Die Rolle phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der

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Die Rolle phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der
Die Rolle phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der ersten
Fremdsprache
Robert Becker ([email protected])
Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany
Christian Mühl ([email protected])
Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany
Ulrich Pfeiffer ([email protected])
Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany
Frank Freyer ([email protected])
Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany
Lasse Scherffig ([email protected])
Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany
Abstract
Welche Rolle spielt phonologische Kodierung beim Lesen von
Texten in der ersten Fremdsprache? Diese Studie mit dem EyeTracker versucht, Licht hinter diese Frage zu bringen und damit
die Diskussion um die Bedeutung von phonologischer Kodierung
um einen weiteren Aspekt zu bereichern. Dazu wurden die
Fixationszeiten von korrekten Schlüsselwörtern mit denen von
inkorrekten Homophonen und inkorrekten Kontrollwörtern
verglichen. Die Ergebnisse lassen bezüglich der Rolle
phonologischer Kodierung während des Lesens von
fremdsprachlichen Texten jedoch keine eindeutigen Schlüsse zu.
Einführung
Spielt die phonologische Kodierung eine Rolle beim
lexikalischen Zugriff, das heißt bei der frühen
Verarbeitung von Wortbedeutungen während des
Lesens? Als Antwort auf diese Frage existieren momentan
zwei widersprüchliche Modelle. Eines vorgeschlagen von
Rayner et al., das andere von Daneman et al.
Das Modell von Rayner et al. spricht der phonologischen
Kodierung eines Wortes eine wichtige Rolle beim frühen
Zugriff auf dessen Bedeutung zu, wohingegen Daneman et
al. dafür plädieren, dass phonologische Kodierung eher
eine untergeordnete, postlexikalische Rolle spielt. Zu
beiden Modellen gibt es unterstützende Experimente, die
von Rayner et al. beziehungsweise Daneman et al.
durchgeführt wurden1.
1
Titel und Erscheinungsjahr der Texte, auf die wir uns
beziehen kann man den Literaturangaben entnehmen.
In den Versuchen beider Parteien wurde jeweils die
Augenbewegung der Versuchspersonen während des
Lesens eines Textes mittels eines Eye-Trackers gemessen
und durch Anwendung verschiedener Paradigmen
Vergleiche zwischen den Fixationen auf richtigen und
falschen
Homophonen
sowie
orthographischen
Kontrollwörtern durchgeführt.
Wir haben uns entschlossen, die Rolle der
phonologischen Kodierung beim Lesen von nichtmuttersprachlichen Texten zu ermitteln. Dabei richteten
wir uns nach dem von Daneman et al. 1998 und Rayner et
al. 1998 angewandten Paradigma: Den Versuchspersonen
wird ein Text präsentiert, der eine Reihe von Homophonen
enthält, die auf drei Weisen variiert werden. Entweder wird
(a) das kontextuell richtige Homophon, (b) das
entsprechende falsche Homophon oder (c) ein zu (a)
orthographisch ähnliches Nicht-Homophon präsentiert.
Während die (deutsche) Versuchsperson den (englischen)
Text liest, wird die Augenbewegung mittels eines EyeTrackers aufgezeichnet.
In der Auswertung interessieren besonders zwei
Vergleiche: gibt es einen signifikanten Unterschied
zwischen den Fixationszeiten (i) des korrekten Wortes
(richtiges Homophon) und denen der falschen Wörter
(falsches Homophon & Nichthomophon) und (ii) des
falschen Homophons und des Nichthomophons.
Unter den möglichen Datenmustern, die dieses
Experiment ergeben könnte, sind zwei besonders
interessant:
a) Später oder kein Einfluss phonologischer
Information. Die Fixationszeiten des korrekten
Homophons sind signifikant kürzer als die des inkorrekten
Homophons, welche wiederum identisch (d.h. nicht
signifikant unterschiedlich) mit den Fixationszeiten des
Nichthomophons sind.
