schreibwerkstatt 2014

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schreibwerkstatt 2014
SCHREIBWERKSTATT 2014
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SCHREIBWERKSTATT 2014
Ein theaterpädagogisches Projekt der Sparte u\hof:
Künstlerische & organisatorische Leitung Anke Held
Coaching der Jungautor_innen bei der Erstellung der Texte Nora Dirisamer
Jungautor_innen Marlene Bauer, Laura Bürger, Danielli Karla Cavalcanti,
Julia Haslauer, Leo Migonneau, Monique Narzt, Julia Nusko,
Carolin Obermüller, Marlene Pichler, Lena Steinhuber
Szenische Einrichtung Julia Ransmayr
Ausstattung Julia Edelmair
Inspizienz Gabriela Korntner
Technische Einrichtung Christian Pauli
Beleuchtung und Toneinrichtung Andreas Erlinger
Fotos Peter Beer
Bei der Präsentation spielten/lasen/sangen
Marlene Bauer (Jungautorin)
Laura Bürger (Jungautorin)
Julia Haslauer (Jungautorin)
Monique Narzt (Jungautorin)
Julia Nusko (Jungautorin)
Marlene Pichler (Jungautorin)
Sabrina Rupp (u\hof: Ensemble)
Katharina Stehr (u\hof: Ensemble)
Wenzel Brücher (u\hof: Ensemble)
Markus Pendzialek (u\hof: Ensemble)
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Die SCHREIBWERKSTATT ist ein theaterpädagogisches, zeitbegrenztes Projekt der Sparte u\hof:, das
für all jene ab 15 Jahren gedacht ist, die gerne schreiben und Lust darauf haben, zu einem vorgegebenen
Thema Texte unterschiedlichen Formats zu kreieren.
Ob Kurzgeschichte, Ballade, Essay, Gedicht oder
Theaterstück – jedes Genre ist erlaubt. Anleitung und
Schützenhilfe dabei gibt es von einem Profi.
Thematisch ist die SCHREIBWERKSTATT mit unseren drei THEATERSTUDIOS
verbunden. Auch diese Gruppen arbeiten zum vorgegebenen Thema. Die Ergebnisse aller Projekte werden im Rahmen eines gemeinsamen Präsentationswochenendes gezeigt. Heuer bildete für alle Gruppen das Thema Katastrophe! den
Mittelpunkt der Betrachtungen.
In der SCHREIBWERKSTATT 2014 stand den jungen Autor_innen Nora Dirisamer
(langjähriges u\hof: Ensemble-Mitglied, nun als freie Schauspielerin und Regisseurin tätig) als Coach zur Verfügung. Unter ihrer fachkundigen Anleitung und konstruktiven Kritik haben zehn junge Leute im März und April dieses Jahres Texte
zum Thema Katastrophe! geschrieben. Entstanden sind ein innerer Monolog, ein
Theaterstück für Kinder ab vier Jahren, ein Bühnen-Sketch, zwei Balladen, ein
Song, Kurzgeschichten und ein Minidrama.
Julia Ransmayr, Regisseurin (zuletzt u\hof: Produktion Schneeschuhhasen im Glas)
und u\hof: Regieassistentin, hat nach Finalisierung aller Texte die szenische Einrichtung dieser für die Präsentation im u\hof: übernommen. Wichtig war uns hierbei,
den Jungautor_innen die Möglichkeit einzuräumen, ihre Texte auf Wunsch hin
entweder auch selbst zu lesen und zu gestalten oder deren Umsetzungsideen in
die Präsentation einfließen zu lassen.
Somit sind bei der Präsentation der SCHREIBWERKSTATT 2014 sowohl unser
u\hof: Ensemble mit Katharina Stehr, Sabrina Rupp, Markus Pendzialek und
Wenzel Brücher zu erleben als auch viele der Jungautor_innen, die an diesem
Projekt beteiligt waren. Auf diese Weise verbindet sich kreatives Schaffen von
Theaterprofis und jungen, theater- und schreibbegeisterten Menschen.
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Textabfolge zur SCHREIBWERKSTATT-Präsentation
1. Obermüller, Carolin: First World Problems ………………………………..… Seite 5
Gelesen vom u\hof: Ensemble
2. Nusko, Julia: Eigentlich Hamlet ……………………………………..………… Seite 8
Gespielt von Julia Nusko
Unterstützt durch das u\hof: Ensemble
3. Bauer, Marlene: Ohne Strom …………………………………………………. Seite 12
Gelesen von Marlene Bauer
4. Bürger, Laura: Die Ballade der Frau, die im Baum stecken blieb ……… Seite 13
Gelesen von Laura Bürger und dem u\hof: Ensemble
5. Migonneau, Leo: Der Safe …………………………………………………..… Seite 24
Gelesen vom u\hof: Ensemble
6. Haslauer, Julia: Prolog im Café …………………………………………....… Seite 27
Gelesen von Julia Haslauer und dem u\hof: Ensemble
7. Pichler, Marlene: Babyspeck ………………………………………….…...… Seite 32
Gelesen von Marlene Pichler
8. Narzt, Monique: This day can’t get worse …………………………….…… Seite 34
Gesungen von Monique Narzt
9. Gemeinschaftsarbeit: Der UHRgroßvater …………………………….…… Seite 35
Idee von Lena Steinhuber
Texte von Marlene Pichler, Danielli Karla Cavalcanti,
Julia Haslauer, Lena Steinhuber
Gelesen von Julia Haslauer und dem u\hof: Ensemble
10. Bauer, Marlene: Ausbeutung ……………………………………………..… Seite 41
Gelesen von Marlene Bauer
11. Cavalcanti, Danielli Karla: Das Gericht ………………………………..…… Seite 42
Gelesen vom u\hof: Ensemble
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First World Problems
von Carolin Obermüller
Oh wie sie da alle hocken
Das Gehirn vor Angst gesperrt
Die Augenschatten frisch
Wippen unruhig hin und her
Murmeln stoisch vor sich hin
Es ist Schularbeitenzeit am Gymnasium
Formeln und Endungen
Vokabel und Rechnungen
Alles wird panisch hineingestopft
Und wieder ausgekotzt
Das ist schulische Bulimie
Das ist wie Krieg
Informationen hageln auf die Schüler ein
Wie Gewehrkugeln
BAMM BAMM BAMM
Fetzen Löcher in Nervenkostüme
Prüfungstermine wie Zeitbomben
Bis sie hochgehen
Will sie jeder entschärfen
Und lernt und lernt und lernt und
Am Tag an dem sie explodieren
Herrscht reinstes Chaos
Der kleinste Test
Ist eine Schlacht
Von Schularbeiten ganz zu schweigen
Es geht um alles
Denn schreibt man jetzt eine schlechte Note
Ist alles versaut
Die ganze Zukunft ist im Eimer
Keine Matura
Kein Abschluss
Kein Job
Alles vorbei
Deshalb lern! lern! lern!
Und wirst du noch verrückt dabei
Nach dem Ende der Stunde
Werden die Probleme nicht kleiner
Es kommen sogar noch mehr dazu
Ein Blick in den Spiegel stimmt gar nicht heiter
„Ich bin zu dick, ich muss was tun“
Spricht ein Chor aus dünnen Mädchen
Zupft das lange Haar zurecht
Prüft die spinnbeinart‘gen Wimpern
Und dreht sich auf dem Absatz um
Verlässt den schulinternen
Schönheitssalon
Zurück im Klassenzimmer
Läutet auch schon die Glocke
Zur nächsten Stunde
Mathematik steht auf dem Stundenplan
Keinen interessiert’s
Keiner hört zu
Warum MÜSSEN wir hier sein?
WARUM?
Wir könnten gerade ganz was anderes tun
Woanders sein
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Wir wollen raus! raus! raus!
Aus dem Fenster in den blauen Himmel springen
In die Freiheit
Die außerhalb der Schulmauern liegt
Doch die Mauern in den Köpfen sind zu dick
Sie lassen uns keine Chance zur Flucht
Sie blockieren uns
Blockieren alles
Wir sind eingesperrt
Warum MÜSSEN wir hier sein?
WARUM?
Also tippen alle auf ihren Handys herum
Flüchten sich in Chats und Spiele
Suchen Zerstreuung in einer anderen Welt
Legen sich eine eigene Mauer zu
Eine virtuelle
Die ihren Geist umgibt
Doch
Der Lehrer merkt’s
Kassiert ein Handy ein
Das ist ein Todesurteil
Kein Handy
Kein Leben
Hat doch jeder sein Herz daran gehängt
Sich ihm ganz verschrieben
Versprochen es zu
lieben
lieben
lieben
Gott sei Dank,
Die Glocke schellt
Entlässt uns in die langersehnte Freiheit
Der Lehrer gibt das Handy wieder frei
Der Schüler zerrinnt fast
vor Dankbarkeit
Wieder vereint mit seiner Liebe
Wieder ganz
Schüler strömen dem Ausgang zu
Ab nach Hause
Dort wartet Mittagessen auf sie
Doch manche der Mädchen
Bangen schon
Fürchten sich vor dem Moment
In dem das Essen vor ihnen steht
Denn sie wollen es ja
Aber
Sie werden es vielleicht nicht essen
Starren ihren vollen Teller an
wie ein Kaninchen die Schlange
Nur dass das Kaninchen hier die Schlange frisst
Eigentlich
Denn
Wenn sie’s doch gegessen haben
Wollen sie es gleich wieder auskotzen
Die Schlange zerbeißt das Kaninchen von innen
Und so wollen die Mädchen
Mit der Kotze allen Selbsthass aus ihrem Körper kriegen
Aber der Hass bleibt
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Und die Scham steigt
Mit jeder Mahlzeit
die wieder hervorgewürgt wird
Aber letzten Endes
müssen sie im täglichen Schönheitswettbewerb bestehen
Und dafür wiederrum
müssen sie dünn sein
Das ist doch schön
Oder?
Kurz konnten wir Freizeit kosten
Wie süß das schmeckte
Doch jetzt am Nachmittag
Packen alle ihre Schulbücher aus
Widmen sich der bitteren Realität
Englisch und Französisch
Mathematik und Latein
Physik und Geschichte
Biologie und Deutsch
Lernen
Lernen
Lernen
Bis wir gescheit blöd sind
Warum?
Warum?
Warum?
Wir zittern
Vor der Fahrprüfung
Was, wenn ich den Motor abwürge?
Eine Katastrophe
Wir zittern
Vor dem ersten Date
Was, wenn ich was Blödes sage?
Eine Katastrophe
Wir zittern
Vor einem Referat
Was, wenn ich ausgelacht werde?
Eine Katastrophe
Wir zittern
Vor unserem Alltag
Eine Katastrophe reiht sich an die nächste
Angst und Panik
Schreie und Tränen
Überdruss und Frustration
Nichts läuft so wie es sollte
Und nichts ist wirklich gut
Ein ewiger Krieg
Jeden Tag tausend neue Schlachten
Ist die eine gewonnen,
Steht schon die nächste an
Klopft an die Tür unseres Gehirns
„Juhuu, hier bin ich!“
Und will uns fertig machen
Jeden Tag
Tausend Heere aus Dämonen,
Die wir selbst geweckt haben.
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Eigentlich Hamlet
von Julia Nusko
(Protagonist_in wird auf die Bühne geschubst)
Äh … (herumstotternd) da sollt‘ jetzt eigentlich ... Ding … die Julia Nusko auftreten. Mit`m Hamlet oder
irgend sowas Komischem.
(Verlegenes Grinsen)
Da ist jetzt etwas schief gegangen.
(Immer noch stotternd)
Also … was soll ich jetzt machen? Ding … es ist so, ich bin da irgendwie falsch. Ich mein, man sieht’s
eh (auf den Frack verweisend), ich gehör‘ eigentlich zum Orchester, das jetzt dann im großen Haus
Die Fledermaus spielen soll, also ich bin Musiker, ich gehör‘ da nicht her.
Die Ding … die Julia Nusko, die eigentlich jetzt hier stehen sollt‘, die hab ich grad draußen in der
Kantine kennengelernt. Sie müssen sich das so vorstellen – wollt‘ ich vor Der Fledermaus noch kurz in
der Kantine vorbeischauen auf einen kleinen Underberg … für`n Magen … und da war auf einmal
diese bildhübsche Dame.
(Schaut versonnen)
Die übrigens noch viel jünger ausschaut, als sie ist.
(Schaut wieder versonnen, kommt irgendwann in der Gegenwart an)
Ja, und daneben war die Julia Nusko.
Und wissen’s, der Julia ist da etwas passiert.
A Kleinigkeit, die bei den Besten vorkommt. Und bei den Schlechtesten.
Für so an Junghupfer halt die groooße Katastroph’n! Sie hat a bisserl Lampenfieber.
Ist halt so, wenn die Erfahrung fehlt.
Bei den Neuen … ich sag‘ Ihnen was, das sind oft schon rechte Hascherln.
Und statt dass‘ als 7. Gartenzwerg von links anfangt, wie sich’s g’hört: nein, gleich Hamlet!
(Kopfschütteln)
Ich hab ihr, in aller gebotenen Väterlichkeit, den Rat gegeben, ins kalte Wasser zu springen. Einfach
durch und irgendwann kommt die Routine.
Alles wird Routine, sag‘ ich Ihnen – die Verheirateten unter uns wissen, wovon ich red‘.
Ich hab also der Julia ein bisserl geholfen, ich hab sie, in aller gebotenen Väterlichkeit, an der Hand
genommen und ihr gesagt: „Tu dir nix an, Pupperl, ich geh‘ mit dir bis zur Bühne und dann wird’s ganz
leicht, wirst seh’n.“
(Wechselt zu Empörung)
Und dann hat sich die einfach da hinten (zeigt zum Bühneneingang) eing’spreizt und mir einen Tritt
ver… (räuspert sich) bin ich freiwillig und selbstbestimmt wie eine Hu… eine Sexarbeiterin auf die
Bühne geschritten und (verlegenes Lächeln) ja, jetzt bin ich da und ich hab Ihnen erzählt, was da so
los ist. Oder a net los is.
(Inspizientenruf „Noch 5 Minuten bis zum Beginn Der Fledermaus!“)
Ui, jetzt wird’s aber Zeit!
Ich muss zu meiner Fledermaus und da bei Ihnen muss das Programm weitergeh’n, Sie wollen
schließlich auch was seh’n, nicht wahr?
Also schönen Abend noch und wiederschau’n.
(Versucht hinauszugehen und wird wieder zurückgeschubst und am Bühneneingang erscheint ein
erhobener Mittelfinger)
Also, das würd sich mein Dirndl daheim nicht trauen!
Der Bua schon, aber das Dirndl nicht!
Bei den Sitten bin ich ja gespannt, was aus meinen Fratzen amal wird!
Ob das Dirndl auch wissen wird, wo ihr Platz ist? Mei Frau hat das schon ganz gut im Griff. Die tut
sich ein bisserl was dazuverdienen an der Garderobe.
Is ja wichtig für eine Frau, die Unabhängigkeit – dass sie sich manchmal a neues Bluserl oder was
kaufen kann oder mit den ganzen Schabracken auf an Kaffee geh’n (Laut Richtung Bühneneingang)
Auf jeden Fall werden meine Fratzen nicht solche Hasenfüß‘ wie die Julia Nusko!
(Beruhigt)
Also, der Julia Nusko hab ich, in aller gebotenen Väterlichkeit eine ganze Menge Ratschläge gegeben
wegen dem Lampenfieber.
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„Julia!“ hab ich g’sagt, „Julia, ein paar Schnapserln sind ganz gut vor dem Auftritt. Man zittert weniger,
man … Ding … fühlt sich lockerer, …
(Inspizientenruf „Die Fledermaus hat soeben begonnen!“)
(Kompletter Schock, angedeutetes „Scheiße!“ und Fluchtversuch Richtung Ausgang. Abrupte Umkehr
mit zugehaltenem Mund)
Mein Gott, Julia!
Hast das mit den paar Schnapserln …?
(Schreiend)
Stamperln hab ich g’meint, net Flaschen!
(Schlägt die Hände vor’s Gesicht)
(Immer wieder zwischen den Fingern zum Bühneneingang schielen, dann deutlich in die Richtung
sprechen)
Sie, das mit der Teppichreinigung, das krieg’ma schon hin. Warten`s … Ding
(Kramt im Frack nach Geld und stellt fest, dass nichts drin ist)
Mah, das Taschengeld krieg i von meiner Frau immer am Sonntag und heut is halt Samstag, das
letzte hab i grad in der Kantine fürn Underberg ausgeben … für`n Magen. Wie heißt’s so schön: Der
letzte Frack hat keine Taschen!
Aber ich sag‘ Ihnen, mei Schuld ist diese Sauerei da hinten eh net! Na, wirklich net!
Es is ja net so, dass ich ihr nicht, in aller gebotenen Väterlichkeit, auch noch andere Dinge geraten
hätte.
Meditation zum Beispiel! (kichert)
Mei Frau macht da so an Kurs nämlich … Ding
(Lässt sich auf den Boden fallen und geht in den Schneidersitz)
Also … ja, Sie machen alle mit! Weil wie man sieht, kann’s ja einem jeden passieren, dass er auf
einmal auf einer Bühne steht und dann net weiß wohin.
Und außerdem muss i mit meiner Frau auch immer mitmachen, fragt mich auch keiner, ob i des mag!
Und geht scho los! Wir sitzen gerade, schließen die Augen und nehmen ein paar ganz tiefe
Atemzüge.
(Abwarten)
A bisserl Konzentration, wenn ich bitten darf, ich bin ja net zum Spaß machen auf der Bühne!
(Ein paar tiefe Atemzüge, dann versunkenes Murmeln)
Das faszinierende ist nicht nur die beruhigende Wirkung, sondern auch der Kontakt zu den
Parallelwelten. Man nimmt Menschen wahr, die gar nicht im gleichen Raum sind, sagt mei Frau.
(Höhnisches Grinsen)
(Wie in Trance)
Mah, meine Eltern.
(Kleine Pause)
(Mit hoher Stimme): Mit 35 immer noch ka Ahnung haben, wohin! Statt, dass was G’scheites arbeitet,
hupft’s auf irgendwelchen komischen Bühnen herum!
(Mit normaler Stimme, versunken) Von wem reden denn die?
(Mit tiefer Stimme) Du hast ihr meinen Frack ausg’lichen??
(Mit hoher Stimme) Jo mei, sie hat ja kein Geld!
(Springt auf der Stelle auf und versucht mit hektischem Gefuchtel, das Bild zu verscheuchen und wirft
das Frackoberteil von sich)
(Stotternd)
Also … ich mein, man muss ja net. Man kann ja auch … also, Ding.
(Entschlossen)
Also nochamal!
(Wieder in den Schneidersitz und Augen schließen)
(Flüsternd) Was mit Musik. Bittebittebitte was mit Musik!
(Lächelnd mit geschlossenen Augen)
Aaaah, Pink Floyd. Und meine ganzen Schulfreund‘ in meinem Zimmer.
(Leise denglisch singend)
We don’t need no education!
We don’t need no … Was singen die da eigentlich in der zweiten Zeile? “Pfoaz control“, gell?
(Weitersingend)
We don’t need no education!
We don’t need no …
Dreh’ sofort die depperte Dsching-Bumm-Musi ab!!
(Rappelt sich erschrocken hoch)
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(Empört)
Dsching-Bumm-Musi! Zu Pink Floyd! Der alte Trottel, nur weil er’s net versteht!
Und jung war er wahrscheinlich auch nie!
Wissen’s was?
Wir machen das jetzt ganz anders.
(Jemanden aus dem Publikum – [vorher ausgemacht] fragen)
Was is denn Ihre Lieblingsmusik?
(Antwort: Die Fledermaus)
(Entsetzen, dann Resignation)
Joooo, die kann ich mir in Zukunft wahrscheinlich selber singen.
(Betont lieblos)
Also los, alle entspannt sitzen und Augen schließen!
(Singend)
Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.
(Sprechend auf den Gast mit dem Fledermaus-Wunsch deuten)
Bedanken Sie sich bei der/dem.
(Weitersingen, währenddessen in Richtung Bühneneingang schleichen)
Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist.
(Abrupt umdrehen, angewidert)
Mei, könntets der Julia wenigstens das G’sicht aus der Supp’n fischen?! So berühmt wie der Elvis is
sie noch net, braucht’s also auch net so sterben! (Pause) Danke.
