Insekten – Schädlinge und Nützlinge zugleich

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Insekten – Schädlinge und Nützlinge zugleich
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Allein im Rhein-Main-Gebiet gibt es tausende von Insektenarten. Insekten spielen die zentrale Rolle für das Funktionieren fast aller Ökosysteme. Insekten helfen bei der Pflanzenvermehrung, sind selbst Nahrung für andere Tiere und sorgen durch ihre Zersetzung
pflanzlichen Materials für die Erneuerung von Böden und den Erhalt des Nährstoffkreislaufs. Grund genug, sich mit den meist als Ungeziefer verhassten und bekämpften Tierchen
näher zu beschäftigen. Sie sind Teil der biologischen Vielfalt – auch im Rhein-Main-Gebiet.
Im Rahmen der Kampagne „Biodiversitätsregion Frankfurt / Rhein-Main“ macht das Plakatmotiv „Die Notbremse“ mit rund 600 Plakaten im Frankfurter Stadtgebiet im August auf
diesen Teil der biologischen Vielfalt in der Region aufmerksam.
Insekten – Schädlinge und
Nützlinge zugleich
Allein im Rhein-Main-Gebiet gibt es tausende von
Insektenarten. Deutschlandweit gehen die Schätzungen von über 30.000 Arten aus. Weltweit gehören die Tierchen mit mehreren Millionen Arten
zur größten Gruppe im Tierreich. Gerade im
Sommer krabbeln, fliegen und surren sie bei uns
überall herum. Libellen, Mücken, Grillen, Hornissen, Läusen, Ameisen und vielen anderen
Insektengruppen ist man meistens schon mal
begegnet. Spezielle Insektenarten wie den Hirschkäfer kennt man eher vom „Hören-Sagen“ – er lebt
zurückgezogen im Frankfurter Stadtwald.
Ungeziefer und Sinnbild der Liebe
Wir wissen um ihre Existenz, aber was die zumeist kleinen Tierchen so alles treiben und
warum es sie gibt, interessiert uns – wenn wir ehrlich sind – meistens nicht. Es sei denn, sie
fallen uns unangenehm auf, „piesacken“ uns durch Stiche oder machen sich als „Schädlinge“ an unseren Lebensmitteln oder am Holz des Dachstuhls zu schaffen.
Ja, eine geradezu an Hysterie grenzende Abneigung und
Angst gegen Insekten wird uns bereits in Kindertagen
durch Bücher wie das von Max und Moritz „in die Wiege“
gelegt. So spielen die beiden ihrem Onkel Fritz einen
Streich und setzen ihm Maikäfer ins Bett. „Bau!, schreit er.
Was ist das hier?, und erfasst das Ungetier. … Und den
Onkel, voller Grausen, sieht man aus dem Bette sausen.
… hin und her und rundherum kriecht es, fliegt es mit
Gebrumm. Onkel Fritz, in dieser Not, haut und trampelt
alles tot.“ Heutzutage ist das Repertoire zur Bekämpfung sprich zum Töten von Insekten
fast unüberschaubar geworden. Von Fliegenklatschen über Insektensprays bis zu Insektiziden hat sich die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte einiges einfallen lassen. Eher
nostalgisch muten da noch diese eklig gelben Klebestreifen unter der Küchenlampe –
übersät von toten oder noch zappelnden Fliegen und Mücken – an.
Kurz – Insekten sind in der Regel nicht sehr beliebt. Schlimmer noch: Viele, insbesondere
Blut saugende Insektenarten wie die Stechmücke der Gattung Anopheles übertragen
lebensbedrohliche Krankheiten. An Malaria sterben jährlich weltweit laut Robert-KochInstitut zwischen 1,5 bis 2,7 Millionen Menschen. Andere Insektenarten wie die verschiedenen bei uns vorkommenden Bremsen sind nicht minder gefährlich. Auch sie können bei
Mensch und Tier gefährliche Infektionskrankheiten auslösen. Die größte unter ihnen, die
sehr aggressiv auftretende Pferdebremse überträgt bei den Einhufern wie Pferden und
Eseln die tödliche Viruserkrankung der ansteckenden Blutarmut. Übrigens, an dieser Stelle
sei noch erwähnt: Die bei uns zum Teil stark verbreiteten Zecken sind keine Insektenart,
sondern gehören als Achtbeiner zu den Spinnentieren – was sie jedoch nicht ungefährlicher
macht.