Solche Daten würden anzeigen, dass der lexikalische
Zugriff vor dem Entschluss, die Augen zum nächsten Wort
zu bewegen, aktiviert wird, die auditorische Information
jedoch nicht so früh verarbeitet wird. Diese Daten würden
also dafür sprechen, dass die phonologische Kodierung erst
nach dem lexikalischen Zugriff eine Rolle spielt.
b) Früher Einfluss phonologischer Information. Die
Fixationszeiten der beiden Homophone (korrekt und
inkorrekt) sind identisch beide jedoch signifikant kürzer als
die der orthographischen Bedingung.
In diesem Fall könnte man davon ausgehen, dass zu dem
Zeitpunkt, an dem die Augen zum nächsten Wort gehen,
die phonologische Kodierung bereits verarbeitet wurde, die
orthographische Kodierung jedoch noch nicht so weit
entschlüsselt ist, dass die beiden Homophone voneinander
unterschieden werden. Das würde also darauf hindeuten,
dass beim lexikalischen Zugriff die phonologische
Kodierung eine entscheidende Rolle spielt, die
orthographische Kodierung hingegen höchstens bei der
postlexikalischen Integration von Bedeutung ist.
Alle anderen Datenmuster sind, vor dem Hintergrund der
bisherigen Forschungsergebnisse, von zweitrangiger
Bedeutung.
Methodik
Probanden
Bei den 12 Versuchspersonen handelt es sich um Cognitive
Science Studenten der Universität Osnabrück mit Englisch
als erster Fremdsprache. Die Teilnahme war freiwillig und
ohne Gewähr von Versuchspersonenstunden oder
Bezahlung. Einziger Anreiz für die Teilnahme war ein
kleines Dankeschön und eigenes Interesse.
Die Probanden wurden nicht über die Fragestellung des
Experiments informiert. Bei Interesse wurden sie im
nachhinein aufgeklärt.
Geräte
‘
Als Messgerät wurde ein Eye-Tracker "Eye-Link" der
Firma SMI verwendet. Das System ist kopfbasiert und die
zum Rechner relativen Kopfbewegungen wurden registriert
und verrechnet. Weiterhin benutzten wir einen 17-ZollMonitor. Die Probanden saßen etwa 60 cm vom Bildschirm
entfernt. Die örtliche Auflösung des Eye-Trackers
(kleinstes Inkrement) entsprach 0,005 Grad (1 Pixel), bei
einer maximalen Abweichung von der tatsächlichen
Augenposition von 0,5 bis 1,0 Grad. Die zeitliche
Auflösung lag bei 250 Hz. Die zeitliche Genauigkeit des
Gerätes (Dauer zwischen Messung und Bereitstellung der
Daten) betrug 10 ms.
Während des Versuches wurden die Bewegungen beider
Augen vom Eye-Tracker auf einen Rechner übertragen und
alle Fixationen und Shifts, mit jeweiligem Anfang, Ende
und ihren Positionsdaten aufgezeichnet, sowie Blinks
(Zwinkern) und Pupillengröße.
Textmaterial
Der zu lesende Text wurde von uns konstruiert und war, im
Rahmen unserer Englischkenntnisse, inhaltlich leicht
verständlich. Für den Versuch wurde er auf 9
Bildschirmseiten aufgeteilt. Um die Unterschiede im
Fixationsverhalten festzustellen, wurden in unserem
Versuchstext
an
verschiedenen
Stellen
Wörter
ausgetauscht. Entweder wurde das korrekte Wort durch ein
kontextuell falsches Homophon oder durch einen
orthographischen Fehler ersetzt. Kontextuell falsches
Homophon bedeutet, dass es sich bei dem Zielwort um ein
Wort handelt, dass an dieser Stelle inhaltlich unpassend ist,
jedoch in der Aussprache identisch mit dem eigentlich an
diese Stelle gehörigen Wort ist. Die orthographischen
Fehler waren inhaltlich ebenfalls schwer integrierbar,
hatten jedoch auch kaum phonologische Ähnlichkeit mit
dem Originalwort.
