esfeb00 - Universität der Bundeswehr München

Transcription

esfeb00 - Universität der Bundeswehr München
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht:
Überlegungen zur Weiterentwicklung der Bundeswehr
Reiner K. Huber und Bernhard Schmidt
Institut für Angewandte Systemforschung und Operations Research
Fakultät für Informatik
Universität der Bundeswehr München
November 1999
Einleitung
Aus systemtheoretischer Sicht sind Streitkräfte demokratischer Staaten als Teilsysteme
der Gesamtgesellschaft zu sehen, deren Funktion darin besteht, die Sicherheit der
Gesellschaft gegen Bedrohungen von außen zu gewährleisten. Aufgabe der politischen
Führung ist es, dafür zu sorgen, dass die Ressourcen, die den Streitkräften hierfür zur
Verfügung gestellt werden, mit den Aufgaben, die sich den Streitkräften im Sinne ihrer
Funktion stellen, im Einklang stehen. Die Aufgabe der Verteidigungspolitik und der
Streitkräfteplanung besteht somit letztendlich darin, das Teilsystem „Streitkräfte“
jederzeit in einem Gleichgewichtszustand zu halten, der eine effiziente Erfüllung der
Aufgaben gewährleistet.
Der idealtypische Ansatz der Streitkräfteplanung zur Zeit des Kalten Krieges bestand
darin, ausgehend von der damals eindeutig definierten umfassenden Bedrohung die
Mittel und Strukturen zu bestimmen und der technischen und strategischen Entwicklung
kontinuierlich anzupassen, welche die nationalen Streitkräfte im Rahmen der
Aufgabenteilung im Bündnis bereitzustellen hatten, um der Sowjetunion das Risiko
einer Aggression gegen Mitglieder des Bündnisses inakzeptabel erscheinen zu lassen.
Man kann also von einem bedrohungsorientierten Planungsansatz sprechen, der darauf
abzielte, die Ressourcen zu ermitteln, die von der Gesellschaft bereitzustellen waren,
damit die Streitkräfte den ihnen gestellten Auftrag erfüllen konnten. Dieser beinhaltete
für die Bundeswehr im wesentlichen Landesverteidigung an den Grenzen der
Bundesrepublik zur DDR und Tschechoslowakei gemeinsam mit den westeuropäischen
Bündnispartnern, den USA und Kanada.
Im Rahmen dieses Auftrags hatte sich im Laufe der Jahre ein Gleichgewicht eingestellt,
das für das Teilsystem „Bundeswehr“ unter anderen durch folgende Parameterwerte
charakterisiert war:
• Friedensumfang: ca. 500.000 Soldaten, Verteidigungsumfang: ca. 1,2 Millionen;
•
•
Wehrpflicht: Anteil der Grundwehrdienstleistenden am Friedensumfang ca. 45
Prozent;
Höhe des Verteidigungshaushalts: ca. 19 Prozent des Bundeshaushalts, 3,3
Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP);
1
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
•
Durchschnittliche Ausgabenverteilung im Verteidigungshaushalt: 45 Prozent
Personal, 23 Prozent Materialerhaltung und sonstige Betriebsausgaben, 32
Prozent investive Ausgaben (davon 65 Prozent für Beschaffung, 30 Prozent für
Forschung, Entwicklung und Erprobung sowie 5 Prozent für Infrastruktur).
Mit der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Zusammenbruch der Sowjetunion
verschwand die Bedrohung der vergangenen vier Jahrzehnte. Der damit verbundene
Wunsch, die „Friedensdividende“ einzulösen, veranlaßte die meisten Mitglieder der
Atlantischen Allianz, ihre Verteidigungsausgaben mehr oder weniger zu reduzieren und
die Streitkräftestärken zu senken. In Deutschland machte außerdem die im Rahmen des
Zwei-plus-Vier-Vertrages zur Wiedervereinigung festgelegte Absenkung der
Obergrenze der Friedensstärke der deutschen Streitkräfte auf 370.000 Soldaten eine
Umstrukturierung der Streitkräfte erforderlich. Unbeschadet der dabei vorgenommenen
Unterscheidung nach kurzfristig verfügbaren Krisenreaktionskräften und teilpräsenten
und gekaderten Hauptverteidigungskräften, die dem an die veränderte
sicherheitspolitische und geostrategische Lage angepaßten strategischen Konzept des
Bündnisses von 1991 Rechnung trug, hat sich die Grundstruktur der Bundeswehr jedoch
nur wenig verändert. Denn die Hauptaufgabe der Bundeswehr wurde zumindest bisher
nach wie vor in der Landes- und Bündnisverteidigung in Mitteleuropa gesehen mit der
Begründung, dass die Möglichkeit einer erneuten umfassenden konventionellen
Bedrohung auf längere Sicht nicht ausgeschlossen werden könne.
Die Entwicklung seit 1990
Unbeschadet der Umfangsreduzierungen hätten sich daher im Sinne der Erhaltung des
gewachsenen Gleichgewichts die relativen Anteile der Ausgaben im
Verteidigungshaushalt nur wenig ändern dürfen. Dass dies jedoch nicht der Fall war,
verdeutlichen die Werte in Tabelle 1, welche die in den drei Hauptkategorien des
Haushalts je Soldat getätigten Ausgaben in den Jahren 1989, 1999 und im Mittel des
vergangenen Jahrzehnts in Preisen von 1999 wiedergibt. Man sieht, dass die Ausgaben
insgesamt im Vergleich zum Jahr 1989, das bezüglich der Ausgabenverteilung als
repräsentativ für die vorausgegangenen 20 Jahre gelten kann, zwar geringfügig um etwa
zwei Prozent zugenommen haben; jedoch sind die je Soldat getätigten
Personalausgaben um mehr als 20 Prozent unverhältnismäßig angestiegen, die für
Materialerhaltung und sonstigen Betrieb um nahezu 10 Prozent. Demgegenüber sind die
investiven Ausgaben im Mittel um 23 Prozent gesunken. Damit ist eine kontinuierliche
Erneuerung und Modernisierung der Ausrüstung wie in der Vergangenheit nicht mehr
gewährleistet. Gemessen an der heutigen Friedensstärke der Bundeswehr errechnet sich
das bisher aufgelaufene Investitionsdefizit zu mehr als 30 Milliarden DM.
