Sophia Ludwigs Leiden und Sterben 1767
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Sophia Ludwigs Leiden und Sterben 1767
Aus dem Institut für Medizingeschichte der Universität Bern Direktor: Prof. Dr. med. Urs Boschung Arbeit unter der Leitung von Prof. Dr. med. Urs Boschung Sophia Ludwigs Leiden und Sterben 1767 C. G. Ludwigs Krankengeschichte und Sektionsbericht: Übersetzung, Analyse und Interpretation Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Humanmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Bern vorgelegt von Miruais Sekander Hamed von St. Margrethen 1 Von der Medizinischen Fakultät der Universität Bern auf Antrag der Dissertationskommission als Dissertation genehmigt. Promotionsdatum: Der Dekan der Medizinischen Fakultät: 2 INHALTSVERZEICHNIS 1. Einleitung ____________________________________________________ 4 1.1 Danksagung __________________________________________________________ 4 1.2 Einleitung und Motivation ______________________________________________ 4 1.3 Fragestellung, Methode und Zielsetzung __________________________________ 5 2. Christian Gottlieb Ludwig und die Medizin seiner Zeit ______________ 6 2.1 Konzepte der Medizin im 18. Jahrhundert_________________________________ 6 2.1.1 Aufklärung in der Medizin _________________________________________________________ 6 2.1.2 Obstipation im 18. Jahrhundert ______________________________________________________ 7 2.2 Christian Gottlieb Ludwig ______________________________________________ 9 2.3 Ludwigs Gemahlin Sophia Regina, geborene Reichel _______________________ 10 3. Ludwigs Bericht ______________________________________________ 11 3.1 Originaltext und Übersetzung der Krankengeschichte (S. 407-438) und des Sektionsberichts (S. 439-451) ______________________________________________ 11 4. Die Krankheit aus zeitgenössischer Sicht _________________________ 56 4.1 Zusammenfassung des Krankenberichtes_________________________________ 56 4.2 Zusammenfassung des Sektionsberichtes _________________________________ 62 4.3 Das Krankheitsverständnis aus zeitgenössischer Sicht ______________________ 63 5. Die Krankheit aus heutiger Sicht________________________________ 66 5.1 Differentialdiagnose aus heutiger Sicht___________________________________ 66 5.2 Interpretation der Krankheit aus heutiger Sicht ___________________________ 67 5.2.1 Allgemeines ____________________________________________________________________ 67 5.2.2 Aetiologie und Pathogenese________________________________________________________ 69 5.2.2 Die Todesursache________________________________________________________________ 71 5.3 Sektionsbericht ______________________________________________________ 74 6. Diskussion___________________________________________________ 77 6.1 Krankheitsverlauf und Tod ____________________________________________ 77 6.2 Ars moriendi – Die Kunst des guten Sterbens _____________________________ 78 7. Zusammenfassung ____________________________________________ 82 8. Glossar _____________________________________________________ 83 9. Quellen und Literatur _________________________________________ 88 3 EINLEITUNG 1. Einleitung 1.1 Danksagung Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor U. Boschung, Direktor des Instituts für Medizingeschichte der Universität Bern für seine stete Hilfsbereitschaft und Unterstützung, welche mir die vorliegende Dissertation ermöglicht haben. Des weiteren bedanke ich mich bei Herrn Dr. T. Marti, meinem ehemaligen Lateinlehrer an der Kantonsschule Olten, und Herrn Dr. med. A. Straumann, Spezialarzt für MagenDarmerkrankungen, welcher sich freundlicherweise bereiterklärte, die fachspezifisch gastroenterologischen Fragen der Dissertation mit mir zu erörtern. Ferner danke ich meiner Frau Fatema, meiner Schwester Selei und meinem Freund Thomas Bachmann für ihre wertvolle Hilfe. 1.2 Einleitung und Motivation Im Monat September 2001 bin ich bei Herrn Prof. Boschung vorstellig geworden, um mir für ein mögliches Dissertationsthema Rat zu holen. Ich unterbreitete ihm meine Vorstellung einer wissenschaftlichen Arbeit über den Vergleich der heutigen Diagnostik und Therapie mit einer früheren Medizinepoche. Mein Interesse für die Entwicklung der Medizin entstand schon in der Gymnasialzeit. Der Geschichtsunterricht gehörte unter anderem zu meinen Lieblingsstunden. Zudem absolvierte ich den lateinsprachigen Typus B des Gymnasiums. In diesem Zusammenhang erwähnte Herr Prof. Boschung den lateinischen Bericht des Leipziger Medizinprofessors Christian Gottlieb Ludwig (1709-1773). In einem eindrücklichen Bericht mit dem Titel „Commentatio de morbo et morte amatae conjugis“ beschrieb dieser das Leiden seiner Gattin Sophia Regina Ludwig-Reichel, welche unter anderem an starker Obstipation litt. Trotz aller Bemühungen und Therapieversuchen Ludwigs, seine Gattin zu heilen, verstarb diese am 3. September 1767 vor seinen Augen. Ich fühlte mich von der Idee, den Bericht zu übersetzen und zu interpretieren, angesprochen. Einerseits konnte man dadurch einen Einblick in die damalige Art pathophysiologischen Denkens gewinnen. Andererseits wurden auch die umfangreichen, von wenig Erfolg gekrönten Therapieversuche an der unglücklichen Patientin erwähnt. Ferner umfasste die Berichterstattung die Obduktion, an welcher Ludwig persönlich teilnahm. 4 EINLEITUNG Die Tatsache, dass Ludwig den Tod seiner Frau trotz der so zahlreichen Therapieversuche nicht verhindern konnte, macht schmerzhaft klar, dass – abhängig von der historischen Epoche – der Medizin immer gewisse Grenzen gesetzt sind. 1.3 Fragestellung, Methode und Zielsetzung Die Hauptaufgabe bestand darin, den anspruchsvollen lateinischen Bericht auf Deutsch zu übersetzen, die umfangreiche Therapie zu dokumentieren, die vorkommenden Einzelheiten soweit möglich zu erklären (siehe Glossar) und mit den Konzepten der Medizin der Aufklärungszeit in Bezug zu setzen, also den Text dem heutigen Leser in einer verständlichen Weise näherzubringen. Eine weitere Aufgabe bestand darin zu prüfen, ob und wie weit es möglich ist, aus heutiger Sicht anhand der im Bericht über den Krankheitsverlauf und im Sektionsbericht erwähnten Angaben eine klinische Diagnose zu stellen, und, falls keine eindeutige Diagnose gestellt werden kann, differentialdiagnostische Überlegungen anzustellen. 5 C. G. LUWDIG UND DIE MEDIZIN SEINER ZEIT 2. Christian Gottlieb Ludwig und die Medizin seiner Zeit 2.1 Konzepte der Medizin im 18. Jahrhundert 2.1.1 Aufklärung in der Medizin Mit der Veröffentlichung von William Harvey von 1628 wurde die Galenische Theorie, wonach altes Blut in der Peripherie versickern und neues Blut ständig in der Leber neu produziert würde, abgelöst durch den vom Herzen als Pumpe bewerkstelligten Blutkreislauf. 1 Antoni van Leeuwenhoek entdeckte und beschrieb 1683 erstmals aufgrund mikroskopischer Beobachtungen Bakterien (doch dauerte es noch fast zweihundert weitere Jahre, bis Louis Pasteur 1857 erkannte, dass Bakterien, und nicht schlechte Gerüche Krankheit verursachten).2 Giovanni Battista Morgagni, ein italienischer Arzt und Anatom, begründete mit seinem „De sedibus et causis morborum“ die pathologische Anatomie.3 Albrecht von Haller (1708-1777), der mit C. G. Ludwig, dem Verfasser des in meiner Dissertation abgehandelten Berichts, in regem Briefkontakt stand, formulierte 1730: „Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist, zu glücklich, wann sich noch die äussre Schale weist“. Er ging davon aus, dass die Reizbarkeit, d. h. die Fähigkeit zur Kontraktion von Muskeln, und die Sensibilität, d. h. die Fähigkeit zur Empfindung, als Grundkräfte des Lebens verstanden werden sollen. Die erste Fähigkeit sei an die Muskelfasern, die zweite an die Nerven gebunden. Für das Zustandekommen der Empfindung ist nach Haller nicht nur der Nerv, sondern auch die Seele unabdingbar.4 Es gab verschiedene Anschauungen, den Menschen und seine Existenz zu erklären. Eine davon war der Materialismus, verkörpert durch Julien Offroy de La Mettrie und sein Buch „Der Mensch, eine Maschine“, Leiden 1748. Eine andere, vertreten u. a. durch Georg Ernst Stahl (1660-1734), war der Animismus, der mechanische Erklärungen bezüglich der Funktionalität ablehnte und die Auffassung vertrat, dass die spezifischen Regungen des lebenden Körpers als unmittelbare Tätigkeiten der unsterblichen Seele anzuschauen seien. 1 Karger-Decker, S. 132. Karger-Decker, S. 214. 3 http://www.medhelpnet.com/medhist4.html 4 Schott, S. 201 (Urs Boschung, Physikalische und moralische Grundsätze der Medizin). 2 6 C. G. LUWDIG UND DIE MEDIZIN SEINER ZEIT Die mechanistische Physiologie betrachtete den Arzt als Ingenieur, der durch seine Kenntnis der „Maschine Mensch“ in den Gang des Räderwerks eingreift, sofern eine Störung den Ablauf der Verrichtungen behindert. Die Animisten sahen die Krankheit hingegen als eine sinnvolle Anstrengung der Seele, ein Hindernis aus dem Weg zu räumen, z. B. einen Krankheitsstoff aus dem Körper herauszuschaffen. Der Arzt, als „Diener der Natur“ angesehen, hat diese Kraft der Seele also durch geeignete Massnahmen zu unterstützen. Die praktische Medizin förderte Herman Boerhaave (1668-1738), Kliniker in Leiden, indem er der Lehre am Krankenbett zum Durchbruch verhalf. Leopold Auenbrugger (1722-1809) veröffentlichte 1761 eine Abhandlung, in der er beschrieb, wie mit Hilfe der Perkussion verborgene innere Krankheiten zu erkennen seien. 5 1819 entwickelte Théophile René Laennec die Auskultation. Diese beiden heute elementaren Bestandteile der Untersuchung prägten die klinische Medizin des 19. Jahrhunderts. Aufklärung in der Medizin bedeutete auch Reform des Medizinalwesens. Es wurden Zulassungsprüfungen eingeführt, um die Berufsausübung zu kontrollieren. Gottfried Wilhelm Leibniz (1671) forderte, dass die „gemeine Wohlfahrt“ durch behördliche Massnahmen und durch Belehrung der Untertanen gefördert werden solle. Die Grundzüge des modernen Gesundheitswesens mit dem Ziel, für die Gesundheit der Allgemeinheit zu sorgen, entwickelten sich im 18. Jahrhundert.6 2.1.2 Obstipation im 18. Jahrhundert Obschon im 18. Jahrhundert in Physiologie und Pathologie neue Konzepte entwickelt wurden, behielten dennoch speziell in der praktischen Medizin jahrhundertealte Auffassungen ihre Gültigkeit. Am wichtigsten ist die Viersäftelehre, welche auch als Humoralmedizin oder Humoralpathologie bekannt ist. Sie wurde im antiken Griechenland von Hippokrates (460-370 v. Chr.) und seinen Schülern entwickelt.7 Ursprünge finden sich in der Naturbeobachtung, wobei die Einflüsse der Umwelt auf den Menschen erkannt wurden. Die Säfte entsprachen den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde und den vier Grundqualitäten warm, feucht, kalt und trocken. 5 Karger-Decker, S. 286. Schott, S. 202 (Urs Boschung, Physikalische und moralische Grundsätze der Medizin). 7 Karger-Decker, S. 42. 6 7 C. G. LUWDIG UND DIE MEDIZIN SEINER ZEIT Nach Galen (129-199) sind für den menschlichen Körper vier Säfte bestimmend: Sanguis (Blut, warm und feucht), Phlegma (Lymphe, kalt und feucht), Cholera (Gelbe Galle, warm und trocken), Melancholera (Schwarze Galle, kalt und trocken). Diese sind in einer für jeden Menschen spezifischen Mischung im Gleichgewicht (Eukrasie); sind sie im Ungleichgewicht (Dyskrasie), so wird der Mensch krank. Das Mischungsverhältnis kann von aussen über die Nahrung, über Wärme und Kälte massgeblich beeinflusst werden, und alle anderen Umwelteinflüsse haben ebenfalls eine Einwirkung. Im Normalfall reguliert der Körper selber das Säftegleichgewicht durch Ausscheidung. Wenn nötig versucht die Medizin, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Zu den wichtigsten therapeutischen Massnahmen gehören bis ins frühe 19. Jahrhundert Aderlass und Schröpfen für den Blutentzug, Brechmittel zur Entleerung des Magens, Klistier und Abführmittel zur Stimulation der Ausscheidung aus dem Darmtrakt. Nach Friedrich Hoffmann (1660-1742) in Halle, einem der damals führenden Professoren der Medizin, ist für die Gesunderhaltung ein genügender Kreislauf aller Säfte erforderlich. Förderlich sind leicht verdauliche Speisen, ebenso eine der körperlichen Betätigung entsprechende Menge. Übermass und Stockung der Säfte führen zu Verderbnis und Fäulnis, der Ursache vieler Krankheiten. Diese sind mit Aderlässen, Purgantien, Fasten und Bewegung behandelbar. Die Anwendung von Klistieren war im 18. Jahrhundert weit verbreitet, hatte aber auch ihre Gegner, so Johann August Unzer (1727-1799): „Es ist eine üble Gewohnheit derer, die mit Verstopfungen beschwert sind, dass sie immer zu Purganzen und Clystieren ihre Zuflucht nehmen. Denn diese können zwar einmal aus der Noth helfen. Allein sie bringen die Natur nie in Ordnung. Man muss stets, wie der Herr von Pourceaugnac im Molière, mit Clystierspritzen umgeben seyn, und die erweichenden Clystiere machen endlich die untern Gedärme und die Muskeln so schwach, dass sie nicht einmal die Blähungen mehr zurückhalten können....“. Der hessische Leibarzt Johannes Kämpf (1726-1787) hingegen meinte, seine „unschuldigen, sanftwirkenden Viszeralklystiere“ hätten „unzählige Elende und Trostlose mit dem fröhlichen Genusse des Lebens versöhnt“. Gemäss seiner Auffassung liegt der Hypochondrie ein „Infarktus“, d. h. eine Verstopfung der Eingeweide durch stockendes Blut und Kotmassen zugrunde. Mit einem Kräuterabsud, den man sich mit dem Selbstklistierapparat verabreicht, lässt sich der „Morast“ ausfegen; in einzelnen Fällen waren allerdings, bis sich der Erfolg einstellte, 5000 Applikationen erforderlich. 8 8 Nach Boschung 1997. 8 C. G. LUWDIG UND DIE MEDIZIN SEINER ZEIT 2.2 Christian Gottlieb Ludwig9 Christian Gottlieb Ludwig wurde am 30. April 1709 in Brieg in Schlesien (heute Brzeg, Polen) als Sohn eines Schuhmachers geboren. 1728 immatrikulierte er sich an der Universität Leipzig. 1730 disputierte er über ein botanisches Thema unter Johann Ernst Hebenstreit (1702-1757), den er auf einer Expedition nach Nordafrika (1731-1733) begleitete. 1734 wieder in Leipzig, beendete er sein Medizinstudium mit dem Erwerb des Magister- und Doktortitels (1736, 1737). An der Universität Leipzig schlug Ludwig die akademische Laufbahn ein, die ihn vom Extraordinariat (1740) für Medizin über die ordentlichen Professuren Physiologie (17481754), Anatomie und Botanik (1754-1758), Pathologie (1758) zur Therapie und zum ständigen Dekanat der Medizinischen Fakultät (1758-1773) führte. Der Aufstieg erfolgte entsprechend der Vakanz, die entstand durch das Vorrücken oder den Tod des jeweiligen Vorgängers. Unter ihnen ist der Anatom und Botaniker August Friedrich Walther (1688-1746), der als Ludwigs wichtigster Gönner, ihm ein Haus, Garten, Herbar und Vermögen vererbte. Ludwig diente seiner Universität in erster Linie als Lehrer. Er tat dies nicht so sehr als Forscher, der die Grenzen des Wissens erweiterte, sondern als Dozent, der seinen Studenten in Vorlesungen die Grundlagen („Institutiones“) der wichtigsten Gebiete der Medizin vermittelte und dazu die erforderlichen Lehrbücher verfasste, so namentlich über Botanik, Physiologie, Pathologie, klinische Medizin, Chirurgie und Rechtsmedizin: „Institutiones pathologiae“ (1754), „Institutiones therapiae generalis“ (1754), „Institutiones medicinae clinicae“ (1758), „Institutiones medicinae forensis“ (1765), „Methodus doctrinae medicae universae“ (1766). Mit den „Adversaria medico-practica“ (1769-1774) wollte Ludwig seine ehemaligen Schüler zur vermehrten Beobachtungen der Krankheiten ermuntern, da er sah, dass man lieber nur deren Namen vermehrt und sich für die Medikamente interessiert. Eine Vorliebe hatte er für die Botanik, doch behinderten ihn vielfältige Verpflichtungen, das viermal versehene Rektorat und die ärztliche Praxis in der Pflege seines Gartens. Ludwig heiratete 1745 die Anwaltstochter Sophia Regina Reichel. Zwei Söhne, Christian und Christian Friedrich, erreichten das Erwachsenenalter, beide waren Mediziner. Ludwig starb am 7. Mai 1773. 9 Nach Boschung 2004. 9 C. G. LUWDIG UND DIE MEDIZIN SEINER ZEIT 2.3 Ludwigs Gemahlin Sophia Regina, geborene Reichel10 Die Gemahlin von C. G. Ludwig wurde am 18. August 1726 geboren. Im zarten Alter von neun Tagen verlor Sophia ihre Mutter. Ihre Kindheit verlief bis ins Alter von sechs Jahren unauffällig, danach wurde sie zu „mühseliger körperlicher Arbeit“ (408)11 gezwungen, auch wurde die „Pflege von Geist und Leib vernachlässigt“. Mit 15 Jahren (1741) kam Sophia zu ihrer Tante, welche sich der bis dahin oft kränkelnden Nichte annahm. Darauf stabilisierte sich Sophias Gesundheitszustand. Pocken und Masern machte sie in den darauffolgenden Jahren ebenfalls durch. Sophia heiratete C. G. Ludwig im Alter von 20 Jahren (1746). Als erstes Kind hatte sie mit 21 Jahren (1747) einen gesunden Sohn. Das Stillen musste sie „durch allzu starken Zuflusses der Milch geschwächt“ (409) aufgeben. Danach begannen zunehmend Spannungsgefühle in der Magengegend, sowie eine Obstipationsneigung. Anschliessend folgten noch fünf Geburten, es waren alles Söhne, allerdings fast nur Frühgeburten. Insgesamt überlebten zwei ihrer Söhne. Sophia litt von da an vermehrt an starken Monatsblutungen und Fieber. Die letzte Schwangerschaft hatte sie im Alter von 31 Jahren (1757). Seither litt sie vermehrt unter Angstgefühlen, welche jeweils bei Verschlechterung der Obstipation zunahmen; Die Obstipation war wenig therapiebeeinflussbar. Einzig durch Ochsengalle mit Zimt wurde etwas Erleichterung erzielt (411). 1764 und 1765 wurde der Versuch einer Kur in den Bädern von Lauchstädt unternommen, allerdings ohne grosse Wirkung (412). Man stand der zunehmenden Obstipation machtlos gegenüber, trotz intensiven Therapieversuchen. Die terminale Krankheit begann im August 1767 (413). Sophia Regina Ludwig-Reichel starb im Alter von 41 Jahren am 3. September 1767 (438). 10 Nach Ludwig 1770 („Commentatio de morbo et morte amatae conjugis mense decembri 1767 conscripta“). Die Zahl in Klammer verweist auf die Seitenzählung der weiter unten lateinisch und deutsch wiedergegebenen Fassung der Krankengeschichte 11 10 LUDWIGS BERICHT 3. Ludwigs Bericht 3.1 Originaltext und Übersetzung der Krankengeschichte (S. 407-438) und des Sektionsberichts (S. 439-451) 407 Commentatio de morbo et morte amatae conjugis mense de- Bericht über Krankheit und Tod der geliebten Gattin verfasst im Monat cembri 1767. conscripta. Dezember 1767 Aus: [Christian Gottlieb Ludwig (Ed.):] Adversaria medico Aus: [Christian Gottlieb Ludwig (Hrsg.):] Adversaria medico practica practica, voluminis I. pars III, Lipsiae, apud haeredes [Medizinisch-praktische Aufzeichnungen], Band 1, Teil 3, Leipzig, im Weidmanni et Reich, MDCCLXX. Verlag von Weidmanns Erben und Reich, 1770. Dolor acerbus, quem mors amatae conjugis ante tres mentes mi- Der bittere Schmerz, den der Tod der geliebten Gattin mir vor drei Monaten hi excitavit, nondum sopitus est, potius, non nihil supressus, vi- zugefügt hat; etwas unterdrückt, ist er vielmehr lebhaft wieder aufgebrochen, vide recrudescit, cum ea, quae ad rem medicam illustrandam fa- da ich gedenke, das, was medizinisch bedeutsam ist aus meinen Aufzeich- ciunt, ex adversariis meis super hac re eruere cogito, quo confu- nungen darzustellen und das, was ich verwirrt und in Angst verfasst habe, ei- se et anxie conscripta, quodam modo in ordinem redigantur. nigermassen in eine Ordnung zu bringen. Ich meinerseits sehe, wie weder Equidem praevideo, nec exercitatos medicos, ideoque nec artem geübte Ärzte noch die medizinische Kunst insgesamt aus der Darlegung, die medicam in universum, ex hac, quam exhibeo, descriptione in- ich vorstelle, einen beträchtlichen Zuwachs in der Theorie noch eine Erklä- signe doctrinae augmentum, nec illustrationem accipere posse, rung erhalten können, da alle Hilfsmittel in der schweren Krankheit erfolglos quod omnia auxilia, in gravi morbo incassum adhibita sunt, et angewandt wurden und eine regelwidrige Lage und Ausdehnung des Colons, perversus, qui sectione tandem detectus est, intestini coli situs die erst durch die Sektion erkannt wurde, als Ursache von Krankheit und Tod 11 LUDWIGS BERICHT atque expansio, ut morbi et mortis caussa proponenda jam mul- bereits durch zahlreiche andere Beobachtungen nachgewiesen ist. Jedoch, tis aliis observationibus declaratur; sed in hac re describenda et indem ich diese Sache beschreibe, ist es meine Absicht, mir und Euch, werte mihi et Vobis, Amici optimi, memoriam charissimae Ludwigiae, Freunde, die – zwar betrübliche - Erinnerung an meine geliebte Gattin zu er- quanquam tristem, renovare et doctrinae nostrae alumnis ex- neuern und den Studierenden ein Lehrbeispiel übergeben, in welcher Art die emplum tradere volui, quomodo medendi methodum et tum cum Behandlung auch dann, wenn alle Hilfe erfolglos ist omnia auxilia irrita sunt, 408 ad normam medicinae rationalis dirigere et disquisitiones ana- nach der Norm der vernünftigen Medizin angewandt und anatomisch- tomico practicas in perverso partium situ, accurata perlustratione praktische Untersuchungen bei regelwidriger Lage der Teile mit geeigneter ducti et de vero partium situ instructi, recte absolvere debeant. Fragestellung und in Kenntnis der normalen Verhältnisse angestellt werden Sophia Regina Ludwigia, nata est die 18. Augusti 1726. sollen. Etsi autem die nono aetatis matre orbata est, tamen educatio, Sophia Regina Ludwig wurde am 18. August 1726 geboren. Obschon quad animum aeque ac corpus, ad sextum usque annum, sie am 9. Lebenstag der Mutter beraubt wurde, war ihre Erziehung, was den constitutioni utriusque accomadata erat. Ab eo autem tempore Geist und den Körper anbelangt, bis zum 6. Lebensjahr in beidem ihrer Ver- sollicita corporis et animi cura maxime neglecta et nostra ad fassung angepasst. Von dieser Zeit an wurde die sorgfältige Pflege von Leib labores aerumnosos corporis viribus majores adstricta est. und Geist aufs äusserste vernachlässigt und sie zu mühseliger körperlicher Quanquam autem hac vivendi ratione corporis incrementum Arbeit gezwungen. Obgleich diese Lebensweise ihr Wachstum nicht völlig non penitus retardatum est, tamen, cum victus non semper verzögerte, ist dennoch, da die Lebensmittel nicht immer den Kräften der digestionis viribus responderet, in flore aetatis adolescentis Verdauung entsprachen, in der Blüte der Jugend eine gewisse Kränklichkeit, imbecillitas quaedam, cum cacochymia conjuncta, oborta est. verbunden mit einer schlechten Beschaffenheit der Säfte ("Kakochymie") ent- Accidit autem felici eventu, ut anno aetatis decimo quinto a standen. Es geschah aber durch einen glücklichen Zufall, dass sie im 15. Le- matris sorore exciperetur, quae ulteriorem ejus educationem bensjahr durch die Schwester der Mutter aufgenommen wurde, die ihre Er- 12 LUDWIGS BERICHT 409 sapienter direxit, hujus enim cura factum est, ut vires languidae ziehung auf verständnisvolle Art leitete. Durch ihre Pflege wurden die matten quodammodo reficerentur, quibus confirmatis, non solum Kräfte einigermassen wiederhergestellt. So gestärkt, überstand sie nicht nur variolas et morbillos prospere superavit, sed et in aliis morbis, die Pocken und Masern unversehrt, sondern es wurde auch in anderen cum cacochymia Krankheiten, die mit Ausschlägen einhergingen und durch die die „Kakochy- nonnumquam corrigitur, vita ejus conservata et sanitatis vigor mie“ sich einigermassen besserte, ihr Leben bewahrt und die Kraft der Ge- maximopere restitutus est. sundheit in hohem Grade wiederhergestellt. exanthematibus conjunctis, quibus Decimo octavo igitur aetatis anno, morbis his superatis, Im 18. Lebensjahr folglich, nachdem diese Krankheiten überstanden, humoribus correctis et aliquo partium solidarum robore inducto, die Säfte wieder ins Lot gebracht und auch die festen Teile ziemlich gekräftigt recte convaluit, quibusdam tamen imbecillitatis signis a neglecta waren, war sie ganz gesund, obschon immer noch einige Zeichen von Kränk- antea bona educatione relictis. Cum itaque ad annum vicesisi- lichkeit wegen der früher vernachlässigten Pflege bestanden. Als demnach mum [!] accederet, mihi nupsit et secundo matrimonii anno fili- das 20. Lebensjahr herannahte, wurde sie mir angetraut und gebar im zwei- um vegetum et sanum peperit, etsi gravida ob morbum meum ten Ehejahr einen kräftigen und gesunden Sohn, trotz der nicht geringen Äng- periculosum animo non parum afflicta erat. Ab hujus filii lacta- ste, die sie als Schwangere wegen meiner gefährlichen Krankheit ausstand. tione ob uberiorum lactis affluxum, quo debilitata est, abstinere Vom Stillen dieses Sohnes musste sie, wegen allzu starkem Zufluss der Milch cogebatur. Sed ab eo jam tempore haud rare de tensionibus ab- geschwächt, ablassen. Aber seit dieser Zeit klagte sie, dass sie nicht selten dominalibus praecipue in regione ventriculi conquerebatur et ein Spannen im Abdomen, vor allem in der Magengegend, plagte und zu- simul ex alvi segnitie varia incommoda patiebatur, quae tamen gleich litt sie wegen trägem Stuhlgang unter allerlei Beschwerden, die ich incommoda et potui calido, quem prae frigidiusculo amabat et dem warmen Getränk, das sie kaltem vorzog, zuschrieb, sowie einer angebo- habituali intestinorum angustiae adscribebam, imprimis cum a renen Enge der Eingeweide, insbesondere da sie durch verschiedene abfüh- variis medicamentis purgantibus, constituioni corporis accomo- rende Medikamente, die auf ihre Konstitution abgestimmt waren, nur wenig datis, parum moveretur et juvaretur. Erleichterung und Hilfe erfuhr. 