Wow. Tausend Dank und meine Hochachtung für diesen

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Wow. Tausend Dank und meine Hochachtung für diesen
Rede der Frauendezernentin Sarah Sorge zum Empfang der Stadt Frankfurt
zum Internationalen Frauentag 2015
6. März 2015, Kaisersaal des Römers, 19 Uhr
Es gilt das gesprochene Wort
Wow. Tausend Dank und meine Hochachtung für diesen wunderbaren musikalischen
Einstieg in den Abend! Ecehan Burunlu und Asche Ankour, beide 16 Jahre alt und
Schülerinnen der Konrad-Haenisch-Schule.
Mit den Stücken „All About that Bass“ von Meghan Trainor und „Survivor" von
Destiny's Child. Begleitet wurden sie von Anna Rahm, Lehrerin und Leiterin der
Schulband der Konrad-Haenisch-Schule.
Genau so wünsche ich mir die Frankfurter Mädchen: Mutig und stimmgewaltig. Macht
weiter so!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie sehr herzlich im Namen des Magistrats der Stadt Frankfurt zum
Internationalen Frauentag 2015!
Ich freue mich über jede einzelne und jeden einzelnen von Ihnen, möchte aber ein
paar Menschen namentlich begrüßen.
Zuerst die Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung (laut
Liste).
Ich freue mich sehr, dass unsere ehemalige Bürgermeisterin und Frauendezernentin
Jutta Ebeling heute Abend hier ist. Ganz herzlich Willkommen, Jutta!
Ich grüße die zahlreichen Vertreterinnen der Frankfurter Fraueninitiativen und
Fraueninstitutionen, die Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik und Verwaltung,
die Frauen und Männer aus der Kultur, den Verbänden und Initiativen, der Wirtschaft
und Wissenschaft.
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Und ich begrüße auch in diesem Jahr die Schulleiterinnen wieder herzlich. Sie sind
als Chefinnen Ihrer Institutionen Vorbilder für unsere Kinder und Jugendlichen – und
spielen eine große Rolle beim Empowern der Mädchen.
Als weitere Vorbilder in frauenpolitischen Fragen begrüße ich auch die Trägerinnen
des Tony-Sender-Preises sehr herzlich (laut Liste).
Der Tony-Sender-Preis wird ja nur alle zwei Jahre verliehen. Dieses Jahr ist es
wieder so weit. Die Bewerbungsphase ist bereits eröffnet – und ich freue mich über
gute Vorschläge. Denken Sie doch bitte einmal nach über Frauen in Ihrem Umfeld,
die sich durch das Beschreiten neuer feministischer Wege auszeichnen. Flyer zur
näheren Information über das Bewerbungsverfahren liegen draußen aus.
Bevor ich mit Ihnen frauenpolitisch zurück – und vor allem nach vorne blicke möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung im letzten Jahr
bedanken. Mein Dank geht an Sie alle. An die vielen Kooperationspartnerinnen und partner, an die Ideengeberinnen und Kritiker, an die vielen Interessierten, die
Mitstreiterinnen und Mitstreiter für Geschlechtergerechtigkeit in allen möglichen
Bereichen dieser Stadt.
Mein ganz besonderer Dank gilt hier und heute dem Frauenreferat - und ganz
besonders seiner Leiterin Gaby Wenner. Durch die fundierte und innovative Arbeit
des leidenschaftlichen und kompetenten Teams des Frauenreferates sind wir in
Frankfurt seit Jahren Pionierinnen in frauenpolitischen Fragen. Gemeinsam
entwickeln wir neue Ideen, streiten weiterhin aber auch für die alten großen
Frauenthemen. Gaby Wenner lässt Sie alle ganz herzlich grüßen und wünscht uns
einen wunderbaren Abend. Ich bin stolz auf das engagierte und kreative Team des
Frauenreferates. Wir haben im letzten Jahr gemeinsam viel auf die Beine gestellt,
neue Ideen entwickelt und viel bewirkt. Aus diesem Grund, meine Damen, meine
Herren, bitte ich Sie an dieser Stelle um einen donnernden Applaus für das gesamte
Team des Frankfurter Frauenreferates!
Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen alles Gute zum neuen Jahr. Das mag
Anfang März zunächst etwas verspätet klingen; ist es aber nicht. Denn
frauenpolitisch beginnt und endet das Jahr bei uns in Frankfurt mit dem
Internationalen Frauentag.
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Der Empfang war schon immer quasi ein frauenpolitischer Jahresempfang! Seit dem
letzten Jahr ist das aber nochmals in besonderem Maße so. Werfen wir doch mal
einen Blick zurück.
Zum Frauentag 2014 sind wir mit der Kampagne „Armut-ist-eine-Frau“ an den Start
gegangen. Mit 43.000 Spielfiguren als Symbol für die Zahl armer Frauen in Frankfurt,
mit 3 Plakatmotiven und mit hunderten Tüten unseres Armut-verhindern-Spiels hat
hier alles angefangen und sich dann wie ein roter Faden durch unser
frauenpolitisches Jahr 2014 gezogen. Unser Jahresthema brachte unser Thema –
die ungleiche Bezahlung, die ungleiche Verteilung von Arbeit und auch die ungleiche
Verteilung der Chefinnensessel - gezielt und regelmäßig immer wieder ins
Stadtgespräch. Durch Veranstaltungen, Veröffentlichungen und KooperationsProjekte konnten wir immer wieder auf Armutsfallen, auf Karrierehemmnisse für
Frauen hinweisen. Wir haben eine neue Studie zum Arbeitsmarkt von Frauen
veröffentlicht, mit dem Spiel, vor allem aber mit unserem GÖRLSchülerinnenkalender insbesondere Mädchen für die Themen interessiert, mit
Filmen, Ausstellungen Projekten und Beratung auf Armutsrisiken aufmerksam
gemacht – und dazu beigetragen, das Tappen in diese Fallen zu verhindern, oder
aus den Fallen herauszuhelfen.
Wir können mit Stolz sagen, dass es uns gelungen ist, das Thema Frauenarmut in
die Frankfurter Stadtgesellschaft zu tragen!
Es freut uns sehr, dass sogar andere von uns inspiriert wurden. So macht EVA, das
EVAngelische Frauenbegegnungszentrum, Frauenarmut jetzt auch verstärkt zum
Thema. Die Arbeitsagentur hat sich für unsere Studie interessiert. Und auch die
Volkhochschule hat unser Thema in ihrer aktuellen Schwerpunktsetzung
„Arbeitswelten, Lebenswelten“ aufgegriffen.
Wir sind also gut in der Vernetzung. Wir vernetzen uns – und ziehen einen roten
Faden durch unsere Arbeit.
So ist auch unser erster Frankfurter Aktionsplan im Rahmen der EU-GleichstellungsCharta, der ja auch partizipativ gelaufen ist und an dem viele von Ihnen sehr
engagiert beteiligt waren (und sind), fast fertig - und wird in seiner Umsetzung ganz
konkret dazu beitragen, strukturelle Armutsfallen zu beseitigen.
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Wenn wir zurückblicken, ist unsere Strategie der Schwerpunktsetzung voll
aufgegangen. Das ist gut so. Und heute ist der Zeitpunkt, das nächste
Schwerpunktthema zu setzen.
Es lautet: „Respekt. Stoppt Sexismus!“
Wir verstehen unter Sexismus die Diskriminierung von Menschen anhand ihres
Geschlechts. Die US-amerikanische Frauenbewegung prägte den Begriff Sexismus
in den 60er Jahren in Analogie zum Begriff des Rassismus. Sexismus reicht von
sexueller Belästigung, offener Missachtung und Abwertung von Frauen bis zu
subtilen Formen der Festlegung auf eine zugeschriebene Rolle.
Und wenn wir etwas näher hingucken, sehen wir, dass das Thema „Armut ist eine
Frau“, also die Armutsfallen für Frauen - und das Thema Sexismus eng miteinander
verwoben sind. Viele der Strukturen, die zu Frauenarmut führen, sind sexistisch.
