und seinen Eltern einen Überblick über den Leistungsstand, über die Addita und über
besondere Leistungen und dokumentiert den individuellen Bildungsprozess.
4. Akzeleration im Pflichtbereich (Fundamentum) entspricht der schnelleren
Informationsaufnahme und -verarbeitung hochbegabter Kinder, d.h., wir haben in
jeder Jahrgangsstufe ca. fünf Stunden beim Pflichtunterricht gekürzt, die wir für
individuelles Lernen im Additum einsetzen. Besonders hier findet also das so
genannte „Grouping“ statt. Hier treffen sich jahrgangsübergreifend interessierte
Schüler und arbeiten gemeinsam an selbst gewählten Aufgaben, in der Regel mit
dem Ziel einer Präsentation, z.B. bei Wettbewerben oder ähnlichen Gelegenheiten
(Jugend forscht, Jugend musiziert, Debating, weitere sprachliche und mathematische
Wettbewerbe, und vieles mehr).
5. Um unseren Schülern entsprechende Herausforderungen anbieten zu können, haben
wir ein Expertennetzwerk durch Kooperationen mit Universitäten, anderen externen
Bildungseinrichtungen, Firmen und Vereinen aufgebaut. Dadurch konnte unter
anderem unser Schülerforschungszentrum am LGH in Kooperation mit den
Universitäten Ulm und Stuttgart und mit großzügiger Unterstützung einiger
Unternehmen ins Leben gerufen werden. Das Schülerforschungszentrum besteht aus
den drei Abteilungen: NUGI+, das Schülerforschungslabor für Mikrobiologie,
ChemTech, das Schülerforschungslabor für Chemie und Technik und iLab, das
Schülerforschungslabor für Informatik und Elektronik. ChemTech und iLab arbeiten
dabei in zwei Bereichen, einmal im Kinderlabor – Grundschüler werden regelmäßig
nach einem speziell erarbeiteten Lehrplan von Gymnasiasten unterrichtet – und zum
anderen im Forschungslabor – Gymnasiasten werden von Experten angeleitet. Ab
Klasse 9 bzw. 10 nehmen einige unserer Schüler sogar die große zeitliche Belastung
eines Frühstudiums auf sich, denn allein der Weg an die Universitäten verschlingt
von Schwäbisch Gmünd aus viel Zeit.
6. Der Individualisierung des Unterrichts muss natürlich auch im Fundamentum unser
besonderes Augenmerk gelten. Wir haben uns deshalb über eine
Binnendifferenzierung hinaus auch für Maßnahmen zur äußeren Differenzierung
entschieden, um auch im Pflichtunterricht Interessensgruppierungen zu fördern –
Außen- und Binnendifferenzierung verfolgen ja dasselbe Ziel: begabungsgerechte
Förderung. Die Sprachenschiene und die Mathematikschiene scheinen uns dafür
geeignete Mittel zu sein: Der Unterricht in den Fremdsprachen bzw. in Mathematik
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findet hier für die Klasse 7 bis 10 parallel statt. So kann jeder Schüler in seiner
Stammklasse verbleiben, in diesen Fächern aber den Kurs seines Niveaus besuchen.
Der Gefahr, die durch diese „Scheinhomogenität“ entsteht, sind wir uns bewusst. Die
Zuordnung in Niveaukurse ersetzt nicht die Mittel der Binnendifferenzierung, mindert
aber teilweise den Fischteicheffekt.
7. Wie kann ein solcher binnendifferenzierter Unterricht für hochbegabte Kinder
aussehen? Eine Unterrichtseinheit für ein geisteswissenschaftliches Fach könnte z.B.
grob in drei Schritten aufgebaut sein:
-
“Vorlesung“, ein klar strukturierter, anspruchsvoller Lehrervortrag,
-
“Seminar“, eine Vertiefungsphase mit freien Unterrichtsformen, die
forschendes Lernen ermöglichen: freie Themenwahl, freie Medienwahl, freie
Methodenwahl.
