Neues Blut für alte Rassen
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Neues Blut für alte Rassen
UNTER JÄGERN UNTER JÄGERN DER ANBLICK – Interview mit Dr. Regina Thierrichter Neues Blut für alte Rassen Fotos: M. Ossmann, s. ERker S ehr geehrte Frau Dr. Thierrichter, durch die Zuchtauslese häufen sich bei den Rassehunden gesundheitliche Probleme, so lautet zumindest das Vorurteil. Kann man das so einfach sagen? Dr. Regina Thierrichter: „Man sagt immer, die Rassehunde sind nicht mehr gesund. Da muss man aber zuerst unterscheiden, ob man von reinen Ausstellungshunden oder von Gebrauchshunden spricht. Tatsächlich gibt es weltweit 15 gefährdete Rassen, zu denen auch der Schäferhund in der Ausstellungslinie zählt. Das hat mit der Leistungszucht, bei welcher die Leis tung des Hundes im Mittelpunkt steht, aber nichts zu tun, wobei es egal ist, ob es sich um Jagd-, Such- oder Therapiehunde dreht. Passiert ist das alles wegen der Hundezuchtbücher, die so um 1880, 1890 geschrieben worden sind. Damals spielte die strenge Abgrenzung der Rassen eine große Rolle, jede Talschaft wollte ihre eigene Hunderasse haben. Begonnen hat man damals mit jeweils nur wenigen Hunden, womit der Genpool von Haus aus klein war. Dann sind noch die Kriegszeiten dazwischengekom- men, wo die Hundepopulationen ganz dramatisch geschrumpft sind – bei allen Hunderassen. Damit ist der Genpool weiter geschrumpft, womit wir heute noch zu kämpfen haben.“ Sie meinen also, dass dem Formwert im Jagdhundewesen bisher eine zu große Bedeutung beigemessen worden ist? „Heute sehen die Formwertrichter das alles nicht mehr so eng, solange die Funktionalität gegeben ist. Zuchtausschließungsgründe sind vor allem Gebiss- und Hodenfehler, Ängstlichkeit oder übertriebene Aggressivität. Wenn aber eine Brandlbracke z. B. „Heute sehen die Formwertrichter das alles nicht mehr so eng, solange die Funktionalität gegeben ist. Zuchtausschließungsgründe sind vor allem Gebiss- und Hodenfehler, Ängstlichkeit oder übertriebene Aggressivität.“ 86 Der Anblick 3/2014 Die Rassehundezucht kann nur auf einen kleinen Genpool zurückgreifen – um diesen zu erweitern und somit genetische Defekte zu verhindern, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Zum einen kann man beim Formwert großzügiger sein, womit man eine breitere Zuchtbasis erhält. Zum anderen kann man Fremdblut einkreuzen. Beide Wege werden derzeit vom Brackenverein beschritten, wie die stellvertretende Geschäftsführerin Dr. Regina Thierrichter im Interview verrät. einen weißen Fleck auf der Brust hat, schließen wir sie aufgrund dieses ,Schönheitsfehlers‘ von der Zucht nicht mehr aus, womit viel genetisches Material erhalten bleibt. Und ich glaube, dass bei Formwertrichtern – was die Leistungszucht angeht – schon ein Umdenken stattgefunden hat. Der Formwert hat aber insofern noch Bedeutung, als der Hund mindestens ein ,Gut‘ bekommen muss, um für die Zucht geeignet zu sein. Früher war man da sehr streng, aber heute kann der Zuchtwart auch bei schlechter bewerteten Hunden sagen, dass er diesen Hund in der Zucht haben will.“ Die Schlüsselfigur ist also der Zuchtwart. Aber ist der in Zeiten computergestützter Zuchtanbahnung nicht längst zur Nebensache geworden? „Natürlich stimmt es, dass der Computer heute große Bedeutung im Zuchtgeschehen hat. Aber erstens sind Hundedaten nie zu 100 % vorhanden, man hat also immer gewisse fehlende Glieder – obwohl wir versucht haben, die vorhandenen Daten alle korrekt einzugeben. Der Computer errechnet daraus dann einen Vorschlag, doch hier fehlt noch die Feinabstimmung. Schließlich liegt es am Zuchtwart, Formwert und andere Daten entsprechend zu bewerten, wobei es in erster Linie um die jagdlichen Leistungen der gesunden Bracke geht.