Wir wissen, dass sexistische und stereotype Rollenzuschreibungen Entscheidungen
wie die Berufswahl prägen oder dazu führen, dass Frauen häufiger in die
Zuständigkeit für Sorge- und Familienarbeit gehen – und so weniger in
Leitungsverantwortung kommen.
Sie sehen also, wir denken Frauenpolitik vernetzt und wir werden durch unsere
Schwerpunktsetzung jedes Jahr neue Themen in den Fokus, ins Rampenlicht,
rücken. Wir werden die anderen Themen aber selbstverständlich nicht
vernachlässigen.
Sexismus ist Alltag. „Da“ ist Sexismus ja fast immer. Je mehr wir uns sensibilisieren,
umso auffälliger ist – wie sehr wir von sexistischen Sprüchen, von sexistischer
Werbung, von Übergriffen, Vorurteilen und Stereotypen umgeben sind.
Einen AUFSCHREI gibt es immer wieder; ob zur Brüderle-Debatte – oder gerade
jüngst zu der erschreckenden Umfrage zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.
Ziel unseres Schwerpunktthemas ist ZUM EINEN die Dinge klar beim Namen zu
nennen und aufzuzeigen, worin sich Sexismus überall verbirgt. Dazu wird es in
unserem Frauenjahr eine ganze Reihe von Veranstaltungen geben, beispielsweise
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die Ausstellung Rosenstraße anlässlich des Deutschen Präventionstags am 8. und 9.
Juni oder die Fachtagung „#bestimmtschön“, am 18. Juni.
Unser ZWEITES Ziel bei dem Thema ist das „Empowern“ von Mädchen, von Frauen
und auch von Männern. Wir wollen Hilfestellung geben: Beim Erkennen von
Grenzen, beim Reden über Grenzen und beim Setzen von Grenzen. Denn der
Sexismus in seiner unauffälligsten Form schleicht sich ja oft an. Aus dem Nichts. Wie
ein leichter Nebel. Ganz unauffällig. Und ist er da – dann ist da als allererstes dieses
unangenehme Gefühl; ein diffuses Unbehagen.
Wo kommt das her? Warum sind wir beschämt, gehemmt – statt GANZ LAUT mit der
FAUST auf den TISCH zu hauen – und STOPP zu schreien.
Studien belegen, dass Frauen durch das Elternhaus, die Schule und das Umfeld vom
Mädchenalter an gehemmt und geschlechtsspezifisch sozialisiert werden. Süß, nett,
brav – das ist immer noch das Bild, wie die Gesellschaft Mädchen gerne sieht – und
wie Mädchen, sicher aufgrund dieser Zuschreibung, auch gerne sein möchten.
Nachweislich behindert uns dies beim erfolgreichen Ziehen von Grenzen bei
Übergriffen auf unsere eigene Person. Genau hier müssen wir ansetzen.
Ich möchte, dass Mädchen und Frauen in ihren Erfahrungen, mit ihren
unangenehmen Erlebnissen, gesehen, gehört und ernst genommen werden. Ich
möchte – hoffentlich gemeinsam mit Ihnen allen – dazu beitragen, dass die
Strukturen, die dahinter liegen sichtbar werden. Dass Mädchen und Frauen WISSEN:
„Ich bin nicht schuld!“ Ich habe das Recht „NEIN“ zu sagen. Und: Mein NEIN meint
NEIN!
Dazu gehört die Sensibilisierung der gesamten Gesellschaft. Mädchen, junge
Frauen, generell Frauen – dürfen nicht alleine gelassen werden, beim berühmten
„Herrenwitz“. Allein dieses Wörtchen, diese niedliche Bezeichnung „Herrenwitz“ ist
eine Zumutung! Ich wünsche mir hier deutlich mehr Empörung.
Und zwar bei der sexistischen Anmache genauso wie bei der sexistischen
Rollenzuschreibung. Dazu gehört das Mädchen-T-Shirt des Otto-Versands: „In Mathe
bin ich Deko“, über das ich schon beim Frauenempfang vor zwei Jahren gesprochen
habe.