13 LUDWIGS BERICHT 410 Quae postea sequuta sunt puerperia, minus felicia erant, Die späteren Geburten waren weniger glücklich, was ich neben der quod praeter imbecillitatem naturalem continuis ferme infimi angeborenen Schwäche den nahezu ständigen Unterleibskrämpfen zu- ventris spasmis, quibus tentabatur, adscribebam. Angebant illam schrieb, von denen sie geplagt wurde. Ausserdem ängstigten sie häusliche praeterea curae domesticae, cum in morbo diuturno et morte Sorgen, da sie in der langen, zum Tode führenden Krankheit des erstgebore- primogeniti filii noctes saepe insomnes transige- nen Sohnes, die Nächte oft schlaflos verbrachte, ret et, nimis saepe timida, animum et corpus defatigaret. Quin- und oft allzu furchtsam, Geist und Körper erschöpfte. So gebar sie denn fünf que igitur sequentes filios vel sexto vel septimo graviditatis Söhne aufeinanderfolgend, teils im sechsten, teils im siebten Monat der mense edebat et in graviditate ipsa, in puerperio et in servando Schwangerschaft. In der Schwangerschaft selbst, im Kindbett und bei der uno septimestri partu multis morbis usque ad septimum annum Pflege eines Siebenmonatskindes, das bis zum siebenten Jahr von vielen agitato, ita semper depressa est, ut verum corporis vigorem Krankheiten geplagt wurde, war sie stets so sehr belastet, dass sie nie richtig numquam recuperare posset. Vix enim annus erat, in quo non zu Kräften kommen konnte. Kaum war da ein Jahr, in dem sie nicht an Blu- haemorrhagiis uteri et saepe gravissmis febribus anomalis aliis- tungen des Uterus litt, und oft wurde sie durch sehr starke, regelwidrige Fie- que morbis tentaretur. Vicit tamen haec omnia usu parco selec- ber und andere Krankheiten heimgesucht. Dies alles bewältigte sie mit spar- tissimorum remediorum, apto diaetae regimine ac tranquilitate samem Gebrauch ausgewählter Heilmittel, unter Einhaltung einer geeigneten animi, et inter magnas curas domesticas ita tamen conservata Diät und Gemütsruhe. Trotz grossen häuslichen Sorgen überstand sie diese, est, ut ultima graviditas, quae in annum aetatis tricesimum pri- so dass sie die letzte Schwangerschaft, die ins 31. Lebensjahr fiel, ganz mum incidebat, felicissime ad justum terminum duceretur. Fi- glücklich bis zum richtigen Termin durchhielt. Sie gebar nämlich einen gesun- lium enim peperit sanum viresque et in graviditate et paulo post, den Sohn und hielt während der Schwangerschaft und danach ihre Kräfte auf- inprimis corticis Peruviani crebro usu adjuta, sustinuit, ita ut et recht, insbesondere dank der Unterstützung durch den häufigen Gebrauch ejus educationem, ob morbos saepius accedentes, difficilius ad der Perubaumrinde, so dass sie seine Erziehung, die wegen häufiger Krank- decimum usque aetatis annum dirigeret, ipsumque sub initium heiten ziemlich schwierig war, bis zum zehnten Lebensjahr leitete und ihn zu 14 LUDWIGS BERICHT 411 hujus anni, ex celeri corporis incremento graviter laborantem Beginn dieses Jahres, als er wegen schnellem Wachstum sehr litt, mit ihrer sua cura servaret, vigiliis nocturnis saepe detenta miserum ae- Pflege rettete, indem sie, selbst oft leidend, den armen Kranken in häufigen grum, ipsa saepe aegrotans tamen in sinu foveret. Et profecto Nachtwachen, in ihrem Schoss hielt. Und in der Tat verdanken die teuersten charissima matrimonii nostri pignora, Unterpfänder unserer Ehe, duo filii superstites, qui de obitu matris praematuro mecum lu- zwei überlebende Söhne, die über den allzu frühen Tod ihrer Mutter mit mir gent, non vitam tantum, sed conservationem quoque vitae, trauern, nicht nur das Leben, sondern auch die Erhaltung des Lebens nächst praeter Dei providentiam optimae huic matri debent der Vorsehung Gottes, dieser besten Mutter. Ipsa vero ut, per totam vitam semper imbecillis et ad So wie sie während ihres ganzen Lebens stets schwächlich war und morbos proclivis erat, sic praecipue in ultimis sex vitae annis kränkelte, so war sie hauptsächlich in den letzten sechs Jahren ihres Lebens continuis ferme anxietatibus, quae saepe animi tristitiam et durch beinahe ständige Ängste geplagt, aber die Standhaftigkeit des Geistes, moerorem hypochondriacum inducebant, agitata est, ita tamen, den sie in der traurigen Krankheit bewahrte, konnte sie durch Tugend und ut animi constantiam, in tristi morbo conservatam, virtute et re- Glauben bestärken. Diese Ängste nahmen dann besonders zu, wenn sie an ligione confirmaret. Augebantur hae anxietates tum praecipue, Verstopfung litt und der Stuhlgang oft selbst mit starken Laxativa nicht in cum alvus recte non respondebat, validisque saepe medicamen- Gang gebracht werden konnte. Oft brauchte sie eine recht grosse Dosis von tis purgantibus non moveri poterat. Salium saepe sat magna dosi Salzen, die wegen der starken Erschlaffung der Därme, die diese bewirkten, sine fructa usa est, quae ob summam, quam intestinis inducunt nicht häufiger angewandt werden konnten. Das Bitterwasser von Seydschütz, relaxationem, crebrius propinari non poterant. Aqua igitur amara durch das der Stuhlgang bei anderen leicht angeregt wird, besonders wenn Seydschuetzensis, qua alvus in aliis facile movetur, inprimis si vorher abends einige Gummi-Seifen-Pillen verabreicht werden, hatte bei ihr vesperi pilulae gummi saponacaeae praemittantur, saepe illam nichts oder nur wenig bewirkt. Auch Klistiere brachten nicht immer die erhoff- prorsus non, saepe parum movit. Nec clysmata semper speratum ten Resultate, weshalb sie im letzten Sommer 1-2 Drachmen, ja sogar bis- effectum edebant, quam ob rem aestate superiori fel taurinum weilen eine halbe Unze [4.5-6 g] frische Ochsengalle mit Zimtwasser ohne 15 LUDWIGS BERICHT recens ad drachmam unam et alteram immo interdum ad unciam Wein häufiger und fast täglich nahm, wodurch der Stuhlgang mit Erleichte- semis cum aqua cinnamomi sine vino crebrius et quotidie ferme rung ausgelöst wurde. sumsit et alvus inde cum levamine soluta est. 412 Cum enim ut plurimum foeces non satis tinctae, sed tenaces et Da nämlich die Ausscheidungen meistens nicht genügend gefärbt, sondern quasi argillaceae essent et bilis inertiam vel defectum proderent, zäh und gewissermassen tonartig waren und Trägheit oder Mangel an Galle hoc auxilio potissimum utendum erat. bewirkten, war am ehesten dieses Hilfsmittel anzuwenden. Hieme utplurimum melius se habebat amata mihi conjux Im Winter ging es meiner geliebten Gattin meistens besser, und sie et rarius anxietates has hypochondreiacas sentiebat, alvus etiam fühlte diese hypochondrischen Ängste seltener, auch war der Stuhlgang bes- melius respondebat, appropinquante autem vere, magis anxia ser. Sobald aber der Frühling näher kam, wurde sie wieder ängstlicher und reddebatur, alvo simul sicciore. Ad hanc lubricandam saepe per der Stuhlgang wieder trockener. Um diesen zu befeuchten, trank sie oft wäh- aliquot menses lac caprillum aliquoties et asinium potavit, sed rend einiger Monate Ziegenmilch und auch mehrere Male Eselsmilch, aber sine fructu, cum alvus et tunc siccior esset. Balneis Lauchsta- ohne Erfolg, trotzdem wurde die Verstopfung auch damit stärker. Im Jahre diensibus anno sexagesimo quarto et quinto quodammodo adjuta 1764 und 1765 wurde ihr in einer gewissen Weise in den Bädern von Lauch- est, motos autem in aere libero et frictiones infimi ventris in bal- städt geholfen. Die Bewegung in freier Luft und Reibungen des Unterbauchs neo, quibus tensiones reprimebantur, plus commodi praestitisse im Bad, durch die die Spannungen unterdrückt wurden, haben, so denke ich, opinor, quam vim balnei roborantem. Ideo etiam aestate superio- mehr genützt als die stärkende Kraft des Bades. So weilte sie im letzten ri saepius ruri commorata est, quo exercitatione corporis in aere Sommer öfters auf dem Lande, um dort durch körperliche Betätigung im Frei- liberiore reficeretur, saepe enim per horam et ultra sine defati- en sich zu erholen. Oft spazierte sie eine Stunde und länger, ohne zu ermü- gatione et cum vero refectionis sensu obambulavit. den und mit dem Gefühl wirklicher Erholung. Variis itaque his caussis, eam laedantibus et per tot anno- Geschwächt durch diese verschiedenen Ursachen, die sie schädigten und die während so vielen Jahren ihrem Körper zusetzten, erreichte meine 16 LUDWIGS BERICHT rum decursum corpori applicatis, debilitata conjux charissima ad liebste Gattin dieses Jahr, das ihr 41. war, dennoch ziemlich munter, hunc annum, qui quadragesimus primus vitae erat, satis tamen vegeta accessit, 413 ut negotiis domesticas accurate, uti semper fecit, praeesse pos- so dass sie die häuslichen Angelegenheiten sorgfältig, wie immer, erledigen set, sub initium aestatis vero tristia debilitatis nervorum sym- konnte. Zu Beginn des Sommers aber fühlte sie die traurigen Symptome einer ptomata sensit, anxietates nimirum crebriores, sicca saepius et Nervenschwäche und häufigere Ängste bei öfters trockenerem und verzö- tarda alvo. Foeces ob inertiam bilis argillaceae, tenaces, tensio- gertem Stuhlgang. Der Stuhl war wegen der Trägheit der Galle tonartig und nes abdominales, inprimis in hypochondriis, crebriores, continu- zäh. Häufige Bauchspannungen, besonders im Epigastrium, machten beina- as ferme molestias efficiebant et quanquam lenia laxantia , bilis he ständige Beschwerden und obwohl milde Laxantien, die Anwendung von bovinae usus, clysmata et carminativa quaedam medicamenta Rindergalle, Einläufen und blähungslösenden Medikamenten zwischendurch interdum levamen afferebant, hoc tamen exiguuum erat. für Erleichterung sorgten, war dies dennoch zu gering. Die vicesimo augusti, multis curis domesticis recte supe- Am 20. August, nachdem viele häusliche Sorgen erledigt waren, ging ratis, vesperi in rus abiit, pedestri itinere unius circiter miliaris sie abends aufs Land und bewältigte einen Fussmarsch von etwa einer Meile sine magna defatigatione absoluta quod tamen somnus, ut saepe ohne grosse Erschöpfung, worauf, was oft vorkam, der Schlaf weniger ruhig accidebat, minus tranquillus sequebatur. Die sequenti in sinistro war. Am nächsten Tag fühlte sie auf der linken Seite über der Flexura Coli latere ad flexum intestini coli sub liene dolorem paullo acriorem unterhalb der Milz einen leicht stechenden Schmerz, allerdings nur vorüber- sentiebat, transitorium tamen, ita ut pulverem ex terreis antacidis gehend, so dass sie sich weigerte, ein Pulver aus säurewidrigen Erden, Ni- nitro et castoreo, quem ei offerebam, sumere recusaret et die trum und Castoreum, das ich ihr anbot, einzunehmen. Am 22. August konnte vicesimo secundo augusti quoque negotia domestica curare ac sie sich wieder um die häuslichen Angelegenheiten kümmern und ohne weite- sine ulteriori doloris sensu in horto obambulare posset. Parcum re Schmerzempfindung im Garten spazieren. Wenig, aber gut bekannte Nah- sed bonae notae cibum hac die sumebat et potu ordinario aquis rung nahm sie an diesem Tag zu sich und als gewöhnlichen Trank Selters- 17 LUDWIGS BERICHT 414 scilicet Selteranis parce utebatur, nox etiam tranquilla erat. wasser. Auch die Nacht war ruhig. Die sequenti tempore iam matututino magis anxia, de alvo obs- Am folgenden Tag [am 23. August] war sie schon zur morgendlichen Zeit tructa ac doloribus sinistri lateris iterum conquerebatur et ob ängstlich, klagte über Verstopfung und erneute Schmerzen auf der linken auctas abdominis tensiones incurvo non nihil corpore incedebat. Seite, und wegen der vermehrten Spannungen im Bauch schritt sie mit etwas Circa medirdiem accedebant nonnulli amici, quos hilari vultu gebeugtem Körper einher. Gegen Mittag kamen einige Freunde, die sie mit excipiebat, iisque praesentibus dolores obortos celare anniteba- fröhlichem Gesicht begrüsste und sich bemühte, in ihrer Gegenwart die ent- tur. Ego vero illi persuadebam usum clysmatis, quo foeces standenen Schmerzen zu verbergen. Ich aber überredete jene, ein Klistier zu quaedam durae et tenaces secedebant, ut tensiones infimi ventris gebrauchen, durch das etwas harter und zäher Stuhl abging und die Span- non nihil remitterent, ipsa vero vesperi me in urbem regredien- nungen des Unterbauches ein wenig zurückgingen. Abends, als ich in Stadt tem, ad pagum usque vicinum comitaretur et ex ambulatione le- zurückging, begleitete sie mich bis zum nächsten Dorf und schien durch die- vamen aliquod percipere videretur. Sed cum inde in villam re- sen Spaziergang einige Erleichterung zu verspüren. Aber als sie von dort zum verteretur, dolores abdominis inprimis sinistri lateris longe ma- Landgut zurückkehrte, spürte sie viel stärkere Bauchschmerzen, vor allem auf jores sensit et per totam noctem iis excruciata est, cum epithe- der linken Seite, und wurde von ihnen die ganze Nacht lang gemartert; öfters matibus calidis crebro applicatis levari haud possent. *) angewandte warme Umschläge konnten sie nicht beheben.* (* Forte frigida profuissent epithemata, quae robur extensis in- (* Vielleicht hätten kalte Umschläge geholfen, die den gedehnten Därmen testinis reddidissent, sed et haec applicata sine fructu fuisse, Kraft verliehen hätten, aber dass auch diese erfolglos angewandt worden wä- eventus morbi declaravit.) ren, hat der Ausgang der Krankheit klar gemacht.) Summo mane clysmata postulabat et primum quidem nonnulla Morgens sehr früh forderte sie Klistiere und erleichterte sich zunächst um ei- scybala duriora removebat, reliqua vero nec flatus discutiebant, nige harte Stuhlballen, im übrigen vertrieben (die Klistiere) weder die Flatu- nec dolorem sopiebant. lenz noch linderten sie die Schmerzen. 18 LUDWIGS BERICHT 415 Curru itaque lente in urbem vehebatur, ne concussionibus Mit einem langsam fahrenden Wagen wurde sie deshalb in die Stadt dolores ventris intenderentur, et die vicesimo quarto augusti gebracht, damit die Erschütterungen die Bauchschmerzen nicht verstärkten, hora quarta promeridiana [!], con- und am 24. August, um vier Uhr nachmittags, continuis doloribus tentata, incurvato corpore in meos amplexus stürzte sie sich, von fortwährenden Schmerzen geplagt, mit gewundenem ruebat, tristem hujis morbi exitum sentiens, et a me, si quod es- Körper in meine Arme, den traurigen Ausgang dieser Krankheit ahnend, und set, solatium expetabat. Suasi quitem in lectulo et mox propinavi begehrte von mir, wenn irgend möglich, Hilfe. Ich riet ihr zur Ruhe auf dem salis Sedlicensis amari unciam semis et quoquo alvus eo certius Ruhebett und verabreichte bald eine halbe Unze Sedlitzer Bittersalz und, da- moveretur, clysma ex fumo herbae nicotianae applicari jussi, sed mit der Stuhlgang um so sicherer angeregt würde, verordnete ich ein Klistier incassum. Data igitur hora septima altera semi uncia salis amari, mit Tabakrauch, aber ohne Erfolg. Deshalb wurde um sieben Uhr eine weitere cataplasma discutiens et emolliens ad dolores sinistri lateris halbe Unze Bittersalz gegeben und auf eine meine Veranlassung ein zertei- potissimum sopiendos ventri usurpavi. Nox erat minus lender und erweichender Umschlag zur Erleichterung der Schmerzen an der tranquilla. Cum igitur ora secunda maturina auxilium meum linken Flanke auf den Leib gelegt. Die Nacht war weniger ruhig. Als sie des- iterum effligitaret, tartari vitriolati duas drachmas ei propinavi, halb um zwei Uhr morgens erneut inständig um meine Hilfe bat, verabreichte clysma carminativum suasi et post aliquot horas iterum dosin ich zwei Drachmen [13 g] Tartarus vitriolatus, riet zu einem blähungslösenden salis amari exhibui, cum et antea interdum continuato usu hujus Klistier und gab nach einigen Stunden wiederum Bittersalz, da auch zuvor remedii alvus mota esset. Ob doloris et spasmi vehementium durch den anhaltenden Gebrauch dieses Mittels der Stuhlgang bewirkt wurde. venaesectione levamen afferre cogitabam, sed imbecillitas eam Wegen der Heftigkeit des Schmerzes und des Krampfs erwog ich, ob ein dissuadere videbatur. In auxilium itaque vocavi amicos medicos, Aderlass Erleichterung bringen würde, aber angesichts der Schwäche schien qui ex pulsu, nec nimis celeri, nec forti concludebant, er nicht ratsam. Ich rief deshalb meine ärztlichen Freunde zu Hilfe, die aus venasectionem minus necessariam esse. dem Puls, der weder zu rasch noch zu stark war, schlossen, dass (ein) Aderlass weniger nötig sei. 19 LUDWIGS BERICHT 416 Quod autem, medicamentis hucusque exhibitis, alvus non Weil aber bis dahin mit den erwähnten Medikamenten die Darmentlee- movebatur, aegra bilis bovinae cochleare unum et post aliquot rung nicht angeregt wurde, nahm die Kranke einen Löffel Rindergalle und horas alterum fumebat, hoc remedio enim alvus, antehac saepe nach einigen Stunden einen zweiten, denn durch dieses Arzneimittel wurden pertinaciter ob- früher auch hartnäckige Verstopfung behoben, structa, soluta est, sed et hunc effectus votis non respondebat. In aber auch damit entsprach die Wirkung nicht den Wünschen. Zum Mittages- prandio tenue jusculum cum halica ex fagopyro et aqua Seltera- sen wurde ein dünner Saft mit Buchweizen-Graupen und Selterswasser als na pro potu exihibita sunt et cum salium usu continuato nimia Trank verabreicht. Da durch den fortwährenden Gebrauch von Salzen eine partium laxitas induceretur, neque tamen his foeces nimis tena- Schlaffheit der (Darm-)Teile bewirkt wurde und dennoch sich dadurch der zu ces, resolverentur, singulis duabus horis mixturae ex tartari tar- zähe Stuhl nicht löste, wurden alle zwei Stunden eine Mixtur aus zwei tarisati drachmis duabus, extracti centaurii minoris drachma una, Drachmen [12 g] Tartarus tartarisatus, eine Drachme [6 g] Extrakt von Cen- aequae menthae sine vino unciis duabus et uncia semis aquae taurium minus (Tausengüldenkraut), zwei Unzen Minzenwasser ohne Wein cinnamomi sine vino parata, ad cochleare unum et alterum pro- und eine halbe Unze von Zimtwasser ohne Wein, löffelweise verabreicht und pinabatur et simul clysmata ex fumo herbae nicotianae conti- zugleich die Tabakrauchklistiere fortgeführt, aber ohne Erfolg. nuata sunt, sed sine fructu. Am 26. August wünschte die Kranke ein Abführmittel aus einer Unze Die 26. Augusti aegra desiderabat remedium laxans ex Tamarindenmus, einer halbe Unze Manna und Cremor Tartari, das sonst den pulpa tamarindorum uncia una, mannae et cremoris tartari ana Stuhlgang gut anregte, sie nahm dies in Übereinstimmung mit meinen ärztli- uncia semis quod alias alvum bene moverat, illudque, consen- chen Kollegen. Obschon nämlich Bewegungen im Bauch angeregt wurden, tientibus amicis medicis, accepit quanquam autem motus in ab- folgte dennoch keine Entleerung, aber die entstandenen Spannungen kamen domine excitati sunt, nulla tamen subsequuta est excretio, sed gegen Abend ein wenig zur Ruhe, besonders als Schröpf- und Sauggläser tensiones obortae versus vesperam iterum paullulum conquies- auf dem Leib angewendet wurden und so die durch Blähungen gedehnten Därme etwas zusammengedrückt wurden. In dieser Nacht, die sie schlaflos 20 LUDWIGS BERICHT cebant, inprimis cum cucurbitulae et vitra aere rarefacto repleta zubrachte, nahm sie eine Gummi-Lösung, durch die die Zähigkeit der Fäzes, abdomini applicarentur et ita intestina flatibus distenta paullu- die durch den Gebrauch von Salz nicht zu lösen war, etwas verflüssigt wer- lum comprimerentur. Hac nocte, quae et ipsa sine somno tran- den sollte. siit, solutionem gummatum sumsit, quo tenacitas foecum, salis usu non resolvenda, ad ali417 quam fluiditatem disponeretur. Miscebatur nimirum gummi Es wurde nämlich je eine Drachme Gummi ammonicum und Galbanum und ammoniaci et galbani ana drachma una et assae foetidae eine halbe Drachme Assa foetida mit einer halben Unze Süssmandelöl und drachma semis cum olei amygdalaraum dulcium uncia semis et einer Drachme Tinctura antimonii tartarisata gemischt und zur besseren Ver- drachma una tincturae antimonii tartarisatae, addita ad solutio- träglichkeit eine genügende Menge Eidotter beigefügt. Nach guter Durch- nem melius praestandam sufficiente quantitate vitelli ovorum, mischung wurden drei Unzen Kamillenblütenwasser und eine Unze Minzen- his bene tritis addebantur aquae florum chamomillae unciae tres wasser ohne Wein dazugegeben. Von dieser Mischung nahm die Kranke et- et aquae menthae sine vino uncia una, cujus mixturae unciam wa eine Unze alle zwei Stunden in der bestärkten Hoffnung auf Hilfe, obschon circiter singulis duabus horis spe auxilii confirmata sumsit ae- der Geschmack sehr ekelerregend war. gra, etsi prorsus nauseosus esset sapor. Am 27. August nachmittags wurde eine stärkende Arznei angewendet, Die 27. Augusti ante meridiem non nisi analeptica me- da ihr durch so viele Qualen erschütterter Mut durch das Heilige Abendmahl dicina adhibita est, cum animus ejus, tot cruciatibus agitatus, gestärkt werden sollte. Mittags aber wurde der Mixtura solvens, die sie schon sacrae coenae usu confirmandus esset, a meridie vero mixturae in der vorangegangenen Nacht genommen hatte, ein laxierendes Medikament resolventi, praeterita nocte haustae, medicamentum laxans ex beigegeben, bestehend aus zwei Unzen Sennablättern ohne Stiel, einer hal- foliorum sennae sine stipitibus drachmis duabus, mannae opti- ben Unze je von bestem Manna und Sedlitzer Bittersalz, in drei Unzen einfa- mae et salis amari Sedlitzensis ana uncia semis, in aquae simpli- chem Wasser leicht gekocht. Durch dieses wurde sie gewiss heftig bewegt, cis unciis tribus leniter coctum, adjungebatur, quo quidem ve- besonders da die Schlaffheit des Magens in der sogenannten Herzgrube und 21 LUDWIGS BERICHT hementer agitata est, inprimis cum atonia ventriculi in sic dicto im Oberbauch eine grössere Ausdehnung erlaubte, wodurch sehr beschwerli- scrubiculo cordis et hypochondriis majorem distensionem ad- che Ängste hervorgerufen wurden. Gleichzeitig wurden auch Arzneien aus mitteret, ex qua re anxietates molestissimae inducebantur, omni- Ölen und Seife mit erweichender Wirkung und zwischendurch solche mit bus his temporibus et emollientia cum oleosis et sapone et inter- zerteilender dum discutientia 418 carminativa applicata sunt, sed sine omni effectu, cum, si etiam und blähungslösender Wirkung angewendet, jedoch ohne jede Wirkung, da aliquid muci, ab intestinis abrasi, secederet, nullum tamen, ne sie zwar etwas Schleim aus den Eingeweiden ausschied, aber nicht die ge- minimum quidem levamen perciperetur. ringste Erleichterung verspürte. Erat vero ventris tumor prorsu singularis. Regio inferior Es bestand in der Tat eine durchaus eigenartige Schwellung des Ab- abdominis versus pubem non adeo tumebat, sub umbilico autem domens. Der Bereich des Unterbauches, gegen die Scham hin, war nicht so tumor transversus conspiciebatur, quem zona coli, e situ suo sehr geschwollen, in der Nabelgegend aber war eine quere Schwellung zu deorsum pressa, efficere videbatur, in loco zonae ipsius aliqua erblicken, die der Kolonbogen, aus seiner Lage nach unten gedrückt, zu ver- transversa depressa erat et in regione scrobiculi cordis et ursachen schien. Im Bereich der Lende selbst bestand eine Art quere Einsen- utrinque in hypochodriis super dictam depressionem, ventriculus kung und in der Region der Herzgrube sowie auf beiden Seiten im Bereich maximopere sursum des Oberbauchs über der besagten Senkung, stand der ausserordentlich ge- diaphragma urgebat. Intestinis itaque tenuibus parum distentis, dehnte Magen hervor und drückte zum Teil das Zwerchfell nach oben. Der ventriculus a mole ingestorum, zona coli autem flatibus distenta Dünndarm war daher wenig ausgedehnt, dagegen schien der Magen durch videbatur. Ventriculus vere distentus per crebras frictiones eo die Masse der eingenommenen Dinge, sowie der Kolonbogen durch Blähun- non deduci potuit, ut vel per cardiam, vel per pylorum aliquid