Also (kritisch blickend) ich glaub, mit der Julia wir das heut‘ nix mehr. (Erneuter Blick zum Ausgang)
Und morgen auch net.
(Deprimiert)
Und mit meiner Orchesterstelle schaut’s jetzt auch eher öha aus.
(Kratzt sich verlegen am Kopf, plötzlich enthusiastisch)
Aber wissen’s was? Ich bin ja Musiker! Solist! Zumindest als solcher ausgebildet …
Das ist ja eigentlich Schicksal! Eine Fügung!
Für Die Fledermaus isses längst zu spät und das kann kein Zufall sein!
Ist von Ihnen vielleicht wer von einer Plattenfirma? Oder von einer Agentur?
(Jemanden aus dem Publikum wählen)
Sie vielleicht? Sie schauen irgendwie so aus.
Naaa! Das war jetzt net als Beleidigung gemeint, ausnahmsweise.
Sicher net? Ich muss mich jetzt nämlich a bissl umschauen.
Aber egal, wir machen jetzt einfach was G’scheites, was Erhabenes!
(Schaut sich naserümpfend um)
Passt ja eigentlich gar net in den Rahmen da.
Aber man muss manchmal auch spontan sein, ich werd‘ jetzt gach mein Instrument holen geh’n und
dann wird’s ein Abend mit musikalischen Meilensteinen, die’s so schnell net wieder vergessen
werden, das sag‘ ich Ihnen.
(Hält auf dem Weg raus kurz inne.)
Sie haben sowieso a Glück! Ich hab mein Instrument grad neu polieren lassen.
Sie haben ja keine Ahnung, was sowas kostet!
Wo-chen-lang hab ich auf einem Leihinstrument spielen müssen, weil die Politur so kompliziert war bei
meinem. Aber Gott sei Dank hab ich’s jetzt wieder, genau für heute Abend ist’s fertig geworden. Das
kann kein Zufall sein, sag‘ ich Ihnen. Ich geh’s nur g’schwind holen.
(Geht ein paar Schritte Richtung Ausgang, bleibt abrupt stehen)
Könnte mir bitte jemand mein Instrument bringen?
(Dem Publikum zuzwinkern und deuten, dass man aus den Schubsern gelernt hat.)
(Jemand erscheint mit Cellokoffer.)
Vorsichtig, mein Gott, sind’s bloß vorsichtig, Ding heast!
(Nimmt dem Jemand den Koffer ab, legt ich auf den Boden und öffnet ihn hoheitsvoll und andächtig.
Packt eine kleine Triangel aus)
Also ich muss jetzt schon um absolute Ruhe bitten! Schließlich brauch ich meine ganze Konzentration
– is ja eine motorische Höchstleistung, die uns da Abend für Abend abverlangt wird!
(Extrem viel Zeit zum „Sammeln“ lassen, hörbar tief einatmen, einen Ton auf der Triangel spielen,
dann die Spannung danach extrem lang aufrechterhalten. Dann erleichtert verbeugen und mit einem
Taschentuch (evtl. Stecktuch?) den Schweiß von der Stirn wischen)
Danke (strahlend), vielen Dank.
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Ja! Das Instrument hab ich von meinem Vater geerbt. Das ist über viele Generationen nur an die
besten Söhne weitergegeben worden. Eine lange Tradition hochbegabter Menschen (eine
Rührungsträne zerdrücken), der Papa hat immer g’sagt: „Der Bua is so terrisch, der muss
Schlagzeuger werden!“
Und sowieso und überhaupt – die Schlaginstrumente sind die Königinnen der tongebenden
Gerätschaften! Ohne uns geht einfach gar nix. Die Rhythmusgruppe!
Wir sind gewissermaßen Gerüst und Veredelung zugleich.
Stellen Sie sich einmal so a Orchester ohne Schlagzeug vor!
Das wär‘ net zum Anhören!
(Inspizientenruf: „Generalprobe für die Barockwochen beginnt!“)
(Holt Luft und will etwas sagen, stattdessen ertönt immer lauter werdend Vivaldis Gloria.
Erst erstaunt, dann ergriffen zuhören, nach etwa 30 Sekunden fade out.
Nach dem Verklingen langsam die Triangel auf Augenhöhe heben und währenddessen mit
größtmöglicher Verachtung angewidert anschauen)
(Weinerlich)
Dieses Scheißding geben’s mir dauernd in die Hand … das keiner braucht.
Wissen’s was? Eigentlich sollt ich ja wenigstens mit der Kleinen Trommel dasitzen, wenn nicht gar mit
den Pauken! Wenn’s nach Dienstjahren geht.
Ja! Wenn net dieser Junghupfer vor mir befördert worden wär‘! Der Grünschnabel, der! A Katastrophe,
sag ich Ihnen!
Ich hab ma gleich bei seinem ersten Dienst gedacht, dass der kein Glück bringt.
Wie der dahergekommen ist mit seine Haar‘ und seiner depperten Dsching-Bumm-Musi!
Und dass sich alle immer freuen, wenn er in der Garderobe vorbeischaut! Mei Dirndl wollt‘ sogar
schon in der Garderobe arbeiten wegen dem Trottel – gut dass mei Frau das verhindert hat, indem sie
sich selber für die doppelte Zeit einteilt hat!
In ana (mit möglichst viel Verachtung) „Band“ spielt er nebenbei und alles jubelt und hupft. Wenn’s
dann singen über Luftverschmutzung … „Smog on the water“ und die Mädels kreischen auch noch
wegen dem Blödsinn!
(Hasserfüllt Richtung Publikum)
Und Sie? Glauben Sie eigentlich, dass Sie das Werk, das ich da grad voher vortragen hab, in seiner
ganzen Tragweite und Tiefe verstanden haben?
Dass Sie überhaupt in der Lage sind, meine Interpretation zu erfassen?
Naaaaaa! In Wahrheit wollen’s alle nur Tusch-Klesch ohne Tiefgang und ohne Nachdenken!
Und wisst’s was?! (Völlig ruhig) Es is ma wurscht! Es is ma kom-plett wurscht!!
Wenn’s unbedingt a depperte Dsching-Bumm-Musi haben wollts, dann sollts auch a depperte
Dsching-Bumm-Musi kriegen!
(Auf der Triangel „Smoke on the water“ spielen und dabei gleichzeitig rückwärts von der Bühne gehen)
(Inspizientenruf: „Triangelsubstitut bitte dringend in den Orchestergraben, Triangelsubstitut bitte!“)
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Ohne Strom
von Marlene Bauer
Bei Langeweile seh’ ich fern,
ach was tät ich das jetzt gern …
Hungrig wollt ich mir was kochen,
leider wurd’ ich dabei unterbrochen …
Und meine Hausaufgaben wollt’ ich machen,
sie brachten mich auch nicht grad zum Lachen …
Im Internet wollt ich dafür was suchen,
das gab mir guten Grund zu fluchen …
Mein Handy tat nicht mehr vibrieren
Und am schlimmsten war, ich musste frieren …
Nach all dem hab ich festgestellt,
der Strom wurde uns abgestellt.
Bereitet euch vor auf die letzte Strophe;
Wir sind stromlos – was für eine Katastrophe!
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Die Ballade der Frau, die im Baum stecken blieb
von Laura Bürger
(1880).
Wenn wir uns umsehen?
Ein Garten, blühend, wunderbar.
Im Garten, blühend, steht ein Baum, mittelhoch.
Und hinter dem Baum?
Ein Haus.
Der Garten vor dem Haus und hinter der Straße,
die ihn vom anderen Garten trennt.
Und was hat es mit diesem Garten
auf sich?
Nun, hinter diesem steht erneut ein Haus.
Zwei blühend Gärten, wunderschön.
Die Häuser gegenüber.
Die Straße trennt’s.
Die Sonne scheint.
Der Baum ist grad im Blühen.
--Endlich, sieht er, was er sah noch nie:
Hat das Weib ihr trautes Heim verlassen!
Hin zum Baume drüben strebte sie –
hat den Kopf drin stecken lassen
Sie ist fort, der Weg ist sein,
endlich handeln, endlich rein.
Leises Zögern lässt ihn warten,
doch er sieht den blühend’ Garten.
Hechtet aus dem sein’gen Raum
durch den Hof, vorbei beim Baum,
weiter dann, mit schnellen Tritten
ist er vor die Tür geschritten.
Herz, es pocht ihm bis zum Halse schon –
das hier seiner Arbeit Lohn?
Ihn nun hier umgibt nur Stille Nichts, nur schwarzer Wille.
Er ergreift nun dann den Knauf
Dieser Tür, wo steht ihr Name drauf.
Die geht auf, in seine Hand
Fällt ein Schläger von `nem Stand.
--Die Frau im Baum?
Ist im Dunklen.
Die Frau im Baum ist im Dunklen.
Allein.
Die Frau im Baum ist verwirrt
und es ist dunkel.
Die Frau im Baum ist allein
und es ist dunkel.
Die Frau im Baum ist umgeben
von ihrer Verwirrtheit.
Die Frau im Baum ist oft allein.
Nicht nur im Baum.
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Und der Mann?
Bricht durch die Tür.
--RAAAAMMMS, ein Schlag; mit sieben Schlägen
kommt er, wieder fort ein Leben,
bleibt das Blut an seiner Wange kleben.
Orden glänzt, die Sonne scheint,
in der Ferne leises Beben.
Aufmarschier`n sie und steh`n grad`.
S`wäre um den Lohn zu schad;
Rauch, er stinkt und steigt hinauf,
er poliert den silbernen Knauf.
Leben heult zu seinen Füßen,
schweigt doch schreit, das werden sie noch büßen!
Hände, halten diesen Stock;
rückt dann weiter, bleibt im Block.
--Zitternd fällt der Schläger nieder,
raus aus seiner greifend Hand;
fühlt, als ob er sich beim Griffe
An der ganzen Hand verbrannt.
Welche Dinge waren mit dem Teil geschehen,
Dass er solch Gefühl erfuhr?
Stolpernd durch die Krempelhaufen –
niemals könnt er hier drin laufen;
Auf dem nächsten Kasten oben
Fällt ihm dann doch was ins Aug`,
Zettel! – doch sie sind beschrieben
Voll mit wunderlich Belieben ...
Einer birgt denn was er suche?
Rätsel, das er täglich schon verfluche!
Frau im Fenster, die er sah,
ihm ist ihr Verhalten niemals klar.
Ist es denn ein Hinweis hier
oder doch nur Kritzelei?
Erst erscheint es nicht von Wert
Dann – erkennt er SICH mit seltsamst` Schwert!
Er zerknüllt den Zettel, halb im Schock –
--Zerknittert – ist der Fraues Rock
Vergessen ist der Wunsch zu suchen
Den Mann, den sie durchs Fenster sah;
Auf engem Raum und der so leer –
Spürt trotzdem keinen Trieb, nicht mehr.
Einst rannte sie um ihn zu suchen;
hinaus in Welt, ins Leben rein.
Sie steckt nun, hilft kein Fluchen
und niemand wird sie hier drin suchen –
14
Erkenntnis strömt nun in die Seele:
Es ist ein Loch, gesperrt die Flucht.
Beginnt die Enge in der Kehle.
Gesperrt die Sicht - vorbei die Sucht?
Ihr Leben lang die Dinge sehen,
behalten nach dem schnellen Fund;
Durch Sachen waten, Chaos gehen
Sie ist gebremst nun, ist auf ihrem Grund.
Gedanken stürmen endlich frei;
sie wollen raus, sie spricht und sucht
Die Hand ertascht `ne kleine Frucht,
noch kleiner als so manches Ei.
--Das Blatt auf das der Mann nun blickt?
Das Blatt auf das der Mann nun blickt –
es ist beschrieben, es ist
Bekritzelt.
Das Blatt, auf das der Mann nun blickt ist bekritzelt
und es ist
Dunkel.
Es ist
dunkel und es spricht von
Leiden.
Schwarz.
Rot.
In der Mitte des Blattes:
Ein jemand mit einem Ding in der Hand, sei es Schwert oder Schläger.
Das Blatt auf das der Mann nun blickt –
Es ist beschrieben, bekritzelt, es ist dunkel und
Leiden und
Das Blatt auf das der Mann nun blickt,
es birgt sein Angesicht.
--Und die Frau im Baum?
Nun, da du es erwähnst,
die Frau im Baum, die ist bereits in ein ernstes Gespräch vertieft mit der
Eichel.
Die Eichel?
Die sie im Baum fand.
--„Die Frage ist, nun weißt du schon,
welch Tag heut ist? Nein, dies nicht, nicht die Zeit –
die Antwort birgt sich aus der Frage,
welch du erst richtig stell bereit.
Die Lösung ist dann erst die Richtung,
gestellt vernünftig und mit Griff
erfasst du glücklich dann das Rätsel.
Nun denk und frage mit dem nöt`gen Pfiff!
Ach denken willst du nicht?
Du faule dumme Nichtsnutznuss!
In Aussicht auf mein längres Bleiben:
Ich werde dir sonst bringen nur Verdruss!
15
Nun sag mir bitte, werte Nuss, ich bin dir ganz erlegen:
Wie konnt` ich nur in diese Lage mich begeben?
War doch noch schön bei dem Kakao;
Doch was dann war – weiß nicht genau ...
So ließ ich meine Tasse fallen?
Sag, hörtest du sie dort am Boden knallen?
--Wasser rollt in großen Fluten
hinterm Haus, ein Strudelturm,
immer weiter, sogar Autos bluten,
denn die Welle ist ein Wurm,
der sich rasend weitergräbt,
alles in sich weiterträgt,
Boden kann man nur erahnen,
diesen Untergang nicht planen.
Wenn die Flut dann weiterzieht
Und das Land im Nassen liegt
gibt es niemand mehr der wirklich flieht.
Niemand der sein Leben wieder kriegt.
--Der Mann kann den Becher nicht mehr halten.
--Furchtbar scheppert`s und es fällt
eine Tasse aus der Hand.
Scherben rollen und es schellt,
Teile um ihn, fast wie Sand.
Konnte er`s nicht kürzlich fühlen?
Wie ein Sturm durchrast es ihn!
Dies Gefühl des Nassen, Kühlen
Ist schon fort, war gleich am flieh`n.
Gründlich denkt er und er fragt sich:
Woher kommt dies Fühlen, ist gar wunderlich,
dass ein noch so kleiner milchig Fleck
solch Empfinden in ihm weckt?
Doch ihm kommt ein leis Gedanke:
Was, wenn nicht nur er hier in Gefühlen schwanke?
„Hat denn gar zuvor die Frau
selbiges gespürt wie ich,
wenn ich in den Becher schau?“
--Die Frau diskutiert mit der Eichel.
--„Nun sag schon, ist`s dir nicht von Wert,
Dass mir ist diese Lage hier erklärt?“ –
„Ach Frau du weißt doch auch sehr wohl:
Ich Eichel bin nicht weiser als so mancher Kohl.“ –
16
„So wie nun, bitteschön, erwartest du denn nun von mir,
dass ich auf einen grünen Zweig soll kommen hier?“--„Umgeben von dem Blätterzeug hängst du –
da findest du ihn sicherlich im Nu!“--„So hilfst du mir nun echt nicht weiter,
du bleibst ein kleiner Wegabstreiter!
So lässt du mich im Dunklen irren
und mich mich selbst nur immer mehr verwirren.
Ich denke doch, ich weiß doch nur,
dass ich wirr spiele, nie in Dur.
Das Spielen hab ich aufgegeben,
das Malen, ja das ist geblieben!“--„So sag, was maltest du denn einst,
dass du so fröhlich über es berichten scheinst?“--„Nun gut, so lasse mich entsinnen...
Es war nur immer was mit reichlich Kritzelei darinnen.
So schau, es war da immer was, das vorher war –
das was ich mal, war immer schon von Anfang klar –
Doch halt, nun da man es laut sagt –
so war es immer doch schon vorher in mir drin
und es ergab noch nicht mal Sinn!
Verstehst, wie ein Gedank’, der dir dann gar nicht mehr behagt.“ --„So sag in welchem Traum du warst
ein jedes Mal, wenn du vorm Zettel dort verharrst,
als dann das Bildnis deiner Vision
begann mit Wirklichkeit zu bilden ne Union?
Sich schleichend in dir fester fraß?“ –
„So dass ich seinen Ursprung dann vergaß?“
---Die Eichel und die Frau?
Sie schweigen jetzt.
Die Eichel hat, durch ihr provozierendes Fragen,
die Frau auf einen Gedanken gebracht.
Die Frau hat, weil die Eichel so ist, wie die Eichel nun mal ist,
weil die Eichel alle Fragen stellen kann,
weil die Eichel eine unerschrockene Eichel ist,
– die Frau hat nun eine wichtige Frage gedacht.
Der Mann?
Der legt den Becher nieder.
Der Mann, der legt den Becher nieder –
und macht sich weiter auf die Suche.
Er macht sich weiter auf die Suche, auch er hat einen Hinweis erschnüffelt.
Die Frage?
Welche Frage?
Nun, die Frage, die die Frau sich stellt.
Die Frage, die die Frau nun stellt,
sie behandelt ihre Kritzeleien.
Hat sie sie wohl selbst erkritzelt –
Oder folgte sie einer inneren Inspiration?
Wie gelangte diese dann in sie hinein, folgte sie gar einer Vision?
---
17
Hastig legt er dann die Tasse
aus den Händen wieder hin.
Würd` er finden das, was passe?
Was mit dem Empfinden drin?
Er durchstreift den vollen Saal,
Augen über Stoff und Stahl.
Wüsste er nur was er suche
auf dem Tisch, gar hinterm Tuche?
Kopfe seiner viel zu voll,
weiß nicht, was er machen soll.
Endlich streift dann sein wirr’ Blickfeld
was er kennt und was gefällt.
Oben auf dem Stapel hoch, gleicht dann der Erleuchtung liegt gleich wieder eine Zeichnung!
Gierig stürzt er sich darauf.
Dass er falsch liegt nimmt er damit gleich in Kauf;
Doch er zittert als er sieht
was sein Auge doch erhofft:
Welle, die durchs Blatt schier zieht –
Mann, von dem das Wasser tropft?!
Ja, der Mann gleicht seinen Zügen,
Sieht so aus, ganz gleich dem erstgefundnen Bild.
So, als wolle er mit seiner Wichtigkeit das ganze Bild belügen –
Da im Leiden grad zu steh`n – ja, es scheint so, ziemlich wild –
Wie? Warum hat aber dann die Frau,
falls sie dies auch wohl gezeichnet hat,
Dies gemalt und dann noch ihn genau?
Hat sie denn nicht längst schon alle Menschen satt?
Und der Mann, er lässt das Blatt,
das er grad entwendet hat
auf den Tische wieder fallen.
Doch er sieht dabei wohl nicht,
dass sich auf des Blattes Hinterseite – gerade nicht in Sicht –
Flecken zwei, kakaobraun und schnell trocken werdend hier im Licht
Heimlich und doch sicher wallen.
--Und so?
Und so bemerkt der Mann dies nicht.
Und so bemerkt der Mann dies nicht,
das ihm Aufschluss geben könnte über diese Rätselei.
Der Mann bemerkt die Flecken nicht.
Der Mann bemerkt die Flecken nicht,
doch sie riechen nach Kakao.
Im Baum?
Im Baum herrscht –
Dunkelheit und Leere.
Allein mit der Eichel.
Doch diese schweigt.
Dunkelheit und Leere.
Keine Dinge, die sie schützen.
Allein mit der Eichel.
Doch diese schweigt.
Die Eichel schweigt,
18
der Fraues Dinge sind nicht da, sie ist
leer, ist willenslos.
Sie beginnt zu träumen.
--So hab ich in diesem Leben
an nicht sehr viele Orte mich begeben.
So alle, das sind nur die drei:
Mein Haus, das Heim – das hinter mir ist auch dabei.
Mein Tag scheint immer wieder doch der gleiche;
Ich bin im Chaos und allein.
Doch fühle ich noch keine Einsamkeit, wenn ich durch meine Dinge schleiche.
Und ohne sie kann ich nicht wirklich sein.
So siehst du, sie verstehen mich,
Wenn meine Welt in Trümmern liegt;
Sie liegen da, sie flüstern zärtlich,
Wenn einer ihrer einen neuen Platz von mir dann kriegt.
So war es jüngst mit dem schön’ Topfe,
Der immer klagt zwecks dem zerdellten Kopfe;
Ich nahm ihn sacht und stellte ihn
Dort zu dem Schläger aufs Regal dann hin.
