Der HPI ist ein trojanisches Pferd - ORGA.UNI

Transcription

Der HPI ist ein trojanisches Pferd - ORGA.UNI
FORUM
Human-Potential-Index
Das Bundesarbeitsministerium hat mit der Initiative zum Human-PotentialIndex (HPI) die Diskussion um die Bewertung des Humankapitals neu
entfacht. Ziel der Initiative ist es, den HPI als Standard bei der Beurteilung
der Kreditwürdigkeit von Unternehmen zu etablieren. Das ruft
Widerspruch hervor. Mit Thomas Sattelberger, Personalvorstand der
Deutschen Telekom, und Christian Scholz, Professor an der Universität
des Saarlands, melden sich zwei unterschiedliche Protagonisten der HRSzene mit einer gemeinsamen Erklärung zu Wort. Tenor: Der HumanPotential-Index ist irreführend und tauge nur als Bumerang.
Thomas Sattelberger
Prof. Dr. Christian Scholz
„Der HPI ist ein trojanisches Pferd“
it einem „Human-Potential-Index“
assoziiert man üblicherweise – und
das macht seine Ankündigung so attraktiv – die exakte Messung des menschlichen Potenzials im Unternehmen. Doch
genau das ist der HPI auf keinen Fall: Er
misst – welch eine Kastration – lediglich
den Umfang der Personalarbeit. Das ist
sicherlich auch irgendwie interessant,
hat aber nur bedingt etwas mit dem
Humanpotenzial zu tun.
Ebenso irreführend ist es, wenn der
Human-Potential-Index von seinen Verfechtern permanent und publikumswirksam
in Zusammenhang mit Humankapital
gebracht wird: Wenn er nicht einmal
ansatzweise Humanpotenzial misst, kann
er auch nicht Humankapital messen.
Zudem verzichtet der HPI auf den Versuch
einer wertmäßigen Bestimmung des Humankapitals als Vermögensbestandteil im
Unternehmen. Gerade das wäre aber vor
dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftssituation, bei der es auch um Kreditwürdigkeit, Insolvenzgefahr und Sanie-
M
Diskutieren Sie mit!
Info
Was halten Sie vom Human-Potenzial-Index
und der Initiative des Bundesarbeitsministeriums? Schreiben Sie uns unter
[email protected].
Wir freuen uns auf Ihre Meinung!
10
07 | 2009
www.personalwirtschaft.de
rung geht, wichtig. Wohl um die Schwierigkeit einer solchen Messung wissend,
ist angesichts der dramaturgischen Aufgeblasenheit des HPI ihre komplette Auslassung gelinde gesagt Rosstäuscherei.
Wenig aussagefähig – oder strategierelevant – ist das, was der HPI erfasst.
Wissenschaftlich untragbar
Es klingt gut: „41 Prozent des wirtschaftlichen Erfolgs sind durch die Indikatoren
des HPI prognostizierbar.“ Diese unterstellte Kausalität zwischen eingesetzten Instrumenten und Unternehmenserfolg ist nicht
nur bedenklich, sondern schlichtweg
falsch. Aufschlussreich: Die Vertreter von
Psychonomics – dem Unternehmen, das
den HPI bestimmt und somit Herr der
Zahlen ist – weisen beim HPI lediglich auf
einen statistischen Zusammenhang als
‚erklärte Varianz’ hin.
Es scheint also eine nachweisbare Koinzidenz zwischen der Nutzung bestimmter personalwirtschaftlicher Instrumente und dem Unternehmenserfolg zu geben.
Sie sagt aber überhaupt nichts darüber
aus, was Ursache und was Wirkung ist.