-
„Multiperspektivierung“, interdisziplinäres Arbeiten z.B. durch die Vorstellung
wissenschaftlicher Thesen/Theorien des eigenen Fachs und anderer Fächer.
Besonders in der Seminarphase wird individuell gearbeitet, werden neue, positive
Erfahrungen bei der Gruppenarbeit gemacht, Synergieeffekte erfahren und
Aufgaben für intelligentes Üben dankbar angenommen bzw. benötigt. Die
Unterrichtsdurchführung bietet die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit, Experten
einzubeziehen, als Kollegenteam zu arbeiten und gegenseitig zu hospitieren.
Um dies für das jeweilige Fach zu konkretisieren, haben wir die „GmünderRunde“, die in den letzten drei Jahren halbjährlich für den Austausch der Leiter
solcher Gymnasien stattfand, auch auf die Fachlehrerebene ausgedehnt. Wie
erwartet war der Erfahrungsaustausch mit konkreten Zielsetzungen und unter
Einbeziehung aktueller Forschungsergebnisse sehr hilfreich für die
Weiterentwicklung der Hochbegabtendidaktik.
8. Das Gegenteil von Homogenisierung geschieht im fächerübergreifenden Unterricht in
den Jahrgangsstufen 7 und 8. Hier wird der Unterricht in Vorlesungsblöcke (für alle
gemeinsam in einem Raum) mit Seminarphase (Vertiefung mit unterschiedlichen
Methoden der Ergebnissicherung des Vorlesungsinhaltes) und Projektphasen
(selbständiges Arbeiten zu selbst gewählten Themen, mit selbst gewählten Medien
und Sozialformen) organisiert. In jedem Trimester beteiligen sich mindestens sechs
Fächer unter einem Oberthema, das aus dem Fächerabgleich des Bildungsplanes
entwickelt wird. Den Abschluss bilden die Präsentationen (hier werden systematisch
unterschiedliche Formen erlernt), ein Test über den Inhalt der Vorlesungen und die
Beurteilung der Aufzeichnungen.
9. Die Projektwoche für Klasse 10 verfolgt ein ähnliches Ziel: Förderung von
selbständigem Arbeiten, Methodenkompetenz, Zeitmanagement, die Ich-Stärkung
durch Erfolgserlebnisse und natürlich das Erreichen eines besonders großen
Lernerfolgs.
10. Schüler, die in einem Fach ihren Mitschülern weit voraus sind, können mit einem
Lernvertrag und speziellen Aufgaben aus dem regulären Unterricht entlassen werden
und diese Zeit z.B. auch für ein Frühstudium oder Forschungsprojekte an
Universitäten oder in Unternehmen der Region einsetzen.
11. Auch das Gegenteil kommt vor. Schüler, die aufgrund eines lückenhaften Vorwissens
und geringer Leistungsmotivation in einem Fach großen Nachholbedarf haben,
können sich neben anderen Unterstützungsmaßnahmen Hilfe bei der Lernbörse
„Schüler helfen Schülern“ holen.
- 10 -
Durch dieses Maßnahmenbündel versuchen wir, individuelle Strukturen für ein
herausforderndes und effektives Lernen mit individuell bedeutsamen Zielen und Handlungen
und mit großer Aussicht auf Erfolg zu schaffen. Ob wir Hartmut von Hentigs Satz „Die
Menschen stärken, die Sache klären“ oder das reformpädagogische Lernen „mit Kopf, Herz
und Hand“ zugrunde legen, immer muss der Einzelne als ganzer Mensch gefordert und
gefördert werden. Es bleibt unsere Aufgabe, dafür die passenden Bedingungen zu schaffen.
3.1.3.
Ganzheitliche Förderung – am Leitbild orientiert
Gemeinschaftsleben in einer wertschätzenden Umgebung entwickeln und durch eine
individuelle und ganzheitliche Förderung Verantwortung für sich selber und für andere
übernehmen zu lernen, ist die zweite Säule unseres pädagogischen Konzepts und unseres
Leitbildes, und auch diese muss ihre festen äußeren Formen haben.