Die Gründe für das vergleichsweise starke Anwachsen der Personalausgaben dürften
zum einen darin zu sehen sein, dass die Reduzierung des Friedensumfangs der
Bundeswehr um mehr als 30 Prozent (von 489.000 Soldaten im Jahre 1989 auf 335.000
im Jahre 1999) höher besoldete Dienstposten weniger stark betraf. Auch wurde das
vergleichsweise teure Zivilpersonal der Bundeswehr seit 1989 nur um 20 Prozent (von
167.000 auf derzeit 137.000) reduziert. Zum anderen lagen die Besoldungserhöhungen
in der Mehrzahl dieser Jahre über den Inflationsraten. Die Betriebskostenerhöhungen
pro Soldat sind vermutlich nicht nur eine Folge der mit Auslandseinsätzen verbundenen
höheren Nutzungsintensität des Geräts, sondern auch des massiven Rückgangs der
investiven Ausgaben für Beschaffung neuen Geräts und des damit verbundenen
2
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
zunehmenden Alters des vorhandenen
Instandsetzungskosten mit sich bringt.
Tabelle 1:
Geräts,
das
höhere
Wartungs-
und
Verteidigungsausgaben pro Soldat [DM] in Preisen von 1999*
Jahr
Kategorie
Personal
Betrieb
Investitionen
Gesamt
Ausgaben [DM]
1989
1999
58.876
31.192
43.453
133.521
71.096
34.167
36.573
141.836
Mittel
1990-1999
69.420
33.353
33.472
136.245
Änderung seit 1990 [%]
Mittel
1999
1990-1999
+20,8
+17,9
+9,5
+6,9
-15,8
-23,0
+6,2
+2,0
* Die jährliche Inflationsrate lag im Mittel der Jahre 1989-1999 bei 2,2 Prozent.
Diese Zahlen belegen, dass der Zustand der Bundeswehr im Hinblick auf ihre als
Hauptaufgabe geltende Landes- und Bündnisverteidigung erheblich aus dem
Gleichgewicht geraten ist. Für eine effiziente Wahrnehmung dieser Aufgabe ist die
Bundeswehr gemessen an ihrer Größe unterfinanziert.
Spätestens seit dem Gipfeltreffen der Allianz in Madrid im Juli 1997, auf dem Polen,
die Tschechische Republik und Ungarn zu Verhandlungen über ihren NATO-Beitritt
eingeladen wurden, stellte sich aber die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, durch eine
weitere Reduzierung der Friedensstärke der Bundeswehr das Gleichgewicht
zurückzugewinnen und durch erhöhte investive Ausgaben sicherzustellen, dass eine
wenngleich kleinere, aber dafür hochmobile, und mit den Streitkräften der
Bündnispartner interoperable Bundeswehr an der Bündnisverteidigung teilnehmen
kann, sollte diese in der Zukunft wieder relevant werden.
Diesbezüglichen Überlegungen unseres Instituts (vgl. die Beiträge „Kostenneutrale
Erweiterung der NATO nach Osten?“ in der Ausgabe 6/97 dieser Zeitschrift sowie
„Erneute Umfangsreduzierung der Bundeswehr: Ein Ausweg mit anderen Risiken?“ in
der Zeitschrift Wehrtechnik 8-9/97) begegnete die Bundeswehrführung unter anderem
mit dem Hinweis, dass die Annahme, die mit weiteren Umfangsreduzierungen
erzielbaren Einsparungen an Personalausgaben könnten der Erhöhung der investiven
Ausgaben im Verteidigungshaushalt zugute kommen, völlig an der haushaltspolitischen
Realität vorbeigingen. Wie weit aber das Festhalten an Umfang und Struktur ohne
Aussicht auf eine substantielle Erhöhung des Verteidigungshaushalts die Bundeswehr
bereits von ihren wichtigsten Verbündeten entfernt hat, wird bei Betrachtung von Bild 1
deutlich, das die auf die Anzahl an Soldaten bezogenen Ausgaben in den drei
Hauptkategorien der Verteidigungshaushalte Deutschlands und Großbritanniens von
1998 im Vergleich zu den USA zeigt. Man sieht, dass Deutschland nur bei den
Personalausgaben an die beiden Bündnispartner heranreicht, obwohl deren Streitkräfte
aus Freiwilligen bestehen. Die investiven Ausgaben je Soldat lagen bei weniger als
einem Drittel dessen, was die USA und Großbritannien in diesem Jahr aufgewendet
haben, die Betriebsausgaben bei 29 Prozent der Ausgaben der USA und 38 Prozent der
Ausgaben Großbritanniens. Selbst wenn man die globale Rolle der USA und den
größeren Anteil der kapitalintensiveren Luft- und Seestreitkräfte in den Armeen dieser
beiden Länder in Rechnung stellt, so geben diese Zahlen Anlaß zu der im KosovoEinsatz weitgehend bestätigten Vermutung, dass die Bundeswehr nicht nur im Hinblick
auf die Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung, sondern insbesondere auch
angesichts der neuen Aufgaben der Krisenreaktion weit von einem Gleichgewicht
3
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
entfernt ist, zumal sie gewisse Fähigkeiten hierfür erst noch aufbauen und vorhandene
verbessern muß (vgl. hierzu die Rede des Bundesministers der Verteidigung an der
Führungsakademie der Bundeswehr vom 8. September 1999). Laut einer Meldung der
Süddeutschen Zeitung haben Piloten der deutschen Luftwaffe unlängst auf einer
Fachtagung den technischen Rückstand deutscher Kampf- und Transportflugzeuge
gegenüber denen der Alliierten und die mangelnde Sensibilität der politischen und
militärischen Führung für die seit Jahren bekannten Mißstände beklagt (Süddeutsche
Zeitung, Nr. 270, S.8, 22. November 1999). In einem Interview in der gleichen Zeitung
am 3. März 1999 stellte der Inspekteur des Heeres fest, dass die derzeitige Struktur der
deutschen Landstreitkräfte es nicht erlaube, mehr als 7.300 Soldaten gleichzeitig auf
dem Balkan einzusetzen.
Relation zu US-Ausgaben
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0
gesamt
USA
Investitionen
Großbritannien
Betrieb
Personal
Deutschland
Bild 1: Ausgaben pro Soldat in den Streitkräften Großbritanniens und Deutschlands relativ zu
den Ausgaben der USA (1998)
Die neuen Aufgaben erfordern einen neuen Planungsansatz
Die neuen Aufgaben des Bündnisses finden ihren Niederschlag im neuen strategischen
Konzept des Bündnisses, das anläßlich des Gipfeltreffens der Staats- und
Regierungschefs der NATO im April 1999 in Washington beschlossen wurde. Sie
werden unter dem Begriff „Krisenbewältigung“ subsumiert und fallen in der Mehrzahl
nicht unter Artikels 5 des NATO-Vertrages. Krisen in diesem Sinne sind nicht nur das
Resultat von Menschen initiierter, Sicherheit und Frieden gefährdender Aktionen,
sondern auch Naturkatastrophen, die beide mehr oder weniger häufig und zufällig
auftreten. Dies verdeutlicht der im Jahre 1995 vom US Army Center of Military History
veröffentlichte, nach seinem Autor benannte Sherwood-Report, in dem die wesentlichen
Daten aller seit 1989 vom amerikanischen Heer durchgeführten “Operations-other-thanWar” zusammengestellt sind. Ihre Analyse hat gezeigt, dass die Zeitdauer zwischen
dem Auftreten von Ereignissen, die Anlaß für derartige Operationen waren, sowie
Umfang und Dauer der Operationen als Zufallsgrößen aufgefaßt werden können, deren
4
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Eintreten durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschreibbar ist. Wenngleich meist in
einer anderen Größenordnung, ist der Streitkräfteeinsatz zur Krisenbewältigung daher
hinsichtlich seiner Natur eher mit Notfalleinsätzen von Rettungsdiensten oder der
Polizei zu vergleichen. Diese erledigen Anforderungen meist in der Reihenfolge ihres
Eingangs bis ihre Kapazitäten ausgelastet sind. Bei gleichzeitigen Anforderungen, deren
Erledigung die Kapazitätsgrenzen überschreiten würden, wird über den Einsatz auf der
Grundlage von Prioritäten entschieden.
