Insekten – Schädlinge und Nützlinge zugleich
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Insekten – Schädlinge und Nützlinge zugleich
BioFrankfurt – Geschäftsstelle Senckenberganlage 25 D-60325 Frankfurt a.M. Tel 069-7542 1545 [email protected] Fax 069-7542 1544 www.biofrankfurt.de Allein im Rhein-Main-Gebiet gibt es tausende von Insektenarten. Insekten spielen die zentrale Rolle für das Funktionieren fast aller Ökosysteme. Insekten helfen bei der Pflanzenvermehrung, sind selbst Nahrung für andere Tiere und sorgen durch ihre Zersetzung pflanzlichen Materials für die Erneuerung von Böden und den Erhalt des Nährstoffkreislaufs. Grund genug, sich mit den meist als Ungeziefer verhassten und bekämpften Tierchen näher zu beschäftigen. Sie sind Teil der biologischen Vielfalt – auch im Rhein-Main-Gebiet. Im Rahmen der Kampagne „Biodiversitätsregion Frankfurt / Rhein-Main“ macht das Plakatmotiv „Die Notbremse“ mit rund 600 Plakaten im Frankfurter Stadtgebiet im August auf diesen Teil der biologischen Vielfalt in der Region aufmerksam. Insekten – Schädlinge und Nützlinge zugleich Allein im Rhein-Main-Gebiet gibt es tausende von Insektenarten. Deutschlandweit gehen die Schätzungen von über 30.000 Arten aus. Weltweit gehören die Tierchen mit mehreren Millionen Arten zur größten Gruppe im Tierreich. Gerade im Sommer krabbeln, fliegen und surren sie bei uns überall herum. Libellen, Mücken, Grillen, Hornissen, Läusen, Ameisen und vielen anderen Insektengruppen ist man meistens schon mal begegnet. Spezielle Insektenarten wie den Hirschkäfer kennt man eher vom „Hören-Sagen“ – er lebt zurückgezogen im Frankfurter Stadtwald. Ungeziefer und Sinnbild der Liebe Wir wissen um ihre Existenz, aber was die zumeist kleinen Tierchen so alles treiben und warum es sie gibt, interessiert uns – wenn wir ehrlich sind – meistens nicht. Es sei denn, sie fallen uns unangenehm auf, „piesacken“ uns durch Stiche oder machen sich als „Schädlinge“ an unseren Lebensmitteln oder am Holz des Dachstuhls zu schaffen. Ja, eine geradezu an Hysterie grenzende Abneigung und Angst gegen Insekten wird uns bereits in Kindertagen durch Bücher wie das von Max und Moritz „in die Wiege“ gelegt. So spielen die beiden ihrem Onkel Fritz einen Streich und setzen ihm Maikäfer ins Bett. „Bau!, schreit er. Was ist das hier?, und erfasst das Ungetier. … Und den Onkel, voller Grausen, sieht man aus dem Bette sausen. … hin und her und rundherum kriecht es, fliegt es mit Gebrumm. Onkel Fritz, in dieser Not, haut und trampelt alles tot.“ Heutzutage ist das Repertoire zur Bekämpfung sprich zum Töten von Insekten fast unüberschaubar geworden. Von Fliegenklatschen über Insektensprays bis zu Insektiziden hat sich die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte einiges einfallen lassen. Eher nostalgisch muten da noch diese eklig gelben Klebestreifen unter der Küchenlampe – übersät von toten oder noch zappelnden Fliegen und Mücken – an. Kurz – Insekten sind in der Regel nicht sehr beliebt. Schlimmer noch: Viele, insbesondere Blut saugende Insektenarten wie die Stechmücke der Gattung Anopheles übertragen lebensbedrohliche Krankheiten. An Malaria sterben jährlich weltweit laut Robert-KochInstitut zwischen 1,5 bis 2,7 Millionen Menschen. Andere Insektenarten wie die verschiedenen bei uns vorkommenden Bremsen sind nicht minder gefährlich. Auch sie können bei Mensch und Tier gefährliche Infektionskrankheiten auslösen. Die größte unter ihnen, die sehr aggressiv auftretende Pferdebremse überträgt bei den Einhufern wie Pferden und Eseln die tödliche Viruserkrankung der ansteckenden Blutarmut. Übrigens, an dieser Stelle sei noch erwähnt: Die bei uns zum Teil stark verbreiteten Zecken sind keine Insektenart, sondern gehören als Achtbeiner zu den Spinnentieren – was sie jedoch nicht