Die Rolle phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der
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Die Rolle phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der
Die Rolle phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der ersten Fremdsprache Robert Becker ([email protected]) Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany Christian Mühl ([email protected]) Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany Ulrich Pfeiffer ([email protected]) Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany Frank Freyer ([email protected]) Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany Lasse Scherffig ([email protected]) Department of Cognitive Science, University of Osnabrueck, Germany Abstract Welche Rolle spielt phonologische Kodierung beim Lesen von Texten in der ersten Fremdsprache? Diese Studie mit dem EyeTracker versucht, Licht hinter diese Frage zu bringen und damit die Diskussion um die Bedeutung von phonologischer Kodierung um einen weiteren Aspekt zu bereichern. Dazu wurden die Fixationszeiten von korrekten Schlüsselwörtern mit denen von inkorrekten Homophonen und inkorrekten Kontrollwörtern verglichen. Die Ergebnisse lassen bezüglich der Rolle phonologischer Kodierung während des Lesens von fremdsprachlichen Texten jedoch keine eindeutigen Schlüsse zu. Einführung Spielt die phonologische Kodierung eine Rolle beim lexikalischen Zugriff, das heißt bei der frühen Verarbeitung von Wortbedeutungen während des Lesens? Als Antwort auf diese Frage existieren momentan zwei widersprüchliche Modelle. Eines vorgeschlagen von Rayner et al., das andere von Daneman et al. Das Modell von Rayner et al. spricht der phonologischen Kodierung eines Wortes eine wichtige Rolle beim frühen Zugriff auf dessen Bedeutung zu, wohingegen Daneman et al. dafür plädieren, dass phonologische Kodierung eher eine untergeordnete, postlexikalische Rolle spielt. Zu beiden Modellen gibt es unterstützende Experimente, die von Rayner et al. beziehungsweise Daneman et al. durchgeführt wurden1. 1 Titel und Erscheinungsjahr der Texte, auf die wir uns beziehen kann man den Literaturangaben entnehmen. In den Versuchen beider Parteien wurde jeweils die Augenbewegung der Versuchspersonen während des Lesens eines Textes mittels eines Eye-Trackers gemessen und durch Anwendung verschiedener Paradigmen Vergleiche zwischen den Fixationen auf richtigen und falschen Homophonen sowie orthographischen Kontrollwörtern durchgeführt. Wir haben uns entschlossen, die Rolle der phonologischen Kodierung beim Lesen von nichtmuttersprachlichen Texten zu ermitteln. Dabei richteten wir uns nach dem von Daneman et al. 1998 und Rayner et al. 1998 angewandten Paradigma: Den Versuchspersonen wird ein Text präsentiert, der eine Reihe von Homophonen enthält, die auf drei Weisen variiert werden. Entweder wird (a) das kontextuell richtige Homophon, (b) das entsprechende falsche Homophon oder (c) ein zu (a) orthographisch ähnliches Nicht-Homophon präsentiert. Während die (deutsche) Versuchsperson den (englischen) Text liest, wird die Augenbewegung mittels eines EyeTrackers aufgezeichnet. In der Auswertung interessieren besonders zwei Vergleiche: gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den Fixationszeiten (i) des korrekten Wortes (richtiges Homophon) und denen der falschen Wörter (falsches Homophon & Nichthomophon) und (ii) des falschen Homophons und des Nichthomophons. Unter den möglichen Datenmustern, die dieses Experiment ergeben könnte, sind zwei besonders interessant: a) Später oder kein Einfluss phonologischer Information. Die Fixationszeiten des korrekten Homophons sind signifikant kürzer als die des inkorrekten Homophons, welche wiederum identisch (d.h. nicht signifikant unterschiedlich) mit den Fixationszeiten des Nichthomophons sind. Solche Daten würden anzeigen, dass der lexikalische Zugriff vor dem Entschluss, die Augen zum nächsten Wort zu bewegen, aktiviert wird, die auditorische Information jedoch nicht so früh verarbeitet