Die dennoch angedeutete, verlockende
Kausalität glauben alle diejenigen Vertreter von Unternehmen, Medien und
Ministerien aus den Daten zu lesen, die
jetzt jubelnd ihr persönliches Anliegen
durch den HPI unterstützt sehen. Es ist
ein Taschenspielertrick: Man glaubt etwas
zu sehen, was in Wirklichkeit gar nicht
bewiesen ist – in diesem Fall die unterstellte Kausalität. Es wird noch schlimmer:
Aus praktischer Erfahrung liegt die Vermutung nahe, dass die Kausalität genau
entgegen der Annahme der HPI-Erfinder
verläuft: Nur finanziell erfolgreiche Unternehmen sind in der Lage, umfangreiche
personalwirtschaftliche Instrumente einzusetzen und das Füllhorn der Wohltaten
über die Mitarbeiter auszuleeren. Koinzidenz wird mit Kausalität verwechselt.
An diesem Denkfehler ändert auch eine
größere Datenbasis nichts, so wie sie derzeit vorgeschlagen wird.
Erhebungsmethodisch unsauber
Bedenklich ist die gewählte Erhebungsmethodik, bei der Unternehmen einen umfassenden Fragebogen online ausfüllen müssen. Je nach Antwortverhalten, das subjektiv geprägt und sozial erwünschtem
Antwortverhalten zugänglich ist, wird die
Personalarbeit als gut oder schlecht eingestuft. Darüber hinaus werden Mitarbeiter
befragt. Nichts gegen vernünftige Mitarbeiterbefragungen. Nur wenn hier die Befragung für Mitarbeiter sichtbar mit Konsequenzen verknüpft wird, ist das Ergebnis
wertlos. Jedem ist klar, wie das Antwortverhalten der Mitarbeiter bei Karstadt ausgefallen wäre, wenn die Mitarbeiter wüssten, dass von dieser Antwort die Zuteilung
von Krediten an Karstadt abhängt.
Personalwirtschaft Online
Der Human-Potenzial-Index (HPI)
Der Human-Potenzial-Index wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Sicherung der Zukunftsund Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen durch Verbesserung qualitativer humanressourcenorientierter Kriterien“ entwickelt, das die Unternehmen YouGov Psychonomics und Celidon federführend im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchgeführt haben.
Den dazu im November 2008 veröffentlichten HPI-Forschungsbericht sowie eine Präsentation zum
Projektstatus finden Sie auf: www.personalwirtschaft.de unter „Downloads zum Heft“.
Als weiteres Problem ist bekannt, dass man
mit zunehmender Professionalisierung
seine Arbeit kritischer und differenzierter bewertet – auch in der Personalabteilung. Wo ein ahnungsloses Unternehmen
‚sehr gut’ ankreuzt, sieht ein anderes –
weitaus fortgeschritteneres – Verbesserungspotenzial, weshalb es dann aber
beim HPI schlechter abschneidet.
Aussagelogisch falsch
Wenn man sich schon auf die Beschränkung von Humanpotenzial auf Personalarbeit einließe, wie sähe dann eine gute
beziehungsweise eine universell-richtige
Personalarbeit aus? Gibt es diese überhaupt? Sicherlich ließe sich ein Minimalstandard finden. Allerdings scheint es im
Rahmen des im Human-Potential-Index
verwendeten Minimalstandards auf die
bloße Quantität eingesetzter Personalinstrumente anzukommen: Honoriert wird offenbar ‚Je mehr, desto besser’. Eine Berücksichtigung der jeweiligen Unternehmensstrategie und der zugrunde liegenden Personalstrategie – sofern wirklich vorhanden
– scheint ebenfalls nicht gewährleistet zu
sein. Und selbst wenn man danach sucht:
Wer ist tatsächlich in der Lage, eine solche Stimmigkeit zwischen Unternehmensentwicklung, Personalstrategie und konkreter Personalarbeit zu bewerten? Gleiches gilt auch für die kontextbezogene
Berücksichtigung weiterer situativer Faktoren (beispielsweise Unternehmensgröße, Organisationform der Personalarbeit,
Branche oder Marktentwicklung). Nur
wenn es gelänge, einen Abgleich personalwirtschaftlicher Aktivitäten mit der formulierten Personalstrategie und dem situativen Kontext vorzunehmen, ließe sich die
Qualität einer Personalarbeit nachweisen
– was dann aber noch immer nichts mit
dem Humanpotenzial zu tun hätte.