Doch wenn ich an den Schläger denk –
es ist ganz fürchterlich mit ihm!
So weiß ich sonst wem ich mein Heim und Pflege schenk,
Woher er kam hab ich jedoch vertrieb’n.
(...) (überlegt)
Und als ich ihn zuletzt berührte
... das stark’ Gefühl, das ich dann spürte –
und dann, war dann wohl nichts?
Ich halt das Bild, doch dann zerbricht`s!
Und, ja! Ist meine Tasse nicht zerbrochen,
als ich dann wieder zu mir kam?
Ich kam zu mir? Wonach hat`s da gerochen?
Nach Wasser und mir war so warm!
So, was ist dann zuvor passiert,
Dass ich hier nun fast gar nichts weiß?
Hatt` doch das Ding schön anvisiert
Und kann doch nichts mehr drüber sagen - bei all mei’m Fleiß
--Schöner Tag, die Sicht ist gut.
Fliegen tief, mit viel mehr Mut.
Ja, die Bäume steh` n schon ziemlich eng beisammen,
Aber die zu finden geht auch noch mit kalten Fingern, klammen.
Ist die Schule anvisiert
Und das Schussfeld maximiert –
Heute soll dort großes Treffen ihrer sein –
Der Triumph wird echt nicht klein.
Nach dem Schuss da landen sie
Sicher fort, im Wald weit weg.
Haben dort ein Dorf geseh` n im Dreck.
Ihnen scheint es neu, gesehen war`s noch nie.
19
Vor der kleinen Spaßattacke dann
Wieder eine rund’ Tablette dran!
Geh`n euphorisch, haben gut geschossen,
Diese Sicht auf die Belohnung sehr genossen.
Dann im Dorf beginnt`s sogleich.
Blut am Körper macht sie reich.
Jeder, zählt nicht wer und wo „Sterben müsst ihr sowieso!“
--Angelangt ist er beim selben Tische,
wo zuvor die Tasse lag.
Fahne, die hat schon den Dreck als dick’ Belag,
in der Hand erblüht sie nicht von Frische;
Das Gefühl ist ihm nun schon bekannt:
Leichter Schauer nur wenn er daran nun denkt.
Dieses Ding nun auf den Tische nieder senkt
Und sich fühlt als wäre er gerannt;
Durch die wieder wachsend Gier
blickt er sich nach Zetteln um.
Schließlich find’t er dann - verkehrt herum! Bild von vorher – die Tasse war hier!
Starrt nun endlich auf die Flecken,
kann es langsam nun begreifen:
Musste doch der Becher diesen Traum dann wecken!
Ohn’ dem Antrieb dessen – konnte das Bild nie reifen!
Diese Dinge müssen demnach
etwas bei ihr ausgelöst ...
Was, wodurch sie nur halb wach;
Das, was sie in Träume stößt.
Doch was soll dies mit dem Mann,
Der so sehr ihm ähnlich schaut?
Muss nun fragen sie, sofern er kann:
Fragt, warum sie ihn in ihre Bilder baut!
--Und da! Sie sah nun auch die Flieger,
das Dorf und diese selbsternannten Krieger –
sie denkt auch ihrer Fahne klein –
zusammen passen diese zwei – nur wie, wie kann das sein?
„So sprach nicht einst zuvor die Eichel
von `ner Vision, die mich dies zeichnen ließ?
Nicht, dass ich mich ihr einschmeich`l,
doch jetzt scheint`s wahr, was jene jüngst verhieß!
Nicht nur die Fahne, auch die Tasse,
sowohl der Schläger, dessen Herkunft ich nicht mehr erfasse –
All jene, die ich nicht so kenne:
Es muss ein Traum sein, den ich ihretwegen oft durchrenne!
Entsinn mich dunkel der Vision ...
Raketen fliegen, Bombe platzt –
Und hab ich doch der Tasse schon
den ganzen Inhalt ausgepatzt –
20
Das Wasser! --- Ich weiß es nun wieder –
Es spritzte und wallte, alle Glieder,
ich spürte Kraft, die alles mit sog,
ich sah nur Leben, das alle betrog –
Zuvor – der Schläger! Spür es schon,
er hielt ihn fest und er schlug fest zu.
Er sprach von Abschaum und von Lohn,
am Boden fanden jene keine Ruh!“
So ist`s, so ist`s! Sie kann es kaum erfassen,
dass dies das ist, was sie erfuhr!
Sie will den Kopf nicht länger drinnen lassen.
Sie weiß, was los ist, will die Kur.
Sie will die Dinge wieder sehen.
Sie will sich ändern, nun ein Leben,
in dem sie mehr kann, als im Raum sich drehen
und hilflos durch die Welten schweben –
--Doch?
Doch die Frau steckt.
Die Frau, sie steckt im Baume drin.
Die Frau, die steckt im Baume drin –
Doch sie hat ihren Willen zurück.
Die Frau, sie steckt im Baume drin
aber sie will ans Tageslicht.
Aber?
Aber der Mann ist auf seinem Weg.
Der Mann, er will die Antwort.
Der Mann ist auf seinem Weg,
und sein Ziel ist der Baum.
--Schon ist er auf ihren Stufen,
schneller muss er immer sein,
möchte schon nach ihr dann rufen,
doch ihm fällt die Lage ein.
Wie kann er nur von dem Weib,
das verrückt ist und gleich flennt,
Das im Baum steckt mit dem Leib,
Das erfahren, was ihm auf der Seele brennt?
Bleibt kurz vor der Türe stehen.
Blickt zum Baum und überlegt.
Doch beschließt dann hinzugehen,
hin zu ihr, die Antwort in sich trägt.
Steht und kann nicht länger warten.
Packt die Frau bei ihrem Rock
und er zieht - gleich einem Stock Ruck! die Frau in ihren blühend `Garten.
--Die Frau, die ist verwirrt
und schaut, und falls sie jetzt nicht irrt
hat sich ein Mann hierher verirrt
und spricht und alles in ihr sirrt –
21
Ein Blitz durchzuckt das arme Weib –
sie weiß woher sie ihn erkannt!!
Er packt’ sie einst am kleinen Leib
und bracht’ sie fort, als Hause ihrer brannt`;
Sie sieht es nun so ganz genau:
Wie er sie aus den Trümmern holt,
er steckte sie in dieses Heim, noch ganz verkohlt,
aus jenem lief sie fort ... Ihr Magen wird ganz flau.
Sie fand dann doch dies Haus hier nun,
in dem sie wohnt, jetzt Jahre schon.
Sie zittert, Dinge sind ihr einzig Tun,
hinaus getraut noch nie bis jetzt – das hat sie jetzt davon –
--Die Frau?
Die Frau, die sieht in diesem Mann –
Die Frau, die sieht in diesem Mann, den Mann der sie einst hinfort trug.
Hinfort trug aus dem verbranntem Zuhause, in das Heim, das so schrecklich war.
Die Frau sieht ihn und was er tat- und sie flüchtete, vor Jahren schon, aus dem Heim
in dieses Haus.
In das Haus hinter ihr.
Doch traute sie sich nie hinaus.
Bis jetzt.
Und jetzt?
(Der Mann ist sich dessen natürlich nicht bewusst.)
(Der Mann ist auf der Suche nach der Antwort.)
--Blickt ihr ins Gesicht –
Scheint verwirrt, und noch geblendet –
Er verübelt`s ihr mal nicht.
Hat sie grad erst wieder jenem Baum entwendet.
– „Sprech` jetzt gleich vom Bild zu dir:
Mittens dieser Mann, er gleicht doch mir?
Dachtest du da wohl an mich
Oder bin ich jetzt zu lächerlich?
Gut, du scheinst zu dem jetzt nichts zu sagen.
Möcht ich dich was andres fragen:
Zeichnest du denn auch
einem Traume nach, nicht nur heraus vom Bauch?
Wohl zu überlegen diese Sache – scheinst mir aber sehr verwirrt.
Psychisch hast du dich im Kopfe ziemlich stark verirrt.
Erzähl mir schnell, zeig nur mal deine Karten:
Will es wissen, kann nicht warten!“
--Der Mann sieht schon ihr angespanntes bleich’ Gesicht.
Sie merkt, er braucht die Antwort dringend;
Zum Traume nickt sie rasch zustimmend –
Die Frag bezüglich seiner Rolle weiß sie aber grad noch nicht.
Doch noch bevor sie sich entschlossen,
da nimmt der Mann die langen Beine –
und er ist weiter, um die Ecke längst geschossen;
hat trotzdem immer Angst vor ihr, ist noch verrückter als sie scheine?
22
Die Frau, die rennt ihm nicht mehr nach.
Sie setzt sich langsam in das Gras.
Sie ruht jetzt mal, was kommt ist noch danach.
Sie weiß nicht mehr, wann sie zuletzt im Sonn’ gen saß.
--Der Mann, der rennt und schreibt ein Buch.
Er schreibt ein Buch und noch viele andre.
Er wird berühmt, klärt Folgen vieler Traumata.
Und was dann mit der Frau geschah?
Nun fragt mich nicht, ich weiß es nicht.
Sie ist verrückt – allein sein ist, wonach sie schreit?
Sie weiß doch nie - was ist die Wirklichkeit?
--(...)
(2008)
19.30 Uhr, es ist Einlass.
Die Besucher vor den Türen warten schon.
Alle drängen es zu sehen, alle wollen in die Galerie.
Es ist, so heißt es, eine Katastrophenausstellung.
Hinein – Augen streifen den Mann, der auf der Straße Juden erschlägt.
Sie sehen die Tsunamiwelle, die ganze Städte mit sich fegt.
Die Besucher erblicken ein Bild aus dem Dorf, das vollgedröhnte Soldaten in ein tödliches
Schlachtfeld verwandeln.
--Der Fotograf reibt sich die Hände.
Er ist nervös.
Die Masse steht stumm.
Sie sehen ihn an.
Und das, so spricht er, all die Grausamkeit –
ist unsere traurige Wirklichkeit.
23
Der Safe
von Leo Migonneau
Es war Montag. Montage sind Kacke. Ich hasse Montage. Jeder hasst den Montag. Am Montag haben
wir bis sechs Uhr Schule. Meistens gibt’s dann noch Hausübung oder einen anstehenden Test, für
den man lernen soll. Am Montag haben wir keine Hauptfächer. Die Hausübung übers Wochenende ist
also immer bis Dienstag, da haben wir Englisch, Mathe, Deutsch und Spanisch und Religion und
Musik. Wir machen die Hausübung nie am Wochenende, sondern immer spätabends am Montag. Wir
schlafen spät ein und verschlafen den Schulbeginn.
Diesmal war es anders. Wir hatten keine Hausübung und Tests gab es zurzeit auch keine.
Nach Sport blieben wir noch in der Schule. Wir hatten ja keinen Stress, schnell nach Hause zu kommen, dort hatten wir ja nichts mehr zu tun. Wir waren körperlich erschöpft, aber noch etwas hyper vom
intensiven Fußballspiel.
Drago war der Kapitän. Ich war in seiner Mannschaft. Er schoss acht Tore, ich nur drei. Er ist unschlagbar. Die anderen nennen ihn „The Biest“. Er ist riesig und ein echter Muskelprotz. Drago ist
Kroate. Die, die ihn nicht kennen, haben Angst. Er schaut ja auch gefährlich aus. Ich kenne ihn gut, er
ist – wie ich und wenig andere – seit dem ersten Jahr da. Er ist ein guter Freund, vor ihm muss man
sich nicht fürchten. Seine breiten Schultern hat er vom Wasserball, er spielt seitdem er sieben ist.
Jetzt ist er ein Profi. Er ist vor zwei Wochen gerade erst fünfzehn geworden und spielt mit
Erwachsenen in einer Mannschaft. Ich bewundere ihn. Ich habe Drago noch nie wütend oder traurig
gesehen. Er ist immer gut drauf. Mit ihm haben wir schon viel lustigen Scheiß gebaut, Jakob, er und
ich. In der 2. Klasse auf der Projektwoche in Obertauern und beim England Trip letztes Jahr. Das war
geil.
Jakob hat es nicht geschafft. Er ist durchgefallen. Er ist jetzt mit Jeroen in der 4M. Die Leute der 4M
sind gewöhnungsbedürftig, vor allem Edrin. Ich war mit ihm und Drago in der Nachmittagsbetreuung.
Wir waren jeden Tag dort bis um 5 am Nachmittag, von der ersten bis zur dritten Klasse. Das waren
Zeiten. Ich habe das Gefühl, als wäre das vorgestern gewesen. Ich kann mich aber an die Erste nicht
erinnern. Das ist irgendwie zu lang her. Viereinhalb Jahre. Da war ich elf. Im Mai werde ich sechzehn.
Ich bin etwas älter als meine Freunde, ich bin erst nach Japan in die Vorschule in Linz gegangen.
Deswegen.
Österreich war eine harte Umstellung. Ich kannte niemanden hier. In Japan war alles anders, zu der
Zeit schien es mir auch besser. In der Volksschule wurde ich schlecht behandelt. Die österreichischen
Kinder hänselten mich, weil ich in Japan gelebt hatte. Das war ihnen zu außergewöhnlich. Ich hatte
schon Freunde, aber sie nutzten mich oft aus. Ich war zu nett. Ich meine, ich bin jetzt auch nett, aber
in dieser Schule respektieren sie mich. Das ist gut, das muss so bleiben, das ist das Wichtigste.
Wir waren unten bei den Spinden. „Bekommst du den auf?“ fragte mich Drago mit einer komisch hohen Stimme. Er war erst jetzt im Stimmbruch. Ich hatte den schon längst. (Mit 13, glaube ich.)
„Ich probier’s“, erwiderte ich. Es war ein Kombilock mit vier Drehscheiben. Das Vorhängeschloss war
massiv und schwer. Ich befühlte den abgewetzten Lack. Es war sicher einmal rot. Ziegelrot, glaube
ich. Ich bin kein Farbexperte. Auf jeden Fall war es alt. Sicher älter als ich.
So wie immer zog ich mit meiner linken Hand am Schloss fest nach unten und drehte an der untersten
Scheibe mit der Rechten. 9, 8, 7, 6, Klack. Die unterste Scheibe war 5. Nächste Scheibe. 1, 2, 3, 4, 5,
6, 7, 8, 9, 0. Gar nichts. Sie war etwas verrostet. Ich beugte mich weiter vor und spuckte gezielt
darauf. „Ma, wäh, du Sau!“, reagierte Domagoj. Ich sagte nichts und drehte weiter. 9, 8, 7, 6, Klack.
Auch 5? Na gut. Nächste Scheibe. 7, 8, 9, 0, 1, 2, 3, 4, Klack. Die Letzte muss dann wohl auch 5 sein.
5 5 5 5? Domagoj sah nicht zu, er schrieb mit seinem Handy auf Whatsapp, so wie immer … 2,3,4 –
es klemmte – 4, 3, 2 ,1, 0, 9 ,8 ,7, „OFFEN!“. „Häh?“ Drago schaute noch auf sein blaues Nokia. Jetzt
sah er her. „Ach so, na endlich.“ „5 5 5 6.“ –„Hast aber lang braucht.“ „Ja, stimmt, länger als sonst. Es
waren ja auch vier Drehscheiben.“
Die Spind-Türe war schwer aufzubekommen. Also machte sie Drago auf. Sie quietschte laut, denn sie
war innen arg verrostet, so wie das Vorhängeschloss. „Was zum Teufel?“ Drago verstummte gleich
wieder. Er ist ziemlich religiös, also eigentlich seine Eltern. Sie haben ihn streng katholisch erzogen.
Ob er selber so religiös ist, weiß keiner, aber er mag es nicht, wenn man vom Teufel spricht. (Diesmal
war er es selber.)
Er zeigte verwundert auf eine Art Safe, im Spind, also in der Wand dahinter. So etwas hatten wir noch
nie gesehen. Die Safetüre war groß, größer als der Spind selbst. Ohne etwas anzukündigen, packte
Drago die Reihe Spinde von der Seite und schob sie beiseite. Jetzt hob er seine Arme und spannte
seine Muskeln an. Dabei grölte er laut und grinste wie ein Kleinkind.
„Ich hab’s kapiert, du bist stark“, sagte ich spottend und innerlich beeindruckt. (Immerhin hat er
Oberarme mit 10 cm Durchmesser) Die Safetüre war offen, kein Vorhängeschloss, gar nichts. Sie war
auf jeden Fall verdammt schwer, Drago musste sie aufmachen. Ich spähte hinein, es stank stark nach
24
Schwefel und Scheiße, ich zuckte gleich zurück. Ich dachte ich muss Kotzen. Das verging aber gleich
wieder.
Nun sah Drago hinein. (Der Gestank schien schon weg gewesen zu sein, denn er zeigt keine Anzeichen von Ekel.) Er stieg langsam hinein. Er schaute etwas unsicher zu mir. Drago, „The Biest“,
hatte Angst. Ich schmunzelte, aber ich hatte auch ein wenig Schiss. Drinnen war es heiß. Der Safe
war zu unserer Verwunderung innen ziemlich geräumig, fast so groß wie Jakobs Schlafzimmer. Der
Boden war weich, aber wir konnten im Dunklen nicht viel erkennen. Ich trat auf etwas. Krack, es zerschellte. Das Teil war aus Plastik und wie sich herausstellte nicht sehr stabil. „SSCHHT!“, machte
Drago ganz aufgeregt, dabei spuckte er mir, ohne es zu wollen, ins Gesicht. „WAS?“, gab ich zurück,
genervt und angeekelt. Vielleicht etwas zu laut. „SSCHHT! Du Penner!“ Er drohte mir mit seiner Faust.
Ich dachte, dass er mich jetzt vermöbeln würde, aber das war anscheinend nicht seine Absicht. Ich
war verwirrt, aber jetzt hörte auch ich etwas. Oder Jemanden? Unsere Schulkollegen waren bereits
weg, ganz sicher …
Da! Da ist jemand im Gang! Wir sahen uns kurz an und versteckten uns hinter der Safetür. Ich hielt
meinen Atem an, mein Herz schlug, Puls 160. Wir hörten ihn reden. „Die Scheiß Kinder! Des deaf do
ned woa sein!“ Es war der Schulwart. Wir erkannten ihn an seiner Stimme. Unverwechselbar. Wir
hassten ihn aus vielen Gründen. Er kam näher und murmelte irgendetwas. Er wusste scheinbar nicht,
dass wir im Safe waren, er redete nur mit sich selbst. Drago schloss die Augen und presste seinen
Kopf fest gegen die Wand. Ich tat dasselbe und machte mich ganz klein. Wir hörten ein Geklimpere.
Der Schulwart, er trug immer ein rotes T-Shirt und eine gleichfarbige Kappe (um seine Glatze zu
verstecken), tat irgendwas. Wenn er uns entdeckt, bringt er uns um, dachte ich. Wir hatten mächtig
Schiss. Die Tür ging zu. Wir hörten ihn draußen noch leise labern. Er fummelte. Sein Schlüsselbund!
Er will uns einsperren! Das wäre unsere letzte Chance gewesen. Aus dem Safe springen und weglaufen. Guter Plan. Der Schulwart rennt niemals so schnell wie wir. Drago denkt sicher das Selbe. Ja,
schnell weg hier.
Nein. Nein, wir blieben einfach da, regungslos und starr. Das war sie, unsere letzte Chance!
Klack, die Türe war jetzt zu. Es war stockdunkel. Der Glatzkopf rasselte mit seinen Schlüsseln und
brachte, so wie es sich anhörte, ein schweres Schloss an der Safetüre an. Es dauerte bis er dieses
mit dem passenden Schlüssel zubekam. Wir hörten noch, wie er die Reihe Spinde vor den Safe schob
und den Gang verließ … Der Pfosten!
Ich atmete wieder normal, mein Herz beruhigte sich. „Mach amal Licht.“ Drago holte sein Nokia
heraus. Jetzt konnten wir was sehen. Der Safe war um die zwei Meter lang und breit, aber sah durch
den ganzen Kram kleiner aus. Drago leuchtete auf den Müll. Hauptsächlich Plastikflaschen und
Broschüren. Die, die vor der Schule verteilt werden.
Ok. Was jetzt? Ich trat zur Tür und packte sie mit den Händen auf beiden Seiten. Ich versuchte, fest
anzuziehen, glitt aber immer wieder am kalten Stahl ab. Die Lage war hoffnungslos, und wir wussten
es.