wird. Diese Daten würden also dafür sprechen, dass die phonologische Kodierung erst nach dem lexikalischen Zugriff eine Rolle spielt. b) Früher Einfluss phonologischer Information. Die Fixationszeiten der beiden Homophone (korrekt und inkorrekt) sind identisch beide jedoch signifikant kürzer als die der orthographischen Bedingung. In diesem Fall könnte man davon ausgehen, dass zu dem Zeitpunkt, an dem die Augen zum nächsten Wort gehen, die phonologische Kodierung bereits verarbeitet wurde, die orthographische Kodierung jedoch noch nicht so weit entschlüsselt ist, dass die beiden Homophone voneinander unterschieden werden. Das würde also darauf hindeuten, dass beim lexikalischen Zugriff die phonologische Kodierung eine entscheidende Rolle spielt, die orthographische Kodierung hingegen höchstens bei der postlexikalischen Integration von Bedeutung ist. Alle anderen Datenmuster sind, vor dem Hintergrund der bisherigen Forschungsergebnisse, von zweitrangiger Bedeutung. Methodik Probanden Bei den 12 Versuchspersonen handelt es sich um Cognitive Science Studenten der Universität Osnabrück mit Englisch als erster Fremdsprache. Die Teilnahme war freiwillig und ohne Gewähr von Versuchspersonenstunden oder Bezahlung. Einziger Anreiz für die Teilnahme war ein kleines Dankeschön und eigenes Interesse. Die Probanden wurden nicht über die Fragestellung des Experiments informiert. Bei Interesse wurden sie im nachhinein aufgeklärt. Geräte ‘ Als Messgerät wurde ein Eye-Tracker "Eye-Link" der Firma SMI verwendet. Das System ist kopfbasiert und die zum Rechner relativen Kopfbewegungen wurden registriert und verrechnet. Weiterhin benutzten wir einen 17-ZollMonitor. Die Probanden saßen etwa 60 cm vom Bildschirm entfernt. Die örtliche Auflösung des Eye-Trackers (kleinstes Inkrement) entsprach 0,005 Grad (1 Pixel), bei einer maximalen Abweichung von der tatsächlichen Augenposition von 0,5 bis 1,0 Grad. Die zeitliche Auflösung lag bei 250 Hz. Die zeitliche Genauigkeit des Gerätes (Dauer zwischen Messung und Bereitstellung der Daten) betrug 10 ms. Während des Versuches wurden die Bewegungen beider Augen vom Eye-Tracker auf einen Rechner übertragen und alle Fixationen und Shifts, mit jeweiligem Anfang, Ende und ihren Positionsdaten aufgezeichnet, sowie Blinks (Zwinkern) und Pupillengröße. Textmaterial Der zu lesende Text wurde von uns konstruiert und war, im Rahmen unserer Englischkenntnisse, inhaltlich leicht verständlich. Für den Versuch wurde er auf 9 Bildschirmseiten aufgeteilt. Um die Unterschiede im Fixationsverhalten festzustellen, wurden in unserem Versuchstext an verschiedenen Stellen Wörter ausgetauscht. Entweder wurde das korrekte Wort durch ein kontextuell falsches Homophon oder durch einen orthographischen Fehler ersetzt. Kontextuell falsches Homophon bedeutet, dass es sich bei dem Zielwort um ein Wort handelt, dass an dieser Stelle inhaltlich unpassend ist, jedoch in der Aussprache identisch mit dem eigentlich an diese Stelle gehörigen Wort ist. Die orthographischen Fehler waren inhaltlich ebenfalls schwer integrierbar, hatten jedoch auch kaum phonologische Ähnlichkeit mit dem Originalwort. Ein Beispiel aus dem Text wäre das Tripel (sun, son, sin). Auf jeder Bildschirmseite befand sich ein Zielwort, d.h. ein Wort aus einem der Tripel (korrektes Homophon, falsches Homophon, orthographischer Fehler). Durch die Permutation der Reihenfolge der Zielworttypen bei verschiedenen Versuchspersonen wurde die Gefahr eines Konstruktionseinflusses unseres Textes bei den Versuchsergebnissen minimiert. Es gab also Texte mit der Zielwortreihenfolge HKO, KOH, KHO, HOK, OHK, OKH (O - orthographischer Fehler, H - falsches Homophon, K korrektes Homophon). Durch das Festlegen einer „area of interest“ um die Zielwörter herum war es im nachhinein möglich, den Zielwörtern Fixationen zuzuordnen. Dieser Bereich, welcher sich auf das Wort und einen knappen Bereich um es herum bezog, war links vom Wort etwas größer als rechts, da von links nach rechts Leser einen