ungefährlicher macht. Waldschäden durch die übermäßige Ausbreitung von Borkenkäfern werden schnell zu einem forstwirtschaftlichen Problem, ebenso wie durch Schädlingsbefall ausgelöste Ernteausfälle in der Landwirtschaft. Massenhafte Vermehrung und Ausbreitung von Heuschrecken, Kartoffelkäfern und anderen dann zu Schädlingen werdenden Insekten sind früher wie auch heute der Alptraum der Menschheit. Unvergessen dürfte einigen vielleicht noch die Reblaus durch den gleichnamigen Wiener Gassenhauer von Hans Moser sein. Im 19. Jahrhundert verursachte die mit Rebstöcken aus Nordamerika eingeschleppte Lausart im europäischen Weinbau mit einem Verlust von mehreren Millionen Hektar Rebfläche eine landwirtschaftliche Katastrophe. Ein Schädling, der seit einigen Jahren vermehrt von sich reden macht, ist der Maiswurzelbohrer. Ursprünglich aus Amerika kommend hat er sich mittlerweile europaweit ausgebreitet. Auf der Suche nach Futter durchhöhlt er das ganze Wurzelwerk von Maispflanzen und führt zu erheblichen Ernteeinbußen. Andere Krabbeltierchen wie der nur drei Millimeter lange Brotkäfer aus der Familie der Nagekäfer – eine nicht nur im Rhein-Main-Gebiet weit verbreitete Insektenart – bewohnt fast ausschließlich menschliche Siedlungen und dort vor allem Gebäude. Dieser Käfer liebt Backwaren, Gewürze und Drogen und ist dadurch ein häufiger Schädling im Haushalt und in Apotheken. Bei so viel Schlechtem wundert es auch nicht, dass die Filmindustrie mit Killer-Insekten in die Kinos lockt. Mit Formicula und den Killer-Ameisen aus dem Jahre 1954 setzte eine bis heute andauernde Monsterisierung von Insekten ein. Doch wenn man genauer hinschaut, wollten die Filmemacher mit den Horror-Szenarien offenbar nicht nur Angst und Ekel auslösen. Die so genannten Rache-der-Natur-Filme, die erstmals in den 70er Jahren in die Kinos kamen, zeigen die Natur, die sich plötzlich gegen die Menschen wendet. Als Hintergrund wird das zu dieser Zeit aufkeimende Interesse an der Ökologie und den Gefahren der Umweltzerstörung gesehen. Wenn wir die Natur schädigen, schickt sie ihre Insekten und rächt sich… Nicht viele Insekten sind tatsächlich zu Sympathieträgern geworden: So wie jüngst der Marienkäfer, dessen heißes Liebesspiel an der mit Kondenswasser überzogenen Rücksitzscheibe für die Autowerbung herhalten musste. Oder die Honigbiene, die sich als schlaue Biene Maja über den Bildschirm in die Herzen der Kinder summte. Oder ganz generell Schmetterlinge, die wir im Bauch haben, wenn wir verliebt sind. Gibt es also gute und schlechte Insekten? Warum gibt es überhaupt Insekten? Bedrohen und schaden uns diese Tiere nur, oder steckt doch mehr dahinter? Sind alle Insekten am Ende sogar nützlich und für die Stabilität von Ökosystemen unverzichtbar? Die Antwort ist so eindeutig wie komplex: Alle Insekten haben eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren praktisch aller Ökosysteme – außer den marinen Lebensbereichen. Pflanzenvermehrung und -verbreitung Die Bestäubung von Pflanzen erfolgt wesentlich durch Insekten, in einigen Fällen tragen sie auch zur Samenbildung bei. Honigbienen, Wildbienen und Hummeln sind die Hauptakteure bei der Bestäubung unserer Kultur- und Nutzpflanzen. Für das großflächig vorkommende Blütenmeer des Rapsfeldes sind eher die trachtentreuen Honigbienen zuständig, während in privaten Gärten 75 Prozent der Bestäubungsleistung durch Wildbienen erfolgt. Nicht wenige Baumarten, zum Beispiel der Ahorn, die Weide, die Linde oder die Rosskastanie, warten mit großen, Nektar gefüllten Blüten auf und locken so Bienen, Wespen, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge an. Am Boden lebende Insekten wie die Ameisen ernähren sich von den Samen und Früchten kleinerer Pflanzen; auf dem Transport verloren gegangene Samen keimen an anderer Stelle wieder aus und werden so nach und nach über größere Distanzen verbreitet. Ohne diese „Dienstleistung“ könnten die meisten unserer Kultur- und Wildpflanzen keine Samen und Früchte ausbilden, oder zumindest sehr viel weniger. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Bestäubungsleistung allein der Honigbienen für unsere Nutzpflanzen übersteigt den Wert ihrer beachtlichen Honigproduktion (bundesweit über 18 Millionen Kilo Honig 2007) um das 10- bis 15-fache. Dies sind rund 2 Milliarden Euro jährlich in Deutschland und 70 Milliarden US-Dollar weltweit. Damit nimmt die Honigbiene laut dem Deutschen Imkerbund den 3. Platz der wichtigsten Nutztiere hinter Rind und Schwein ein. Zwar verfügen Pflanzen mit der Verbreitung durch Wind oder das Austreiben von Ausläufern über weitere biologische Strategien zur Erhaltung der eigenen Art. Insekten sind aber die zentrale Säule für die pflanzliche Vermehrung. Zersetzung pflanzlichen Materials, Entstehung nährstoffreicher Böden Insekten sind wesentliche Akteure im Nährstoff- und Energiekreislauf von Pflanzen. Durch das Fressen, Zerkleinern, Verdauen und Ausscheiden des Pflanzenmaterials leisten sie die entscheidende Vorarbeit für die weitere Zersetzung der Pflanzenmasse. Nur so können abgestorbene Pflanzen durch Mikroorganismen mineralisiert und dem Boden wieder als neuer Nährstoff zugeführt werden. Böden sind die zentrale Lebensgrundlage für Mensch, Tier und Pflanze. Sie bestehen aus anorganischen Mineralien und organischem Humus. Beides entsteht aus der Verschmelzung von verwittertem Gestein und zersetztem Pflanzenmaterial. Letzteres verdanken wir maßgeblich den Insekten. Fressen und gefressen werden Insekten sind Nahrung für die verschiedensten Tiergruppen und ein wichtiger Teil in der Nahrungskette. Vögel, Mäuse, Frösche, Fledermäuse und viele andere Tiere leben von ihnen. Außerdem leben natürlich viele Insekten selbst räuberisch und parasitisch von anderen Insekten. Insekten als Teil der biologischen Vielfalt im Rhein-Main-Gebiet Das Forschungsinstitut Senckenberg erforscht und erfasst im Auftrag der Stadt Frankfurt seit Mitte der 80er Jahre unter anderem das Insektenvorkommen im Frankfurter Stadtgebiet. Niemand hat sie aber je alle gezählt, schon gar nicht für das gesamte Rhein-Main-Gebiet. Die Schätzungen gehen deshalb von mehreren tausend Insektenarten im Ballungsraum RheinMain aus. Dank des Senckenberg-Instituts lassen sich aber für viele Insektengruppen und -arten zumindest in Frankfurt konkretere Angaben machen. So leben allein im Frankfurter Stadtwald, der mit 14 Prozent des Stadtgebietes eine herausragende Rolle für Tiere und Pflanzen spielt, über 1.300 Käferarten. Über sechshundert Arten gehören davon zu den Holzkäfern. Die naturnahe Bewirtschaftung, das reichlich vorhandene Totholz, unterschiedliche Böden, Wasserverhältnisse und kleinklimatische Bedingungen sind die Gründe für eine reiche Käferfauna. Zu den auffälligsten unter ihnen zählt der Hirschkäfer. Seine Larven leben in totem Holz. In den Wäldern südlich von Frankfurt besitzt er sein wohl größtes Vorkommen in Hessen. Viel seltener ist der Heldbock, der ebenfalls im Frankfurter Stadtwald sein größtes Vorkommen hessenweit hat. Seine Larven leben überwiegend in der Stammregion alter Eichen. Er steht unter strengem Schutz. Überraschend ist, dass im Frankfurter Stadtwald auch über 370 Schmetterlingsarten leben, von denen sogar 50 Arten auf der „Roten Liste“ stehen. Auch 30 Libellenarten und rund 250 Wanzenarten hat man gezählt. Von knapp 90 in Deutschland lebenden Ameisenarten finden sich über 30 im Stadtwald – 15 davon auf der „Roten Liste“. Diese durchaus beeindruckenden Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Frankfurt die Artenvielfalt zurückgegangen ist, was sich aus wissenschaftlichen