Diesen Gegebenheiten wird der deterministische Ansatz der traditionellen
bedrohungsorientierten Streitkräfteplanung nicht mehr gerecht. Es bedarf eines neuen
Ansatzes, der sich zwar an den Kapazitäten orientiert, die zur Abdeckung der
Grundbedürfnisse der Landes- und Bündnisverteidigung für notwendig erachtet werden,
aber dem zufallsbedingten Charakter des Auftretens und der Dauer von Krisen ebenso
Rechnung trägt wie den Prioritäten bei der Beteiligung an Einsätzen zur
Krisenbewältigung, die unter dem Aspekt der Politikfähigkeit zur Wahrnehmung von
nationalen und Bündnisinteressen von der politischen Führung zu definieren sind. Die
Ergebnisse von Rechenexperimenten, die auf der Grundlage von aus dem SherwoodReport abgeleiteten Wahrscheinlichkeitsverteilungen an einem Simulationsmodell
durchgeführt wurden, verdeutlichen beispielhaft das Potential kapazitätsorientierter
stochastischer Planungsansätze für die künftige Streitkräfteplanung (siehe Cherry,
Huber, Hodgson: Planning the Ground Force for Operations in the Post-Cold War Era:
A Systems Analysis Approach. In: Reiner K, Huber/Hans W. Hofmann (Eds.): Defense
Planning for the 21st Century: Issues, Approaches, Models, Nomos-Verlagsgesellschaft,
Baden-Baden, 1999, S.157-166).
Im übrigen finden Ansätze einer kapazitätsorientierten Planung, die das verfügbare
Budget als Variable behandeln, in den USA schon seit geraumer Zeit Anwendung.
Diese sind insbesondere auch dazu geeignet, Gleichgewichtszustände für Streitkräfte im
Dialog mit den politisch Verantwortlichen auszuloten. Beispielhaft sei hierzu auf Bild 2
hingewiesen, das auf den Ergebnissen von Studien beruht, die zu Beginn der neunziger
Jahre unter der Bezeichnung Quicksilver als Beitrag zu den Entscheidungsgrundlagen
über Umfang und Struktur des amerikanischen Heeres durchgeführt wurden. Das
Diagramm zeigt die aus einer Vielzahl von Simulationsexperimenten aggregierten
Zusammenhänge zwischen Modernisierungsgrad und Personalumfang jeweils für
unterschiedliche “Warfighting Capability Levels” (WCL), die am Ausgang der
Experimente bemessen sind und damit im Sinne von unterschiedlich anspruchsvollen
Aufgaben interpretiert werden können. Der “Normalized Level of Modernization”
spiegelt das Niveau der investiven Ausgaben wider, die Budgetlinien das Niveau der
insgesamt verfügbaren Haushaltsmittel des amerikanischen Heeres und deren Steigung
die Austauschrate zwischen investiven und Betriebsausgaben. Die Punkte, in denen die
Budgetlinien die WCL-Isoquanten berühren, stellen Gleichgewichtspunkte hinsichtlich
der Ausgabenverteilung im Sinne einer effizienten Realisierung der WCL dar (vgl.
hierzu Bonder: Defense Planning in the New Global Security Environment. Army,
Vol.46, No.8, August 1993). Welche WCL notwendig sind, um außen- und
bündnispolitisch handlungsfähig zu bleiben, muß die politische Führung entscheiden.
Die dargestellten Zusammenhänge verdeutlichen nicht nur die Abhängigkeit des
Gleichgewichtspunktes von Auftrag und verfügbaren Haushaltsmitteln, sondern
beinhalten auch eine wesentliche Information, um ausloten zu können, in welchen
Umfang Aufgaben aufgegeben werden müssen, um Sparauflagen zu erfüllen, oder ob
5
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
die Erfüllung von Sparauflagen im Sinne der Politikfähigkeit nicht kontraproduktiv sein
könnte.
Bild 2: Force Structure and Modernization Tradeoffs (Bonder 1993)
Zum Umfang des investiven Ausgabenanteils
Es bedürfte ähnlicher, alle Teilstreitkräfte einbeziehender Untersuchungen, um
herauszufinden, ob der investive Anteil der Verteidigungsausgaben von etwas über 30
Prozent, der sich in der Vergangenheit als Gleichgewichtswert für die Bundeswehr
eingependelt hatte, auch im Hinblick auf die technische Entwicklung und die neuen
Aufgaben effizient ist. Ohne den Ergebnissen solcher Untersuchungen vorgreifen zu
wollen läßt sich aber aufgrund theoretischer Überlegungen feststellen, dass der investive
Anteil mit Abnahme des Streitkräfteumfangs eher wachsen als sinken sollte.
Hierzu sei auf Bild 3 verwiesen, das in qualitativer Form die Abhängigkeit der für eine
kontinuierliche Modernisierung von Streitkräften erforderlichen investiven Ausgaben
vom Friedensumfang der Streitkräfte und vom Grad der Aufwuchsfähigkeit
verdeutlicht. Dabei werden vier Ausgabenkategorien unterschieden. Die der Kategorien
A (Forschung, Entwicklung und Erprobung) und B (Systementwicklung und
Fertigungsvorbereitung) sind weitgehend unabhängig vom Streitkräfteumfang.
Ausgaben der Kategorien C (sonstige Investitionen) und D (Beschaffung von
Wehrmaterial und militärische Anlagen) sind umfangsabhängig, wobei die Preise für
Beschaffungsgüter mit abnehmendem Streitkräfteumfang wegen geringerer
Beschaffungsumfänge im allgemeinen steigen.