Leben in der Gemeinschaft bedarf zuallererst eines immer wieder neu ausgehandelten
Grundkonsenses über das Menschenbild, das von uns Lehrern vor- und von allen gelebt
werden soll. Deshalb haben wir unser Leitbild so kurz und wenig konkret formuliert. Das
täuscht etwas über die sehr intensive Auseinandersetzung mit seinen Inhalten und
möglichen Formen hinweg. Die Entscheidung für genau diese Form begründet sich letztlich
in der Überlegung, dass es nicht möglich ist, ein Leitbild – und sei es auch noch so gut
ausdifferenziert und ausformuliert – als Lebenspraxis zu verordnen, sondern dass es für das
alltägliche Handeln immer wieder neu reflektiert und konkretisiert werden muss. Nur so
können unsere Traditionen wachsen, nur so kann sich Stück für Stück herausbilden, was
einen LGHler ausmachen soll.
Unser Leitbild wird deshalb jährlich mit den Leitfragen „Was bedeutet dieses Leitbild für
unseren Alltag? Wo und wie setzen wir es um/noch nicht um?“ in den verschiedenen
Schulgremien neu diskutiert, um eine ständige Vor- und Rückbesinnung auf unsere Ziele zu
implementieren. Dies ermöglicht und verlangt unser Campusmodell in ganz besonderer
Weise.
3.1.4.
Ganzheitliche Förderung – Strukturen
1. Auch hier ist das Mentorenprinzip von entscheidender Bedeutung. Sich als Person
angenommen zu fühlen, Vertrauen zu erfahren, Fehler machen zu dürfen, ohne die
Wertschätzung als Person zu verlieren, Respekt und Rücksichtnahme zu erleben,
sind Bedingungen für das Gelingen schulischer Leistungen und für eine positive
Lebensbewältigung, die ein Internats- und Gymnasialmentor besonders vermitteln
kann und soll. Gleichzeitig achtet er auf die Ausgewogenheit von Anspannung und
Entspannung im Tagesplan seines Schülers und auf eine möglichst gesunde und
passende Lebensgestaltung.
2. Die Erfahrung, unter Gleichgesinnten zu sein, sozial integriert und akzeptiert zu
werden, echte Freundschaften schließen zu können, sich erstmals „normal“ zu
fühlen, lässt viele unserer Schüler in kurzer Zeit aufblühen und ein neues
Lebensgefühl und Selbstvertrauen entwickeln.
3. Die Jahrgangsthemen für die Klassen 7 bis 10 tragen der ganzheitlichen Bildung
Rechnung und finden einmal wöchentlich statt. So erhält Klasse 7 ein wöchentliches
Coaching mit dem Ziel, Grundlagen und Sensibilität für Methoden- und
Sozialkompetenz einzuüben. Klasse 8 arbeitet in Werkstatt, Schulgarten und Küche,
Klasse 9 an einem Gemeinschaftsprojekt „Darstellendes Spiel“, und die Schüler der
Klassen 10 arbeiten im Rahmen ihres Sozialpraktikums in sozialen Einrichtungen in
Schwäbisch Gmünd. Gerade hier kann die Erfahrung, gebraucht zu werden,
besonders intensiv erlebt werden.
- 11 -
4. Um eine ganzheitliche Bildung zu gewährleisten, sind die Schüler der Klassen 7 bis
10 verpflichtet, zweimal wöchentlich an Wahlpflichtangeboten in den sportlichen,
musisch- künstlerischen und praktischen Bereichen teilzunehmen.
5. Erlebnispädagogische
Aktivitäten
wie
Hüttentage,
Klassenfahrten,
Wochenendaktivitäten im Hochseilgarten und vieles mehr, die vor allem die
Erfahrung vermitteln, dass sich der Einzelne in manchen Situationen auf Andere
verlassen können muss und die Gruppe braucht, haben ebenfalls ihren festen Platz
in unserem Jahresplan.