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Hier gab es eine öffentliche Debatte – und das T-Shirt wurde aus dem Sortiment
genommen. Debatte und Aufmerksamkeit wirkt also.
Ich höre oft: „Wir können uns doch nicht über jeden sexistischen Spruch aufregen.“
Doch! Dass sollten wir. Denn der alltägliche Sexismus und das sich ‚Damit-Abfinden‘
von Frauen ist der Nährboden. Es ist der Nährboden, der Gewalterfahrungen
privatisiert - und Solidarität und Gegenmaßnahmen verhindert.
Die Erfahrungen aus den verschiedenen Frankfurter Beratungsstellen zeigen uns
deutlich, dass Frauen und Mädchen sich fast immer eine Mitschuld an Übergriffen
geben. Hier braucht es Fachfrauen als Verbündete dieser Gewaltopfer: Wir müssen
die Gewalt und die Strukturen benennen und deutlich machen – Sexismus und
Übergriffe sind kein privates Problem. Auch nach Frankfurter Zahlen sind Mädchen
sechs Mal häufiger von sexueller Belästigung betroffen als Jungen.
Es gibt eine neue, krasse Form, die Sexismus in unsere Gesellschaft trägt: Die
sogenannten „Aufreiß-Seminare“ selbsternannter Pick-Up-Artists. Gemeinsam mit
der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat setze ich mich dafür ein, dass
das, was die sogenannten PICK-UP-ARTISTEN praktizieren nicht in Frankfurt
Einzug halten kann!
Die selbsternannten ‚Aufreißtrainer‘ der Firma Real Social Dynamics – kurz RSD –
rufen in ihren Seminaren zu sexualisierten Gewaltakten gegen Frauen und zu
weiteren frauenverachtenden Taten auf. Männer lernen in diesen Seminaren, wie
man Frauen - auch gegen deren Willen - zu sexuellen Handlungen nötigt. Die
propagierten Vorgehensweisen sollen dann im öffentlichen Raum, also
beispielsweise auf der Frankfurter Zeil oder in Frankfurter Diskotheken von den
Seminarteilnehmern erprobt werden.
Julien Blanc, einer der Rädelsführer der ‚Aufreißgemeinschaft‘, ruft in Internetvideos
offen dazu auf, Frauen auch gegen ihren Willen zum Sex zu zwingen. Er steht unter
Vergewaltigungsverdacht und ihm wurde die Einreise in verschiedene Länder
untersagt.
Laut Internetseite der Firma war von heute bis zum 8. März ein solches Seminar in
Frankfurt geplant. Alleine das Datum der Veranstaltung – rund um den
internationalen Frauentag – ist eine bodenlose Provokation. Das ist widerwärtig!
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Nach allem was wir wissen, konnte das Seminar an diesem Wochenende verhindert
werden. Wir sollten uns aber nicht zu früh freuen. Zwischenzeitlich wurde in den
Internetankündigungen der Organisation der Termin gewechselt. Angeblich findet
das Seminar in Frankfurt jetzt im April statt.
Wir sind vom Magistrat aus sehr aktiv dabei, dass solchen Anbietern in Frankfurt
keine Räume vermietet werden. Und nicht nur das: Gemeinsam mit Ordnungsamt
und Polizei sind wir in der Prüfung, ob und wie solche Veranstaltungen verboten
werden können. Das ist leider nicht so einfach, wir werden hier aber alle juristischen
Maßnahmen ergreifen, die uns zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus stehen wir zu diesem Thema im Kontakt und im
Erfahrungsaustausch mit anderen Städten, wie Berlin, München und Hamburg, wo
auch entsprechende Veranstaltungen angekündigt wurden. Und wir tauschen uns
regelmäßig mit terre de femmes aus, die ebenfalls an einem Verbot solcher
Veranstaltungen arbeiten.
Unser Ziel ist klar: Nein zu frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Seminaren
in Frankfurt.