Die These, dass mit Abnahme des Streitkräfteumfangs der investive Haushaltsanteil
eher zunimmt, ist in erster Linie in den umfangsunabhängigen Sockelbeträgen der
Kategorien A und B begründet. Natürlich könnte man durch zumindest teilweisen
Verzicht auf Forschung und Entwicklung diese Sockelbeträge abbauen. Ob sich dadurch
aber die investiven Ausgaben entscheidend verringern ließen, ist keineswegs sicher. Im
Gegenteil, der Verzicht auf Forschung und Entwicklung bedeutet gleichermaßen
6
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Verzicht auf „Know-how“, was ineffiziente Beschaffungsentscheidungen und damit
höhere Beschaffungs- und Betriebskosten zur Folge haben kann. Darüber hinaus hätte
der Verzicht auf Forschung und Entwicklung ebenso wie auf eigene Fertigung eine
nicht unerhebliche indirekte Steigerung der investiven Ausgaben dadurch zur Folge,
dass Arbeitsplätze und damit Steuereinnahmen verloren gingen. Der direkte und
indirekte Steuerrückfluß aus heimischer Forschung, Entwicklung, Erprobung und
Beschaffung ist mit 60-70 Prozent zu veranschlagen.
Erforderliche
investive
Ausgaben
Aufwuchsfähigkeit
D: Militärische Beschaffung und Anlagen
C: Sonstige Investitionen
B: Systementwicklung und Fertigungsvorbereitung
FEE
A: Forschung, Entwicklung und Erprobung
von Versuchsmustern und Technologieträgern
Streitkräfteumfang
Bild 3: Erforderliche investive Ausgaben in Abhängigkeit vom Streitkräfteumfang (nicht
maßstabsgetreu)
Strukturelle Grenzen des Krisenreaktionspotentials von Streitkräften
Die Begrenzung, die sich für das Krisenreaktionspotential der Bundeswehr als
Wehrpflichtarmee ergibt, wurde im Heft 10/98 dieser Zeitschrift anhand eines
analytischen Modells des Zusammenhangs zwischen dem Krisenreaktionspotential des
Heeres für Einsätze, die nicht unter Artikel 5 des NATO-Vertrages fallen, und dem
Anteil an Grundwehrdienstleistenden, die nur auf der Grundlage von Freiwilligkeit und
einer Verlängerung ihrer Wehrdienstzeit auf bis zu 23 Monate an derartigen Einsätzen
teilnehmen dürfen, dargelegt (Huber, 1998).
Bild 4 zeigt diesen Zusammenhang in Form des Vielfachen des
Krisenreaktionspotentials, welches das deutsche Heer unter Veränderung des
Wehrpflichtigenanteils bei gleichbleibendem Friedensumfang im Vergleich zu heute im
7
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Einsatzraum unterhalten könnte unter dem Vorbehalt, dass Organisationsstruktur,
Ausrüstung und Ausbildung den Anforderungen derartiger Einsätze genügen. Der
Grund für den mit abnehmendem Wehrpflichtigenanteil starken Anstieg des
Krisenreaktionspotentials liegt darin, dass zunehmend mehr Längerdiener bzw.
Einsatzverbände von der Ausbildung der Grundwehrdienstleistenden entbunden werden
können und für Krisenreaktionseinsätze zur Verfügung stehen.
Bild 4: Relative personelle Kapazität für Einsätze im internationalen Krisenmanagement in
Abhängigkeit vom prozentualen Anteil der Grundwehrdienstleistenden (GWDL) bei
gegebener Gesamtstärke der Streitkräfte
Natürlich ist ein Festhalten an der Friedensstärke bei Absenken des Anteils der
Grundwehrdienstleistenden aus Kostengründen weitgehend ausgeschlossen, weil dies
nur über eine Erhöhung des Anteils der Längerdiener und damit höhere
Personalausgaben zu erreichen wäre. Allerdings besagt der in Bild 4 dargestellte
Zusammenhang
auch,
dass
die
Friedensstärke
ohne
Einbusse
an
Krisenreaktionsfähigkeit reduziert werden kann, wenn gleichzeitig der Anteil der
Grundwehrdienstleistenden entsprechend verringert wird. Eine merkliche Absenkung
des Wehrpflichtigenanteils ist unter Wahrung der Wehrgerechtigkeit aber nur über eine
entsprechende Reduzierung der Dauer des Grundwehrdienstes zu erreichen. In diesem
Fall könnte jedoch sehr wahrscheinlich nicht mehr an der heute im Heer üblichen
Ausbildung der Grundwehrdienstleistenden in den Einsatzverbänden festgehalten
werden, was den Aufbau spezieller Ausbildungsverbände erfordern würde. In diesem
Zusammenhang sei auf den von Hans-Dieter Lemke verfaßten Bericht der Stiftung
Wissenschaft und Politik „Bundeswehr 2010 – Aktuelle Sachzwänge und ihre Folgen”
8
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
vom August 1999 hingewiesen, in dem der hier gezeigte Zusammenhang zwischen
Krisenreaktionspotential und Wehrpflichtigenanteil anhand eines anderen Modells
bestätigt wird.
Dass außerdem die Truppenstruktur für Krisenreaktionseinsätze geändert werden muß,
unterstreicht das eingangs erwähnte SZ-Interview mit dem der Inspekteur des Heeres, in
dem er die Grenze mit dem Einsatz von 7.300 Soldaten in Bosnien und im Kosovo
erreicht sah, obgleich diese gemäß dem obigen Modell um bis zu 50 Prozent höher
anzusetzen wäre. Das liegt daran, dass die auf Landes- und Bündnisverteidigung in
Mitteleuropa ausgelegte Heeresstruktur in nur vergleichsweise geringem Umfang über
präsente Unterstützungskräfte verfügt, die für Krisenreaktionseinsätze im Frieden
unentbehrlich sind. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Logistik sowie des
Fernmelde- und Sanitätswesens. Sicher ist diesen Mängeln in beschränktem Umfang
durch organisatorische Maßnahmen beizukommen. Eine signifikante Erhöhung des
Krisenreaktionspotentials ist aber nur über eine Umstrukturierung in Verbindung mit
der Reduzierung des Anteils der Grundwehrdienstleistenden, insbesondere beim Heer,
oder längerfristig der Aussetzung der Wehrpflicht zu erreichen. Dies wiederum hätte
nicht nur Auswirkungen für die Aufwuchsfähigkeit und den Verteidigungsumfang der
Bundeswehr, sondern auch für die Rekrutierung von Freiwilligen.
Verteidigungsumfang und Rekrutierungsbedarf der Freiwilligenarmee
In dem genannten Bericht weist Hans-Dieter Lemke darauf hin, dass der
Verteidigungsumfang bei Festhalten an der Wehrpflicht grundsätzlich kein Problem
darstellt, jedoch die Aufwuchsfähigkeit bzw. Aufwuchsgeschwindigkeit eine Frage des
Ausbildungsstandes der Reservisten und daher der Dauer des Grundwehrdienstes ist.