Ein Beispiel aus dem Text wäre das Tripel (sun, son,
sin). Auf jeder Bildschirmseite befand sich ein Zielwort,
d.h. ein Wort aus einem der Tripel (korrektes Homophon,
falsches Homophon, orthographischer Fehler).
Durch die Permutation der Reihenfolge der
Zielworttypen bei verschiedenen Versuchspersonen wurde
die Gefahr eines Konstruktionseinflusses unseres Textes
bei den Versuchsergebnissen minimiert.
Es gab also Texte mit der Zielwortreihenfolge HKO,
KOH, KHO, HOK, OHK, OKH (O - orthographischer
Fehler, H - falsches Homophon, K korrektes Homophon).
Durch das Festlegen einer „area of interest“ um die
Zielwörter herum war es im nachhinein möglich, den
Zielwörtern Fixationen zuzuordnen. Dieser Bereich,
welcher sich auf das Wort und einen knappen Bereich um
es herum bezog, war links vom Wort etwas größer als
rechts, da von links nach rechts Leser einen leicht nach
rechts verschobenen Aufmerksamkeitsbereich besitzen.
Ein Beispiel aus dem Text2: "John Player was a young
good-looking man who lived in Osnabrueck, and worked as
a teacher. He had just got married (four, for, fear) weeks
ago."
Störvariablen
Es gab mehrere Störvariablen, die wir kontrolliert haben,
soweit es unseren Möglichkeiten entsprach.
Eine Störvariable waren die Englischkenntnisse der
Probanden. Um diese zu kontrollieren wurden
ausschließlich Cognitive Science Studenten mit erster
Fremdsprache Englisch getestet. Da große Teile des
Studiengangs in Englisch gehalten werden, kann man hier
2
Der gesamte Text befindet sich im Anhang
auf relativ gleichmäßige Kenntnisse vertrauen.
Eine weitere nicht kontrollierte Variable und damit
mögliche Fehlerquelle, war die orthographische
Ähnlichkeit der Homophone. Auch die Frequenz der
Zielwörter in unserem Text wurde nicht kontrolliert. Weiter
wurde die Frequenz der Zielwörter in der englischen
Sprache nicht objektiv kontrolliert. Allerdings entstammten
die verwendeten Wörter alle dem Grundwortschatz eines
Schulenglischkurses der gymnasialen Oberstufe.
Auch die kontextuelle Auffälligkeit der falschen
Zielwörter wurde nicht kontrolliert. Wir haben aber
versucht, das falsche Homophon und den orthographischen
Fehler im jeweiligen Kontext gleich unpassend zu wählen.
Versuchsablauf
Den Probanden wurde vor dem Experiment ein Text mit
Instruktionen zum Versuchsablauf3 gegeben. Dieser sollte
gründlich durchgelesen werden. Darin wurden sie um das
Ignorieren von eventuellen orthographischen bzw.
grammatikalischen Fehlern im Text gebeten. Die
Instruktion diente auch dazu, eventuelle Fehler der
Probanden zu vermeiden. Es wurde noch einmal die
Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Textes gelenkt und eine
bequeme und bewegungsarme Haltung empfohlen. Die
Ankündigung von Verständnisfragen sollte sicherstellen,
dass der Text aufmerksam und gründlich gelesen wurde.
Im nachhinein wurden dann jedoch keine Fragen
unsererseits gestellt.
Nach dem Lesen der Instruktionen wurde der
Versuchsperson der Eye-Tracker aufgesetzt, angepasst und
kalibriert. Diese Vorgänge dauerten im Schnitt 5 bis 10
Minuten.
Waren die Einstellungen und Tests einwandfrei
abgeschlossen, wurde am Monitor mit der Textpräsentation
begonnen. Durch Drücken einer Taste bekam die
Versuchsperson den nächsten Abschnitt zu lesen. Die Taste
sollte erst nach erfolgtem Lesen der Seite betätigt werden.
Ein Zurückspringen zu vorhergehenden Bildschirmseiten
wurde ausgeschlossen.