gen gedehnt. Der erweiterte Magen aber konnte auch durch häufige Reibun- dimitteret, ita ut aegra, quae inter ipsam frictionem aliquid gen nicht dahin gebracht werden, dass er entweder durch die Cardia oder levaminis percipiebat, numquam ructum aliquem ederet, cum durch den Pylorus irgend etwas durchgehen liess. Die Kranke, die während distentus partim eminebat, partim 22 LUDWIGS BERICHT spasmo pertinaci utraque extremitas ventriculi praeclusa esse der Massage selbst einige Erleichterung spürte, gab nie einen Rülpser von videretur. Vomitum saepe expectabamus, cum conatus vomendi, sich, da durch einen hartnäckigen Krampf beide Enden des Magens ver- sed sine insigni nausea interdum orirentur, sperabamus enim schlossen schienen. Wir erwarteten oft ein Erbrechen, da zuweilen ein Drang anxietates quasi suffocatives rejecta aliqua parte contento- zum Erbrechen, jedoch ohne deutliche Übelkeit auftrat. Wir hofften nämlich, dass die Erstickungsängste durch Erbrechen eines Teils des (Magen-)Inhalts 419 rum ventriculi aliquantum mitiores fore, etsi morbum inde non etwas gemildert würden, auch wenn wir vorhersahen, dass die Krankheit da- fanari posse praevidebamus. Nihil tamen emotum fuit, nisi lenis mit nicht geheilt werden könne. Dennoch wurde nichts erreicht ausser einem ructus, ex oesophago tantum ascendens et aliqua viscidi parti- kleiner Rülpser, der aus dem Ösophagus aufstieg und einigen Schleimstück- cula ex facibus expressa. chen, die aus dem Rachen herausgepresst wurden. Cum hac nocte adeo excruciata esset, sed medicamentum Als sie in dieser Nacht so gequält war, aber weder ein stimulierendes stimulans, nec laxans, nec carminativum propinari posset, die 28 noch laxierendes noch blähungslösendes Medikament gegeben werden augusti oleum amygdalaram dulcium, recenter expresssum, cum konnte, gaben wir am 28. August frisch gepresstes süsses Mandelöl, in Ei- vitello ovorum tritum, addito pauxillo vini hungarici generosi, dotter gerührt mit ganz wenig gutem ungarischen Wein. Auch wenn damit ei- per partes propinavimus. Etsi enim relaxatio major ventriculi ab ne grössere Erschlaffung des Bauches durch das Öl zu befürchten war, er- oleo timenda erat, aliquod tamen in spasmo solatium et aliquam warteten wir doch eine gewisse Erholung im Krampf und eine gewisse Erho- virium refectionem inde expectabamus. Tentamus quidem antea lung der Kräfte. Wir versuchten wieder die vorigen blähungslösenden Medi- lenia quaedam medicamenta carminativa, infusum radicis ser- kamente, einen Infus von Serpentaria virginiana mit Melissenwasser ohne pentariae virginianae cum aqua melissae sine vino, extractum Wein, Cascarilla-Extrakt mit Zimtwasser ohne Wein, und andere krampfwidri- cascarillae, cum aqua cinnamomi sine vino solutum, et alia re- ge Arzneimittel. Deren Gebrauch vernachlässigte die Kranke wie so oft, be- media antispasmodica, horum tamen usum, ut saepe, sic hodie sonders heute, da sie davon keinerlei Erleichterung spürte und nicht einmal potissiumum, negligebat aegra, cum inde nullum unquam leva- einen Rülpser tat, wegen der – wie wir meinten – extremen Schlaffheit des 23 LUDWIGS BERICHT men sentiret, nec ructur unquam secederet, ob summam, ut opi- Magens. Obschon der geblähte Magen in keiner Weise nachgab und auch ein nabamur, ventriculi atoniam. Quanquam vero ventriculus dis- Magenpflaster, zubereitet aus Brotkrustenpflaster, Gebärmutterpflaster und tentus nullo modo cedebat et emplastrum quoque stomachicum, Gummi ex emplastris de crusta panis, matricali et gummi 420 galbano paratum et cum oleo chamomillae et galbani malaxatum galbanicum sowie mit Kamillen und Galbanumöl geschmeidig gemacht, er- sine effectu applicaretur, tamen cum hac die catamenia, quae folglos angewandt wurde, begann an diesem Tag die Menstruation, die wir jam ante quatuor dies expectavimus, crumerent, aliquid inde le- schon seit vier Tagen erwartet hatten. Wir hofften, dass damit etwas Erleich- vaminis afferri posse sperabamus, sed spes quoque inanis erat, terung eintreten würde, aber die Hoffnung war vergeblich, da nur einige Spu- cum non nisi quaedam menstrui sanguinis vestigia apparerent. ren von Menstruationsblut erschienen. Die 29. Augusti ab hora tertia ad quintam matutinam, Am 29. August schlief die bisher durch ständige Qualen ermattete continuis cruciatibus hucusque defatigata aegra paullulum dor- Kranke von 3 Uhr bis 5 Uhr morgens ein wenig, erholte sich aber durch die- miebat, quo tamen somno nullo modo refecta est, per totum vero sen Schlaf nicht, schwitzte während des ganzen Tages, bei vollem, eher wei- diem sudabat, pulsu pleno, molli magis, quam duro et perspira- chem als hartem, durch das Schwitzen vermehrtem Puls; die Krämpfe schie- tione aucta, spasmi non nihil levari videbantur, ex qua re spem nen etwas erleichtert zu werden, weshalb wir einige Hoffnung schöpften, dass aliquam moti obstaculi in sinistro latere percipiebamus. Sed nox das Hindernis in der linken Flanke sich bewegen würde. Aber die Nacht war jam gravior erat et tensiones in sinistro latere iterum molestae, schon schwieriger, und die Spannungen in der linken Flanke wurden wieder- non tantum vehementiores redditae sunt, sed inde ad spinam um beschwerlich, nicht nur wurden sie heftiger, sondern von da an in die Wir- dorsi deductae, ut continua frictio, qua non nihil levabatur, belsäule ausstrahlend, so dass fortwährende Massage notwendig war, die sie necessaria esset. Media nocte clysma oleosum et versus ein wenig erleichterte. Um Mitternacht wurde ein Ölklistier und gegen Morgen matutinum tempus aliud cum pauco stimulo salis et oxymelle ein anderes mit wenig stimulierendem Salz und Oxymel injiziert, welches aber injiciebatur, quod tamen subito expulsum est et non nisi post sogleich ausgestossen wurde und nach einer Stunde bloss Schleim entfernte. 24 LUDWIGS BERICHT horam viscidum sustulit. Cum igitur spes omnis spontanei naturae conatus eva- Demzufolge schwand alle Hoffnung auf spontane Bemühungen der Natur, so viele stimulierende, nesceret, cum tot medicameuta stimulantia, 421 resolventia et lubricatia sine omni effectu tentata essent, et omne lösende und geschmeidig machende Medikamente waren alle ohne Wirkung obstaculum in nimia distensione ventriculi et intestinin coli, ob versucht worden. Da das ganze Hindernis in der allzu starken, durch die Er- relaxationem tunicarum expansi, positum esse videretur, simul schlaffung der Wand bedingten Erweiterung des Magens und des Colons zu tamen de primo obice in sinistro latere removendo cogitandum liegen schien, blieb es zu überlegen, dennoch die in der linken Flanke gele- esset, medicamenta insuper, quae volumen aliquod habebant, gene Sperre zu entfernen. Andererseits Medikamente von einem gewissen non amplius tentari possent, cum catameniorum fluxus, qui ad- Volumen konnten von oben her nicht mehr angewandt werden, auch da der huc se monstrabat, leniter quidem et sine levamine procederet, Monatsfluss, der sich bis jetzt zeigte, war sanft, bestand aber ohne Erleichte- heroico illo mercurii vivi auxilio, quod in hunc usque diem di- rung fort, so glaubten wir, dass jene bisher aufgeschobene heroische Hilfe mit stuleramus, forte miseram aegram juvare posse credebamus, in- flüssigem Quecksilber vielleicht der Kranken helfen würde, weil nach Auflö- primis cum, resolutis viscidis et tenacissimis foecibus, pondero- sung von schleimigen und zähen Faeces dieses gewichtige Heilmittel, den sum hoc remedium viam, si qua esset, aperire posset. Quanquam Weg, wenn überhaupt, zu öffnen fähig war. Obgleich man aber bezweifeln autem dubitari potuisset, num hoc remedium in morbo, ab insi- mochte, ob dieses Medikament in einer Krankheit von irgend einem Nutzen gni nervorum imbecillitate oriundo et ab atonia ventriculi et in- sein könnte, welche von einer offensichtlichen Nervenschwäche entstanden testinorum pendente, ullius usus esse posset, in summis tamen und durch Atonie des Bauches und der Eingeweide bedingt war, wählten wir malis dubium hoc potius, quam nullum elegimus auxilium, in- dennoch dieses zweifelhafte Hilfsmittel besser als keines, besonders da der primis cum damnum evidens, ex mercurii vivi usu oriundum, bekannte Schaden, der durch flüssiges Quecksilber entsteht, nicht gefürchtet timendum non esset. werden musste. Wir bereiteten also am 30. August ein Bad mit Milch mit einer Ab- 25 LUDWIGS BERICHT Paravimus igitur die 30. Augusti balneum ex lacte cum kochung von erweichenden Kräutern und venezianischer Seife und nachdem emollientibus herbis decocto et sapone vento et postquam ae- wir die schwache Kranke während einer halben Stunde in dieses gelegt und gram imbecillem per horam dimidiam in eo detinuissemus, ali- einige Male quoties fricato spon422 gia abdomine, hora undecima propinavimus coclileare olei den Bauch mit einem Schwamm abgerieben hatten, gaben wir um elf Uhr ei- amygdalarum dulcium recentis et paullo post unciam unam mer- nen Löffel süssen frischen Mandelöls und wenig später eine Unze flüssigen curii vivi rite destillati. Disquisito autem, hac data occasione, Quecksilbers, das kunstgerecht destilliert worden war. Bei der bei dieser Ge- ventris tumore, ab umbilico et loco zonae coli depresso, versus legenheit vorgenommenen Untersuchung der Schwellung des Bauches, die sercobiculum cordis et hypochondria maximam et insignem vom Nabel und dem Colonbogen niedergedrückt wurde, fanden wir gegen die prorsus ejus deprehendimus resistentiam, minorem in parte ab- Herzgrube und den Oberbauch hin deren grösste und durchaus deutliche Re- dominis inferiore, hic enim cutis corrugari et imus venter com- sistenz, die geringer war im Unterbauch; hier nämlich war es möglich, die primi poterat. Continuavimus postea usum mercurii vivi et hora Haut zu runzeln und den untersten Teil des Bauches zusammenzudrücken. prima, quarta, septima et nona semper unciam unam et semis Wir führten danach den Gebrauch des flüssigen Quecksilbers fort und gaben praemisso oleo amygdalarum dulcium propinavimus, in bal- um ein Uhr, vier, sieben und neun Uhr jeweils eineinhalb Unzen, voraus sü- neum autem aegra ob imbecillitatem descendere recusabat. Mer- sses Mandelöl. Ins Bad zu steigen aber weigerte sich die Kranke wegen ihrer curii igitur vivi septem uncias intra decem horas deglutivit. Tota Schwäche. Demnach nahm sie in zehn Stunden sieben Unzen flüssigen tamen hac die nihil mutatum est, sed consuetae abdominis ten- Quecksilbers zu sich. Dennoch geschah den ganzen Tag lang nichts, viel- siones continuabant, nec ullum postea ab hoc mercurii usu per- mehr bestanden die Spannungen des Abdomens weiter, und von der Anwen- cepimus essectum, nec salutarem, nec sinistrum. dung des Quecksilbers konnten wir keinerlei Wirkung feststellen, weder eine Nox erat minus tranquilla, ut praecedentes omnes. Die heilsame noch eine ungünstige. Die Nacht war weniger ruhig, so wie alle vorhergehenden. Am 31. Au- 26 LUDWIGS BERICHT itaque 31. Augusti, amici medici de novi auxilus cogitabant, sed gust dachten deshalb meine Arztfreunde über neue Hilfsmittel nach, aber die aegra plura remedia renuebat, nec nos certum quoddam, obici in Kranke wies mehrere Arzneien zurück, und wir konnten nichts Sicheres fin- sinistro latere tuto opponendum, invenire potuimus. Quanquam den, was gegen das Hindernis in der linken Flanke hätte eingesetzt werden autem moeror me et amicos tandem deprimebat, cum können. Obschon die Trauer mich und meine Freunde schliesslich bedrückte, da 423 pertinacia morbi, artis auxilia votis nostris minus respondere, die Hartnäckigkeit der Krankheit deutlich machte, dass die Hilfsmittel nicht ostenderet, quo vero officio nostro satisfaceremus, dijudicavi- unseren Wünschen entsprachen und wir unserer Pflicht nicht genügten, be- mus varia medicamenta, indicationibus, a nobis formandis, re- urteilten wir verschiedene Medikamente, die den von uns zu stellenden Indi- spondentia: hinc partim de evacuantibus stimulantibus, partim kationen entsprachen: zu erörtern waren teils die entleerenden, stimulieren- de antispasmodicis medicamentis disserendum erat, quod tota den, teils die krampflösenden Mittel, weil die ganze Beratung sich um das deliberatio in obice excretionis alvinae removendo et in spasmo Hindernis der Darmentleerung und zum Teil um die Zügelung des Spasmus partim refrenando versari debebat. drehen musste. Ad purgantia quod attinet, digestiva et salina et lubrican- Was die Abführmittel angeht, waren die verdauungsfördernden, salzi- tia sat copiose jam propinata erant, sed haec ventriculum et tu- gen und schlüpfrig machenden schon reichlich gegeben worden, aber diese bum intestinalem magis repletum, distensione nimia ad atoniam führten im überfüllten Magen-Darmtrakt durch allzu grosse Dehnung zur Er- disposuerant. Drasticorum usus vix tentandus erat ob spasmi ve- schlaffung. Drastische Mittel durften wegen der Heftigkeit des Spasmus kaum hementiam, cum a stimulantibus, aliqua et moderata dosi additis, versucht werden, da von der Beigabe von Stimulantien schon bei geringer motus tensivi magis aucti essent, obice tamen non emoto. In Dosis die Spannungsbewegungen vermehrt wurden, ohne dass die Sperre nostra enim aegra et tum, cum sana videretur, parum commodi bewegt wurde. Bei unserer Kranken haben sie, auch als sie gesund schien, praestiterunt. Resina jalappae, vitello ovorum soluta, ad sex wenig Nutzen gehabt. Jalappenharz, gelöst in Eidotter, bis 6 Gran, war von grana exiguum effectum edidit et cum ei ante quatuor annos geringer Wirkung, und als ich ihr vor vier Jahren in 24 Stunden zusammen mit 27 LUDWIGS BERICHT intra viginti quatuor horas successive cum pilulis saponatis Seifenpillen 15 Gran dieses Harzes gab, erfolgten nur eine oder zwei Entlee- quindecim grana hujus resinae exhiberem, non nisi una vel rungen. Hingegen war der Stuhlgang nach dem Gebrauch von Rindergalle altera largior dejectio subsequata est, cum e contrario ex bilis stets leichter und reichlicher. Wir dachten bovinae usu, semper alvus facilior et copiosior fuisset. Cogitavimus de 424 auro fulminante, cjus effectum in pertinacioribus alvi obstruc- an das Platzgold (Knallgold), dessen Wirkung auf hartnäckige Verstopfung tionibus optimus praeceptor WALTHERVS adeo extollebat; sed mein bester Lehrer WALTHER so sehr pries; aber dessen Kraft wurde von vis ejus in varia praeparatione dubia et effectus, etsi antehac sa- mir in verschiedenen Präparationen als zweifelhaft und die Wirkung, obschon epe tentatus, nunquam a me salutaris deprehensus erat. zuvor oft versucht, nie als heilsam wahrgenommen. Antispasmodicis forte juvari potuisset misera aegra, si Mit antispastischen Mitteln hätte der armen Kranken vielleicht geholfen succum nutritium bonum fibris infundere illasque ad suscipien- werden können, wenn es möglich gewesen wäre, guten ernährenden Saft dos stimulos moderatos aptas reddere licuisset, sed adeo disten- den Darmmuskelfasern einzuflössen und sie zur Aufnahme mässiger Reize tae, relaxatae et debilitatae erant, ut nec flatum contrahendo ex- zu befähigen, aber sie waren schon derart erweitert, erschlafft und ge- primere possent. Et quomodo ea, quae ob imbecilitatem univer- schwächt, dass sie sich nicht einmal genügend kontrahieren konnten, um ei- salem et tum, cum sana videbatur, nutrimentum acceptum non nen Flatus herauszudrücken. Und wie hätte (die Kranke), die wegen allge- satis elaborare poterat, nunc vere nutriri potuisset cum nec mi- meiner Schwäche auch als sie gesund war, die aufgenommene Nahrung nimam alimenti partem digereret. Relaxantia lubricantia, nicht genügend verarbeiten konnte, jetzt ernährt werden sollen, da sie nicht spasmum sopientia, exhibita sunt, sed certe noxia fuerunt, den geringsten Teil der Speisen verdaute. Krampflösende, Bibergeil (casto- antispasmodica castoreata, succinata et olea destillata in refracta reum) und Bernstein enthaltende Arzneien, destillierte Öle, in verkleinerten dosi ut carminativa propinata parum profuerunt. Moschum ut Dosen zur Lösung der Winde gegeben, halfen wenig. Moschus als krampf- antispasmodicum lubenter tentassem, sed omnes amici sciunt stillendes Mittel hätte ich gerne versucht, aber alle Freunde kennen die ei- 28 LUDWIGS BERICHT hujus genartige "Idiosynkrasie" der Kranken, weil sie durch den Geruch jenes Medi- medicamenti saepe vehementer commota erat. Opiatis insignes kamentes oft heftig erregt worden ist. Mit Opiaten hatten wir die unerhörten aegrae cruciatus diu jam levare volueramus, cum et ipsa opium Marter der Kranken schon lange erleichtern wollen, da sie auch selbst Opium posceret, sed repugnare videbatur aucta abinde febris, quam ob verlangte, aber da das dadurch vermehrte Fieber dem entgegenzustehen sitim con- schien, das ich wegen des damit verbundenen Durstes junctam magis, ac aliam ob caussam timebam et cum in nostra mehr als aus einem anderen Grund fürchtete, und da bei unserer Kranken die spasmi praecipue ex debilitate orirentur, non sine ratione arbi- Krämpfe vor allem aus einer Schwäche hervorgingen, hielt ich nicht ohne trabar, hos, si etiam per usum opii quodammodo sopiti essent, Grund dafür, dass diese, wenn sie auch durch den Gebrauch des Opiums be- graviori impetu redituros esse. Medicamentis igitur copiosis sänftigt würden, mit vermehrter Gewalt zurückkehrten. Nachdem aber reich- frustra tentatis, aegram urgere et quasi ad tumulum protrudere et lich Medikamente ohne Erfolg versucht worden waren, die Kranke drängte mihi et amicis quoque durum videbatur. Forte tamen proxima und gewissermassen an den Rand des Grabes gestossen war, schien [dieser nocte si dolor nimium urgeret, aliquot grana extracti opii in aqua Standpunkt] mir und auch den Freunden hartherzig zu sein. Vielleicht war analeptica soluta per partes propinari posse credibile erat. dennoch anzunehmen, dass in der nächsten Nacht, falls der Schmerz allzu singularem 425 aegrae idiosyncrasiam, quod odore Cum itaque hoc die aegra quodlibet medicamentum recusaret, usque ad horam quintam, cum aquam ferre non schlimm wäre, einige Gran Opiumextrakt, in kräftigendem Wasser gelöst, in geteilten Dosen verabreicht werden konnten. posset, nihil nisi jusculum decocti avenae excorticatae cum Als daher an diesem Tag die Kranke bis um 5 Uhr jegliches Medika- vitello ovi in eo subacto et pauxillum cerevisiae tenuis, quo ment zurückwies, nahm sie, da sie Wasser nicht ertragen konnte, nichts zu sitim magis falleret, quam extingueret, hausit, de tensionibus sich als eine Abkochung von geschältem Hafer mit eingerührtem Eigelb und insuper abdominis, ex quibus summe anxia reddita est, ein wenig Dünnbier, um den Durst eher zu täuschen als zu löschen, und maximopere conquerebatur. Aloe proponebatur cum sale klagte gar sehr über die Spannungen im Abdomen, die sie aufs höchste äng- ammoniaco miscenda et amici, omnibus rite perpensis, ita stigten. Es wurde Aloe mit Salmiak vorgeschlagen, und die Freunde stimmten 29 LUDWIGS BERICHT 426 consentiebant, ut aloes succotrinae drachmae duae cum aceto nach reiflichem Bedenken zu, dass zwei Drachmen Aloe von Socotra mit Es- tererentur et tenuissima pars soluta, aqua analeptica addita, sig verrieben und der feinste Teil zusammen mit Stärkungswasser dargereicht propinaretur. Amicorum monitis tandem commota amantissima wurde. Durch die Ermahnungen der Freunde schliesslich bewogen, nahm die conjux hora quinta primam, septima vero alteram liebe Gattin um fünf Uhr den ersten, um sieben Uhr partem sumebat. Vomitus tunc movebatur, qui tamen cum tan- den zweiten Teil. Darauf wurde Erbrechen hervorgerufen, das aber nur wenig tum pauxillum viscidi ex faucibus exprimeretur, non amplius Schleim aus dem Rachen auspresste, und nicht weiter ging, schliesslich subsequutus est, tandem singultus succedebat, nullus tamen ne folgte Schluckauf, aber nicht der kleinste Rülpser wurde herausgepresst. Sie minimus quidem ructus explodebatur. Conquerebatur de sensu beklagte sich über ein Hitzegefühl, auf das aber der ziemlich ruhige Puls nicht quodam caloris, quem tamen pulsus satis tranquillus non indica- hindeutete; daher war das Hitzegefühl eher der Ängstlichkeit als bereits der bat, ex anxietate itaque vel potius jam a resolutione humorum fauligen Auflösung der Säfte zuzuschreiben. putrida sensus caloris derivandus erat. Weil nach einem um vier Uhr verabreichten Klistier etwas Schleim ab- Quod autem, clysmate hora quarta injecto, aliquid muci ging, wurde gegen Mitternacht ein weiteres aus Abkochung von Salbei, Meli- secesserat, versus mediam noctem aliud ex herbae salviae, lotusspitzen und Baldrianwurzeln mit Honig und Öl verabreicht, das die Kran- summitatum meliloti et radicis valerianae decocto cum melle et ke ziemlich lange zurückbehielt und, als es ausgeschieden wurde, auch et- oleo paratum est, quod diu satis retinebat aegra, ideoque, eo re- was zähen Schleim ausführte. Seit dieser Zeit dehnte sich der Schmerz, der jecto, iterum aliquid tenacis pituitae excernebatur. Ab eo tem- sie über dem Nabel drückte und bohrend quälte, wiederum gegen die linke pore dolor, qui supra umbilicum premendo et terebrando urge- Seite aus. Dies erweckte einige Hoffnung, dass sich das Hindernis weg- bat, versus latus sinistrum iterum se extendebat et spem aliquam schaffen liesse, besonders da gegen Abend ein gewisses Nachlassen der resuscitabat, obicem adhuc removeri posse, inprimis cum vespe- Krämpfe beobachtet wurde. Schlaf aber war nicht zu gewinnen, und zur Mor- ri aliqua spasmorum remissio observaretur. Somnus tamen nul- genzeit quälten sie von neuem Krämpfe und Schmerzen in der aufs äusserste lus alliciebatur et matutino tempore spasmi et dolores in regione gespannten Magengegend, so dass die Schwellung des Unterbauches un- 30 LUDWIGS BERICHT ventriculi, maximorpere tensa, denuo urgebant, ut tumor imi mässig zunahm. ventris ultra modum excresceret. 427 Dies primus septembris et aegrae et mihi et amicis medi- Der 1. September war für die Kranke, für mich und meine ärztlichen cis vere tristissimus erat, quo continuis et novis doloribus atque Freunde wahrlich ein sehr trauriger Tag. Durch anhaltende und neue anxietatibus defatigata, nullum amplius medicamentum deglu- Schmerzen und Ängste ermattet, wagte sie kein weiteres Medikament mehr tire audebat, cum tensio inde nimium augeretur. Nos ipsi cum zu sich zu nehmen, da die Spannung des Leibes dadurch noch vermehrt tot egregia et efficacia remedia sine effectu salutari exhibuisse- würde. Wir selbst, nachdem wir so viele hervorragende und wirksame Medi- mus, coacti substitimus et, cum de obice removendo non am- kamenten ohne Heilerfolg verabreicht hatten, waren gezwungen innezuhal- plius cogitare possemus, de symptomatibus leniendis tantum ten, und da wir nicht im fernsten daran denken konnten, das Hindernis zu be- solliciti eramus. Sed et hic inconsultum erat, epithemata seitigen, bemühten wir uns, wenigstens die Symptome zu lindern. Aber auch discutientia et alia externa remedia, quae inprimis vaporosa hier war es nicht ratsam, zerteilende Umschläge und andere äusserliche Mit- efficacissima sunt, tumenti abdomini applicare. Sic vera corporis tel, die stark blähend sind, auf den geschwollenen Leib zu bringen. Aus aegrae consideratione ducti, in clysmatibus carminativis et rechter Rücksicht auf den Körper der Kranken suchten wir - wenn auch un- antispasmodicis, quibus praecipue castoreum et assa foetida vollkommene - Hilfe durch windtreibende und krampfwidrige Klistieren mit adjiciebantur, per intervalla injiciendis et in externis quibusdam Beigabe von Bibergeil und Asa foetida, welche wir mit Unterbrechungen ver- remediis auxilium, etsi incompletum, quaesivimus. Inunximus abreicht haben, und mit gewissen äusserlichen Medikamenten. Wir rieben itaque oleo galbani partem ventris tumentem et, unguinoso bene deshalb den geschwollenen Teil des Leibes mit Galbanumöl ein und appli- deterso, suffitus ex succino albo, gummi laccae, anime, olibano zierten nach sorgfältiger Entfernung der Salbe den Rauch, den wir in wolle- pannis laneis excepimus et applicavimus. Alium suffitum, ex nen Tüchern von weissem Bernstein, Laccusgummi, Animeharz und Weih- myrrha et assa foetida paratum, ob tetrum nimis odorem aegra rauch aufgefangen hatten. Eine andere Räucherung aus Myrrhe und Asa foe- ferre non poterat. Sed jam ante meridiem vehementes erant tida vermochte die Kranke wegen des scheusslichen Geruchs nicht ertragen. 