Aus diesem Grunde lehnt er eine weitere Reduzierung der Dauer des
Grundwehrdienstes ab und plädiert damit implizit für die Erhaltung des derzeitigen
Friedensumfangs und damit letztlich für eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts,
weil nur dann die auch von ihm als dringlich betrachtete Modernisierung der
Bundeswehr möglich wird.
Bei unverändertem oder gar weiter reduziertem Haushalt ist eine Modernisierung jedoch
nur über eine Reduzierung des Friedensumfangs zu realisieren. Diese wiederum muß im
Sinne der Wehrgerechtigkeit von einer Verkürzung der Grundwehrdienstdauer begleitet
werden, wenn – wie oben dargelegt – die Krisenreaktionsfähigkeit im Zuge der
Reduzierung des Friedensumfangs nicht beeinträchtigt werden soll. Die
Krisenreaktionsfähigkeit könnte bei Aussetzung der Wehrpflicht rein rechnerisch
beträchtlich gesteigert werden, jedoch ist der maximal mögliche Verteidigungsumfang
von Freiwilligenstreitkräften mehr oder weniger begrenzt. Er hängt im wesentlichen von
der Anzahl jährlich aus dem Dienst ausscheidender Soldaten und ihrer
Verwendbarkeitsdauer als Reservisten ab. Die Anzahl jährlich ausscheidender Soldaten
ist abhängig von der Personalstruktur der Freiwilligenstreitkräfte und den mittleren
Dienstzeiten in den Dienstgradgruppen, insbesondere der Soldaten auf Zeit.
Demgegenüber stellt die Aufwuchsgeschwindigkeit bei Freiwilligenstreitkräften ein
vergleichsweise geringeres Problem dar, weil es sich bei den Reservisten um ehemalige
Zeitsoldaten (SaZ) mit mindestens zweijähriger Dienstzeit handeln würde.
9
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Tabelle 2:
Verteidigungsumfang
als
Vielfaches
der
Freiwilligenstreitkräften bestehend aus SaZ und BS
Verwendbarkeit
von
Annahme
der Reservisten Anteil SaZ
0,75
10 Jahre
0,85
0,75
14 Jahre
0,85
Annahmen:
Friedensstärke
A
B
C
1,77
1,89
2,15
2,33
1,70
1,82
2,06
2,23
1,63
1,75
1,97
2,12
A
B
C
0,1
0,3
0,5
0,15
0,35
0,5
0,2
0,4
0,4
Relativer Anteil am Umfang:
Fall
Gruppe
Offiziere
Unteroffiziere
Mannschaften
Mittlere Dienstzeit von SaZ:
- Offiziere
12 Jahre
- Unteroffiziere
7 Jahre
- Mannschaften 4 Jahre
Tabelle 2 zeigt die errechneten Werte des Verteidigungsumfangs von
Freiwilligenstreitkräften in Form des Vielfachen des Friedensumfangs für
unterschiedliche Annahmen über die Verwendbarkeit der ausscheidenden SaZ als
Reservisten sowie für unterschiedliche Fälle bezüglich des Anteils der SaZ in den
Streitkräften und der relativen Stärke der SaZ-Dienstgradgruppen der Offiziere,
Unteroffiziere und Mannschaften, deren mittlere Dienstzeiten mit 12, 7 und 4 Jahren
angenommen wurden.
Geht man von einer durchschnittlichen Dauer der Verwendbarkeit ausgeschiedener
Zeitsoldaten von 10 Jahren aus, dann zeigt sich, dass unter Maßgabe der Annahmen der
Fälle A und B und eines SaZ-Anteils von 85 Prozent der Verteidigungsumfang von
Freiwilligenstreitkräften – vorbehaltlich ihrer Finanzierbarkeit – selbst ohne
Wiedereinführung der Wehrpflicht durchaus mit dem für die Bundeswehr heute
geplanten vom 1,94-fachen des Friedensumfangs vergleichbar ist. Nähme man die
Dauer der Verwendbarkeit mit 14 Jahren an, dann ließe sich in allen Fällen ein
Verteidigungsumfang erreichen, der über dem heute geplanten läge. Das
Durchschnittsalter von Mannschaftsdienstgraden der Reservisten wäre in beiden Fällen
unter 30 Jahren. Neunzig Prozent wären jünger als 35 Jahre, was in Schweden als
Grenze zum Einsatz in den vorne dislozierten Kampftruppen gilt.
Dass eine Verwendbarkeitsdauer von über 10 Jahren nicht unrealistisch ist, zeigen die in
Tabelle 3 aufgeführten Werte der Anzahl benötigter Jahrgänge ausscheidender SaZ
und/oder Wehrpflichtiger, die sich zur Gewährleistung des geplanten
Verteidigungsumfangs der Streitkräfte Schwedens, Norwegens und Großbritanniens
errechnen. Allerdings ist das Reservistenpotential dieser Länder bei Aufwuchs auf den
Verteidigungsumfang weitgehend ausgeschöpft, während die heutige Bundeswehr für
ihren Aufwuchs nur etwa 23 Prozent der Reservisten (einschließlich Ersatzreserve)
10
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
benötigt, die bei einer Verwendungsdauer von 14 Jahren zur Verfügung stünden, oder
32 Prozent bei einer Verwendungsdauer von 10 Jahren.
Tabelle 3:
Ausgewählte Streitkräftedaten 1998
Verteidigungshaushalt [Mrd. US $]
Friedensstärke
Wehrpflichtige
Reserven
Reserveverwendung [Lebensjahr]
Mittl. Dauer GWD [Monate]
Anzahl der durch Aufwuchs durchschnittlich notwendigen Jahrgänge
Ausgaben/Soldat (F) [US $]
Ausgaben/Soldat (V) [US $]
1
2
Schweden
Norwegen
Großbritannien
Deutschland
4,6
53.100
34.900
570.000
47
10
3,2
28.900
16.500
234.000
44
12
37,2
210.940
376.300
?
-
25,8
334.500
137.500
315.000
10
151
161
12-142
3,21
81.000
7.382
110.100
12.172
176.400
63.347
77.100
39.723
Unter der Annahme, dass 90% der Wehrpflichtigen verfügbar sind.
Annahmen wie in Tabelle 2 (Fall C); obere Grenze für SaZ-Anteil von 75%, untere für 85%.