Sollten solche Gewalt-Seminare in Frankfurt dennoch stattfinden, wird es breiten
Protest geben. Für den Fall werde ich den Protest gegen Blanc und Konsorten gerne
anführen – und ich zähle auf Sie, alle!!
„Nein heißt Nein“ heißt seit Jahrzehnten ein Slogan der Frauenbewegung.
Die Istanbuler Konvention des Europarates sieht das auch so. Alle Staaten werden
darin verpflichtet, jede „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung“ unter
Strafe zu stellen.
„Was denn auch sonst“ denkt frau und sicher auch der normal-denkende Mann.
Doch, meine Damen und Herren, der § 177 des deutschen Strafgesetzbuches, der
Vergewaltigungsparagraph, ist da nicht so eindeutig. Derzeit gilt ein
Geschlechtsverkehr nur dann als Vergewaltigung, wenn er mit Gewalt oder
bestimmten Drohungen erzwungen wurde. Oder wenn der Täter eine schutzlose
Lage ausnutzt.
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„Nein“ sagen reicht für eine Strafbarkeit nicht aus. Die Erfahrung vor Gericht zeigt:
Nein heißt zwar Nein – hat juristisch aber oft keine Konsequenz. Denn in den Köpfen
der Gesellschaft – und damit auch in den Gesetzbüchern - wird von folgendem Bild
ausgegangen:
Eine Frau wird bei Nacht in einer einsamen Gegend überfallen. Der Täter wendet
Gewalt an. Das Opfer wehrt sich heftig oder versucht zu fliehen. Die Tat wird sofort
angezeigt, Verletzungsspuren können nachgewiesen werden.
Die Realität sieht aber allzu oft anders aus. Sexuelle Übergriffe sind überwiegend
Beziehungstaten. Üben Ehemänner, Freunde, Bekannte sexualisierte Gewalt aus,
besteht häufig ein hohes Bedrohungspotential. Keine physische Gegenwehr zu
zeigen kann demnach eine gut begründete Überlebensstrategie sein.
Bringt die Frau die Vergewaltigung dann zur Anzeige, wird das Verfahren nicht selten
eingestellt. Die Verurteilungsquote in diesem Bereich ist derzeit mit etwa zehn
Prozent außergewöhnlich niedrig. Und wir wissen alle: die Dunkelziffer bei
Vergewaltigung ist hoch. Geringer Widerstand bedeutet juristisch: Der Täter musste
diesen nicht brechen. Dies wiederum bedeutet, es liegt kein Straftatbestand vor.
Dem Opfer, der Frau, wird eigenes Verschulden zugesprochen, weil sie sich nicht
gewehrt hat. Der Deutsche Juristinnenbund und der Bundesverband
Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe setzen sich dafür ein, dass Deutschland
diese Strafbarkeitslücke endlich schließt. Sie plädieren für eine große Reform des
Sexualstrafrechts. Ihre Forderung: „Ein modernes Strafrecht sollte sexuelle
Selbstbestimmung ohne Wenn und Aber schützen“.
Die Bundesregierung will nun endlich eine Reform des Sexualstrafrechts auf den
Weg bringen. Wir hoffen auf eine eindeutige Regelung, damit jedes Nein ein Nein ist
- auch vor dem Gesetz.
Angesichts dieser unklaren Rechtslage, dieser Erfahrung, die viele Frauen machen,
wundert es nicht, dass sich viele Frauen nach einer Vergewaltigung gegen eine
Anzeige entscheiden.
Die Kampagne „Akutversorgung nach Vergewaltigung ohne polizeiliche Anzeige“
setzt hier an. Betroffene sollen nach einer Vergewaltigung die bestmögliche
Versorgung erhalten, unabhängig davon, ob sie Anzeige erstatten oder nicht.
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Auf der Grundlage eines Stadtverordnetenbeschlusses gelang es dem Frauennotruf
gemeinsam mit 7 Frankfurter Kliniken die Versorgung zu verbessern, Fortbildungen
für Ärztinnen und Ärzte zu organisieren und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.