31 LUDWIGS BERICHT 428 anxietates, quae usque ad horam tertiam augebantur. De summa Aber schon vor dem Mittag waren die Ängste heftig, und sie nahmen um drei praecipue Uhr nachmittags noch zu. ventris tensione conquerebatur optima aegra, ob quam quiescere Die werteste Kranke beklagte sich besonders über sehr starke Spannungs- haud poterat. Nos vero omnes experientia edocti cognovimus, gefühle im Bereich des Abdomens, weshalb sie keine Ruhe hatte. Wir alle has anxietates in iis non tantas fuisse, qui in ascite et tympani- aber erkannten, belehrt durch unsere Erfahrung, dass diese Ängste bei jenen tide maximas ventris extensiones passi sunt. Spasmi quidem, qui nicht so stark waren, welche an starker Ausdehnung des Abdomens infolge funestum obstaculum movere annituntur, extensio ventriculi et von Aszites und Tympanitis litten. Die Krämpfe nämlich, die versuchen, ein intestini coli versus diaphragma nimis urgens, imbecillem et verhängnisvolles Hindernis zu überwinden, die Ausdehnung des Magens und diuturno morbo maxime depressam feminam urgebant. Etsi eti- des Colons, die gegen das Zwerchfell drückt, bedrängten die schwache und am pulsus semper in moderata plenitudine et celeritate subsiste- durch langwierige Krankheit aufs äusserste niedergeschlagene Frau. Auch ret, etsi venaesectio morbum non levare posset, tamen ex reso- wenn der Puls anhaltend mässig voll und rasch bestehen blieb und der Ader- lutione putrida humorum, quae per stasin tandem inducta est, lass die Krankheit nicht erleichtern konnte, schlossen wir nicht ohne Grund, hanc anxietatem pendere, non sine ratione conclusimus. dass die Angst durch die faulige Auflösung der Säfte, verursacht schliesslich Verbis non exprimere possum, quantis animi perturbatio- durch die Stockung, bedingt sei. nibus hoc ipso die agitatus sim. Moeror ex morte imminente et Mit Worten kann ich nicht ausdrücken, von welcher Gemütserschütte- certa amatae conjugis, cruciatus ejus nullo modo superabiles, rung ich an diesem Tag bewegt war. Die Trauer über den bevorstehenden desperatio auxilii, quae nobis omnibus artem, quam exercemus, und gewissen Tod der geliebten Gattin, ihre auf keine Weise überwindbaren ingratam reddidit, animum maximis curis conficiebant et depri- Qualen, die vergebliche Hoffnung auf Hilfe, die uns allen die Kunst, die wir mebant. Sed accessit alia perturbationis ratio, ex eo, quod omni ausüben, verhasst machte, erstickten den Mut mit grössten Sorgen und ferme horae momento novis consiliis amicorum, medicinam drückten ihn nieder. Aber es kam noch ein anderer Grund zur Bestürzung ignorantium, distrahebar. Multi enim erant, qui, cum nostram hinzu, nämlich dadurch, dass ich fast jede Stunde durch neue Ratschläge von 32 LUDWIGS BERICHT amarent, de remedio obstructionis Freunden, die der Medizin unkundig waren, aufgehalten wurde. Zahlreich waren nämlich jene, die aus Liebe zu unserer Kranken auf ein erprobtes Mittel gegen die Obstruktion, 429 probato cogitarent, mihique, per urbem ambulanti, ea suaderent, sannen und dieses mir, wenn ich in der Stadt umherging, anrieten oder durch vel per amicos commendarent. Si omnia ridicula, absona et Freunde empfahlen. Wenn ich all die lächerlichen, ungeeigneten und oftmals saepe noxia medicamenta mihi proposita recensere vellem, schädlichen Medikamente, welche mir vorgeschlagen wurden, anführen usque ad succum stercoris suilli expressum et alia ex stercoraria wollte, käme ich bis zum Saft, gepresst aus Schweinekot und anderen Mitteln pharmacia deprompta deducerer. Summa profecto patientia, in aus der Dreckapotheke. Die wahrlich höchste Geduld, diese Ratschläge und his consiliis et in historiis morborum simul enarratis audiendis, zugleich auch die beschriebenen Krankengeschichten anzuhören – an sich per se difficilis, juvabatur tamen inde, quod amicos et amicas schwierig – , wurde dennoch erleichtert dadurch, dass Freunde und Freun- non ex diffidentia in nostras curandi rationes, sed vero amore in dinnen nicht aus Misstrauen zu unseren Behandlungsgrundsätzen, sondern aegram impulsos, haec nobiscum communicare apparebat. aus wahrer Liebe zur Kranken uns diese mitzuteilen schienen. Versus vesperam increscentibus iterum anxietatibus, Gegen Abend nahmen die Ängste wieder zu, und die Spannung rich- tensio ad spinam dorsi praecipue convertebatur, hinc inquietudo tete sich gegen die Wirbelsäule, daher bestand höchste Unruhe. Nicht einmal summa. Nec liquor anodynus spasmum ad breve tantum tempus für eine kurze Zeit löste der Liquor anodynus den Krampf. Mit Opium ge- solvebat. Opio quidem levamen afferri posse putavimus, sed dachten wir Erleichterung schaffen zu können, dies jedoch nur kurz, da ange- breve tantum, cum non solum, febre inde mota, anxietatem nommen werden konnte, dass es Fieber erregt und die Angst vermehrt, aber augeri, sed hac etiam superata, similem ferme ex imbecillitate nach deren Überwindung eine fast ähnliche [Angst] aus der Schwäche der nervorum successuram esse, conjici posset. Sic nox tristissima Nerven erfolgen werde. So war die Nacht sehr traurig, da die erschöpfte erat, cum defatigata aegra in continuis agitationibus aliquod Kranke in fortwährenden Bewegungen etwas Linderung erbat und dennoch solatium peteret, nullum tamen obtinere posset. keine erhalten konnte. 33 LUDWIGS BERICHT 430 Summo mane diei secundi septembris amicus medicus, Ganz früh am Morgen des 2. Septembers weckte mich mein ärztlicher qui aegrae sospiriis commovebatur, cum ejus curam hac nocte Freund, der durch die Seufzer der Kranken bewegt, in der Nacht freundli- benevole suscepisset, me evigilantem cherweise bei ihr wachte, monet, ut opium darem. Cum vero perciperem, aegram nec und bat, dass ich ihr Opium geben sollte. Da ich aber feststellte, dass die aquae, nec infusi theae haustum deglutire posse, sed vix deglu- Kranke weder Wasser noch Tee zu sich nehmen konnte, vielmehr Getrunke- titum iterum sine vehementi vomitu reddere et ex summo quasi nes ohne heftiges Erbrechen wieder zurückgab und gewissermassen aus pharinge eructare, dubitabam, an hoc medicamentum deglutiri dem oberen Schlund wieder hervorwürgte, zweifelte ich, ob sie dieses Medi- posset. Sed quod cognoscebam aegram nostram opium cum ali- kament schlucken könnte. Aber weil ich erkannte, dass unsere Kranke das qua levaminis spe sumere, quinque tantum grana massae pilu- Opium mit einiger Hoffnung auf Erleichterung nahm, gaben wir ihr nur 5 Gran larum de cynoglossa, aqua subacta, propinavimus. Hora tertia in Pillenmasse aus Cynoglossa mit Wasser zu trinken. In der dritten Stunde post usum medicamenti paullo tranquillior reddebatur et per nach Gebrauch des Medikaments wurde sie ein wenig ruhiger und schlief intervalla quoque zwischendurch, aber ohne Betäubung. Die Hitze wurde zwar kurze Zeit, aber aliquantisper, minime tamen ultra modum, augebatur. Tempus ganz wenig über das normale Mass, vermehrt. Der Vormittag war recht ruhig, antemeridianum ideo satis tranquillum erat, cum vero versus als aber gegen den Mittag ein erweichendes Klistier aus den Spitzen des Me- meridiem clysma emolliens ex meliloti summitatibus et floribus lilotus und Kamillenblüten mit Öl und Honig verabreicht, wurde, entstanden chamomillae cum oleo et melle injiceretur, nova anxietas et von neuem Angst und heftige Krämpfe, und die Kranke, die erfahren hatte, spasmorum vehementia oborta est et aegra, quae tranquillitatem dass die morgendliche Ruhe durch das Opium bewirkt worden war und sich matutinam per opium inductam esse cognoverat et clysmatis usu durch den Gebrauch des Klysma gestört fühlte, forderte von mir eine ähnliche turbatam se sentiebat, similem opii dosin a me exigebat. Hora Dosis Opium. Es war um drei Uhr, als sich alle Freunde, welche fast immer tertia erat, cum omnes amici qui semper ferme praesentes erant, anwesend waren, wegen ihrer Geschäfte entfernt hatten. Ich war daher ad negotia sua secesserant. Ego itaque anxius opium dare ängstlich und wollte das Opium nicht geben, da ich die geliebte Gattin nicht dormiebat, sed sine sopore, aestus 34 LUDWIGS BERICHT 431 nolebam, cum amatam, soporibus suppressam, ad tristem vitae betäubt durch das Opium zu einem traurigen Lebensende führen wollte. Au- exitum ducere nollem. Praeterea ego sserdem semper de possibili adhuc obicis remotione cogitabam, quam- glaubte ich immer noch an die Möglichkeit, das Hindernis zu entfernen, ob- quam per tot remedia non sublatus, sed praeclusus esset, ut opio wohl es durch so viele Medikamente nicht entfernt, sondern blockiert worden princeps caussa removeri posset, dum spasmum solveret. Fateor, war, [und hoffte], dass durch das Opium die erste Ursache beseitigt, indem es me hac hora ita agitatum esse animo, ut nulla mihi tristior fuerit. den Krampf lösen würde. Ich gestehe, dass ich in meinem Gemüt so heftig Amata tamen conjux insistebat et me per amoris conjugalis bewegt und betrübt war, wie noch nie sonst. Die geliebte Gattin aber bestand summam vim obtestabatur, ne ei unicum hoc vitae solatium darauf und beschwor mich um unserer Gattenliebe willen ihr diesen einzigen detraherem. Accedebant interea nonnulli amici medici, qui me Trost nicht vorzuenthalten. In der Zwischenzeit kamen einige Medizinerfreun- timidum solatio erigebant, quorumque suasu tandem quinque de herbei, die mich Furchtsamen durch Trost ermutigten. Nach ihrem Vor- grana massae pilularnm de cynoglossa ei propinabam. Sed hoc schlag gab ich ihr schliesslich fünf Gran Cynoglossa-Pillenmasse. Aber auch quoque sumto remedio, summa et vere semper aucta anxietas nach Einnahme dieses Medikaments bedrängte die Kranke höchste und cum tensionibus et spasmis aegram urgebat. Suffocationem wahrlich immer mehr steigende Angst mit Spannungen und Krämpfen (des semper et rupturam ventris saepe timebat continuis suspiriis Abdomens). Unter beständigem Stöhnen fürchtete die Kranke dauernd, dass agitata aegra, ut omnes adstantes amici et medici ipsi tristitia sie ersticke und der Leib zerreisse, so dass alle anwesenden Freunde und summa affligerentur, omnes que hac nocte finem malorum avide selbst die Ärzte selbst von tiefer Trauer bewegt waren und alle in dieser expectarent. Nacht sehnlich das Ende des Leidens erwarteten. Et aliquoties jam in progressu morbi et hoc praecipue die Und einige Male schon im Laufe der Krankheit und an diesem Tag be- medici nonnulli de aqua, per intestinum rectum injicienda et per sonders dachten einige Ärzte daran, Wasser durch das Rectum zu injizieren inferiora ad locum obicis urgenda, cogitaverant, cum ex und von unten zum Ort des Hindernis zu pressen, da es nach allen Zeichen omnibus morbi phaenomenis appareret, angustiam quandam der Krankheit schien, dass eine gewisse Enge durch sanfte Dehnung zu 35 LUDWIGS BERICHT 432 leniter extendendam et superandam esse. Hoc etiam in nostra überwinden sei. Dies schien auch bei unserer Kranken als machbar, da die aegra fieri posse videbatur, cum tensio abdominis Spannung des Abdomens im Unterbauch in inferiori parte non tanta esset, quanta in superiori; ex qua re nicht so gross war wie im Oberbauch. Deshalb schien es klar, dass das Hin- evidenter apparebat impedimentum non in aliqua parte tenuium dernis nicht irgendwo im Dünndarm (lag), sondern im Kolon, (welches) von intestinorum esse, sed in colo, quod per flexus hujus intestini der linken Biegung des Eingeweides bis zum Ort unter der Milz erweitert wer- sinistros usque ad locum sub liene sine metu anxietatis majoris den konnte, ohne Furcht, die Angst zu vermehren, erweitert werden konnte. efficiendae extendi poterat. Vere tamen timendum erat, obicem, Tatsächlich war aber noch zu befürchten, dass das Hindernis durch die sich in parte superiori, tanta hucusque medicamentorum copia hausta oberhalb befindliche Menge der bisher eingenommenen Medikamente nicht non remotum, ab inferiori parte tentari haud posse, cum entfernt und von unten nicht erreicht werden konnte, da der verengte Teil zwi- contracta inter duplicem extensionem intestini pars, facile ad schen der doppelten Erweiterung des Darms leicht zur Ruptur neigen konnte. rupturam disponi posset. Quod jam autem metuebamus, id nunc Was wir nämlich schon befürchteten, war vor allem, dass ein Teil des Kolons potissimum, cum intestini coli pars vel inflammata, vel ob entzündet oder wegen der fauligen Zersetzung der Säfte bereits gangränös putridam humorum resolutionem jam in gangraenam abiisset, wäre und unsere Kranke mit vermehrten Schmerzen zugrunde richten würde. aegram nostram, auctis doloribus, praecipitasset. Quam ob rem Da wegen diesem Fund nicht an äusserliche Hilfsmittel gedacht werden cum de nulla, quam externa medicina, cogitari posset, konnte, wurde eine Salbe aus Kartoffelbrot vorgeschlagen, die ich frisch an- unguentum de arthanita propositum fuit, quod in hos usus recens fertigen liess. Diese, da sie nur sanft und ohne alle Reibung aufzutragen war, confici jussi, quod tamen cum tantum leniter et sine omni half wenig, so dass am Ende nicht einmal ein letztes Mittel weiter versucht frictione illiniendum esset, parum prosuit, ita ut tandem ne werden konnte. extremum quidem hoc remedium ulterius tentari posset. Sic ultima nox tristis accedebat, in qua finem malorum a Deo ardentissimis precibus efflagitabat nostra. Pulsus celeritas So nahte die traurige letzte Nacht, in der unsere Kranke mit inständigen Bitten von Gott das Ende ihrer Leiden erflehte. Der bisher kaum als beschleunigt wahrgenommene Puls 36 LUDWIGS BERICHT hucusque vix percepta vehementer 433 augebatur, etsi vero ejus durities non observabatur, et ex ardore nahm nun heftig zu, auch wenn eine Verhärtung nicht beobachtet werden tactu jam percipiendo, putridam humorum resolutionem certo konnte, und aus der bereits durch den Tastsinn wahrnehmbaren Hitze factam esse concludebamus, dolor tamen insignis, qui aegram, schlossen wir, dass die faulige Zersetzung der Säfte gewiss erfolgt sei. Der mente semper constantem, urgebat, inflammationis summae auffallende Schmerz, welcher die Kranke, die stets standhaften Geistes war, signum erat, cum humores et resoluti in partem obstructam bedrängte, war das Zeichen einer heftigen Entzündung, da die zersetzten magis impellerentur et sensiles adhuc nervos tenderent. Säfte am blockierten Teil stärker anprallten und die Empfindungsnerven tra- Accidit vero casu, ut in disquisitione ventris versus fen. vesperam in inguine ad descensum vasorum cruralium tumor Es geschah durch Zufall, dass bei der Untersuchung des Bauches ge- herniosus perciperetur et quanquam hoc in loco de nullo dolore gen Abend in der Leiste über den Schenkelgefässen eine Hernienschwellung conquesta fuerat, cum tamen in sinistro latere esset, in quo wahrgenommen wurde, obschon sie an dieser Stelle nie über Schmerz ge- superius dolor urgebat, omnes credebant nos deceptos et in klagte hatte. Schmerz bestand auf der linken Seite, aber weiter oberhalb. Wir hernia crurali praecipuam caussam morbi positam esse. Sed glaubten nun, dass wir uns alle geirrt hätten und dass die Schenkelhernie die aegra ipsa monebat, hunc tumorem non nisis hoc die obortum Hauptursache der Krankheit sei. Die Kranke erinnerte selbst daran, dass die- esse et ego etiam de hac re recte instructus, ei adsentiebar. Ante se Schwellung erst an diesem Tag entstanden sei, und auch ich, der ich dar- tredecim annos post laboriosum puerperium hernia cruralis in über richtig orientiert war, stimmte ihr bei. Vor dreizehn Jahren war nach an- hoc loco orta erat, ego vero tunc temporis tantum hujus herniae strengender Geburt an dieser Stelle eine Schenkelhernie entstanden. Ich reponendae et retinendae curam habueram, ut post aliquot hatte mich bemüht, diese Hernie zu reponieren und zurückzuhalten, so dass menses tumor prorsus evanesceret. Ab hoc tempore multoties et nach einigen Monaten die Schwellung gänzlich verschwand. Von dieser Zeit quando an habe ich oft und auch wenn meine Liebste über Spannungen im Leib und de tensionibus ventris et alvi obstructione conquerebatur, amata, locum herniae attente et in vario cor- über Verstopfung klagte, die Stelle der Hernie 37 LUDWIGS BERICHT 434 poris situ disquisiui, ne incarceratio funesta clanculum bei unterschiedlichen Körperhaltungen untersucht, ob nicht unbemerkt eine obreperet; nunquam autem nova incommoda inde oborta sunt. unheilvolle Einklemmung sich einstellte; nie nämlich entstanden dadurch Ante decem annos in ultimo et omnino felici puerperio, in hujus neue Beschwerden. Vor zehn Jahren bei der letzten und durchaus glückli- praecipue morbi initio et progressu, de hac re inquirenda chen Geburt und vor allem während dieser Krankheit hatte ich zu Beginn und sollicitus eram, sed non nisi hoc ipso die, nova protrusio während des Verlaufs sorgfältig darauf geachtet, aber erst an diesem Tag intestini in saccum herniae denuo oborta erat, quod, si ego wurde der Darm erneut in den Bruchsack getrieben; die geliebte Kranke ver- quoque negligentior in observando fuissem, charissima tamen sicherte, sie hätte darauf aufmerksam gemacht, wenn ich die Feststellung aegra, quae locum optime noscebat, se de hac re sollicitam verpasst hätte. fuisse affirmabat. Quanquam vero haec tumoris protrusio Obschon das Hervortreten dieser Schwellung mein Gemüt zutiefst er- animum meum maxime commovebat, nihil tamen in aegra ex schütterte, konnte dennoch bei der wegen anderen Ursachen dem Tode na- aliis caussis morti proxima suscipi poterat, cum repositio hen Kranken nichts unternommen werden, da eine Reposition der Hernie we- herniae, ob nimias infimi ventris tensiones, prorsus impossibilis gen den allzu grossen Spannungen im Unterleib unmöglich war. esset. So verging daher diese höchst beschwerliche Nacht mit heftigsten Transiit igitur molestissima haec nox inter atrocissimos Schmerzen und Ängsten der lieben Kranken. Da sie auf dem Bett wenig Ruhe dolores et anxietates charissimae aegrae, illa vero cum parum in fand und wegen grösster Schwäche sich auch nicht auf einem Stuhl oder auf lectulo quiescere, simul ob summam imbecillitatem, nec in den Füssen halten konnte, dennoch aber in aufrechter Haltung einige Er- sedili detineri, nec pedibus insistere posset, tamen quod a situ leichterung der Schmerzen verspürte, lag sie auf dem mit Kissen erhöhten corporis erecto aliquod levamen doloris persentisceret, aut in Bett auf dem Bauch oder wurde von den Freunden, die sie pflegten und vom lectulum pulvinaribus altiorem redditum ventre incumbebat, aut Arzt selbst, der unserer Kranken auf jede Weise ab amicis, qui ejus curam habebant, ipsoque medico, qui nostram omnibus modis sublevare 38 LUDWIGS BERICHT 435 annitebatur, humeris levata, in erecto situ retenta vel per zu helfen sich bemühte, an den Schultern gehoben und aufrecht gehalten conclave tracta est. oder durch das Zimmer geschleppt. Illuxit tandem dies tertius septembris nobis funestissimus, Endlich brach der für uns so unheilvolle 3. September an, an dem die quo amata conjux, quae jam dudum finem malorum mortemque geliebte Gattin, die schon lange das Ende ihrer Leiden und einen seligen Tod beatam expectaverat, summo mane mecum ardentissimas preces erwartet hatte, in aller Frühe mit mir inbrünstigem zu Gott betete, er, der sie fundebat, ut Deus, qui eam tot beneficiis ornasset, et saepe in mit so vielen Wohltaten bedacht und sie oft in höchsten Nöten gerettet hatte, summis periculis servasset, nunc vitae finem non inter möge ihr nun ein Lebensende nicht unter heftigsten Schmerzen auferlegen atrocissimos dolores imponeret et quasi de ejus auxilio und sie sozusagen im Zweifel an seiner Hilfe dahinraffen, sondern ihr bei desperantem raperet, sed ut tranquillum et blandum, doloribus nachlassenden Schmerzen aus diesem Leben einen ruhigen und angeneh- remittentibus, exitum ex hac vita et ingressum ad beatam et men Ausgang und Eingang in die ewige Glückseligkeit gewähren. Trotzdem aeternam sedem ei concederet. Tamen perdurabant adhuc dauerten die Ängste bis jetzt an, die [die Kranke] während vielen Tagen er- anxietates, quae illam per plures dies conquassaverant et cum schüttert hatten. Als der in aller Frühe herbeigerufene Diener des Wortes verbi divini minister summo mane accersitus ejus animam, Gottes ihre Seele mit dem Trost aus den Heiligen Schriften zu kräftigen und solatiis ex sacra scriptura haustis, confirmare et constantiam ejus ihre Standhaftigkeit im Glauben trotz so vieler Widerwärtigkeiten zu unterstüt- in fide etiam inter tot taedia sustinere anniteretur, ea quidem zen trachtete, da bewahrte sie Geduld und Ruhe des Gemüts und versicher- patientiam et tranquillitatem animi servabat et, se huius solatii te, sie sei dieses Trostes teilhaftig geworden, konnte aber dennoch die Ruhe participem factam esse, affirmabat, corpore tamen quiescere non des Körpers nicht finden, sondern musste elend, wie ein Wurm sich windend, poterat, sed misera, vermis ad instar, corpus torquere et in ihre Lage verändernd Erleichterung suchen. mutato situ solatium quaerere cogebatur. Hora octava frigidi accedere videbantur sudores, quos Um 8 Uhr schien kalter Schweiss einzutreten, den bald eine vorübergehende Hitze aufhob, 39 LUDWIGS BERICHT tamen mox transitorius aestus excipiebat, 436 ut denuo anxia redderetur. Cum autem hora nona ad eam so dass sie erneut ängstlich wurde. Als ich um 9 Uhr zu ihr ging, küsste sie accederem, me osculo suavissimo excepit et laeta pronunciavit, mich herzlich und erklärte froh, das Ende der bisher ausgestandenen Leiden nunc finem malorum, hucusque toleratorum, adesse, petiitque a sei da, bat mich, Gott demütig zu danken, dass er sie nicht inmitten ihrer me, ut Deo supplex gratias agerem, quod eam non in mediis Ängste aus dem Leben nehme, sondern ihr vor dem Hinschied etwas Ruhe anxietatibus e vita tolleret, sed ante obitum aliquam requiem gewähre. Sie drückte meine Hand mit bereits kalten Fingerspitzen, versi- concederet. Imprimebat manui meae apices digitorum jam cherte, dass der Schmerz nun nachliesse, und klagte nur über leichtere, mit frigidos, doloremque nunc cessare affirmabat, de levioribus et dem früheren in keiner Weise vergleichbaren Ängsten, die sie geduldig und cum prioribus nullo modo comparandis anxietatibus tantum mit höchstem Gottvertrauen ertragen könne, besonders da sie die beklem- conquerebatur, quas patienter et cum summa in Deum fiducia mende und keuchende Atmung sie nicht weiter bedrängte und sie kein Gefühl ferre posset, inprimis cum anxia et suspiriosa respiratio non des Erstickens wahrnahm. Sie hatte schon am Vortag wenig zu sich nehmen amplius urgeret, nec ullus suffocationis sensus perciperetur. können, so trank sie an diesem Tag weder Kaltes noch Warmes, trotzdem Quemadmodum autem jam die superiore parum deglutire würgte sie mit viel Übelkeit und Anstrengung etwas heraus. Einzig dünnes poterat, sic hoc die nihil prorsus potus aquosi calidi, vel frigidi Bier, um die Zunge zu befeuchten, schien allmählich durch die Speiseröhre hauriebat, quod protinus sine multa nausea et nisu eructabat; hinabzugehen, weil irgendein Reiz im gebrauten Trank war. sola cerevisia tenuis ad linguam humectandam hausta sensim Nach so vielen Tagen voller Schmerzen war deshalb der letzte für die per oesophagum descendere videbatur, quod aliquis in potu Sterbende der willkommenste und für uns ein grosser Trost, da wir ihre Be- fermentato stimulus erat. ständigkeit im letzten Lebensabschnitt bewunderten und sahen, dass die Ge- Post tot itaque dies dolorum plenissimos ultimus et liebte ohne Schmerzen war. moribundae gratissimus et nobis summo solatio erat, quod constantiam ejus in ultimo vitae articulo admirabamur et 40 LUDWIGS BERICHT amatam sine dolore esse cognoscebamus. 