Rembrandts Landschaftsdarstellungen

Transcription

Rembrandts Landschaftsdarstellungen
Universität Bielefeld
Fakultät für Geschichtswissenschaft,
Philosophie und Theologie
Abteilung: Geschichtswissenschaft
Seminar: Rembrandt Veranstalter: Dr. Kambartel
Hausarbeit:
Rembrandts Landschaftsdarstellungen
vorgelegt von: Viktor Fast
5. Semester Geschichtswissenschaft/Mathematik
E-mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Einführung in das Thema der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Rembrandts Biografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Rembrandts Bezug zu Landschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
2
3
2 Anmerkungen zur Literatur
2.1 Max Eisler, Rembrandt als Landschaftler, 1918 . . . . . . . .
2.2 Franz Winzinger, Rembrandt - Landschaftszeichnungen, 1953
2.3 Cynthia Schneider, Rembrandt´s Landscapes, 1990 . . . . .
2.4 Choung-Hi Lee, Rembrandts Landschaftsdarstellung,1992 . .
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5
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7
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13
13
14
14
15
3 Der
3.1
3.2
3.3
Omval
Bildbeschreibung, Komposition . .
Symbole und ihre Bedeutungen . .
Ikonologische Ansätze . . . . . . . .
3.3.1 Vanitasinterpretation . . . .
3.3.2 Biografiebezogene Deutung .
3.3.3 Pastorale Intention . . . . .
3.4 Fazit zum Omval . . . . . . . . . .
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4 Schlussbetrachtung
18
5 Anhang
22
I
1 Einleitung
1.1 Einführung in das Thema der Arbeit
Diese Arbeit thematisiert die Problematik der Interpretation von Landschaftsbildern basierend auf Rembrandts Landschaftsdarstellungen. Landschaften wurden lange Zeit nicht
der bildenden Kunst zugeschrieben, da sie scheinbar keine Intentionen beinhalten, sondern
zur Erholung des Betrachters dienten:
Malerjugend, die ihr lange gekrümmt gesessen seid, verwirrt in der Kunst durch
”
stetige Arbeit, so dass ihr halb blind geworden, eure Sinne fast abgestumpft und verschlissen habt, weil ihr lernlustig immer mehr wissen wolltet, hört auf, für diesmal
habt ihr den Pflug genug gezogen, macht euch heute frei vom Joch der Arbeit.[...]
Und kommt, lasst uns frühzeitig mit Toresöffnen zusammen die Zeit verkürzen zur
Erheiterung des Geistes und die Schönheit betrachten, die da draussen ist; dort wo
die geschnäbelten, wilden Musiker flöten, werden wir viele Motive sehen, die uns
dienen werden, eine Landschaft aufzubauen auf Leinen oder auf harte Bretter der
norwegischen Eiche, kommt ihr werdet für die Reise dankbar sein.”1
Ziel der Arbeit ist es anhand der unscheinbar wirkenden Landschaftsradierung Der Omval
von Rembrandt, die Intentionsvielfalt von Landschaften zu belegen.
Zur zeitlichen und örtlichen Orientierung soll zunächst einmal Rembrandts Biografie vorgestellt werden, bevor geklärt wird, was Landschaftsbilder sind bzw. welche Werke als
Landschaften bezeichnet werden. Anschließend werden einige der Arbeit zugrunde liegende Darstellungen, die sich mit Rembrandts Landschaftswerken auseinandersetzten, in
wenigen Worten dargelegt.
Sich auf dieses stützend soll dann im Hauptteil der Arbeit die Radierung Der Omval eingehend vorgestellt und analysiert werden. Anhand dieser Radierung soll die Komplexität
der Ikonologie von Landschaften exemplarisch verdeutlicht werden.
In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammengefasst,
1
van Mander, Carel, Het Schilderboek waerin voor eerst de leerlustige luegth du grondt der edel vry
schilderconst in verscheyden deelen wort voor gluchragen, Haarlem 1604 [Nachdr. Utrecht 1969], S.
198.
1
Kapitel 1 Einleitung
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um die der Arbeit übergeordnete These nochmals zu unterstreichen, Landschaften, insbesondere die von Rembrandt, haben durch ihre Vielzahl von Symbolen einen großen Spielraum für Interpretationen; sie dienen also nicht bloß zur Entspannung des Betrachters
oder als Ersatz für einen Spaziergang.
1.2 Rembrandts Biografie
In diesem Abschnitt soll auf einige Lebensdaten Rembrandts eingegangen werden, die für
das Verständnis seines Werkes wichtig sind.
Der bedeutendste niederländische Maler und Radierer Rembrandt Harmensz van Rijn
wurde am 15. Juli 1606 im holländischen Leyden als Sohn des wohlhabenden Müllers
Harmen Gerritsz von Rijn und der Bäckerstocher Neeltgen Willemsdochter geboren.2
Nachdem er die Lateinschule besucht hatte, wurde er als Vierzehnjähriger Student der
Leidener Universität. Er unterbrach aber bald sein Studium, da seine natürlichen An”
lagen ihn zu Zeichenkunst und Malerei drängten.”3 Er trat für drei Jahre bei Jakob van
Swanenburgh in Leiden und für ein halbes Jahr bei Pieter Lastman in Amsterdam als Maler in die Lehre ein. Mit 19 Jahren begann er seine selbständige künstlerische Tätigkeit.
Im Jahre 1632 zog Rembrandt endgültig nach Amsterdam, nachdem zwei Jahre zuvor sein
Vater gestorben war. 1633 verlobte er sich mit der zweiundzwanzigjährigen, reichen und
schönen Saskia, der Kusine des Kunsthändlers Uylenburgh, und heiratete sie im nächsten
Jahr. 1640 starb Rembrandts Mutter. Ein Jahr später starb Saskia, nachdem sie zehn
Monate zuvor den gemeinsamen Sohn Titus geboren hatte. Saskia hatte ihm drei Kinder geschenkt, von denen nur Titus am Leben blieb. Während dieser Krise malte er Die
Nachtwache, ein provokantes Gemälde, das seinerzeit für viel Aufsehen sorgte. In diesem
Zeitraum endstand auch die berühmte Radierung Die drei Bäume. 1645 trat Hendrickje
Stoffels in Rembrandts Leben. Aus dieser von der Gesellschaft wenig tollerierten Beziehung ging neun Jahre später die gemeinsame Tochter Cornelia hervor. Hendrickje starb
im Jahre 1662.
Im Jahre 1668 heiratete Titus Magdalena van Loo und starb im gleichen Jahr. Ein Jahr
später, als die Enkelin Tita zur Welt kam, starb Rembrandt am 4. Oktober 1669 in Amsterdam.