Drago lag gekrümmt im Müll, sein blaues Teil leuchtete neben ihm. „Ruf‘n Jakob an“, schlug ich vor.
„Kein Netz“, gab er zurück. Seine Stimme war kalt und klang verzweifelt. Verzweifelt? Pfft, Nein. Doch
nicht Drago! Er schluchzte leise. Häh? Was? Drago, „The Biest“, der Muskelprotz, der Furchtlose
weint? Also ich fühlte mich gut! Ich hätte schwören können, dass Drago nie weint oder verzweifelt ist.
Ich fühlte mich stark und überlegen und war enttäuscht, dass er so leicht aufgab. Er kauerte sich
weiter zusammen. Ich wollte schon spotten, wie er immer über mich, aber jetzt tat er mir leid. Er
wandte sich von mir ab, damit ich sein verweintes Gesicht nicht sehen konnte. Ich kam näher „Ist
schon okay, wir finden sicher einen Weg …“ Er drehte sich blitzschnell um und seine Faust war jetzt in
meinem Magen. „Du bist schuld, du Penner! Wegen dir werden wir hier abkratzen!“ Ich lag am Boden
und fühlte mich zweigeteilt, wie ein Boxer nach dem K.O.-Schlag. Ich spürte nichts außer meinem
kaputten, spastischen Bauch. „Womit hab ich das verdient?“, plärrte ich, mit dem bisschen Luft in
meinen Lungen. Ich konnte kaum atmen. Ich weinte aus Verwirrung und Schmerz. Es vergingen
dutzende Minuten, und es fiel kein Wort. Drago entschuldigte sich dann doch endlich und ich meinte,
es sei schon in Ordnung, aber es war gar nicht in Ordnung! Wir versöhnten uns wieder. Eigentlich war
das alles seine Schuld, aber ich traute mich nicht, davon zu reden. Stattdessen erzählten wir uns von
den guten alten Zeiten in der Zweiten, und vom England Trip im letzten Jahr, genauso wie von Jakob,
der in der Dritten nach der Schule aus dem Klassenfenster im dritten Stock schiffte und vom Schulwart
dabei erwischt wurde. Jakob war klein, dafür aber sehr viel mutiger als wir. In der Musikstunde, als der
Lehrer weg war, schrie er „Du Homo“ aus dem Fenster im ersten Stock. Dabei sah er nicht, dass der
Direktor draußen stand. Als der zu uns in die Klasse kam, entschuldigte Jakob sich nicht, er schwor
jedoch, dass er mit „Homo“ Homosapiens meinte. In dem Jahr bekam er nur knapp ein Genügend im
Verhalten. Ja, das waren schöne Zeiten.
25
Ich war müde und hungrig. Drago auch, glaube ich. Sein Handy zeigte 22:10 an. Ich hatte Angst, in
diesem kleinen Raum in der Nacht zu ersticken, aber wir hatten keine bessere Alternative, als zu
schlafen.
Diese Nacht träumte ich viel Scheiße, das weiß ich noch. Die Nacht war kurz. Drago weckte mich, wir
hatten keine Ahnung wie spät es war, sein Nokia ging nicht an. Vielleicht war es jetzt 7 in der Früh.
Nein unmöglich, ich war noch komplett K.O. Es war wahrscheinlich 4, so schätzte ich. Ich legte mich
wieder hin und döste ein wenig, bis ich Dragos stinkenden Schaß roch.
„Geh, Drago, wieso? Du Schweindal!“ Ziemlich würzig, dachte ich mir. „Jaja, genau. Der, der’s sagt, is
es selber!“ Jetzt roch es noch stärker, fast schon gut. „Was ist das?“, ich schnupperte im Safe herum.
„Eindeutig Cevapcici.“ Von wo kam also dieser Geruch? Ich streckte mich und tastete mich die Wände
entlang. Da war was! „Da oben ist ein Loch, von da kommt der Geruch.“ Wir waren aufgeregt. Ist das
der Ausweg? Drago hob mich zum Loch hoch. Es war ein Schacht, ein sehr enger. Drago wollte auch
hinein, passte wegen seiner breiten Schultern und seiner sperrigen Muskeln nicht durch. Ich musste
hier also alleine durch und ihn dann von draußen befreien. Ich schlängelte mich durch den kalten
Cevapcici Schacht bis ich auf eine Kreuzung stieß. Links oder rechts? Links roch es mehr nach
Essen. Rechts war zu riskant. Bald roch es immer stärker. Da, da vorne war Licht, ich hörte zwei
Frauen reden. Es war der Lüftungsschacht der Schulkantine. Gleich unter mir war ein riesiger Kochtopf, drinnen waren keine Cevapcici, es war eher gulaschartig. Daneben war ein Korb mit Semmeln.
Ich kletterte vorsichtig aus dem Schacht und stopfte mir eine in Gulasch eingetunkte Semmel in
meinen trockenen Mund. Ich nahm auch eine Semmel für Drago mit. Moment! Da! Nicht schon wieder!
Der Schulwart! „Na, Hermann! Du muasst die Kabeln anfoch hintn eini steckn. Dann gengans eh!“ Die
Tür ging auf. Ich krabbelte schnell unter die Theke. Hat er mich gesehen? Er kam näher. „Oiso die von
Bose san a ned schlecht, des sog i da.“ Gottseidank! Er redete nicht mit mir, sondern in sein Handy.
Ich war erleichtert. „Waßt wos Hermi, i ruaf später zruck, es schaut so aus als hätten ma wieda
Ratten!“ Jetzt stand er vor der Theke und packte sein Handy weg. „Da! Wos isn mitm Gulasch
passiert? So a Saustall! De Scheiß Ratten!“ Ich hatte vielleicht ein wenig gepatzt. Der Schulwart
stürmte wütend aus der Küche und murmelte irgendwas von Rattengift. Ich wartete kurz, dann schlich
ich mich aus dem Zimmer in den Flur.
Ich war nun unten, niemand hatte mich entdeckt. Ich alleine musste Drago aus dem Safe holen. Wie
soll ich den aufbekommen? Es war kurz nach halb 7. Es dauert noch zu lang bis meine Freunde
kommen, dachte ich. Die Spind-Reihe kann ich nicht alleine beiseite schieben. Mit aller Kraft versuchte ich zu schieben, aber der schwere Block bewegte sich kein bisschen. Jetzt kam mir eine gute Idee.
Schon lange hatte ich keine solche Idee. Sehr riskant, aber doch einfach. Ich stellte meinen Fuß vor
die Reihe und zog mit meinem ganzen Gewicht an der vorderen Kannte. Schließlich kippte der Block
nach vorne. Es krachte kurz sehr laut. Eisen auf Steinboden! Die Safetüre war frei. „WAS??“. Auf
dieser hing ein fuzzi-kleines Schloss. Ich musste fast schreien vor Freude. Aber ich verkniff es mir.
Vielleicht war der Schulwart ja wieder irgendwo. Mit Leichtigkeit bog ich das winzige Schloss kaputt.
Schnell machte ich die Safetüre auf. Aber Drago war nicht drinnen. „Drago???“ Wie aus dem Nichts
sprang er auf mich – er hatte sich im Müll versteckt.
26
Prolog im Café
von Julia Haslauer
Mephisto, Gott, die Kellnerin, Gäste, 3 Erzengel
In einem Kaffeehaus. Mephisto sitzt bei Tisch, er hat einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich, eine
Tasse Kaffe und eine Zeitung bei der Hand. Gott betritt das Café. Im Raum befinden sich einige
Tische, an denen Gäste sitzen und evtl. eine Bar, an der die Kellnerin arbeiten kann, wenn sie keine
Tische bedient.
Gott legt den Mantel und Hut ab.
Gott Guten Abend.
Einige Gäste nicken.
Mephisto erhebt sich von seinem Stuhl und deutet Gott, sich zu ihm zu setzen.
Mephisto
Da du, o Gott, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht ...
Gott Um Himmels Willen, lass es sein! Das war 1808 schon nicht mehr lustig! Und du warst auch
schon mal kreativer ... Er setzt sich zu Mephisto.
Auftritt Kellnerin
Kellnerin Guten Abend. Was darf ich Ihnen bringen?
Mephisto Noch einen doppelten Espresso.
Gott wirft ihm einen bösen Blick zu, Mephisto rollt genervt mit den Augen.
Mephisto ... bitte.
Gott Ich hätte gerne ein Glas Wasser, bitte.
Kellnerin Sehr gerne. Alles?
Mephisto Nein, nicht alles! Nur den Kaffee und Wasser!
Mephisto zu Gott Immer das Gleiche mit diesen Menschen. Sind die eigentlich so schwer von Begriff
oder tun sie nur so?
Kellnerin beleidigt aber gefasst ab.
Gott Naja, nein. Also ja. Zumindest die, mit denen ich zu tun habe ... Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wenig Anerkennung ich für meinen Job bekomme. Ich muss schon die ganze Welt auf den
Kopf stellen, damit die Leute mich überhaupt bemerken. Pass auf!
Gott zur Kellnerin Entschuldigung, bitte! Können Sie mir sagen, wie der Sonnenuntergang heute ausgesehen hat?
Kellnerin Wie immer ... glaube ich.
Gott wieder zu Mephisto Da! Wenn es draußen nicht dunkel wäre, hätte sie nicht einmal mitbekommen, dass die Sonne untergegangen ist. Kein Mensch denkt mehr drüber nach, wie viel Arbeit so ein
Sonnenuntergang überhaupt ist! Die Sonne geht auf und unter, das ist so, war immer schon so und
die meisten leben, als würde das auch ewig so bleiben. Das ist doch normal, alltäglich. Keiner denkt
mehr darüber nach ...
27
Mephisto Mir geht es aber auch nicht besser. Ich arbeite 24/7 und kaum hab ich etwas getan, vergessen es die Leute schon wieder. Schau dir doch die Zeitung an. Heute steht drin, dass „dieses
Atomkraftwerk in Japan“ immer noch leck ist. Und morgen weiß das sowieso keiner mehr. Immer
muss ich mir was Neues einfallen lassen. Ich würd’ die Welt ja zum Teufel wünschen, wenn ich sie
nicht schon hätte! Hungerkatastrophen, Verbrechen, Gewalt, Todschlag, Betrug, ... INNENPOLITIK!
Kannst du dir überhaupt vorstellen, dass …
Kellnerin unterbricht ihn und bringt die Bestellung.
Kellnerin Einen doppelten Espresso.
Mephisto Ja, hier.
Kellnerin Und ein Glas Wass…, ähm … Wein. Entschuldigung! Ich bringe Ihnen sofort das Wasser!
Wendet sich zum Gehen.
Mephisto genervt Nein, warten Sie! Das macht er ständig. Sie können das Glas hier lassen.
Die Kellnerin begutachtet das Glas noch einmal skeptisch, stellt es auf den Tisch und geht ab.
Gott grinsend Du musst mir aber auch jeden Spaß verderben, oder?
Mephisto Das letzte Mal als ich dich gelassen hab, hast du den Kellner sieben Mal Wasser bringen
lassen. Das ist doch Zeitverschwendung!
Gott Als ob wir nicht sowieso alle Zeit der Welt hätten!
Mephisto Du bringst meine Planung ganz durcheinander! Wie soll sie denn bitte pünktlich zu dem
Autounfall kommen den ich in 15 Minuten arrangiert hab, wenn du sie hier einen Halbmarathon laufen
lässt?
Gott Oh, na gut ... In dem Fall ... Entschuldigung? Ich hätte gerne eine Buchstabensuppe.
Kellnerin will gehen
Gott ... mit Karotten, Erbsen.
Kellnerin wendet sich erneut ab.
Gott Und dem Wort RindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzestextVerschlüsselungsmaschiene in allen weltweit gesprochenen Sprachen. Danke! Ach ja, und noch ein
Glas Wasser bitte.
Kellnerin wird bleich und geht ab ins off rufend: Chef?! Könnten Sie mir bitte kurz ...
Mephisto knallt mit dem Kopf gegen die Tischplatte Was machst du denn?
Gott Genau so viel Zeit vergehen lassen, dass ihr Lebensretter und übrigens zukünftiger Ehemann
auch an der Kreuzung sein wird, an der du sie von einem Auto anfahren lässt.
Mephisto Musst du mir immer in die Arbeit pfuschen?
Gott: Genau genommen ... Ja.
Mephisto Ich baue also fein säuberlich eine Katastrophe nach der anderen und du versaust wieder
alles. Toll.
Gott Also eigentlich ... halte ich die Welt im Gleichgewicht, und du bringst ein wenig Würze in die
Sache.
Kellnerin von der Seite Ansichtssache!
Mephisto Aber warum reden wir überhaupt, wenn’s eh keinen Sinn hat ... Mit dir zu reden, hat nie
Sinn! ÜBERHAUPT NICHTS hat Sinn! Igitt! Sinn! Ich fühl mich schon so richtig menschlich! Bääääh!
Wen wundert’s, dass die alle überschnappen?!
28
Kellnerin Das hab ich gehört!
Mephisto Solltest du auch.
Gott Na, wer wird denn gleich so schwarzmalen? Die Sache ist einfach zu leicht für die meisten. Das
ist das eigentliche Problem. So wie 1+1=2. Schau!
Gott zu einem Gast: Können Sie mir sagen, was 1+1 ergibt?
Gast Zwei.
Gott Ja, und warum?
Gast Naja, weil ... weiß nicht ...
Gott zur Kellnerin Weißt du, warum 1+1 zwei ist?
Kellnerin Ist es nicht. 1 Nichts + noch 1 Nichts ist immer noch nichts. Also ist 1+1=0. Und wenn man
Lichtgeschwindigkeit und Lichtgeschwindigkeit addiert ... was hat man dann? Jedenfalls nicht doppelte
Lichtgeschwindigkeit. Und wenn man von ein und derselben Sache zwei Teile zusammentut, also 1+1,
dann hat man im Endeffekt ja eigentlich auch wieder 1. … Oder man ...
Gott unterbricht schmunzelnd Schon gut, danke. Ich gebe zu: Das war ein bisschen unfair.
Gott als wolle er die Kellnerin vorstellen Das ist Molly Olmsted.
Die Kellnerin, die noch immer etwas beleidigt ist, weil Gott sie mitten im Satz unterbrochen hat, nickt
den beiden nur kurz zu.
Gott Sie studiert Physik und Biochemische Analytik und schreibt gerade eine Dissertation unter dem
Titel „Das Dilemma des maxwellschen Dämons – Schrödingers Katze lebt!“. Bewundernswert meine
ich. Aber leben kann man davon natürlich nicht. Verschwendung von Talent. Wenn ich so darüber
nachdenke, hast du da sicher auch deine Finger im Spiel, hab ich Recht?
Mephisto Da kannst du deine Päpste drauf verwetten!
Gott lacht Ach die! Das sind doch nur Groupies. Keine Ahnung, wo die alle herkommen.
Mephisto nickt. Gott und Mephisto greifen nach Keksen; Gott setzt mit vollem Mund fort.
Gott Aber, worauf ich eigentlich hinauswollte; um auf 1+1=2 zurückzukommen: Die Leute verzetteln
sich. Auch, wenn die nicht grade hobbymäßig Quantenphysik betreiben. Oder sie zerbrechen sich
ewig den Kopf.
Gott deutet auf den Gast der nun einen Taschenrechner ausgepackt hat und seit der Unterhaltung
ununterbrochen auf dem Tischtuch herumrechnet.
Mephisto Das ist doch dämlich! Dämlich und sinnlos! Wofür soll das gut sein?!
Er spottet Gott: Es ist zu leicht ... die Leute verzetteln sich ... Wer hat sich denn das wieder einfallen
lassen?
Gott Tja, wenn es nicht meine eigene Idee gewesen wäre, würd ich’s auch noch mal überdenken.
lacht
Mephisto schnaubt beleidigt
Gott Jetzt tu nicht so! Was würdest du denn anders machen? Ich meine; wenn du könntest. Nicht,
dass ich es dir nicht gönnen würde, aber ... Tröste dich, wir können eben nicht alle Gott sein.
Gott hält Mephisto einen Keks vor die Nase.
Gott Keks?
Mephisto schnappt ihm den Keks aus der Hand und beißt ab, als wolle er jemandem den Kopf
abbeißen.
Mephisto Wenn ich bestimmen könnte, hätte wenigstens alles einen Grund.
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Gott Da missverstehen wir uns also. Es hat schon alles einen Grund. Nur eben keinen Sinn.
Mephisto aufgeregt Wofür soll denn das gut sein! Das ist so ziemlich das Dümmste, das ich je gehört
habe. Einfach völlig sinnlos!
Gott: Ja, das sagte ich bereits.
Gott lacht je mehr Mephisto sich aufregt.
Mephisto Gut ... Gut, wie du meinst. Aber jetzt komm endlich zum Punkt! Du hast mich hierher bestellt, um mir etwas Wichtiges zu sagen und ich hoffe für dich, dass es nicht noch so etwas Bedeutungsloses wie der Sinn des Lebens ist! Also! Was ist so wichtig, dass du mich vom Fliegenfischen
herbestellen musstest?
Gott Fliegenfischen. Ach so. Dann tut es mir natürlich Leid, ich wollte dich nicht von deiner Lieblingsbeschäftigung wegholen.
Kellnerin mehr zu sich selbst und dem Publikum Doch, wollte er.
Gott wirft ihr einen mahnenden Blick zu, dann wieder zu Mephisto Beißen die Fische heute denn auch
gut?
Mephisto schlägt die Hand vors Gesicht Du hast mal wieder keine Ahnung von gar nichts!
FLIEGENfischen, nicht FliegenFISCHEN. Aber ich hätte mir ja nichts anderes von dir erwartet.
Gott Ja. Natürlich. Mein Fehler.
Gott schaut auf die Uhr Aber wo bleiben sie denn so lange? Eigentlich müssten sie schon längst da
sein ...
Die 3 Erzengel treten auf, einen Ghettoblaster in der Hand.
Engel zu dritt
Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
Gott leicht genervt Nicht ihr auch noch. Was habt ihr nur alle mit diesem Goethe?! Egal. Macht eure
Arbeit.
Die Engel stellen den Ghettoblaster auf einen Tisch und schalten ihn ein. Es ertönt furchtbare Musik,
alle Gäste und die Kellnerin verlassen fluchtartig das Café.
Erzengel Gabriel Das ist ja furchtbar. Klingt wie die Kreuzung aus einem Zahnarztbohrer und Justin
Bieber!
Gott: Ist schon gut, schon gut! Deutet den Engeln aufzuhören. Danke! Ihr könnt wieder gehen!
Musik aus. Erzengel mit Ghettoblaster ab.
Gott Also. Jetzt wo wir ungestört sind ... Es gibt da tatsächlich etwas ...
Er greift nach Mephistos Hand.
Gott Ich weiß, es ist eine wichtige Entscheidung und wir müssen es gründlich überdenken aber ...
Erzengel Gabriel schleicht wieder herein, drück am Ghettoblaster auf Play. Es ertönt eine furchtbar
schnulzige Ballade.
Gott Ich denke, es ist an der Zeit. Versteh mich bitte nicht falsch, wenn ich sage, dass ich dich ...
Mephisto zieht verstört seine Hand weg und schreit: GABRIEL! RAUS!
Gabriel schnappt den Ghettoblaster, Musik aus, Gabriel ab.
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Mephisto zu Gott Und DU, hörst jetzt gefälligst auf mit den Spielchen.
Gott gekränkt Du verstehst ja wirklich keinen Spaß. Also gut. Es ist Zeit abzurechnen. Nächste Woche
geht die Welt unter, und ich wollte vorher noch kurz mit dir darüber reden.
Mephisto So gefällt mir das schon viel besser. Was gibt’s denn?
Gott Naja, ganz einfach. Alle Kinder zu mir, alle korrupten Politiker zu dir, den Rest können wir uns
später ausmachen. Ich wollte nur deine Meinung zum eigentlichen Ende hören. Bist du mit dem
Meteoriten-Ding einverstanden? Hat schon mal gut funktioniert. Und Flut ist mir persönlich zu viel
Aufwand. Und außerdem viel zu abgedroschen. Das ist das Letzte, das ich brauchen kann! Dann
kommt wieder so ein Typ mit einer Arche und alles ist für den Arsch!
Gott räuspert sich kurz: Entschuldige bitte die Ausdrucksweise.
