Projektarbeit - Eden Institut
Transcription
Projektarbeit - Eden Institut
Projektarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Akademische Health Care Managerin an der Wirtschaftsuniversität Wien Studiengang zum Akademischen Health Care Manager, zur Akademischen Health Care Managerin Titel: Entspricht die Eden-Alternative® dem Normalitätsprinzip? Vorgelegt von: Gabriele Wallner Adresse: Wilhelm Leibl-Gasse 3, 1130 Wien Matrikel-Nr.: h0854964 Beurteilerin/Betreuerin: Dr. Katharina Chudzikowski Abgabedatum: August 2010 Ich versichere: dass ich die Arbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe, dass ich diese Masterthesis bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe, dass diese Arbeit mit der vom Begutachter beurteilten Arbeit übereinstimmt. Datum: Unterschrift: 1. Einleitung ............................................................................................................. 2 1.1 Ziel und Forschungsfragen .........................................................................................4 1.2 Aufbau der Arbeit .......................................................................................................5 2. Ausgangssituation .............................................................................................. 6 2.1 Das Normalisierungsprinzip .......................................................................................8 2.2 Der Ursprung des Normalisierungsprinzips ...............................................................8 2.2.1 Ein normaler Tagesrhythmus .....................................................................................8 2.2.2 Trennung von Arbeit, Freizeit und Wohnen ..............................................................9 2.2.3 Ein normaler Jahresrhythmus.....................................................................................9 2.2.4 Ein normaler Lebensablauf ........................................................................................9 2.2.5 Respektieren von Bedürfnissen..................................................................................9 2.2.6 Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern .............................................10 2.2.7 Normaler wirtschaftlicher Standard .........................................................................10 2.2.8 Standards von Einrichtungen ...................................................................................10 2.3 Weiterentwicklung des Normalisierungsprinzips.....................................................10 2.4 Übertragung des Normalisierungsprinzips in die stationäre geriatrische Langzeitbetreuung .............................................................................................................11 3. Problemstellung ................................................................................................ 13 3.1 Person-zentrierte Konzepte.......................................................................................13 3.1.1 Validation nach Feil .................................................................................................13 3.1.2 Person-zentrierter Ansatz nach Kitwood .................................................................14 3.1.3 Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm .......................................................15 3.2 Gesamtbetriebliches Konzept – die Eden-Alternative..............................................17 3.2.1 Geschichtliche Entstehung des Konzepts der Eden-Alternative..............................17 3.2.2 Die zehn Grundsätze des Konzepts der Eden-Alternative .......................................18 3.2.3 Voraussetzungen für das Konzept der Eden-Alternative .........................................23 4. Problemlösung: Normalitätsprinzip versus Eden-Alternative ...................... 27 4.1 Gemeinsamkeiten .....................................................................................................27 4.1.1 Tagesablauf ..............................................................................................................27 4.1.2 Wohnumgebung .......................................................................................................28 4.1.3 Jahresablauf und Lebensablauf ................................................................................29 4.1.4 Bedürfnisse...............................................................................................................30 4.1.5 Einrichtung...............................................................................................................30 4.1.6 Aufwertung der sozialen Rolle ................................................................................31 4.2 Unterschiede .............................................................................................................31 4.2.1 Kontakt zwischen den Geschlechtern ......................................................................31 4.2.2 Wirtschaftlicher Standard ........................................................................................32 4.3 Ergebnisse des Vergleichs ........................................................................................33 5. Zusammenfassung ........................................................................................... 34 5.1 Beantwortung der Forschungsfragen........................................................................35 5.2 Ausblick....................................................................................................................35 6. Literaturverzeichnis .......................................................................................... 38 1 1. Einleitung In den Prognosen für die zukünftige Bevölkerungsentwicklung zeigt sich, dass der Anteil der über 65-Jährigen von derzeit 17,4 % auf 28 % im Jahr 2050 ansteigen wird. Dramatisch erhöht sich auch die Zahl der über 75-Jährigen, bis 2030 wird jede/r neunte/r Österreicher/in dieses Alter erreichen. Ursachen für diese Entwicklung sind unter anderem starke Geburtenjahrgänge (1950er und 1960er), steigende Lebenserwartung (derzeit bei Frauen 83 und bei Männern 77,6 Jahre) und von Kriegsverlusten unberührte Männergenerationen (Statistik Austria, 2010). Nach Angaben der Statistik Austria betrug der Bevölkerungsstand zum 1.1.2010 in Österreich 8,375.290 Einwohner/innen, davon lebten 1,698.822 Menschen in Wien. Im Jahr 2009 waren 67,5 % der österreichischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren. Verglichen mit der Situation von vor zehn Jahren ging die Zahl der unter 15-Jährigen um 8,8 % zurück, während gleichzeitig die Zahl der Erwerbsfähigen um 5,1 % und auch die Zahl der über 65-Jährigen um 18 % anstieg. Besonders auffällig war der Zuwachs bei den Hochaltrigen (85+ Jahre), der Anstieg betrug 20,9 %. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung lag zum Jahresbeginn 2010 bei 41,5 Jahren, um rund zwei Jahre höher als noch vor zehn Jahren und erstmals lebten in Österreich mehr als 1000 Personen im Alter von 100 und mehr Jahren. Wie die demografische Entwicklung zeigt, werden die Menschen immer älter und auch die Zahl der Einpersonenhaushalte steigt an. Schon jetzt bestehen 1,3 Millionen Haushalte, das sind 15 % der Gesamtbevölkerung, nur aus einer Person. Ein Großteil davon sind ältere Menschen, die nach dem Tod des Partners alleine leben (Statistik Austria, 2009). Daher ist davon auszugehen, dass der Bedarf an Plätzen in stationären geriatrischen Langzeitpflegeeinrichtungen steigen wird. Laut Geschäftsbericht des Fonds Soziales Wien (2008) lebten im Jahr 2008 in Wien 8.560 Bewohner/innen in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen. In Zukunft sollen diese Pflegeplätze weiter ausgebaut werden, denn das Wiener Geriatriekonzept sieht vor, bis zum Jahr 2015 sechs neue öffentliche Wohn- und Pflegehäuser sowie zusätzlich drei innovative Wohn- und Pflegeprojekte zu errichten. Das Geriatriezentrum Am Wienerwald wird geschlossen und trotzdem wird die Zahl der bedarfsgerechten Pflegeplätze in Wien bis 2015 auf 10.000 ansteigen (Wehsely, 2010). 