Kommunen und Kreise aus dem gesamten Bundesgebiet haben Interesse
signalisiert, unser Modell zu übernehmen. Unsere Nachbarstädte Offenbach und
Darmstadt sind gerade neu dabei.
Seit Beginn des Projektes vor 2 Jahren wurden 55 Frauen nach einer
Vergewaltigung akut versorgt. 5 davon haben rückwirkend Anzeige erstattet. Von
2013 bis 2014 hat sich die Zahl der Frauen, die die Beratungsstelle nach einer
Vergewaltigung aufgesucht haben um 50 auf 179 erhöht.
Dies zeigt auch bei diesem Thema: Die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die
Öffentlichkeit zu sensibilisieren, das wirkt – und führt zu Veränderungen.
Meine Damen, meine Herren,
gegen Sexismus, gegen den alltäglichen gesellschaftlichen Sexismus, brauchen wir
Konzepte - und Verbündete. Wir brauchen Beteiligung und Unterstützung. Beim
Thema Sexismus sind Männer nicht nur Gegner. Im Gegenteil: Zahlreiche Männer
sind unsere Verbündete im Kampf gegen Sexismus.
Ich erlebe gerade bei jungen Männern, bei Schülern, sehr häufig, wie angeekelt sie
vom Verhalten ihrer Geschlechtsgenossen sind. Hier wollen wir ansetzen.
Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Frauen des Präventionsrates planen wir eine
Vorbilder-Kampagne. Wir wollen Männer, die ein Zeichen gegen Sexismus und
Gewalt setzen, als Vorbilder sichtbar machen.
Und wir – Mädchen und Frauen - wollen selbst gesehen und gehört werden, unsere
Stimme in der Stadt erheben. So wie vor wenigen Tagen, am 14.2., bei der
Tanzdemo gegen Gewalt an der Hauptwache. Vor der Katharinenkirche!
Ein Ort, der derzeit leider montags durch eine ganz andere Gruppe besetzt wird, dem
Frankfurter Ableger von Pegida. In Frankfurt ist das zum Glück eine kleine Gruppe
Verirrter – und es stehen hier zum Glück viele dagegen und sagen laut: Nein, so
nicht. Und: Schauen wir bei Pegida mal genauer hin, dann sehen wir:
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Pegida positioniert sich in 19 Thesen nicht nur gegen eine Islamisierung, sondern
auch – ich zitiere: „gegen dieses wahnwitzige Gender Mainstreaming“ …. und die
„nahezu schon zwanghafte, politisch korrekte Geschlechtsneutralisierung unserer
Sprache!“ Die AfD stößt ins selbe Horn.
Hier trifft sich rassistisches, antisemitisches und sexistisches Gedankengut. Das ist
ein erschreckender Roll-back in Teilen unserer Gesellschaft.
Auch deshalb sei hier klargestellt: Sexismus ist Steinzeit!
Der Magistrat der Stadt Frankfurt hat sich zu Pegida eindeutig positioniert und
gemeinsam mit vielen anderen zur machtvollen Gegendemonstration aufgerufen. Ich
war an dem Tag stolz auf uns Frankfurterinnen und Frankfurter. Wir sind eine Stadt
der Vielfalt und der Toleranz. Wir sind bunt, solidarisch – und, wenn es sein muss,
laut und kämpferisch.
Genau SO wünsche ich es mir auch bei unserem diesjährigen Jahresthema.
Respekt. Stoppt Sexismus!
Wir nehmen uns den Raum und schaffen Räume. Ob mit dem Beteiligungsprozess
zum Aktionsplan europäische Gleichstellungscharta, mit der Tanzdemo One Billion
Rising oder mit Aktivitäten zum Internationalen Mädchentag und zum Tag gegen
Gewalt an Frauen. Wir tragen dazu bei, dass Mädchen und Frauen beteiligt sind,
dass sie gesehen werden und ihre, unsere Stadt mitgestalten.