Mephisto begeistert: Nein, nein, so gefällt mir das! Jetzt fangen wir an, uns zu verstehen! Springt auf
Ich bin für Vulkane! Yellowstone sagt dir was? Oder ... oder ... Erdbeben! Lässt sich gut kombinieren!
Ja, ja, ach, das wird schön!! Und …
Mephisto springt auf den Tisch und liefert einen kleinen Freudentanz:
Und Bomben! Ich red mit den Russen! Du bist ein Schatz!
Mephisto wieder vom Tisch springend, zieht Gott aus seinem Sessel (Er ist davon gar nicht begeistert
und sträubt sich.) und beginnt, sich mit ihm wie zwei verspielte Kinder im Kreis zu drehen und drückt
ihm anschließen einen euphorischen Kuss auf die Wange, hält ihn mit beiden Händen am Kopf und
spricht eindringlich:
Weißt du, was das für uns zwei bedeutet? Urlaub!!! Wenn’s erst mal keine Welt mehr gibt, gibt’s auch
nichts mehr, um das wir uns kümmern müssten!
Mephisto realisiert, was er gerade getan hat, springt einen Schritt zurück und schüttelt sich ekelnd.
Gott zupft seine Klamotten zu Recht, hustet reserviert: So begeistert bin ich dann auch wieder nicht.
Aber wir kommen ja nicht drum herum. Schau dir nur an, was die Menschen aufführen. Es ist wirklich
an der Zeit, das zu beenden. Irgendwas muss ich falsch gemacht haben. Aber nächstes Mal machen
wir alles besser, hörst du!
Mephisto betont ironisch, reibt sich die Hände und verliert sich etwas in Zukunftsgedanken: Ja,
nächstes Mal machen wir’s besser! Darauf kannst du dich verlassen!
Gott geht zur Tür, nimmt Mantel und Hut, wendet sich zum Gehen: Gut also. Wir sehen uns nächste
Woche zum Weltuntergang. Und sei nicht wieder spät, die Leute warten schon seit 2012.
Gott ab.
Mephisto schiebt die Stühle ordentlich zum Tisch, räumt das Kaffeegeschirr ab und wendet sich selbst
zum Gehen.
Mephisto Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
Mephisto ab.
Kurze Pause, dann treten die drei Erzengel mit Ghettoblaster und Sonnenbrillen auf. Sie stellen den
Ghettoblaster auf den Tisch und drücken Play. Es spielt der Refrain von „The Final Countown“
Ende
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Babyspeck
von Marlene Pichler
Jetzt ist der Scheißtest schon wieder positiv. Super! Echt jetzt, das geht doch gar nicht, oder? Okay,
ich gebe zu, in Sachen Verhütung war ich in der letzten Zeit etwas nachlässig. Aber nur, weil meine
Tage ´mal kamen, ´mal wieder nicht, wer hält sich denn da schon für fruchtbar? Und vor allem: Wer
rechnet schon gleich mit dem Schlimmsten? Scheiße. Echt. Die wollen mich doch verarschen, das
kann ja gar nicht sein! Nur weil fünf Tests das sagen, heißt das noch lange nicht, dass das fix ist mit
dem Kind. Scheiße, ich brauch das doch gar nicht! Mein Leben ist auch so schon echt scheiße, alles
ist scheiße. Aber das ist kein Witz, da ist der rote Streifen, und roter Streifen heißt positiv. Aber was
kann man diesen billigen Scheißtests schon glauben, die sind ja nur zur Panikmache da. Überhaupt,
welches Ei will sich schon bei mir einnisten? Hat ja nichts zu essen, wenn ich dauernd speibe.
Aber ich würd so gern etwas essen, einfach essen und nicht dran denken, einfach die ganze Scheiße
ausblenden. Ich hasse mich gerade. Ihn auch. Echt, wieso hätte er nicht einfach ein Kondom drauftun
können, wie es jeder normale Mensch sonst so tut. Okay, vielleicht hab ich nicht wirklich darauf
bestanden, aber wer rechnet schon in meinem Zustand damit, schwanger zu werden. Außerdem hätt
ich dem Typen niemals zugetraut, dass sein Sperma so fit ist und echt weiterwandert, wie in diesen
Aufklärungsfilmen, wo die Samenzellen Schwimmhauben tragen und um die Wette schwimmen.
Niemals hätt ich von dessen Sperma sowas erwartet. Vielleicht war es auch gar nicht er, aber ich
glaub schon. Scheiße! Nicht nur schwanger, sondern auch noch von ihm. Mir ist schlecht wegen mir
selbst und wegen ihm und seinem dämlichen Kind. Ich geh aufs Klo speiben. Am liebsten würde ich
das Kind auch gleich ´rausspeiben.
Zum Arzt geh ich jedenfalls nicht, und diese roten Streifen sind doch ein schlechter Scherz.
„Der Nächste bitte!“ Fuck, das war schon das sechzehnte „Der Nächste bitte“, ich kann diese „Der
Nächste bitte“-s nicht mehr hören. Die ganzen Anti-Abtreibungs-Aktivisten, die da auf der Matte stehn
und echt jeden anquatschen, gehen mir auch schon gewaltig auf den Keks. Das erinnert mich so an
Juno, die ja im Film auch schwanger wird und dann das Kind doch nicht abtreiben lässt, weil es
angeblich Fingernägel hat. Ich meine, es stimmt, das haben wir letztens in Bio durchgemacht.
Fingernägel. Alter!
Boah, es stinkt. Nach irgendwelchem sterilen Zeugs, vielleicht auch Tod oder so. Keine Ahnung wie
Tod riecht, aber so ähnlich muss es wohl sein. Scheiße, riecht das so, wenn man ein Kind umbringt?
Umbringen. Samt Fingernägeln. Vielleicht pumpert das Herz schon. Pumpert dein Herzchen schon?
Verdammt, wie kommst du denn überhaupt in mich ´rein? Scheiße, das ist ein Du. Ich bin Ich und du
bist Du, so auf die Art.
Endlich, ich bin „der Nächste bitte“!
Wie bitte? Ess-gestört, ich glaub, ich hör nicht richtig! Und Kinder kann ich auch nicht haben? Naja,
wie man sieht eben schon. Welches verdammte Recht hat er, über mich und meine Gesundheit zu
urteilen? Außerdem bin ich nicht „ess-gestört“. Ich bin auch nicht zu dünn. Ich speibe nur manchmal
mein Essen aus. Und das ist echt nicht sein Kaffee. Und nur wegen ein bisschen Speiben ein Kind
abzutreiben – umzubringen! Der riecht den Tod wahrscheinlich schon gar nicht mehr da herinnen, der
Arsch. Wenn das Speiben wirklich so schlimm ist, dann hör ich halt auf damit, kein Problem!
Vonwegen er würde es verstehen, wenn ich mich so entscheide, blablabla. Dann wirst du es sicherlich
auch verstehen, Mister, wenn ich jetzt meine sieben Sachen packe und verschwinde. Auf nimmer
Wiedersehen sozusagen. Irgendwie werde ich mich und das kleine Etwas in mir schon durchbringen,
wenn nötig auch allein.
Jetzt schaut die noch immer Germany´s. Jetzt steh ich eh schon so lang da und sie bemerkt immer
noch nix. Wieso kann sie das nicht einfach riechen, immer muss man alles aussprechen. Dabei klingt
das meistens voll arg. Ärger als es in Wirklichkeit ist. Naja, vielleicht nicht in meinem Fall. Ich muss
mich trauen, so schwierig kann das ja nicht sein: „Mama, ich bin schwanger.“ „Echt?“, fragt sie. Ja
nein, natürlich echt, sonst würd ich mir das nicht antun, so ein Theater abzuziehen. Aber sie ist ganz
anders, als ich erwartet habe. Nett irgendwie. Erzähl ich ihr halt die Geschichte von dem Arsch, der
mein Kind umbringen wollte. „Komm, wir suchen dir einen anderen Arzt!“, so als ob es das Normalste
auf der Welt wäre, dass ihre achtzehnjährige Tochter ein Kind kriegt, und als bräuchte sie sich nicht
erst an den Gedanken zu gewöhnen.
Sie will auch mitgehen zum ersten Termin, was zwar ein bisschen strange, aber eigentlich ganz nett
von ihr wäre. Und der Arzt wird mir hoffentlich auch nicht einreden wollen, dass ich ess-gestört bin,
nur ein paar Ratschläge geben und so. Mit dem Speiben hör ich auf, hab ich ja gesagt. Also, ich
schätze, ich sollte der Mama dankbar sein, sie hat noch nicht einmal gefragt, wer der werte Herr Papa
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ist. Ich glaube, wenn mich einer fragt, dann sage ich, dass ich es nicht weiß, obwohl ich das tue, aber
sie macht das ja auch so. Interessiert mich gar nicht, dass jemand weiß, dass ich mit dem Typen
geschlafen habe.
Manchmal schlafe ich mit irgendwem, auch wenn ich es nicht will oder ich den Typen nicht mag. Ich
brauch das einfach, wenn mir Typen vor lauter Geilheit ins Ohr flüstern, wie gut ich aussehe, tut ja
sonst keiner. Klar meinen sie es alle nicht so und hauen nach dem Sex wieder ab. Ist mir eigentlich eh
egal, und meistens tun wir es ohnehin irgendwo am Klo, in einem Kino oder so, wo eh niemand lange
bleiben möchte. Oder wir gehen zu ihm, weil ich dann abhauen kann, wann ich will. – Mit ihm? Ich
glaube, wir haben es bei ihm getan, ich weiß eigentlich nicht mehr viel. Ein bisschen Rein-raus und
das war´s dann wahrscheinlich. Übung hat er jedenfalls keine, aber kein Wunder bei dem Typen. So
schlimm war es offensichtlich dann eh nicht, aber lustig ist auch etwas anderes. Und jetzt auch noch
das Kind von ihm, das passt ja wirklich perfekt.
Boah, bin ich fett. Jetzt will mich bestimmt keiner mehr, so aufgebläht wie ich bin. Und das schon im
siebten Monat, wie fett muss ich dann erst noch werden! Eigentlich will ich mich nicht wiegen, ich
wiege sicher 100 Kilo. Augen zu und durch! Ach du Scheiße, bin ich fett! Da sind ja Elefanten nichts
dagegen. Ich will speiben. Nein, ich darf nicht! Wegen des Kindes. So ein Kind ist so winzig, und mein
Bauch ist so riesig, das passt nicht zusammen. Ich hab zu viel gegessen, ganz klar. Wäh, wie kann
man nur so hässlich sein, meine Haut hat sogar schon Dehnungsstreifen. Mein Bauch ist so aufgebläht, richtig fett, sodass ihn bestimmt keiner übersehen kann, und meine Busen sind kleiner als mein
Bauch, wie hat das nur passieren können. Igitt, einfach widerlich. Und alles ist so schwer, ich bin so
kugelig und komm wie eine alte, buckelige Oma daher. Ich muss speiben, ich kann nicht anders, alles,
was mich fett macht, muss ´raus. Ab jetzt hör ich dann wirklich auf zu speiben, versprochen!
Einfach ein bisschen weniger essen, mehr Sport und geht schon. Vielleicht sollte ich auch gar nichts
mehr essen, sozusagen an manchen Tagen eine Ess-Pause einlegen, ich seh ja wirklich schon aus
wie eine aufgeblasene Kuh. Das wird schon funktionieren – wenn ich nicht so viel esse, werd ich
schon nicht zunehmen.
Diese „Na, wie geht’s uns denn heute“-Gespräche nerven auch langsam. Überhaupt ist es scheiße da
zu sein, ich will wieder weg. Es ist so grindig, wie er seine Geräte in mich reinsteckt. Ich fühl mich total
schlecht, noch schlechter als sonst. Normalerweise bin ich ja nicht so der Typ, der bei jedem Mist
gleich zum Onkel Doktor rennt, aber better save than sorry, würd ich ´mal sagen. Ich speib eh nicht
mehr, wird schon nichts sein. Aber mir geht’s so schlecht, das ist, glaub ich, nicht mehr normal.
Jetzt entsteht auch noch so eine hässliche Falte zwischen seinen Augenbrauen, sieht nicht so gut
aus. Er sucht irgendwas, findet es nicht und sucht weiter. He, was sieht mich der denn an, als ob alles
meine Schuld wäre? Was hat der da verdammt noch mal gesucht? Scheiße, Alter, was dreht sich
denn der jetzt weg und holt irgendwelche Unterlagen ´raus? Was soll das ganze Theater denn, ich
speibe ja nicht mehr, wie er gesagt hat. – Will der mich verarschen? Wie kann der das so kühl sagen,
dass es nicht mehr lebt, der verarscht mich doch! Was soll das denn, das ist doch nicht fair! Es lebt
nicht mehr. Was heißt das? Dass sein Herz nicht mehr schlägt? Aber das kleine Ding braucht doch
noch gar kein Herz, es kann ´was von meinem haben ...
Was soll das bedeuten, es lebt nicht mehr? Der Tod ist in mir drinnen, heißt es das? Ich will den Tod
nicht in mir, auch kein totes Kind! Rennen, weg von hier, einfach weg vom Tod. Mein Kind darf nicht
tot sein. Wo soll ich hin? Scheiß auf alles, einfach weg! Mein Bauch ist mit Tod gefüllt, zieht mich auf
den Boden, meine Beine können mich nicht mehr tragen. Alles verschwimmt und wird wieder ein
bisschen klar und verschwimmt dann wieder. Warum stehen Leute um mich herum? Oder gehen weg,
keine Ahnung. Bleibt doch da, helft mir! In mir ist der Tod! Was ist nur passiert? Ich hätte mich doch
um das Kind gekümmert, aber es ist tot. Es hat mich allein gelassen. Ich glaube, es ist meine Schuld,
obwohl ich mit dem Speiben aufgehört habe. Wo bin ich, überall sind nur Schatten? In mir ist der Tod.
In mir ist alles leer, nur der Tod ist da und mein totes Kind. Alles ist schwer und nicht zu ertragen. Ich
halte es nicht aus, will aufstehen und wegrennen, wegrennen vor dem Tod. Aber das geht nicht, er
kontrolliert mich. Alles wird schwarz, das ist der Tod! Geh weg!
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This day can’t get worse
von Monique Narzt
1. Strophe
This day haven’t started pretty well
I overslept and missed the bus
No breakfast for me today and my only question is:
How should I get to school?
Refrain
This day can’t get worse than it is
But I am totally wrong, wrong
Everything that I do seems so impossible
2. Strophe
Finally in school, but there‘s coming the next disaster
I got a bad grade in my englisch exam and i don’t know why
Somehow I made it to lunch, but i got no money for it
Refrain
This day can’t get worse than it is
But i am totally wrong, wrong
Everything that I do seems impossible
Bridge
My hope dies at last, this day can’t get more worse
But then my boyfriend wants to talk to me
He said, he needs some time for himself
To meet friends or something else
Refrain
This day can’t get worse than it is
But i am totally wrong, wrong
Everything that I do seems so impossible
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Der UHRgroßvater
Idee von Lena Steinhuber
Gemeinschaftsarbeit von Lena Steinhuber, Julia Haslauer, Marlene Bauer, Danielli Karla Cavalcanti
OBDACHLOSE
von Lena Steinhuber
Ich geh da so über'n Martin-Luther Platz, da seh' ich auf einmal so irgend ein fettes, braunes Teil in
der Mitte vom Platz.
Zuerst denk ich mir so „Ach du Scheiße, da hat jetzt aber bitte nicht schon wieder der Johnny, der
grindige Hund den ganzen Platz vollgeschissen!“ – Ist ja schon öfters passiert!
Manchmal, wenn er wieder mal so zwei Gramm oder so geraucht hat, dann geht der Johnny einfach
munter irgendwo hin und scheißt da so locker einen Quadratmeter normale Straße an.
Zuerst will ich gar nicht nah zu dem Fleck hingeh'n, aber dann seh' ich da so was Goldenes in dem
Braunen. Also geh ich näher hin und auf einmal seh' ich, dass da so eine riesig fette Holzuhr am
Pflaster liegt. Sie hat voll so verschnörkelte Schnitzereien und mir fällt ein, dass die Uhr von meinem
... Na ja, egal. Auf jeden Fall schau ich sofort auf die Martin-Luther-Kirche rauf, weil, vielleicht ist ja da
die Uhr runtergefallen oder so. Aber die Martin-Luther-Kirchenuhr ist noch oben. Und ich frag mich so,
wieso liegt da einfach eine ein Meter große Uhr?
Und wie aber keiner kommt, obwohl ich die Uhr angreife, und sie also auch nicht „Moderne Kunst“
oder was sein kann, nehm' ich sie einfach mit zu meinem Stammplatz vorm Billa.
Der Tscheck und die Sofi sitzen da auch schon und die fette Dogge von ihnen liegt auf dem Platz, wo
ich sonst immer sitz'.
Die Dogge heißt Samira und sie sabbert, aber in der Nacht ist sie dafür schön warm, und wenn die
ganzen guten Plätze im Park besetzt sind, leg ich mich meistens zu ihr.
Manchmal wach ich dann in der Früh mit Hundespucke in den Haaren auf, aber bei den Dreads ist
das egal, und die anderen Haare werden eh hoffentlich auch mal Dreads, und wenn man zu gepflegt
ausschaut, geben einem eh die meisten Leute nicht einmal fünf Cent!
Ich komm also so mit der Uhr bei Tscheck und Sofi und der schlazenden Samira an und die zieh'n
einfach nur die Stirn in Falten und deuten mir einen Vogel.
Aber dann geben sie mir auch ein Bier. Und ich trink ein paar Schluck davon, obwohl es Baumgartner
ist.
Ein paar Tage später hab ich die Uhr immer noch, und ich geh' grad' damit in Richtung Stammplatz,
als so ein Promotion-Typ mich fragt, ob er mir was mit „Dermatologisch getesteten Hautmalstiften“
aufzeichnen darf.
Wahrscheinlich eh nur, weil man wegen meinem kurzen Leiberl alle Tattoos sehen kann, und dann
glauben alle Leute, dass er die auch mit seinen Stiften gemalt hat. Auf jeden Fall malt er mir einen
grauen Hinkelstein wie eine Träne ins Gesicht, das will ich mir so wie so als nächstes stechen. Er fragt
mich so, „Wieso denn genau ein Hinkelstein, meine liebe Dame?“ Aber ihm werd ich sicher nicht erzählen, was meine Vergangenheit mit Asterix und Obelix zu tun hat. Und außerdem ist er ein ziemlicher Unsymphatler, er hat das Wort 'Dame' extra voll betont, obwohl ja echt jeder Depp sieht, wie
heruntergekommen und undamenhaft ich daherkomm!
Wie ich dann wieder vor'm Billa sitz und gerade mal fünfundzwanzig Cent oder so verdient hab, steht
auf einmal so ein ganz großer, hagerer Mann vor mir. Zuerst schau ich nur auf seine Schuhe, aber
dann geht mein Blick weiter rauf.
Er starrt meine Uhr die ganze Zeit so richtig an. Und da denk ich, dass die Uhr ja doch vielleicht ...
aber ich mag echt nicht weiterdenken! Und auf einmal kommt der Typ noch näher und näher und –
Scheiße – er ist es echt. Ich will es ja nicht, aber es passiert trotzdem. Wahrscheinlich wischt die echte
Träne die aufgemalte Hinkelsteinträne gerade weg. Hoffentlich. Hoffentlich hat er den Hinkelstein nicht
gesehen!
Eisverkäufer
von Julia Haslauer
Eigentlich habe ich mir genau den richtigen Sommerjob ausgesucht. Ich meine, wer würde nicht gern
mit dem gut aussehenden, Eis verkaufenden Jusstudenten ausgehen ...? Die Mädels fliegen einfach
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auf mich, wie die Wespen aufs Eis. Es ist kurz nach drei und eigentlich läuft das Geschäft um diese
Zeit nicht schlecht. Aber für heute hat sich ein Zug Demonstranten angekündigt und weil die fast den
ganzen Hauptplatz für sich beanspruchen, will sich keiner durch die Menschenmassen drängen, nur
um ein Eis zu kaufen. Nicht einmal dann, wenn ICH es verkaufe.
Aber seien wir uns ehrlich; ich hasse meinen Job! Noch viel mehr hasse ich es, wenn ich nichts zu tun
habe, denn dann kann ich mich nicht mal ablenken. Ich wollte auch nie Jus studieren, aber meine Eltern haben mich dazu gezwungen. Und das Schlimmste daran ist, dass ich mir das alles auch noch
gefallen lasse. Aber egal ...