437 Interdum igitur pias meditationes de morte, adhortationibus Bisweilen setzte sie ihre frommen Betrachtungen über den Tod fort, unter- amicorum adjuta continuabat, interdum cum omnibus amicis stützt durch Aufmunterungen der Freunde, bisweilen unterhielt sie sich fried- placide colloquebatur et iis ultimum vale dicebat. Moeror, qui, lich mit allen Freunden und sagte ihnen ein letztes Lebewohl. Die Trauer, die dum haec scribo, animum meum opprimit, haud permittit, ut ea mein Gemüt bedrückt, während ich dies schreibe, erlaubt mir alles jene wie- proferam, quae tranquillitatem, in beata morte positam, derzugeben, was nach offensichtlichen Zeugnissen zu einem seligen Tod ge- luculentis testimoniis declarant. Sufficiat dixisse, omnes amicos, hört. Es soll die Aussage genügen, dass alle Freunde, die die Kraft wahrer qui verae et christianae constatiae vim in hoc exemplo cogno- und christlicher Standhaftigkeit an diesem Beispiel erkannt haben, sich einen rant, similem exoptasse mortem. Ego vero vehementissimo ani- ähnlichen Tod wünschten. Ich aber hatte, erschüttert durch heftigste Gemüts- mi affectu commotus, lacrymas non satis reprimere poteram, bewegung, die Tränen nicht zurückhalten können. Voller Liebe und freundlich illa, mei amantissima, blande subridens, lacrymas meas frigida lächelnd, wischte sie meine Tränen mit erkalteter Hand ab, und während ihre manu detergebat, eoque momento, quo, filiis ejus manus Söhne ihre Hände küssten, gab sie diesen ihre Mahnungen und mütterlichen exosculantibus, monita cum votis maternis tradidit, nullam effu- Wünsche auf den Weg, ohne eine einzige Träne zu vergiessen. Vielmehr dit lacrymam, sed hos filios et futuram eorum sortem praecipue vertraute sie diese Söhne und ihr künftiges Los in erster Linie der Vorsehung Dei providentiae concedebat, mihique sedulam eorum educatio- Gottes an und legte mir deren sorgfältige Erziehung ans Herz. nem commendabat. Zu dieser Zeit war der Puls schnell und schwach, jedoch gleichmässig, Pulsus tunc celer quidem et debilis erat, sed aequalis, was anzeigte, dass eine geringe, immer noch vorhandene Kraft des Kreis- quod exiguam, quae adhuc supererat, circulationis vim sine im- laufs vom Herz und den grösseren Gefässen ohne allgemeine Hemmung er- pedimento universali a corde et vasis majoribus absolvi, indica- zeugt wurde. Und da nach der Mittagszeit auch die Lippen schon kalt waren, bat. Et post meridiem et cum labia jam frigida essent, quibus welchen ich bisweilen liebkosende Küsse aufdrückte, und die äusseren Sinne interdum blanda oscula impressi, sensus externi quodammodo gewissermassen 41 LUDWIGS BERICHT 438 debilitari videbantur, interni tamen semper vegeti erant, ita ut schwächer zu werden schienen, da waren die inneren immer noch lebhaft, so nulla deliria perciperentur, nisi suavia quaedam, quae, dass keine irren Reden wahrgenommen wurden ausser einigen sanften Äu- quiescente ea et non nihil dormiente, intercurrebant. Ego vero sserungen, wie sie vorkommen, wenn jemand ruht und zwischendurch optabam, ut dormiret et evigilans ultimum vitae momentum, schläft. Ich aber wünschte, dass sie schlafe und erwachend, dem Leben subito erepta, sentiret; timebam tamen novos insultus spasticos plötzlich entrissen, den letzten Augenblick empfinde; dennoch befürchtete ich et recrudescentes anxietates. Frigus tandem sensim occupavit neue Krampfanfälle und wiederaufbrechende Ängste. Endlich besetzte Kälte omnia membra et praeter tensiones abdominis, ob quas saepe allmählich alle Glieder, und ausser den Spannungen des Abdomens, deret- situm erectum corporis urgebat, sudor frigidus ipsae molestus wegen sie oft zu aufrechter Haltung genötigt war, war kalter Schweiss (für sie) erat. Optabat saepius, ut, linteis mutatis, ab hoc incommodo beschwerlich. Sie wünschte öfters, dass sie durch den Wechsel der Bettücher liberaretur, sed adstantes amici dissuadebant, eique dolores von dieser Unannehmlichkeit befreit werde, aber die anwesenden Freunde graves in animum revocabant, quos ante percepisset et hac rieten davon ab und riefen ihr die schweren Schmerzen in Erinnerung, die sie mutatione iterum excitatura esset. Illa itaque post horam schon vorher empfunden hatte und die sie durch diesen Wechsel wiederum septimam aliquam in somnum propensionem sensit, ipsa enim auslösen würde. Sie fühlte dann nach 7 Uhr eine gewisse Neigung zum dicebat, se dormire velle, sed id ab amicis petiit, ut summo mane Schlaf, sie sagte nämlich selbst, dass sie schlafen wolle, erbat aber von den eam expergefacerent et tunc lintea humida mutarent, ipsoque Freunden, dass sie sie in aller Frühe weckten und dann die feuchten Tücher hoc momento, in latus dextrum conversa, obiit. wechselten. In diesem Augenblick, zur rechten Seite gewendet, starb sie. Sic mihi erepta est charissima conjux, quae per viginti et So ist mir die liebste Gattin entrissen worden, die während 21 Jahren, unum annum et imbecillis et aegrota aerumnosam meam et obschon schwach und krank, mein mühseliges und arbeitsreiches Leben als laboriosam vitam consortio, consilio et auxilio felicem Gefährtin mit Rat und Hilfe glücklich machte. So endlich hat, nachdem sie von reddiderat; sic tandem postquam per tot aerumnas miserae vitae so vielen Mühseligkeiten eines elenden Lebens getrieben wurde, trotzdem agitata, sem- 42 LUDWIGS BERICHT 439 per tamen providentiam divinam pio pectore coluerat, mors mit frommem Herzen die göttliche Vorsehung verehrt hatte, ein glücklicher beata et tranquilla summam felicitatem animae charae concessit. und ruhiger Tod der lieben Seele die höchste Glückseligkeit gewährt. Reliquit vero beata anima nobis corpus sic deturpatum, ut Übrig liess uns die Selige einen so verunstalteten Körper, dass ich ejus disquisitionem multis rationibus permotus susciperem. Ipsa dessen Untersuchung aus vielen Gründen auf mich nahm. Die Kranke selbst etiam aegra hoc petierat, ab amicis, cum non abhorreret a hatte nämlich dies von den Freunden gefordert, weil sie sich nicht von Lei- sectionibus cadaverum. Ratio saepe et nunc praecipue impeditae chensektionen fürchtete. Die vor allem auf der linken Seite gelegene Ursache excretionis alvinae in sinistro potissimum latere posita, caussae der häufig eingetretenen und nun im Vordergrund stehenden Verstopfung, die inertiae bilis, constitutio herniae cruralis, curatae quidem sed in Gründe der Trägheit der Galle, die Umstände der zwar geheilten, aber in den ultimis vitae diebus rursus obortae, sine attenta disquisitione letzten Lebenstagen wieder aufgetretenen Schenkelhernie, konnten nicht oh- dimitti non poterant. Cum autem amata conjux sectionem post ne aufmerksame Untersuchung belassen werden. Aber weil die geliebte Gat- mortem, non a me, sed a quibusdam amicis petiisset, ego illis tin eine Sektion nach dem Tode nicht von mir, sondern von einigen Freunden hoc amicitiae officium concessi, et id tantum mihi dari volui, ut gewünscht hatte, habe ich ihnen diese Freundespflicht zugestanden und mir aperto cadavere, primarios laesionis modos ipse inspicerem. lediglich ausbedungen, dass ich nach der Öffnung der Leiche die hauptsäch- Quemadmodum autem vita conjugis aerumnosa ac laboriosa et lichen Arten der Schädigung selbst untersuche. Obschon aber das Leben morbus ultimus in suo progressu difficillimus erat, sic etiam meiner Gattin elend und mühselig, und die letzte Krankheit in ihrem Fort- libere profiteor, inter omnes sectiones cadaverum, quarum intra schreiten beschwerlich war, so gestehe ich frei, dass unter allen Leichensek- triginta annos plurimas suscepi, nullam fuisse, quae me simili tionen, die ich in 30 Jahren durchgeführt habe, mich keine auf ähnliche Weise modo commoverit. Non solum enim durum mihi erat, viscera bewegt hat. Es war nicht nur hart für mich, die Eingeweide der geliebten Gat- amatae conjugis inspicere, sed ingrato hoc animi affectu tin zu untersuchen, sondern nach Überwindung dieser Abneigung auch, dass superato, perversus etiam uns die verkehrte 43 LUDWIGS BERICHT 440 partis laesae situs nos in errorem ducebat, ex quo post accuratam Lage des betroffenen Teils in die Irre führte, aus welcher wir uns in einer et ultra horam durantem disquisitionem nos extricavimus, mehr als eine Stunde dauernden Untersuchung befreiten und die ausserge- morbique singularem rationem deteximus. wöhnliche Ursache der Krankheit entdeckten. Denudato corpore, ambitus abdominis feminae macilentae Bei entkleidetem Körper mass der Umfang des Abdomens der abge- et tenerae erat ulnae unius cum semisse et quinque pollicum, filo magerten, zarten Frau, [gemessen] mit einem, um die Nabelgegend geführten circumcirca ad regionem umbilicalem ducto. Longitudo fili a Faden, 1 Elle und 5 1/2 Daumen [69,4 cm; 1 Elle in Sachsen = 2 Fuss = 56,5 cartilagine xyphoide sterni usque ad os pubis ducti, tres quartas cm, Brockhaus 1901, 5, S. 966; 12 Daumen oder Zoll = 1 Fuss; Brockhaus ulnae et digitos quatuor referebat. Ita vero tensa erant 1901, 7, S. 322]. Die Länge des Fadens vom Xyphoidknorpel des Sternums integumenta communia et propria abdominis, ut difficulter zum Os pubis betrug 3/4 Ellen und 4 Finger [51.5 cm]. So sehr waren die all- inciderentur, ac specillum et digitum, incisionem dirigentia, vix gemeinen und speziellen Schichten des Abdomens angespannt, dass sie nur admitterent. Omnibus his incisis et revolutis, intestina tenuia mit Mühe eingeschnitten werden konnten und Sonde und Finger, die den flatibus moderate distenta invenimus et coecum, quod Schnitt leiteten, kaum eingebracht werden konnten. Nach Durchschneiden quodammodo eminebat, amplum quidem, minime autem ultra und Zurücklegen aller [Schichten der Bauchwand] fanden wir den Dünndarm modum inflatum erat, colon, ubi a coeco sursum procedit, parum durch Luft nur mässig erweitert vor und das Coecum, das gewissermassen distentum erat, sensim vero ad mediam partim transversim, hervorragte, gross, aber durchaus nicht übermässig aufgebläht. Das Colon quam zonam vocamus, productum ita expansum erat, ut medius war dort, wo es vom Coecum aufsteigt, wenig erweitert, nach und nach aber ambitus ulnae semis et quatuor digitorum esset, transversa zona war es im queren Teil, den wir "Zona" nennen, so sehr ausgedehnt, dass der a dextro latere usque ad lienem, ubi se abscondebat, ulnam mittlere Umfang ½ Elle und 4 Finger [37.4 cm] betrug, die quere "Zona" mass unam cum quadrante et tres digitos aequabat. Omentum non von der rechten Seite bis zur Milz, wo sie verdeckt wurde, 1 ¼ Ellen und 3 deprehendimus, quod enim macilenta erat nostra, Finger [77.5 cm]. Das Omentum konnten wir nicht erkennen, da unsere [Verstorbene] sehr abgemagert war; 44 LUDWIGS BERICHT 441 in tenerum et contractum contextum cellulosum, in tanta es schien zu einem feinen, zusammengezogenen zelligen Gebilde geworden distensione ferme prorsus evanescentem, transiisse videbatur. zu sein, das bei einer derart starken Überdehnung fast ganz verschwunden Supra colon et in utroque hypochondrio et scrobiculo cordis, vulgo vocato, ventriculus (hunc enim ob oculos habere war. Oberhalb des Colons und in beiden Hypochondrien und der sog. maxime Herzgrube ragte der Magen (ihn glaubten wir vor Augen zu haben, bevor wir distentus, inflammatus et jam quodammodo gangraenosus unsere Täuschung entdeckten) hervor, aufs äusserste gedehnt, entzündet eminebat, cujus curvatura magna ulnam unam et digitum unum, und bereits gewissermassen gangränös. Die grössere Kurvatur betrug 1 Elle ambitus medius tres quarta ulnae et duos digitos referebat. Adeo und 1 Finger [58.8 cm], der mittlere Umfang ¾ Ellen und 2 Finger [46.9 cm]. vero prominebant ventriculus et colon, ut ad ulteriorem partium Derart stark ragten der Magen und das Colon hervor, dass wir zur weiteren disquisitionem procedere haud possemus, nisi, puncturis acu Untersuchung der Teile nicht fortschreiten konnten, ohne durch Punktionen inflictis, magnam vim aeris foetidi emisissemus. In cavitate, mit einer Nadel eine grosse Menge übel riechender Luft austreten zu lassen. quam ventriculum esse credebamus, multa materia spissa, in In der Höhle, die wir für den Magen hielten, fanden wir viel eingedickte Mate- zona coli praeter aerem nullae ferme foeces reperiebantur. rie, in der "Zona" des Colons dagegen ausser Luft fast keine Faeces. credebamus, antequam fallaciam detegeremus) Colon postea in sinistro latere sub liene disquisivimus, Das Colon untersuchten wir darauf auf der linken Seite unter der Milz. illudque ad peritonaeum et diaphragma posterius adhaerere Wir stellten fest, dass es hinten mit dem Peritoneum und dem Zwerchfell ver- cognovimus. Haec pars angusta quidem, in ipsis tamen tunicis wachsen war. Dieser Teil war jedoch verengt, in seinen Schichten selbst war parum callosa erat: sed a latere ejus et ubi accreverat, striae er jedoch wenig verhärtet; aber an seiner Seite, und wo er angewachsen war, tenaces quasi ligamentosae, cum pinguedine indurata coalitae, stiess man auf zähe, gewissermassen ligamentartige Bänder, die mit verhär- inveniebantur. Nexum hunc dum solvere et continuationem coli tetem Fett zusammengewachsen waren. Als wir versuchten, diese Verwach- sub liene detegere tentaremus, sung zu lösen und den Verlauf des Colons unter der Milz darzustellen, 45 LUDWIGS BERICHT 442 pars adhaerens coli dilacerata est et in parte abrupta, quae zerriss der angewachsene Teil des Colons, und im abgerissenen Teil, der deorsum ad flexus coli sinistros ducit, angustum orificium, hinunter zur linken Colonflexur führt, entdeckten wir eine enge Öffnung, die pennam anserinam vix admittens, deteximus, hoc tamen per kaum eine Gänsefeder durchliess; wir glaubten aber, dass diese [Öffnung] rupturam contractum et angustius factum esse credebamus, cum sich durch die Ruptur kontrahiert habe und enger geworden sei, da das Co- continuatio coli non nihil amplior esset. Lien parvus, sed nulla lons in seiner Fortsetzung um einiges weiter war. Die Milz war klein, aber von labe corruptus erat et post eum superiorem partem coli abrupti keinerlei Fehler betroffen, und auf ihrer Hinterseite suchten wir den oberen frustra quaerebamus, cum illa nobis se prorsus subduxisset. Teil des abgerissenen Colons, da sich dieser uns völlig entzog. Wir schritten Accessimus itaque ad disquisitionem cavi, quod ventriculum deshalb zur Untersuchung der Höhle, die wir für den Magen hielten. Als wir esse credebamus et cum sub fornice diaphragmatis in eo loco, unter der Wölbung des Zwerchfells dort, wo die Cardia aus dem Oesophagus ubi cardia, ex oesophago descendens, in verticulum extenditur, absteigend sich in den Magen erweitert, beginnen wollten, drang der Finger in initium disquisitionis facere vellemus, digitus in cavum hoc, die Höhle ein, die durch Gangrän bereits teilweise zerstört wahr, und nahm gangraena jam ex parte corruptum, penetrabat et scybala tenacia zähe Kotballen wahr. Eine beträchtliche Menge davon pressten wir hervor tactu percipiebat; insignem enim horum copiam expressimus et und entfernten sie, worauf wir, nachdem die Höhle zusammengefallen war, eduximus, das übrige untersuchten. quo, cavo collapso, reliqua accuratius investigaremus. Da wir ja in dieser leicht zerreissbaren Höhle den Grund der verkehr- Quoniam autem in hoc cavo facile dilacerando, perversi ten Lage nicht finden konnten, kehrten wir zur "Zona" des Colons zurück, das situs rationem invenire haud potuimus, ad zonam coli regressi nun, nach Ablassen der Luft, ein wenig schlaff war, und gelangten, sorgfältig sumus, nunc, flatu emisso, paullo flaccidiorem, et caute a latere von der rechten nach der linken Seite vorrückend, erneut zum Ort des Hin- dextro ad sinistram progrediendo ad locum obicis iterum dernisses vor, aber verwirrt sahen wir, dass das Colon nicht nur mit dem Ma- accessimus, sed perturbati vidimus, colon non tantum cum gen zusammenhing, sondern sich tatsächlich in ihm fortsetzte. ventriculo cohaerere, sed vere in cum continuari. 46 LUDWIGS BERICHT 443 Cognoscebamus igitur, cum rem impossibilem inveniremus, nos Wir erkannten also, als wir diese unmögliche Gegebenheit bemerkten, dass deceptos esse, caussam vero erroris nondum detegere potuimus, wir uns geirrt hatten, die Ursache dieses Irrtums hingegen konnten wir noch cum situs hujus cavi membranacei, quod a multis retro annis nicht entdecken, da die Lage dieser membranösen Höhle, die seit vielen Jah- regionem scrobiculi cordis tensam et dolorsam effecerat, non ren die Gegend der Herzgrube gespannt und schmerzhaft gemacht hatte, uns nisi de ventriculo nos cogitare permitteret. Etsi enim amici an nichts anderes als an den Magen hatte denken lassen. Auch wenn die partem forte duodeni, supra modum extensam, hic eminere Freunde glaubten, dass vielleicht ein Teil des Duodenums übermässig er- posse credebant, cum a parte hepatis liberum fluctuaret et ut weitert hier hervorragen könnte, da es auf der Seite der Leber frei fluktuierte cardiam non ostenderat, sic etiam pylori vestigia non referebat, und die Cardia nicht sichtbar, auch keine Spur der Cardia sich zeigte, konnten ventriculi tamen absentiam nullo modo explicare poteramus. wir uns dennoch das Fehlen des Magens auf keine Weise erklären. In disquisitione viscerum, situ perverso conspicuorum, Bei der Untersuchung der Eingeweide, die in verkehrter Lage erschie- nullum e loco movendum esse, antequam vera ejus ratio nen, darf nichts aus seiner Lage bewegt werden, bevor nicht der wahre Grund detegatur, lex est, quam et nunc nobis injunximus. Optimum gefunden ist; an dieses Gesetz hielten wir uns auch jetzt. Am besten wäre es certe fuisset, et suadebant amici, sternum solvere et, relaxato gewesen – und dies rieten die Freunde -, das Sternum zu lösen und bei et- non nihil diaphragmate, hanc partem maximopere extensam sub was gelockertem Zwerchfell, diesen ausserordentlich stark erweiterten, unter fornicem ejus protrusam et plenius perspicere et non nihil dessen Wölbung hervordrängenden Teil genauer zu inspizieren und etwas reclinare; ego vero animo et moerore et erroris consideratione zurückzulegen; ich aber, im Gemüt bewegt durch die Trauer und die Be- agitatus; amatae corpus ulterius dilacerare nolebam. Aliud igitur trachtung meines Irrtums, wollte den Körper der Geliebten nicht noch weiter capiendum erat consilium. Incidimus nimirum mesocolon, quo verunstalten. Ein anderer Entschluss war also zu fassen. Wir schnitten ohne coli weiteres das Mesocolon ein, um den Verlauf des Colons besser beurteilen zu tractum eo melius dijudicare possemus et perspeximus, hunc saccum, qui ventriculus esse videbatur, plane können, erblickten nun klar diesen Sack, der als Magen erschienen war 47 LUDWIGS BERICHT 444 veram et connexam coli partem supra modum extensam esse. Evacuato igitur ulterius hoc sacco, qui morbi, mortis et und tatsächlich ein übermässig erweiterter, zusammenhängender Teil des Colons war. erroris caussa erat, eoque nunc paullulum reclinato, vidimus sub Wir entleerten diesen Sack noch weiter, der die Ursache der Krank- eo ventriculum verum, solita forma, sed paullo minorem, nullo heit, des Todes und auch unseres Irrtums war, und als wir ihn nun ein wenig aere nulloque alimento repletum, nullamque callositatem, nec zurücklegten, sahen wir unter ihm den wirklichen Magen, von gewohnter inflammationem in eo conspeximus, quanquam ille versus hepar Form, aber etwas verkleinert, weder durch Luft noch Speisen angefüllt, und dextrorsum atque retrorsum valide depressus fuisset, ita ut nec wir erblickten an ihm weder Verhärtung noch Entzündung in diesem Bereich, ructum, nec vomitum edere et ultimis diebus nihil ferme per obwohl er nach rechts gegen die Leber und nach hinten gedrückt, so dass er cardiam in eum descendere potuisset. A cardia per curvaturas weder ein Aufstossen noch ein Erbrechen zulassen und in den letzten Tagen ventriculi ad pylorum ducti, duodenum quoque in vero situ beinahe nichts durch die Cardia zu ihm hinuntergelangen konnte. Von der deprehendimus et in transitu ad pylorum et jejunum viam ejus Cardia über die Kurvatur des Magens zum Pylorus geführt, fanden wir auch liberam, etsi quodammodo depressam invenimus. Et jejunum das Duodenum an der richtigen Stelle und den Weg frei im Übergang zum totum sanum nos duxit ad convolutiones ilei sinistri cujus artem Pylorus und zum Jejunum, wenn auch einigermassen niedergedrückt. Das in affectam gänzlich gesunde Jejunum führte uns zu den Windungen des linken Ileums, conspeximus. Hoc ileum post partem herniae interceptam von dem wir einen Teil in eine Schenkelhernie ausgestülpt und brandig ver- vacuum magis erat, minime vero callosum, hinc dextrae etiam ändert sahen. Das Ileum war nach dem Teil, der von der Hernie betroffen convolutiones liberae erant et transitus hujus intestini inter war, ziemlich leer und keineswegs verhärtet, von dieser Stelle an waren auch coecum et colon ad crassa, naturali modo constituta erat. die rechten Windungen frei und der Übergang dieses Eingeweides zwischen Progressi sumus ad colon, super renem dextrum ascendens, Coecum und Colon zum Dickdarm in natürlicher Weise beschaffen. Wir postea ad ductum zonae coli transversae schritten fort zum Colon, das über die rechte Niere aufstieg, gingen darauf herniam cruralem detrusam et sphacelo über zum Verlauf der "Zona" des Colon transversum 48 LUDWIGS BERICHT 445 progrediendo, prevenimus in illud cavum, quod ventriculum und gelangten zu jener Höhle, die wir nach seiner Lage und Ausdehnung für esse ex situ et extensione credideramus et jam vere cognovimus, den Magen gehalten hatten und erkannten nun richtig, dass dieser Sack ein hunc saccum esse partem coli, sub liene progredientem et ad Teil des Colons war, der unter der Milz und zu der engen Stelle verlief und angulum locum sub liene ad diaphragma accretum, in quo unter der Milz am Zwerchfell angewachsen war, an welcher Stelle auf der lin- nimirum loco obicem in sinistro latere, durante morbo, semper ken Seite die Kranke tatsächlich während ihrer Krankheit fast dauernd das ferme sensit aegra et nos etiam sub initium morbi quaesivimus. Hindernis spürte und auch wir es zu Beginn der Erkrankung gesucht haben. Sic ex errore in viam reducti, cognovimus, a longis retro Auf diese Weise vom Irrtum wieder auf die richtige Spur zurückgeführt, et erkannten wir, dass sich dieser Teil des Colons bereits vor langen Jahren er- continuationem hujus intestini super renem sinistrum simul weitert und den Verlauf dieses Eingeweideabschnitts über die linke Niere quodammodo sursum ductum esse. Saepius enim narrabat mihi gleichzeitig gewissermassen aufwärts verlagert hatte. Öfter erzählte mir näm- optima conjux, se olim magna pondera coxae sinistrae imposita lich meine beste Gattin, dass sie früher grosse Lasten über ihrer linken Hüfte portasse et quanquam inde, nec spinae rectitudo laesa, nec ossa getragen habe und obwohl dadurch weder die gerade Ausrichtung der Wir- coxarum inaequalia facta erant, abdominis tamen tensiones ipsi belsäule noch die regelmässige Gestalt der Hüftknochen beeinträchtigt wur- crebrius molestas fuisse. Nos etiam colon a liene super renem den, seien ihr dennoch schmerzhafte Spannungen des Abdomens oft häufig usque ad initia recti mensuravimus et S romanum sive flexus lästig gewesen. Wir massen auch das Colon von der Milz über die Niere bis coli sinistros inferius magis rectos et totam longitudinem, vix zum Beginn des Rectum und fanden das Sigma romanum oder die linken ulnam quoque, Windungen des Colon stärker gestreckt und die ganze Länge kaum mehr als firmiorem adhaesionem ad partem diaphragmatis sub liene 1 Elle [56.5 cm]. Wir stellten auch fest, dass die stärkere Adhäsion im Bereich inveteratum malum esse, quod membranae vicinae laxae alia, des Zwerchfells unter der Milz ein lange bestehendes Übel war, weil die be- pingues, contractae et callosae erant, quanquam ipsa angustia nachbarten, sonst schlaffen Membranen, fett, zusammengezogen und ver- intestini härtet waren, obwohl die Verengung des Darmes selbst annis hanc partem superantem, coli quodammodo deprehendimus. extensam Perspeximus 49 LUDWIGS BERICHT 446 non longa et in tunicis parum tantum callosa erat. Jam dudum nicht ausgedehnt und in ihren Häuten nur wenig verhärtet war. Schon lange igitur, praecipue tamen in ultimis vitae annis, his tensionibus et Zeit, vor allem aber in den letzten Lebensjahren, ist [die Kranke] durch diese inde obortis anxietatibus agitata est, leni laxante et praecipue Spannungen und die dadurch entstandenen Ängste beunruhigt und durch ein clysmatibus parum levata. Cum enim semper ferme de sanftes Abführmittel und hauptsächlich durch Klistiere ein wenig erleichtert ventriculo tumente conquereretur, ipse tamen ventriculus in worden. Da sie nämlich fast immer über einen vergrösserten Magen klagte disquisitione sanus et nulla labe affectus deprehensus esset, cum und dennoch der Magen bei der Untersuchung gesund und von keinem Feh- alvus simul tarda et sicca esset, intestina autem, nec angusta, nec ler betroffen gefunden wurde; da zugleich der Stuhlgang verzögert und trok- callosa invenirentur, extensam hanc coli partem a longo jam ken war und sich die Gedärme nämlich weder verengt noch verhärtet zeigten, tempore perverso hoc situ fuisse, non sine ratione concludimus. folgerten wir nicht ohne Grund, dass dieser ausgedehnte Teil des Colons be- Die tandem vicesimo primo augusti, qui est initium reits seit langer Zeit in dieser fehlerhaften Lage sich befunden haben müsse. morbi, foeces ob inertiam bilis tenaciores et quasi argillaceae, in Schliesslich, am 21. August, am Tag, als die Krankheit begann, war hoc sacco collectae, per viam in loco coalitionis angustatam non der Stuhl wegen der Trägheit der Galle zäher und wie Ton in diesem Sack amplius transire poterant, ex qua re vehemens ille doloris sensus angesammelt und konnte die im Bereich der Verwachsung verengte Stelle in latere sinistro ortus est, nec exercitatio corporis in aere liber, nicht weiterpassieren, und welchem Grund das intensive Schmerzgefühl auf nec clysmata crebrius applicata viam perangustam laxabant et der linken Seite entstand. Weder körperliche Betätigung an der frischen Luft foeces tenaces promovebant, saccus igitur hic coli sensim in noch häufiger angewendete Klistiere konnten die enge Stelle lockern und die stupendam illam molem extensus est et cuncta, quae ab eo zähen Faeces vorwärtsbewegen. Der Sack des Colons wurde allmählich zu tempore ingesta sunt alimenta, potulenta et medicamenta recepit. erstaunlicher Grösse ausgedehnt und nahm alle seit jenem Zeitpunkt aufgenommenen Speisen, Getränke und Medikamente auf. 447 In accuratiori contentorum examine copiosas foeces Bei der sorgfältigeren Untersuchung des Inhalts fanden wir reichlich proxime ad angustiam deprehendimus, in quibus adeo Faeces in der Nähe des Engnisses, an dem die aufgenommenen erweichen- 50 LUDWIGS BERICHT emolliendis et urgendis, medicamenta ingesta parum praestare den und drängenden Medikamente wenig ausrichten konnten, so zäh nämlich potuerunt, ita enim tenaces erant, ut per duodecim dies in aqua, waren sie, dass sie sich auch während zwölf Tagen in oft zugegossenem saepe nova affusa, maceratae, non emollitae et solutae sint. In Wasser eingelegt, nicht erweichen oder auflösen liessen. In der Mitte des media sacci parte masssa magis soluta deprehendebatur, bruno Sackes befand sich eine etwas besser gelöste Masse von brauner Farbe, die colore tincta, tandem vero nigra magis subsequebatur, a schliesslich ins Schwarze überging, infolge des in dieser Masse zugesetzten mercurio vivo in hac massa agitato et quasi subacto. und eingerührten Quecksilbers. Zu untersuchen war in der Tat, ob wir von Disquirendum nimirum erat, num mercurii, cujus septem uncias dem Quecksilber, von dem unsere [Kranke] sieben Unzen zu sich genommen deglutiverat nostra, partem iterum collectam invenire possemus, hatte, etwas sammeln konnten, aber trotz aller angewandten Sorgfalt konnten sed, omni cura adhibita ne drachmam quidem mercurii currentis wir nicht einmal eine Drachme des flüssigen Quecksilbers sammeln. colligere potuimus. 