Erhebungen des letzten Jahrhunderts ableiten lässt. Ein Beispiel ist der Große Kolbenwasserkäfer, der im vergangenen Jahrhundert in den Tümpeln des Frankfurter Stadtgebietes als häufig beschrieben wurde, heute aber nicht mehr zu finden ist. Vor allem Insektenarten, die in ihrer Lebensweise an Gewässer und Gewässerufer gebunden sind, sind in ihrer Vielfalt zurück gegangen. Noch nicht ganz verschwunden, aber vom Aussterben bedroht, ist die Italienische Schönschrecke. Sie gehört zu den Wärme liebendsten unter den heimischen Heuschreckenarten und kommt in Frankfurt derzeit einzig auf einer sehr mageren trockenen Grünlandfläche am Rande des Rollfeldes auf dem Flughafen Frankfurt vor. Noch mehr Nutzen für den Menschen Ein weiteres „Einsatzgebiet“ von Insekten erschließt sich nicht gleich auf den ersten „Stich“. Die Leichenzersetzer unter den Insekten wie die Schmeißfliegen und die Speckkäfer spielen eine bedeutende Rolle in der Kriminalistik. Mittels der am und im Leichnam vorkommenden verschiedenen Insektenarten und deren Entwicklungsstadien (Eier, Larven oder das erwachsene Insekt) lassen sich Rückschlüsse auf die Leichenliegezeit, die Todesursache und die Todesumstände treffen. So speichern die Insekten zum Beispiel im Leichnam vorhandene Medikamente und Gifte. In der biologischen Schädlingsbekämpfung werden weltweit rund 300 Insektenarten eingesetzt, zum Beispiel parasitische Wespen zur Bekämpfung der weißen Fliege in Treibhäusern. In der Medizin nutzt man verschiedene Bestandteile des Bienengiftes und Honig zur Wundbehandlung und zum Abtöten von Bakterien. Und für die Wissenschaft sind Insekten ein schier unerschöpfliches Forschungsfeld. Wenn es um die Nutzung biologischer Strategien der Natur für neue technische Lösungen (Bionik) geht, haben sie einiges zu bieten. Der in Wüsten lebende Nebeltrinker-Käfer zum Beispiel kann Nebel in überlebenswichtiges Wasser umwandeln. Seine Technik hat man abgeschaut und Netze (Atrapanieblas) entwickelt, in denen Nebeltropfen kondensieren. Diese Möglichkeit der Trinkwassergewinnung wird in verschieden gebirgigen Ländern in Küstennähe wie Chile, Peru und Namibia genutzt. Insekten – Schutz und Bekämpfung Wild- oder Solitärbienen leisten wertvolle Arbeit. Ein zunehmendes Problem ist aber, dass ihnen durch die menschliche Veränderung der Lebensräume Nistplätze in der Natur fehlen. Mit einfachen Mitteln kann man ihnen im eigenen Garten Nisthilfen – so genannte „Bienenhotels“ – bauen und damit ein Stück weit ihren Bestand stärken. Wer einen Garten hat, der hat sich wahrscheinlich auch schon mal über Blattläuse und andere Tierchen an seinen Pflanzen geärgert. Jährlich kommen deshalb bundesweit mehrere hundert Tonnen chemische Pflanzenschutzmittel in den Nutz- und Ziergärten zum Einsatz – auf Kosten des Grundwassers, der Artenvielfalt und der Gesundheit von Mensch und Tier. Aber es geht auch anders. Die biologische Schädlingsbekämpfung setzt erfolgreich verschiedene, selbst hergestellte Konzentrate aus Pflanzen ein, die Insekten nicht mögen (Beispiele: Brühe aus Brennnesseln oder ein Sud aus der giftigen RainfarnPflanze). Man kann bestimmte Pflanzen zusammensetzen (Beispiel: Lavendel neben Rosen), um der Blattläuse Herr zu werden. Wenn man Insekten fressenden Tieren wie den Singvögeln Nistkästen anbietet, ist damit eine weitere Möglichkeit gegeben, den vielen Krabblern auf natürliche Weise entgegenzutreten. Interessante Links: - www.nabu.de - www.bfn.de - www.frankfurt.de (Seiten zum Thema Umwelt) - www.naturspaziergang.de Text: Heike Bergmeier für BioFrankfurt im Rahmen der Kampagne „Biodiversitätsregion Frankfurt / Rhein-Main“, August 2008 Fotonachweis: Hirschkäfer, Schmetterling – Andreas Malten Hummel auf Blüte – Dr. Julia Krohmer Maikäfer – www.pixelio.de Bienenhotels – Dr. Sabine Steghaus-Kovac