Waldschäden durch die übermäßige Ausbreitung von Borkenkäfern werden schnell zu
einem forstwirtschaftlichen Problem, ebenso wie durch Schädlingsbefall ausgelöste Ernteausfälle in der Landwirtschaft. Massenhafte Vermehrung und Ausbreitung von Heuschrecken, Kartoffelkäfern und anderen dann zu Schädlingen werdenden Insekten sind früher wie
auch heute der Alptraum der Menschheit. Unvergessen dürfte einigen vielleicht noch die
Reblaus durch den gleichnamigen Wiener Gassenhauer von Hans Moser sein. Im 19.
Jahrhundert verursachte die mit Rebstöcken aus Nordamerika eingeschleppte Lausart im
europäischen Weinbau mit einem Verlust von mehreren Millionen Hektar Rebfläche eine
landwirtschaftliche Katastrophe. Ein Schädling, der seit einigen Jahren vermehrt von sich
reden macht, ist der Maiswurzelbohrer. Ursprünglich aus Amerika kommend hat er sich
mittlerweile europaweit ausgebreitet. Auf der Suche nach Futter durchhöhlt er das ganze
Wurzelwerk von Maispflanzen und führt zu erheblichen Ernteeinbußen.
Andere Krabbeltierchen wie der nur drei Millimeter lange Brotkäfer aus der Familie der
Nagekäfer – eine nicht nur im Rhein-Main-Gebiet weit verbreitete Insektenart – bewohnt
fast ausschließlich menschliche Siedlungen und dort vor allem Gebäude. Dieser Käfer liebt
Backwaren, Gewürze und Drogen und ist dadurch ein häufiger Schädling im Haushalt und
in Apotheken.
Bei so viel Schlechtem wundert es auch nicht, dass die Filmindustrie mit Killer-Insekten in
die Kinos lockt. Mit Formicula und den Killer-Ameisen aus dem Jahre 1954 setzte eine bis
heute andauernde Monsterisierung von Insekten ein. Doch wenn man genauer hinschaut,
wollten die Filmemacher mit den Horror-Szenarien offenbar nicht nur Angst und Ekel
auslösen. Die so genannten Rache-der-Natur-Filme, die erstmals in den 70er Jahren in die
Kinos kamen, zeigen die Natur, die sich plötzlich gegen die Menschen wendet. Als Hintergrund wird das zu dieser Zeit aufkeimende Interesse an der Ökologie und den Gefahren der
Umweltzerstörung gesehen. Wenn wir die Natur schädigen, schickt sie ihre Insekten und
rächt sich…
Nicht viele Insekten sind tatsächlich zu
Sympathieträgern geworden: So wie jüngst der
Marienkäfer, dessen heißes Liebesspiel an der
mit Kondenswasser überzogenen Rücksitzscheibe für die Autowerbung herhalten musste.
Oder die Honigbiene, die sich als schlaue
Biene Maja über den Bildschirm in die Herzen
der Kinder summte. Oder ganz generell
Schmetterlinge, die wir im Bauch haben, wenn
wir verliebt sind.
Gibt es also gute und schlechte Insekten? Warum gibt es überhaupt Insekten? Bedrohen
und schaden uns diese Tiere nur, oder steckt doch mehr dahinter? Sind alle Insekten am
Ende sogar nützlich und für die Stabilität von Ökosystemen unverzichtbar? Die Antwort ist
so eindeutig wie komplex: Alle Insekten haben eine zentrale Bedeutung für das
Funktionieren praktisch aller Ökosysteme – außer den marinen Lebensbereichen.
Pflanzenvermehrung und -verbreitung
Die Bestäubung von Pflanzen erfolgt wesentlich durch Insekten, in einigen Fällen tragen sie
auch zur Samenbildung bei.
Honigbienen, Wildbienen und Hummeln sind die Hauptakteure bei der Bestäubung unserer Kultur- und Nutzpflanzen. Für das großflächig vorkommende Blütenmeer
des Rapsfeldes sind eher die trachtentreuen Honigbienen zuständig, während in privaten Gärten 75
Prozent der Bestäubungsleistung durch Wildbienen
erfolgt. Nicht wenige Baumarten, zum Beispiel der
Ahorn, die Weide, die Linde oder die Rosskastanie,
warten mit großen, Nektar gefüllten Blüten auf und
locken so Bienen, Wespen, Fliegen, Käfer und
Schmetterlinge an. Am Boden lebende Insekten wie die
Ameisen ernähren sich von den Samen und Früchten kleinerer Pflanzen; auf dem Transport
verloren gegangene Samen keimen an anderer Stelle wieder aus und werden so nach und
nach über größere Distanzen verbreitet.