6. Um einer Isolation, die durch die Internatspflicht und das gemeinsame Leben auf dem
Campus entstehen könnte, vorzubeugen, ist die Öffnung nach außen ein wichtiger
Eckpunkt der pädagogischen Konzeption. Sozialpraktika in örtlichen Einrichtungen,
Unterricht in der städtischen Musikschule, Mitgliedschaft in Sportvereinen,
Einbeziehung der Jugendlichen aus der Umgebung in sportliche Angebote der
Schule, Öffnung der Addita für Externe, das Schülerforschungszentrum, musikalische
Mitwirkung bei örtlichen Veranstaltungen und die Zusammenarbeit mit Unternehmen
und wissenschaftlichen Einrichtungen bieten Möglichkeiten der Öffnung nach außen.
Einen besonderen Gewinn versprechen wir uns in diesem Zusammenhang von der
Öffnung des LGH für ca. vier externe Schüler pro Klasse ab dem Schuljahr 2008/09,
die in Schwäbisch Gmünd und Umgebung verwurzelt sind und gleichzeitig als
Ganztagesschüler intensiv am gemeinsamen Leben und Lernen auf dem Campus
teilnehmen sollen.
7. Schulpartnerschaften und Sprachreisen, die wir wie fast alle Schulen sehr
unterstützen, tragen maßgeblich zur Förderung der kulturellen Offenheit und zur
Reifung der Persönlichkeit bei.
8. Das Internatsleben bietet vielfältige und reale Lerngelegenheiten für die Einübung
sozialer Kompetenzen: von festen sozialen Diensten für alle, bis hin zur täglichen
Schulung der Selbstständigkeit bei der Bewältigung von Schule und Alltag sowie der
Team- und Kompromissfähigkeit im Zusammenleben in den Doppelzimmern und in
der Wohngruppe. Hier wird das Spannungsfeld Individuum-Gemeinschaft täglich
erlebt und muss täglich bewältigt werden. Dem Internatsmentor, der für seine
Wohngruppe verantwortlich ist, kommt hier eine besonders große erzieherische
Aufgabe zu, die ihm die Einheit von Bildung und Erziehung im Berufsbild eines
Pädagogen täglich vor Augen führt.
9. Ein wichtiger Bereich im Zusammenhang mit Gemeinschaftserfahrungen sind die
Rituale, die sowohl Tag, Turnus(14-tägiger Unterrichtsrhythmus), Trimester und Jahr
strukturieren als auch Vorfreude auf gemeinsames Feiern und gemeinsame
Erlebnisse ermöglichen (z.B. Frühkonzil, Schulabend, WG-Abend, Frühjahrs- und
Weihnachtsball, Sommerfest, LGH-Familientage, …). Eine Internatsschule ohne
möglichst vielseitige Rituale ist kaum vorstellbar. Eine regelmäßige Vollversammlung,
in der alle besonderen und für alle wichtigen Erfolge, Ereignisse, Regeln, ihre
Umsetzung und vor allem unsere Wertvorstellungen angesprochen und reflektiert
werden, ist ein gemeinsamer Ort, an dem die Schulgemeinschaft besonders spürbar
wird. Dazu dient auch der Schulabend, der von Schülern gestaltet wird, und mit dem
jeder Turnus endet.
10. Sowohl für die eigene positive Entwicklung als auch für das gemeinsame Leben und
Lernen auf dem Campus und darüber hinaus gilt es, Verantwortung zu übernehmen,
auch diese wieder entsprechend den individuellen Möglichkeiten und deshalb mit
möglichst hoher Erfolgsaussicht. Dafür gibt es an unserer Schule sehr viele
Gelegenheiten, vom besonders arbeitsintensiven und verantwortungsvollen Amt des
Schulsprechers bis zum in ganz anderer Weise wichtigen Amt des Verantwortlichen
für die Müllentsorgung, von der Mitgliedschaft im Schülerrat bis zur Mitgliedschaft im
Organisationsteam Weihnachtsball. Alle werden gebraucht und ihr Einsatz hat große
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Auswirkungen auf eine erfolgreiche Bewältigung des Alltags und auf die positive
Weiterentwicklung ihrer Schule.