448 Als Hindernis, das wir mit unseren Mitteln nicht überwinden konnten, Obicem igitur, quem nostris auxiliis superare non erkannten wir klar eine Passageverengung und Atonie der beträchtlichen, potuimus, in angusta via et in insigni cavi nimium distenti atonia übermässig gedehnten Höhle und begriffen zugleich, dass nichts anderes positum fuisse, aperte cognovimus et simul certe intelleximus, gefunden werden konnte, wodurch meiner geliebte [Gattin] gerettet worden nullum aliud inveniri potuisse, per quod amata mea servaretur. wäre. Obgleich der Durchgang nicht vollständig verschlossen war und durch Etsi enim via non penitus praeclusa erat et per angustatum etiam den engen Kanal Faeces hindurchgepresst werden konnten, sahen wir den- canalem foeces transprimi potuissent, cognovimus tamen, ipsum noch ein, dass die Masse des Sackes selbst die Öffnung zusammengepresst saccum mole sua hoc orificium compressisse et qui in progressu hatte und dass die Bewegungen, die für die Fortbewegung notwendig waren, juvando necessarii erant motus, spasmo continuo excitato, bei dem ständig erregten Krampf die Enge des Hindernisses noch vermehr- densitatem obicis auxerunt. ten. Ad herniam quod attinet, intestini ilei pars demum pridie Was die Hernie betrifft, so war der Abschnitt des Ileums erst einen Tag ante obitum incarcerata, paullo post inflammata et sub vor dem Tod eingeklemmt, wenig später entzündet und unter stärksten 51 LUDWIGS BERICHT 449 vehementissimis cruciatibus sphacelo affecta est. Mirandum Schmerzen schliesslich brandig geworden. Erstaunlich ist es dennoch, dass tamen est, aegram ob dolores in parte superiori abdominis, hos die Kranke wegen der Schmerzen im Bereich des oberen Abdomens, jene im in parte inferiori vix sensisse; saepius enim a me interrogata unteren Bereich kaum verspürt hatte. Öfters von mir befragt, antwortete sie, respondit, eam hoc in loco et quodammodo presso nullum dass sie an der Stelle, auch wenn sie einigermassen gepresst wurde, keine dolorem percipere. Hanc vero herniam jam ante plures annos Schmerzen wahrnehme. Dass diese Hernie, die schon vor mehreren Jahren obortam et sanatam ultimis demum diebus iterum processisse, entstanden und geheilt war, erst in den letzten Tagen wieder aufgetreten war, ex eo concludi poterat, quod ante locum intestini intercepti hoc liess sich aus folgendem schliessen: Alles, was während der Krankheit einge- nullo modo et vix aere distentum erat, omniaque, quae, durante nommen wurde, hatte den Abschnitt der eingeklemmten Stelle des morbo, ingesta fuerant, per hanc intestini partem ante (Dünn)Darmes (welcher vor der Einklemmung keineswegs und kaum durch incarcerationem transierant et in sacco supra descripto demum Luft erweitert war) vor dem Zeitpunkt der Einklemmung passiert, da es im collecta inveniebantur. Examinavimus vero portionem intestini oben beschriebenen (Dickdarm)Sack gesammelt gefunden werden konnte. interceptam, quae duorum pollicum erat inflexa et ita tota Wir untersuchten den eingeklemmten Darmabschnitt, der auf der Länge von 2 incarcerata, pars intestini nigra corrupta, attamen non dilacerata, Daumen gebogen und so ganz eingeklemmt war, ein Teil des Darmes in cavo autem sacci herniosi sanguis resolutus putridus haerebat. schwarz und abgestorben, aber nicht zerstört, im Bruchsack der Hernie näm- Nos vero, discisso ligamento, sub quo intestinum processerat, lich lag faulig zersetztes Blut. Nach der Durchtrennung des Ligaments, unter hoc demum eduximus et inde cognovimus, quam difficilis dem sich der Darm fortsetzte, zogen wir diesen schliesslich hervor und be- fuisset operatio, si hernia citius oborta, eandem necessariam merkten damit, wie schwierig eine Operation gewesen wäre, wenn die Hernie reddidisset. früher entstanden wäre und einen [Eingriff] nötig gemacht hätte. Quemadmodum vero lienem parvum, attamen ab omni Wie wir schon sagten, war die Milz klein, aber ohne jeglichen Scha- labe alienum, diximus, sic hepar simili modo omnes notas sani den, auf ähnliche Weise zeigte auch die Leber alle Merkmale eines gesun- visceris referebat, nec mole increverat, vesicula fellea etiam, den Eingeweides und war in ihrer Masse nicht vergrössert. Auch die Gallen- 52 LUDWIGS BERICHT quae in sinu consueto adhaerebat, paullo quidem major, sed ultra blase, die sich in der gewohnten Einbuchtung befand, war etwas grösser, modum non distenta erat, etsi magnam calculorum copiam aber nicht übermässig erweitert, obwohl sie eine grosse Menge von Gallen- continebat. Bilis simul cum calculis in vesicula contenta nigra, steinen enthielt. Die Galle war zusammen mit den in der Blase enthaltenen spissa, amara, paullo tamen fluidior, quam mel erat, difficile Steinen schwarz, [sie war] dicht, bitter im Geschmack, etwas flüssiger als Ho- tamen ex cystide et ex hepatico ductu ad duodenum transiisse, nig, und dass sie aus der Gallenblase und aus dem Ductus hepaticus nur ex parvulis calculis, usque ad cholodochum protrusis, patebat. schwer ins Duodenum gelangen konnte, war klar wegen der kleinen Stein- Calculi erant leves et flavi, ut biliarii esse solent, nonnulli magis chen, die bis zum Ductus choledochus fortgestossen worden waren. Die Stei- pallidi, omnes quibusdam maculis nigris adspersi. Etsi vero non ne waren leicht und von gelber Farbe, wie die Gallensteine zu sein pflegen, omnes colligere potuerimus, ducentos tamen et sexaginta einige waren blasser, aber alle waren mit schwarzen Flecken gesprenkelt. numeravimus, quorum omnium pondus die decimo septembris, Auch wenn wir nicht alle sammeln konnten, zählten wir doch deren 260 mit jam sicca superficie, erat drachmarum quinque, granorum einem Gesamtgewicht am 10. September, als die Oberfläche schon trocken decem, quod vero sensim decreverat, ut, iis sexto die decembris war, von 5 Drachmen und 10 Gran; dieses nahm allmählich ab, so dass es, iterum ponderatis, uncia semis et grana quadraginta octo als sie am 6. Dezember erneut gewogen wurden, noch eine halbe Unze und superessent; nimirum 48 Gran betrug, insbesondere: 2. maximi nucis avellanae magnitudine, major minus angulosus, - Die zwei grössten waren von Haselnussgrösse, der grössere weniger kantig quam minor, ille pondere granorum viginti sex, hic scrupuli als der kleinere, jener wog 26 Gran, dieser einen Scrupel. unius erat. 450 10. majores nucis avellanae minoris vel ciceris seminis magni- - 10 grössere Steine entsprachen der Grösse einer kleinen Haselnuss oder tudine varie angulosi, quorum pondus erat drachmae unius et einer Kichererbse und waren ziemlich kantig, ihr Gewicht betrug 1 Drachme granorum viginti trium. und 23 Gran. 53 LUDWIGS BERICHT 451 14. minores pisi majoris magnitudine, pondere granorum quin- - 14 kleinere Steine waren erbsengross und ergaben ein Gewicht von 51 quaginta unius. Gran. 35. minores pisi minoris magnitudine, pondere drachmae unius. - 35 weitere kleine Steine in der Grösse kleiner Erbsen wogen 1 Drachme. 193. minimi sabuli majoris et minoris magnitudine pondere grano- - 193 kleinste Steinchen in der Grösse von Sandkörnern entsprachen einem rum quadraginta octo*). Gewicht von 48 Gran. * *) Die decimo nono februarii hujus anni septuagesimi pondus *Am 19. Februar des Jahres 70 wurde das Gewicht sämtlicher Steine bei omnium calculorum, repetito et accurato examine, vix ad wiederholter, sorgfältiger Überprüfung knapp um ein oder zwei Gran, vermin- granum unum et alterum imminutum inveniebatur. dert befunden. Quanquam autem haec calculorum moles, sensim Obschon die nach und nach zunehmende Masse dieser Steine künfti- increscens, futura mala inducere potuerat et jam caussa fuerat ge Übel hätte verursachen können und bereits die Ursache der Trägheit der inertiae bilis, in qua tenaci et viscida, ad digestionem juvandam Galle war, die zäh und klebrig weniger geeignet war, die Verdauung anzure- et foeces stimulo promovendas minus idonea, calculi facile gen und die Faeces fortzubewegen, und in der leicht Steine entstehen, war generantur, in ipso tamen morbi progressu spasmorum caussam sie dennoch nach meiner Überzeugung im Fortgang der Krankheit nicht die non fuisse persuasus sum, cum in dextro latere dolor tensivus Ursache der Krämpfe gewesen, da auf der rechten Seite ein Spannungs- nunquam perceptus sit. Id autem certo statui posse arbitror, schmerz nie wahrgenommen wurde. Ich glaube, sicher feststellen zu können, pressionem, ab extensione insignis partis intestini coli jam dass der Druck, der durch die Ausdehnung eines beträchtlichen Teils des dudum obortam, lienis et hepatis viscera, in bile bona Colons schon längst entstanden war, die Eingeweide der Milz und der Leber conficienda diu impe- an der Erzeugung guter Galle divisse et inertiam hujus humoris digerentis, non ut caussam, sed behindert haben und dass die Trägheit dieses Verdauungssaftes nicht als Ur- ut symptoma morbi principis considerandam esse. Mutua pro- sache, aber doch als Symptom der Hauptkrankheit zu betrachten sei. Die 54 LUDWIGS BERICHT fecto sunt viscerum abdominalium officia et uti flatibus distenta Aufgaben der Baucheingeweide sind jedenfalls wechselseitig [voneinander intestina ob defectum stimuli bilis saepe motum peristalticum abhängig] und wie durch Blähungen erweiterte Därme wegen des fehlenden languidum exercent, sic distensiones intestinorum tympaniticae Stimulus der Galle oft eine schwache peristaltische Bewegung haben, so ver- bilis quoque elaborationem quam maxime retardant et digestio- zögern auch tympanitische Aufblähungen der Därme die Erzeugung von nis officinas in elaboratione boni chyli impediunt. Galle gar sehr und hindern die Verdauungsorgane an der Herstellung eines Has aliasque animadversiones in recensione morbi et sec- guten Chylus. tionis piae conjugis sparsim inserere potuissem, cum amicorum Diese und andere Bemerkungen hätte ich in der Besprechung der consiliis et sermonibus inter nos collatis, de multis actum sit; sed Krankheit und Sektion meiner frommen Gattin da und dort einfügen können, cum jam nimis prolixa sit haec commentatio, vobis pluribus di- da in den Beratschlagungen und Gesprächen mit unseren Freunden manches gressionibus taedium creare nolui. Nonnullas tamen, quas jam verhandelt wurde. Aber da diese Studie schon zu lange geworden ist, wollte delineavi, tractationes v. c. de caussis obstructionis alvinae et ich nicht noch durch weitere Exkurse Euren Überdruss erregen. Einige Ab- remediis ei accommodandis; de differentiis anxietatis in morbis, handlungen, die ich bereits aufgezeichnet habe, z. B. über die Ursachen der ad nervosam imbecillitatem reducendis, cum in vera medendi Verstopfung und geeignete Heilmittel, über die Verschiedenheiten der Angst ratione ad has res respiciendum sit, data opportunitate, vel in li- in Krankheiten, die auf nervöse Schwäche zurückzuführen sind und auf die in bellis academicis vel in his adversariis tradam. der richtigen Heilart Rücksicht zu nehmen ist, will ich bei Gelegenheit in akademischen Schriften oder in dieser Zeitschrift veröffentlichen. 55 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT 4. Die Krankheit aus zeitgenössischer Sicht 4.1 Zusammenfassung des Krankenberichtes Für die Materia medica und die Masseinheiten wird auf das Glossar verwiesen. 1767 Datum Patientin Arzt 21.8. Nach einem Fussmarsch aufs Land leicht Aufenthalt auf dem Landgut. Therapie Seite 413 stechende Schmerzen unterhalb der Milz 22.8. Besserung 413 23.8. Vermehrte Angst, Schmerzen, Klage über Ludwig geht in die Stadt zurück. Klistier, Abgang von wenig hartem, zä- Verstopfung, durch gebeugte Haltung er- hem Stuhl. Warme Umschläge bringen tragbar. keine Erleichterung. 414 Abends nach Spaziergang stärkere Bauchschmerzen links. 24.8. Rückfahrt in einem langsam fahrenden Wagen vom Land in die Stadt. Fortwäh- Ludwig übernimmt die Behandlung. Sedlitzer Bittersalz, Tabakrauchklistier, 415 Umschläge. Unruhige Nacht. rende starke Schmerzen. 56 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT Datum Patientin Arzt Therapie Seite 25.8. Unruhige Nacht infolge fortwährender Ein Aderlass wird in Erwägung gezogen, Buchweizen-Graupen und danach zwei 415 Schmerzen im Bereich der linken Flanke. nach Beratung mit befreundeten Kollegen, Drachmen Tartarus Tartarisatus, eine die den Aderlass nicht angezeigt halten Drachme Centaurium minus, zwei Unzen (normaler Puls, aktuelle Schwäche der Minzenwasser, ohne Wein, 0.5 Unzen Patientin) aber wieder verworfen. Zimtwasser ohne Wein, sowie Taba- 416 krauchklistiere. Kein Resultat. Rindergalle half ebenfalls nichts. 26.8. Das Abführmittel bestand aus einer Unze 416 Tamarindemark, einer halbe Unze Manna mittel, es wurden Darmbewegungen ein- führmittel wirkten normalerweise gut, bei und Cremor Tartari. Eine Drachme Gum- 417 der Patientin allerdings aktuell nicht. Da- mi Ammonicum und Galbanum, 0.5 geleitet, aber keine Darmentleerung beDrachmen Assa foetida mit einer halben wirkt. Abends kam die Patientin ein wenig her wurden, um die geblähten Gedärme Unze Süssmandelöl und einer Drachme zur Ruhe, nachdem Schröpf- und Saugglä- etwas zu entlasten, Schröpf- und Saugglä- Tinctura antimonii tartarisata gemischt, sowie Eidotter, wurden der Kranken verser angewandt wurden. Weitere schlaflose ser angewandt. abreicht, um die zähen Fäzes aufzuweiNacht. chen, da die zuvor angewandten Salze dies nicht bewirkten. Zu alldem wurden drei Unzen Kamillenblütenwasser und eine Unze Minzenwasser ohne Wein zugegeben. Alle zwei Stunden wurden der Kranken vom Gemisch (Mixtura solvens) eine Unze verabreicht Die Patientin wünschte weitere Abführ- Die von der Patientin gewünschten Ab- 57 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT Datum Patientin 27.8. Die am Vortag angewandte Therapie wur- Ludwig bemerkte eine quere Schwellung de erneut versucht, dazu ein laxierendes Arzt Therapie Seite Mixtura solvens (siehe oben) erneut an- 417 im Bereich der Nabelgegend, er meinte, es gewandt, dazu ein laxierendes Medika- 418 Medikament gegeben. Nach Einnahme des handelte sich dabei am ehesten um das Laxans traten bei der Patientin vermehrt Colon transversum. Zusätzlich bemerkte ment, bestehend aus zwei Unzen Sennablättern ohne Stiel, einer halben Ängste auf. Ausser Schleimabgang konnte er eine Schwellung im Bereich des Ober- Unze Manna und Sedlitzer Bittersalz, ge- keine Erleichterung bewirkt werden. Mas- bauchs, welche er damit erklärte, dass der kocht in drei Unzen Wasser. Durch Mas- sage der mittlerweile aufgetretenen Ab- Magen sehr gedehnt sein müsse. sage versuchte er den „hartnäckigen dominalschwellungen bewirkte einige Krampf an beiden Magenenden“ zu über- Erleichterung der Schmerzen, aber ausser winden, allerdings erfolglos. einem „Rülpser“ der Patientin konnte nichts bewirkt werden. Neu hinzukamen Erstickungsängste und Brechreiz, ohne Übelkeit. 28.8. Einsetzen der Menses (vier Tage später als Mit der Gabe des Öls dachte Ludwig der erwartet), allerdings traten nur Spuren von Patientin etwas Linderung bezüglich der Blut auf. Es erfolgte keine Erleichterung, die Patientin gab nur leichte Rülpser von sich. Auch die Magenpflaster waren ohne Effekt Krämpfe zu gewähren. Gabe von frisch gepresstem Mandelöl, gerührt mit Eidotter und ungarischem Wein. Dann wurde Serpentaria virginana, Melissenwasser ohne Wein, Cascarillaextrakt mit Zimtwasser ohne Wein verabreicht. Anwendung eines Magenpflasters aus Brotkruste, Matricalis, Gummi galbanicum, Kamillenöl, Gummi malaxatum. 419 420 58 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT Datum Patientin Arzt Therapie Seite 29.8. Endlich konnte die durch die Strapazen Hoffnung von Ludwig auf eine spontane Massage und Anwendung eines Ölkli- 420 geschwächte Patientin wenige Stunden Besserung der Beschwerden schwindet. Er stiers, anschliessend ein Klistier mit ein schlafen. Neu aufgetretenes Schwitzen dachte, dass es sich um ein Hindernis und „vermehrter Puls“. Die Krämpfe lie- handelte, welches infolge der Erschlaffung Auch dies verursachte keine nennenswerte ssen etwas nach, allerdings nur vorüber- der Wand und Erweiterung des Magens gehend, nachts wiederauftretend, diesmal und Colons bedingt sei. Quecksilber in stärkerer Intensität und in die Wirbel- (zwecks Auflösung des zähen Kots), als säule ausstrahlende Schmerzen. damalige ultima ratio, wird in Betracht 421 wenig stimulierendem Salz und Oxymel. Reaktion. gezogen. 30.8. 31.8. Trotz dem Bad bewegte sich wenig, auch Das mehrmals angewandte Quecksilber Man entschied sich für ein Bad und an- Quecksilber, welches nun verabreicht sollte die Spannungen im Abdomen beru- schliessende Quecksilbergabe, 7 Unzen wurde, half nichts. Die Schwellung des higen, die erhoffte Wirkung trat nicht ein. während insgesamt zehn Stunden, per os, Oberbauches der Patientin war unverän- davor wurde jeweils süsses Mandelöl ge- dert. geben. Unruhige Nacht. Die Patientin wies meh- Verabreichung von sechs Gran Jalappenharz, gelöst in Eidotter. Dazu kamen Bibergeil, Bernstein und destillierte Öle. Moschus konnte wegen Unverträglichkeit seitens der Patientin nicht eingesetzt werden. Opium wurde (noch) nicht eingesetzt, da „das dadurch vermehrte Fieber dem entgegenzustehen schien“. Aloe und Sal- Es wurde nochmals überlegt, wie das intestinale Hindernis überwunden werden rere Arzneien zurück. Nach Aloe und könnte. Weder die entleerenden, stimulieSalmiakgabe trat schleimiges Erbrechen, renden noch die krampflösenden Mittel erreichten das Ziel, Bezüglich der Absowie ein Hitzegefühl auf. Nach Verabreiführmittel hatte man die verdauungsförchung eines Klistiers erfolgte lediglich dernden, salzigen und schlüpfrig machenden erfolglos versucht. Stimulantien wa- 422 423 424 425 426 59 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT Schleimabgang. Ein weiteres Klistier mit ren ebenfalls erfolglos versucht worden, allerdings vermehrten diese die Spanrief ebenfalls lediglich Schleimabgang nungsbewegungen bloss, ohne dass das hervor. Die Schmerzen begannen wieder- Hindernis überwunden werden konnte. Zusätzlich wurde erkannt, dass die allgeum in die linke Seite auszustrahlen. Zumeine Schwäche aufgrund mangelnder nahme der Schwellung des Unterbauches. Nahrungsaufnahme nicht verbessert werden konnte. Erstmalige Erwägung von Opium, um die Beschwerden zu lindern. miak, in Form von zwei Drachmen Aloe von Socotra mit Essig verrieben, wurden appliziert. Zwei Klistiere verabreicht (im zweiten Salbei, Melilotusspitzen, Baldrianwurzeln Honig und Öl). Datum Patientin Arzt Therapie Seite 1.9. Zunahme der Ängste, und Spannungsge- Hoffnungslosigkeit und Trauer machen Klistier mit Bibergeil und Assa foetida. 427 fühle abdominal, Ruhelosigkeit der Pati- sich breit, nachdem so viele verschiedene entin. Galbanöl wurde mit dem Rauch von Bern- 428 Arzneimittel erfolglos angewandt wurden. stein, Laccusgummi und Animeharz sowie 429 Neu wird zum Ziel, nun palliativ zu thera- Weihrauch über der Schwellung des Baupieren. Windtreibende und krampflösende ches eingerieben. Klistiere sowie äusserliche angewandte Arzneien werden vermehrt angewandt. Opium wurde noch nicht angewandt 2.9. Die Kranke nahm nun nicht einmal mehr Tee und Wasser zu sich. Nachts wurde der Puls deutlich schneller. Zusätzlich wurde eine Schenkelhernie links entdeckt, (diese war nach einer schweren Geburt vor dreizehn Jahren (1754) entstanden, und nachdem sie damals reponiert wurde, blieb sie bis zum 2.9. reponiert). Die Schenkelher- Auf Drängen der Patientin und der ärztlichen Kollegen entschloss sich Ludwig nach initialem Zögern nun doch, der Patientin Opium zu geben. Aufgrund des Pulses, welcher zunehmend rasch und Man gab ihr erstmals 5 Gran Opium, be- 429 reitet aus Cynoglossa, um ihre Schmerzen zu stillen. Ebenfalls verabreicht wurde ein 430 Klistier aus Melilotusspitzen und Kamillenblüten, Öl, sowie Honig. 431 432 60 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT nie war nun aber„infolge erhöhter Spannung im Unterleib“ nicht mehr reponierbar, Beschwerden diesbezüglich wurden seitens der Patientin nicht erwähnt. Endlich konnte mit Hilfe des Opiums vorübergehende Erleichterung der Patientin bewirkt werden. schwach war, erhärtete sich der Verdacht, Datum Patientin Arzt 3.9. Die Patientin war sehr unruhig, wand sich, Der letzte Tag der Patientin war, wie 433 dass die „faulige Zersetzung der Säfte 434 gewiss erfolgt “ sei. abwechselnd trat kalter Schweiss und Fie- Ludwig es beobachtete, für die Patientin ber auf. Die Peripherie wurde zunehmend ein angenehmer. Ludwig ist durch die kühler, sie berichtete, „dass der Schmerz Standhaftigkeit der Patientin beeindruckt, nun nachliesse und sie kein Gefühl des wie ruhig und gefasst sie sich vom Leben Erstickens mehr wahrnahm“, aber ausser verabschiedet. Nach dem Tod der Patien- dünnem Bier konnte sie weiterhin nichts tin wird gemäss deren Wunsch eine Au- zu sich nehmen. Der Puls war regelmä- topsie durchgeführt, um die Ursache des ssig, aber rasch und schwach. Nach einer Leidens auf den Grund zu gehen. Therapie Seite Palliativ 435 436 437 438 Umlagerung zur Seite starb Sophia Regina Ludwig-Reichel am 3. September 1767 abends, im Alter von 41 Jahren 61 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT 4.2 Zusammenfassung des Sektionsberichtes Die Messung des Abdomens ergab: Umfang auf Nabelhöhe: 69.4 cm Distanz des Xyphoidknorpels bis zur Symphyse: 51.5 cm Die Bauchwand war infolge einer Verhärtung aller Wandschichten schwer einschneidbar. Das Omentum majus war nicht erkennbar („feines, zusammengezogenes, zelliges Gebilde“) (441). Der gesamte Dünndarm war wenig durch Luft erweitert. Das Coecum imponierte durch seine Grösse, das Colon ascendens war wenig erweitert. Das Colon transversum, Zona genannt, war stark erweitert, bei einem mittleren Umfang von 37.4 cm und bei einer Länge von 77.5 cm. Die darin enthaltenen Stuhlmassen waren äusserst zäh, sodass diese selbst nach Einlegen in Wasser für zwölf Tage nicht aufgeweicht werden konnten (447). Darin enthalten war auch eine schwärzlich-bräunliche, etwas weichere Masse, welche die Überreste des applizierten Quecksilbers darstellte. Erwähnenswerterweise wurde von den Untersuchern eine sackartige Erweiterung des Colons zunächst mit dem Magen verwechselt. Ferner war ein pathologischerweise hinter der Milz gelegener, und mit dem dorsal anliegenden Peritoneum verwachsener Teils des Dickdarmes verengt, die Wanddicke hingegen nicht vermehrt. Bei einem Darstellungsversuch dieses verwachsenen Colonteils zerriss es, worauf man die Enge des Lumens bemerkte, welches „kaum eine Gänsefeder durchliess“ (442). Hiermit haben wir den stenosierenden Teil des Verdauungstraktes der Patientin identifiziert. Das Colon descendens war 56.5 cm lang (445). Der Magen wurde durch den Colonsack, welcher unüblicherweise über ihm lag, so komprimiert, dass ein Erbrechen oder Aufstossen verunmöglicht wurde (Kardiakompression 444). Zeichen einer Entzündung waren nicht eminent. Duodenum und Jejunum waren unauffällig Ein Teil des Ileums war in die Schenkelhernie links inkarzeriert und „brandig verändert“, sowie posthernial leer und nicht verhärtet (444). Der eingeklemmte Dünndarmabschnitt war „auf der Länge von zwei Daumen gebogen“ (448) und teilweise schwärzlich gangränös abgestorben. Im Bruchsack fand man faulig zersetztes Blut. Die Milz und die Leber waren unauffällig. Das Pankreas wurde nicht erwähnt. Die Gallenblase war etwas grösser als gewöhnlich, aber im normalen Situs. Sie enthielt schwarze, von der Konsistenz her dickflüssige, bittere Galle mit einigen, z. T. haselnussgrossen Gallensteinen. Im Ductus choledochus wurden ebenfalls einige Steinchen gefunden. Diese waren von gelber Farbe, einige schwarz gesprenkelt. 