Ich verstehe es als meine Aufgabe, generell – gerade aber auch im Rahmen des
Schwerpunktthemas Sexismus – Räume und Formate zu entwickeln, die weiter - und
wieder - dazu beitragen „das Private politisch zu denken!“.
Denn nicht die Feministinnen nerven, sondern diejenigen, die Frauen weiter in enge
Rollen zwängen, Frauen unterdrücken und willig machen wollen.
Unter uns Kaiserinnen und Kaisern hier im Kaisersaal kann ich ja ruhig mal Tacheles
sprechen:
Sexismus ist ein Arschloch!
Ich will, dass Mädchen und Frauen in dieser Stadt laut werden gegen Sexismus und
Diskriminierung. Ich will, dass insbesondere die Mädchen wissen, dass es mit mir als
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Frauendezernentin eine Kämpferin und Feministin gibt, die für ihre Rechte und
Forderungen – und auch für ihren Schutz - eintritt.
Mit unseren Mädchenprojekten wollen wir unsere Frankfurter Mädchen stark
machen, damit sie selbstbewusste und streitbare Frauen werden. Daher sorgen wir
in unseren Mädchenprojekten seit Jahren für geschützte Räume für Mädchen.
Gleichzeitig brauchen wir in der digitalen Welt auch neue Formate, neue Räume,
auch neue geschützte Räume. Spätestens die Debatte in Twitter zu #Aufschrei hat
sehr deutlich gezeigt, dass das Internet ein neuer, feministischer Raum ist. Über
50.000 Frauen fühlten sich im Rahmen dieser Kampagne ermutigt, ihre Erfahrungen
von Gewalt und Diskriminierung zu thematisieren. Mitinitiatorin Nicole von Horst lebt
in Frankfurt und ist uns mit dieser Kampagne ein Vorbild.
Aktuell fegt ein weiterer „Aufschrei“ durch die Türkei. Der Anlass, der Tod einer
Studentin, ist schrecklich. Die lauten, kreativen und originellen Proteste in der Türkei,
die begrüße ich sehr. „Die Wut explodiert“, lauten die Schlagzeilen. Ich freue mich
darüber, denn ich bin davon überzeugt: Diese Wut und die Proteste führen zu
Veränderungen. Wir wünschen den türkischen Feministinnen - und Feministen! - viel
Erfolg!
Ein Erstarken dieser Wut, die zu Protesten und zu Veränderungen führt, wünsche ich
mir auch durch unser Jahresthema Sexismus.
„Sexismus“ ist ja nicht immer so offensichtlich oder einfach zu benennen. Die
Grenzüberschreitung ist fließend. Oft gibt es zunächst nur ein diffuses Unbehagen
oder ein Gefühl von Ungerechtigkeit. Häufig werden solche Situationen und die damit
verbundenen Gefühle als eigene Schuld wahrgenommen. Auch weil andere sie
leugnen oder nicht ernst nehmen.
Trotz erreichter und formaler Gleichstellung erleben Mädchen und Frauen alltäglich
Sexismus, der dann hinterher „nur nett gemeint“ oder „doch nur ein Witz“ war.
Die Mädchen in unseren Projekten spüren es – und haben es ganz deutlich benannt:
Es gibt keinen nett gemeinten Sexismus!
Neuere feministische Aktionen wie der twitter #aufschrei, Internetseiten wie
‚EveryDaySexism‘ oder ‚pink-stinks‘ setzen diesem sexistischem Alltag etwas
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entgegen, schaffen virtuelle Räume, in denen das Sprechen über Diskriminierung
nicht als „eigene Schuld“, sondern als Anlass zur Vernetzung und Widerständigkeit
gedacht wird. Und genau hier setzten wir mit unserem Schwerpunktthema an: Wir
wollen, dass Mädchen und Frauen sich bestärkt und empowert fühlen.
Daher habe ich heute das Vergnügen, Ihnen ein weiteres Projekt im Kampf gegen
Sexismus und sexuelle Belästigung vorzustellen. Ein Projekt, das digital an
frauenbewegten Traditionen anknüpft und das Herzstück unseres
Schwerpunktthemas ist.