Ohne diese „Dienstleistung“ könnten die meisten unserer Kultur- und Wildpflanzen keine
Samen und Früchte ausbilden, oder zumindest sehr viel weniger. Der volkswirtschaftliche
Nutzen der Bestäubungsleistung allein der Honigbienen für unsere Nutzpflanzen übersteigt
den Wert ihrer beachtlichen Honigproduktion (bundesweit über 18 Millionen Kilo Honig
2007) um das 10- bis 15-fache. Dies sind rund 2 Milliarden Euro jährlich in Deutschland und
70 Milliarden US-Dollar weltweit. Damit nimmt die Honigbiene laut dem Deutschen Imkerbund den 3. Platz der wichtigsten Nutztiere hinter Rind und Schwein ein.
Zwar verfügen Pflanzen mit der Verbreitung durch Wind oder das Austreiben von Ausläufern über weitere biologische Strategien zur Erhaltung der eigenen Art. Insekten sind aber
die zentrale Säule für die pflanzliche Vermehrung.
Zersetzung pflanzlichen Materials, Entstehung nährstoffreicher Böden
Insekten sind wesentliche Akteure im Nährstoff- und Energiekreislauf von Pflanzen. Durch
das Fressen, Zerkleinern, Verdauen und Ausscheiden des Pflanzenmaterials leisten sie die
entscheidende Vorarbeit für die weitere Zersetzung der Pflanzenmasse. Nur so können
abgestorbene Pflanzen durch Mikroorganismen mineralisiert und dem Boden wieder als
neuer Nährstoff zugeführt werden.
Böden sind die zentrale Lebensgrundlage für Mensch, Tier und Pflanze. Sie bestehen aus
anorganischen Mineralien und organischem Humus. Beides entsteht aus der Verschmelzung von verwittertem Gestein und zersetztem Pflanzenmaterial. Letzteres verdanken wir
maßgeblich den Insekten.
Fressen und gefressen werden
Insekten sind Nahrung für die verschiedensten Tiergruppen und ein wichtiger Teil in der
Nahrungskette. Vögel, Mäuse, Frösche, Fledermäuse und viele andere Tiere leben von
ihnen. Außerdem leben natürlich viele Insekten selbst räuberisch und parasitisch von
anderen Insekten.
Insekten als Teil der biologischen Vielfalt im Rhein-Main-Gebiet
Das Forschungsinstitut Senckenberg erforscht und erfasst im Auftrag der Stadt Frankfurt
seit Mitte der 80er Jahre unter anderem das Insektenvorkommen im Frankfurter Stadtgebiet. Niemand hat sie aber je alle gezählt, schon
gar nicht für das gesamte Rhein-Main-Gebiet. Die
Schätzungen gehen deshalb von mehreren
tausend Insektenarten im Ballungsraum RheinMain aus. Dank des Senckenberg-Instituts lassen
sich aber für viele Insektengruppen und -arten
zumindest in Frankfurt konkretere Angaben
machen.
So leben allein im Frankfurter Stadtwald, der mit 14
Prozent des Stadtgebietes eine herausragende
Rolle für Tiere und Pflanzen spielt, über 1.300 Käferarten. Über sechshundert Arten gehören davon zu den Holzkäfern. Die naturnahe Bewirtschaftung, das reichlich vorhandene
Totholz, unterschiedliche Böden, Wasserverhältnisse und kleinklimatische Bedingungen
sind die Gründe für eine reiche Käferfauna. Zu den auffälligsten unter ihnen zählt der
Hirschkäfer. Seine Larven leben in totem Holz. In den Wäldern südlich von Frankfurt besitzt
er sein wohl größtes Vorkommen in Hessen. Viel seltener ist der Heldbock, der ebenfalls im
Frankfurter Stadtwald sein größtes Vorkommen hessenweit hat. Seine Larven leben überwiegend in der Stammregion alter Eichen. Er steht unter strengem Schutz.
Überraschend ist, dass im Frankfurter Stadtwald auch über 370 Schmetterlingsarten leben,
von denen sogar 50 Arten auf der „Roten Liste“ stehen. Auch 30 Libellenarten und rund 250
Wanzenarten hat man gezählt. Von knapp 90 in Deutschland lebenden Ameisenarten
finden sich über 30 im Stadtwald – 15 davon auf der „Roten Liste“. Diese durchaus beeindruckenden Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Frankfurt die
Artenvielfalt zurückgegangen ist, was sich aus wissenschaftlichen Erhebungen des letzten
Jahrhunderts ableiten lässt. Ein Beispiel ist der Große Kolbenwasserkäfer, der im vergangenen Jahrhundert in den Tümpeln des Frankfurter Stadtgebietes als häufig beschrieben
wurde, heute aber nicht mehr zu finden ist. Vor allem Insektenarten, die in ihrer Lebensweise an Gewässer und Gewässerufer gebunden sind, sind in ihrer Vielfalt zurück gegangen. Noch nicht ganz verschwunden, aber vom Aussterben bedroht, ist die Italienische
Schönschrecke. Sie gehört zu den Wärme liebendsten unter den heimischen Heuschreckenarten und kommt in Frankfurt derzeit einzig auf einer sehr mageren trockenen
Grünlandfläche am Rande des Rollfeldes auf dem Flughafen Frankfurt vor.