62 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT 4.3 Das Krankheitsverständnis aus zeitgenössischer Sicht Es stellt sich die Frage, ob Ludwig und seine Zeitgenossen anhand der Obduktion eine Antwort für folgende Fragen geben konnten: 1. Gibt es eine organische Ursache für die Obstipation ? 2. Wo genau liegt das Hindernis? 3. Trägheit der Galle (inertia bilis) – Ursache oder Symptom der Krankheit? 4. Wie kam es zur Schenkelhernie, gab es eine Inkarzeration? Zu Fragen 1 und 2: Obstipation und Lage des Hindernisses Ludwig ging davon aus, dass seine Frau an einer wohl bereits seit einigen Jahren bestehenden Adhäsion des Colon transversum retrosplenal mit dem dorsalen Peritoneum litt (445) und dadurch ein Teil des „Colons bereits seit langer Zeit in dieser fehlerhaften Lage sich befunden haben müsse“ (446). Mit der Beschreibung dieser Befunde liegt eine für das Leiden der Patientin mögliche organische Ursache vor. Wie diese, von der Lage her höchst ungewöhnliche Verwachsung entstanden ist, wird im Bericht nicht weiter eingegangen. Es ist lediglich die Rede von “dass sie früher grosse Lasten über ihrer linken Hüfte getragen habe“ (445). Ludwig dachte anhand des Obduktionsbefundes, „dass sich dieser Teil des Colons bereits vor langen Jahren erweitert, und den Verlauf des Eingeweideabschnitts über die linke Niere gleichzeitig gewissermassen aufwärts verlagert habe.“ Die Patientin ihrerseits beschrieb, dass ihr beim Tragen von Lasten „schmerzhafte Spannungen des Abdomens häufig lästig gewesen (waren)“. Inwiefern das Tragen von Lasten und Darmverwachsungen einen Zusammenhang haben, beschreibt Ludwig nicht. Zusammenfassend gesagt, betrachtete Ludwig die Obstipation der Patientin als Folge der Stenose, welche ihrerseits durch die Verwachsung des Colon transversum retrolienal bedingt ist. 63 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT Zu Frage 3: Trägheit der Galle Physiologie und Pathophysiologie der Galle beschreibt Ludwig in den „Institutiones Pathologiae“, Leipzig 1754, § 267, S. 451-452, wie folgt: Bilis se et excretio laesa alia symptomata in hepatis viscere, alia in canali alimentorum et reliquo corpore excitat. In hepate enim infarctus, obstructio et scirrhus, in viis biliaris et vesicula fellea calculus observatur, bilis acris, per vias biliferas mota, spasmos et inflammationes producit, ad duodenum vero deleta, diarrhoeas biliosas, choleram et alios morbos efficit. Bilis exitus denegatus cachexiam biliosam et icterum, scilicet effusionem bilis in sanguinem, producit; cum vero bilis in intestina non fluit, digestio laeditur, stimulo deficiente faeces alvinae figuntur et argillaceae redduntur. Die Galle selbst und die eingeschränkte Sekretion verursacht zum einen in den Eingeweiden der Leber, und zum anderen im Gang der Nahrungsmittel durch Körperrückstände Symptome. Ein in der Leber z. B. bei Verstopfung der Eingeweide, Obstruktion und Zirrhose entstandener (in den Gallenwegen und in der Gallenblase beobachteter) Stein, aus harter Galle, welcher durch die Gallenwege bewegt wird, verursacht Spasmen und Entzündungen. Wenn er aber bis zum Dünndarm hinabgeschafft wird, (entstehen) gallige Diarrhoe, Cholera und andere Krankheiten. Die Galle verursacht durch den verunmöglichten Abfluss eine gallige Kachexie sowie einen Ikterus, und natürlich auch einen Übertritt ins Blut. Weil schliesslich die Galle nicht in die Eingeweide fliesst, wird auch die Verdauung beschädigt, durch den fehlenden Stimulus (der Galle) werden die Stühle weiss geschaffen und silbrig ausgeschieden. Bei der Sektion war "die Galle zusammen mit den in der Blase enthaltenen Steinen schwarz, dicht, bitter im Geschmack, etwas flüssiger als Honig, und dass sie aus der Gallenblase und aus dem Ductus hepaticus nur schwer ins Duodenum gelangen konnte, war klar wegen der kleinen Steinchen, die bis zum Ductus choledochus fortgestossen worden waren“ (449). Nach Ludwigs Meinung war die Galle also einerseits wegen den Steinchen im Ductus choledochus nicht in der Lage, ihre Aufgabe „die Verdauung anzuregen und die Faeces fortzubewegen“(450) zu erfüllen, andererseits ging er davon aus, dass der „Druck, der durch die Ausdehnung eines beträchtlichen Teils des Colons schon längst entstanden war, die Eingeweide der Milz und der Leber an der Erzeugung guter Galle behindert hätte“ (450). Die Trägheit dieses Verdauungssaftes sei demnach nicht als Ursache, aber doch als Symptom der Hauptkrankheit zu betrachten (451). Die Aufgaben der Baucheingeweide sind jedenfalls wechselseitig von einander abhängig. So wie durch Blähungen erweiterte Därme wegen des fehlenden Stimulus der Galle oft eine schwache peristaltische Bewegung ausführen, so verzögern auch tympanitische Aufblähungen der Därme die Erzeugung von Galle gar sehr und hindern die Verdauungsorgane an der Herstellung eines guten Chylus. Ludwig betrachtete die Trägheit der Galle als eine Folge der Überblähung des Colons. Hier haben wir eine bemerkenswerte Aussage Ludwigs in Form eines Circulus vitiosus: zu wenig 64 DIE KRANKHEIT AUS ZEITGENÖSSISCHER SICHT Galle ergibt eine gestörte Verdauung, Aufblähung der Därme führt zur Störung der Gallesekretion. Zu Frage 4: Wie kam es zur Schenkelhernie, gab es eine Inkarzeration? Im Sektionsbericht heisst es: "Was die Hernie betrifft, so war der Abschnitt des Ileums erst einen Tag vor dem Tod eingeklemmt, wenig später entzündet und unter stärksten Schmerzen schliesslich brandig geworden. Erstaunlich ist es dennoch, dass die Kranke wegen der Schmerzen im Bereich des oberen Abdomens, jene im unteren Bereich kaum verspürt hat" (448). Es stellt sich demnach die Frage: Ist die Hernie die unmittelbare Todesursache? Bekannt ist, dass die Patientin nach der Geburt eines ihrer Söhne von 1754 an einer Schenkelhernie litt (434), welche aber anschliessend wieder reponiert werden konnte, und bis zum Neuauftreten am 2. September 1767, also während dreizehn Jahren, wenig Beschwerden erzeugte. Problematisch war, dass diese Hernie infolge der „allzu grossen Spannungen im Unterleib“ (434) nicht reponiert werden konnte. Ludwig ging davon aus, dass der erhöhte intraabdominale Druck die Ursache der erneut aufgetretenen Schenkelhernie war. In der Autopsie wurde beschrieben, dass ein Stück Ileum inkarzeriert (448) und gangränös (444) verändert war. Eine Perforation des dilatierten Colon transversum wurde im Sektionsbericht nicht beschrieben. Ludwig erwähnte in seinem Bericht keine unmittelbare Todesursache, ausser dass die „faulige Zersetzung der Säfte gewiss erfolgt sei“ (433) und, „eine regelwidrige Lage und Ausdehnung des Colons …. als Ursache von Krankheit und Tod … nachgewiesen ist“ (407) 65 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT 5. Die Krankheit aus heutiger Sicht 5.1 Differentialdiagnose aus heutiger Sicht Wenn man die im Bericht erwähnten Fakten auswertet und eine Differentialdiagnose aufstellen will, wie es zu dem tragischen Ende der Patientin kam, sollte man das Grundleiden einerseits, und die akute Erkrankung andererseits, voneinander trennen. Wie der Sektionsbericht zeigte, litt die Patientin an einer Verwachsung des Colon transversum, nahe der linken Colonflexur, interessanterweise retrolienal. Handelte es sich hier eventuell um eine angeborene Pathologie? Oder ist die Verwachsung erworben? Eine Verwachsung kann die Peristaltik des Intestinaltraktes beeinträchtigen, ja sogar bis zum akuten Darmverschluss führen. Als Ursache der Obstipation kann die begleitende Stenose des Colon transversum im Bereich der Verwachsung in Frage kommen, zusätzliche Ursachen für die Obstipation (im Bereich der linken Kolonflexur) wären: 12 Angeboren: Morbus Hirschsprung, kongenitale Lageanomalie Infektiös: Giardiasis Entzündlich: Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Kollagene Colitis, Lymphozytische Colitis Neoplastisch: Colonkarzinom, villöse Adenome, Dünndarmtumoren Mechanisch: Fecal Impaction, Invagination/Volvulus Bauchwandhernie, Briden, Gallenstein Vaskuläre Insuffizienz: Angina abdominalis, ischämische Kolitis Psychiatrische Störungen: Depression, Panikstörungen, Somatisation, Angst Irritable Bowel Sydrome (Ausschlussdiagnose) 12 Harrison’s Online, 16th Edition (www.harrisonsonline.com). 66 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT Tabelle: Vergleich der Symptomatik 13 Sophia Ludwig Morbus Colitis Morbus Krohn ulcerosa Hirschsprung Colon Chron. Tox. Me- Inkarz. Hernie irritabile Obsti- gapation kolon Symptome Fieber + + + + - - +++ +++ Obstipation +++ + - +++ ++ +++ + + Flatulenz ++ - - - ++ + + - Meteorismus + - - - ++ + + - Durchfall K/A + - - ++ - - - Blutiger Stuhl K/A - ++ - - - + + Schleimabgang N/S ++ ++ - - - + + Krämpfe +++ ++ ++ + ++ + + ++ K/A : keine Angaben im Bericht N/S : nicht spontan 5.2 Interpretation der Krankheit aus heutiger Sicht 5.2.1 Allgemeines Es ist uns allen klar, dass sich die abendländische Medizin des 18. Jahrhunderts von der heutigen in vielen Punkten grundsätzlich unterscheidet. Wir haben heute diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, von welchen Ludwig nicht einmal träumen konnte. Im Vergleich zu der damaligen Medizin gleichwertige Kenntnisse herrschten lediglich in der makroskopischen Anatomie. Die heutige klinische makroskopische Pathologie unterscheidet sich, wie der Sektionsbericht zeigt, deutlich von den damals gängigen Praktiken. Die mikroskopische Pathologie, ein wesentlicher Bestandteil der modernen Pathologie, wurde erst mit der Anwendung 13 Harrison’s Online, 16th Edition (www.harrisonsonline.com). 67 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT des Mikroskops für medizinische Zwecke (Antoni van Leeuwenhoek, 1697) und der Zellularpathologie (Rudolf Virchow, 1821-1902)14 möglich. In fast drei Jahrhunderten hat sich heute unser Verständnis, was pathophysiologische, histopathologische sowie mikrobiologische Prinzipien betrifft, stark verändert respektive entwickelt. Die für uns heute selbstverständlich erscheinenden klinischen Untersuchungsinstrumente, wie das Stethoskop, und die vier grundlegenden Untersuchungsmethoden der Inspektion, Auskultation, Palpation und Perkussion (Leopold Auenbrugger, 1761)15 waren zu Ludwigs Zeiten noch nicht in die Klinik eingeführt. Zu den Neuentwicklungen gehören unter anderem auch die Voraussetzungen für die moderne Chirurgie, namentlich Anästhesie/Narkose (erste Aether-Anästhesie 1846 durch William Morton16) und der Asepsis (1877, Joseph Lister)17, ferner der Bildgebung (Wilhelm Röntgen, 1895, Ultraschall, Szintigraphie, CT und MRI) und die Laboruntersuchungen. In der Pharmakotherapie wurden elementare Entdeckungen gemacht, man denke u. a. an die Antibiotika (Fleming 1928). Es wäre technisch unmöglich gewesen, im 18. Jahrhundert einen grossen chirurgischen Eingriff im Abdomen durchzuführen. Wie der Sektionsbericht zeigt, hatte Ludwig kaum Möglichkeiten, das Leiden seiner Frau mit den ihm zur Verfügung zu stehenden Mitteln kausal zu behandeln. Ludwig erwähnt zu Beginn seines Berichtes, dass weder er noch seine ärztlichen Kollegen „einen beträchtlichen Zuwachs in der Theorie noch eine Erklärung erhalten können, da alle Hilfsmittel in der schweren Krankheit erfolglos angewandt wurden, und eine regelwidrige Lage und Ausdehnung des Colons … als Ursache von Krankheit und Tod … nachgewiesen ist“ (407). Dies macht deutlich, dass auch unter Anwendung sämtlicher damaliger Möglichkeiten die Krankheit von Sophia Ludwig als unheilbar angesehen wurde. Im folgenden seien die in Ludwigs Bericht erwähnten pathologischen Angaben aus der Sicht der modernen Medizin beleuchtet. 14 Karger-Decker, S. 282. Karger-Decker, S. 286. 16 Karger-Decker, S. 230. 17 Karger-Decker, p. 218. 15 68 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT 5.2.2 Aetiologie und Pathogenese In Sophias Kindheit war auffällig, dass sie unter schwerer körperlicher Belastung stand. Welcher Natur diese war, wurde nicht beschrieben. Ludwig zog die Schlussfolgerung, dass daraus die „Kakochymie“ und Kränklichkeit seiner Gattin entstanden sei. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes wurde über ein „Spannen im Abdomen, vor allem in der Magengegend“ (409) berichtet, sowie über eine wenig durch Laxativa beeinflussbare Obstipation. War diese erste Geburt der Auslöser ihres Grundleidens? Litt sie an einer Endometriose? War es ihre schwere Kindheit? Oder bestand gar eine „angeborene Enge der Eingeweide, insbesondere, da sie durch verschiedene abführende Medikamente, die auf ihre Konstitution abgestimmt waren, nur wenig Hilfe und Erleichterung erfuhr“ (409)? Die Kindheit war mit körperlichen Strapazen nicht näher beschriebener Art verbunden, doch gibt es keine rationelle Erklärung für eine mehr als 20 Jahre später auftretende Obstipationsneigung und ein Nichtansprechen auf Laxativa. Da die angewandten Abführmittel wenig hilfreich waren, muss man eine organische Ursache, in Form einer Stenose oder einer Passagestörung, in Betracht ziehen. Eine Möglichkeit wäre eine durch Briden oder Adhäsionen entstandene Motilitätsstörung des Intestinaltraktes. Zu Briden kann es unter anderem nach Peritonitiden, abdominalchirurgischen Eingriffen, Endometriose oder perforierenden Traumata kommen. Der Morbus Hirschsprung verursacht durch die Aganglionose aller oder bestimmter Kolonanteile eine Dickdarmerweiterung der vorangehenden, innervierten Kolontanteile mit schweren Passagestörungen. Hinweise auf eine Peritonitis oder ein Trauma, welche Sophia in ihren ersten zwanzig Lebensjahren erlitten hätte, sind in Ludwigs Bericht nicht erwähnt, ebensowenig chirurgische Eingriffe im Bauchraum. Diese waren ohnehin nur in Extremsituationen wie Verletzungen denkbar. Die Endometriose macht typische, zyklusabhängige Bauchbeschwerden. Die erwähnten Angaben bezüglich der „nahezu ständigen Spasmen des Unterbauchs“ (409) und auch die Aussage „kaum war da ein Jahr, in dem sie nicht an Blutungen des Uterus litt, und oft wurde sie durch sehr starke, regelwidrige Fieber und andere Krankheiten aufgesucht“ (410) kann die Endometriose weder bestätigen noch ausschliessen. Bekannt ist, dass die Endometriose zu Verwachsungen führen kann.18 18 Harrison’s Online, 16th Edition (www.harrisonsonline.com). 69 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT Für den Morbus Hirschsprung würde die Obstipation und die später beschriebene „eigenartige Schwellung des Abdomens“ sprechen (418), welche aber schon seit dem Neugeborenenalter hätte vorhanden sein müssen. Aber: Erstens werden über die Kindheit von Sophia ausser der Kakochymie und ihrer Schwächlichkeit keine speziellen Angaben gemacht. Zweitens wäre, um die Diagnose Hirschsprung zu stellen, eine histologische Untersuchung einer Dickdarmbiopsie unerlässlich. Der Morbus Hirschsprung erscheint mir einerseits wegen den unzureichenden Angaben betreffend die Kindheit von Sophia nicht als haltbare Vermutung, andererseits könnte ihn lediglich die Histologie beweisen. Für eine Divertikulose ist die Patientin zu jung, ebenfalls wurde im Sektionsbericht (ausser der abnormalen Erweiterung des Colon transversum (37.4 cm Umfang, 440) nichts dergleichen beschrieben. Für ein Reizdarmsyndrom mit vorherrschender Obstipation sprechen die abnorme Stuhlfrequenz, die zähe, tonartige Stuhlkonsistenz (412) und die Schleimausscheidung (allerdings erst nach Laxanziengab, 418). Demgegenüber steht die in der Sektion festgestellte organische Läsion (Adhäsion und Stenose im Bereich der linken Colonflexur). Der Morbus Krohn kann Stenosen des Intestinaltraktes bewirken, ebenfalls mit langjährigem Laxanzienabusus zu einem toxischen Megakolon führen19. Interessant ist auch die „Trägheit oder Mangel an Galle“, welche bei der Patientin als Gallensäuremalabsorption (412) interpretiert werden könnte. Einige typische Symptome, wie Gewichtsverlust und Durchfall wurden bei der Patientin nicht beschrieben. Um diese Diagnose zu stellen, müsste eine Kolonoskopie mit Biopsie, eventuell ein Kolonkontrasteinlauf, gemacht werden. Die Colitis ulcerosa steht als Verdachtsdiagnose nicht im Vordergrund. Es wurde nie eine blutig-schleimige Diarrhoe beschrieben. Das toxische Megakolon wäre hingegen eine mögliche Komplikation dieser Krankheit und würde zu dem beschriebenen klinischen Bild passen. Das primäre Megakolon ist eine mit chronischer Obstipation einhergehende kongenitale Dilatation des Kolons und hätte der Krankheit der Patientin unter Umständen entsprechen können, allerdings steht dem hier wiederum der Sektionsbefund entgegen. Ein sogenanntes sekundäres Megakolon infolge einer Kolonstenose ist ebenfalls nicht auszuschliessen. Eine Frage wäre, wie es zu der Stenose kam. Weder Ludwig in seinem Be- 19 Pschyrembel, S. 952. 70 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT richt, noch wir heute, können dafür eine plausible und auf Fakten basierende Erklärung abgeben. Die Chagas-Krankheit (amerikanische Trypanosomiasis) steht ebenfalls nicht im Vordergrund, da nichts über eine Amerikareise von Sophie Ludwig bekannt ist. Gemäss Ludwig waren „die Ausscheidungen meistens nicht genügend gefärbt, sondern zäh und gewissermassen tonartig“. Heute ist klar, dass ohne Galle eine Weissfärbung des Stuhls sowie Verdauungsstörungen infolge Steatorrhoe resultieren. Eine Cholestase mit begleitendem Ikterus wurde im Bericht von Ludwig nicht beschrieben. 5.2.2 Die Todesursache Am 20. August 1767 kam es erstmals zu einem „auf der linken Seite über der Flexura Coli unterhalb der Milz einem leicht stechenden Schmerz, allerdings nur vorübergehend“ (413). Diese Symptomatik, 14 Tage vor dem erfolgten Tod, kann als ein erstes Zeichen der bevorstehenden Exazerbation des Grundleidens interpretiert werden. Die Lokalisation deckt sich mit der im Sektionsbericht vorgefundenen Adhäsion des Kolons an das Peritoneum. Die Frage, welche sich der Leser stellen wird, lautet: Ist diese Verwachsung neu entstanden, oder hat sie schon seit längerer Zeit bestanden? Der Sektionsbericht erwähnt: „ … dass sich dieser Teil des Colons bereits vor langen Jahren erweitert und den Verlauf dieses Eingeweideabschnitts über die linke Niere gleichzeitig gewissermassen aufwärts verlagert hatte ... [und dass] die stärkere Adhäsion im Bereich des Zwerchfells unter der Milz ein lange bestehendes Übel war“ (445). Nun traten vermehrt Erstickungsängste auf (418) Es ist denkbar, dass dies im Zusammenhang mit der Grundkrankheit stand, indem die Inspiration durch das stark geblähte Abdomen behindert wurde. Nachdem sämtliche Laxativa und die anderen Cocktails erfolglos verabreicht wurden, dachte Ludwig über eine „Hilfe mit flüssigem Quecksilber“ nach. Dies, „weil nach Auflösung von schleimigen und zähen Faeces dieses gewichtige Heilmittel den Weg, wenn überhaupt, zu öffnen fähig wäre“ (421). Heute gilt Quecksilber als hochtoxisch, welches unter anderem Gastroenteritis, ulzeröse hämorrhagische Kolitis mit Erbrechen, Koliken und Diarrhoe auslöst. Wie kommt es dazu, dass man Quecksilber im 18. Jahrhundert als Therapeutikum einsetzte?20 Quecksilber wurde damals vor allem von Kurpfuschern21 auch gegen Syphilis verabreicht. Die Überlegung lag darin, dass Quecksilber ein relativ schweres Metall war, und so die 20 HTTP://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/zedler Images 481 bis 513. 71 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT Gedärme unter anderem „herunterziehen“ würde, somit einen purgierenden Effekt hätte. Doch war die Wirkung auf die Obstipation (wie zu erwarten war) „weder eine heilsame noch eine ungünstige“ (422). Dem Verlangen seiner Gattin nach Opium gab Ludwig zunächst nicht nach. Einerseits, weil er dachte, dies verursache Fieber (und Fieber wiederum Durst, und dies sei problematisch für die Patientin, da sie wenig zu sich nehmen könnte) und andererseits „da bei unserer Kranken die Krämpfe vor allem aus einer Schwäche hervorgingen, hielt ich nicht ohne Grund dafür, dass diese, wenn sie auch durch den Gebrauch des Opiums besänftigt wurden, mit vermehrter Gewalt zurückkehrten“ (425). Erst einen Tag später, dem zweitletzten der Patientin, wurde ihr Opium gegeben, um ihre Schmerzen zu stillen. Dass Ludwig zögerte, hatte noch einen dritten Grund, nämlich: „da ich die geliebte Gattin nicht betäubt durch das Opium zu einem traurigen Lebensende führen wollte“ (430). (Für nähere Erläuterungen diesbezüglich verweise ich auf das Kapitel 6.2, Ars moriendi.) Dass dies heute anders gehandhabt worden wäre, liegt auf der Hand. In der letzten Nacht (2.9.1767) der Patientin nahm der „Puls ... nun heftig zu, ... und aus der bereits durch den Tastsinn wahrnehmbaren Hitze schlossen wir, dass die faulige Zersetzung der Säfte gewiss erfolgt sei“ (433). „Der auffallende Schmerz, der die Kranke, die stets standhaften Geistes war, bedrängte, war das Zeichen einer heftigen Entzündung, da die zersetzten Säfte am blockierten Teil stärker anprallten und die Empfindungsnerven trafen“ (433). Dies könnte für eine beginnende Sepsis sprechen. Es wurde an jenem Tag eine (wiederaufgetretene) Femoralhernie links entdeckt, welche erstmals als Folge einer Geburt im Jahre 1754, das heisst ca. 13 Jahre zuvor, beobachtet wurde. Infolge der wiederaufgetretenen Femoralhernie kam es, wie im Sektionsbericht erläutert, zu einer Ileuminkarzeration (444). Auffälligerweise äusserte sich die Patientin nicht über Schmerzen in dieser Region, gemäss Ludwig infolge der intensiven Schmerzen, welche die Kolonproblematik auslöste. Eine Reposition der Hernie konnte nicht vorgenommen werden, da der intraabdominale Druck zu hoch war. Am Morgen ihres Todestages (3.9.1767) „schienen kalte Schweisse“ einzutreten (435) und die Fingerspitzen der Patientin waren bereits kühl. Dies könnte als Zeichen der Zentralisation des Kreislaufs und beginnende Schocksymptomatik im Rahmen eines akuten Abdomens interpretiert werden. Der Puls war „schnell und schwach“ (437), die Lippen „nach der Mittagszeit schon kalt“ (437). Gegen sieben Uhr abends starb sie, wohl an den Folgen eines 21 Karger-Decker, S. 268. 72 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT mechanischen Ileus, im Rahmen der Passagestörung des Colon transversum (primäres Problem), gefolgt von der Ileuminkarzeration (sekundäres Problem). 