PDF 6/10 Musical Fidelity

Transcription

PDF 6/10 Musical Fidelity
68
image-hifi.com 6/2010
Vollverstärker Musical Fidelity M6i
Des Widerspenstigen Zähmung
Von der M-Serie zurückschauend, scheint die Musical-FidelityGeschichte von der geglückten
Disziplinierung eines kreativen,
aber sprunghaften Geistes zu
handeln.
Bloß weil seiner Ansicht nach HiFi
in erster Linie Spaß machen soll und
seine Geräte deshalb gerne mal ein
wenig mehr Druck auf dem Kessel
haben als nötig, gilt Antony Michaelson auf der britischen Insel
schon als Exzentriker.
Seit der Gründer von Musical Fidelity vor bald dreißig Jahren mit seinem legendären Kombi-Gerät aus
Earl-Grey-Stövchen und Class-AVollverstärker namens A1 schlagartig berühmt wurde, ist der Querkopf
aus Middlesex immer wieder für eine Überraschung gut – oft genug eine, die in der Marktingabteilung
des Unternehmens für blankes Entsetzen sorgt: Hatte man es sich beispielsweise in der gemütlichen
Class-A-Nische bequem gemacht,
kam Michaelson mit der Idee eines
potenten Schlachtschiffes nach Art
der Amerikaner daher, hatten sich
die Kunden schließlich doch an das
schlichte Industriedesign gewöhnt,
setzte der Chef seine ganz neuen
(und nicht unbedingt immer besseren) Gestaltungswünsche durch.
Diese Sprunghaftigkeit, die Launen des Augenblicks und Gerätekonstruktionen, die nicht immer beständig waren, verunsicherten viele
Käufer. Trotzdem werden ausge-
suchte Exemplare der umfangreichen Produkthistorie auf dem Gebrauchtmarkt zu ganz erstaunlichen
Preisen gehandelt. Eines zeichnete
Musical Fidelity nämlich immer aus:
Klangliche Kompromisse hat es nie
gegeben.
Auch auf die Gefahr hin, die Geschichte romantisch zu verklären,
glaube ich, Antony Michaelson
könnte sich am heimischen Küchentisch, von wo aus er sein Unternehmen startete, immer noch wohlfühlen. Alleine mit seinen Ideen und
einem Lötkolben. Er hätte weltweit
eine Handvoll treuer Fans und keines seiner Geräte sähe aus wie das
vorherige. Seine Leidenschaft für
guten Klang reichte als Motivation
aus. Aber sein Erfolg hat ihm einen
Apparat beschert, der Sicherheit
braucht und nach Beständigkeit verlangt. In diesem Sinne bedeutet die
neue M-Serie auch einen Neuanfang
für Musical Fidelity.
Das klangliche Ideal ist immer
noch oberstes Ziel, aber Technik und
Design sollen eine neue Verlässlichkeit ausstrahlen. Das mutet einerseits konservativ und langweilig an,
kann aber andererseits Vertrauen erwecken und die Basis für nachhaltige Innovationskraft bilden. Konsolidierung auf höherem Niveau, dafür
steht Musical Fidelitys großes „M“.
Es zieht sich durch drei neue Produktlinien und kennzeichnet sowohl
kompatible Technik als auch ein aufeinander abgestimmtes Erscheinungsbild. Die Serien M1, M3 und
M6 lassen sich demnach ohne weiteres kombinieren, ohne dass dies optisch auffällt. Klanglich stehen die
Geräte der M6-Klasse auf der höchsten Stufe, womit vorliegender M6i
den leistungsstärksten Vollverstärker
im Programm darstellt – wenn auch
nicht den teuersten. Denn Class-A
wird bei Musical Fidelity in der
AMS-Serie immer noch in Ehren ge-
6/2010 image-hifi.com
69
Vollverstärker Musical Fidelity M6i
Doppel-Mono: Sekundärwicklungen versorgen sowohl die Vorstufe in der
Platinenmitte als auch die beiden Mono-Endstufen mit privater Spannung
70
image-hifi.com 6/2010
halten. Der M6i ist ein echter Integrierter und eben nicht nur eine
Endstufe mit Lautstärkeregler und
Eingangswahl. Darauf legt Antony
Michaelson wert, denn der Vorverstärker prägt (nicht nur) seiner Meinung nach die Wiedergabe, sorgt für
den nötigen Druck und für Spielfreude.