2 Im Zuge der Umsetzung des Wiener Geriatriekonzeptes wird besonders ein Umfeld gefordert, das die Lebensqualität der Bewohner/innen in den Mittelpunkt stellt. Der Aspekt des „Wohnens“ soll im Vordergrund stehen, jedes Zimmer wird eine Loggia und jedes Haus einen eigenen Garten haben. Die maximal 28 Plätze pro Wohnbereich werden in zwei bis drei Wohnbereiche gegliedert und es entstehen 75 % Einbettzimmer (Leeb, 2009). Die Stadtregierung möchte damit sicherstellen, dass alle Menschen, welche einen Pflegeplatz brauchen, diesen in bester Qualität bekommen. Dem gegenüber steht allerdings der Wunsch der Bevölkerung, ihren Lebensabend möglichst nicht in einem Pflegeheim verbringen zu müssen. Die Daten dazu wurden unter anderem bei einer Pressekonferenz am 17.11.2009 von Bürgermeister Dr. Michael Häupl und Gesundheits- und Sozialstadträtin Mag.a Sonja Wehsely präsentiert. Im Rahmen einer vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) durchgeführten Studie (Rathauskorrespondenz vom 17.11.2009) wurden 1.000 Wiener/innen im Alter von 55 Jahren und darüber befragt, wo und wie sie im Falle einer Pflegebedürftigkeit betreut werden wollen. Die absolute Mehrheit äußerte den Wunsch zuhause betreut zu werden, 69 % von einem Familienmitglied, 68 % mehrmals täglich von professionellen Betreuer/innen und 62 % wünschen sich eine professionelle Rund-um-die-Uhr Betreuung zuhause. Das bedeutet, nur etwas über 30 % der älteren Wiener Bevölkerung möchte in einer Langzeitpflegeeinrichtung betreut werden. Es braucht daher Konzepte und Modelle, um den Menschen das Leben in Wohn- und Pflegehäusern lebenswert zu gestalten. Doch was wünschen sich potenzielle Pflegeheimbewohner/innen von einer Institution? In einer Literaturanalyse kommen Josat et al. (2006) zum Ergebnis, dass sich für Pflegeheimbewohner/innen Kriterien der autonomen Lebensführung sowie die Möglichkeit von sozialen Kontakten und Beziehungen als besonders wichtig herausstellen. Auch Billmann et al. (2009) stellten bei den Untersuchungen zum Thema „Können ältere Menschen noch in Würde altern?“ fest, dass Pflegeheime bei älteren Menschen eine enorme Angst hervorrufen. Sie fordern, dass dieses Angstpotential abgebaut werden muss und herkömmliche Strukturen in der Versorgung älterer Menschen überdacht werden sollten. Neue Modelle, mehr Individualität, somit die Teilnahme am Leben und die soziale Betreuung benötigen einen größeren Stellenwert. Da das Bild in der Öffentlichkeit auch von den Mitarbeiter/innen und Angehörigen beeinflusst wird, müssen Organisationskonzepte künftig neben der Bewohner/innenperspektive auch deren Bedürfnisse integrieren (Billmann et al., 2009). 3 Thomas (2003) beschreibt in seiner Betreuungsphilosophie, dem Konzept der EdenAlternative1, einen möglichen Weg, den Paradigmawechsel in der Betreuung von geriatrischen Langzeitbewohner/innen zu vollziehen. Thomas (2003) setzt sich für „Normalität“ in Pflegeheimen ein, allerdings - und das ist der große Unterschied zu anderen Konzepten - sieht er es als unbedingt notwendig an, alle Mitarbeiter/innen einer Institution (vergleichbar mit einer Großfamilie) bei der Umsetzung miteinzubeziehen. „Normalität“ in Pflegewohnheimen - ein Begriff der modern, innovativ und professionell klingt. Doch gibt es eine theoretische Fundierung, welches Konzept dahinter steckt? Ursprünglich wurde das Normalisierungsprinzip2 für geistig behinderte Menschen in Institutionen entwickelt und schon 1959 im dänischen Fürsorgegesetz verankert (Thimm, 2008). Im Rahmen der geriatrischen Langzeitbetreuung wurde bisher das Normalitätsprinzip von Böhm (1999) im Rahmen seines psychobiografischen Pflegemodells als Gestaltungsprinzip aufgenommen. Das Konzept der Eden-Alternative behauptet, der „Normalität“ zu entsprechen, allerdings wurde noch kein Vergleich hergestellt, ob diese Betreuungsform dem Normalitätsprinzip entspricht. 1.1 Ziel und Forschungsfragen Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, ausgehend von einer Literaturrecherche, die Inhalte des Konzepts der Eden-Alternative und das Normalisierungsprinzip auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu überprüfen. Weiters sollen person-zentrierte Konzepte, die in der Geriatrie angewendet werden, vorgestellt werden. Daher lauten die Forschungsfragen: Gibt es Geriatriekonzepte, die dem Normalitätsprinzip entsprechen? Entspricht das Konzept der Eden-Alternative dem Normalitätsprinzip? Das Konzept der Eden-Alternative wurde ausgewählt, da es - aufgrund des gesamtbetrieblichen Ansatzes - am ehesten dem Grundsatz der Normalität zu entsprechen scheint. 1 Der Begriff Eden-Alternative ist eine eingetragene Marke. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde die lesefreundliche Schreibweise Eden-Alternative gewählt. 2 Im Folgenden wird der Terminus „Normalisierungsprinzip“ nur im Zusammenhang mit dem Ursprungskonzept verwendet, ansonsten der gebräuchlichere Begriff „Normalitätsprinzip“. 4 1.2 Aufbau der Arbeit Nach der Einleitung werden im zweiten Kapitel der Arbeit mögliche Gründe erläutert, warum Menschen die Institution Pflegeheim einerseits ablehnen oder andererseits doch annehmen können. Es wird das Normalisierungskonzept beschrieben, welches ursprünglich aus dem Bereich der Behindertenbetreuung kommt. Zur Fragestellung „Gibt es Konzepte in der Geriatrie, die dem Normalitätsprinzip entsprechen“? werden im dritten Kapitel die Validation nach Feil (2002), der person-zentrierte Ansatz nach Kitwood (2008) und das psychobiografische Modell nach Böhm (1999) vorgestellt. Zur Beantwortung der Forschungsfrage „Entspricht das Konzept der Eden-Alternative dem Normalitätsprinzip?“ wird mit einer genauen Beschreibung des Konzeptes begonnen und anschließend, im vierten Kapitel, ausgehend vom Normalisierungsprinzip, die Eden-Alternative als möglicher Lösungsansatz verglichen. Dabei werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Konzepte herausgearbeitet und interpretiert. Abschließend erfolgen die Zusammenfassung, Beantwortung der Forschungsfragen und ein Ausblick. 5 2. Ausgangssituation Derzeit werden mehr als 80 % der pflegebedürftigen Menschen in Österreich von Angehörigen zuhause gepflegt. Im Endbericht „Zur Situation pflegender Angehöriger“, vom österreichischen Bundesinstitut für Gesundheit (2005) wurden 1.151 ausgefüllte Fragebögen in die Studie aufgenommen. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Betreuung zuhause nach wie vor überwiegend von Frauen übernommen wird. 79 % sind Lebenspartnerinnen, Töchter und Schwiegertöchter im Alter zwischen 20 und 96 Jahren. Wobei das Durchschnittsalter der pflegenden Angehörigen 58 Jahre beträgt. Die schwierige finanzielle Situation für viele pflegende Angehörige - 47 % verfügen über kein oder ein Einkommen bis € 700.-, und die psychische Belastung - 70 % fühlen sich zwischen ab und zu und fast immer überbelastet, erschweren die Betreuung zuhause (Pochobradsky et al., 2005). Hopfmüller (2004) beschreibt die gleiche Problematik und führt weiter fort: „Ihre Belastung ist groß, die sozialen Kontakte eingeschränkt, häufig sind sie gesundheitlich beeinträchtigt, wie viele Studien zeigen. (…) Wenn Angehörige durch die Pflege an ihre Grenzen kommen, bleibt oft nur eine Heimunterbringung“ (Hopfmüller, 2004, S. 70). Die Leistungsfähigkeit der familiär erbrachten Pflege und Betreuung wird, aufgrund der demografischen Entwicklungen, der Zunahme alter und hochaltriger (85+) Menschen, längerer Erwerbsbiografien, erhöhtem Mobilitätsanspruch und des Ansteigens an Single-Haushalten, sinken. Das Institut für Pflegewissenschaft führte eine Studie zum Thema „Kurzzeitpflege als entlastende Maßnahme für pflegende Angehörige“ durch und kam zum Ergebnis, dass sich die Bedürfnisse und Erwartungen an das Pflegeheim zum Großteil an ihren pflegebedürftigen Angehörigen orientieren. Sie fühlen sich entlastet, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Angehörigen gut betreut - „in guten Händen“ - sind. Mit der Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege sind die Erwartungen verknüpft, dass die Angehörigen möglichst so betreut werden wie zuhause. Den Autoren der Studie erscheint es besonders wichtig, das Augenmerk darauf zu legen, Vertrauen zu entwickeln - Vertrauen zu der Institution, in der die Pflegebedürftigen vorübergehend versorgt werden. Eine der grundlegenden Erkenntnisse aus der Studie ist, dass der Aufenthalt in der Kurzzeitpflege dann als entlastend erlebt wird, wenn die Betreuung in möglichst vielen Bereichen wie zuhause erfolgt, also an der jeweiligen „Lebenswelt“ des/r Pflegebedürftigen orientiert ist. An der Lebenswelt ausgerichtete Betreuung orientiert sich auf der Ebene der Interaktion und darauf, wie mit den Pflegebedürftigen umgegangen wird. Die Individualität des Einzelnen muss 6 ermöglicht, der Alltag aufrechterhalten sowie an die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen angepasst werden. Eine weitere Ebene der Lebensweltorientierung bezieht sich auf die Gestaltung der räumlichen Struktur. Diese strahlt für viele eine krankenhausähnliche Atmosphäre aus, die zum „Wohnen“ nur schwer geeignet ist. Die Gestaltung des räumlichen Umfeldes ist ein wesentlicher Beitrag, damit der „Wohlfühlfaktor“ ermöglicht wird (Nagl-Cupal et al., 2006). Auch wenn im Rahmen dieser Untersuchung pflegende Angehörige im Zusammenhang mit „Kurzzeitpflege“ befragt wurden, so sind die Ergebnisse auch für die Langzeitpflege umlegbar. Eine Langzeitpflegeeinrichtung ist eine Lebenswelt mit einer soziologisch vorgegebenen alltäglichen Wirklichkeit, in der der Mensch - meist bis zum Lebensende - bleibt. Die Lebenswelt ist intersubjektiv geteilt und somit sozial, allerdings ist es eine meist unfreiwillig gewählte. Dadurch kommt es zu einer Verlagerung des individuellen Lebensmittelpunktes von der eigenen Wohnung in das Zimmer eines Pflegewohnhauses. Die Identität der Person leidet und soziale Isolation wird als Hauptmerkmal angeführt. Wenig Besuche von Angehörigen, Verlust von Kontakten zu Bekannten (wegen diverser Einschränkungen) und die fehlende Verbindung zu anderen Bewohner/innen verursachen diese Isolation (Billmann et al., 2009). Billmann et al. (2009) beschreiben weiters die deutliche Grenze zwischen den Bewohner/innen und den Mitarbeiter/innen in Langzeitpflegeeinrichtungen. Grund dafür sind die unterschiedlichen Perspektiven: Lebenswelt für Bewohner/innen und Arbeitswelt für Mitarbeiter/innen. Die Beziehung zwischen diesen beiden Gruppen definiert sich häufig ausschließlich über monetäre Dienstleistung und nicht über persönliche Pflege und Betreuung. Die Autoren sind sich einig: Wer Menschen helfen möchte deren Würde zu bewahren, muss sie als Person achten und ihnen Freiheit lassen. Zum würdevollen Umgang ist die eigene Haltung Voraussetzung, es bedarf sich Zeit zu nehmen, Respekt zu haben und Verständnis zu zeigen. In einer Studie wollten die Autoren Billmann et al. (2009) die Frage „Können ältere Menschen noch in Würde altern?“ beantworten. Dazu wurden Forschungsgruppen gebildet und die Gruppe der Menschen genauer betrachtet, die in einer Institution lebten. Mittels Interviews wurden 12 Bewohner/innen, die durchschnittlich seit zwei Jahren im Pflegeheim wohnten, befragt. Zusammenfassend kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass der Anspruch auf Würde nicht erfüllt wurde. Der Heimeintritt stellte für die Betroffenen eine neue Lebenssituation dar, welche mit Verlusten verbunden war. Die Verringerung von Kontakten, einseitige Tagesabläufe und vorgegebene Regeln bewirkten, dass die Bewohner/innen kaum noch Ansprüche stellten. Die oft schlechte finanzielle Situation wirkte sich auch negativ auf das Selbstwertgefühl aus. Das Personal übte eine Kontrollfunktion aus und die Bewohner/innen erlebten dies 7 als persönliche Freiheitseinschränkung. Je höher der Pflegeaufwand, desto größer die Abhängigkeit vom Pflegepersonal. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass für ein positives Erleben der „Lebenswelt Heim“, ein so „normal wie möglich“ notwendig ist. Würde, Autonomie, familiäre Strukturen, Kontakte zur Außenwelt und vieles mehr wird sowohl von Betroffenen als auch von Angehörigen gefordert. Doch wenn man im Zusammenhang mit geriatrischer Langzeitbetreuung von „Normalität“ spricht, welche Konzepte bauen darauf auf und werden angewandt? Um diese Frage zu beantworten, muss die geschichtliche Entwicklung des Normalisierungsprinzips betrachtet werden, da dessen Ursprung schon vor über 50 Jahren begründet wurde. 2.1 Das Normalisierungsprinzip Das Konzept des Normalisierungsprinzips wurde erstmals von Niels Erik Bank-Mikkelsen, in Zusammenhang mit den Lebensbedingungen von institutionalisierten geistig behinderten Menschen in Dänemark beschrieben. Dort wurde bereits 1959 im dänischen Gesetz der Grundsatz „ein Leben behinderter Menschen so normal wie möglich“ verankert. „Das Normalisierungsprinzip beinhaltet, allen Menschen mit geistiger Behinderung Lebensmuster und Alltagsbedingungen zugängig zu machen, die den üblichen Bedingungen und Lebensarten der Gesellschaft soweit als möglich entsprechen“ (Nirje, 1994, S.177). 2.2 Der Ursprung des Normalisierungsprinzips Die erste Darstellung in der Fachliteratur erfolgte 1969 durch den Schweden Bengt Nirje. Er formulierte folgende acht grundlegende Prinzipien. 2.2.1 Ein normaler Tagesrhythmus Dies betrifft sämtliche Aktivitäten des täglichen Lebens, wie morgens aufzustehen, die Durchführung der Körperpflege und das Ankleiden, Essen einnehmen, an sinnvoller Betätigung teilnehmen sowie Gemeinschaft und Begegnung mit anderen Menschen. Weiters Flexibilität in der Tagesgestaltung und entsprechend den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen schlafen zu gehen (Thimm, 2008). 8 2.2.2 Trennung von Arbeit, Freizeit und Wohnen Üblicherweise finden die Lebensbereiche Wohnen, Arbeit und Freizeit an unterschiedlichen Orten statt. Daher entspricht es nicht dem Normalisierungsprinzip, wenn alle Angebote in einem Haus, noch dazu dem „Zuhause“, stattfinden. Das Zuhause soll ein Ort sein, in dem Ruhe und Sicherheit sowie Geborgenheit vorherrschen. Zwischen den Bereichen muss zumindestens eine räumliche Trennung gegeben sein. Freizeit dient der Erfüllung persönlicher Interessen und spielt auch gesellschaftlich eine wichtige Rolle als ein Ort der Begegnung und des Kontakts. Außerdem sollte die Verlagerung von Aktivitäten nach draußen stattfinden (Thimm, 2008). 2.2.3 Ein normaler Jahresrhythmus Normalisierung bedeutet, den natürlichen Jahresablauf, den Wechsel der Jahreszeiten durch Einhalten von Feiertagen, Ferien und Familientagen, erleben zu können. Es sollte selbstverständlich sein, einmal im Jahr auf Urlaub zu fahren und auch die Jahreszeiten müssen zum Beispiel durch Kleidung oder saisonale Nahrungsmittel erlebt werden können (Thimm, 2008). 2.2.4 Ein normaler Lebensablauf Damit sind möglichst normale Lebensbedingungen in allen Lebensphasen gemeint: Kontakt zur „normalen“ Gesellschaft zu gewährleisten, Kompetenzen und soziale Fertigkeiten zu entwickeln, um in der Alltagsroutine möglichst unabhängig zu sein und auch im Alter Kontakte aufrechterhalten zu können (Thimm, 2008). 2.2.5 Respektieren von Bedürfnissen Hier geht es um die Achtung des persönlichen Besitzes, Beteiligung an Entscheidungen und auch Menschen mit Ausdrucksschwierigkeiten die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Im Wohnheim dürfen Zimmer nicht einfach betreten werden, die gesellschaftliche Regel anzuklopfen muss auch im Umgang mit Bewohner/innen Gültigkeit haben. Es ist auch Teil der Individualität eigene Entscheidungen treffen zu können, sowohl bei kleinen, alltäglichen Dingen wie Wahl der Kleidung oder des Essens, aber auch bei großen Entscheidungen, wie Wohnort oder Partnerwahl (Thimm, 2008). 9 2.2.6 Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern Nirje verbindet damit das Zusammenleben beider Geschlechter sowie das Recht auf Sexualität als gesellschaftlich üblichen Umstand - auch innerhalb des Wohnheimes (Thimm, 2008). 2.2.7 Normaler wirtschaftlicher Standard Ein Teil des Einkommens soll zum persönlichen Gebrauch zur Verfügung stehen, um an individuellen Freizeitangeboten teilnehmen und eigene Bedürfnisse und Interessen umsetzen zu können (Thimm, 2008). 2.2.8 Standards von Einrichtungen Der Einrichtungsstandard muss sich am Maßstab dessen messen, was allen Menschen in ihrer gewohnten Gesellschaft geboten wird. Das heißt, ein Wohnheim muss in Größe und Ausstattung dem Durchschnitt des Umfelds entsprechen und soll in die Umgebung passen. Es bedeutet auch, dass die Bewohner/innen die technischen Hilfen bekommen, die sie benötigen, um ihre Mobilität und somit auch die soziale Handlungsfähigkeit zu verbessern (Thimm, 2008). 2.3 Weiterentwicklung des Normalisierungsprinzips Eine systematische Zusammenfassung, auch unter theoretischen Gesichtspunkten, legt der Deutsch-Amerikaner Wolfensberger 1972 vor. Er verfolgt dabei die Absicht, das Prinzip auf nordamerikanische Verhältnisse zu übertragen. Dabei beschreibt er es erstmals als universelles Prinzip für „human management“. Wolfensberger (1986) präzisiert, dass sich Normalisierung sowohl auf die angewandten Mittel der Förderung und Betreuung Behinderter bezieht, als auch auf das Erscheinungsbild und die Verhaltensweise der Menschen selbst. Für Wolfensberger (1986) bedeutet Normalisierung den Einsatz von kulturell üblichen Mitteln mit dem Ziel, Menschen Lebensbedingungen (unter anderem Wohnbedingungen, Gesundheitsdienste) zu ermöglichen, welche allen Bürger/innen entsprechen. Diese sollen auch soweit wie möglich ihre Verhaltensweisen, ihr Erscheinungsbild (z. B. Kleidung), ihre Erfahrungen, ihren Status und ihr Ansehen fördern und unterstützen. Ausdrücklich weist Wolfensberger darauf hin, dass sich Normalisierung sowohl auf die Mittel- als auch auf die Zieldimension bezieht. Er verwendet „normalized“ sowohl für die Strukturen des gesamten 10 Dienstleistungssystems, als auch in Hinblick auf das person-zentrierte Ziel „to be normalized“, wofür „to be integrated“ als Synonym gebraucht wird. Er kritisiert, dass