11. Im Zusammenleben in Schule und Internat muss immer wieder das Spannungsfeld
Individuum-Gemeinschaft bewältigt werden und kann durch die individuelle
Förderung einerseits und das Miteinander und Füreinander andererseits positiv und
bereichernd erlebt werden. Obwohl ich die Förderung beider Bereiche getrennt
dargestellt habe, versteht es sich fast von selbst, dass diese Trennung eher künstlich
ist. Um die große Bedeutung dieser beiden Säulen des Leitbilds und der
pädagogischen Konzeption und ihre Zusammengehörigkeit zu unterstreichen und
sichtbar zu machen, hat anlässlich des ersten Abiturjahrgangs das Lehrerkollegium
zwei hoch dotierte Schulpreise, einen Wissenschaftspreis und einen Sozialpreis für
besonderes Engagement bei der Übernahme von Verantwortung für die
Gemeinschaft, gestiftet und verliehen. In der engen Verknüpfung und Förderung
beider Bereiche sehen wir unseren Beitrag zur Heranbildung einer
Verantwortungselite.
4.
Unsere Lehrer
Da das Thema meiner Ausführungen das Förderkonzept für unsere hochbegabten Schüler
war, lag der Schwerpunkt auf den Bedürfnissen unserer Schüler und auf den
organisatorischen und inhaltlichen Konsequenzen, die wir daraus gezogen haben, und nicht
auf den Bedürfnissen der Lehrkräfte und den besonderen Anforderungen, die wir an sie
stellen. Dass diese Experten in Hochbegabtenförderung sein, bzw. durch schulinterne
Fortbildung und Erfahrung werden müssen, versteht sich von selbst. Darüber hinaus sind die
Erwartungen an eine Lehrerpersönlichkeit am LGH in allen vier Anforderungsbereichen –
Fachkompetenz, pädagogische Kompetenz, Selbstkompetenz, Innovationsbereitschaft –
besonders hoch, um die geforderte Offenheit und Flexibilität (z.B. Normabweichungen
gegenüber) zu ermöglichen. Das Campusmodell stellt eine zusätzliche, ungewohnte
Herausforderung dar und bedeutet auch eine permanente Fortbildung und Bewährung in der
sonst eher vernachlässigten oder als weniger wichtig empfundenen erzieherischen
Befähigung eines Gymnasiallehrers.
Eine Lehrkraft, für die dieses Lern- und Lebensumfeld passt, und die bereit ist, sich diesen
ungewohnten pädagogischen und persönlichen Herausforderungen zu stellen, wird an
unserer Schule ein reiches Betätigungsfeld, besonders viele Gelegenheiten für die eigene
Weiterentwicklung und eine hohe Berufszufriedenheit finden und mit einem außergewöhnlich
engagierten Kollegium und mit einer besonders fordernden, aber auch motivierten und
dankbaren Schüler- und Elternschaft zusammenarbeiten können.
5.
Unser Kompetenzzentrum für Hochbegabtenförderung
Das Kompetenzzentrum ist sowohl für die Schulleitung und das Kollegium als auch für
Schüler und Eltern ein wichtiger Ansprechpartner und Berater. Alle Innovationen in Schule
und Internat werden mit dem Kompetenzzentrum diskutiert. Durch ihre andere Sicht- und
Herangehensweise sind sie für unseren Campus-Alltag unverzichtbar Daher sind die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei allen didaktischen, methodischen und pädagogischen
Überlegungen beteiligt und in die Unterrichtsentwicklung aktiv eingebunden.