Den tragischen Ereignissen, die Rembrandts Lebensabend überschatteten, wurde häufig
die Behauptung, er habe diesen in Armut verbracht, beigefügt.4 Aus notariellen Aufzeichnungen geht jedoch hervor, dass er zu diesem Zeitpunkt eine große und wertvolle
2
Rosenberg, Jakob, Rembrandt: Live and Work, New York 19893 .
Winzinger, Franz, Rembrandt: Landschaftszeichnungen, Baden-Baden 1953, S. 7.
4
Winzinger, Franz, a.a.O. S. 8.
3
Kapitel 1 Einleitung
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Kunstsammlung besaß.5
1.3 Rembrandts Bezug zu Landschaften
Die Landschaftsmalerei war bereits in der Antike weit verbreitet, trat jedoch im Mittelalter in den Hintergrund. Ihre Renaissance erlebte sie in Holland im XVI. und im XVII.
Jahrhundert. Der Expressionismus, u.a. vertreten durch van Gogh, bildete im XVIII.
Jahrhundert die Blütezeit der Landschaftsmalerei. Per Definition handelt es sich bei der
Landschaftsmalerei um die Form der Malerei, welche die Natur als eigenes Genre darstellt.
Sie entwickelte sich im XVI. Jahrhundert aus den Historienbildern, indem sie zuerst nur
die leeren Ecken oder Stellen, wo es an Figuren und Handlung fehlte” ausfüllte, dann
”
jedoch immer mehr an Bedeutung erlangte und schließlich zur eigenständigen Kunstform
wurde.6 Die Rasanz dieser Entwicklung lässt sich an folgender Tabelle der in Holland
verkauften Bilder belegen:7
Bilder nach Genre von 1600 bis 1700:
1600-25 1626-50 1651-75 1676-1700
Landschaften
24,79%
33,12%
38,21%
40,74%
Historien
34,54%
26,45%
19,29%
17,43%
Zu den wichtigsten Vertretern der Landschaftsmalerei im XVII. Jahrhundert zählen u.a.
Dürer, Bruegel, van Mander und Visscher. Die Bandbreite der Motive scheint unbeschränkt; neben pastoralen, idyllischen Landschaften entwickelte sich auch eine Nachfrage
nach Winterlandschaften, Nachtlandschaften, Sturmlandschaften und Phantasielandschaften. Während Historienbilder nur in oberen Gesellschaftsschichten aufzufinden waren,
öffnete die Landschaftsmalerei den Markt auch für mittlere Schichten. Die Verbreitung
des Druckes ermöglichte es, Landschaftsbilder als Massenarikel in großen Mengen herzustellen.8
Die Problematik bei Landschaften liegt in ihrer Interpretation. Im Vergleich zu Historienbildern, deren im Vordergrund stehende Geschichte relativ eindeutig auszulegen ist, ist die
Interpretation bei Landschaften weitaus komplexer. Auch einfachste Landschaftsdarstellungen können eine Vielzahl von moralischen Mitteilungen an den Betrachter beinhalten.
Es gilt festzulegen, wo Form und Komposition enden und an welcher Stelle Symbole beginnen.9 Dies erklärt auch die unterschiedlich ausfallenden Deutungen einzelner Bilder.
5
Tümpel, Christian, Rembrandt, Hamburg 1977, S. 127.
Gombrich, Ernst, Die Kunsttheorie der Renaissance und die Entstehung der Landschaftsmalerei, in:
Die Kunst der Renaissance I, Norm und Form, Stuttgart 1985, S. 140f.
7
Chong, Alan, The market for Landscape Painting in Seventeenth-Century Holland, in: Masters of 17th
Chentury Dutch Landscape Painting, Boston 1987, S. 116.
8
Büttner, Nils, Die Erfindung der Landschaft, Göttingen 2000, S. 33.
9
Schneider, Cynthia, Rembrandt´s Landscapes, Yale 1990, S. 105.
6
Kapitel 1 Einleitung
Seite 4
Nun gilt es den Bezug Rembrandts, der primär als Portraitist und Historienmaler zu
Ruhm und Ansehen gelangte, zu Landschaften herauszuarbeiten.
Statistisch gesehen entstanden nur wenige Landschaftsgemälde; die Zahl der bislang Rembrandt zugeschriebenen Landschaftsgemälde schwankt zwischen acht und dreizehn, was
ca. 2% der insgesamt von Rembrandt produzierten Gemälden entspricht. Der Umfang
der Landschaftsradierungen ist relativ geschlossen. In der Zeit von 1640 bis 1652/53
hat Rembrandt insgesamt fünfundzwanzig Blätter radiert. Sie machen knapp 10% von
mehr als 300 Radierungen aus. Landschaftszeichnungen dagegen schuf Rembrandt nahezu
während seiner gesamten Amsterdamer Zeit, sie umfassen ungefähr 20% seiner zeichnerischen Tätigkeit.10
Die Barockromantik, die den Menschen des XVII. Jahrhunderts prägte und sein Augenmerk auf die Schönheit der Natur lenkte, hat Rembrandt dazu inspiriert, sich mit
Landschaft und Landschaftsdarstellung auseinanderzusetzen. Auf seinen Spaziergängen
soll Rembrandt sich entspannt und gleichzeitig Motive für seine Werke gefunden haben.11
Ausschlaggebend dafür, dass Rembrandt einen so großen Teil seiner Arbeit den Landschaften widmete, war sicherlich der wachsende Markt, der viele neue Möglichkeiten bot,
sich kreativ und von Auftraggebern unabhängig zu entfalten. Rembrandt beschäftigte sich
jedoch nicht erst seit 1640 mit Landschaften; sie machten bereits in seinen frühen Historienbildern dominante Teile aus.12
Während Rembrandt in den Historienbildern seine Schwerpunkte auf die Ausdrucksstärke
der Gesichter und auf eine möglichst natürliche Darstellung der Bewegung legte, war sein
vorrangiges Ziel in Landschaften, Perspektive und Atmosphäre realitätsnah wiederzugeben.
10
Lee, Choung-Hi, Rembrandts Landschaftsdarstellungen, Frankfurt am Main 1992, S. 13f.
Eisler, Max, Rembrandt als Landschaftler, München 1918, S. 3ff.
12
Vgl. hierzu die Steinigung des hl. Stephanus oder auch Diana, Aktaion und Callisto.
11
2 Anmerkungen zur Literatur
In diesem Abschnitt sollen einige Darstellungen, die sich explizit mit den Landschaften
Rembrandts beschäftigen, in chronologischer Reihenfolge zur Sprache kommen. Anhand
dieser Werke soll im Verlauf der Arbeit das unterschiedliche Verständnis der Arbeiten
Rembrandts und folglich auch die unterschiedlichen Interpretationen im Verlauf des XX.
Jahrhunderts dargelegt werden.
