Witz-Battle - Jan Weiler
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Witz-Battle - Jan Weiler
JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 424 Witz-Battle Z u den unverwüstlichen Vorurteilen zwischen den Geschlechtern gehört die Behauptung, Frauen könnten keine Witze erzählen. Das stimmt wahrscheinlich nicht, außer bei Lorella. Sie würde das wahrscheinlich nicht einmal bestreiten. Lorella ist die Schwester meiner Frau Sara. Sie ist verheiratet mit Jürgen, einem Ingenieur, Esoteriker und Weinkenner. Humor bildet nicht unbedingt die Kernkompetenz dieser Menschen. Beide lachen nur äußerst ungern. Über ulkige Dinge wie Homöopathie darf man bei ihnen überhaupt keine Scherze machen. Und wenn doch, müssen Pointen bis zu eine Million Mal verdünnt und zehn Mal umgerührt werden. Kein Wunder, dass sie dann nicht mehr wirken. Wenn Lorella spricht, rauschen immer ernste relevante, soziologische oder politische Subtexte mit. Angenommen, sie ruft: „Das Essen ist fertig“, dann enthält dieser banale Text folgende Botschaften: Erstens: Lorella hat sich dem Patriarchat gebeugt und gekocht, wofür sie keinen Dank, aber Mitgefühl erwartet. Zweitens: Wir bekommen jetzt etwas zu essen, viele andere Menschen nicht. Wir sollten darüber nachdenken. Drittens: Umwelt und Natur haben Lebensmittel preisgegeben, was keine Selbstverständlichkeit mehr ist, wenn man einmal in die Psyche eines Chicorées hineingehorcht hat. Und viertens: Das Essen ist fertig. Bei diesem Essen – es gab veganen graubraunen Matsch mit einem grünen Kloß und VataTee – ging es zunächst schweigsam zu, weil Jürgen in sich und sein Essen atmen wollte, wobei man nicht reden darf. Aber dann unterhielten wir uns doch und Lorella kündigte an, einen Witz zu erzählen. Ich kenne sie zwanzig Jahre und sie hat noch nie auch nur etwas Ähnliches wie einen Scherz gemacht. Ihre Ankündigung, einen Witz zu erzählen klang in etwa so skurril wie jene Nachrichtenmeldung, der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un habe einen missliebigen Minister mit einer Flugabwehrkanone hinrichten lassen. Und dennoch: Beides war Realität und es folgte ein Witz, dessen Erzählung Lorella so vollständig vergeigte, dass ich eher darüber als über die Pointe lachen musste. Es handelte sich um einen jener Scherze, in denen man drei Personen unterschiedlicher Nationalität auftreten lässt. In diesem Fall einen Amerikaner, einen Russen und einen Deutschen. Anstatt gleich mal mit dieser nicht ganz unwichtigen Info zu beginnen, sagte Lorella: „Drei Männer streiten sich. Der eine davon ist ein sowjetischer Astronaut.“ Jürgen unterbrach sie und rief: „Der ist Kosmonaut.“ „Nein, Sowjet,“ sagte Lorella beleidigt und fuhr fort: „Das ist aber gar nicht wichtig. Jedenfalls sagt er, dass er zuerst im Weltall war. Und der Amerikaner sagt, das stimme gar nicht, denn er sei auf dem Mond gewesen. Und da sagt ein Deutscher: Jaaa, aber wir fliegen nachts.“ Betretenes Schweigen. Ich habe den Witz später gegoogelt. Er geht so: Ein Russe, ein Amerikaner und ein Deutscher streiten, welches die größte Weltraumnation sei. Der Russe ruft: "Wir waren die Ersten im Weltall!" Der Amerikaner schreit: "Aber wir waren die erste Nation, die Menschen auf den Mond brachte!" Da sagt der Deutsche: "Mag sein. Aber wir Deutsche werden die Ersten sein, die zur Sonne fliegen." Darauf die Anderen: "Aber das geht doch gar nicht! Die Sonne ist doch viel zu heiß!" Da sagt der Deutsche: "Das haben wir selbstverständlich berücksichtigt. Wir fliegen nachts." Eigentlich nicht übel und für einen Lacher gut, wenn man ihn denn richtig bringt. Dann erzählte Sara einen Witz. Sie ist gut darin. Der Witz ging so: Treffen sich zwei Spermien. Sagt das eine: "Wenn ich zuerst ankomme, werde ich ein Junge." Darauf antwortet das andere: "Pah. Ich bin zuerst da. Und ich werde ein Mädchen!" Plötzlich schreit ein Kuchenkrümel: "Ihr Deppen werdet gar nix, ihr seid in der Speiseröhre!" Ich musste lachen und verschluckte mich beinahe an dem grünen Kloß. Jürgen und Lorella schwiegen. Dann sagte Lorella: „Was soll denn daran lustig sein? Ich meine, wie sind denn diese Spermien in die Speiseröhre gekommen? Das ist doch völlig unlogisch.“ Sara legte ihr eine Hand auf den Arm und sagte. „Stimmt, darüber habe ich nicht nachgedacht.“ Wir sind dann sehr bald nach Hause gegangen. Lorella und Jürgen haben bestimmt noch lange über Saras Witz diskutiert.• 25. MAI 2015