Die Class-A-Vorstufe teilt sich eine
große Platine in der hinteren Hälfte
des Amps mit zwei identischen
Mono-Endstufen, ein so genannter
Dual-Mono-Aufbau, wie wir Highender ihn schätzen, weil er die besten
Voraussetzungen für Kanalgleichheit
und Störungsfreiheit schafft. Im vorderen Teil macht sich ein mächtiger
Ringkerntrafo ohne weitergehende
Abschirmung breit. Er versorgt alle
drei Teile einzeln über separate
Wicklungen mit der benötigten
Spannung. Die Endstufen generieren
ihre satte Leistung von je 200 Watt
an acht Ohm (an vier Ohm soll es
glatt das Doppelte sein) aus zwei
Paar bipolaren Sanken-Transistoren
pro Kanal in Darlington-Schaltung,
die sich an die Seitenwände mit
nach außen stehenden Kühlrippen
schmiegen – ein einfacher Aufbau,
allerdings mit hochwertigen Bauteilen und einem sehr kurzen Signalweg.
Zum ersten Mal überrascht der
M6i beim Auspacken, denn er ist
zwar nicht groß, aber schwer. Seine
stattlichen 16 Kilo sieht man ihm
nicht an. Sie stecken nicht nur im
napfkuchengroßen Trafo, sondern
auch im massiven Gehäuse und der
dicken schwarzen oder silbernen
Frontplatte. Jene ist ein Musterbeispiel an protzfreier Eleganz und
schlichter Funktionalität. Dominiert wird sie von einem handli-
Kurze Wege: Zwei Paar Sanken-Transistoren haben ihre Siebelkos stets im Blick
chen, aus dem Vollen gefrästen
Drehregler für ein klassisches Lautstärkepoti. Die Taster für die Eingangswahl ordnen sich dezent unter
und werden von je einer kleinen
LED flankiert, die am gewählten
Eingang sanft blau leuchtet. Neben
diesen wichtigsten Bedienelementen gibt es dankenswerterweise
nichts anderes – keine Klangregler,
kein grelles Display, kein Leuchten
oder Blinken.
Die Rückseite des Musical Fidelity
liefert ein ähnlich stringentes Bild.
Das Cinch-Anschlussfeld mit vier
Eingängen – einer davon wie so häufig als Surround-Bypass wählbar –,
einem Tape- und einem Vorstufenausgang entspricht gutem Standard,
wenngleich zwischen den Buchsen
mehr Platz sein könnte. Obendrein
hat man die Möglichkeit, ein Gerät
symmetrisch einzuschleifen und für
PC oder Mac steht ein USB 2.0-Port
bereit, hinter welchem ein 24 bit/
192 kHz-Wandler steckt, der dem
bekannten V-DAC der Engländer
entspricht. Die einfachen Polklemmen, wie man sie im Netz oder auch
in der Produktbroschüre noch sehen
kann, mussten inzwischen höherwertig wirkenden oder besser gesagt,
dem europäischen Standard angepassten weichen.
Kritikpunkte? – Eigentlich keine.
Obwohl, eine markierte Netzphase
wäre sinnvoll, beim Testgerät befindet sie sich von hinten betrachtet
links. Weil ein englischer Kollege sie
als zu leichtgewichtig empfunden
hat, möchte ich die Fernbedienung
besonders hervorheben. Ich bin
nämlich ganz anderer Meinung. Sie
ist fast perfekt, fürwahr sogar die
beste, die ich seit langer Zeit in Händen hatte: flach und leicht, aber
nicht zu klein. Und sie kann – was
vielen Mitbewerbern wie schwarze
6/2010 image-hifi.com
71
Vollverstärker Musical Fidelity M6i
USB- und XLR-Eingang: Neben dem PC ist auch ein symmetrischer Zuspieler willkommen
Magie erscheinen muss – nicht nur
die Lautstärke regeln, sondern auch
die Eingänge einzeln anwählen. Im
Fall einer einheitlichen Kette reagierte sogar der M6CD/DAC darauf,
der sich übrigens neben einer größeren Variabilität an Eingängen
auch durch seinen hochklassigeren
Wandler als digitale Schaltzentrale
anbietet.