2.1 Max Eisler, Rembrandt als Landschaftler, 1918
Das älteste vorliegende Werk Rembrandt als Landschafter stammt von dem österreichischen
Kunsthistoriker Max Eisler (1881-1937) aus dem Jahre 1918.13 Eisler thematisiert ausführlich
und teilweise auch poetisch die Entwicklung Rembrandts zum Landschaftsmaler. Einen
interessanten Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Entwicklung der Maltechniken in Rembrandts Arbeiten. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit spendet der Autor den Intentionen der Bilder. Für Eisler dienen die Landschaften in erster Linie zur Entspannung und
Beglückung des Stadtmenschen des XVI. Jahrhunderts, dem die Betrachtung der Landschaften als Ersatz für reale Spaziergänge dienen soll.
Als eine Quelle, die diese Intention stützt, kann die Serie der Landschaftsdrucke von Claes
Jansz. Visscher, die um 1611 entstanden ist, gesehen werden. Sie ist repräsentativ für die
Betrachtungsweise von Landschaften im XVII. Jahrhundert.
13
Eisler, Max, a.a.O.
5
Kapitel 2 Anmerkungen zur Literatur
Seite 6
Auf dem Titelbild seiner Serie wirbt Visscher folgendermaßen für den Kauf seiner Drucke:
villarum varias, facies, variosa viarum Cernere que gaudes anfratcus, undia amoe”
nos: His avidos planis oculos, age, pasce tabellis; Sylvasa Harlemi tibi quas vicinia
praebet.” lat.: Ihr, die den Anblick von Dorfhäusern genießt und die überraschenden
Wendungen der Landstraßen: Kommt erfreuet eure Auge an diesen Einblicken in
die Umgebung der Stadt Haarlem.
Plaisante Plactsen hier, meught gby aenschounen radt. Liefhelbers die deen tyt en
”
bebt om veer te reysen, Gbelegben buyten de gbenoechelyke Stadt, Haerlem of daer
ontrent, koopt sonder lag te peyse.” holl.: Die angenehmen Plätze, die ihr hier einfach betrachten könnt, sind für Leute gedacht, die keine Zeit zum Reisen haben.
Betrachtet die schöne Umgebung der Stadt Haarlem. Kauft ohne lange nachzudenken.14
In Eislers Ausführungen sind Landschaften auf ikonologischer Ebene den Historiernbildern
untergeordnet; sie dienen nur zur Erholung des Auges des Betrachters und werden nicht als
Bildungskunst angesehen. Ihren Erfolg verdanken sie in erster Linie den handwerklichen
Fähigkeiten und nicht etwa der Belesenheit der Künstler.
2.2 Franz Winzinger, Rembrandt Landschaftszeichnungen, 1953
Eine für die Mitte des XX. Jahrhunderts typische Herangehensweise an Landschaften,
insbesondere die von Rembrandt, lässt sich bei dem Kunsthistoriker Franz Winzinger,
seinerzeit an der Universität in Nürnberg tätig, in seinem Werk Rembrandt - Landschaftszeichnungen, das im Jahre 1953 veröffentlicht wurde, finden.15
Einleitend wird ein tabellarischer Lebenslauf mit den wichtigsten Ereignissen im Le”
ben Rembrandts”16 angeführt. Nachdem daraufhin der Stellenwert, den Rembrandt in der
Kunstgeschichte einnimmt, geklärt wird, beschränkt sich Winzinger auf die Interpretation
der Radierung Der Omval. Hierbei bezieht er sich auf die Biografie Rembrandts; er sieht
die Bilder Rembrandts als Spiegel seiner Seele.17
Dieser Analyse folgen 38 Abbildungen sowie deren Daten, an denen der Betrachter das
vorab gezeigte Analyseschema selbständig anwenden soll.
14
siehe Abbildung 2 im Anhang.
Winzinger, Franz, Rembrandt - Landschaftszeichnungen, Baden-Baden, 1953.
16
Winzinger, Franz, a.a.O. S. 7.
17
Schneider, Cynthia, a.a.O., S. 167.
15
Kapitel 2 Anmerkungen zur Literatur
Seite 7
2.3 Cynthia Schneider, Rembrandt´s Landscapes, 1990
Eine umfassende und gründliche Arbeit stellt das Werk Rembrandt´s Landscapes von
Cynthia Schneider aus dem Jahre 1990 dar.18 Cynthia Schneider arbeitet seit 1984 an der
Universität in Georgetown und ist zurzeit Botschafterin in Holland.
Ihr Werk beinhaltet neben einem umfassenden gut strukturierten Bilderverzeichnis vielseitige Interpretationsansätze. Neben der Möglichkeit, Rembrandts Landschaften anhand
seines Lebenslaufes bzw. seines Verhältnisses zu Lehrern und zeitgenössischen Künstlern
zu interpretieren, erwähnt sie weitergehend die Verbindung von Kunst und Poesie im
XVII. Jahrhundert und geht auf Bedeutungen der Symbole in den Landschaften ein.
2.4 Choung-Hi Lee, Rembrandts
Landschaftsdarstellung,1992
Die Kunsthistorikerin des Museums für Völkerkunde in München, Choung-Hi Lee, verfasste das jüngste vorliegende Werk Rembrandts Landschaftsdarstellung.19 Einleitend thematisiert sie die Problematik der Periodisierung von Rembrandts Arbeiten. Aufgrund der
Unvereinbarkeit der verschiedenen Ansätze, die bislang veröffentlicht wurden, kommt sie
zu dem Ergebnis, dass Periodisierungsversuche entweder zu detailliert oder zu grob sind,
um aussagekräftig sein zu können.
Dem folgt eine Aufzählung von jeweils knappen Kompositionsbeschreibungen der Radierungen und Zeichnungen Rembrandts, wobei Interpretationsansätze weitgehend ausgespart werden. Diese Arbeit bleibt im Schatten der Vorangegangenen, da keine neuen
Erkenntnisse vorgestellt werden. Des Weiteren drücken Stil- und Grammatikfehler das
Niveau.
18
19
Schneider, Cnythia, a.a.O.
Lee, Choung-Hi, a.a.O.
3 Der Omval
In diesem Kapitel soll die von Rembrandt radierte Landschaft Der Omval 20 nach dem
Analyseschema von Erwin Panowski erarbeitet werden. Panowski teilt die Bildinterpretation in drei Phasen, in die Vor-ikonographische Beschreibung”, in die Ikonographische
”
”
Analyse” und in die Ikonologische Interpretation”.21
”
Demzufolge soll im ersten Teil dieses Kapitels die Komposition der Radierung vorgestellt
werden, woraufhin im zweiten Teil die Symbole, die das Bild beinhaltet, erläutert werden.
Darüber hinaus soll thematisiert werden, wie einzelne Motive in Bezug zu Zeichnungen
und anderen Radierungen stehen. Für den dritten Teil bildet das Kapitel 2 die Basis.