Noch mehr Nutzen für den Menschen
Ein weiteres „Einsatzgebiet“ von Insekten erschließt sich nicht gleich auf den ersten „Stich“.
Die Leichenzersetzer unter den Insekten wie die Schmeißfliegen und die Speckkäfer
spielen eine bedeutende Rolle in der Kriminalistik. Mittels der am und im Leichnam
vorkommenden verschiedenen Insektenarten und deren Entwicklungsstadien (Eier, Larven
oder das erwachsene Insekt) lassen sich Rückschlüsse auf die Leichenliegezeit, die
Todesursache und die Todesumstände treffen. So speichern die Insekten zum Beispiel im
Leichnam vorhandene Medikamente und Gifte.
In der biologischen Schädlingsbekämpfung werden weltweit rund 300 Insektenarten
eingesetzt, zum Beispiel parasitische Wespen zur Bekämpfung der weißen Fliege in
Treibhäusern.
In der Medizin nutzt man verschiedene Bestandteile des Bienengiftes und Honig zur
Wundbehandlung und zum Abtöten von Bakterien.
Und für die Wissenschaft sind Insekten ein schier unerschöpfliches Forschungsfeld. Wenn
es um die Nutzung biologischer Strategien der Natur für neue technische Lösungen (Bionik)
geht, haben sie einiges zu bieten. Der in Wüsten lebende Nebeltrinker-Käfer zum Beispiel
kann Nebel in überlebenswichtiges Wasser umwandeln. Seine Technik hat man abgeschaut und Netze (Atrapanieblas) entwickelt, in denen Nebeltropfen kondensieren. Diese
Möglichkeit der Trinkwassergewinnung wird in verschieden gebirgigen Ländern in
Küstennähe wie Chile, Peru und Namibia genutzt.
Insekten – Schutz und Bekämpfung
Wild- oder Solitärbienen leisten wertvolle Arbeit. Ein zunehmendes Problem ist aber, dass
ihnen durch die menschliche Veränderung der Lebensräume Nistplätze in der Natur fehlen.
Mit einfachen Mitteln kann man ihnen im eigenen Garten
Nisthilfen – so genannte „Bienenhotels“ – bauen und damit
ein Stück weit ihren Bestand stärken.
Wer einen Garten hat, der hat sich wahrscheinlich auch
schon mal über Blattläuse und andere Tierchen an seinen
Pflanzen geärgert. Jährlich kommen deshalb bundesweit
mehrere hundert Tonnen chemische Pflanzenschutzmittel
in den Nutz- und Ziergärten zum Einsatz – auf Kosten des
Grundwassers, der Artenvielfalt und der Gesundheit von
Mensch und Tier. Aber es geht auch anders. Die biologische Schädlingsbekämpfung setzt
erfolgreich verschiedene, selbst hergestellte Konzentrate aus Pflanzen ein, die Insekten
nicht mögen (Beispiele: Brühe aus Brennnesseln oder ein Sud aus der giftigen RainfarnPflanze). Man kann bestimmte Pflanzen zusammensetzen (Beispiel: Lavendel neben
Rosen), um der Blattläuse Herr zu werden. Wenn man Insekten fressenden Tieren wie den
Singvögeln Nistkästen anbietet, ist damit eine weitere Möglichkeit gegeben, den vielen
Krabblern auf natürliche Weise entgegenzutreten.
Interessante Links:
- www.nabu.de
- www.bfn.de
- www.frankfurt.de (Seiten zum Thema Umwelt)
- www.naturspaziergang.de
Text: Heike Bergmeier für BioFrankfurt im Rahmen der Kampagne
„Biodiversitätsregion Frankfurt / Rhein-Main“, August 2008
Fotonachweis:
Hirschkäfer, Schmetterling – Andreas Malten
Hummel auf Blüte – Dr. Julia Krohmer
Maikäfer – www.pixelio.de
Bienenhotels – Dr. Sabine Steghaus-Kovac