leicht nach rechts verschobenen Aufmerksamkeitsbereich besitzen. Ein Beispiel aus dem Text2: "John Player was a young good-looking man who lived in Osnabrueck, and worked as a teacher. He had just got married (four, for, fear) weeks ago." Störvariablen Es gab mehrere Störvariablen, die wir kontrolliert haben, soweit es unseren Möglichkeiten entsprach. Eine Störvariable waren die Englischkenntnisse der Probanden. Um diese zu kontrollieren wurden ausschließlich Cognitive Science Studenten mit erster Fremdsprache Englisch getestet. Da große Teile des Studiengangs in Englisch gehalten werden, kann man hier 2 Der gesamte Text befindet sich im Anhang auf relativ gleichmäßige Kenntnisse vertrauen. Eine weitere nicht kontrollierte Variable und damit mögliche Fehlerquelle, war die orthographische Ähnlichkeit der Homophone. Auch die Frequenz der Zielwörter in unserem Text wurde nicht kontrolliert. Weiter wurde die Frequenz der Zielwörter in der englischen Sprache nicht objektiv kontrolliert. Allerdings entstammten die verwendeten Wörter alle dem Grundwortschatz eines Schulenglischkurses der gymnasialen Oberstufe. Auch die kontextuelle Auffälligkeit der falschen Zielwörter wurde nicht kontrolliert. Wir haben aber versucht, das falsche Homophon und den orthographischen Fehler im jeweiligen Kontext gleich unpassend zu wählen. Versuchsablauf Den Probanden wurde vor dem Experiment ein Text mit Instruktionen zum Versuchsablauf3 gegeben. Dieser sollte gründlich durchgelesen werden. Darin wurden sie um das Ignorieren von eventuellen orthographischen bzw. grammatikalischen Fehlern im Text gebeten. Die Instruktion diente auch dazu, eventuelle Fehler der Probanden zu vermeiden. Es wurde noch einmal die Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Textes gelenkt und eine bequeme und bewegungsarme Haltung empfohlen. Die Ankündigung von Verständnisfragen sollte sicherstellen, dass der Text aufmerksam und gründlich gelesen wurde. Im nachhinein wurden dann jedoch keine Fragen unsererseits gestellt. Nach dem Lesen der Instruktionen wurde der Versuchsperson der Eye-Tracker aufgesetzt, angepasst und kalibriert. Diese Vorgänge dauerten im Schnitt 5 bis 10 Minuten. Waren die Einstellungen und Tests einwandfrei abgeschlossen, wurde am Monitor mit der Textpräsentation begonnen. Durch Drücken einer Taste bekam die Versuchsperson den nächsten Abschnitt zu lesen. Die Taste sollte erst nach erfolgtem Lesen der Seite betätigt werden. Ein Zurückspringen zu vorhergehenden Bildschirmseiten wurde ausgeschlossen. Der Versuch war abgeschlossen, sobald die Versuchsperson die letzte Bildschirmseite gelesen hatte. Design und Datenanalyse Wir benutzten ein einfaktorielles Design mit 3 Stufen: Korrekte Bedingung, homophone Bedingung und orthografische Bedingung. Zu vergleichende Werte waren die Mittelwerte der Fixationszeiten (Erstfixationen und Gesamtfixationszeiten) und die Wahrscheinlichkeiten für Fixationen im Allgemeinen sowie Wahrscheinlichkeiten für Einzelfixationen (single fixations) im Speziellen. Es wurden nur Fixationen auf den Schlüsselwörtern betrachtet. Dazu wurden "areas of interest" gebildet. Der linksseitige Anfang dieser Rahmen begann 3 Pixel nach 3 Die Instruktion befindet sich im Anhang dem letzten Wort und endete rechtsseitig wieder 3 Pixel nach dem Zielwort. Nach oben und unten waren die Rahmen begrenzt durch die Mitten der Zeilenzwischenräume. Ergebnisse Wir entschieden uns dafür, die Auswertung ohne Elimination von Ausreißern (Extrema von mehr als 2 oder 3 Standardabweichungen) durchzuführen, da aufgrund der wenigen korrespondierenden Werte (2, maximal 3) Ausreißer schwer zu bestimmen waren. Einfaktorielle Varianzanalyse Es wurden die Fixationszeiten der ersten Fixation, sowie die Gesamfixationszeiten auf den Schlüsselworten ermittelt. Aus diesen Daten wurden jeweils die Mittelwerte der einzelnen Versuchspersonen und der einzelnen Items für die drei Bedingungen homophon, korrekt und orthographisch berechnet4. Mittelwerte der Versuchspersonen Betrachtung