Darauf aufbauend sollen verschiedene Interpretationen vorgestellt werden, um die Interpretationsvielfalt zu belegen.
Die Radierung Der Omval wurde von Rembrandt signiert und mit der Jahreszahl 1645
datiert.22 Sie ist 22,5cm breit und 18,4cm hoch und befindet sich zurzeit in dem Kunstinstitut von Chicago.23
Das Besondere an dieser Radierung ist, dass sie in mehreren Arbeitsgängen und zusätzlich
mit der Kaltnadel bearbeitet wurde.24 Dies ermöglicht es, besonders kräftige und dunkle
Stellen zu betonen.25
20
siehe Abbildung 3 im Anhang.
Panowski, Erwin, Ikonographie und Ikonologie, in: Kaemmerling, Ekkehard (Hg.), Bild und Kunst als
Zeichensystem 1, Ikonographie und Ikonologie, Köln 1979, S.223.
22
Lee, Choung-Hi, a.a.O., S. 49.
23
Schneider, Cynthia, a.a.O., S. 102.
24
Winzinger, Franz, a.a.O., S.19ff.
25
Radierung: Ist als Gattung der Druckgraphik eine seit dem 16. Jh. bekannte Sonderform des Kupferstichs. In eine mit säurefestem Ätzgrund bedeckte Kupferplatte wird die Zeichnung seitenverkehrt mit
einer spitzen Stahlnadel (Radiernadel) geritzt; Die Plattenoberfläche wird anschließend so lange einem
Säurebad ausgesetzt, bis die durch die Nadel vom Ätzgrund freigelegten Linien von der Säure angegriffen (geätzt), vertieft und somit aufnahmefähig für die Druckfarbe sind. Bei der Kaltnadelradierung
wird die Zeichnung unmittelbar ohne Grundierung der Platte eingeritzt.
21
8
Kapitel 3 Der Omval
Seite 9
3.1 Bildbeschreibung, Komposition
Der in der Radierung dargestellte Ort liegt auf einer Landzunge zwischen dem Fluss
Amstel und dem Diemermeer. Die linke Hälfte der Radierung wird von wild wachsenden
Bäumen, Büschen und Gräsern dominiert, die aufgrund ihrer runden Blätter weich und
harmonisch wirken. Die links stehenden Bäume rahmen das Bild und schließen es zu dieser
Seite ab. Inmitten dieses Grüns befindet sich ein nur schwer erkennbares Liebespaar. Zu
sehen ist das Profil und die im Schoß ruhende Rechte des Mädchens sowie der erhobene
Arm des Jünglings, der ihr einen Blumenkranz aufsetzt und bei dieser Geste fast sein
ganzes Gesicht bedeckt. Das Lichtspiel, das die beiden umgibt, wirft Schatten auf ihre
Gesichter und Oberkörper, beleuchtet jedoch ihren Schoß und seinen Rücken. Hierdurch
lässt der Künstler einen versteckten und warmen Ort für die beiden entstehen. Das Paar
beabsichtigt nicht, für den Betrachter zu posieren; ihre Aufmerksamkeit gilt allein sich
selbst. Insgesamt wirkt die Szene wie ein Schnappschuss, in dem die beiden eher zufällig
zum Motiv werden. Das Liebespaar wurde im Laufe der Arbeitsgänge durch dichte Schraffen von Rembrandt immer weiter versteckt, um diese Wirkung zu vervollständigen.26
Die linke Bildseite wird von der Rechten durch eine alte verwitterte Weide getrennt. Aus
ihrem zerbrochenen, abgestorben wirkenden Stamm wachsen vereinzelt junge, ausladende
Zweige, die bis an den oberen Bildrand reichen. Der krumm gewachsene Baum ragt weit
in die rechte Bildhälfte hinein.
Auf der rechten Seite ist der Vordergrund von dem Hintergrund durch den Fluss Amstel
getrennt. Der Vordergrund der Radierung ist durch eine blühende Wiese besetzt, wobei
die Vegetation nach rechts hin stark abnimmt, bis sie schließlich an dem flusswärts verlaufenden Weg endet. Insgesamt nimmt die Wiese nur wenig Platz ein, sodass sie kaum als
Verbindung der beiden Bildhälften wahrgenommen wird. Auf der Grenze zwischen Wiese
und Weg befindet sich ein im Schatten der Weide stehender dunkler Pfahl. Die Weide und
der Pfahl spannen im Raum schräg verlaufend eine Ebene auf, die die grüne idyllische
Landschaft von der rechts in die Tiefe Laufenden trennt.
Rechts vor dem Pfosten auf dem Weg verweilt ein auffallend heller, wohl von der Sonne beleuchteter Mann, der den Fluss betrachtet. Schnell wird das Wechselspiel dunkler
”
Pfosten vor hellem Hintergrund zu hellem Mann vor dunklem Hintergrund”27 deutlich.
Dies betont die räumliche Darstellung. Zudem verbindet der Stehende kompositorisch die
beiden Ufer, da sein Hut genau auf der Höhe des Horizontes liegt. Der tief angesetzte Horizont lässt den Raum sehr groß und weit wirken. Dieses Mittels bedient sich Rembrandt in
diesem Zeitraum seines Schaffens häufig bei Zeichnungen der flachen Landschaft Hollands.
Hatte er am Ende der dreißiger Jahre in seinen ersten Landschaftsbildern eine heroische
26
27
Winzinger, Franz, a.a.O., S. 20.
Lee, Choung-Hi, a.a.O., S. 50.
Kapitel 3 Der Omval
Seite 10
Landschaft mit Burgen und Obelisken, Bergen und Wasserfällen staffiert, so geht es ihm
nun um die Weite der Landschaft.28 Der Fluchtpunkt der Radierung befindet sich für den
Betrachter nicht sichtbar hinter der Silhouette des Stehenden.
Die Kleidung und der Hut des Mannes weisen auf seine Zugehörigkeit zu einer gehobeneren Gesellschaftsschicht hin. Weiterhin ist das Anwinkeln des rechten Armes zu erkennen.
Diesen verdeckt er jedoch mit seinem Oberkörper. Aus diesem Grund kann nicht geklärt
werden, was er mit dieser Hand macht. Sein Unterkörper bleibt nahezu in Wegrichtung
gewand; der Oberkörper sowie der Kopf drehen sich jedoch in Richtung Fluss. Zu vermuten
ist, dass er seinen Spaziergang unterbricht, um die Stadt, den Fluss oder das vorbeifahrende Boot anzuschauen. Was genau er betrachtet, oder was er mit seiner Hand macht, spielt
für die Radierung keine entscheidende Rolle. Im Vordergrund steht hier bei Rembrandt
sicherlich die Darstellungsart, und zwar die Darstellung der natürlichsten Bewegung, auf
die er auch in seinen Historienbildern großen Wert legte.29
Nach rechts hin schließt das Kunstwerk mit einem bildeinwärts fahrenden Ruderboot, besetzt mit einem Steuermann, einem Ruderer und einer Reisegesellschaft unter einem Dach.