73 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT 5.3 Sektionsbericht Ludwig begleitete seine Ehefrau als behandelnder Arzt nicht nur bis zu ihrem Lebensende. Nein, er hatte zusätzlich die tragische Aufgabe, anhand der Obduktionsresultate herauszufinden, was schlussendlich die Ursache des Leidens war. Dass dies äusserst bemerkenswert ist, braucht nicht unterstrichen zu werden. Wir müssen uns dessen bewusst werden, dass eine zeitgemässe Obduktion ein genaueres und umfassenderes Bild ergeben würde als diejenige, welche uns im Bericht von Ludwig überliefert wird. Dennoch haben wir mit dem Sektionsbericht eine wertvolle Information mehr, um zu verstehen, woran Sophia Ludwig erkrankt und verstorben ist. Auffällig ist einerseits, dass „die allgemeinen und speziellen Schichten des Abdomens angespannt (waren), dass sie nur mit Mühe eingeschnitten werden konnten“ (440), ebenso der Bereich der „Zona“, d. h. das Colon transversum. Dieses war „so sehr ausgedehnt, dass der mittlere Umfang eine halbe Elle und vier Finger (37.4 cm) betrug, die quere Zona mass von der rechten Seite bis zur Milz, wo sie verdeckt wurde“ (440). Handelt es sich hier also um einen Prozess, welcher bereits seit längerer Zeit bestand? Diese Möglichkeit besteht, denn die Mühe, welche man beim Aufschneiden des Abdomens hatte, kann durch postentzündlich verändertes Gewebe mitverursacht sein, was wiederum dafür spricht dass dies längere Zeit vorher geschehen sein muss. Wir können diese Vermutung mit den vorhandenen Angaben nicht beweisen. Dass es sich um einen chronischen Prozess handelte, erkannte auch Ludwig („dass sich dieser Teil des Colons vor langen Jahren erweitert … hatte“) (445). Warum ist die „Zona“, das Colon transversum erweitert? Interessant ist, dass der Magen zunächst mit einem Teil des Colons verwechselt wurde („Oberhalb des Colons und in beiden Hypochondrien und der sogenannten Herzgrube ragte der Magen … hervor“) (441). Diese initiale Verwechslung kann durch die „verkehrte Lage“ (443) der Eingeweide erklärt werden, in Wirklichkeit war also nicht der Magen erweitert, sondern ein Teil des darüber liegenden Colons! Dies wurde nach dem Einschneiden des Mesocolons klar: „Wir schnitten ohne weiteres das Mesocolon ein, um den Verlauf des Colons besser beurteilen zu können, erblickten nun klar diesen Sack, der als Magen erschienen war und tatsächlich ein übermässig erweiterter, zusammenhängender Teil des Kolons war“ (443/444). „Auf diese Weise vom Irrtum wieder auf die richtige Spur zurückgeführt, erkannten wir, dass sich dieser Teil des Colons bereits vor langen Jahren erweitert und den Verlauf 74 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT dieses Eingeweideabschnitts über die linke Niere gleichzeitig gewissermassen aufwärts verlagert hatte. Öfter erzählte mir nämlich meine beste Gattin, dass sie früher grosse Lasten über ihrer linken Hüfte getragen habe und obwohl dadurch weder die gerade Ausrichtung der Wirbelsäule noch die regelmässige Gestalt der Hüftknochen beeinträchtigt wurden, seien ihr dennoch schmerzhafte Spannungen des Abdomens oft häufig lästig gewesen.“ (445) Es gibt zwei Möglichkeiten, sich dies zu erklären: 1. Ein Teil des Colon transversum, welches bekannterweise intraperitoneal liegt, verwuchs mit dem dorsal anliegenden Peritoneum im Bereich der linken Colonflexur aus uns unbekannten Gründen. Im Verlauf kam es zu einer Passagestörung (Passagestörung sekundärer Genese). 2. Die Stenose sowie die dadurch resultierende Motilitätsstörung bestand schon seit Geburt, der Magen lag unter dem sackähnlich dilatierten Colon transversum, und wurde durch dieses so komprimiert, dass „er weder ein Aufstossen noch ein Erbrechen zulassen und in den letzten Tagen beinahe nichts durch die Cardia zu ihm hinuntergelangen konnte“ (444). Der Dünndarm war unauffällig, mit Ausnahme des Ileums, „von dem wir einen Teil in eine Schenkelhernie ausgestülpt und brandig verändert sahen“ (444). Dies spricht dafür, dass es sich um eine Inkarzeration gehandelt hat, welche bekannterweise ohne Behandlung lethal verläuft. Zusammenfassend gesehen, litt die Patientin erstens an einer Stenose und Verwachsung des Colons, und zweitens an einer inkarzerierten Femoralhernie. Beides kann einen tödlichen Verlauf haben. Drittens bestand eine Choledocholithiasis mit beeinträchtigter Gallesekretion „ ... und dass sie aus der Gallenblase und aus dem Ductus hepaticus nur schwer ins Duodenum gelangen konnte, war klar wegen der kleinen Steinchen, die bis zum Ductus choledochus fortgestossen worden waren“ (449). Femoralhernie: Die Femoralhernie war bereits bei einer Geburt 1754 entstanden, und kurz vor dem Tode von Sophia wahrscheinlich infolge des erhöhten Abdominaldruckes wiederauftgetreten. Stenose und Adhäsion: Zum erweiterten Colon transversum kann, unter Berücksichtigung der erwähnten Angaben, unter anderem ein Morbus Krohn, ein angeborenes Megakolon oder ein Reizdarmsyndrom beitragen. Betreffend Morbus Hirschsprung gibt es zuwenig Angaben über die Kindheit der Patientin. 75 DIE KRANKHEIT AUS HEUTIGER SICHT Cholezystolithiasis: Die Inertia bilis (Galleträgheit) kann aus heutiger Sicht nicht als kausal für die Problematik gelten. Rindergalle, welche mit der Idee gegeben wurde, die gemäss Ludwig „insuffiziente“ Gallensekretion zu unterstützen, bewirkte wenig. 76 DISKUSSION 6. Diskussion 6.1 Krankheitsverlauf und Tod Die wahrscheinlichste Ursache von Sophia Ludwigs therapieresistenter Obstipation war die Stenose im Bereich der linken Colonflexur. Die Stenose war entweder angeboren oder erworben. Wir haben keine den einen oder den anderen Verdacht präferierende Information. Es ist möglich, dass die Verwachsung mit dem Peritoneum retrosplenal einen Einfluss auf die Motilität des Colons gehabt und eventuell auch die Stenose mitbewirkt hatte. Gestorben ist Sophia Ludwig, wie wir im Text erkannt haben, höchstwahrscheinlich an den Folgen der Femoralhernie links, in welcher sich ein Stück des Ileums inkarzeriert hatte. Die Stenose im Bereich der linken Colonflexur war mit grosser Wahrscheinlichkeit verantwortlich für die therapieresistente Obstipation. Die Erweiterung des davorliegenden Colon transversum hätte ihrerseits infolge des vermehrten Wachstums von Bakterien und der Koprostase zu einem toxischen Megacolon führen können (und tat dies eventuell auch). Dies lässt sich gemäss den Angaben des Sektionsberichtes nicht mit Sicherheit bestätigen. Die angewandten Mittel (Klistiere, Massagen, Bäder, körperliche Aktivität, Pharmaka) entsprachen den damals üblichen und möglichen Massnahmen gegen die Opstipation. Die Tatsache, dass Ludwig Professor der Medizin, Anatomie und Chirurgie, sowie der Pathologie und der Therapie war, verhalf seiner Gattin und Patientin Sophia zu einer für damalige Verhältnisse sehr breiten und umfassenden Therapie. Trotz allem versagte die angewandte Therapie, was für Ludwig eine doppelt schwere Bürde darstellte, einerseits für den Arzt, der die Grenzen seines eigenen Könnens und Wissens zu spüren bekam, und andererseits für den Gatten, der dem Leiden seiner Frau hilflos zusehen musste. Wir können uns die Frage stellen, wie es der Patientin heute ergangen wäre. Verglichen zum 18. Jahrhundert, haben sich die Kenntnisse und die Möglichkeiten der heutigen Medizin beachtlich entwickelt. Rein hypothetisch gesehen, wäre diese „unheilbare Obstipation des 18. Jahrhunderts“ heute wohl keine grosse Herausforderung an die Medizin mehr. Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass, unabhängig von der jeweiligen Epoche, der ärztlichen Tätigkeit stets gewisse Grenzen gesetzt sein werden. Diese Grenzen zu erreichen, oder gar zu erweitern, ist ein Ziel der Forschung und der Menschheit. 77 DISKUSSION Vielleicht wird in ferner Zukunft die Therapie einer heute als unheilbar geltenden Krankheit aus einer ähnlichen Perspektive betrachtet, wie wir es gerade getan haben? 6.2 Ars moriendi – Die Kunst des guten Sterbens Gewiss ist es dem Leser aufgefallen, dass sich Ludwig sträubte, der Leidenden Opium zu gewähren, um sie von ihrer Pein etwas zu entlasten. Warum dies? Hätte man in der jetzigen Zeit dasselbe getan? Wohl kaum, heute versucht man, das Leid des Sterbenden auf ein Minimum zu reduzieren und den Übergang vom Diesseits ins Jenseits mit sowenig Leid als möglich zu unterstützen. Um dem Leser Ludwigs Handeln anschaulicher machen zu können, muss erklärt werden, welche Bedeutung der Tod damals hatte und was Sterben damals bedeutete. Sterben war nicht gleich sterben, wie wir sehen werden. Der Moribundus (die dem Tode nahe Person) von damals sollte die letzten Stunden aktiv miterleben, gleichsam in den letzten Stunden nochmals einen letzten Kampf um das Seelenheil führen, um nicht im allerletzten Moment den irdischen Versuchungen zu erliegen, und die Seele an den Teufel zu verlieren. Dazu gehörte unter anderem auch, den Glauben zu bekennen und sich vor Hochmut, Ungeduld oder Verzweiflung in den letzten Momenten im Diesseits zu hüten.22 Wichtig für einen guten Tod waren Geduld, Demut, ein fester Glaube an das ewige Leben im Jenseits und die innere Loslösung vom Diesseits. Erwähnenswert ist es auch, dass der unverhoffte, schnelle und jähe Tod damals gefürchtet war, denn man ging davon aus, dass man sich in diesem Fall nicht genügend auf das Jenseits vorbereiten konnte und so einen Nachteil am Tag des jüngsten Gerichts denjenigen gegenüber haben würde, welche in ihren letzten Stunden Pein und Leid erführen, und auf diese Art bereits Busse taten und geläutert worden waren. Tod und Sterben wurden als letzte Strafe und Gelegenheit im Diesseits gesehen, Busse für seine Sünden zu tun, um in der Ewigkeit den Lohn entgegennehmen zu können (Abbildung 1).23 22 23 Imhof 1998. Imhof 1998, S. 44. 78 DISKUSSION Abbildung 1 „Trost durch Geduld“ Dem im Bett liegenden Sterbenden stehen ein Engel, vier Heilige sowie Gottvater und Gottsohn bei. Die vier Heiligen waren Personen, welche unsägliche Todesqualen erlitten hatten und hier als Symbol für Geduld stehen. Unten rechts ein „besiegter“ Dämon. „Beim Anblick dieser vier Heiligen sollte der Sterbende bedenken, dass sein eigenes Leiden einem Fegefeuer vor dem Tod gleichkam. Gott strafe ihn hier und lasse ihn für seine Sünden büssen, damit er nach dem Tod in Ewigkeit belohnt werden könne. Der Sterbende möge deshalb seine Leiden in Geduld annehmen und sie ergeben und dankbar ertragen. Selbst Christus habe bei seinem Kreuzestod entsprechend gehandelt und könne somit als Vorbild dienen.“24 Wir sehen also, Leiden und Schmerzen während des Sterbens waren im damaligen Europa, ein normaler, ja erwünschter Bestandteil des guten Sterbens. Dies war nicht der einzige Grund für Ludwigs Zögern, seiner Gattin Opiate zu verabreichen. „Gemäss damaliger Überzeugung entschied sich das Seelenheil oft erst in letzter Mi- 24 Imhof 1998, S. 44 (Holzschnitt aus Ars Bene Moriendi. Reproduction photographique de l’édition xylographique du Xve siècle. Notice par Benjamin Pifteau. Paris: Delarue, Libraire-Editeur, ca. 1890). 79 DISKUSSION nute. In der Sterbestunde würden, so glaubte man, die teuflischen Mächte noch einmal alle Hebel in Bewegung setzen, um jeder bald frei werdenden Seele habhaft zu werden“. 25 Die Gedanken des Sterbenden sollen im Augenblick des Todes bei Gott verweilen, damit er ihn in seiner Barmherzigkeit zu sich aufnehmen möge (Abbildung 2). Abbildung 2 „Der Sieg der Seele“ Auf dem Bild sind der soeben entschlafene Moribundus (seine Seele wird gerade von den Engeln als Menschlein entgegengenommen), die Gottesmutter Maria, der gekreuzigte Christus, einige Heilige sowie einige wegen dem Verlust der Seele sich in Rage befindende Dämonen erkennbar. Auffällig ist auch, dass der Blick nun – im Vergleich zu Abb. 1 – statt auf den Kopf des Moribundus auf den gekreuzigten Jesus fällt, womit „bildhaft zum Ausdruck gebracht [wird], dass die Gedanken des Sterbenden im Augenblick des Todes ganz bei ihm (Christus) weilen sollten“. 26 25 Imhof 1991, S. 19. Imhof 1998, S. 49 (Holzschnitt aus Ars Bene Moriendi. Reproduction photographique de l’édition xylographique du Xve siècle. Notice par Benjamin Pifteau. Paris: Delarue, Libraire-Editeur, ca. 1890). 26 80 DISKUSSION Nun verstehen wir Ludwigs Bedenken, der Kranken Opiate zu verabreichen, besser. Einerseits untersagte die damalige Ars moriendi eine Sedierung, da sich der Sterbende voll und ganz auf seine letzte Prüfung zu konzentrieren hatte und seine Gedanken auf das bevorstehende Jenseits gerichtet sein sollten. Andererseits war es eine erwünschte Begleiterscheinung, in den letzten Stunden zu leiden, um diese letzte Prüfung bestehen zu können und sich so würdig zu erweisen, ins erhoffte Jenseits zu gelangen. 81 ZUSAMMENFASSUNG 7. Zusammenfassung Sophia Ludwig-Reichel, die Gattin und Patientin von Prof. Christian Gottlieb Ludwig (1709-1773) litt 1767 an einer unheilbaren Erkrankung des Magendarmtraktes. Das Leiden und Sterben seiner Gattin hat Ludwig, Professor für Medizin, Anatomie, Pathologie und Chirurgie an der Universität Leipzig, in einem lateinisch verfassten, als Zeitschriftenaufsatz publizierten Krankenbericht festgehalten. Nachdem sämtliche Anstrengungen, die Patientin zu heilen, erfolglos ausfielen und die Patientin an ihrem Leiden verstarb, wurde eine Obduktion durchgeführt. Die Befunde wurden ebenfalls veröffentlicht (Commentatio de morbo et morte amatae conjugis mense decembri 1767. conscripta. In: [Christian Gottlieb Ludwig (Ed.):] Adversaria medico practica, voluminis I. pars III, Lipsiae, apud haeredes Weidmanni et Reich, MDCCLXX). In der vorliegenden Dissertation wird der gesamte Text übersetzt, analysiert und interpretiert. Die Patientin starb trotz allen damals möglichen Therapieversuchen an den Folgen eines mechanischen Ileus. Die Krankengeschichte beschreibt einen Verlauf, wie wir ihn in der modernen Medizin glücklicherweise nicht mehr sehen. Damals stand man dem Darmverschluss machtlos gegenüber, grössere Abdominaleingriffe konnten erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ausgeführt werden. Dem Leser wird klar, dass der ärztlichen Tätigkeit, unabhängig von der jeweiligen zeitlichen Epoche, stets gewisse Grenzen gesetzt sind. Diese zu erweitern, wird den Menschen stets ein Ziel sein. 82 GLOSSAR 8. Glossar W: Woyt, Johann Jakob, Gazophylacium medico-physicum oder Schatzkammer, 8. Auflage, Leipzig 1734. H: Hahnemann, Samuel, Apothekerlexikon, Leipzig 1793, Nachdruck Ulm 1966. (H1: 1. Teil, 1./2. Abt.; H2: 2. Teil, 1. Abt.; H3: 2. Teil, 2. Abt.) K: Kraus, Ludwig August, Kritisch etymologisches medicinisches Lexikon, 3.Auflage, Göttingen 1844. S: Schneider, Wolfgang, Wörterbuch der Pharmazie, Band 4: Geschichte der Pharmazie, Stuttgart 1985. Die Seitenangaben beziehen sich auf den in Kapitel 3 wiedergebenen Text. Aderlass (Venaesectio): Indikation: Plethora, Blutüberfluss, Stagnation des Blutes (W: 715-717) 415 Aloe: Saft aus den Blättern verschiedener Aloearten, bitter, fäulnisverhindernd, magenstärkend, anthelmintisch, laxierend (W: 29-31; H1: 30-32; S: 18). 425 Animeharz: Aus der Rinde des Kurbarilhülsenbaumes hergestellt, nervenstärkend und antikatarrhalisch (W: 52-53; H1: 541; S: 90 [Elemi]) 427 Aqua amara Seydschuetzensis s. Bitterwasser von Seidschütz Aqua analeptica: Stärkungswasser 425 Aqua cinnamomi s. Zimtwasser Aqua florum chamomillae s. Kamillenblütenwasser Aqua melissae s. Melissenwasser Aqua menthae s. Minzenwasser Aquae Selteranae s. Selterswasser Assa (Asa) foetida s. Stinkasant Aurum fulminans s. Platzgold Bäder von Lauchstädt (Balnea Lauchstadienses): heute Bad Lauchstädt, ca. 10 km SW von Halle/Saale 412 Baldrianwurzel (Radix valerianae): Schweisstreibend, eröffnend, harntreibend (W: 985; H2: 212; S: 282) 426 Balnea Lauchstadienses s. Bäder von Lauchstädt Bernstein (Succinum, succinatum): Wohlriechendes Harz, u. a. krampfstillend (W: 906; H1: 108-109; S: 41-42) Bibergeil (Castoreum): Getrocknetes Sekret des Bibers, gegen Nervenleiden, wichtiges Antihystericum (W: 172; H1: 115-117; S: 59) 424, 427 413, 424, 427 Bilis bovis s. Rindergalle Bitterwasser von Seidschütz (Aqua amara Seydschuetzensis): Mineralwasser aus Seidschütz (Saidschitz) bei Brüx (tschechisch Most) in Nordböhmen (heute Tschechische Republik) (H2: 93-94) 411 Blähungslösende Mittel (Carminativa): Anis, Kamille, Minze (W: 359) 413 83 GLOSSAR Brechweinstein (Tinctura antimonii tartarisata, Spiessglanztinktur): KaliumAntimonyltartrat, gegen Entzündung, Hysterie (W: 945-946; H3: 257; S: 25, 292) 417 Buchweizen (Fagopyrum): Nahrungsmittel und zu Umschlägen (W: 376; H1: 166; S: 54)) 416 Cacochymia s. Kakochymie Carminativa s. Blähungslösende Mittel Cascarilla: Aus der Cascarilla-Pflanze (Croton eluteria) gewonnener magenstärkendes Extrakt (H1: 473; S: 75) 419 Castoreum s. Bibergeil Centaurium minus s. Tausengüldenkraut Cerevisia tenuis s. Dünnbier Chinarinde (Cortex peruvianus): Rinde der Cinchona officinalis, Fiebermittel, auch als Tonicum verwendet (W: 196; H1: 296-299; S: 65-66). 410 Clysma ex fumo herbae nicotianae s. Klistier mit Tabakrauch Clysma s. Klistier Cortex Peruvianus s. Chinarinde Cremor tartari s. Weinsteinrahm Cucurbitulae et vitra aere rarefacto repleta s. Schröpf- und Sauggläser Cynoglossum s. Hundszunge Drachme: Masseinheit, ca. 3,7 g Dünnbier (Cerevisia tenuis): Bierart (W: 191-192; H1: 119) 425 Emplastrum stomachicum s. Magenpflaster Emplastum matricale s. Gebärmutterpflaster Eselsmilch (Lac asinium): Nahrungsmittel(H1: 265) 412 Fagopyrum s. Buchweizen Fel taurinum s. Ochsengalle Galbanumharz (Gummi galbanicum, Gummi galbanum): Gummiharz von Ferula gummosa, gegen Koliken und Uteruskrämpfe (W: 382; H2: 114-115; S: 99) Gebärmutterpflaster (Emplastum matricale): das "Mutterpflaster" enthielt u. a. Galbanumharz, Stinkasant-, Myrrhe- und andere Pulver (W: 316) 420, 417, 427 419 Gran: Masseinheit, ca. 0,06 g Gummi ammoniacum: Gummiharz von Ferula tingitana und Ferula communis, Mukolytikum, Expektorans, befreit Gefässe des Unterleibs von Schleimverstopfungen (W: 40; H1: 384; S: 99) 417 Gummi galbanicum, Gummi galbanum s. Galbanumharz Gummi-Seifen-Pillen (Pilulae gummi saponaceae): Mildes Abführmittel (vgl. H3: 199-202; S: 250) 411 Gummi laccae s. Laccusgummi Hundszunge (Cynoglossum): Stopft, gegen Dysenterie und Schmerzen (W: 264; H3: 283) 429, 431 84 GLOSSAR Idiosynkrasie: Eigentümliche Empfänglichkeit für bestimmte äussere Einflüsse (K: 525) 424 Jalappenharz (Resina jalappae): Harz aus der Jalapenwurzel, stark abführend (W: 442; H1: 436-438; S: 138) 423 Kakochymie (Cacochymia): Schlechte Beschaffenheit der vier Säfte (K: 179) 408 Kamillenblütenwasser (Aqua florum chamomillae): Destillat der Kamillenblüten, entzündungshemmende (W: 193-194; H1: 462-463; S: 172) 417 Kamillenöl (Oleum chamomillae): Oel mit dem Extrakt der Kamillenblüten, krampflindernd, beruhigend, blähungslindernd (W: 193-194; H1: 462-463; S: 172) 420 Klistier mit Tabakrauch: Krampfstillend, schmerzlindernd, bei Ileus, zur Wiedrebelebung Bewusstloser (W: 921-922; H3: 357-358; S: 191) 415 Klistier (Clysma): Einlauf in den Mastdarm zur Verabfolgung von Medikamenten (W 215-216; S: 148) 411, 413, 414, 415, 426 Lac asinium s. Eselsmilch Lac caprillum s. Ziegenmilch Laccusgummi (Gummi laccae): Aus der Lackschildlaus gewonnener Saft, verwendet zum Färben und für Firnisse, gegen Skorbut, weissen Fluss und Gonorrhoe (W: 405; H2: 5; S: 155) 427 Laxantia, Laxativa: Weichen Stuhlgang bewirkende Mittel (K: 558) 411 Liquor anodynus: Enthält Diaethyläther, im Gebrauch als Hoffmannstropfen, schmerz- und krampflindernd (H3: 366; S: 13) 429 Magenpflaster (Emplastrum stomachicum): Bestehend aus verschiedenen Harzen, Riechstoffen, Wachs und Terpentin (W: 318) 419 Manna: Aus dem Saft der Eschenart Fraxinus ornus, mildes Abführmittel (H2: 57-59; W: 548; S: 102) 416, 417 Melilotus: Steinklee, krampfstillend, schmerzlindernd (W: 562-563; H2: 83-84; S: 174) 426, 430 Melissenwasser (Aqua melissae): Aus den Blüten der Zitronenmelisse hergestelltes Destillat, gegen Schwindel, Schlag, Lähmung und Blähungen (W: 563; H3: 486; S: 174) 419 Mercurius vivus s. Quecksilber Minzenwasser (Aqua menthae): Aus den Blüten der Minze hergestelltes Destillat, entzündungslindernd (W: 573; H2: 85-86; S: 174) 413, 416 Moschus: Bisam, Sekret des männlichen Moschushirschs, von durchdringendem Geruch, u. a. als Nervenmittel verwendet (W: 595-596; H1: 119-121; S: 182) 424 Myrrhe (Myrrha): Gummiharz der Commiphora-Arten, in Salbölen verwendet, treibt Gift und Unreinigkeiten aus, fäulniswidrig (W: 616-617; H2: 118119; S: 186) 427 Nitrum s. Salpeter Ochsengalle, Rindergalle (Fel taurinum): Verdauungsmittel (W: 352; H3: 59; S: 107) 411, 413, 415 Oleum amygdalarum dulcium s. Süssmandelöl Oleum chamomillae s. Kamillenöl 85 GLOSSAR Olibanum s. Weihrauch Ölklistier (Clysma oleosum) (W: 215-216) Opium: Getrockneter Saft von Mohnköpfen, schlafbringend und schmerzstillend (W: 659-660; H3: 150-153; S: 196) 420 424, 425, 429, 430 Oxymel: Sauerhonig aus Honig mit Essig (W: 673; H2:131; S: 173) 420 Pilulae gummi saponaceae s. Gummi-Seifen Pillen Platzgold (Aurum fulminans): In Salmiak, Spiritus, Urin präzipitiertes Gold, teils laxierend, teils schweisstreibend (W: 106; H1: 369; S: 114) 424 Pulpa tamarindorum s. Tamarindenmus Purgans s. Laxativa Quecksilber (Mercurius vivus): Wichtiges Syphilismittel, hier wegen seiner Schwere zur Oeffnung der Darmpassage verwendet (W: 82; H3: 1-3; S: 221) 421, 422 Radix valerianae s. Baldrianwurzel Resina animi s. Animeharz Resina jalappae s. Jalappenharz Rindergalle s. Ochsengalle Sal ammoniacum s. Salmiak Salbei (Salvia): Nervenstärkend, verdauungsfördernd (W: 829; H1: 240; S: 239) Sal Sedlitzense s. Sedlitzer Bittersalz 426 415, 417 Salmiak (Sal ammoniacum): Ammoniumchlorid, gegen Fieber und Entzündung (W: 820; H3: 98-103; S: 238) 425 Salpeter (Nitrum): Kaliumnitrat, gegen Fieber und Entzündung (W: 631-632; H3: 104-112; S: 143) 413 Salvia s. Salbei Säurewidrige Erden (Terrae antacidae): Ton, oft in Form von tablettenförmigen Presskörpern mit Herkunftssiegel (Terra sigillata) (W: 936-937; H1: 143-144; S: 270) 413 Schröpf- und Sauggläser (Cucurbitulae et vitra aere rarefacto repleta) 416 Sedlitzer Bittersalz (Sal Sedlitzense): Salz aus dem Bitterwasser von Sedlitz bei Bilin in Nordböhmen (heute Bilina, Tschechische Republik) 415, 417 Selterswasser (Aquae Selteranae): Mineralwasser aus Selters, 40 km NW von Frankfurt am Main 413 Senna: Blätter von Cassia-Arten, Purgiermittel (W: 365-366; H2: 208; S: 251) 417 Serpentaria: Wurzel der Aristolochia serpentaria, schweisstreibend, fiebersenkend (W: 859-860; H3: 356-357; S: 28) 419 Stinkasant (Assa [Asa] foetida): Übelriechender Saft aus der Wurzel der Ferula assa-foetida-Pflanze, gegen Hysterie, Hypochondrie und Krämpfe (W: 96; H3: 281; S: 99) 417, 427 Succinum, succinatum s. Bernstein Süssmandelöl (Oleum amygdalarum dulcium): Aus süssen Mandeln gewonnenes Öl, schmerzlindernd, gegen Koliken (W: 43; H2: 90; S. 169) 416, 419, 422 86 GLOSSAR Tamarindenmus (Pulpa tamarindorum): Aus den Früchten von Tamarindus indica, mildes Abführmittel (W: 925; H3: 133-135; S: 268) 416 Tartarus tartarisatus s. Weinsteinsalz Tartarus vitriolatus s. Weinstein Tausengüldenkraut (Centaurium minus): Eröffnet den Leib, führt Galle und Schleim aus, auch als Brechmittel (W: 184-185; H2: 308; S: 60) 416 Terrae antacidae s. säurewidrige Erden Tinctura antimonii tartarisata s. Brechweinstein Uncia, Unze: Masseinheit, 29,8 g Venasectio s. Aderlass 415 Weihrauch (Olibanum): Zur Räucherung bei Schmerzen und als Wundmittel (W: 943; H3: 403-404; S: 50) 427 Weinsteinrahm (Cremor Tartari): Kristallisiertes Kaliumhydrogentartrat, Abführmittel, auch zur Korrektur der Säfte (W: 252, H3: 411; S: 291) 416 Weinsteinsalz (Tartarus tartarisatus): Neutrales Kaliumsalz der Weinsäure, mildes Abführmittel (W: 929; H3: 415-416; S: 291-292) 416 Weinstein (Tartarus vitriolatus): Vitriolweinstein, Abführmittel (W: 929; H3: 368) 415 Ziegenmilch (Lac caprillum) (H3: 474): Nahrungsmittel 412 Zimtwasser (Aqua cinnamomi): Gewürz mit magenstärkender Wirkung sowie bei Herzklopfen, Bangigkeit und Mutterbeschwerungen einsetzbar, menses-, geburts- und nachgeburtstreibend; das Zimtwasser gilt als lieblich und erquickend (W: 208; H3: 475; S: 66) 411, 416, 419 87 QUELLEN UND LITERATUR 9. Quellen und Literatur Boschung, Urs 1997 Vom schwierigen Gang zum Stuhl - Historisches zur Obstipation. Therapeutische Umschau 54, 1997, S. 168-170. Boschung, Urs 2004 Der Leipziger Medizinprofessor Christian Gottlieb Ludwig in seinen Briefen an Albrecht von Haller. In: Hanspeter Marti, Detlef Döring, Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 16801780, Basel, Schwabe, 2004, S. 409-445. Hahnemann, Samuel Apothekerlexikon, Leipzig 1793-1799, Nachdruck Ulm, Haug, 1966. Imhof, Arthur E. 1991 Ars moriendi, Böhlau, Wien, 1991. Imhof, Arthur E. 1998 Die Kunst des Sterbens, Leipzig, S. Hirzel, 1998. Internet: Http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/zedler Http://www.medhelpnet.com/medhist4.html Http://www.harrisonsonline.com Karger-Decker, Bernt Die Geschichte der Medizin, Düsseldorf, Patmos, 2001. Kraus, Ludwig August Kritisch etymologisches medicinisches Lexikon, 3. Auflage, Göttingen, 1844. 88 QUELLEN UND LITERATUR Ludwig, Christian Gottlieb Adversaria medico practica, voluminis I. pars III, Lipsiae, apud haeredes Weidmanni et Reich, MDCCLXX. Pschyrembel, Willibald Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, Berlin, de Gruyter, 1994. Schneider, Wolfgang Wörterbuch der Pharmazie, Band 4, Geschichte der Pharmazie, Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1985. Schott, Heinz Chronik der Medizin, Dortmund, Chronik Verlag 1993. Woyt, Johann Jakob Gazophylaceum medico-physicum oder Schatzkammer, 8. Auflage, Leipzig 1734 89