weder Bank-Mikkelsen noch Nirje die wichtige Dimension des sozialen Ansehens in ihrem Normalisierungskonzept angesprochen haben (Wolfensberger, 1986). Doch gerade die Aufwertung der sozialen Rolle erscheint Wolfensberger so wichtig, dass er das Konzept der Normalisierung überarbeitet und um zwei Strategien erweitert. Die erste Strategie besteht darin, das „soziale Image“ aufzuwerten. Dieses besteht aus Vorstellungen, die sich andere (Außenstehende) von dieser Person oder Gruppe machen. Beeinflusst wird dieses Bild unter anderem von Wertvorstellungen, Rangordnungen, Hörensagen, Aussehen und Kleidung. Die zweite Strategie bezieht sich auf die Aufwertung oder Erhaltung der tatsächlichen Kompetenzen der Person oder Gruppe. Dadurch werden Menschen positiver wahrgenommen und es gilt, bestehende Kompetenzen zu erhalten oder zu verbessern. Solche Kompetenzen können sein: Fähigkeiten und Fertigkeiten in Spiel, Sport, Kunst oder Musik, Höflichkeit, Geduld, Wahrnehmungsvermögen, emotionale Ausgeglichenheit und vieles mehr. Mit diesen Erkenntnissen ändert Wolfensberger das „Normalisierungsprinzip“ um und nennt es nun „Aufwertung der sozialen Rollen“. Daraus ergibt sich folgende Definition: „Der weitest mögliche Einsatz kulturell positiv bewerteter Mittel mit dem Ziel, Menschen eine positiv bewertete Rolle zu ermöglichen, sie zu entwickeln, zu verbessern und/oder zu erhalten“ (Wolfensberger, 1986, S. 172). 2.4 Übertragung des Normalisierungsprinzips in die stationäre geriatrische Langzeitbetreuung Auch wenn dieses Konzept ursprünglich für die Betreuung von geistig behinderten Menschen entwickelt wurde, erscheint es auf die Praxis der Geriatrie übertragbar. Schon heute ist bei 43,2 % der Menschen die Entwicklung einer Demenz der Hauptgrund, in eine stationäre Langzeiteinrichtung zu übersiedeln (Wiener Gebietskrankenkasse, 2009). Laut Bericht von Wancata (2002) in der Wiener Medizinische Wochenschrift leiden 63,5 % aller ins Pflegeheim aufgenommenen Personen an einer Form der Demenz. Das Bundesministerium für Gesundheit (Deutschland) hat 2006 für die Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt (Bartholomeyczik, 2006). 11 Festgehalten wird als Leitidee für die Organisation das Normalitätsprinzip: Menschen mit geistiger, körperlicher oder seelischer Beeinträchtigung müssen die Möglichkeit haben, ein normales Leben mit Behinderung zu führen. Für die Autoren bedeutet „Normalität in der Geriatrie“ Selbstbestimmung, Autonomie, „Person sein können“. Die Stärkung der eigenen Fähigkeiten, des Selbstvertrauens, Mitbestimmungsrecht und Wahlmöglichkeiten stehen im Vordergrund. Als wesentlichstes Element ist der Beziehungsprozess zwischen Pflegenden und Bewohner/innen genannt (Bartholomeyczik, 2006). Der Denkansatz von Wolfensberger, Normalisierung in das Spannungsfeld gesellschaftlicher Erwartungen auf der einen und individuelle Erscheinungsweisen auf der anderen Seite zu stellen, erscheint passend für den Stellenwert der alten Menschen in unserer Gesellschaft. Weiters formuliert Wolfensberger das Normalisierungskonzept als Theorie und beschreibt folgende Phänomene: Es soll sich nicht nur auf geistig behinderte Menschen beziehen, sondern darüber hinaus auf alle Menschen, die aus anderen Gründen (wie z. B. Lebensweise, Nationalität, Alter) von ihrer Umgebung abgelehnt und abgewertet werden. Das Normalisierungsprinzip muss andere, bereits bestehende Konzepte, die sich nur auf Teilaspekte beziehen, einbeziehen können. Da Ziele und Wege im Dienst am Menschen sehr eng miteinander verknüpft sind, muss das Konzept auch etwas darüber aussagen, welche der zahlreichen Wege zu bevorzugen sind. Im nachfolgenden Kapitel werden Konzepte näher beschrieben, die in der Betreuung von geriatrischen Menschen in Langzeitpflegeeinrichtungen häufig zum Einsatz kommen und im Zusammenhang mit „Normalität“ immer wieder genannt werden. 12 3. Problemstellung In der Literatur (z. B. Löser, 2008; Gatterer, 2003) sind etliche Pflegekonzepte und -modelle für die Betreuung geriatrischer Menschen beschrieben, welche unterschiedliche Schwerpunkte und Zielsetzungen aufweisen. Viele Autoren (u. a. Böhm, 1999; Kasten et al., 2004) sehen es als unabdingbar, die „Normalität“ in Pflegewohnheimen zu integrieren. Weg von einer Defizitbetrachtung, weg von einer totalen Institutionalisierung und damit der Fremdbestimmung, hin zu einem Leben mit Einschränkungen, welches Selbstbestimmung, Würde und Begegnungen ermöglicht. Die Modelle mit person-zentrierten Ansätzen stellen den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt. 3.1 Person-zentrierte Konzepte In den letzten Jahrzehnten sind, besonders im Hinblick auf demenzerkrankte Menschen, neue „person-zentrierte“ Konzepte entstanden. Diese grenzen sich insbesondere von der bisherigen ausschließlich medizinischen Sicht der Demenz ab (Schneider, 2007). In diesem Kapitel werden einige, besonders im deutschsprachigen Raum bekannte und auch schon praktizierte Ansätze, kurz vorgestellt. 3.1.1 Validation nach Feil Die Amerikanerin Naomi Feil (2002) studierte Psychologie und Sozialarbeit und entwickelte bereits ab Mitte der 1960er Jahre das Konzept der Validation für desorientierte sehr alte Menschen. Statt das Verhalten desorientierter Menschen zu korrigieren, werden bei ihr Gefühle validiert, d.h. respektiert und reflektiert. Den theoretischen Annahmen liegen verschiedene Prinzipien aus der analytischen und humanistischen Psychologie zugrunde. Das dementiell veränderte Verhalten wird als Versuch der Betroffenen verstanden, vergangene Lebenskrisen und Konflikte zu verarbeiten. Eine von Feils (2002) Grundannahmen ist: „Es gibt immer einen Grund hinter dem Verhalten von desorientierten, sehr alten Menschen“ (S.13). Sie stützt sich auf Eriksons IdentitätsEntwicklungstheorie und ergänzt sie um ein neuntes Lebensstadium - das „hohe Alter“, dessen Aufgabe es ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Ein Misslingen dieser Aufgabe führt zum „Vegetieren“. Der Rückzug des Dementen in die Vergangenheit dient nach Ansicht von Feil dem Lösen von nicht bewältigten Gefühlen oder Konflikten. Aufgabe der Validationsanwender ist, diesen Aufarbeitungsprozess zu begleiten, 13 indem sie die Gefühle validieren und dem Menschen damit ermöglichen, in einem „aufgeräumten Haus“ zu sterben. Die Prinzipien der Validation sind: Empathie, Wärme, Achtung, den Patienten kennen und sein Ziel verstehen lernen. Es geht keineswegs darum, dem alten Menschen etwas vorzumachen oder sein Verhalten zu interpretieren. Statt Verhalten durch Realitätsorientierung zu korrigieren, werden Gefühle akzeptiert, reflektiert und die Erlebniswelt des Menschen respektiert. Validation bedeutet, den demenziell erkrankten Menschen als Person mit besonderen Bedürfnissen zu betrachten und durch Einfühlungsvermögen das Selbstwertgefühl wieder herzustellen (Feil, 2002). Positiv an der Validation ist, dass der demente Mensch ernst genommen wird und sich die Interaktion an der subjektiven Realität und den Bedürfnissen des Einzelnen orientiert. Die praktische Bedeutung für die psychogerontologische Betreuung ist nicht zu bestreiten. Negativ fällt vor allem das schwache theoretische Gerüst, auf dem das Konzept der Validation aufbaut, ins Gewicht. Die Kritik betrifft vor allem die Grundannahme, verwirrtes Verhalten als Versuch der Vergangenheitsbewältigung zu verstehen. Es fehlt außerdem die Förderung von alltagsnahen Kompetenzen und somit der Selbständigkeit. Ein weiterer Schwachpunkt des Konzeptes ist die Ausklammerung der institutionellen Rahmenbedingungen, die allerdings für einen gesamtbetrieblichen Ansatz notwendig sind. 3.1.2 Person-zentrierter Ansatz nach Kitwood Der person-zentrierte Ansatz des englischen Psychologen Tom Kitwood (2008) baut unter anderem auf Rogers Theorien der humanistischen Psychotherapie auf. Seine Forderung nach einer neuen Demenzkultur, in der die Einzigartigkeit der Person im Mittelpunkt steht, hat einen großen Stellenwert in der Betreuung demenzerkrankter Menschen. Kitwood kritisiert die diskriminierende gesellschaftliche Haltung älteren und behinderten Menschen gegenüber, die zur Depersonalisation und Entwürdigung des Menschen führt. Als Erklärung dafür nennt Kitwood die eigenen Ängste vor Gebrechlichkeit, Abhängigkeit, Sterbeprozess, Tod und geistiger Instabilität, denen sich jede/r im Umgang mit dem Thema Demenz stellen muss. Kitwood stellt das Standardparadigma infrage, das die Alzheimer-Demenz als rein neuropathologischen, degenerativen Prozess darstellt und fordert, dass auch die sozialen und psychologischen Faktoren für die Entstehung und den Krankheitsverlauf erforscht werden müssten. Als Hauptaufgaben der Pflege von Menschen mit dementiellen Erkrankungen sieht Kitwood, das Erhalten und Stärken des „Person seins“ mit dem Ziel, die Folgen der 14 neurologischen Beeinträchtigungen auszugleichen. Er ist davon überzeugt, dass die Identität intakt bleibt, wenn Andere sie festhalten (Kitwood, 2008). Für Kitwood ist das wichtigste psychische Bedürfnis von Menschen mit Demenz das Bedürfnis nach „Liebe“. Weitere Grundbedürfnisse sind die nach Identität, Trost, Bindung/Verlässlichkeit, Einbeziehung und Beschäftigung. Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, braucht es seiner Ansicht nach neue Organisationsstrukturen in Pflegeheimen, bessere Personalentwicklung und mehr finanzielle Mittel. Kitwoods Auffassung einer optimalen Betreuung ist nicht vom Versuch beherrscht, in irgendeiner Weise auf den zu Betreuenden einzuwirken. Optimale Betreuung in seinem Sinne zeigt eher die Tendenz, das komplette „Rundherum“, insbesondere die Pflegebeziehung so auf den/die Betreuten auszurichten, dass dieser möglichst wenig durch sein „Betreut werden“ beeinträchtigt und das Wohlbefinden der Betreuten und der Betreuenden gesteigert wird. Kitwood hat für sein Konzept an der Universität Bradford eine Methode entwickelt, wie qualitätsvolles Handeln evaluiert werden kann. „Dementia Care Mapping“ dient zur Erfassung des Pflegeprozesses und zur Darstellung des Verhaltens von Menschen mit Demenz. Die in einem aufwendigen Verfahren gesammelten Daten geben Auskunft über Wohlbefinden und Zufriedenheit der dementen Menschen (Innes, 2004). Im Unterschied zur speziell validierenden Pflege wird hier noch mehr die Person selbst in den Mittelpunkt gestellt, zudem wird die Erkrankung auch als gesellschaftliches Problem betrachtet. Doch auch bei Kitwood stehen die Betreuung und der Umgang mit psychogerontologischen Menschen im Vordergrund und es fehlt eine gesamtbetriebliche Ausrichtung. 3.1.3 Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm Der österreichischer Pflegewissenschaftler Erwin Böhm (1999) beschäftigt sich bereits seit den 1960er Jahren mit pflegerelevanten Fragen in der Altenbetreuung. Sein Interesse gilt zunächst den strukturellen Bedingungen, er prägt den Begriff „Warm-Satt-Sauber-Pflege“. Als Krankenpfleger in der Psychiatrie liegt sein Fokus insbesondere auf psychisch kranken, alten Menschen und deren Verhalten. Wesentlich ist die psychische Wiederbelebung („Reaktivierung“) des alten Menschen, die maximale Förderung seiner noch vorhandenen Ressourcen und Anerkennung seiner psychobiografisch gewachsenen Identität. Auffällige Verhaltensweisen lassen sich laut Böhm nur im Lichte der individuellen Biografie und der daraus ableitbaren „Prägung“ verstehen. Es ist also wichtig, die psychobiografische 15 Normalität der Menschen zu kennen und wiederherzustellen. Die Anwendung des psychobiografischen Pflegemodells lässt grundsätzlich eine Reaktivierung, d.h. eine deutliche Verbesserung des psychischen Zustandes des dementen Menschen zu, indem sie die Demenz nicht als organisches, sondern als psychobiografisch interpretierbares Produkt sieht. Der demenzkranke Mensch bleibt in seinem Gefühl, also seiner Thymopsyche erreichbar. Durch Schlüsselreize, welche aus der individuellen und kollektiven Biografie abgeleitete werden, kann die Lebensenergie wieder entfacht werden. Unbedingt erforderlich ist es, auf die jeweilige individuelle „Normalität“ des Einzelnen einzugehen - Normalität ist das, was für einen bestimmten Menschen, in einem bestimmten Milieu zur Zeit seiner Prägung üblich war. Pflegepersonen sollen bei der Bewältigung von Aufgaben helfen, sie ihm aber nicht abnehmen. Böhm stützt sich auf den „Normalisierungsgrundsatz“ von Bank-Mikkelsen und Nirje, allerdings im Zusammenhang mit Psychogerontologie und unter dem Gesichtspunkt der Psychobiografie (Böhm, 1999). Im „Normalitätsprinzip nach Erwin Böhm“ wird der Mensch aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen gesehen. Der Mensch besteht aus Körper, Geist und Seele. Die Aufgabe der Pflegeperson ist vorwiegend die Anregung und Begleitung der Bewohner/innen. Die Normalität muss aus dem Milieu, aus dem ein/e Bewohner/in ins Heim kommt und aus der Umgebung abgeleitet werden. Der Mensch erlebt das Gefühl, noch seine eigene Persönlichkeit leben zu dürfen (Vonwald, 2008). Im wissenschaftlichen Kontext handelt es sich bei Böhm um deskriptive Zugänge, basierend auf teilnehmende Beobachtungen im eigenen Arbeitsfeld und daher keine Forschungsarbeiten im herkömmlichen Sinn. Das Besondere an seiner Arbeit ist die autodidaktische Konzeption (Schneider, 2007). Die vorgestellten Konzepte zeigen eindeutig Ansätze von „Normalität“, allerdings immer im Umgang mit psychisch erkrankten alten Menschen. Außerdem fehlt der gesamtbetriebliche Ansatz und es bleibt offen, wie der Wunsch nach „Normalität“ im Lebensalltag umgesetzt werden kann. Eine noch relativ junge Betreuungsphilosophie ist das Konzept der Eden-Alternative. Sie wurde erst vor etwa 20 Jahren konzeptualisiert und behauptet von sich, das „Normalitätsprinzip“ zu sein. Diese These soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden. Im folgenden Kapitel wird das Konzept der Eden-Alternative genau beschrieben. 16 3.2 Gesamtbetriebliches Konzept – die Eden-Alternative Das Konzept der Eden-Alternative beinhaltet einen Paradigmawechsel in der Betreuung von Menschen in Langzeiteinrichtungen und zeigt einen vollkommen neuen Blick auf Pflegeheime. Aus dieser Sicht wird das Leben im Heim als ein gemeinsames, abwechslungsreiches und menschliches Miteinander gesehen. Es gibt Platz für Tiere und Pflanzen, sowie genügend Raum für Entscheidungen und Kontakte mit der Außenwelt. Weg von der Defizitbetrachtung, weg von der Institutionalisierung hin zum Normalitätsprinzip im Alltag eines Lebensabends (Monkhouse & Wapplinger, 2003). Die person-zentrierten Konzepte finden sich in der Eden-Alternative durchaus wieder, sowohl ein individueller, als auch ein „kollektiver“ Zugang lassen Normalität lebbar werden. 3.2.1 Geschichtliche Entstehung des Konzepts der Eden-Alternative Zu Beginn der 1990er Jahre übernahm der Allgemeinpraktiker und Geriater Dr. William Thomas ein Pflegeheim in New York. Wie im Studium erlernt, behandelte er die Bewohner/innen nach bestem medizinischen Wissen und Gewissen, merkte aber sehr bald, dass es andere Probleme gab, die nicht medizinisch behandelbar waren. Thomas (2003) beobachtete die Heimbewohner/innen und erkannte rasch folgende Faktoren: Die Bewohner/innen litten an Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile. Im Gegensatz dazu standen die engagierten Bestrebungen der Betreuer/innen, optimale Pflege zu gewährleisten, auch Aktivitätsprogramme wurden angeboten und außerdem war die Gesellschaft von Gleichaltrigen vorhanden. Daraus resultierte allerdings folgende problematische Situation: Das Personal bestimmte die Aktivitäten und ließ keinerlei Raum für die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner/innen. Als Reaktion entwickelte Thomas gemeinsam mit seiner Frau Judith das Konzept der Eden-Alternative (Thomas, 2003). Der Name bedeutet: „Eden als Referenz an die Inspiration aus der Schöpfungsgeschichte, die den Weg zu Vielfalt, Wachstum und stärkendem Miteinander ebnet; Alternative, weil es etwas anderes als das bisher Gewohnte braucht, um die Leiden betagter Menschen - Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile - zu bekämpfen“ (Thomas, 2003, S. 45). Es sollte eine Umwelt geschaffen werden, in der gemeinsam mit älteren Menschen ein lebenswertes Leben stattfindet. Eine Welt in der, vergleichbar mit dem „Garten Eden“, vielfältige Stimmen zu hören sind und auch gehört werden. Ein Garten, in dem jeder herzlich willkommen ist und mitreden soll. Mit der Entwicklung des Konzepts war der erste Schritt getan. 17 Thomas und sein Team begannen die Ursachen der genannten Probleme zu erfassen und erarbeiteten Strategien, um das Konzept der Eden-Alternative in seinem Pflegeheim umzusetzen. 