“ Die echte jagdliche Leistung ist Ihnen also wichtiger als allfällige gute Noten, die der Hund bei Prüfungen erringt? „Zwei Aspekte dazu: Ganz wichtig für uns Brackenführer ist die Anlagenprüfung. Ihr kommt deshalb eine ganz große Bedeutung zu, weil sie uns zeigt, welche genetischen Anlagen die Hunde mitbringen. Lautes Jagen mit tiefer Nase hat eine große Heritabilität, ist also in hohem Maße erblich bedingt. Durch den Einfluss des Hundeführers kann aber manches wieder verloren gehen. Zweitens ist die Gebrauchsprüfung Dr. Regina Thierrichter ist promovierte Chemikerin und akademische Jagdwirtin. Ihre Jagdwirt-Abschlussarbeit verfasste sie zum Thema „Leistungsorientierte Rassehundezucht am Beispiel zweier österreichischer Jagdhunderassen Brandlbracke – Steirische Rauhaarbracke“. Regina Thierrichter ist selbst Brandlbrackenzüchterin und stellvertretende Geschäftsführerin im Österreichischen Brackenverein und auch für die Welpenvermittlung verantwortlich. Sie erreichen Regina Thierrichter unter info@ bracken.at für die Zuchtzulassung des Hundes deshalb so wichtig, weil man sonst ja keine Überprüfung des Hundes vornehmen kann. Hier ist auch die Schweißprüfung dabei, und das ist erlerntes Wissen. Das Brackieren aber, und wie der Hund die Art der Suche gestaltet, das ist angewölft.“ Die wesentliche Zuchtvoraussetzung ist also die Brackade. Gibt es aber überhaupt Jäger, die tatsächlich noch Hasen brackieren? „In Österreich ist die Hasenjagd mit dem spurlauten Hund inzwischen 87 UNTER JÄGERN Foto: J. SChwarzenbacher „In Österreich ist die Hasenjagd mit dem spurlauten Hund inzwischen eine Randerscheinung. Es gibt aber einzelne, ganz engagierte Brackierjäger, die die Szene beleben und andere mitziehen.“ sicherlich eine Randerscheinung. In der Nähe von Maria Lankowitz gibt es mit Konrad Krammer aber einen ganz engagierten Brackierjäger. Der belebt die Szene, der zieht andere auch wieder mit. Und wir vom Brackenverein versuchen, die Brackenführer, wenn sie zur Anlagenprüfung kommen, entsprechend zu motivieren. Dass sie nicht nur am Übungstag üben, sondern selbst bis zur Prüfung mit dem Hund auch arbeiten. Das nämlich ist ein erster wichtiger Schritt, dass die Führer das selbst erleben und dass ins Bewusstsein gerückt wird, was das überhaupt für eine spannende Jagd ist. Auch arbeiten wir daran, die Brackade eventuell zum nationalen Kulturerbe der UNESCO erheben zu lassen – wobei das Ende des Foto: M. Ossmann Brackierens ein Kulturverlust für den Menschen wäre und nicht für den Hund.“ Durch die steigende Schalenwilddichte verlieren wir die Brackade gerade aber auch in Hochburgen wie Südtirol. Was ist Ihre Ansicht: Wie schädlich ist die Brackierjagd in einem Rot- oder Rehwildrevier? „Ich glaube, sie ist überhaupt nicht schädlich, aber hier stoßen die Meinungen aufeinander. Gerade im Herbst – davor ist die Brackierjagd ja nicht erlaubt – kollidiert das natürlich mit der Rotwildbejagung und man will sein Revier unter Umständen ,nur‘ wegen eines Hasen nicht unnötig beunruhigen. Die Brackierjagd wird auch deswegen immer mehr an den Rand gedrängt, weil die Reviere mehr und mehr von Straßen durchschnitten sind und man sich den Hund nicht zusammenführen lassen will. Aber da ist die Einstellung verschieden, weil da sagen manche, dann dürfte ich mit meinem Hund ja auch nicht auf Schwarzwild jagen. Grundsätzlich ist die Bracke aber nun einmal der Jagdhund vor dem Schuss. Für die Brackierarbeit, bei der die Bracke die kalte Gesundfährte des Hasen ohne Bodenverwundung ausarbeitet, muss sie eine ausgezeichnete Nase haben. Die Bracke hetzt nicht, sie hat nie Sichtkontakt mit dem Wild. Sie arbeitet auf der Fährte spurlaut mit tiefer Nase. Das ist vom Tierschutz her relevant. Diese besondere Feinnasigkeit der Bracke beim Brackieren ist der Hauptgrund dafür, dass Bracken auch so gut auf der Schweißfährte arbeiten. Bracken werden heute deshalb auch für Bewegungsjagden eingesetzt. Ich bin in Niederösterreich immer wieder dabei, wenn diese bei Drückjagden auf Schwarz- und Rotwild geführt werden. Die Bracke tüftelt da dann feinnasig vor sich hin und bewegt das Wild. Und dass die Bracke rehrein sein soll, darüber spricht heute kaum noch jemand.