Ordnungspolitisch unzumutbar
Gerade kleine und mittelständische Unternehmen wären negativ vom Einsatz des
HPI betroffen: Sowohl finanziell als auch
personell haben sie oftmals nicht die Möglichkeit, umfangreiche personalwirtschaftliche Instrumente einzusetzen; zudem
brauchen sie diese auch oftmals nicht,
da elaborierte Personalarbeit von Konzernen dort oft durch gute Führungsarbeit kompensiert wird. Kleine und mittlere Unternehmen würden dennoch
schlechter abschneiden und folglich bei
der Kreditvergabe benachteiligt. Auch
finanziell schwächere Unternehmen wären
Verlierer. Ob diese Entwicklung den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig
fördert, muss bezweifelt werden.
Ideologisch gefährlich
Mit dem HPI wird den Unternehmen eine
Personalpolitik als Ideal vorgegeben, die
(partei-?)politisch eingefärbt ist. Auch
wenn die beteiligten Unternehmensberatungen etwas anderes suggerieren: Extreme Mitarbeiterorientierung ist eben nicht
immer und in jeder Situation angemessen! So wäre es nach dem Verständnis des
HPI vermutlich nicht mitarbeiterorientiert, Entlassungen während der Probezeit oder als ultima ratio bei Krisen vorzunehmen. Unternehmen, die dies tun,
würden schlechter bewertet werden –
obwohl es hierfür sowohl im Interesse
von Unternehmen als auch im Interesse
von Arbeitnehmern gute Gründe geben
kann. Eigentlich müssten Gewerkschaf-
ten und Betriebsräte beim HPI jubeln:
Der Traum einer idealen, mitarbeiterfreundlichen Arbeitswelt vom Typ ‚gute
alte Zeit’ soll hier durch moralischen und
finanziellen Druck aus Berlin Wirklichkeit werden. Dass – soweit erkennbar –
die Gewerkschaften hier nicht in den Chor
der Claqueure einstimmen, spricht für
sie.
HPI als Bumerang
Der HPI entpuppt sich als Bumerang. Statt
eines innovativen, großen Wurfes – dem
Nachweis der Bedeutung des Humankapitals für Unternehmenserfolg, nach dem
gute Wissenschaftler und Praktiker seit
Jahren suchen – wird engstens auf Personalarbeit fokussiert. So weiß man zumindest, dass der Bumerang wieder den Werfer trifft, insbesondere wenn die Unternehmensfinanzen nicht ausreichen, um
all die im Index geforderten HR-Benefizien zu vergeben. Übrigens wurde vor
längerer Zeit das unternehmerische Konzept der ‚Lernenden Organisation’ von
kommerziellen Apologeten in ähnlicher
Weise auf die ‚Trainierende Organisation’,
auf Weiterbildung zurückgestutzt und so
seiner unternehmerischen Kraft beraubt.
Der HPI ist ein trojanisches Pferd. Statt
intelligente, passgenaue HumankapitalStrategie wertzuschätzen, wird auf die
gleichmacherische und breitflächige
Anwendung eines instrumentellen Bauchladens gesetzt. Selten haben die Autoren
– nach einer Epoche strategieorientierter
Personalarbeit – eine solche Einheitsideologie erlebt. HR aus der Retorte – gut vermarktbar für die Politik, gut verkäuflich
für die dahinterstehende oder dahinterliegende Beraterzunft. Noch schlimmer
aber ist die unausgesprochene ideologische Haltung: Der Personaler als Gutmensch, der Wohltaten verteilt, niemandem wehtut und die ‚Weichteile’ des Unternehmers verkörpert, sowie eine Personalarbeit, die optisch gefällig, einheitlich
– nicht aneckend in Wahlkampf-Zeiten
wie danach – an der kurzen Leine externer Einflussgruppen gehalten werden
kann.
07 | 2009
www.personalwirtschaft.de
11