Die Prozession der Demonstranten drängt sich immer dichter um einen Kerl in der Mitte. Er trägt
irgendwas. Sieht ein bisschen aus wie ein großer Kürbis. Was auch immer.
Neben mir unterhalten sich zwei Typen ziemlich laut. Ich erfahre, dass der vermeintliche Kürbis in
Wirklichkeit eine Uhr ist, und dass einer der beiden die Demonstranten foppen will. Find ich gut, das
könnte ganz lustig werden. Dann tut sich heute vielleicht noch was Spannendes, und ich bin nicht
umsonst aus dem Bett gekrochen. Oh, anscheinend waren die beiden etwas zu laut. Sieht aus, als
hätte einer der Demonstranten Wind von der Sache bekommen. Wie er sich aufregt, Wahnsinn! Fast
wie meine Mutter, als ich ihr gesagt hab, dass ich Sänger werden wollte. Und was ist jetzt? Das war
mir zu schnell! Der eine ist plötzlich losgelaufen und der Demonstrant hinten nach! So schnell, das
hätt ich ihm gar nicht zugetraut! Ein paar Leute fluchen! Sie müssen ja mitten durch die Leute rennen!
Und dann wird es wieder still. Die Prozession geht weiter, es passiert nichts Erwähnenswertes mehr.
Wenigstens wird der Platz wieder leer. Vielleicht kommt dann auch wieder Kundschaft. Hoffentlich!
Professor
von Lena Steinhuber
Die Menschenmasse ist groß. Riesig, Bombastisch! Und sie alle warten. Sind gespannt. Wollen meine
weisen Worte hören. Zitate aus meinen großartigen, meisterhaften Werken. Und da, gerade, als ich
den Mund öffne, Studien und Philosophien offenbaren möchte, sehe ich die Uhr. Natürlich, sie ist
schön, ein brillant geformtes Handwerksstück, so zart und doch so groß zugleich. Und trotzdem stört
mich etwas an ihr. Die Antlitze der Zuhörer sind alle auf mich gerichtet, sie warten auf meine Ansprache. DA! Jetzt habe ich erkannt, was mir an der Uhr nicht gefällt! Gar nicht gefällt! Hinterlistiger
Schmarotzer! Er will uns alle mit seiner prächtigen Uhr blenden! Die Uhr ist nicht auf Echtzeit gestellt!
Das Ziffernblatt zeigt die Zeit der unterbelichteten, zeit umstellenden Bevölkerung an! Wütend zeige
ich auf den Parasit, der sich hinter seiner Uhr versteckt.
Extreme
von Julia Haslauer
Sie haben immer gesagt, ich würde spinnen. Das könne nie funktionieren, haben sie gesagt. Ha! –
Jetzt sollen sie sich mal ansehen! 5000 Menschen und alle demonstrieren gegen die Zeitumstellung!
Für mich ist das jedenfalls ein Erfolg. 5000 Menschen, das bedeutet 5000 Leute, die erkannt haben,
dass Politiker uns mit der Zeitumstellung unterdrücken und beherrschen wollen! Aber nicht mit mir!
Nicht mit uns! Noch wissen die armen Seelen gar nicht, dass sie mir ihr Lebensglück zu verdanken
haben, aber da kann man wohl nichts machen. Ich kann mich gedulden.
Die Demonstration hat vor einer halben Stunde angefangen und mittlerweile sind wir schon fast beim
Taubenmarkt. Gemeinsam mit mir, in der Mitte der Menschenmenge, geht der Mann, der die große
Uhr trägt. Wunderschöne Muster und Maserungen zieren das Holz der Uhr und die goldenen Zeiger
reflektieren das Sonnenlicht. Das ist ein gutes Omen! Ich bin schon gespannt, was der Professor predigen wird, seine Bücher kenne ich ja schon alle. „Wir haben alle Zeit der Welt“ – Das ist bei weitem
sein bestes Werk bis jetzt. Es herrscht beste Stimmung! Die Leute lachen, tratschen; schön zu sehen,
dass sie alle wegen unserem gemeinsamen Ziel hier sind. Und oh, unsere Nachricht verbreitet sich
wie ein Lauffeuer! Der Mann mit der Uhr hat sich in ein Gespräch mit einer Frau verwickelt. Sehr gut,
sehr gut, wenn meine Brüder und Schwestern so brav missionieren. Die Menschenmasse schiebt sich
derweil ununterbrochen weiter durch die Straße. Eine Einheit. Ein Ziel. Unbezwingbar und
unaufhaltb... naja, fast unaufhaltbar. Einer meiner Brüder war wohl etwas übermütig, ist gestolpert und
hingefallen. Viele von uns drehen sich schockartig um, wollen ihm aufhelfen. Darum richte ich meinen
Blick wieder in Richtung der großen Uhr, meine Hilfe braucht er dann ja wohl nicht auch noch.
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Die ersten Menschen kommen schon am Martin-Luther-Platz an und einige arbeiten schon daran, ein
kleines Podest aufzubauen. Bis alle anderen angekommen sind, steht das Podium und der Professor
tritt, dicht gefolgt vom Uhrmann, nach vorne. Tosender Applaus, Jubel und Freudengesänge tönen
über den gesamten Platz, die Euphorie der Gruppe steigt ins unermessliche, die Erwartungen an die
Rede des Professors sind himmelhoch und – Ach, neben mir ist gerade eine junge Frau vor Begeisterung in Ohnmacht gefallen! Das war wohl zu viel positive Energie für die Liebe. Aber sie kommt wieder
zu sich, sehr gut! Sonst hätte sie glatt das Beste versäumt!
Der Professor deutet der Masse, Ruhe einkehren zu lassen und will gerade seine Rede beginnen, als
er plötzlich ungläubig und schockiert jemanden in der ersten Reihe fixiert. Ein kollektives Munkeln und
Flüstern wird hörbar. Und plötzlich schreit der Professor wütend auf und springt von seinem Podest
nach vorne! Daraufhin fliehen alle Leute reflexartig ein paar Schritte zurück, von allen Seiten schubsen und rempeln und stoßen mich die Menschen, ich weiß gar nicht mehr, wie mir geschieht! Ich muss
jetzt die Nerven behalten! Was ist passiert? Ich nehme mich zusammen und dränge nach vor, um zu
sehen, was den Professor so aus der Fassung gebracht hat. Ich weiß nicht genau, was ich versäumt
haben muss, aber es muss auf jeden Fall etwas Furchtbares gewesen sein! Hier wirkt eine Aura,
pechschwarz, schwärzer als die Nacht! Als ich vor dem Podest ankomme hält sich der Professor
bereits ein Tuch an die Blutende Nase und der Mann mit der Uhr, hält seine Uhr nicht mehr sondern
schüttelt die Hand und verzieht sein Gesicht vor Schmerzen, als hätte er sich verbrannt. Und dann
geht alles furchtbar schnell! Jemand sieht nach dem Professor, wird daraufhin glutrot vor Wut und
geht auf den einen der Männer los, die dem Mann, der vorher die Uhr getragen hat, helfen wollen.
Immer mehr Leute mischen sich ein! Ich muss hier weg! Gemeinsam mit ein paar anderen, versuche
ich der Menge zu entkommen, kassiere jedoch ein paar Tritte! Es liegen schon Leute am Boden, als
endlich die Polizei ankommt! Das Schlimmste hab ich jetzt zum Glück hinter mir. Man hört die Leute
noch schreien und ihre Hassparaden brüllen. Und plötzlich trifft mich ein dumpfer Schlag auf den
Hinterkopf. Der Lärm verschwimmt immer mehr, wird leiser und endet schließlich in einem monotonen
Summen. – Das ist das Letzte, an das ich mich erinnern kann, bevor ich im Krankenhaus aufgewacht
bin ...
Uhrmann erzählt von der Vergangenheit
von Lena Steinhuber
Ich hatte früher mit meinem Großvater jeden Tag Asterix und Obelix gelesen. Immer am Abend, von
sieben bis acht Uhr. Wenn der goldene Zeiger auf fünf vor acht gewesen war, hatten wir noch einmal
umgeblättert. Manchmal, wenn wir mit der letzten Seite fertig gewesen waren, und es aber noch nicht
Punkt acht angezeigt hatte, hatte mir mein Großvater Geschichten über die Schnitzereien auf seiner
großen Uhr erzählt. Später wurde aus Asterix und Obelix Clever und Smart.
Und irgendwann dann bekam meine Cousine ein Kind. Ihr Mann verließ sie und auf einmal war es
wichtiger, dass sie die Wohnung über der meines Großvaters bekam.
Ich und Mama zogen in die düstere, muffige Wohnung am anderen Ende von Urfahr und, obwohl ich
froh war, nicht mehr die ekelhafte Leberwurst von Opa essen zu müssen, war ich traurig, dass ich ihn
nur noch so selten sah.
Das Kind meiner Cousine hieß „Melissa“, benannt nach Melissa Monroe. Erst ein paar Jahre später
bemerkte sie, dass diese eigentlich Marilyn hieß.
Melissa schrie und weinte die ganze Zeit, und nur mein Großvater konnte sie ansatzweise beruhigen.
Ich fing die Lehre in der Backfabrik an, und wenn ich manchmal am späten Abend meinen Großvater
besuchte, spielte ich mit Melissa. Oft unterhielt ich mich auch mit meinem Großvater, einem echten
Uhrenliebhaber, über Uhren. Aber ich durfte immer erst nach acht Uhr kommen. Die Stunde, die früher
einmal die von mir und meinem Großvater gewesen war, gehörte ab jetzt Melissa und ihrem Urgroßvater.
Sie lasen Asterix und Obelix, bis die Hefte fast zerfielen. Am meisten mochte Melissa Idefix, den Hund
von Obelix, und seine Hinkelsteine.
Melissa wurde älter, und sie kam in die Schule. Dann wurde sie noch älter, und sie kam in eine höhere
Schule. Und als sie noch älter wurde, hörte sie auf mit der Schule.
Vielleicht war es, weil sie in die Pubertät gekommen war.
Aber vielleicht war es auch, weil mein Großvater, ihr Urgroßvater, gestorben war.
Das war vor einem Jahr oder mehr, ungefähr zu der Zeit, als mir der Rudi öfters von den großen Gefahren der Zeitumstellung erzählte. Einmal, als ich nach einem Treffen mit Rudi zu Melissa kam, war
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sie nicht mehr da. Ihre Schuhe waren weg und einige andere Habseligkeiten auch und trotz der ganzen Suchaktionen, die wir starteten, fand sie keiner. Nicht einmal die Polizei. Wie verschollen. Meine
Cousine weinte viel zu dieser Zeit. Und irgendwann zog sie weg, in die Schweiz zu ihrem alten Mann,
der sie eigentlich verlassen hatte. Ohne Melissa mochte er meine Cousine anscheinend mehr. Es wurde gemunkelt, dass sie nach Frankreich gegangen sei, in das Land von Asterix und Obelix.
Turbanmann
von Marlene Pichler
Hoffentlich bringt die Demo jetzt endlich `mal was! Da, wo ich herkomme, gibt´s sowas wie Zeitumstellung schon lange nicht mehr. So viel Umgescheißert wegen einer läppischen Stunde, die man die
Uhr mal vor – und später wieder nach hinten stellt. Komplett sinnlos, wenn ihr mich fragt. Aber mich
fragt ja keiner. Eigentlich sollten sie mich aber fragen, immerhin machen sie´s da, wo ich herkomme,
besser. Viel besser. Naja, hoffentlich ist die Demo bald vorbei, ich bin eh nur da, weil mir die depperte
Zeitumstellung auf den Zeiger geht. Revolution! Und da nennen sie mich alt. Von gestern. Da, wo ich
herkomme, ist alt ein Synonym für weise. Außerdem sind sie hier die Hinterwäldler, wer hat die Zeitum
stellung da noch nicht!? Mir gehen die Leute auf den Geist, lauter junge Hupfer, die keine Ahnung und
keinen Respekt vorm Leben haben. Also, da, wo ich herkomme, wurde man für Aktionen, die sich die
heutige Jugend hier erlaubt, gesteinigt. Gute alte Zeiten. Gehört wieder eingeführt, das Steinigen.
Oder zumindest die g´sunde Watschen. Diese Balge wissen ja nicht, was sich gehört. He, Bursche!
Davon red ich! Genau davon! Was rennst du da so knapp an mir vorbei, Störung der Privatsphäre ist
das! Und wie der dahergelaufen kommt, furchtbar. Trainingshosen. Also da, wo ich herkomme, traut
sich keiner so auf die Straße. He! Griffel weg von meinem Turban! Jetzt wird’s mir aber zu bunt!
Schon wieder so einer. Na warte, du Scheißkerl! Was denn, noch nie ein anderes Schimpfwort als
Scheibenkleister gehört!? Und dann auch noch in einer Sprache, die du nicht kennst, na servas. Und
dann tun`s immer so ausländerfreundlich. An Scheiß seid`s ihr! Sogar Zeitumstellung habt ihr noch da
in eurem seltsamen Land, wo man nichts von Respekt und Anstand versteht! Da, wo ich herkomme,
nein … Kopfschütteln
Versteller
von Marlene Pichler
„I hob Hunger, gehma Meci oida!“
„Oba Ramadan, vergiss Ramadan net oida“
“Scheiß auf Ramadan, i hob kan Bock mehr auf Ramadan, gehma Meci. Oba Bruder – du musst
schwören, dass mei Mutta never ever erfort!“
„I schwör auf mei eigene Mutta oida!“
„Scheiße, oida! Es is scho 16:15! I kau nimma Meci gehen, boid muas i ham. Mei Mutta, oida, die gibt
ma Schiss, wenn i net recht um die Zeit hamkum. Die Hund bringt mi um oida.“
„An Scheiß oida, schau oben, bei die Turm do, da is 15:15. Die Uhr von die ganzen Menschen geht
net richtig, die san dumm oda so.“
„Haha, die san dumm. Yo, kennst du den schon: Was machen zwei Dumme in die Sahara? –
Staubsaugen!“
„Haha. Oida glaubst du, de ganzen Leut, de um Uhr stehen, denken, es is echt 16:15?“
„Keine Ahnung. Wasd wie geil, wemma die jz voi fett veroaschn. Geht scho, stellma auf die Uhr 17:15
ein, i wett die Spastis glaubens!“
„Fix oida, du geh hi, i moch Foto für facebook.“
Yo, i bin auf cooler Mission. I sprint voi fiari, mitten rein in den Menschen. Oida i lauf und lauf und
schlängelt mi so megacool zwischen die Leute. He, oida, geh net so wie Schnecke! Mei Oma is mit
ihre Gehstock schnölla oida! Der mit die fette Uhr is noch weiter vorne in die Gruppe, hoffentlich wird
gutes Foto, so mit Status „Aktion Megageil oida“. Aus die Weg, alte Mann! Jetzt kumm i! Geil, glei
muas i bereitmochn für Foto. Fuck die Hund, schleich di, i muss zu die Uhr um zu des Teil drehn!
Klane, di druck i mit einer Hand auf Boden, jetzt kommt die große Junge. Deppate Schlampe, oida,
loss mi los!
Aargh! Aua! Verfickte Hure, die Oide! Mei Bein! Bro, hüf mir auf, bitte. Die Bitch hat mi ghaltn wie i
spring und mi voi am Boden gfetzt oida. Gehma bevor i die koit moch de elendige Sau oida!
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Touristin
von Danielli Karla Cavalcanti
Der Uhrbesitzer hat mir viel über seine Uhr erzählt. Eigentlich habe ich nicht viel verstanden.
O dono do relógio me contou muita coisa sobre o seu relógio. Na verdade, eu nao entendi muito da
estória, nao.
Da ich immer wieder das Wort „unglaublich“ gesagt habe, hat er mir die Geschichte seiner Uhr immer
weiter erzählt.
Como eu sempre repetia a palavra „inacreditável“, ele continuava a me contar mais e mais a estória
do seu relógio.
Aber ich sagte „unglaublich“, weil ich einfach dachte, dass es unglaublich ist, so viel Stoff für die
Geschichte einer Uhr zu haben!
Und er erzählt mir weiter ...
Mas eu só dizia „inacreditável“, porque eu simplesmente pensava que era incrível se ter tanta estória
para contar sobre um relógio!
Was ich ungefähr bei der Geschichte mitbekommen habe, war so, dass die Uhr einen emotionalen
Wert für ihn hat, dass er sich sehr um dieses Erbstück kümmert und es bereute, diese zur Demonstration auf der Straße mitgebracht zu haben.
O que eu percebi naquela estória toda foi que o relógio tem um valor sentimental para ele, que ele
cuida com muito cuidado deste bem da família e que ele se arrependeu de ter levado o relógio para a
demonstracao na rua.
Es war ziemlich komisch zu merken, dass die Uhr nicht die richtige Uhrzeit zeigt. Es gab Änderung in
der Uhrzeit, sie ist hin und her verschoben und zurückgestellt. Unglaublich.
Foi bem estranho perceber que o relógio nao estava contando as horas certas. Mudaram a hora do
relógio, ora adiantaram-na, ora atrasaram-na. Inacreditável.
Letztendlich hat man die richtige Uhrzeit in der Uhr eingestellt und alles war wieder gut oder auch
nicht. Keine Ahnung. Ich bin etwas verwirrt mit der ganzen Uhrzeit-Umstellung.
Finalmente, colocaram o relógio no horário certo e tudo ficou bem, ou nao. Nao tenho ideia.
Eu fiquei meio desajustada com estes ajustamentos todos no relógio.
Uhrmann
von Lena Steinhuber
Die Uhr war wunderschön und keiner schaffte es, an ihr vorbeizulaufen ohne einen Blick darauf zu
werfen. Ein kirchenturmuhrgroßer Zeitträger mit fein geformten, goldenen Zeigern und vielen
Schnitzereien am Ziffernblatt.
Das Mädchen daneben passte dafür gar nicht zur Uhr. Es saß auf einer bunt gemusterten Jacke am
Boden. Ihre unfrisierten, braunen Haare gingen bis zur Pfütze neben ihr am Pflaster. Sie war an ein
paar Stellen im Gesicht gepierct und unter einem Aug' war eine aufgemalte Träne oder so ähnlich.
Vielleicht sogar ein echtes Tattoo. Von denen hatte sie sonst nämlich auch reichlich viele am ganzen
Körper. Sogar auf ihren Handflächen konnte ich welche sehen, als ich gerade die Straßenseite
wechselte, weil ich die Uhr näher ansehen wollte.
Vor ihren Füßen hatte das Mädchen einen alten Joghurtbecher aufgestellt. Einige Fünf- und
Zehncent-Münzen tummelten sich darin.
Ich hatte es mir schon vorher gedacht, aber logischerweise nur unterbewusst. Ich ärgerte mich noch
immer extrem, dass ich sie damals zur Demo mitgenommen hatte!
Und dann war ich direkt vor ihr und schaute auf sie hinunter. SIE WAR ES!! Sie stand auf der
schmutzigen Straße vor einem heruntergekommenen Supermarkt und noch dazu neben einem dreckigen Mädchen. MEINE wunderbare Uhr! Irgendwie wurde ich wütend und glücklich gleichzeitig. Weil,
einerseits war es die absolute Frechheit, dass mir das einzige Erbstück vom Großvater geklaut wurde.
Aber andererseits hatte ich es ja jetzt wieder gefunden. Ich musste nur ein paar Schritte machen.
Dann der Sandlerin die Uhr wegnehmen und mit der nächsten Bim heimfahren.
Als ich so ungefähr einen Meter vom Mädchen entfernt stand, schaute es zu mir. Die Träne unter ihrem Auge war gar keine Träne. Es war ein grauer Hinkelstein. Das tat eigentlich gerade nichts zur
Sache. Also streckte ich meine Arme in Richtung Uhr aus.
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Dann fiel mir ein, dass ich gerade eine Hinkelsteinträne gesehen hatte.
Hinkelstein.
Asterix und Obelix
Uhr
Uhr-Großvater
Melissa!
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Ausbeutung
von Marlene Bauer
Der Mensch, ist immer ignorant und will nichts hören,
alles zerstören, aber niemand darf ihn dabei stören.
Die Augen vorm Schlechten immer verschlossen,
seine Überlegenheit wird stets genossen.
Der Mensch wird’s nie wagen
etwas zu sagen, wenn ihn was stört.