An dieser Stelle gilt es, das detaillierte Arbeiten Rembrandts zu würdigen. Winzinger ist
beispielsweise von der Schönheit bzw. der Natürlichkeit der Darstellung des Bootes so
fasziniert, dass er das Kreisen der Ruder sowie das Lachen der vom Portwein erröteten
”
Gesichter der Ratsherren schon fast hören kann.”30
Mit vielen langgezogenen Linien, deren Abstand nach rechts hin größer wird, kennzeichnet Rembrandt das Anwachsen des Flusses, der schließlich ins Diemermeer mündet. Auch
wird durch die gleichmäßig verlaufenden Linien das ruhige Fließen des Wassers visualisiert.
Rund gerahmt durch die alte Weide, ihren Schatten, den Pfahl und den Stehenden ist
die im Bild zentral liegende Landzunge auf dem anderen Ufer des Flusses abgebildet.
Auf dieser Landzunge befindet sich ein Teil der Stadt Amsterdam. Erkennbar sind einige angelegte kleinere Segelschiffe, Steinhäuser, Holzhäuser, vereinzelte Bäume und eine
Windmühle. Rechts neben der Windmühle weiter im Hintergrund auf einem Stück Land,
das von der Landzunge durch eine Bucht oder Ähnliches getrennt ist, befindet sich eine
weitere Windmühle. Die Segel beider Mühlen sind gleich ausgerichtet, sodass eine Verbindung jener beiden Ufer hergestellt wird. Auf den Segelschiffen und neben den Steinhäusern
sind einige Menschen angedeutet, von denen anzunehmen ist, dass sie dort ihre Arbeit
verrichten.
Bei der Gestaltung des Himmels scheint Rembrandt sich an dem Text van Manders zu
28
Tümpel, Christian, a.a.O. S. 93.
Busch, Werner, Das keusche und das unkeusche Sehen. Rembrandts ”Diana, Aktaion und Callisto”, in:
Zeitschrift für Kunstgeschichte 52(1984) S.265.
30
Winzinger, Franz, a.a.O. S. 23.
29
Kapitel 3 Der Omval
Seite 11
orientieren:
Von einigen Völkern wird uns verwiesen, dass wir nie schönes Wetter machen,
”
sondern die Luft immer böig und voller Wolken[...].
Um dieses Missfallen zu verhüten, lasst uns die Luft von Wolken reinigen und zuweilen ganz rein gestalten und aufs schönste mit Azur oder Smalten ausfüllen, aber mit
guten Mitteln, damit sie schön bleibe, und je weiter nach unten umso heller muss sie
sacht vertrieben werden, damit der irdischen Schwere am nächsten die allerhöchste
Klarheit gesetzt sei.”31
Dem entsprechend ist der Himmel dieser Radierung wolkenfrei gestaltet. Darüber hinaus
sprechen die kräftigen Schatten der Weide und die Helligkeit des Stehenden für einen
warmen, sonnigen Tag.
Nicht zuletzt gelingt es Rembrandt, eine nahezu realistische Atmosphäre in die Radierung
zu integrieren, indem er in die Tiefe gehend immer sparsamer und undetaillierter zeichnet.
3.2 Symbole und ihre Bedeutungen
Die Schwierigkeit bei der Analyse von Landschaften liegt darin, festzulegen, wo Symbolik
beginnt und an welcher Stelle Komposition endet. So lassen sich auch in dieser Radierung
zahlreiche Symbole finden, die der Künstler sorgsam in die Struktur eingebracht hat. Sie
werden nicht hervorgehoben oder in besonderer Weise betont, sondern sind realitätsgetreu
dargestellt, sodass der Betrachter einige Mühe hat, die Symbole als solche und ihre Zusammenhänge zu erkennen. Für Axel Werbke ist es gerade dies, was Kunstwerke für den
Betrachter des XVII. Jahrhunderts reizvoll machte und ihm Freude bereitete.32
Hieran anknüpfend sollen einige Symbole der Radierung Der Omval exemplarisch thematisiert werden, um zum einen die Vielzahl an Symbolen in einer Radierung, wie es für
die barocke Epoche typisch war, zu belegen und zum anderen die Assoziationen, die der
Betrachter des XVII. Jahrhunderts zu den Symbolen herstellte, anzuführen.
Beim Hintergrund angefangen, sind zunächst die Steinhäuser als ein Zeichen des Reichtums der Stadt, aber auch als Symbol für Arbeit und Fleiß der Bürger Amsterdams zu
nennen. Dieser Ausschnitt wirkt sehr belebt, da überall Figuren präsent sind. Dem zugeordnet stehen die kleinen Segelschiffe ebenso für Betriebsamkeit sowie Transport- oder
auch Handelstätigkeit. Die Windmühlen, die nach wie vor das Symbol Hollands sind, wurden in der Zeit Rembrandts als Zeichen für Gottesfürchtigkeit angesehen, da der Erfolg
der Arbeit nirgendwo sonst so stark von der Gewalt Gottes abhängig war.33 Demgemäß
31
van Mander, Carel, a.a.O., S. 203.
Werbke, Axel, Rembrandts Landschaftsradierung mit drei Bäumen als visuell-gedankliche Herausforderung, in: Jahrbuch der Berliner Museen 1989 Bd. 31, S. 231.
33
Schneider, Cynthia, a.a.O., S. 113.
32
Kapitel 3 Der Omval
Seite 12
erstellte der Künstler ein optimierendes Bild der Stadt Amsterdam, indem er deren Reichtum und Wohlstand darstellte und diesen auf den Fleiß und die Gläubigkeit der Bürger
zurückführte.
Die Stadt umgebend galt das fließende Wasser des Flusses als Metapher für das Leben;
es wurde mit dem Blutkreislauf des Menschen assoziiert.34 Der Fluss war jedoch nicht
nur Lebensgrundlage der Stadt und ein Ort der Arbeit, sondern bot den Menschen auch
Erholung und Entspannung. Dies vergegenwärtigt Rembrandt dem Betrachter durch das
Ruderboot. Es steht für Luxus und Vergnügen. Die Reisenden repräsentieren die Luxusgesellschaft Amsterdams und werden in der Komposition dem Arbeitsethos der Segelboote
gegenübergestellt.
Die blühende Vegetation, die die linke Bildhälfte dominiert, steht für die Fruchtbarkeit des
Landes und für Fruchtbarkeit im weiteren Sinne. So ist auch das in den Büschen verborgene Paar ein Symbol für Liebe; es verkörpert eine gewisse romantische Haltung der Bürger.