Der Versuch war abgeschlossen, sobald die
Versuchsperson die letzte Bildschirmseite gelesen hatte.
Design und Datenanalyse
Wir benutzten ein einfaktorielles Design mit 3 Stufen:
Korrekte Bedingung, homophone Bedingung und
orthografische Bedingung.
Zu vergleichende Werte waren die Mittelwerte der
Fixationszeiten (Erstfixationen und Gesamtfixationszeiten)
und die Wahrscheinlichkeiten für Fixationen im
Allgemeinen
sowie
Wahrscheinlichkeiten
für
Einzelfixationen (single fixations) im Speziellen.
Es wurden nur Fixationen auf den Schlüsselwörtern
betrachtet. Dazu wurden "areas of interest" gebildet. Der
linksseitige Anfang dieser Rahmen begann 3 Pixel nach
3
Die Instruktion befindet sich im Anhang
dem letzten Wort und endete rechtsseitig wieder 3 Pixel
nach dem Zielwort. Nach oben und unten waren die
Rahmen
begrenzt
durch
die
Mitten
der
Zeilenzwischenräume.
Ergebnisse
Wir entschieden uns dafür, die Auswertung ohne
Elimination von Ausreißern (Extrema von mehr als 2 oder
3 Standardabweichungen) durchzuführen, da aufgrund der
wenigen korrespondierenden Werte (2, maximal 3)
Ausreißer schwer zu bestimmen waren.
Einfaktorielle Varianzanalyse
Es wurden die Fixationszeiten der ersten Fixation, sowie
die Gesamfixationszeiten auf den Schlüsselworten
ermittelt.
Aus diesen Daten wurden jeweils die Mittelwerte der
einzelnen Versuchspersonen und der einzelnen Items für
die drei Bedingungen homophon, korrekt und
orthographisch berechnet4.
Mittelwerte der Versuchspersonen
Betrachtung der Erstfixationszeiten (first fixations). Ein
Vergleich der Mittelwerte der drei Bedingungen mit einer
einfaktoriellen Varianzanalyse ergab hier: Keine
signifikanten Unterschiede zwischen den Mittelwerten der
drei Bedingungen (F1=2,64 , p=0,086).
Tabelle 1: Erstfixationszeiten (in ms), gemittelt über
Versuchspersonen.
Bedingung
Mittelwert
Homphon
251
Korrekt
197
Orthographisch 255
Gesamt
234
Standardabweichung
74
68
64
72
Standardfehler
21
20
18
12
Betrachtung der Gesamtfixationszeiten (viewing times).
Die einfaktorielle Varianzanalyse ergab signifikanten
Unterschiede zwischen den Mittelwerten (F1=3,428,
p<0,05). Allerdings ergaben Post-Hoc-Tests (Scheffé)
keine weiteren echten Signifikanzen.
"Tendenziell" signifikant war nur der Unterschied
zwischen der korrekten und der orthografischen Bedingung
(p=0,064).
4
Histogramme hierzu befinden sich im Anhang
Standardabweichung
287
155
386
311
Standardfehler
83
45
111
52
Mittelwerte der Items
Betrachtung der Erstfixationszeiten. Es konnten keine
echt signifikanten Unterschiede festgestellt werden
(F2=2,783, p=0,082).
Tabelle 3: Erstfixationszeiten (in ms), gemittelt über Items.
Bedingung
Mittelwert
Homophon
254
Korrekt
193
Orthographisch 270
Gesamt
239
Standardabweichung
65
32
105
78
Standardfehler
22
11
35
15
Betrachtung der Gesamtfixationszeiten. Es gibt
signifikante Unterschiede in den Mittelwerten (F2=4,005,
p=0,032). Weiterhin gibt es einen tendenziell signifikanten
Unterschied zwischen
der korrekten und der
orthografischen Bedingung (p=0,066). Aber auch
homophon vs. korrekt ist jetzt tendenziell signifikant
(p=0,071).
Tabelle 3: Gesamtfixationszeiten (in ms), gemittelt über
Items.