Im Gegensatz zur Auffassung von Lemke, der den Verteidigungsumfang der
Freiwilligenarmee auf maximal das 1,32-fache des Friedensumfangs beziffert, ist somit
bei Übergang zu Freiwilligenstreitkräften ein hinreichender Verteidigungsumfang
gewährleistet, zumal in Zukunft aufgrund der technischen Entwicklung weniger die
Größe des Verteidigungsumfangs der Bundeswehr als ihre Interoperabilität mit den
Streitkräften der wichtigsten Bündnispartner für die Fähigkeit zur Landes- und
Bündnisverteidigung ausschlaggebend sein dürfte. Probleme könnte es jedoch bei der
Rekrutierung von Freiwilligen geben. Denn so wünschenswert eine hohe jährliche
Ausscheidequote im Sinne der Aufwuchsfähigkeit ist, so problematisch kann sie für die
Rekrutierung werden.
Derzeit scheiden jährlich 10,68 Prozent der etwa 200.000 Berufs- und Zeitsoldaten (BZ)
aus dem aktiven Dienst der Bundeswehr aus (Lemke, S.23). Unterstellt man eine
durchschnittliche Ausfallquote (Ausbildung, Krankheit) von 10 Prozent, dann errechnet
sich der jährliche Ergänzungsbedarf für BZ zu etwa 24.000. Davon werden nach
Aussagen der Bundeswehr etwa die Hälfte im Laufe ihres Grundwehrdienstes
gewonnen, so dass der externe jährliche Rekrutierungsbedarf heute bei etwa 12.000
anzusetzen ist.
Demgegenüber errechnen sich für die Fälle, die bei der obigen Abschätzung des
möglichen Verteidigungsumfangs von Freiwilligenstreitkräften unterschieden wurden,
die jährlichen Ausscheidequoten der BZ zu 20,1 Prozent für Fall A, 18,75 Prozent für
Fall B und 17,38 Prozent für Fall C. Unter Annahme einer Ausfallquote von 10 Prozent
ist somit der jährliche Rekrutierungsbedarf von Freiwilligenstreitkräften bei bis zu 22
Prozent des Friedensumfangs anzusetzen. Das bedeutet beispielsweise, dass
Freiwilligenstreitkräfte mit einem Friedensumfang von 240.000 jährlich zwischen
48.000 und 53.000 Freiwillige rekrutieren müßten. Mit anderen Worten, der
Rekrutierungsbedarf würde sich im Vergleich zu heute mindestens vervierfachen.
11
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Denkbare Optionen der Weiterentwicklung
Um beispielhaft Hinweise für die Gestaltung der Rahmenbedingungen eines
längerfristig angelegten Umbaus der Bundeswehr abzuleiten, werden ohne
Unterscheidung nach Teilstreitkräften zehn Fälle von Zuständen der Bundeswehr im
Hinblick auf ihr Krisenreaktionspotential und die Aufteilung der Haushaltsmittel
untersucht. Die Fälle unterscheiden sich hinsichtlich des Friedensumfang, der
Personalstruktur und Dauer des Grundwehrdienstes, des real (auf das Jahr 1999
bezogen) verfügbaren bzw. erforderlichen Umfangs des Verteidigungshaushalts sowie
der geschätzten zeitlichen Realisierbarkeit (kurz-, mittel- und längerfristig). Allen
Fällen liegen die von Lemke benutzten durchschnittlichen jährlichen Kosten pro
Dienstposten (64.528 DM für Berufs- und Zeitsoldaten (BZ); 30.714 DM für
Grundwehrdienstleistende (GWDL); 47.657 DM für Freiwillig Wehrdienstleistende
(FWDL); 68.000 DM für Zivilbedienstete) zugrunde. Soweit vorhanden ist die Anzahl
der FWDL bei 17 Prozent der des jährlichen Durchsatzes an GWDL angesetzt.
Außerdem wird angenommen, dass durch Personalreduzierungen eingesparte
Personalausgaben zu zwei Dritteln den investiven Ausgaben und zu einem Drittel den
Betriebsausgaben zugute kommen.
Zur Vereinfachung sind die Fälle – ähnlich wie Autonummern – mit einem BuchstabenZahlen-Code gekennzeichnet. Der Buchstabe A bezieht sich auf kurzfristig realisierbare
Fälle, die Buchstaben B, C, und D auf mittel und längerfristig realisierbare. Die erste
Nummer gibt die Dauer des Grundwehrdienstes in Monaten an, die zweite das Niveau
des Verteidigungshaushaltes relativ zum Referenzfall des Jahres 1999.
•
•
•
•
•
•
•
•
R-10-1,0: Referenzfall (Umfangszahlen gemäß Personalstärkemodell 340,
Aufteilung des Verteidigungshaushalts 1999 gemäß Aufstellung BMVg H I1 vom
Juli 1998);
A-10-0,95: Bundeswehr 2000 entsprechend den bekannt gewordenen Eckdaten über
die Personalumfänge der Dienstposten und den Haushalt (45,33 Mrd. DM) bei
Beibehaltung der Wehrdienstdauer von zehn Monaten. Die Betriebsausgaben pro
Soldat sind in Erwartung entsprechender Rationalisierungsgewinne mit 90 Prozent
der Ausgaben der Vorjahres angenommen, die investiven Ausgaben errechnen sich
als Differenz der Summe der Personal- und Betriebsausgaben zum Gesamtumfang
des Verteidigungshaushalts;
A-5-0,95: wie A-10-95, jedoch Dauer des Grundwehrdienstes auf fünf Monate
verkürzt;
B-10-0,95: wie A-10-0,95, jedoch Umfang an Zivilbediensteten um ein Viertel auf
100.000 reduziert;
B-5-0,95: wie B-10-0,95, jedoch Dauer des Grundwehrdienstes auf fünf Monate
verkürzt;
C-5-0,95: wie A-10-0,95, jedoch Dauer des Grundwehrdienstes auf fünf Monate
verkürzt, Umfang an Längerdienern auf 214.500 erhöht und Umfang an
Zivilbediensteten um ein Viertel auf 100.000 reduziert;
C-5-1,14: wie C-5-0,95, jedoch Verteidigungshaushalt 14 Prozent höher als im
Referenzfall bzw. 20 Prozent höher als im Fall A-10-0,95 des Jahres 2000;
C-5-1,24: wie C-5-1,14, jedoch Verteidigungshaushalt um 24 Prozent höher als im
Referenzfall bzw. 30 Prozent höher als im Fall A-10-0,95 des Jahres 2000;
12
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
•
•
D-0-0,95: Freiwilligenarmee mit 240.000 Soldaten und 80.000 Zivilbediensteten,
Verteidigungshaushalt wie im Jahre 2000;
D-0-1,24: Freiwilligenarmee bei einem Haushalt wie im Fall C-5-1,24 und der
Forderung, dass die investiven Ausgaben und die Betriebsausgaben pro Soldat auf
dem Niveau des Falles C-5-1,24 liegen.