Mit Equipment von Musical Fidelity verhält es sich nicht anders als
mit den meisten HiFi-Geräten: Man
sollte nicht zu lange darüber reden,
denn das hält vom Zuhören ab. Mit
Netzkabeln von PS Audio und
Cinch-Pendants von Kubala-Sosna
sowie den Master-Class-Schall-
xxx
wandlern von Steinmusic schuf ich
dem eleganten Kraftprotz ein Umfeld, von dem Verstärker seiner
Preisklasse sonst nur träumen können. Ein Privileg, aber auch eine
Herausforderung, weshalb ihm zunächst zwei Tage Akklimatisierungszeit zustanden, bevor ich kritisch
hineinhorchte.
As The Dark Wave Swells (Glitterhouse Records 710) ist der Titel der
neuen CD der vermutlich coolsten
Band dieses Planeten. Zugespielt
wurde der energetische Surf-Rock
der kroatischen Bambi Molesters
vom PC via USB. Schon mit dem
Opener und Titelstück offenbart
sich eine äußerst knackige und viel-
Mitspieler
Plattenspieler: Scheu Cello Tonarm: Scheu Classic Tonabnehmer: Audio-Technica 33
Prestige Phonoentzerrer: Lehmannaudio Black Cube Decade Vorverstärker: Unison
Research Mystery Two Endverstärker: DNM PA3S CD-Player: Revox C221, Audreal
Muse 1.0 Soundkarte: Edirol FA 66 D/A-Wandler: PS Audio Digital Link III Bandmaschine:
Uher Royal de Luxe C Tuner: Sansui TU-X701 Lautsprecher: Steinmusic Master Class SP1.1,
Lua Con Fuoco Kabel: Audiophil, DNM, Kubala-Sosna, PS Audio Perfect Wave, Transparent
Musiclink Super Zubehör: Sun Leiste, Plattenwaschmaschine Clearaudio Smart Matrix
xxxx
72
image-hifi.com 6/2010
schichtige Produktion, die TwangGitarren flirren mit einer Überdosis
Vibrato zwischen Bläsern und Geigen hindurch und reiten mit irrsinnigem Tempo, begleitet von tarantineskem Kopfkino, über ein dunkel
brodelndes Fundament hinweg. Ein
heißer Tipp für Freunde des Instrumental-Rocks und ein potenzieller
Stolperstein für den M6i.
Aber wie der diesen komplexen
Sound reproduzierte, ließ mich innerlich lächeln, und die bisweilen
schon tätowiert scheinende Griesgram-Furche auf meiner Stirn begann sich zu glätten. Von ganz tief
unten holte er das Stück herauf,
baute es schnell, aber nicht hektisch
über einer festen Basis auf und verteilte leichthändig Rückkopplungsfarbspritzer im oberen Spektrum.
Mit einer Auflösung fast wie ein
Großer und mit einer heftigen Portion Druck, die sich wahrlich vor keinem anderen Verstärker verstecken
muss, zelebrierte der Brite Melodiebögen, obwohl er sicher nicht der
ideale Spielkamerad für die extrem
feinsinnigen und effizienten Steinmusic-Boxen ist.
Aus reiner Experimentierfreude
karrte ich also meine Luas aus ihrem
testbedingten Exil im Schlafzimmer
heran, als die Türklingel schellte.
Normalerweise ein sicheres Zeichen
dafür, dass jemand stören will, war
es tatsächlich der Paketbote mit der
lang und heiß ersehnten zweiten
Grinderman-LP unterm Arm. Der
brave Mann muss sich anschließend
gefühlt haben wie nach einem
Raubüberfall. Während des Kampfes mit der Verpackung kontrollierte
ich mit einem Ohr und positivem
Ergebnis, ob sich der M6i an den
Gebrüdern Lua im Leerlauf ebenso
vorbildlich still verhält wie an der
SP1.1 und zitterte die schwarze 180Gramm-Scheibe danach mit feuchten Händen auf den Teller des kleinen Scheu-Laufwerks. Wenn ich
mich nicht irre, zuckte es vor Angst
zusammen.