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Im Schul- und Internatsalltag ist es für alle Beteiligten sehr wichtig einen außerschulischen
Ansprechpartner zu haben.Beratungsanlässe sind z.B. Lernschwierigkeiten, persönliche
Probleme, Beziehungsprobleme, Probleme in der Wohngruppe, Heimweh, Essstörungen,
Zeitmanagement oder Schlafstörungen. Teilweise werden zu den Beratungsgesprächen die
jeweiligen Lehrkräfte oder die Eltern hinzugezogen. Diese psychologischen
Beratungsgespräche können sehr viele Konfliktsituationen lösen, bevor sie zu wirklichen
Problemfällen werden.Die Erfahrungen, die alle Beteiligten hier am LGH machen, werden in
regelmäßigen anonymen Umfragen erfasst und ausgewertet. Die Ergebnisse ergänzen die
Erkenntnisse der Hochbegabtenforschung und helfen bei der weiteren Entwicklung dieser
Schule. Zusätzlich untersucht wird das Lern- und Arbeitsverhalten der unterschiedlichen
Hochbegabten-Typen, um herauszufinden, welche Lernumgebung für die jeweiligen Kinder
am günstigsten ist.Für die Weiterbildung des Kollegiums hat das Kompetenzzentrum eine
Konzeption erarbeitet, die alle wichtigen Themenfelder im Zusammenhang mit
Hochbegabtenförderung abdeckt. Auch neue Kollegen können damit möglichst schnell auf
den aktuellen Stand der Hochbegabungsforschung gebracht und mit den Erfahrungen dieser
Schule vertraut gemacht werden.Eine besonders arbeitsintensive Aufgabe des
Kompetenzzentrums ist das dreistufige Aufnahmeverfahren für die neuen Schülerinnen und
Schüler.
6.
Vorläufiges Fazit - Ausblick
Die Frage, welche Förderung hochbegabte Kinder und Jugendliche brauchen, ist, allgemein
formuliert, schnell beantwortet:
Sie brauchen wie alle Kinder ein Umfeld, das sie individuell fördert und fordert, wertschätzt
und sozial integriert.
Auf die daran anschließende Frage, welche Kriterien ein dementsprechend passendes,
lernförderndes und verständnisvolles Umfeld für hochbegabte Kinder erfüllen sollte, lautet
unsere Antwort vorläufig:
-
Teamerfahrung mit Gleichgesinnten,
-
Mentoren als persönliche Ansprechpartner/Lernbegleiter,
-
Herausfordernde Aufgaben,
-
Anspruchsvolle Instruktion mit großen Möglichkeiten der Selbstbestimmung,
-
Expertennetzwerk,
-
Transparente und demokratische Strukturen, verbindliche Werte, klare Ziele,
-
Die Erfahrung, angenommen und gebraucht zu werden:
-
Zeit und Zuwendung,
-
Erfolg und Anerkennung,
-
Vertrauen und Verantwortung.
Die Wege zur Gestaltung eines solchen Umfelds sollten authentisch und situationsbedingt
von jeder Schule und jeder Lehrerpersönlichkeit zusammen mit den jeweiligen Schülern und
allen weiteren am Schulleben beteiligten Personen beschritten werden können.
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Unsere Erfahrungen finden wir durch zahlreiche aktuelle Forschungsergebnisse gestützt und
sie decken sich auch mit den Erfahrungen anderer Hochbegabtenschulen (Neckargemünd,
Würzburg, Leipzig, Kaiserslautern etc.) Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, den
Austausch über Erkenntnisse der Hochbegabtenförderung nach Kräften zu initiieren und zu
unterstützen. Denn unsere Erkenntnisse zeigen, dass - genauso wie durch die Förderung
schwächer Begabter - auch durch Hochbegabtenförderung, indem sie auf die Bedürfnisse
dieser extremen Schülergruppe reagiert, besonders deutlich wird, welche Kriterien und
Strukturen einer begabungsgerechten Förderung für alle Kinder geeignet sind.
Ein besonderer Lohn und Ansporn sind uns solche und ähnliche Rückmeldungen von
(ehemaligen) Schülern: „Das, was ich am LGH erleben durfte, vor allem Menschliches, die
besonderen Menschen, Lehrer und Schüler und das Konzept des gemeinsamen Lernens
UND Lebens … das alles hat so besondere Erlebnisse und Erfahrungen hervorgebracht
…Ich bin Ihnen unbeschreiblich dankbar, dass Sie das ermöglicht haben…“. (Auszug aus
einer E-Mail einer Abiturientin) Sie bestärken uns in unserem Bemühen, unsere Schule in
diesem Geist und mit diesen Zielen gemeinsam mit unseren Schülern und für sie weiter zu
entwickeln.
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