Zusammen mit dem Verein für feministische Mädchenarbeit FEM haben wir – das
Frauendezernat gemeinsam mit dem Frauenreferat - ein Onlineportal entwickelt, das
Mädchen und jungen Frauen ein Forum bei diffus erlebtem Sexismus - oder auch
konkreter sexueller Belästigung - bietet.
Das neue ONLINE-BERATUNGSPORTAL ist niedrigschwellig, Mädchen können
sich anonym online informieren, austauschen, Hilfe bekommen. Wir bieten das Portal
in drei Sprachen an: Deutsch, Türkisch und Französisch – und die Website ist
barrierefrei und inklusiv.
Es gibt ein Offenes Forum in dem sich Mädchen und junge Frauen mit anderen
Betroffenen zu ihren Anliegen austauschen, sich untereinander helfen und
unterstützen können. Das Forum wird fachlich von einer Beraterin begleitet und
moderiert.
Im Informationsbereich finden junge Frauen Angebote und Fachinformationen, die für
ihr Leben relevant sein können. Und das in einer Sprache, die Jugendliche anspricht
und ihr Leben abbildet.
Dann gibt es noch den Bereich HerStory: In diesem Bereich werden persönliche
Geschichten veröffentlicht. Der Sinn dahinter ist: Die Mädchen und Frauen sollen
sich in ihrem Erleben nicht allein fühlen.
Ganz wichtig aus meiner Sicht ist: Es werden hilfreiche Gegenstrategien verdeutlicht
- wie zum Beispiel „Ich habe mir Hilfe geholt, geschrien, geboxt, gelacht und mich mit
anderen zusammen getan…“
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Neben den digitalen Informationen gibt es die Möglichkeit persönliche Beratung bei
den Mitarbeiterinnen vom FEM in Anspruch zu nehmen.
Damit bieten wir besonders Mädchen und jungen Frauen aber natürlich auch
Personen in ihrem Umfeld eine direkte, digitale und dauerhafte Unterstützung an.
Es freut mich, dass Sie bei diesem besonderen Moment dabei sind, denn die
Onlineplattform feiert jetzt, hier und heute ihren Start. Jetzt geht es los… „Vorhang
auf“ zur Weltpremiere: Hier ist sie, meine Damen und Herren, unsere neue OnlinePlattform www.fem-onlineberatung.de ! Die Mitarbeiterinnen von FEM stehen Ihnen
gleich draußen für weitere Informationen zur Verfügung.
„Respekt. Stoppt Sexismus.“ ist das Motto unseres frauenpolitischen Jahres 2015,
das heute startet.
Weitere Slogans habe ich schon in meine Rede einfließen lassen, Slogans, die Sie
auch auf dem Flyer auf Ihrem Stuhl gefunden haben. Ein paar davon sind beim
Internationalen Mädchentag entstanden.
Und jetzt sind Sie dran! Sie können diese Sprüche von nun an auf alles kleben, was
Sie sexistisch von der Seite anmacht - und damit Öffentlichkeit für unseren
Themenschwerpunkt schaffen. Ganz ökologisch (und auch straffrei) können die
Aufkleber wiederverwertet werden, denn sie sind leicht ablösbar.
Wenn es uns gelingt, den alltäglichen Sexismus zum Stadtgespräch zu machen –
und Mädchen und Frauen und Männer ermächtigt, NEIN zu sagen, dann wird dieses
frauenpolitische Jahr 2015 ein voller Erfolg,!
Kleben Sie mit, diskutieren Sie mit, Streiten Sie mit – wir zählen auf Ihre tatkräftige
Unterstützung.
Tatkraft braucht Vernetzung und Energie und beides bietet das leckere Buffet, das
Sie draußen erwartet. Liebevoll für Sie zubereitet von Cullinarius aus Dreieich, einem
reinen Frauenteam unter der Leitung von Karina Westphal. Ich wünsche uns Guten
Appetit, gute Gespräche, viel Vergnügen und noch mehr Inspiration!
Genießen Sie den Abend!
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