Bedingung
Mittelwert
Homophon
254
Korrekt
193
Orthographisch 270
Gesamt
239
Standardabweichung
65
32
105
78
Standardfehler
22
11
35
15
Vergleich der Wahrscheinlichkeiten (relative
Häufigkeiten) zur Fixation und Einzelfixation
Die Wahrscheinlichkeit zur Fixation eines Schlüsselwortes
ist die Anzahl der Fixationen in einer der drei Bedingungen
geteilt durch die Anzahl der darauf möglichen Fixationen.
Die Wahrscheinlichkeit zur Einzelfixation ergibt sich
dagegen aus der Anzahl der einmaligen Fixationen (single
fixations) in einer Bedingung, geteilt durch die Anzahl der
tatsächlich erfolgten Fixationen in dieser Bedingung.
Abbildung 1: Wahrscheinlichkeiten zur Fixation.
og
ra
ko
op
fis
r
re
ho
ch
k
n
t
Mittelwert
Homophon
565
Korrekt
322
Orthographisch 613
Gesamt
500
Hier
wurden
jeweils
die
Annahmen,
die
Wahrscheinlichkeiten zur Fixation in der Bedingung
korrekt (bzw. homophon oder orthographisch) sei identisch
zu den jeweils anderen, mit einem Vierfelder-ChiquadratTest überprüft. Diese Annahme konnte für keine der 3
Kombinationen widerlegt werden. Für den Vergleich
homophon vs. orthographisch ergab sich ein Chi-Wert von
0,084. Da der Vergleich orthographisch vs. korrekt einen
Chi-Wert von 0,185 ergab und der Unterschied der
Wahrscheinlichkeiten zwischen homophon und korrekt
noch geringer ist (siehe Tabelle) wurde hier auf einen
Vierfelder-Chiquadrat-Test verzichtet.
Der kritische Chi-Wert (df 1 bei 5% alpha-Fehler) von
3,841, der zum Verwerfen der Hypothese hätte übertroffen
werden müssen, konnte also in keiner Kombination erreicht
werden.
Wir müssen also davon ausgehen, dass es keine
signifikanten Unterschiede in den Wahrscheinlichkeiten
zur Fixation in den drei Bedingungen gab.
or
th
Bedingung
Wahrscheinlichkeiten zur Fixation
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
ho
m
Tabelle 2: Gesamtfixationszeiten (in ms), gemittelt über
Versuchspersonen.
Wahrscheinlichkeiten zur Einzelfixation
Wieder wurden die Annahmen, die Wahrscheinlichkeiten
zur Einzelfixation in den Bedingungen seien identisch,
überprüft.
Beim Vergleich von homophon mit orthographisch lies
sich diese Annahme nicht wiederlegen (Chi-Wert: 0,877),
dasselbe gilt für den Vergleich der homophonen mit der
korrekten Bedingung (Chi-Wert: 1,480).
Dagegen musste die Annahme, die Wahrscheinlichkeit
zur Einzelfixation eines korrekten Schlüsselwortes sei
gleich der Wahrscheinlichkeit zur Einzelfixation eines
orthographischen Fehlers, bei einem Chi-Wert von 4,490,
verworfen werden.
Nur hier lies sich also ein signifikanter Unterschied
nachweisen.
or
th
og
ra
ko
op
fis
r
re
ho
ch
kt
n
Abbildung 2: Wahrscheinlichkeiten zur Einzelfixation.
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
ho
m
0
Diskussion
Was bedeuten unsere Daten generell? Die Daten legen
nahe, dass geringe Unterschiede (zwar sind die
Unterschiede meist nicht signifikant, jedoch tendenziell
erkennbar) zwischen der korrekten und den beiden
Fehlerbedingungen in den Fixationszeiten und den
relativen Häufigkeiten bestehen. Die falschen Bedingungen
unterscheiden sich dagegen überhaupt nicht voneinander.