Tiere in Schlachthäusern, die Gefängnissen gleichen,
die Teller des Menschen ständig voller Leichen.
Rinder und Schweine behandelt wie Dinge,
und am Ende wartet auf sie nur noch die Klinge.
Der Mensch sieht das alles nicht, es ist ihm egal,
dennoch ist’s für die Tiere unendliche Qual.
Hunderte von Tieren werden jährlich für ihn ausgebeutet,
ihn kümmert’s nicht was der Tod des Kalbes für die Kuh bedeutet.
Ihm ist egal, was mit männlichen Küken passiert,
er will nur das Hühnerei- gekocht, gebraten oder blanchiert.
Sein eigenes Haustier verwöhnt er tagein, tagaus,
den „Nutztieren“ macht er täglich den Garaus.
Gewissen ist für den Menschen wohl ein fremdes Wort,
es geht ihm doch nur um Luxus und Komfort.
Seine Kleidung besteht aus Pelz und Leder,
in seinen Kissen mehr als nur eine Feder.
Ich glaube es ist hoffnungslos,
der Mensch ist Egoist, hält sich aber für grandios.
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Das Gericht
von Danielli Karla Cavakvanti
PERSONEN:
Sapo – ein Grünfrosch
Borboleta – ein Schmetterling
Coruja – eine weise Eule
Mariposa – alter Schmetterling (die Mutter von Borboleta)
Gata – eine bürokratische Katze (Polizistin)
Faminta – ein Pinguin (die hungernde Rechtsanwältin) – Pinguins sind von Natur aus schön
angezogen! ;)
Richterin – Eichhörnchen
Polizistin 1 und 2: eine weibliche und eine männliche Katze
Familie –Menschen (Fa =Vater, Mi=Mutter, Lie= das Kind)
Urubu – ein eiskalter Geier
Erste Szene – „Eine Katastrophe mit PH“
Sapo (Frosch) Es kann aber nicht waaaaahr sein! Nein, ich glaube es nicht!
Er spricht, indem er sein Handy beschwörerisch anstarrt.
Melde dich sofort zurück! Es ist aber eine echte Katastrophe!
Borboleta, der Schmetterling kommt
Sapo Ah! Borboleta! Passt auf, „Katastrophe“ – schreibt man das mit Vogel-V oder F wie faul?
Borboleta (Schmetterling) Hi, Sapo, grüüüün dich zu sehen! Mir geht es gut, danke!
Sapo Na bitte, Vogel-V oder F?
Borboleta Mit keinem von beiden. Katastrophe schreibt man mit PH!
Sapo PH? Komisch, als ich die Schule besucht habe, gab es nur die zwei anderen Möglichkeiten.
Borboleta Wie lange bist du in die Schule gegangen?
Sapo Hummmm, cirka 15 Minuten zu Fuß oder so.
Borboleta Ich meinte, wie viele Jahre?
Sapo Aber bitte Schmetterling, das ist ein bisschen zu viel, nicht? Ich habe keine Zeit zu rechnen, wie
viele Jahre 15 Minuten sind.
Sapo Ich habe etwas Wichtigeres zu tun. Eine Katastrophe mit PH und gar nicht neutral ist passiert,
ich mache mir gerade die größten Sorge der Welt.
Borboleta Oh! Sapo, du bist aber immer dramatisch! Was ist dann diese grooooooße Katastrophe?
Sapo Weißt du, der Froscho? Der grüne Frosch? Nicht so schön wie ich, aber trotzdem ein netter
Kerl?
Borboleta Natürlich kenne ich ihn, was ist los mit ihm?
Sapo Er ist verschwunden!
Borboleta Wie verschwunden? Plötzlich, einfach so? Keine Nachricht hinterlassen?
Keine SMS geschrieben?
Sapo Neeeein, gar nicht!
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Borboleta Ah! Wahrscheinlich wollte er dich überraschen und sendet dir noch eine Postkarte von
seinem neuesten Urlaubsort!
Sapo Der Froscho? Sicher nicht! Er würde nie verschwinden, ohne sich vorher von mir zu
verabschieden. Apropos Verabschiedung, hast du mal ein Insekt für mich, ich bin grün-hungrig!
Borboleta Na ja, wenn man sich verabschiedet, ist es aber kein Verschwinden, sondern
Verabschiedung!
Sapo Diese Genauigkeit ist jetzt nur Zeitverschwendung! Der Froscho ist weg und hat sich von mir gar
nicht verabschiedet. Du weißt doch, ich bin sein allerbester Freund, wie konnte er sowas machen.
Wo ist die Rücksicht auf unsere Freudenschaft! Ich bin grün schockiert!
Borboleta Oh! Sapo, das tut mir leid zu hören. Es kann sein, dass er nicht Zeit gehabt hat, sich von
dir zu verabschieden. Aber er meldet sich bestimmt, wenn er wieder mal Zeit hat. Odeeeeeer hast du
etwas angestellt und er will nichts mehr mit dir zu tun haben?
Sapo Borboleta, wie kannst du so was von mir denken.
Was ist los in dieser Welt: mein Freund ist verschwunden und meine Freundin denkt, ich bin schuld!
Es reicht mir und das nicht langsam, sondern schnell! Auf nie wieder sehen, Borboleta!
Borboleta Ah! Sapo, wer dich wirklich kennt, weiß ganz genau, wie du blitzschnell von Grün auf Rot
wirst. Und ich habe nicht gesagt, dass du schuldig bist. Du solltest mal genau zuhören!
Sapo Gut zuhören, typisch Schmetterling. Weiß du überhaupt welche überfroschige Mühe es mich
kostet dir zuzuhören? Einen Schmetterling zu hören ist gar nicht einfach. Ich muss mich sehr
konzentrieren, damit ich nicht von deinen farbvollen Flügen hypnotisiert bin. Du hast ja keine Ahnung.
Borboleta Danke für die Blumen, ich liebe Blumen! Aber nur eine Kleinigkeit: Das Wort farbvoll gibt es
nicht!
Sapo Es gibt farblos, wieso nicht farbvoll?
Borboleta Es gibt auch farbenfroh! Das ist doch schön, oder?
Sapo Ja? Momentan bin ich total farbentraurig! Der Froscho ist weg und es ist eine farblose
Katastrophe! Aber die Farbe meiner Haut ist grün, wie die Hoffnung, und ich werde meinen Freund
weiter suchen! Diese ganze Geschichte macht mich wahnsinnig hungrig! Hast du gar nichts dabei für
mich?
Borboleta Kannst du nichts anders sagen als „ich bin hungrig“?
Sapo Sicher. Ich muss Nahrung aufnehmen! So geht es auch.
Borboleta Sag mir lieber mal, seit wann hast du keinen Kontakt mehr zu Froscho gehabt?
Sapo Genau 22 Minuten und 15 Sekunden.
Borboleta Waaaas? Mein Leben ist zu kurz um dich noch ernst zu nehmen. Bitte, 22 Minuten und du
machst so einen Terror!?
Sapo Seit 23,5 Minuten beantwortet er mir keine SMS! Es ist eine Telemobile-Katastrophe!
Borboleta Nein, es ist keine Katastrophe! Wie ich dir schon gesagt habe, aber du willst es ja nicht
hören: Wahrscheinlich ist er momentan beschäftigt oder will gerade nicht mit dir reden und ...
Sapo Er ist sicher in Gefahr, es muss etwas Schlimmes passiert sein. Und ich bin sicher, dass ich der
Nächste bin, ich bin noch stärker und grün-schöner als der Froscho. Ich werde bestimmt der Nächste
sein. Was für eine Katastrophe! Ich muss weg!
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Borboleta Gut, dann suche du Froscho weiter. Ich muss auch weg, eine Freundin von mir, die noch
Raupe ist, wird bald ein Schmetterling werden und ich möchte ihr heute einen schönen Garten mit
vielen Blumen zeigen. Sie wird sich sicherlich auf ihre Zukunft freuen!
Sapo Wirst du mich einfach so hier allein lassen?
Borboleta Du hast gesagt, du musst auch weggehen, oder?
Sapo Kannst du nicht mit mir zur Donau gehen, um Froscho zu suchen?
Borboleta Jetzt?
Sapo Nein in zwei Wochen! Natürlich jetzt!
Borboleta Jetzt reicht es mir. Ehrlich, ich glaube, dass Froscho eigentlich absichtlich weg von dir ist,
du bist manchmal unerträglich!
Sapo Unerträglich? Seit wann musst du mich tragen? Du kannst kaum dich selbst tragen!
Borboleta Ich habe gesagt un.er.trä.glich! Ich habe keinen Bock mehr, ich fliege weg, tschüss!
Sapo Wie bitte, der Bock ist auch verschwunden? Ach du meine grüne Göttin! Natürlich ... es ist so
klar! Es war vor meinem Gesicht und ich sah es nicht. Was bin ich nur für ein Frosch!
Borboleta Was?
Sapo Erinnerst du dich an das Gelb-Haus am Flussufer?
Borboleta Sicher, ich fliege jeden Tag vorbei.
Sapo So, das letzte Mal als ich einen Bock gesehen habe, war er dort und ich habe auch gesehen,
dass er eine grüne Suppe getrunken hat!
Borboleta Ja und? Essen gehört zum Leben! Du zum Beispiel isst ziemlich viel!
Sapo Mach mich nicht noch hungriger!
Borboleta Nur weil du den Bock beim Essen gesehen hast, hast du schon Bock darauf?
Sapo Borboleta, du bist aber langsam, bitte! Froscho ist verschwunden, ein Bock ist auch verschwunden. Und in einem Haus am Flussufer wird grüne Suppe gekocht! Oh neinnnn! Ich kann es nicht mal
aussprechen und mir geht es schon schlecht.
Borboleta Was möchtest du mir sagen?
Sapo Mein Freund wird gerade als Suppe verkocht und später getrunken!
Borboleta Erstens Suppe wird gegessen, nicht getrunken! Zweitens...
Sapo Gegessen? Aber eine Suppe ist flüssig, nicht? Es ist alles verkehrt. Unglaublich! Eine echte
Katastrophe!
Borboleta Du glaubst doch sicher selbst nicht, dass Froscho eine Suppe geworden ist, oder?
Sapo Wieso nicht? Es gibt Schmetterlinge im Bauch, wieso also nicht einen Frosch? Es gibt ja auch
Frosch im Hals! Mir wird langsam heiß! Ich bin die nächste Katastrophe! Borboleta, du musst mir
helfen, dein Lieblingsfrosch ist in Gefahr!
Borboleta Sapo, durchatmen! Du bist nicht in Gefahr und niemand hat eine Frosch-Suppe gekocht.
Sapo Oh! Sag das nicht so, eine Frosch-Suppe! Ich kann nicht zu einer Suppe reduziert werden.
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Ich habe soooo viel zu unternehmen, an Flüssen zu baden, auf Wiesen zu springen, an ZungenOlympiaden teilnehmen... nein, bitte nicht! Ich will nicht zur Suppe werden! Wir müssen etwas
dagegen machen. Es ist eine Nahrungskatastrophe!
Borboleta Sapo, du bist etwas gelb geworden, beruhige dich. Du kannst auf mich zählen. Ich werde
Plakate aufhängen, mit der Botschaft, dass Froscho vermisst ist! Ich fliege am ganzen Ufer entlang
um zu plakatieren, ok?
Sapo Ah! Borboleta, ich wusste von Anfang an, dass du mich nicht enttäuschen würdest. Uffa, es
kommt lansgam die Luft wieder! Also nach dieser Geschichte über grüne Suppe, habe ich so einen
Hunger bekommen. Das heißt, das erste was du machen solltest ist, etwas für deinen Frosch zu
besorgen. Weißt du Borboleta, zuerst der Bauch, dann der Verstand! Sonst wird es eine
Grundbedürfnisse-Katastrophe!
Ich kann nicht weiter denken, wenn ich Hunger habe.
Borboleta Ich soll was? Ich wusste auch Sapo von Anfang an ... dass du mich nur ausnutzen
würdest!
Sapo Iiiiiich?
Borboleta Klar! Zuerst sagst du Froscho ist verschwunden, dann, dass eine grüne Suppe gekocht
wird und danach sagst du, dass du in Gefahr bist. Aber in Wahrheit willst du nur essen!
Sapo Borboletchen, man ist in Gefahr, wenn man nicht isst!
Zweite Szene – „Vorschlag vor dem Schlag“
Coruja (man spricht irgendwie wie ‚koruscha‘, die Eule) Grieß oich!
Borboleta Hallo Coruja!
Sapo Servus!
Coruja Was läuft?
Sapo Außer deiner Nase?
Borboleta Sapo, bitte! Es ist gar nicht lustig!
Sapo Stimmt, es ist nicht lustig, sogar auch eine Katastrophe, wenn die Nase läuft und man kein
Taschentuch dabei hat! Aber das ist eine andere Geschichte. Die momentane Katastrophe Coruja ist
Folgende ...
(nur mit Mimik ein paar Sekunden die Geschichte erzählen)
Coruja Ganz einfach! Gehe zur Polizei und melde deinen Freund als „vermisst“!
Sapo Endlich gibt mir jemand einen vernünftigen Rat! Genau das werde ich machen.Kommt!
Borboleta Wie?
Sapo Ich brauche euch als Zeugen!
Borboleta Aber ich habe nichts gesehen!
Sapo Froscho ist eine Suppe geworden! Borboleta, brauchst du noch, dass ich auch gekocht werde,
damit du mir helfen willst?
Borboleta Sapo, passt auf: Was ist, wenn der Froscho plötzlich wieder da ist?
Sapo Meinst du, dass die Suppe schwer im Magen liegt und die Toilette dringend besucht werden
muss? Oh! Was für ein Ende, mein armer Freund!
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Borboleta Neeeeein, ich meine, dass diese Suppe aus ganz anderen Zutaten gekocht wurde.
Sapo Wer würde eine grüne Suppe machen, bitte sehr? Ok, eine Kuh vielleicht.
Aber in dem Gelb-Haus wohnt keine Kuh sondern komische Menschen!
Borboleta Das sind Tiere wie du und ich! Respekt, wenn du auch respektiert sein möchtest.
Hummm, eine Suppe aus grünen Blättern ... Als ich noch eine Raupe war, habe ich viiiiele Blätter
gefressen. Jetzt als Schmetterling gefällt mir der Nektar natürlich am Besten. Aber ich kann mir ganz
gut vorstellen, wie lecker eine grüne Suppe ist!
Sapo Puuhhhh! Totale Magen-Katastrophe!
Coruja So ich habe viel Stress in der Nacht und tagsüber keine Zeit zu verlieren. Auf wieder sehen!
Dritte Szene – „ Sprache als Lebensmittel“
Sapo Borboleta – du kommst mit mir!
Borboleta Ich? Ich habe schon gesagt, ich habe nichts gesehen und werde bei der Polizei nichts
sagen. Es ist falsch etwas zu behaupten, worüber wir uns nicht sicher sind und ...
Sapo (er telefoniert mit der Polizeistation) Guten Tag, mein Name ist Sapo Schöngrün und ich möchte
eine Klage einreichen. Ja, danke. Also mein Freund Froscho ist verschwunden, ich habe ihn in ein
Gelb-Haus am Flussufer eintreten sehen. Aber er ist nicht mehr raus gegangen!
Ja genau. Wann gehen Sie dorthin? Ok, ich warte auf Ihre Rückmeldung, vielen Dank im Voraus. Auf
Wiederhören!
(er legt auf)
Borboleta Du hast gelogen!
Das glaube ich nicht. Du hast eine Klage eingerichtet, aber hast eine falsche Information gesagt!
Sapo, ich bin total enttäuscht von dir. Rufe die Polizei zurück und sag die Wahrheit. Es kann nicht so
bleiben. Ehrlichkeit ist sehr wichtig im Leben. Eine Lüge wird dich für immer verfolgen. Du kannst dich
selbst nicht anlügen, die Lüge bleibt in deinem Bewusstsein.
Inzwischen klingelt das Telefon von Borboleta.
Borboleta alô mamae, tudo bom?
Mariposa Oi Borboleta, vou ao supermercado comprar banana e tomate, tu queres algo?
Borboleta Sim, por favor, mamae, compre papel ...
(Sapo nimmt plötzlich das Handy von Borboleta weg)
Sapo Hallo Frau Mariposa, ich habe eine Frage. Verstehen Sie mich nicht falsch, es spricht nichts
dagegen, alles dafür. Aber wieso sprechen Sie nicht Deutsch mit ihrer Tochter?
Mariposa Weißt du Sapo, Schmettern ist die Sprache meines Herzen. Meine ersten Gefühle habe ich
durch diese Sprache ausgedrückt, deswegen ist sie meine Erstsprache. Es ist dann natürlich für mich
leichter mit Schmetterlingen in dieser Sprache zu sprechen. Verstehst du?
Sapo Ja, natürlich. Meine Erstsprache ist Froschlekt und es klingt wie Melodie in meinen Ohren!
Machs gut Frau Mariposa, auf Wiederhören!
Borboleta holt das Telefon zurück.
Borboleta Ok, mamae, ich spreche auf Deutsch, weil Sapo ist sehr neugierig und wird mich bestimmt
danach fragen was ich mit dir gesprochen habe. Also: Kannst du mir bitte Papier und Bundstifte
kaufen? Ich muss ein Plakat gestalten.
Mariposa Claro, Borboleta, mamae compra. Beijinho, tschau.
Borboleta Obrigada, beijinho, mamae!
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Das Telefon von Sapo klingelt:
Sapo Sapo Schöngrün, wer stört?
Polizistin (Gata = Katze) Herr Schöngrün, hier ist Frau Gata Felina von der Polizeitstation. Wir haben
ihren Fall analysiert, waren im Gelb-Haus und leider ist Ihr Freund nicht dort gewesen. Es ist eine sehr
nette Familie, sie waren gerade zufälligerweise beim Abendessen und sie haben uns dazu eingeladen. Das Essen war herrlich grün!
Sapo Waaas? Herrlich grün? Borboleta, bitte sprich weiter, nach dieser Nachricht muss ich
ohnmächtig werden! Es steht im Skript! Puuuhh!
Borboleta Oh! Sapo, Inszenierung ist deine Stärke. Unglaublich!
Frau Polizistin, meinem Freund geht es momentan nicht so gut, ich habe das Telefon auf
Lautsprecher gestellt, können Sie uns sagen, was passiert ist?
Polizistin Ja sicher. Wir waren im Gelb-Haus und die Familie war beim Essen und hat uns eingeladen
mit ihnen zu essen. Wir haben zuerst eine leckere grüne Suppe gegessen und danach ein grünes Eis.
Borboleta Frau Polizistin sagen Sie mir bitte, dass diese Suppe aus Grünblättern war und dieses Eis
aus Pistazien.
Polizistin Wieso denn? Die waren aus ganz anderen Zutaten, aber es war sehr lecker.
Borboleta Aus welchen Zutaten waren die denn, biiiiitte?
Polizistin Ich habe keine Ahnung, so was habe ich nie vorher gegessen. Entschuldigen Sie, ich muss
jetzt zu einem anderen Einsatz. Auf Wiederhören!
Sapo Du hast es auch gehört, ja? Die Polizistin hat den Froscho gegessen!
Oh! Mein Froschfreund. Es ist eine Verdauungskatastrophe!
Borboleta Sapo, bitte. Sie hat nur gesagt, dass die Suppe und das Eis aus anderen Zutaten waren
als Grünblätter, nichts anders.
Sapo Und du gibst mir immer noch nicht Recht? Du hast es selbst gehört, sogar Eis ist aus Froscho
geworden! Oh! Mein Freund, ich werde dich vermissen, ich verspreche dir nie wieder Suppe und Eis
zu essen! Jetzt werde ich meine Rechtsanwältin kontaktieren und diese Polizistin verklagen! Auch Sie
hat meinen Freund gegessen und muss dafür auch ins Gefängnis gehen.
Borboleta Vorsicht Sapo! Zuerst muss immer der Kopf denken, dann der Mund aussprechen! Sonst
können Wörter auch Waffen werden und du kannst Gefangener deiner Wörter werden.
Sapo Aber es ist unglaublich! Eine Frosch-Katastrophe!
Borboleta Ok, ich gebe auf. Ich muss gehen. Wir sehen uns morgen zur gleichen Uhrzeit am Garten
Tschüss.
Vierte Szene – „Würzige Anwaltsfragen“
Sapo Ja, so sind die falschen Freunden. Wenn wir sie am meisten brauchen, sind sie einfach weg.