3.2.2 Die zehn Grundsätze des Konzepts der Eden-Alternative Thomas (2003) beschreibt zehn Grundsätze des Konzepts der Eden-Alternative, die unveränderlich, allerdings durch die praktische Umsetzung in ständiger Entwicklung sind. Er nennt als Hauptursachen für die Probleme in Heimen Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile. Diese drei „Plagen oder Qualen“, in unserem Sprachgebrauch würden wir eher von drei „Dimensionen“ sprechen, sind für das Leiden in Pflegeheimen verantwortlich (Thomas, 2003). In den folgenden Unterkapiteln werden die zehn Grundsätze von Thomas (2003) jeweils zu Beginn des Kapitels direkt zitiert um die Prägnanz hervorzustreichen. Einsamkeit, Hilflosigkeit, Langeweile „Die drei Qualen - Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile - sind für den Großteil des Leides unserer alten Menschen verantwortlich“ (Thomas, 2003, S. 51). Thomas (2003) definiert Einsamkeit als den Schmerz, der gefühlt wird, wenn Gemeinschaft gewünscht wird, aber nicht möglich ist. Eine einfache Lösung gegen Einsamkeit ist also Gemeinschaft. In einem Pflegeheim sind viele Menschen, die ihre Arbeit verrichten - von der Reinigungsperson bis zur Heimleitung - diese Menschen müssen zum sozialen Umfeld der Bewohner/innen werden. Das bedeutet, persönliche Beziehungen zwischen Bewohner/innen und Personal sind unumgänglich. Mitarbeiter/innen werden nicht nur in ihrer Funktion wahrgenommen, sondern als Menschen, die Interessen haben und auch von der Lebenserfahrung der Bewohner/innen lernen können. Auch Tiere gehören zu dieser Gemeinschaft, Menschen und Tiere leben schon seit jeher in enger Gemeinschaft und sind Bestandteil des alltäglichen Lebens. Tiere bringen den Menschen rund um die Uhr ihre bedingungslose Zuneigung entgegen und wirken so ideal gegen Einsamkeit. Hilflosigkeit bedeutet immer nur nehmen, aber nie geben können. Bewohner/innen in einem Pflegeheim werden zu Hilflosigkeit regelrecht erzogen. Die Pflegepersonen eines Heimes übernehmen sehr viele Tätigkeiten für die Bewohner/innen, dies ermöglicht einen rascheren Ablauf, und damit werden die Bewohner/innen zunehmend mehr in die Hilflosigkeit gedrängt. Niemand macht das absichtlich, es ist schlicht eine ungewollte Konsequenz des Le18 bens in einer herkömmlichen Einrichtung. Menschen haben aber das Bedürfnis nach Ausgewogenheit, niemand will immer nur nehmen, ohne zu geben, daher werden Bewohner/innen immer hilfloser und unglücklicher. Das Mittel gegen Hilflosigkeit ist demzufolge, für jemanden oder etwas zu sorgen sowie Verantwortung zu übernehmen. Möglichkeiten dafür bestehen in der Betreuung von Haustieren, da Tiere Fürsorge brauchen, aber ihre Bedürfnisse wesentlich weniger komplex sind als die Bedürfnisse eines Menschen. Außerdem werden Pflanzen umsorgt und auch kleinere Aufgaben im Heim können von den Bewohner/innen übernommen werden. Unter Langeweile wird der Schmerz beschrieben, wenn im Leben Abwechslung und Spontaneität fehlen. Pflegeheime sind gut strukturiert und organisiert, der tägliche Ablauf ist von Regeln, Standards, Vorschriften und Pflegeplänen geprägt. Wir brauchen aber alle in unserem Alltag eine Brise der Veränderung. Unerwartete Ereignisse und Vorfälle durchbrechen die Routine und liefern Stoff für Gespräche. Gegen Langeweile helfen Kinder, Haustiere und humorvolle Mitarbeiter/innen, denn sie tun immer wieder einmal etwas Unerwartetes (Monkhouse & Wapplinger, 2003). Wohnumgebung „Eine Gemeinschaft, die das Wohl alter Menschen in den Mittelpunkt stellt, verpflichtet sich dazu, eine menschengerechte Wohnumgebung zu schaffen, in der sich das Leben um einen kontinuierlichen engen Kontakt mit Menschen, Tieren und Pflanzen dreht“ (Thomas, 2003, S. 51). Die Wohnumgebung ist in einem Pflegeheim sehr eingeschränkt und der private Lebensraum auf ein Minimum reduziert. Wapplinger (2003) beschreibt den Vergleich der „eigenen vier Wände“ mit der Situation in einem Heim wie folgt: Zu Hause bestimmen wir, wen wir einladen, wir unterscheiden zwischen öffentlichem Bereich (vor der Haustüre), halböffentlichem Raum (Wohnzimmer) und privatem Bereich (Schlafzimmer und Badezimmer). Außerdem ist es üblich, sich durch Läuten an der Haustür bemerkbar zu machen. Im Vergleich mit der Situation in einem Pflegeheim fallen große Unterschiede auf. Die räumlichen Verhältnisse erlauben es fast nicht, dass die Bewohner/innen einen privaten Bereich haben. Auch kommt das Personal immer noch häufig ohne Aufforderung ins Zimmer. Im Sinne des Konzepts der Eden-Alternative soll der Bezug zur Außenwelt hergestellt werden, wie zum Beispiel durch die Integration eines Kindertagesheimes, eines öffentlichen Kaffeehauses oder anderer Geschäfte, wie Friseur- und Kosmetikstudio (Monkhouse & Wapplinger, 2003). 19 Gesellschaft „Eine liebevolle Begleitung ist ein wirksames Mittel gegen Einsamkeit. Alte Menschen verdienen Zugang zur Gesellschaft von Menschen und Tieren“ (Thomas, 2003, S. 51). In der quantitativen Studie „Impact of the Eden-Alternative on Family Satisfaction“ sind 78 Familienmitglieder 2002 zur Familienzufriedenheit befragt worden. Danach wurde das Konzept der Eden-Alternative in dem 150-Betten-Pflegeheim eingeführt und 2004 die verbliebenen 37 Familienmitglieder wieder befragt. Es kam zu einer signifikanten Zunahme der Punkte in der zweiten Befragung. Besonders positiv wurden „Respektvolles Behandeln durch das Personal“ (p=0,033), „Beziehung zu Tieren“ (p=<0,002) und „Kinder zu Besuch“ (p=0,008) bewertet. Der verbesserte Zufriedenheitsfaktor wurde durch eine vermehrte Kommunikation und Interaktion zwischen Familien, Bewohner/innen und Personal erreicht. Dies soll durch folgendes Zitat verdeutlicht werden: „Vor Eden wirkte meine Mutter unglücklich und deprimiert. Ich fühlte mich schuldig. Aber Eden hat das verändert. Ich führe sie herum und wir bleiben bei jedem Vogel, Aquarium und Hasen stehen. Sie und ich füttern ihren Lieblingsvogel jeden Abend. (…) Sie ist glücklich und ich fühle mich nicht mehr schuldig, dass sie in einem Pflegeheim lebt“ (Roshner & Robinson, 2005, S. 192). Fürsorge „Eine altenzentrierte Gemeinschaft sorgt dafür, dass die alten Menschen sowohl Fürsorge erhalten, als auch selbst anderen Wesen Fürsorge angedeihen lassen können“ (Thomas, 2003, S. 51). Fürsorge kann sowohl Menschen, Tieren als auch Pflanzen zuteil werden. Menschen kümmern sich ihr Leben lang um Grünpflanzen, warum soll das in einem Pflegeheim nicht mehr möglich sein? Wenn Bewohner/innen eine Aufgabe haben, zum Beispiel das Gießen der eigenen Pflanzen, wirkt sich das positiv auf die Stimmung aus. Auch Tätigkeiten wie Umtopfen, neu Pflanzen und Säen gehören zum Alltag und sollten in einem Heim nicht fehlen. Besonders schön sind Gärten mit Hochbeeten, wo die Bewohner/innen selbstständig oder mit Unterstützung tätig sein können. Möglichkeiten sind zum Beispiel ein „Garten der Sinne“ - unter anderem mit Duftkräutern oder ein „Naschgarten“ mit diversen Beeren, Blumen und Sträuchern (Monkhouse & Wapplinger, 2003). 20 Abwechslung und Spontaneität „Eine altenzentrierte Gemeinschaft sorgt für Abwechslung und Spontaneität, indem sie ein Umfeld schafft, in dem unerwartete und unvorhersehbare Ereignisse stattfinden können“ (Thomas, 2003, S. 51). Eine gewisse Tagesstruktur ist wichtig und gibt gerade dementen Menschen auch Sicherheit, aber zugleich wird Spontaneität notwendig, um Abwechslung zu schaffen. Ein Beispiel aus dem Pflegeheimalltag: Eine Bewohnerin sitzt beim Frühstückstisch und hat keinen Appetit. Auf die Frage, was sie gerne essen würde, antwortet sie „ein Paar Würstchen“. Ein bescheidener, kostengünstiger Wunsch, der eigentlich erfüllbar ist, da es in einer Großküche immer Würstchen gibt. Doch wie sieht der Alltag aus: Niemand ist bereit diesen kleinen Wunsch zu erfüllen, es gab noch nie Würstchen zum Frühstück, der Wunsch wird nicht beachtet. Meist entscheidet sehr wenig darüber, ob ein alter Mensch traurig ist oder nicht. Würstchen zum Frühstück zu essen bedeutet für diese Bewohnerin Lebensqualität, oft braucht es nur die Bereitschaft auf kleine Wünsche einzugehen (Monkhouse & Wapplinger, 2003). Sinnvolles Tun „Sinnloses Tun zerstört den menschlichen Geist. Wenn wir Gelegenheit bekommen, Dinge zu tun, die wir für sinnvoll halten, trägt dies wesentlich zu unserer Gesundheit bei“ (Thomas, 2003, S. 51). Durch Aufgaben wie „Patenschaften“ für Neuankömmlinge, hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Wäsche waschen, Küchenhilfsdienste oder Betreuung von Kindern bekommt der Tag einen Sinn und wird mit Lebenszeit gefüllt. Zum Alltag gehört auch Beschäftigung die eine Zielsetzung hat. Die Bewohner/innen sollen spüren, dass sie „etwas wert“ sind. Medizinische Behandlung „Medizinische Behandlung sollte im Dienste echter menschlicher Fürsorge stehen“ (Thomas, 2003, S. 51). In einem Pflegeheim steht „Leben mit chronischen Einschränkungen“ im Vordergrund und die Medizin tritt in den Hintergrund. Es sollte medizinisch therapiert werden, aber die Grenzen der Interventionen müssen erkannt werden. Bei der Eden-Netzwerktagung im Jänner 2009 (Dänemark), erzählte Thomas folgendes: „Ich führe am ersten Tag der Ausbildung meine Studenten auf den Friedhof. Dort werden die 21 Grabsteine betrachtet und die Studenten fragen sich nach dem Sinn. Anschließend gehen wir in mein Pflegeheim und ich erkläre ihnen, dass am Friedhof TOTE Menschen liegen, hier - im Heim - LEBEN die Bewohner zu 100%! Es ist die Aufgabe des Arztes das Leben zu sehen, das Herz zu öffnen, um damit ein innerliches Wachsen zu ermöglichen“ (W. Thomas, Vortrag, Jänner 2009). Entscheidungsbefugnisse „Eine altenzentrierte Gemeinschaft bringt den alten Menschen dadurch Respekt entgegen, indem sie versucht, die Entscheidungsbefugnisse soweit wie möglich in die Hände der alten Menschen beziehungsweise ihrer nächsten Angehörigen zu legen“ (Thomas, 2003, S. 51). Die Bewohner/innen und auch deren Angehörige werden ermutigt und angeregt, sich für ihre Bedürfnisse zu engagieren. Mit dem Einzug in ein Heim soll nicht automatisch jegliches Engagement aufgegeben werden. Viele Menschen, die in ein Pflegeheim ziehen, trauen sich aber nicht, ihre Meinungen einzubringen und brauchen Aufforderung. Beispiele könnten sein: Menübesprechungen, Planung und Organisation von Festen und Feiern, Gestaltung und Dekoration der Gemeinschaftsräume und vieles mehr. Der hohe Stellenwert des Einbeziehens der Angehörigen geht aus den Ergebnissen der Studie „Impact of the Eden-Alternative on Family Satisfaction“ hervor. Hier wird angegeben, dass die Anzahl der Besuche der Angehörigen von 43 % auf 57 % gestiegen ist, da diese miteinbezogen werden und sich dadurch wohler fühlen (Roshner & Robinson, 2005). Menschliches Wachstum „Die Schaffung einer altenzentrierten Gemeinschaft ist ein nie endender Prozess. Menschliches Leben darf nie getrennt von menschlichem Wachstum gesehen werden“ (Thomas, 2003, S. 51). In der Pilotstudie „Beyond the Basics - Effects of the Eden-Alternative Model on Quality of Live Issues“ wurde der Einfluss der Eden-Alternative hinsichtlich Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile untersucht (Bergman-Evans, 2004). Die Stichprobe der Eden-Gruppe für die Basisinterviews bestand aus 35 Bewohner/innen, nach einem Jahr wurden 21 Bewohner/innen befragt. Die Kontrollgruppe eines privaten, konventionell geführten Pflegeheimes bestand aus 29 Bewohner/innen beim Basisinterview und 13 Bewohner/innen beim Interview nach einem Jahr. Die Zahlen zeigen, dass schon bei der Basisbefragung die Eden-Gruppe (E) gegenüber der Kontrollgruppe (K) weit weniger an Einsamkeit (E: 52,4 % - K: 79,9 %), Hilflosigkeit (E: 38,1 % - K: 61,5 %) und Langeweile (E: 33,3 % - K: 53,8 %) gelitten hat. Bei der zweiten 22 Befragung nach einem Jahr beurteilten die Bewohner/innen in der Eden-Gruppe den Faktor Einsamkeit gleich, das Gefühl von Hilflosigkeit und Langeweile nahm jeweils auf 23,8 % ab. Bei der Kontrollgruppe wurde etwas weniger Einsamkeit angegeben (69,2 %), aber Hilflosigkeit (69,2 %) und Langeweile (61,5 %) stiegen gegenüber der Ersterfassung an. Zusammenfassend weist die Autorin noch darauf hin, dass es nicht genügt, ein neues Paradigma wie das Konzept der Eden-Alternative einzuführen, sondern dass die Veränderungen auch nach der Einführung beibehalten werden müssen (Bergman-Evans, 2004). Auch wenn es sich hier um eine relativ kleine, nicht randomisierte Stichprobe handelt, sprechen die Zahlen eindeutig für das Konzept der Eden-Alternative. Es ist anzuregen, weitere quantitative und auch qualitative Untersuchungen durchzuführen. Führung „Eine weise Führung ist das Entscheidende im Kampf gegen die drei Qualen. Sie kann durch nichts ersetzt werden“ (Thomas, 2003, S. 51). Im Konzept der Eden-Alternative dürfen Mitarbeiter/innen neue Wege gehen, lernen die Bedürfnisse der Bewohner/innen ernst zu nehmen und sollen entdecken, dass auch sie als Menschen sehr gefragt sind. Dazu ist es erforderlich, den Mitarbeiter/innen die erforderliche Handlungskompetenz zu geben, um die nötigen Entscheidungen zu treffen. Die Führung hat die Aufgabe, ihre Mitarbeiter/innen zu fördern und zu fordern. Neben diesen zehn Grundsätzen des Konzepts der Eden-Alternative beschreibt Thomas (2006) weitere Voraussetzungen, die für die Umsetzung unabdingbar sind. Diese Voraussetzungen werden im nächsten Kapitel beschrieben. 3.2.3 Voraussetzungen für das Konzept der Eden-Alternative Thomas definiert einige Voraussetzungen, um anstelle der traditionellen Pflegeeinrichtungen Orte zu schaffen, an denen sich die Menschen, die dort leben, wohlfühlen. Diese Orte werden bei Thomas „geschützte Orte“ genannt, auf spezifische Bedürfnisse kann in Würde eingegangen werden. Außerdem sieht er damit verbunden auch eine Steigerung der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter/innen (Thomas, 2006). „Das Alter braucht einen Ort, an dem der Widerspruch zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit aufgehoben ist, an dem die Ideen und Praktiken, die mit einem neuen Leben im Alter zusammenhängen, wachsen und reifen können“ (Thomas, 2006, S.73). 23 Menschliche Wärme Das Wohlbefinden hängt ganz erheblich von den Beziehungen zu anderen Menschen ab. Die Fähigkeit, menschliche Wärme zu geben und zu erhalten, ist eine notwendige Eigenschaft für jede Organisation, die einen geschützten Ort für alte Menschen schaffen möchte (Thomas, 2006). Kleine Einheiten Hauptproblem vieler Langzeiteinrichtungen ist, dass sie meist aus wirtschaftlichen Gründen, sehr groß gebaut werden und im Vordergrund stehen immer noch Kostenreduktion und Ablaufrationalisierung. Allerdings ist es viel schwieriger, in großen Gemeinschaften menschliche Wärme zu entwickeln oder zu erleben, da Wärme aus Vertrautheit wächst. Menschen, die in kleineren sozialen Gruppen leben, kennen die gegenseitigen Schwierigkeiten und Nöte. Daher sollte ein Umdenken erfolgen, der Ort für das Leben im Alter muss den darin lebenden Menschen dienen und nicht der Wirtschaftlichkeit (Thomas, 2006). Gleichberechtigtes Miteinander Jede Organisation benötigt eine Leitungsstruktur, je größer eine Langzeiteinrichtung ist, desto größer ist auch die Bürokratie und damit die autoritäre Struktur. Traditionelle Heime sind hierarchisch organisiert und die Transparenz zwischen den Ebenen ist häufig nicht gegeben. Auch in Eden-Heimen herrscht Ordnung, allerdings in weit weniger steiler Hierarchie, da es dabei leichter ist persönliche Beziehungen zwischen den Mitarbeiter/innen und den Bewohner/innen aufzubauen. Menschliche Pflege basiert auf Empathie und menschlicher Wärme (Thomas, 2006). Angepasste Technik Es ist die Frage zu stellen, welche Werkzeuge, Geräte und Techniken hilfreich sind, um einen geschützten Ort für die Heimbewohner/innen zu schaffen. Techniken, die ein Dazugehörigkeitsgefühl fördern und die das Leben im Alter verbessern, können einen Platz finden. Rutschfeste Böden, ausreichende Beleuchtung, gut erreichbare Schränke, barrierefreie Badezimmer und Toiletten tragen viel dazu bei, die Lebensqualität der Bewohner/innen zu steigern. Es sollen auch - zur besseren Eingewöhnung - die eigenen Möbel von zuhause mitgebracht werden können. Damit kann das „Daheim-Gefühl“ verstärkt und somit der Alltag erleichtert werden (Thomas, 2006). 24 Kinder Für Thomas steht die Annäherung der Generationen an erster Stelle. Die Weitergabe der kulturellen Werte einer Gesellschaft geschieht von den Alten an die Jungen. Thomas bemängelt, dass in der heutigen Zeit die junge Generation ohne die „führende Hand“ der Alten aufwächst. Gemeinsame Aktionen ermöglichen es den Jungen, die Bedürfnisse der Älteren kennen zu lernen und umgekehrt (Thomas, 2006). Tiere Es genügt nicht, wenn Tiere nur sporadisch in Altenheime mitgebracht werden. Denn in Institutionen der Eden-Alternative sollen sie fester Bestandteil des täglichen Lebens sein. Sie gehören zum Alltag, leben mit den Bewohner/innen und tragen damit viel dazu bei, die Einsamkeit zu lindern. Einer der großen Vorzüge von Haustieren liegt darin, dass sie Fürsorge brauchen, aber ihre Bedürfnisse wesentlich weniger komplex sind. Daher wird versucht, den Wunsch älterer Menschen für jemanden zu sorgen, mit dem Bedürfnis von Tieren nach Betreuung und Fürsorge, zu verbinden (Thomas, 2006). „Grüne“ Umgebung „Grünes Denken“ ist eine ganzheitliche Sichtweise des Lebens, die im Alter nicht verloren werden soll. Garten, Beete, Blumen und die Beschäftigung damit sind ein Teil dieser ganzheitlichen Sichtweise. Darüber hinaus haben die Pflanzen den Nebeneffekt, dass sie eine Verbesserung des Raumklimas schaffen. Gartenflächen können einen informellen Bereich bilden, wo alle Menschen in Kontakt treten - Personal, Bewohner/innen, Besucher/innen und auch Tiere. Ein Ort der Geborgenheit muss dafür sorgen, dass für alte Menschen der Zugang zu Kindern, Tieren und Pflanzen selbstverständlich bleibt (Kiyota, 2003; Thomas, 2006). Architektur Die Architektur der Einrichtungen allein kann kein menschengerechtes Umfeld schaffen. Der wichtigste Faktor bei dem Konzept der Eden-Alternative ist wirkliche Pflege und echte Anteilnahme. Die Aufgabe der Architektur besteht darin, das Umfeld so zu gestalten, dass es das Personal zu dieser Art von Pflege befähigt und die Bewohner/innen ein lebenswertes Leben führen können. „Die Architektur übernimmt die Rolle der Bühne im Theaterstück. Das Personal hilft den Bewohner/innen, ihr Leben auf der Bühne zu spielen. Titel des Stücks: Das Alter“ (Kiyota, 2003, S. 108). 