17. Januar 2012 im Mauermuseum am Checkpoint Charlie Liebe
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17. Januar 2012 im Mauermuseum am Checkpoint Charlie Liebe
17. Januar 2012 im Mauermuseum am Checkpoint Charlie Liebe Gäste, Dass Raoul Wallenberg lebt, wird im Laufe der Jahre immer unwahrscheinlicher. Eines aber wissen wir sicher. Die Erinnerung an seine Taten, daran, was er in den kurzen, aber entscheidenden sechs Monaten 1944 und 1945 in Budapest erreicht hat, diese Erinnerung lebt. Das weiß ich, denn ich bin Ende der neunziger Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends dort Chef gewesen, wo vor 70 Jahren Raoul Wallenbergs Arbeitsplatz war, nämlich an der schwedischen Botschaft in Ungarn. Es verging nicht ein Monat während meiner fünf Jahre in Ungarn, in dem ich nicht auf irgendeine Weise an Raoul Wallenbergs Engagement erinnert worden wäre. Kein Monat, in dem ich nicht einen älteren Ungarn traf, den Wallenberg vor den deutschen Besatzern gerettet hatte, in dem ich nicht bei der Einweihung eines neuen Wallenberg-Denkmals dabei war, in dem nicht jemand auf die so genannten „Schwedenhäuser“ auf der Pestseite der Stadt zeigte, wo Wallenberg, der die Häuser zu schwedischem Territorium erklärt hatte, in den chaotischen Monaten 1944 und 1945 tausenden jüdischen Mitbürgern einen Schutzraum verschaffte. Bei einer Gelegenheit um das Jahr 2000 herum hatten wir in der Botschaft in Budapest Besuch von Per Anger. Das war ein Kollege, der eine ganze Reihe ehrenvoller Posten innehatte. Vor allem aber erinnert man sich an ihn als Mitarbeiter von Raoul Wallenberg. Per Anger traf Wallenberg zuletzt eine Woche vor seinem Verschwinden am 17. Januar 1945. Per hat alles getan, was in seiner Macht stand, um die Welt wissen zu lassen, was Raoul Wallenberg geleistet hat. Mitte der neunziger Jahre schrieb er: „Es ist wohl so, dass weder Raoul noch wir, seine Mitarbeiter, anfangs ahnten, welchen Umfang die Rettungsaktion annehmen würde. Raoul wurde gezwungen, den Bogen … in einer Situation zu spannen, in der Budapest mehr und mehr zu einem Schlachtfeld wurde“. Was aber am meisten Hoffnung machte während meiner Jahre in Ungarn, waren die vielen Vertreter eines neuen Ungarn, die sich in ihrem Kampf gegen die Diktatur in den achtziger Jahren von den Taten Raoul Wallenbergs hatten inspirieren lassen, Politiker wie Gábor Demszky, der viele Jahre Bürgermeister in Budapest war. Von schwedischer Seite haben wir uns lange Zeit vor allem mit dem Schicksal Wallenbergs beschäftigt – was war mit ihm geschehen und hatten wir wirklich genug getan, um ihn zu retten? Diese Frage ist nicht unwichtig, im Gegenteil. Sie ist verknüpft mit einem Misserfolg der schwedischen Diplomatie. In den Jahren, in denen die Wahrscheinlichkeit am größten war, dass er noch lebte, waren die Anstrengungen, Moskau dazu zu bringen, ihn frei zu geben, am schwächsten. Aber das Interesse für das Schicksal Wallenbergs hat dabei möglicherweise die Sicht auf seine Taten ein wenig verstellt. Für Raoul Wallenberg als Inspirationsquelle für diejenigen, die sich geweigert haben – oder sich heute noch weigern – Unterdrückung in der eigenen Zeit zu akzeptieren. Denn auch in diesem Sinne lebt Raoul Wallenberg. Er hat viele späte Nachfolger, die bereit waren oder bereit sind, für das Wohl anderer Menschen große persönliche Risiken einzugehen. Auch an sie denken wir in diesem Jahr, in dem wir des hundertsten Geburtstags von Raoul Wallenberg gedenken. Die schwedische Botschaft in Berlin wird im kommenden Herbst mit mehreren Veranstaltungen an dieses Jubiläum erinnern. Auf schwedischer Seite sind wir sehr dankbar dafür, dass in diesem Streben danach, das Vorbild Raoul Wallenberg in den Fokus zu rücken, das Mauermuseum am Checkpoint Charlie die Wallenberg-Ausstellung organisiert hat, die wir heute einweihen.