“ Neben der Formwertbeurteilung wird auch die Prüfungsordnung überdacht? „Die Prüfungsordnung wird vom ÖJGV herausgegeben, und auch hier ändert sich etwas. Unseres Erachtens ist es beispielsweise nicht mehr notwendig, dass die Bracke mannscharf ist. Das ist nicht mehr zeitgemäß und wird nun herausgenommen. Was durchaus wichtig ist, ist die Wildschärfe, damit das Wild nicht leiden muss, das bleibt erhalten. Man braucht daneben einen Jagdhund, der gesellschaftsverträg- „Wir arbeiten daran, die Brackade eventuell zum nationalen Kulturerbe der UNESCO erheben zu lassen – wobei das Ende des Brackierens ein Kulturverlust für den Menschen wäre und nicht für den Hund.“ 88 Der Anblick 3/2014 Unbenannt-3 1 lich ist. Und die Bracke ist ohnehin von sich aus ein Familienhund. Für die Zukunft brauchen wir genau diese Hunde, die es ermöglichen, auch im städtischen Umfeld mit uns zu leben.“ Noch einmal zurück zum kleinen Genpool. Bei den Bracken haben Sie darauf reagiert und nehmen unter dem Motto „Auszucht“ Fremdblut herein. Inwieweit ist das nun bereits passiert? „Der österreichische Brackenverein hat mit den Zuchtwarten Dr. Plenk und Mag. Panhölzl hier bei den Rauhaarbracken begonnen und macht das mittlerweile auch bei den Brandlbracken, weil wir wissen, dass das der richtige Weg ist. Und wir haben uns den wissenschaftlichen Hintergrund dazu geholt. Biologisch gesehen ist es ja so, dass es im Grunde nur glatthaarige und rauhaarige Bracken gibt. Alles andere sind keine Rassen, sondern Brackenschläge, die sich alle dadurch auszeichnen, dass sie spurlaut solojagende Hunde sind. Hält man sich das vor Augen, dann wäre es am besten, alle rauhaarigen bzw. alle glatthaarigen Bracken als Zuchtbasis heranzuziehen, womit wir einen riesigen Genpool hätten. In der Praxis funktioniert das nun so, dass der Zuchtwart solche Hunde mit Fremdblut in unser Zuchtgeschehen einbindet, die vom Exterieur, also vom äußeren Erscheinungsbild, dem einer Brandlbzw. Rauhaarbracke entsprechen, die dazu aber auch noch erwiesenermaßen jagdlich leistungsfähig sind. Das nennt man Auskreuzung. Und wenn man das vorsichtig macht und mit der eigenen Rasse zurückkreuzt, kommt es zu einer Veredelungskreuzung. Die Gefahr ist, dass man irgendein ,Defekt-Gen‘ hineinbringt, das man bis dahin nicht im Genpool hatte. Dasselbe gilt auch für jagdliche Eigenschaften. Deshalb ist hier entsprechende Vorsicht geboten.“ Sie sind ja auch zuständig für die Welpenvermittlung? „Für uns ist der deutsche Markt sehr wichtig. Rund 60 % der Welpen gehen nach Deutschland – nur in jagdliche Hände. Es wäre ja ein Unsinn, den Brackenwelpen jemandem zu geben, der ihn nur als Haushund hält. Wir geben die Welpen bewusst nur an Jäger ab. Wir legen großen Wert darauf, dass die Hundeführer auch zu Prüfungen kommen. Und wir reden hier aktuell immerhin bei den Brandlbracken von 110 Welpen und bei den Rauhaarbracken von 93. Dazu ist uns die Haltung wichtig. Für die Bracke verträgt sich die Zwingerhaltung als Dauerzustand nicht. Und hier stoßen wir an ein anderes Problem, das in der Beutelmeyer-Studie thematisiert worden ist: Die Arbeit für Ausbildung und Haltung eines Jagdhundes nehmen immer weniger Jäger an. Und ein Jagdhund ist Arbeit! Man muss mit einer Bracke zumindest zwei Jahre arbeiten, da sie kein Schnellstarter ist, weder die Hündin noch der Rüde. Insgesamt gesehen wird der Hund immer wichtiger als sozialer Begleiter des Menschen, damit manche unter uns überhaupt noch ein Lebewesen neben sich haben.“ 13.02.14 12:47 89