Ihre Naturverbundenheit wird am deutlichsten durch den Blumenkranz dargestellt, der
als eine Art Liebesgeschenk dient. Gleichzeitig stehen Blumen im XVII. Jahrhundert für
Tugend und Jungfräulichkeit.35 Bei diesem Platz handelt es sich um viel mehr als nur
einen Ort, der die Liebenden vor fremden Blicken schützt. Sie fühlen sich der Natur verbunden und genießen diese Umgebung.
An dieser Stelle spielt Rembrandt mit dem Thema Sexualität. Indem er das Paar hinter Büschen und Ästen verbirgt, entsteht eine sehr intime Atmosphäre, die zudem durch
die Fruchtbarkeit der Umgebung unterstrichen wird. Dies motiviert den Betrachter dazu,
genauer hinzusehen. Allerdings geschieht nichts Unsittliches. Er setzt ihr lediglich den
Blumenkranz auf, ohne dabei zudringlich zu wirken. Es handelt sich nicht um eine erotische, sondern um eine poetische, romantische Liebesszene.36
Eine zentrale Rolle nimmt die alte, zerbrochene und teilweise abgestorbene Weide ein.
Neben den beiden idealen Landschaften, der idyllischen links und der Ansicht des dynamischen Amsterdams rechts, sticht die krumm gewachsene Weide hervor, da sie nicht dem
Schönheitsideal entspricht. Sie ist als Vanitassymbol zu deuten und verweist demzufolge
auf die Vergänglichkeit allen irdischen Seins.
Weit schwieriger zu interpretieren sind die aus dem scheinbar toten Baum wachsenden einzelnen Äste. Werbke deutet an dieser Stelle auf das Doppelmotiv vom toten und zugleich
sprießenden Ast hin.37 Dieses Symbol kann entweder als Kreislauf des Lebens interpretiert
oder aber als Hinweis auf die Auferstehung Christi angesehen werden, wobei sich beide
34
Schneider, Cynthia, a.a.O., S. 111.
Schneider, Cynthia, a.a.O., S. 105.
36
Smith, David R., Remrandt´s methaphysical wit: The Three Trees and the Omval, in: Word and Image
21(2005) S. 1.
37
Werbke, Axel, a.a.O., S. 245.
35
Kapitel 3 Der Omval
Seite 13
Möglichkeiten nicht widersprechen. Dass der tote und sprießende Ast genau über der
Stadt angeordnet ist und die Äste sich geradlinig zum Himmel strecken, spricht für die
christliche Interpretationsmöglichkeit, derzufolge Gott bzw. Christus wohlwollend über
der gläubigen Stadt wacht.
Indem Rembrandt beides, Arkadien und die holländische Landschaft, in einer Radierung
gegenüberstellt, entstehen eine Reihe von Antithesen. Er vereinigt Stadt und Natur, Erde
und Himmel, Licht und Dunkelheit, Nähe und Weite, Erholung und Arbeit sowie privat
und öffentlich.38 Alldies gehört zu der Stadt und deren Umfeld. Er stellt eine Alltagssituation dar und wertet sie durch diese Antithetik auf.
Der Künstler portraitiert ein selbstbewusstes, reiches Amsterdam, dessen Bürger romantisch geprägt sind und nach christlichen Werten leben. Rembrandt lobt und würdigt das
schöne Leben in der Stadt und all die Annehmlichkeiten, die sie zu bieten hat. Gleichzeitig
warnt er jedoch vor der Vergänglichkeit aller Schönheit.
In welcher Beziehung die einzelnen Symbole zueinander stehen und wie viel Gewicht ihnen
beizumessen ist, soll im nächsten Abschnitt anhand einiger Deutungen herausgearbeitet
werden.
3.3 Ikonologische Ansätze
Nachdem die symbolische Ebene der Radierung hinreichend diskutiert worden ist, sollen nun einige Deutungsmöglichkeiten vorgestellt werden, an denen die Schwierigkeiten
der Interpretation von Landschaften und die aufgrunddessen differenziert ausfallenden
Deutungen vergegenwärtigt werden sollen.
3.3.1 Vanitasinterpretation
Für Choung-Hi Lee ist die Weide die ausschlaggebende Komponente der Radierung. Sie
beschreibt den Baum als uralte Weide mit abgebrochenem Stamm, laublosen Ästen und
rauer Rinde.39 Es handelt sich also um ein Vanitassymbol.
Jenseits der Stadt befindet sich ein alter hässlicher Stamm, dem weder von dem Liebespaar noch von dem Stehenden Beachtung gewidmet wird. Allein für den Betrachter steht
der Baum im Focus als Verweis auf die Vergänglichkeit allen irdischen Seins.40
Diese Deutung ist aufgrund der zentralen Anordnung der Weide nachvollziehbar, sie ver38
Smith, David R., a.a.O., S. 2.
Lee, Choung-Hi, a.a.O., S. 50.
40
Ziemba, Antoni, Rembrandts Landschaft als Sinnbild, Versuch einer ikonologischen Deutung, in: Artibus et historal 15(1987) S. 120ff.
39
Kapitel 3 Der Omval
Seite 14
nachlässigt jedoch die anderen Motive. Darüber hinaus widerspricht die warme Athmosphäre der düsteren Deutung. Die Weide ist sicherlich als Vanitassymbol zu interpretieren,
sollte jedoch nicht überbewertet werden.
3.3.2 Biografiebezogene Deutung
Eine einmalige Deutung lässt sich bei Franz Winzinger finden. Für ihn erscheint der
stehende Mann unbeseelt, er ist viel weniger wichtig als der Pfahl. Auch das Liebespaar
und die Kahnfahrer sind für Winzinger nur Beiwerk. Der eigentliche Held der Erzählung
ist der tapfere alte Baum:
Hat er nicht wirklich ein menschliches Antlitz? Ist er nicht wie ein wunderbares
”
und tiefes Gleichnis alles irdischen Daseins? Er entrinnt sich dem dunklen Schoß
der Erde und obwohl ihm die brausenden Stürme eines langen Lebens klaffende,
fast tödliche Wunden schlugen, erstreckt er immer wieder seine Arme hoffend dem
Lichte entgegen.”41
Winzinger stützt seine Interpretation auf die Biografie Rembrandts. So sind die klaffenden
Wunden mit dem Tod seiner Mutter (1640) und dem Tod Saskias (1641) in Verbindung zu
setzen. Gleichwohl stehen die sich dem Himmel entgegenstreckenden Arme metaphorisch
für die Geburt des Sohnes Titus (1641) und die neue Liebe zu Hendrickje (1645).