der Erstfixationszeiten (first fixations). Ein Vergleich der Mittelwerte der drei Bedingungen mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse ergab hier: Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Mittelwerten der drei Bedingungen (F1=2,64 , p=0,086). Tabelle 1: Erstfixationszeiten (in ms), gemittelt über Versuchspersonen. Bedingung Mittelwert Homphon 251 Korrekt 197 Orthographisch 255 Gesamt 234 Standardabweichung 74 68 64 72 Standardfehler 21 20 18 12 Betrachtung der Gesamtfixationszeiten (viewing times). Die einfaktorielle Varianzanalyse ergab signifikanten Unterschiede zwischen den Mittelwerten (F1=3,428, p<0,05). Allerdings ergaben Post-Hoc-Tests (Scheffé) keine weiteren echten Signifikanzen. "Tendenziell" signifikant war nur der Unterschied zwischen der korrekten und der orthografischen Bedingung (p=0,064). 4 Histogramme hierzu befinden sich im Anhang Standardabweichung 287 155 386 311 Standardfehler 83 45 111 52 Mittelwerte der Items Betrachtung der Erstfixationszeiten. Es konnten keine echt signifikanten Unterschiede festgestellt werden (F2=2,783, p=0,082). Tabelle 3: Erstfixationszeiten (in ms), gemittelt über Items. Bedingung Mittelwert Homophon 254 Korrekt 193 Orthographisch 270 Gesamt 239 Standardabweichung 65 32 105 78 Standardfehler 22 11 35 15 Betrachtung der Gesamtfixationszeiten. Es gibt signifikante Unterschiede in den Mittelwerten (F2=4,005, p=0,032). Weiterhin gibt es einen tendenziell signifikanten Unterschied zwischen der korrekten und der orthografischen Bedingung (p=0,066). Aber auch homophon vs. korrekt ist jetzt tendenziell signifikant (p=0,071). Tabelle 3: Gesamtfixationszeiten (in ms), gemittelt über Items. Bedingung Mittelwert Homophon 254 Korrekt 193 Orthographisch 270 Gesamt 239 Standardabweichung 65 32 105 78 Standardfehler 22 11 35 15 Vergleich der Wahrscheinlichkeiten (relative Häufigkeiten) zur Fixation und Einzelfixation Die Wahrscheinlichkeit zur Fixation eines Schlüsselwortes ist die Anzahl der Fixationen in einer der drei Bedingungen geteilt durch die Anzahl der darauf möglichen Fixationen. Die Wahrscheinlichkeit zur Einzelfixation ergibt sich dagegen aus der Anzahl der einmaligen Fixationen (single fixations) in einer Bedingung, geteilt durch die Anzahl der tatsächlich erfolgten Fixationen in dieser Bedingung. Abbildung 1: Wahrscheinlichkeiten zur Fixation. og ra ko op fis r re ho ch k n t Mittelwert Homophon 565 Korrekt 322 Orthographisch 613 Gesamt 500 Hier wurden jeweils die Annahmen, die Wahrscheinlichkeiten zur Fixation in der Bedingung korrekt (bzw. homophon oder orthographisch) sei identisch zu den jeweils anderen, mit einem Vierfelder-ChiquadratTest überprüft. Diese Annahme konnte für keine der 3 Kombinationen widerlegt werden. Für den Vergleich homophon vs. orthographisch ergab sich ein Chi-Wert von 0,084. Da der Vergleich orthographisch vs. korrekt einen Chi-Wert von 0,185 ergab und der Unterschied der Wahrscheinlichkeiten zwischen homophon und korrekt noch geringer ist (siehe Tabelle) wurde hier auf einen Vierfelder-Chiquadrat-Test verzichtet. Der kritische Chi-Wert (df 1 bei 5% alpha-Fehler) von 3,841, der zum Verwerfen der Hypothese hätte übertroffen werden müssen, konnte also in keiner Kombination erreicht werden. Wir müssen also davon ausgehen, dass es keine signifikanten Unterschiede in den Wahrscheinlichkeiten zur Fixation in den drei Bedingungen gab. or th Bedingung Wahrscheinlichkeiten zur Fixation 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 ho m Tabelle 2: Gesamtfixationszeiten (in ms), gemittelt über Versuchspersonen. Wahrscheinlichkeiten zur Einzelfixation Wieder wurden die Annahmen, die Wahrscheinlichkeiten zur Einzelfixation in den Bedingungen seien identisch, überprüft. Beim Vergleich von homophon mit orthographisch lies sich diese Annahme nicht wiederlegen (Chi-Wert: 0,877), dasselbe gilt für den Vergleich der homophonen mit der korrekten Bedingung (Chi-Wert: 1,480). Dagegen musste die Annahme, die Wahrscheinlichkeit zur Einzelfixation eines korrekten Schlüsselwortes sei gleich der Wahrscheinlichkeit zur Einzelfixation eines orthographischen Fehlers, bei einem Chi-Wert von 4,490, verworfen werden. Nur hier lies sich also ein signifikanter Unterschied nachweisen. or th og ra ko op fis r re ho ch kt n Abbildung 2: Wahrscheinlichkeiten zur Einzelfixation. 