Das ließe den Schluss zu, dass die Annahme früher
phonologischer Kodierung in der ersten Fremdsprache eher
nicht gerechtfertigt ist. Um eine späte phonologische
Kodierung zu postulieren, bräuchte man zum Beispiel die
Regressionswahrscheinlichkeiten, um festzustellen, dass
falsche homophone Zielwörter erst in einer späteren Phase
(postlexikalisch) bemerkt und integriert wurden.
Interessant ist dazu ein Vergleich zwischen den
Erstfixationszeiten und den Gesamtfixationszeiten
bezüglich der entsprechenden Unterschiede zwischen den
Bedingungen.
Bei der Annahme später phonologischer Kodierung
könnte es sein, dass die Unterschiede zwischen
homophoner und orthographischer Bedingung bei
Betrachtung der Gesamtfixationszeiten größer werden als
bei Betrachtung der Erstfixationszeiten.
Leider lässt sich ein derartiges Muster nicht erkennen, da
die Mittelwerte über die Personen zwar dieses Muster
zeigen, die Mittelwerte über die Items aber ein genau
entgegengesetztes Datenmuster aufweisen.
Man ist nun versucht folgendes zu folgern: Es gibt keine
Hinweise auf eine Dominanz früher oder später
phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der
ersten Fremdsprache.
Um nun unsere Daten mit denen von Daneman und
Reingold bzw. Rayner und Pollatsek vergleichen zu
können, müssen wir natürlich beachten, dass es sich bei
unseren Subjekten um Fremdsprachler handelt. Vielleicht
ist solcher Vergleich eher gerechtfertigt, wenn man die
geringere Sprachkompetenz in der ersten Fremdsprache
berücksichtigt. Laut Theorien über Dyslexie orientieren
sich nämlich lese- und rechtschreibschwache Kinder beim
Lesen mehr am visuellen Kode als am phonologischen
Kode der Worte (Barron, 1980). Könnte man deren
Defizite in geringerem Masse auch bei (relativ guten)
Fremdsprachlern vermuten, dann wäre unser Ergebnis
insofern plausibel, als dass wir noch weniger Chancen
hatten, eine frühe phonologische Kodierung zu finden.
Das würde auch erklären, weshalb man keine
signifikanten Unterschiede zwischen homophoner und
orthografischer Bedingung in den Erstfixationszeiten
findet.
Weiter stellt sich die Frage, ob das Design unseres
Experiments eher dem der Forschergruppe um Daneman
ähnelt oder eher dem Design der Experimente von Rayner
et al. Einige Argumente sprechen eher für eine Ähnlichkeit
mit dem Experiment von Daneman et al.:
Wir benutzten eine (ausgedachte) Story, ähnlich der
Vorgehensweise von Daneman et al., welche eine
adaptierte, vorhandene Geschichte verwendeten.
Auch die Frequenz der Zielwörter innerhalb unseres Textes
ähnelt eher der Frequenz der Zielwörter von Daneman et al.
(bei uns gab es etwa alle 20 Wörter ein inkorrektes
Zielwort, bei Daneman alle 50-60, und bei Rayner etwa
alle 80 Wörter). Auch die Daten, die unser Experiment
lieferte, entsprechen eher denen von Daneman et al.
Trotzdem sind die Ergebnisse nicht unbedingt als
Argument gegen eine frühe phonologische Kodierung, wie
sie von Rayner postuliert wird, zu sehen.
Denn die Vertreter dieser Richtung, Rayner und
Pollatsek, haben signifikante Unterschiede in den
Fixationszeiten vorwiegend in ihrer "high constrained"
Bedingung gefunden, d.h. genau dann wenn aus dem
Kontext des Textes mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das
korrekte Zielwort geschlossen werden konnte.
Bei uns stellt sich nun die Frage, inwiefern bei
Fremdsprachlern Wörter überhaupt "high constrained" sein
können. Da wir diese Problematik auch nicht kontrolliert
haben, ist es möglich, dass einige, oder sogar alle Sätze von
vornherein "low constrained" waren, die Zielwörter also
schlecht vorhersehbar. Und selbst bei normalerweise "high
constrained"-Passagen ist es bei Fremdsprachlern möglich,
dass sie nicht das Zielwort vorhersehen können.