Dieser Interpretation kann insofern gefolgt werden, als dass es typisch für Rembrandt war,
Gegenstände nicht dem Schönheitsideal entsprechend darzustellen.42 So erscheint auch die
Weide auf den ersten Blick hässlich. Dieses lässt sie allerdings natürlicher und realistischer
erscheinen und verleiht ihr ihren besonderen Charakter.
3.3.3 Pastorale Intention
Cynthia Schneider macht auf den Bezug dieser Radierung zu Pieter Lastmans Gemälde
Pastorale Szene 43 von 1615 aufmerksam.44 In dem Gemälde von Lastman ist ebenfalls
ein Liebespaar unter einem alten Baum abgebildet, wobei hier die Frau dem Mann einen
Blumenkranz auf den Kopf setzt. Rembrandt stellt also eine bekannte pastorale Szene
dar, wodurch der Baum als Teil dieser Szene entscheidend an Bedeutung für die gesamte
Radierung verliert. Diese idyllische Szene verbindet Rembrandt mit der Ansicht Amsterdams. Die Umgebung Amsterdams wird als locus amoenius suggeriert.45
41
Winzinger, Franz, a.a.O., S. 20f.
Busch, Werner, a.a.O., 265f.
43
siehe Abbildung 1 im Anhang
44
Schneider, Cynthia, a.a.O., S. 102.
45
Spickernagel, Ellen, Holländische Dorflandschaften im frühen 17. Jahrhundert, in: Städel-Jahrbuch NF
Bd. 7, 1979, S.139.
42
Kapitel 3 Der Omval
Seite 15
Die romantische Einstellung zur Umwelt spielt auch in der gleichzeitigen Literatur eine
große Rolle. David Smith ist davon überzeugt, eine direkte Verbindung von Poesie und
Rembrandts Radierung Der Omval herstellen zu können. Hierzu führt er das Werk The
Sun Rising von John Donne an:
[...]Love, all alike, no season knows, nor clime,
”
nor hours, days, months, wich are the rags of time.
[...]To warm the world, that´s done by warming us.
Shine here to us, and thou art everywhere;
This bed thy centre is, these wall, thy sphere.”46
Smith erkennt grundlegende Gemeinsamkeiten und schließt daraus auf eine gemeinsame
Intention beider Werke. Beiderseits ist es die Liebe, die allgegenwärtig ist, und keine Zeit
zu kennen scheint. Auch gelingt es Rembrandt, das Wärmen der Sonne, die zum einen
die gesamte Umwelt, aber auch explizit das Liebespaar wärmt, darzustellen, ohne deren
geborgenes Versteck preiszugeben.
Ein Gedicht von Constantin Huygens, einem guten Bekannten Rembrandts,47 beginnt
mit dem Satz the Lord´s goodness is manifest on top of every dune.”48 Diesen Gedan”
ken überträgt Rembrandt mit dem Motiv des toten und zugleich sprießenden Astes, der
zentral über der Stadt angeordnet ist, in seine Radierung.
Schneider warnt jedoch davor, Texten und Bildern die gleiche Deutung zuzuordnen oder
gar die Behauptung zu wagen, die Bilder seien nach den Texten gemalt. Wenn Maler
und Poet sich mit derselben Thematik auseinandersetzten, lässt dieses nicht auf eine gemeinsame Intention schließen, da Werkzeug, Herangehensweise und individuelle Prägung
stets unterschiedlich sind.49 Darüber hinaus bleiben viele Details unbeachtet, wenn nach
diesem Schema vorgegangen wird. Die Interpretation könnte unvollständig bleiben.
3.4 Fazit zum Omval
Rembrandt vereinigt in seiner Radierung Der Omval vier Genres der Landschaftsmalerei;
er stellt der pastoralen die holländische, reale Landschaft gegenüber und gleichzeitig kontrastriert er die Nutz- und die Mußelandschaft der Stadt und seiner Umgebung. Hierdurch
bietet Rembrandt dem Betrachter jede Menge Interpretationsspielraum; er feiert Amsterdam und dessen Umgebung als einen idealen Lebensraum und stellt diesen zugleich in
Frage.
46
Smith, David R., a.a.O., S.
Smith, David R., a.a.O., S.
48
Schneider, Cynthia, a.a.O.,
49
Schneider, Cynthia, a.a.O.,
47
11.
9.
S. 104.
S. 110.
Kapitel 3 Der Omval
Seite 16
Aus Zeichnungen Rembrandts geht seine intensive Beschäftigung mit den einzelnen Gegenständen der Radierung Der Omval hervor. So ist beispielsweise die Weide in den
Zeichnungen Waldweg mit Zugbrücke und Alte Weide, aber auch in den Radierungen Der
hl. Fanziskus und Der hl. Hieronymus unter dem Baum wiederzufinden. Die distanzierte
Ansicht Amsterdams taucht in zahlreichen Zeichnungen und Radierungen auf, von ihnen
seien an dieser Stelle Der Blick vom Diemerdeich auf die Amstel und Amsterdam genannt.
Ebenso häufig verwendet Rembrandt das Motiv der Windmühle. Eine Radierung, in der
sie in den Focus des Betrachters rückt, ist Die Windmühle. Die Radierung Der Omval ist
demzufolge eine geschickte Kombination verschiedener von Rembrandt genau einstudierter Motive.
Beim ersten Hinschauen wirkt die Radierung Der Omval wie ein zufällig entstandener Schnappschuss. Im Laufe der Analyse wird jedoch die Perfektion der Komposition
deutlich. Die real wirkende Darstellung zog sogar lange Zeit die Frage mit sich, ob sie
tatsächlich existierte oder nur fiktiv war. Sich mit dieser Frage beschäftigend unternahm
Lugt am Anfang des XX. Jahrhunderts den heute nicht mehr überprüfbaren Versuch, die
zugrundeliegenden Ortschaften in Rembrandts Radierungen und Zeichnungen nachzuweisen.50 Heute wird der Annahme gefolgt, dass einzelne Motive nach der Natur gezeichnet
sind, die Gesamtkonstellation jedoch fiktiv ist.51
Anhand des Vergleiches dieser Radierung zu Lastmans Gemälde Pastorale Szene wird
die Modernität bei Rembrandts Darstellung deutlich. Während Lastman das Motiv der
Liebenden unter einem alten Baum mit Ziegen und einer weiten von Menschen scheinbar
unberührten Landschaft klassisch und fast übertrieben idyllisch inszeniert, wirkt Rembrandts Radierung sehr realistisch. Rembrandt wertet eine Alltagssituation durch die
Antithetik privat-öffentlich auf und verleiht dem Kunstwerk durch Detailvielfalt und kritisches Auseinandersetzen von Realität und Idylle ihren besonderen Charakter. Der Versuch, das zeitgenössische Leben, den Eindruck von Atmosphäre und das Licht realtitätsnah
wiederzugeben, kann sogar mit den Arbeiten des französischen Künstlers Claude Monet
(1840-1926) verglichen werden. Aus dieser Sicht betrachtet, scheint Rembrandt seiner Zeit
vorauszueilen.