Tabelle 4 zeigt neben der Verteilung des Personals auf die Dienstgradgruppen die für
diese Fälle im Vergleich zum Referenzfall resultierenden Veränderungen der
personellen Stärke der Krisenreaktionskräfte bei Ausbildung der GWDL entweder in
den Einsatzverbänden (EV) oder in speziellen Ausbildungsverbänden (AV). Außerdem
sind die Anteile der Personal- und Betriebsausgaben sowie der investiven Ausgaben
sowohl in monetären Größen als auch in Relation zum jeweiligen Gesamthaushalt
angegeben. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass eine Steigerung des
Krisenreaktionspotentials im Rahmen von Verteidigungsausgaben auf dem Niveau des
Jahres 2000 nur möglich ist, wenn die Anzahl der durch die Ausbildung von GWDL
gebundenen Längerdiener reduziert wird. Dies kann entweder durch eine Absenkung
der Dauer des Grundwehrdienstes und damit der bereitzustellenden GWDLDienstposten geschehen oder durch die Entlastung der Einsatzverbände von der GWDLAusbildung, was den Aufbau einer entsprechenden Ausbildungsorganisation bzw. von
Ausbildungsverbänden erfordern würde. Für das Heer wäre beispielsweise die
Überführung der derzeit aus Krisenreaktions- und Hauptverteidigungskräften
bestehenden Struktur in eine aus Einsatz- und Ausbildungskräften bestehende denkbar.
In Verbindung mit einer Verkürzung der Grundwehrdienstdauer (A-5-0,95) ließe sich
damit der KRK-Umfang schon relativ kurzfristig nahezu verdoppeln. Auch eine
Erhöhung der investiven Ausgaben würde möglich werden, anstatt der Reduzierung um
nahezu 20 Prozent gegenüber 1999, die bei Festhalten an der derzeitigen Organisation
und Dauer des Grundwehrdienstes unumgänglich wird.
Allerdings würde die Verkürzung der Grundwehrdienstdauer auf fünf Monate eine
Reduzierung der Friedensstärke auf weniger als 270.000 mit sich bringen, was im
europäischen Vergleich als der Größe und Einwohnerzahl Deutschlands unangemessen
erscheinen mag. Um nicht hinter Großbritannien, das diesbezüglich das Schlußlicht in
Europa bildet, zurückzufallen, müßte die Friedensstärke der Bundeswehr bei mindestens
290.000 liegen. Dies aber wäre bei einer auf fünf Monate verkürzten Dauer des
Grundwehrdienstes nur möglich, wenn die Anzahl der Längerdiener nicht wie
vorgesehen gesenkt, sondern auf etwa 215.000 erhöht werden würde, was andererseits
im Vergleich zum Referenzfall selbst dann nur eine geringfügige Erhöhung der
investiven Ausgaben pro Soldat ermöglichen würde, wenn gleichzeitig die Anzahl der
Zivilbediensteten um ein Viertel auf 100.000 reduziert werden würde (C-5-0,95). Um
die investiven Ausgaben pro Soldat in die Nähe von etwa der Hälfte der
diesbezüglichen Ausgaben der USA zu halten, müßte das Niveau des
Verteidigungshaushalts bei einer Friedensstärke der Bundeswehr von 290.000 wie im
Fall C-5-1,24 um etwa 30 Prozent über dem liegen, das für das Jahr 2000 geplant ist.
Damit wäre bei proportionaler Reduzierung der Zivilbediensteten auch eine
Freiwilligenarmee mit einer Friedensstärke von annähernd 280.000 (D-0-1,24)
finanzierbar. Bei im Vergleich zum Jahre 2000 real gleichbleibenden
Verteidigungsausgaben könnte die Friedensstärke einer Freiwilligenarmee allerdings
höchstens bei 240.000 liegen.
13
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Tabelle 4:
Untersuchungsfälle zur Weiterentwicklung der Bundeswehr
1
A-10-0,95
A-5-0,95
B-10-0,95
B-5-0,95
10 Monate
10 Monate
5 Monate
10 Monate
5 Monate
335.000
200.000
111.700
23.300
137.000
321.000
192.000
107.000
22.000
130.800
267.500
192.000
53.500
22.000
130.800
321.000
192.000
107.000
22.000
100.000
267.500
192.000
53.500
22.000
100.000
Relativer KRK- EV
2
Umfang
AV
1,00
0,96
1,47
0,96
1,47
1,73
1,66
1,89
1,66
1,89
Vtdgs-Haushalt [Mrd DM]
47,5
45,3
45,3
45,3
45,3
Personal
Betrieb
Investition
23,9
11,4
12,3
25,6
9,9
9,8
24,0
10,4
10,9
23,5
10,6
11,2
21,9
11,1
12,3
Personal
Relative Anteile
Betrieb
am Haushalt
Investition
0,502
0,241
0,258
0,565
0,218
0,217
0,529
0,230
0,241
0,519
0,233
0,248
0,483
0,245
0,272
Fall
C-5-0,95
D-0-0,95
C-5-1,14
C-5-1,24
D-0-1,24
Fall
R-10-1,0
Dauer Grundwehrdienst
Umfang
Anteile am
Haushalt
[Mrd.DM]
Gesamt
BS/SaZ
GWDL
FWDL
Zivilbed.
Dauer Grundwehrdienst
5 Monate
-
5 Monate
5 Monate
-
Gesamt
290.000
240.000
290.000
290.000
280.695
BS/SaZ
GWDL
FWDL
Zivilbed.
214.500
53.500
22.000
100.000
240.000
80.000
214.500
53.500
22.000
100.000
214.500
53.500
22.000
100.000
280.695
93.565
45,3
45,3
54,4
58,9
58,9
1,70
2,14
2,69
1,70
2,14
1,70
2,14
3,14
Personal
Betrieb
Investition
23,3
10,6
11,4
20,9
11,4
13,0
23,3
13,7
17,4
23,3
15,2
20,4
24,5
14,7
19,8
Personal
Relative Anteile
Betrieb
am Haushalt
Investition
0,515
0,235
0,251
0,462
0,252
0,286
0,429
0,251
0,320
0,396
0,257
0,347
0,415
0,249
0,336
Umfang
Vtdgs-Haushalt [Mrd DM]
Relativer KRK- EV
2
AV
Umfang
Anteile am
Haushalt
[Mrd.DM]
1
Referenzfall: Personalstärkemodell 340, Verteidigungshaushalt von 1999
2
Krisenreaktionskräfte bei Ausbildung der GWDL in Einsatz- (EV) oder Ausbildungsverbänden (AV)
Das Dilemma der Bundeswehrführung
Während die Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Absenkung der Dauer des
Grundwehrdienstes und der Umgestaltung der GWDL-Ausbildung vergleichsweise
rasch durchzuführen sind, ist der Abbau an Zivilbediensteten um ein Viertel und mehr
wohl nur längerfristig, das heißt bis etwa zum Jahre 2010, möglich. Damit und unter der
Annahme, dass eine Reduzierung des Friedensumfangs unter normalen Bedingungen
kaum rückgängig gemacht werden kann, erhält man die in Bild 5 dargestellte
Anordnung der untersuchten Fälle, aus der die mögliche Abfolge in der Durchführung
der darin enthaltenen Maßnahmen hervorgeht. Jeder mögliche, durch die Pfeile
angezeigte Pfad kann als eine Option für die stufenweise Weiterentwicklung der
14
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Bundeswehr betrachtet werden, wobei die in Form von Knoten dargestellten Fälle
jeweils die Zwischen- oder auch Endziele einer Weiterentwicklungsoption beinhalten.