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 ho m 0 Diskussion Was bedeuten unsere Daten generell? Die Daten legen nahe, dass geringe Unterschiede (zwar sind die Unterschiede meist nicht signifikant, jedoch tendenziell erkennbar) zwischen der korrekten und den beiden Fehlerbedingungen in den Fixationszeiten und den relativen Häufigkeiten bestehen. Die falschen Bedingungen unterscheiden sich dagegen überhaupt nicht voneinander. Das ließe den Schluss zu, dass die Annahme früher phonologischer Kodierung in der ersten Fremdsprache eher nicht gerechtfertigt ist. Um eine späte phonologische Kodierung zu postulieren, bräuchte man zum Beispiel die Regressionswahrscheinlichkeiten, um festzustellen, dass falsche homophone Zielwörter erst in einer späteren Phase (postlexikalisch) bemerkt und integriert wurden. Interessant ist dazu ein Vergleich zwischen den Erstfixationszeiten und den Gesamtfixationszeiten bezüglich der entsprechenden Unterschiede zwischen den Bedingungen. Bei der Annahme später phonologischer Kodierung könnte es sein, dass die Unterschiede zwischen homophoner und orthographischer Bedingung bei Betrachtung der Gesamtfixationszeiten größer werden als bei Betrachtung der Erstfixationszeiten. Leider lässt sich ein derartiges Muster nicht erkennen, da die Mittelwerte über die Personen zwar dieses Muster zeigen, die Mittelwerte über die Items aber ein genau entgegengesetztes Datenmuster aufweisen. Man ist nun versucht folgendes zu folgern: Es gibt keine Hinweise auf eine Dominanz früher oder später phonologischer Kodierung beim Lesen von Texten in der ersten Fremdsprache. Um nun unsere Daten mit denen von Daneman und Reingold bzw. Rayner und Pollatsek vergleichen zu können, müssen wir natürlich beachten, dass es sich bei unseren Subjekten um Fremdsprachler handelt. Vielleicht ist solcher Vergleich eher gerechtfertigt, wenn man die geringere Sprachkompetenz in der ersten Fremdsprache berücksichtigt. Laut Theorien über Dyslexie orientieren sich nämlich lese- und rechtschreibschwache Kinder beim Lesen mehr am visuellen Kode als am phonologischen Kode der Worte (Barron, 1980). Könnte man deren Defizite in geringerem Masse auch bei (relativ guten) Fremdsprachlern vermuten, dann wäre unser Ergebnis insofern plausibel, als dass wir noch weniger Chancen hatten, eine frühe phonologische Kodierung zu finden. Das würde auch erklären, weshalb man keine signifikanten Unterschiede zwischen homophoner und orthografischer Bedingung in den Erstfixationszeiten findet. Weiter stellt sich die Frage, ob das Design unseres Experiments eher dem der Forschergruppe um Daneman ähnelt oder eher dem Design der Experimente von Rayner et al. Einige Argumente sprechen eher für eine Ähnlichkeit mit dem Experiment von Daneman et al.: Wir benutzten eine (ausgedachte) Story, ähnlich der Vorgehensweise von Daneman et al., welche eine adaptierte, vorhandene Geschichte verwendeten. Auch die Frequenz der Zielwörter innerhalb unseres Textes ähnelt eher der Frequenz der Zielwörter von Daneman et al. (bei uns gab es etwa alle 20 Wörter ein inkorrektes Zielwort, bei Daneman alle 50-60, und bei Rayner etwa alle 80 Wörter). Auch die Daten, die unser Experiment lieferte, entsprechen eher denen von Daneman et al. Trotzdem sind die Ergebnisse nicht unbedingt als Argument gegen eine frühe phonologische Kodierung, wie sie von Rayner postuliert wird, zu sehen. Denn die Vertreter dieser Richtung, Rayner und Pollatsek, haben signifikante Unterschiede in den Fixationszeiten vorwiegend in ihrer "high constrained" Bedingung gefunden, d.h. genau dann wenn aus dem Kontext des Textes mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das korrekte Zielwort