Zu Recht, denn auch der zweite,
Grinderman 2 (Stumm 299/50999
64728018) betitelte Streich der Gladiatoren um Nick Cave ist ein gemeiner Bastard von einer Platte. Sie
schleicht sich erst leise und bedrohlich wie die Dunkelheit an, um daraufhin aggressiv und gewaltig wie eine antike Brandschatzung über ihr
unbedarftes Opfer herzufallen.
Mühelos bleibt der M6i auf Höhe
des Geschehens, hält selbst im lodernden Inferno die Zügel fest und
bemüht sich gar nicht erst, das akustische Gemetzel zu beschönigen.
Wah-Wah-Gitarren schwirren wie
apokalyptische Reiter durch die Luft
und Bassläufe begleiten sie wie
schwarze Wolken ein Unwetter.
Auch im Bereich unter 50 Hertz hat
der Vollverstärker von Musical Fidelity die Luas dank seiner Kraft gut im
Griff, sie spielen tiefer als die SP1.1,
wenn auch leider deutlich ungeschickter und schlurfender als die
schlanken schwarzen Rennpferde
von Holger Stein.
Im Stillen den Postler dafür verfluchend, dass er mir die Platte just
dann bringt, wenn ich zwei Tage
nach Redaktionsschluss an diesem
Bericht sitze, klemme ich die Lautsprecherkabel erneut um und hieve
den Tonarm wieder in die Einlaufrille. Brutal wie ein Kopfstoß,
nackt und blank wie eine Messerklinge springt mich das unvermittelt
laut werdende erste Stück an. Nein,
Leistung spielt an den SP1.1 keine
bestimmende Rolle, trotzdem fällt
wieder einmal auf, welch satten
Tiefton der M6i entwickelt, welch
festen Stand er hat. Darüber lässt er
dem faszinierenden GrindermanDesaster abgeklärt, genussvoll sogar,
seinen Lauf, projiziert es breit und
mit ständiger Sprungbereitschaft ein
wenig vor die Lautsprecher.
Bei aller Konsequenz jedoch beweist er ein Herz für den guten Song.
Er findet ihn sogar unter all dem
Grauen, das Grinderman darüber
aufschichten, gräbt ihn aus unter
den zersägten Trümmern der Dekonstruktion des gewissen Untergangs und serviert „When My Baby
Comes“ mit warmer Melancholie,
bitterem Schmelz und einer süßen
Kirsche obenauf.
Zwei Erkenntnisse bleiben zum
Ende dieses Tests stehen: Erstens haben Grinderman das Ende der Kultur eingeleitet, und ich werde dessen
Verlauf im nächsten Heft ausführlicher schildern. Und zweitens hat der
Musical Fidelity M6i sowohl Kraft
als auch Seele. Er ist ein sensibler
Charakter, der auch die leisen Zwischentöne zulässt, der – typisch Antony Michaelson – Spaß vermittelt
und gleichwohl kompromisslos auftritt.
Autor: Helmut Hack
Fotografie: Rolf Winter
xxxx
Vollverstärker Musical Fidelity M6i
Eingänge: 4 x Line (Cinch), 1 x Line (XLR), 1 x USB 2.0
Ausgänge: 1 Paar Lautsprecher (Sicherheitsterminals),
Pre-Out, Tape-Out (Cinch) Leistung (8/4 Ω): 2 x 200/
400 W Ausführungen: Front Aluminium schwarz oder
silber, Gehäuse schwarz Besonderheiten: D/A-Wandler
integriert, Fernbedienung, Surround-Bypass-Funktion
Maße (B/H/T): 44/50/13 cm Gewicht: 17 kg Garantiezeit: 2 Jahre Preis: 2450 Euro
Kontakt: Reichmann Audio-Systeme-Vertrieb, Graneggstraße 4, 78078 Niedereschach im
Schwarzwald, Telefon 07728/1064, www.reichmann-audio-systeme-vertrieb.de
xxxx
6/2010 image-hifi.com
73