Um diese "Störvariable" zu kontrollieren, hätten wir
einen Vortest machen können, um zu schauen, welche
Sätze auch bei Fremdsprachlern als "high constrained"
gelten können. Diese hätten wir dann mit "low
constrained"-Passagen vergleichen können (damit hätten
wir einen weiteren Faktor eingeführt).
Unsere Daten sind also recht gut mit denen von
Daneman et al. verträglich, sie widersprechen aber auch
nicht denen von Rayner et al.
Insgesamt kann man davon ausgehen, dass
phonologische Kodierung bei Fremdsprachlern eher eine
untergeordnete (und nicht-prälexikalische) Rolle zu spielen
scheint. Es bleibt aber unklar, ob dies auch für
phonologische Kodierung in der Muttersprache gilt.
Um Ergebnisse zu bekommen, die für diese Debatte von
Interesse sind, würden sich verschiedene Wege anbieten:
Man könnte zum einen Experimente, die sich stark an
denen von Daneman bzw. Rayner orientieren, mit
Fremdsprachlern durchführen und diese Ergebnisse mit
denen dieser Forschungsgruppen vergleichen.
Zum anderen könnte man unser Experiment mit
Muttersprachlern wiederholen und mit den jetzigen
Ergebnissen kontrastieren.
Anhang
Der Verwendete Text5
John Player was a young, good-looking man who lived in
Osnabrueck and worked as a teacher. He had just got
married (four, for, fear) weeks ago. He and his wife Eva
owned a beautiful little house outside the city. He was a
very kind husband and nearly every day when he walked
home from school he stopped at a flower shop and brought
his wife a red rose.
She always was waiting for him in front of the house and
welcomed him with a hug and a kiss. When the weather
was nice, which it was in fact almost everyday, they went
outside and enjoyed the warm (sun, son, sin). In
Osnabrueck you'd have to wait a long time until you could
catch some rain.
One day they were sitting in their garden as usual, and
Eva offered her husband another (piece, peace, pace) of
cake when John suddenly asked: 'Do you also hear this
strange noise?' He tried to locate the source of this sound it seemed to come from above. John looked towards the
blue sky and cried out: "Oh my god, look Eva, there!" He
pointed his finger at the sky, and when Eva rose her head
she began to scream.
Then suddenly the weather changed and it started to get
very cold. Eva, still screaming, tried to get up, but for
(some, sum, same) reason she could not move. Then she
saw how John, together with his chair, slowly began to
ascend. She tried to do something, but it seemed as if
something or someone prevented her from helping her
husband.
When John was already ten feet high he suddenly
disappeared. Only a little cloud of smoke showed where he
had just been. And then it was all over, just as nothing ever
happened. Eva did not see John again. One (week, weak,
wake) later she moved to another city. In the neighborhood
it was rumored that her husband left her because of another
woman
and that she refusing to believe it therefore made up this
insane story about some UFO and aliens who kidnapped
her husband. Years later on a sunny afternoon Eva was on
the way to a friend sitting in her car when all of a sudden
she started to hear a strange noise. She guessed it was
something on the (road, rode, rude) she was driving on.
Eva started to (brake, break, broke) and looked in the
5
Absätze markieren neue Bildschirmseiten in der
Präsentation.
rear-view mirror. And there on the left side of the road,
John was sitting and waving. She could not believe what
she saw but it was no fata morgana. It was her husband after all these years! She helped him up and they got into
the car.
'Where the hell have you been John?' Eva tried not to cry
but she could not help it. John embraced her: 'Everything is
okay now, I'm back. Gimme just a little break, then I will
tell you everything I've experienced the last years. You
know, once I thought I am strong but I'm not. Nobody is.
Humans are so (weak, week, wake)!'
Eva looked at her husband. 'What do you mean?' But
before he could answer her question a wall materialized in
front of them and their car rammed it with full speed. Both
of them (were, wear, wire) dead immediately. And the
morals of the story: 'Don't believe everything you read!'