Denkbare Übergänge
A-5-0,95
0,80/1,89
1,14/1,12
Budget
R-10-1,0
1,0/1,0
1,0/1,0
A-10-0,95
0,96/1,66
0,9/0,84
B-5-0,95
0,8/1,89
1,22/1,26
D-0-0,95
0,72/2,69
1,39/1,48
B-10-0,95
0,96/1,66
0,96/0,96
D-0-1,24
0,84/3,14
1,46/1,79
Krisenreaktionskräfte
Investitionsausgaben pro Soldat
C-5-0,95
0,87/2,14
1,07/1,07
Betriebsausgaben pro Soldat
Friedensumfang
1999
2000
mittelfristig
C-5-1,14
0,87/2,14
1,30/1,50
längerfristig
C-5-1,24
0,87/2,14
1,46/1,79
Zeit
Bild 5: Mögliche Zustandsfolgen in der Weiterentwicklung der Bundeswehr
(Die Zustandsindikatoren geben die jeweiligen Änderungen relativ zum Referenzfall an.)
Man sieht, dass die Erreichbarkeit längerfristiger Ziele mehr oder weniger von den
Entscheidungen über die kurzfristig zu realisierenden Ziele abhängt. So wäre es im
Sinne einer möglichst raschen Steigerung des KRK-Umfangs und der investiven
Ausgaben ratsam, die im Fall A-5-0,95 enthaltenen Ziele zu realisieren, der eine
Reduzierung des Friedensumfangs auf unter 270.000 beinhaltet. Dadurch aber würde
der Weg zu C-5-0,95 und darüber hinaus weitgehend verbaut, auf dem ein
Friedensumfang von etwa 290.000 erhalten werden kann, es sei denn es wäre bereits
kurzfristig mit einer Erhöhung des Verteidigungshaushalts zu rechnen. Dadurch würde
der Fall C-5-1,14 bzw. C-5-1,24 im Bild 5 nach links unter den Fall A-5-0,95 rutschen.
Da dies aber eher unwahrscheinlich sein dürfte, könnte eine Strategie konsequenter
Rationalisierung einschließlich des Abbaus von Zivilbediensteten bei weitgehendem
Festhalten an den gegenwärtigen Strukturen durchaus zweckmäßig sein, sofern mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer späteren Erhöhung der
Verteidigungsausgaben zu rechnen wäre. Allerdings müßte dann in Kauf genommen
werden, dass der KRK-Umfang ebenso wie die investiven Haushaltsmittel nur langsam
anwachsen könnte.
Angesichts der Sparbeschlüsse steht die Bundeswehrführung mithin vor dem
sprichwörtlichen Dilemma, zwischen dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem
Dach wählen zu müssen. Dieses Dilemma wäre nur auflösbar, wenn eine Absenkung
des
Friedensumfangs
im
Zuge
einer
entsprechenden
Erhöhung
des
Verteidigungshaushalts rückgängig gemacht werden könnte. In diesem Fall böte sich
die dritte Möglichkeit an, zunächst die im Fall A-5-0,95 enthaltenen Ziele zu
verwirklichen, um später unter Erhöhung des Verteidigungshaushalts die in den Fällen
C-5-1,14 und C-5-1,24 gesetzten Ziele zu erreichen.
15
Erschienen in Europäische Sicherheit, Februar 2000, S.28-35.
Zusammenfassung
Die vorstehenden Überlegungen haben verdeutlicht, dass die Bundeswehr in den
vergangenen zehn Jahren beträchtlich aus dem Gleichgewicht geraten ist. Sie ist,
vereinfacht gesprochen, technisch veraltet und nur eingeschränkt einsatzfähig.
Außerdem fehlen ihr im Hinblick auf die neuen Einsätze im Rahmen der Krisenreaktion
entscheidende Fähigkeiten. Darüber hinaus setzt die Tatsache, dass es sich insbesondere
beim Heer im wesentlichen um Ausbildungsstreitkräfte handelt, dem
Krisenreaktionspotential enge Grenzen.
Die Weiterentwicklung der Bundeswehr muß daher in erster Linie auf die
Modernisierung der Streitkräfte und den Aufbau von rasch verfügbaren
Krisenreaktionskräften abzielen, womit auch wichtige Voraussetzungen zur Teilnahme
der Bundeswehr an der gemeinsamen Verteidigung des Bündnisses an seinen Grenzen
geschaffen werden.
Dabei steht die Bundeswehrführung angesichts der Sparbeschlüsse vor einem Dilemma.
Sie kann sich zum einen für eine einschneidende Umgestaltung des Wehrdienstes und
eine damit verbundene relativ starke Reduzierung des Friedensumfangs entscheiden, um
möglichst rasch das Krisenreaktionspotential zu erhöhen und die finanziellen Mittel zur
Modernisierung freizusetzen. Zum anderen kann sie den Weg einer vergleichsweise
mäßigen Reduzierung des Friedensumfangs beschreiten, auf dem eine merkliche
Steigerung des Krisenreaktionspotentials und die Modernisierung der Bundeswehr
weitgehend davon abhängt, ob eine substantielle Erhöhung des Verteidigungshaushalts
zumindest längerfristig gesichert ist.
Auflösbar wäre dieses Dilemma nur, wenn die Rücknahme einer einmal
vorgenommenen Reduzierung des Friedensumfangs politisch durchsetzbar wäre. In
diesem Fall böte sich als dritte Möglichkeit, die erstgenannte Entscheidungsmöglichkeit
mit der Verpflichtung zu verbinden, die Friedensstärke in absehbarer Zeit auf ein Maß
zurückzuführen, das dem Prinzip einer fairen Lastenteilung im Bündnis gerecht wird
und der Größe und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands angemessen ist. Es
ist zu vermuten, dass nur auf diesem Wege ein neues Gleichgewicht zu finden ist,
dessen Bestimmung vertiefter Untersuchung bedarf.
16