geschlossen werden konnte. Bei uns stellt sich nun die Frage, inwiefern bei Fremdsprachlern Wörter überhaupt "high constrained" sein können. Da wir diese Problematik auch nicht kontrolliert haben, ist es möglich, dass einige, oder sogar alle Sätze von vornherein "low constrained" waren, die Zielwörter also schlecht vorhersehbar. Und selbst bei normalerweise "high constrained"-Passagen ist es bei Fremdsprachlern möglich, dass sie nicht das Zielwort vorhersehen können. Um diese "Störvariable" zu kontrollieren, hätten wir einen Vortest machen können, um zu schauen, welche Sätze auch bei Fremdsprachlern als "high constrained" gelten können. Diese hätten wir dann mit "low constrained"-Passagen vergleichen können (damit hätten wir einen weiteren Faktor eingeführt). Unsere Daten sind also recht gut mit denen von Daneman et al. verträglich, sie widersprechen aber auch nicht denen von Rayner et al. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass phonologische Kodierung bei Fremdsprachlern eher eine untergeordnete (und nicht-prälexikalische) Rolle zu spielen scheint. Es bleibt aber unklar, ob dies auch für phonologische Kodierung in der Muttersprache gilt. Um Ergebnisse zu bekommen, die für diese Debatte von Interesse sind, würden sich verschiedene Wege anbieten: Man könnte zum einen Experimente, die sich stark an denen von Daneman bzw. Rayner orientieren, mit Fremdsprachlern durchführen und diese Ergebnisse mit denen dieser Forschungsgruppen vergleichen. Zum anderen könnte man unser Experiment mit Muttersprachlern wiederholen und mit den jetzigen Ergebnissen kontrastieren. Anhang Der Verwendete Text5 John Player was a young, good-looking man who lived in Osnabrueck and worked as a teacher. He had just got married (four, for, fear) weeks ago. He and his wife Eva owned a beautiful little house outside the city. He was a very kind husband and nearly every day when he walked home from school he stopped at a flower shop and brought his wife a red rose. She always was waiting for him in front of the house and welcomed him with a hug and a kiss. When the weather was nice, which it was in fact almost everyday, they went outside and enjoyed the warm (sun, son, sin). In Osnabrueck you'd have to wait a long time until you could catch some rain. One day they were sitting in their garden as usual, and Eva offered her husband another (piece, peace, pace) of cake when John suddenly asked: 'Do you also hear this strange noise?' He tried to locate the source of this sound it seemed to come from above. John looked towards the blue sky and cried out: "Oh my god, look Eva, there!" He pointed his finger at the sky, and when Eva rose her head she began to scream. Then suddenly the weather changed and it started to get very cold. Eva, still screaming, tried to get up, but for (some, sum, same) reason she could not move. Then she saw how John, together with his chair, slowly began to ascend. She tried to do something, but it seemed as if something or someone prevented her from helping her husband. When John was already ten feet high he suddenly disappeared. Only a little cloud of smoke showed where he had just been. And then it was all over, just as nothing ever happened. Eva did not see John again. One (week, weak, wake) later she moved to another city. In the neighborhood it was rumored that her husband left her because of another woman and that she refusing to believe it therefore made up this insane story about some UFO and aliens who kidnapped her husband. Years later on a sunny afternoon Eva was on the way to a friend sitting in her car when all of a sudden she started to hear a strange noise. She guessed it was something on the (road, rode, rude) she was driving on. Eva started to (brake, break, broke) and looked in the 5 Absätze markieren neue Bildschirmseiten in der Präsentation. rear-view mirror. And there on the left side of the road, John was sitting and waving. She could not believe what she saw but it was no fata morgana. It was her husband after all these years! She helped him up and they got into the car. 