Die Instruktion
Hallo,
Erst mal vielen Dank, dass Du uns Deine Zeit opferst und
an unserem Experiment teilnimmst.
Es handelt sich hierbei um ein psycholinguistisches
Experiment, wobei Du einen sogenannten Eye-Tracker
aufgesetzt bekommst, der Deine Augenbewegungen
aufzeichnet. Es ist sehr wichtig, dass Du die folgenden
Anweisungen befolgst, da wir sonst die gewonnenen Daten
nicht auswerten können, womit die Mühe ganz umsonst
gewesen wäre.
Versuchsablauf:
Versuche bitte, nachdem Du den Eye-Tracker aufgesetzt
bekommen hast, eine bequeme, aufrechte Haltung
einzunehmen und Dich während des gesamten Versuches
möglichst wenig zu bewegen. Lasse Deine Augen die
ganze Zeit auf den Bildschirm gerichtet und bewege nicht
deinen Kopf. Du bekommst einen englischen Text
präsentiert. Bitte lies ihn so langsam und aufmerksam
durch, dass Du anschließend in der Lage bist, einige
Verständnisfragen zu beantworten.
Der Text wird in mehreren Abschnitten präsentiert.
Immer, wenn Du am Ende einer Bildschirmpräsentation
angelangt bist, drücke Escape, und es erscheint der nächste
Abschnitt. Du kannst nicht wieder zurückgehen, also
drücke Escape erst, wenn Du wirklich am Ende angelangt
bist.
Du solltest Deine ganze Aufmerksamkeit dem Inhalt des
Textes widmen. Eventuelle Rechtschreib- oder Formfehler
kannst Du getrost ignorieren! Und noch mal: es ist
besonders wichtig, Deinen Kopf still zu halten und ihn
nicht während des Experimentes in eine andere Richtung
zu bewegen - keine Angst, das Experiment dauert
höchstens fünf Minuten. Am besten, Du sagst auch nichts,
während Du den Text liest, da auch das eine Bewegung des
Kopfes verursachen würde. Eventuelle Fragen kannst Du
hinterher stellen. Also, viel Spaß!
Literatur
Rayner, K., Pollatsek, A., Binder, K. S. (1998).
„Phonological codes and eye movements in reading.”
Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory,
and Cognition, 24, 476-497.
Daneman, M., & Reingold, E. M. (1993). “What eye
fixations tell us about phonological recoding during
reading.” Canadian Journal of Experimental Psychology,
47, 153-178.
Daneman, M., & Reingold, E. M. (2000). “Do readers use
phonological codes to activate word meanings? Evidence
from eye movements.” In A. Kennedy, R. Radach, D.
Heller & J. Pynte (Eds), Reading as a perceptual process.
(pp. 447-473).
Barron, R. W. (1980). “Visual and phonological strategies
in reading and spelling.” In U. Frith (Ed.), Cognitive
Processes in Spelling. Toronto: Academic Press, pp.195213.
Histogramme
Abbildung 3: Histogramm der Viewing Times, gemittelt über Items.
1600
1400
Zeit (ms)
1200
1000
800
600
400
200
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Wort Nr.
homophon
korrekt
orthographisch
Abbildung 4: Histogramm der First Fixations, gemittelt über Items.
500
450
400
Zeit (ms)
350
300
250
200
150
100
50
0
1
2
3
4
5
6
7
8
Wort Nr.
homophon
korrekt
othographisch
9
Abbildung 5: Histogramm der Viewing Times, gemittelt über Versuchspersonen.
1.800
1.600
1.400
Zeit (ms)
1.200
1.000
800
600
400
200
00
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Vpn Nr.
homophon
korrekt
orthografisch
Abbildung 6: Histogramm der First Fixations, gemittelt über Versuchspersonen.
400
350
Zeit (ms)
300
250
200
150
100
50
00
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Vpn Nr.
homophon
korrekt
orthografisch
12