Durch die Komplexität der Radierung entstehen verschiedene Ebenen der Interpretation. Nüchtern betrachtet, hat es den simplen Zweck, eine möglichst breite Zielgruppe zu
erreichen. So spricht Rembrandt mit der Radierung den heimatverbundenen Bürger Amsterdams ebenso wie den gebildeten Kunstliebhaber an, der sich an versteckten Symbolen
und deren Deutungsvielfalt erfreut. Da Rembrandt in der ersten Hälfte der vierziger Jahre, in der Krise seiner Schaffenszeit, nur wenige Werke anfertigte, weil er der Erziehung
50
51
Werbke, Axel, a.a.O., S. 227.
Winzinger, Franz, a.a.O., S. 19.
Kapitel 3 Der Omval
Seite 17
seines Sohnes viel Zeit widmete,52 mussten diese Werke umso produktiver sein. Die Radierung Der Omval ist infolgedessen primär als nachfrageorientiertes Produkt konzipiert
worden. Insofern sind Rembrandts Arbeiten nicht als Traditionen, sondern als Überreste
zu betrachten.
52
Tümpel, Christian, a.a.O., S. 92.
4 Schlussbetrachtung
Zu Beginn der Arbeit konnte die Vielseitigkeit Rembrandts veranschaulicht werden. In
seinen Zeichnungen, Radierungen und Gemälden beschäftigte er sich nicht nur mit Historienbildern und Portraits, sondern auch mit der Landschaftsmalerei, in welcher er alle
Genres aufgreift, von Nacht-, Winter-, Phantasie- und Sturmlandschaften bis zu idyllischen oder alltäglichen Landschaften. Insofern gilt Rembrandt als Allroundtalent, der die
Chancen seiner Zeit nutzte.
Das zentrale Problem der Arbeit ist der Widerspruch zwischen den Zitaten aus dem
XVII. Jahrhundert und der heutigen Auffassung von Landschaften gewesen. So suggerieren Visscher und van Mander in ihren Aussagen über die Landschaften, dass diese keine
Intentionen beinhalten. Dem entgegengesetzt lassen sich in der exemplarisch analysierten
Radierung Rembrandts zahlreiche Deutungen finden.
Holland geht im XVI. und XVII. Jahrhundert mit der Landschaftsmalerei einen revolutionären Weg in der Kunstgeschichte, nicht nur durch die Darstellungsart, sondern auch
durch die Verbreitung der Kunstwerke auch in breiteren Gesellschaftsschichten. Die optimierende Darstellung Amsterdams in der Radierung Der Omval vordert deren Bürger
zum Kauf auf. Folglich war es für den heimatverbundenen Bürger nicht untypisch, eine
derartige Landschaft zu besitzen. Darüber hinaus spricht die Radierung aufgrund ihrer
Deutungsvielfalt auch den barocken Kunstliebhaber an, dem carpe diem, memento morie
und vanitas geläufige Begriffe sind. Ihm sagt das Bild, er solle den Tag genießen, jedoch
der Vergänglichkeit und der Eitelkeit des menschlichen Daseins gedenken. Diese Betrachtungsweise lässt den Schluss zu, dass Rembrandt aufgrund der breiten Zielgruppe, die er
zu erreichen versuchte, ein nachfrageorientiertes Werk schuf.
Bei der Analyse der Radierung wurden viele Möglichkeiten der Interpretation deutlich.
So wurden am Anfang des XX. Jahrhunderts Landschaften keine Intentionen zugeordnet. Dies belegen die Ausführungen Eislers, in denen die handwerklichen Fähigkeiten der
Künstler im Vordergrund stehen und für den Wert eines Bildes ausschlaggebend sind.
Signifikant für die darauf folgenden Jahrzehnte sind Deutungen, die sich auf die Biografie
der Künstler stützen. Die Arbeiten wurden als Spiegel der Seelen der Künstler angesehen.
Im besonderen Maße trifft dies auf Rembrandts Radierung Die drei Bäume zu, in der er
seiner Trauer Ausdruck verliehen haben soll.
18
Kapitel 4 Schlussbetrachtung
Seite 19
In aktuelleren Deutungen werden Symbole immer bedeutsamer. Diese gilt es herauszukristallisieren und deren Gewichtung im Gesamtzusammenhang abzuwägen. Darüber hinaus
besteht die Möglichkeit, Landschaften der derzeitigen Poesie zuzuordnen. Hierbei werden
jedoch die Individualität der Künstler und ihrer Werkzeuge sowie die Detailvielfalt außer
Acht gelassen. Bei der Analyse dieser Radierung sind alle angeführten Versuche durchaus
legitim, idealerweise sollten sie jedoch kombiniert werden, um eine vollständige Deutung
zu erhalten.
Kaum provokativ und eher unscheinbar wirkt die Radierung Der Omval und trotzdem
lässt sie den typischen Stil Rembrandts erkennen. Vor allem im Vergleich mit den Arbeiten Lastmans und Monets wird die Modernität Rembrandts deutlich, die ihn zu einem
der bedeutendsten Malern der Kunstgeschichte macht.
Literaturverzeichnis
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und Callisto”, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 52(1984)S. 257-277.
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Rosenberg, Jakob, Rembrandt: Live and Work, New York 19893 .
Schneider, P. Cynthia, Rembrandt´s Landscapes, Yale 1990.
Smith, David R., Rembrandt´s metaphysical wit: The Three Trees and The
20
Kapitel Literaturverzeichnis
Seite 21
Omval, in: Word and Image 21(2005) S. 1-21.
Spickernagel, Ellen, Holländische Dorflandschaften im frühen 17. Jahrhundert, in: Städel-Jahrbuch NF Bd. 7, 1979, S. 133-148.
Tümpel, Christian, Rembrandt, Hamburg, 1977.
Werbke, Axel, Rembrandts ”Landschaftsradierung mit drei Bäumen” als visuellgedankliche Herausforderung, in: Jahrbuch der Berliner Museen 1989 Bd. 31, S.
225-250.
Winzinger, Franz, Rembrandt Landschaftszeichnungen, Baden-Baden 1953.
Ziemba, Antoni, Rembrandts Landschaft als Sinnbild, Versuch einer ikonologischen Deutung, in: Artibus et historal 15(1987) S. 109-134.
5 Anhang
Abbildung 1: Pieter Lastman, Gemälde, Pastorale Scene, 1615
22
Kapitel 5 Anhang
Abbildung 2: Clais Jansz. visscher, Radierung, tietelbild, 1607
Seite 23
Kapitel 5 Anhang
Abbildung 3: Rembrandt, Radierung, Omval, 1645
Seite 24