Aber es ist auch gut, nur so können wir sie erkennen.
(Er ruft seine Rechtsanwältin an.)
Hallo, Frau Dr.in Dr.in Dr.in Faminta, ich habe ein Problem! Mein Freund wurde als Suppe und Eis
gegessen und sogar eine Polizistin hat ihn verspeist!
Faminta (Rechtsanwäntin, es bedeutet Hungernde) Sag mir genau wer, was, wann, wo, mit wem, aus
welchen Gründen gemacht hat?
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Sapo Puuuh! Ich schreibe Ihnen eine SMS, das geht schneller.
(eine Stunde später)
Faminta Hallo Sapo. Das Donau-Ofen Landgericht hat die mündlichen Verhandlungen für die beiden
Angeklagten – sowohl die Familie vom Gelb-Haus als die Polizistinnen - in Sachen “Grüne Suppe und
Eis” auf den morgigen Tag um 14.25 Uhr terminiert.
Sapo Auf Deutsch, bitte.
Faminta Der Prozess wird morgen um 5 vor halb drei im Donau-Ofen Landgericht stattfinden.
Sapo Supeeeer! Oh! Nein, Supper nicht. Aus gesundheitlichem Grund verwende ich dieses Wort nicht
mehr. Sehr gut, Frau Faminta, vielen Dank.
Faminta Herr Sapo, wir sehen uns morgen vor dem Gericht.
Sapo Wie vor dem Gericht? Was für ein Gericht, was wird gegessen?
Faminta Ich meine den Gerichtshof.
Sapo Puuuh! Ich habe schon angefangen zu schwitzen!
Faminta Ich kann Sie verstehen Herr Sapo, dass Sie transpirieren. Es ist ein sehr schwieriger Fall und
ich werde noch über die mögliche Höhe Ihres Schmerzensgeldanspruchs recherchieren.
Sapo Ahhh? Schmerzensgeld? Was ist das? Das Geld schmerzt.
Na ja, eigentlich das stimmt. Ich würde so gerne zahlen und meinen Freund zurück zu haben. Geld zu
haben und sich das Wichtigste damit nicht kaufen zu können, das schmerzt also, es tut weh!
Sehr philosophisch! Borboleta wäre stolz auf mich. Ich werde ihr eine SMS schreiben.
Übrigens Frau Dr.in Dr.in Dr.in Faminta, wie schreibt man philosophisch! Vogel V oder F faul?
Faminta Philosophisch schreiben wir mit ph.
Sapo Schon wieder mit PH. Hat man Vogel-V und F wie faul weggenommen?
Faminta Nein, sie sind nicht konfisziert. Es gibt aber andere Buchstaben die manchmal den gleichen
klang haben.
Sapo Nur um das Alphabet noch komplizierter zu machen.
Faminta Und wissen Sie wie man das Wort Alphabet schreibt?
Sapo Frau Faminta, das hätte ich nicht von Ihnen erwartet, nach so vielen Jahren an der Uni können
Sie nicht mal das Wort Alphabet schreiben?
Faminta Aber selbstverständlich! Und zwar mit ph!
Sapo Na gut, jetzt ist es scheinbar modisch, alles mit ph zu schreiben! Ich hoffe, dass das nur eine
Phase ist und kein langfristiges Phänomen.
Faminta Nur zur Erinnerung: Phase und Phänomen schreiben wir auch mit ph ... Aber zurück zum
Verfahren:Wir treffen uns morgen vor dem Gericht, auf Wiedersehen, Herr Sapo.
Sapo GerichtsHOOOOF! Ja, bis morgen!
Sapo spricht allein:
Muss diese Rechtsanwältin immer wieder vom Gericht sprechen? Das Ganze macht mich noch
hungriger! Ich schreibe an Borboleta darüber: Liebe Borboleta, es ist phix. Morgen werden wir die
Wahrheit erpharen! Und dein Lieblingsfrosch ist gerettet!
Das Telefon von Sapo klingelt.
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Sapo Borboleta, kannst du nicht schreiben?
Borboleta Ich habe gar nicht verstanden, was du geschrieben hast.
Sapo Du kannst auch nicht lesen! Hahahaha – ich mache es langsamer, ok? Es ist phix, ph i x!
Morgen werden wir die Wahrheit erpharen, er pha ren!
Borboleta Oh! Sapo, fix und erfahren ist mit F, bitte!
Sapo Morgen ist der wichtigste Tag meines Lebens und du kümmerst dich um ph, Vogel-V und F wie
Faul. Für mich gibt es nur P wie Problem, H wie Hunger, V wie verschwunden und F wie Frosch,
Punkt!
Borboleta Stimmt, Sapo. Entschuldige. Aber sage mir: Was wird da morgen passieren?
Frosch Ich habe die Frosch-FresserInnen angeklagt, die Familie des Gelb-Hauses und die Polizistin,
und morgen wird das Verhandlungsverfahren um 5 vor Halb drei im Donau-Ofen Landesgerichtshof
stattfinden. Und du bist von mir vorgeladen.
Borboleta Waaaaas? Du hast die Leute angeklagt? Mit welchem Beweismittel? Bist du verrückt?
Man kann nicht einfach so eine Person anklagen.
Frosch Oh! Grüner Gott! Das Tatbestandselement ist klar: diese Leute haben meinen Freund
gefressen und die müssen ins Gefängnis gehen. Im Kochgesetzbuch muss es einen Paragraphen
geben, der es verbietet Frösche zu kochen.
Borboleta Du hast es nicht gesehen, ob sie Froscho gekocht haben. Das ist nur deine Eitelkeit, weil
du es nicht akzeptierst, dass Froscho auch ein Leben außerhalb deiner Welt hat!
Borboleta geht weg, mit so einem Ausdruck „ich gebe auf“.
Frosch Der Froscho ist gerne mit mir zusammen, ich sage immer welches Spiel wir spielen werden,
wohin wir springen sollen, welches Lied wir singen werden. Also er muss einfach nur mitmachen, alles
anders mache ich. Wer wünscht sich nicht so einen Freund? Borboleta? Wo bist du?
Borboletaaaaaaaa komm heeeer!
Fünfte Szene – Ein Gericht, das keine Mahlzeit ist!
Der Verhandlungssaal ist voll, alle Tiere aus der Region und außerhalb der Region sind gekommen.
Sogar eine Internetseite für die online Transmission wurde eingerichtet.
Das Verhandlungsverfahren beginnt mit der Zeugenaussage.
Eichhörnchen Richterin Wie heißen Sie, wo wohnen Sie?
Katze 1 (Polizistin) Ich heiße Gata und wohne in der Capuccino Str. Tasse 1
Katze 2 (Polizist) Ich heiße Gato und wohne in der Milchgasse Str. 2 Liter
Eichhörnchen Was haben Sie in dem Gelben-Haus gegessen?
Katze 1 Wir haben eine sehr leckere grüne Suppe gegessen, danach noch ein unglaublich
geschmackvolles Eis.
Katze 2 Oh! Nur bei dem Gedanken daran läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Es war wirklich
lecker!
Eichhörnchen Welchen Geschmack hatten die Suppe und das Eis?
Katze 1 Ich habe keine Ahnung. Es war sehr appetitlich.
Katze 2 So was habe ich vorher nie gegessen, sehr lecker.
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Sapo Die PolizistInnen haben Froscho gegessen und fanden ihn lecker. Ja, ich habe keine Chance
mehr. Wer wird mich vermissen? Borboleta bestimmt ... Borboleta? Sie ist nicht hier? Das glaube ich
nicht, Borboleta, wo bist duuuuuuu?
Richterin Ruhe! Hier ist ein Gerichtsverfahren, kein Speiseverfahren und ich fordere absolute Ruhe!
Der Belastungszeuge kann kommen. Nehmen Sie Platz. Wie heißen Sie und wo wohnen Sie?
Sapo Ich heiße Sapo Schöngrün und wohne am Spielplatz „Am Damm" in Linz-Urfahr an der Donau
und habe einen zweiten Wohnsitz auf dem Froschberg.
Richterin Was haben Sie gesehen? Was ist passiert?
Sapo Diese Familie und die Polizistinnen haben meinen Freund Froscho als Suppe und Eis
gegessen. Ich fordere einen sicheren Platz für die Froschwelt. Wir können nicht so leben, ständig mit
der Bedrohung gefressen zu werden. Mein gesundheitlicher Zustand hat sich schon verschlechtert
und alle tun so, als wäre nichts passiert! Wo ist das Recht der Frösche dieser Stadt? Grünheit für Alle
fordere ich! Für all jene, die Grünheit verdienen, natürlich!
Richterin Warten Sie ab, ich werde noch die andere Angeklagte hören. Die Familie des gelben
Hauses kann hereinkommen und Sie, Herr Schöngrün, nehmen Sie bitte wieder Platz im Saal.
Richterin Wie heißen Sie?
Familie (Mutter, Vater und Kind): Wir heißen Familie. Ich heiße Fa, er heißt Mi und das Kind heißt Lie.
Richterin Haben Sie den Frosch Froscho gekocht?
Familie Wie bitte?
Richterin Sie haben meine Frage verstanden, antworten Sie.
Familie Wir essen keine Frösche.
Sapo Lügnerinnen!
Richterin Ruhe! Haben Sie eine grüne Suppe und ein grünes Eis gemacht?
Familie Ja, natürlich!
Richterin Aus welchen Zutaten waren die denn?
Familie Wir nutzen nur frische Bio- Zutaten, das Rezept ist von meiner Großmutter. Unglaublich, dass
es einen Verdacht gibt, dass wir Frosch essen. Wir essen jede Woche grüne Suppe und Eis.
Sapo Jede Woooooche? Ich dachte, es wäre das erste Mal.
Deswegen kriege ich keine Freundin, es ist eh klar.
Diese Familie hat die ganzen Frosch-Girls gekocht! Und jetzt sind die Frosch-Buben an der Reihe!
Wahnsinn!
Richterin Herr Sapo Schöngrün, Ruhe jetzt! Oder Sie werden von zwei Gorillas aus dem
Verhandlungssaal begleitet.
Sapo Frau Richterin, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Es ist nicht einfach ruhig zu bleiben
angesichts dieses ganzen kulinarischen Massakers!
Richterin Familie, was haben Sie gekocht, wenn es nicht der Frosch Froscho war?
Familie Ich habe schon gesagt, wir essen keinen Frosch! Unsere Suppe ist aus Brokkoli.
Sapo Was für ein Tier ist das?
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Familie Es ist kein Tier, es ist ein Gemüse! Es ist sehr lecker und ist besonders reich an Mineralstoffen wie Kalium, Calcium, Phosphor, Eisen, Zink und Natrium und Vitaminen wie B1, B2, B6, E und besonders Vitamin C und Provitamin A.
Sapo Na ja, klingt ja alles sehr wissenschaftlich.
Richterin Aus welcher Hauptzutat haben Sie das Eis gemacht?
Familie Das Eis war ein Basilikumeis mit Minze. Es ist sehr lecker und enthält auch viele Vitaminen.
Sapo Basilikumeis mit Minze? Ich habe nie davon gehört. Sie täuschen mich nicht. Was ist aus
meinem Freund geworden? Sagen Sie es sofooort!
Richterin Herr Sapo Schöngrün benehmen Sie sich und bleiben Sie ruhig.
Familie Wir haben noch Brokkoli-Suppe und Eis im Kühlschrank, wenn Sie wollen Frau Richterin,
kann jemand es abholen, hier haben sie den Schlüssel.
Richterin Das ist nicht nötig, weil unsere Verdachtskomission während des Verhörens schon ihr Haus
durchgesucht hat.
Sapo Und hat diese Verdachtskomission Froscho dort endlich gefunden?
Richterin Die Vertreterin der Verdachtskomission soll in den Verhandlungssaal kommen.
Urubu (Geier) – Verdachtskomission: Frau Richterin, wir haben alles im Gelben-Haus dieser Familie
durchgesucht und haben sowohl grüne Suppe als auch grünes Eis gefunden. Durch die ultramoderne
Technologie konnten wir bewiesen, dass die Suppe aus ...
Sapo Oh nein, aus meinem Freund Froscho!!!!
Richterin Ruhe! Weiter Frau Urubu!
Urubu Die Suppe ist aus ...
Frosch (kommt schnell ins Saal) Sapo, was ist los mit dir, hast du mich gerade gerufen? Geht es dir
gut? Ich habe dich heute den ganzen Tag am Ufer gesucht.
Urubu … aus Brokkoli und das Eis aus Basilikum mit Minze.
Sapo Oh! Nein, vor lauter Hunger habe ich gerade eine Halluzination! Mein Freund Froscho kommt
gerade hier rein. Was für einen katastrophalen Zustand habe ich gerade? Bitte rufen Sie den Notruf,
ich muss ins Krankenhaus, mir geht es schlecht.
Richterin Herr Schöngrün, Sie haben uns schon genug Probleme gebracht mit Ihrer falschen
Aussage. Wie Sie gehört haben hat die Familie Brokkoli-Suppe und Basilikumeis gemacht und ihr
Freund Froscho ist gerade vor Ihnen gesund aufgetaucht!
Herr Schöngrün, wie erklären Sie das jetzt?
Sapo Froscho, bist du es wirklich? Oder ist es jemand mit einem komischen Karnevalskostüm?
Froscho Auuuutiiii! Natürlich bin ich es!
Richterin Herr Schöngrün, wie erklären Sie uns Ihre Aussage, dass diese Familie den Froscho
gefressen haben?
Sapo Frau Richterin, es war doch logisch! Eine grüne Suppe, komische Tiere, der Froscho und der
Bock waren weg. Solche Geschichte lesen wir jeden Tag in der Zeitung. Mir war es ganz klar,
natürlich: Die Familie hat einfach meinen Freund gefressen, Punkt, Schluss, basta! Jetzt ist alles klar
und wir gehen einfach nach Hause und vergessen das Ganze. Passt schon ois.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, es war sehr unangenehmen Sie kennen zu lernen und nie auf
Wiedersehen!
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Froscho Frau Richterin, darf ich etwas sagen?
Richterin Moment! Herr Schöngrün, ich bin noch nicht fertig mit Ihnen. Herr Froscho, was wollen Sie
sagen?
Froscho Ich brauchte Frischluft von dir, Sapo, weiß du, du klebst an mir, du lässt mich nicht mitbestimmen, ich möchte meine Sachen selbst bestimmen, mich selbst dafür zu entscheiden, womit ich
spielen will oder nicht. Du hast immer meine Energie konsumiert, ich war satt von dir. Ich brauchte
Ruhe um mich selbst mehr kennen zu lernen. Ich war auf der anderen Seite des Ufers!
Sapo Wie bitte? Ich habe mir große Sorgen gemacht und du beschuldigst mich für dein Verschwinden? Du bist so ein schlechter Freund, ehrlich. Ich dachte du wärst gekocht, ich war schon ganz
verrückt, und du? Du stehst da als der coolste Frosch der Welt. Ich bin echt grün sauer auf dich.
Richterin Herr Schöngrün! Nehmen Sie sofort Platzt! Herr Froscho, sind Sie fertig?
Froscho Ja, danke sehr Frau Richterin.
Richterin Das Gericht zieht sich zurück, um das Verfahren zu schließen. Wir kommen in einer Stunde
zur Urteilsverkündung.
Froscho Take it easy Sapo. Das Leben ist so schön! Pass auf, ich möchte dir noch etwas sagen: Ich
habe Schmetterlinge im Bauch!
Sapo Oh nein! Meine arme Borboleta!
Froscho Es ist so ein schönes Gefühl!
Sapo Du, Froscho, schäm dich! Du hast Borboleta gefressen und strahlst vor Stolz!? Unglaublich!
Frau Richterin, sehen Sie es nicht? Froscho hat Borboleta gefressen, Sie müssen etwas
unternehmen!
Froscho Was? Glaubst du, dass ich einen Schmetterling gefressen habe? Hahahaha. Weißt du nicht
was das ist, wenn man Schmetterlinge im Bauch hat?
Sapo Das ist bestimmt Borboleta.
Oh! Nein, die so farbenvolle, leicht geschminkte, parfümierte Borboleta.
Das hätte ich nie von dir erwartet.
Froscho Natürlich habe ich Borboleta nicht gefressen und auch keine anderen Schmetterlinge
Ich bin einfach verliebt!
Sapo Du bist waaaas? Welche Krankheit ist das? Ist es ansteckend?
Froscho Ja, ich hoffe, dass es ansteckend ist! Es ist wunderschön, Sapo! Unbeschreiblich!
Wenn wir verliebt sind, denken wir nur an unsere Liebe.
Sapo Er ist wirklich krank, der Arme!
Froscho Als ich Zeit hatte mich besser kennenzulernen, habe ich meine große Liebe getroffen.
Es tut mir leid, dass ich dir vorher keine SMS geschrieben haben, ich habe mein Handy ausgeschaltet,
das Wichtigste war schon bei mir, was wollte ich noch.
Sapo Was könnte noch wichtiger sein als meine Gesellschaft?
Sechste Szene – „Das geschmackvolle Urteil“
Richterin Zur Urteilsverkündung!
Herr Sapo Schöngrün, gemäß Paragraph 123 des Kochgesetztbuches durch den AmstkochgerichtsOfen verurteilt und schuldig gesprochen, in Sache der Diffamierung. Die Familie hat nur Brokkoli
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Suppe und Basillikumeis mit Minze gemacht. Herr Sapo Schöngrün, Sie haben Gerüchte über diese
Familie erzählt, Sie haben auf Grund Ihrer Fantasie Leute in Gefahr gesehen. Niemand hat das Recht
andere Person schlecht zu machen! Als Strafe müssen Sie sowohl eine Brokkoli Suppe als auch
Basilikumeis für den ganzen Verhandlungssaal vorbereiten!
Sapo Wie bitte? Es war ein Missverständnis. Es war nicht böse gemeint. Diese Familie ist eh nett und
fleißig. Nur die Situation war für mich sehr deutlich.
Richterin Sie sind schuldig gesprochen und müssen die Strafe zahlen und zwar sofort.
Die Verhandlung ist beendet.
Sapo Es ist unfair. Ich fühle mich falsch verstanden! Es muss ein anderes Ende geben. Ich bin nicht
schuldig und ich kann diese Strafe auch nicht zahlen, ich kann nämlich gar nicht kochen.
Lie (das Kind der Familie) Komm Herr Sapo, ich mache die Suppe und das Eis mit Ihnen. Aber vorher
sollten Sie noch diese Köstlichkeit probieren.
Sapo Schon wieder etwas Grünes? Nein, danke. Ich bin schon traumatisiert. Welcher Frosch ist
dieses Keks geworden?
Lie Es ist aus Kürbiskernen und ist sehr lecker.
Froscho Hummmm! Darf ich das Keks probieren?
Borboleta Ich möchte auch!
Sapo Borboleta? wo warst du denn?
Borboleta Die ganze Zeit da, aber du beschäftigst dich so sehr mit dir selbst, dass du die anderen
nicht gut sehen kannst.
Lie Herr Sapo, ich bereite das Essen mit Ihnen zu, wenn Sie wollen. Kommen Sie!
Sapo Du? Sicher? Kannst du überhaupt kochen? Wahrscheinlich willst du mich kochen, oder?
Froscho Sapo, du bist unmöglich! Wieso immer diese Vorurteile? Wieso bist du so verdorben?
Sapo Immer werde ich nur missverstanden .... geht einfach weg und lasst mich in Ruhe!
Froscho Sapo, sei nicht frostig! Geh zur Küche und hör auf zu jammern. Wir haben Hunger. Jede Art
von Hunger! Ich zum Beispiel habe Hunger auf Spielen an der Frischluft!
Lie Ich habe Hunger auf Musik!
Borboleta Ich habe Hunger auf Farben! Worauf hast du Hunger, Sapo?
Froscho Sapo hat Hunger auf Frosch-Suppe. Sie ist unschlagbar! ;)
Sapo Frosch-Suppe? Nein, danke! Ihr seid alle komisch mit euren Hungern! Lasst mich allein! Ich
gehe lieber zur Küche! Aber vorher sage ich doch. Ich habe Hunger auf Froschschaft: echte FroschFreundschaft!
Froscho Superrrrrrrrrrrrrrrr! Los zur Küche! Wir Allen haben mehrere Hunger! Wir haben Hunger auf
uns, auf Freundschaft, auf Farbe, auf Fantasie, auf Frosch-Suppe!
Ende
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