'Where the hell have you been John?' Eva tried not to cry but she could not help it. John embraced her: 'Everything is okay now, I'm back. Gimme just a little break, then I will tell you everything I've experienced the last years. You know, once I thought I am strong but I'm not. Nobody is. Humans are so (weak, week, wake)!' Eva looked at her husband. 'What do you mean?' But before he could answer her question a wall materialized in front of them and their car rammed it with full speed. Both of them (were, wear, wire) dead immediately. And the morals of the story: 'Don't believe everything you read!' Die Instruktion Hallo, Erst mal vielen Dank, dass Du uns Deine Zeit opferst und an unserem Experiment teilnimmst. Es handelt sich hierbei um ein psycholinguistisches Experiment, wobei Du einen sogenannten Eye-Tracker aufgesetzt bekommst, der Deine Augenbewegungen aufzeichnet. Es ist sehr wichtig, dass Du die folgenden Anweisungen befolgst, da wir sonst die gewonnenen Daten nicht auswerten können, womit die Mühe ganz umsonst gewesen wäre. Versuchsablauf: Versuche bitte, nachdem Du den Eye-Tracker aufgesetzt bekommen hast, eine bequeme, aufrechte Haltung einzunehmen und Dich während des gesamten Versuches möglichst wenig zu bewegen. Lasse Deine Augen die ganze Zeit auf den Bildschirm gerichtet und bewege nicht deinen Kopf. Du bekommst einen englischen Text präsentiert. Bitte lies ihn so langsam und aufmerksam durch, dass Du anschließend in der Lage bist, einige Verständnisfragen zu beantworten. Der Text wird in mehreren Abschnitten präsentiert. Immer, wenn Du am Ende einer Bildschirmpräsentation angelangt bist, drücke Escape, und es erscheint der nächste Abschnitt. Du kannst nicht wieder zurückgehen, also drücke Escape erst, wenn Du wirklich am Ende angelangt bist. Du solltest Deine ganze Aufmerksamkeit dem Inhalt des Textes widmen. Eventuelle Rechtschreib- oder Formfehler kannst Du getrost ignorieren! Und noch mal: es ist besonders wichtig, Deinen Kopf still zu halten und ihn nicht während des Experimentes in eine andere Richtung zu bewegen - keine Angst, das Experiment dauert höchstens fünf Minuten. Am besten, Du sagst auch nichts, während Du den Text liest, da auch das eine Bewegung des Kopfes verursachen würde. Eventuelle Fragen kannst Du hinterher stellen. Also, viel Spaß! Literatur Rayner, K., Pollatsek, A., Binder, K. S. (1998). „Phonological codes and eye movements in reading.” Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 24, 476-497. Daneman, M., & Reingold, E. M. (1993). “What eye fixations tell us about phonological recoding during reading.” Canadian Journal of Experimental Psychology, 47, 153-178. Daneman, M., & Reingold, E. M. (2000). “Do readers use phonological codes to activate word meanings? Evidence from eye movements.” In A. Kennedy, R. Radach, D. Heller & J. Pynte (Eds), Reading as a perceptual process. (pp. 447-473). Barron, R. W. (1980). “Visual and phonological strategies in reading and spelling.” In U. Frith (Ed.), Cognitive Processes in Spelling. Toronto: Academic Press, pp.195213. Histogramme Abbildung 3: Histogramm der Viewing Times, gemittelt über Items. 1600 1400 Zeit (ms) 1200 1000 800 600 400 200 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Wort Nr. homophon korrekt orthographisch Abbildung 4: Histogramm der First Fixations, gemittelt über Items. 500 450 400 Zeit (ms) 350 300 250 200 150 100 50 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Wort Nr. homophon korrekt othographisch 9 Abbildung 5: Histogramm der Viewing Times, gemittelt über Versuchspersonen. 1.800 1.600 1.400 Zeit (ms) 1.200 1.000 800 600 400 200 00 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Vpn Nr. homophon korrekt orthografisch Abbildung 6: Histogramm der First Fixations, gemittelt über Versuchspersonen. 400 350 Zeit (ms) 300 250 200 150 100 50 00 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Vpn Nr. homophon korrekt orthografisch 12