25 Die architektonische Planung muss sich an der Perspektive der Bewohner/innen orientieren. Kiyota (2003) leitet aus dem Konzept der Eden-Alternative ab, dass das Design eines Umfelds sehr großen Einfluss auf die körperlichen, seelischen, geistigen und spirituellen Erfahrungen eines Menschen hat. Danach haben die Bedürfnisse der Bewohner/innen Vorrang vor denen des Betreuungspersonals. Die Architektur muss berücksichtigen, dass Tiere und Pflanzen als fester Bestandteil einer Einrichtung akzeptiert werden. Ebenso sollen Räume geschaffen werden, die Gelegenheit bieten, Kinder zu betreuen und Familienangehörige mit einzubinden. 26 4. Problemlösung: Normalitätsprinzip versus EdenAlternative Im folgenden Kapitel werden Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede zwischen den Kriterien des Normalisierungsprinzips und des Konzepts der Eden-Alternative herausgearbeitet. Das Ziel ist die Überprüfung, ob das Konzept der Eden-Alternative auf dem „Normalitätsprinzip“ aufbaut und in weiterer Folge ein Alternativkonzept zu person-zentrierten Ansätzen darstellt. Es wird auch die von Wolfensberger (1986) vorgenommene Erweiterung des Normalisierungsprinzips, die Aufwertung der sozialen Rolle in die Bearbeitung mit einbezogen. 4.1 Gemeinsamkeiten In den folgenden Unterkapiteln werden beide Konzepte gegenübergestellt. Da das Normalisierungsprinzip im Kapitel 2 schon ausführlich dargestellt wurde, erfolgt hier nur eine kurze Zusammenfassung der Hauptaussagen. 4.1.1 Tagesablauf Im Normalisierungsprinzip wird gefordert, dass sämtliche Aktivitäten des täglichen Lebens soweit wie möglich - eigenständig und selbstbestimmt erfolgen sollen. Bei dem Konzept der Eden-Alternative ist, als entscheidender Schritt zur Umsetzung in die Praxis, die Veränderung der Denkweise beschrieben: Weg vom Institutionsmodell - Fremdbestimmung zwecks eines fremdbestimmten Ziels -, hin zum Modell Leben mit Unterstützung selbstbestimmt trotz Einschränkungen. Es müssen die wirklichen Bedürfnisse der Bewohner/innen aktiv wahrgenommen und den Mitarbeiter/innen die nötigen Handlungskompetenzen zur Umsetzung gegeben werden. Thomas (2003) geht immer wieder auf die Wichtigkeit des Umdenkprozesses ein, jeder alte Mensch wird schwächer, büßt Kräfte und Fähigkeiten ein und muss damit leben, dass seine Welt kleiner wird. Aber alte Menschen sind keine Opfer, die gerettet werden müssen, indem sie von allen Fragen des Lebens abgeschirmt werden und alles für sie perfekt strukturiert und durchgeführt wird. Es soll gemeinsam mit den älteren Menschen eine Welt geschaffen werden, in der ein lebenswertes Leben stattfindet (Thomas, 2003). Erweitert muss der Begriff „Tagesablauf“ werden, da im Konzept der Eden-Alternative folgendes beschrieben ist: „Eden macht nicht halt, wenn es dunkel wird“ (Jekic, 2003, S. 140). 27 Die Bewohner/innen dürfen auch in der Nacht wach sein, Hunger haben oder spazieren gehen wollen. Anstatt eine Schlafmedikation zu bekommen, werden sie begleitet, es wird ihnen gezeigt, dass sie nicht alleine sind und es wird ihnen ihre eigene „Zeitautonomie“ ermöglicht. Das „Haus für Betagte Sandbühl“3 in Schlieren (Schweiz) hat unter anderem ein „Nachtcafé“ eingerichtet, in dem Bewohner/innen, die keinen Schlaf finden und nicht alleine sein wollen, eine Kleinigkeit essen, fernsehen oder Musik hören können. Laut Aussage von Studer, Leiter des Sandbühls, ist nicht jede Nacht sehr viel Betrieb im Nachtcafé, aber es ist für die Bewohner/innen sehr beruhigend zu wissen, dass sie jederzeit einen Ort der Geborgenheit haben, egal ob Tag oder Nacht (Steiner, 2008). Beschrieben werden auch eine Reduzierung von Schlaf- und Beruhigungsmitteln4, da es „normal“ sein kann nachts nicht schlafen zu wollen. In den Pflegehäusern „Am See“ und „Beugi“, in Zollikon (die ersten Eden-Häuser der Schweiz), gab es im Jahr 2001 62 % Bewohner/innen mit Schlaf- und Beruhigungsmittel, im Jahr 2002 waren es nur noch 44 % (Monkhouse & Wapplinger, 2003). 4.1.2 Wohnumgebung Im Normalisierungsprinzip wird Wert darauf gelegt, die Lebenserfahrungen Wohnen, Arbeit und Freizeit an unterschiedlichen Orten stattfinden zu lassen. Das Zuhause muss ein Ort der Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit sein. Gesellschaftliche und persönliche Interessen sollen an einem Ort der Begegnung und des Kontaktes ermöglicht werden, Aktivitäten außerhalb der Institution müssen möglich sein. „Ein junger Baum kann fast ohne Probleme ausgegraben und an einen anderen Ort verpflanzt werden. Wenn man eine alte Eiche herausreißt, wird sie sterben“ (Thomas, 2006, S. 69). Alte Menschen sind an ihr Zuhause fest gebunden und verwurzelt, mit dem Verlust ihrer Wohnung verlieren sie ein wichtiges Stück Lebenssinn. Noch immer sind Pflegeheime totalitäre Institutionen in denen es starre Regeln und Richtlinien gibt, deren Einhaltung von „Offiziellen“ überwacht wird. Daher wird im Konzept der Eden-Alternative ein komplettes Umdenken gefordert, nicht die „Reparatur der traditionellen Altenheime“, sondern eine komplette Neugestaltung. Das Alter braucht (Thomas, 2003) einen Ort, an dem der Widerspruch zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit aufgehoben ist, wo Ideen und Praktiken, die mit einem neuen 3 Das Haus Sandbühl wurde exemplarisch für viele andere Pflegewohnhäuser genannt, die ein Nachtcafé eingeführt haben 4 Detaillierte Studienberichte, besonders aus Amerika, unter www.edenalt.org 28 Leben im Alter zusammenhängen, wachsen und reifen können. Wesentlich dabei ist, dass diese Orte einem normalen Wohnhaus ähneln sollen und nicht einem öffentlichen Gebäude mit pseudo-medizinischer Ausstattung. Außerdem ist eine Eingliederung in die öffentliche Umgebung wichtig, damit sich ein „gemeinsames Tun“ entwickeln kann. Die Integration eines Kindergartens, Friseurs, Kosmetikstudios und Kaffeehauses wirken gegen Einsamkeit, fördern den Bezug zur Außenwelt und damit das Gemeinschaftsgefühl (Tomas, 2003). Wie im Kapitel 3.2.3 beschrieben, ist die Größe der Einheiten sehr wichtig, da Beziehungen in kleinen Wohneinheiten besser aufgebaut werden können. 4.1.3 Jahresablauf und Lebensablauf Im Sinne der „Normalität“ soll der Jahresablauf und damit der Wechsel der Jahreszeiten erlebt werden können. Dazu gehört das Erleben von Feiertagen, Ferien, Urlaub sowie das Konsumieren saisonaler Nahrungsmittel und auch für die Jahreszeit passende Kleidung. In allen Lebensphasen soll Kontakt zur Gesellschaft hergestellt werden, um soziale Kompetenzen zu entwickeln und auch im Alter Kontakte aufrechterhalten zu können. Auch bei dieser Forderung sind eindeutig Übereinstimmungen zwischen dem Konzept der Eden-Alternative und dem Normalisierungsprinzip erkennbar. Am Beispiel des Landespflegeheimes Pottendorf, des ersten „Eden-Heims“ in Niederösterreich, ist erkennbar, wie sich die Umsetzung positiv auf das Erleben der Lebenszeit auswirkt. Das Haus hat gemeinsam mit Mitarbeiter/innen und Bewohner/innen ein Leitbild erarbeitet, bei dem unter anderem folgendes zu lesen ist: „Auch im Alter geht das persönliche Wachstum weiter – diesen Prozess wollen wir unterstützen. Und dabei lernen auch wir von unseren Bewohnern und ihrem Erfahrungsschatz.“ (Tupy, 2009, S.35). Zur Normalität gehören Selbstbestimmung und das Gefühl noch gebraucht zu werden. Immer wieder soll gefragt werden, ob das was wir tun, auch im Sinne der Bewohner/innen ist. Im Pflegeheim Pottendorf können Bewohner/innen mitbestimmen und mitarbeiten. Zum Beispiel beim Speiseplan, bei der Zubereitung von Gerichten, Mitarbeit bei der Tierpflege, Mitgestaltung der regelmäßigen Messe oder bei der Gartenarbeit und es gibt eine Werkstatt in der Bewohner/innen kreativ tätig sein können (Tupy, 2009). 29 4.1.4 Bedürfnisse Das Respektieren von Bedürfnissen ist ein großes Anliegen im Normalisierungsprinzip. Die Achtung vor persönlichem Besitz sowie die Beteiligung an Entscheidungen - sowohl bei kleinen, alltäglichen Dingen, aber auch bei großen Entscheidungen - müssen selbstverständlich sein. Thomas orientiert sich in seinem Konzept am Begriff der Würde des Menschen, die unverlierbar ist, auch wenn der alte Mensch stark pflegebedürftig und abhängig ist (Thomas, 2006). Als wesentlichstes Bedürfnis wird im Konzept der Eden-Alternative „persönliche Beziehungen“ beschrieben: Beziehungen zu Angehörigen, Bewohner/innen, Mitarbeiter/innen, Besucher/innen, Kindern und Tieren. Alle gehören zum sozialen Umfeld der Bewohner/innen und tragen damit zur täglichen Gemeinschaft bei. Es liegt in der Natur des Menschen und ist ein tief verwurzeltes Bedürfnis, ein Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben zu halten, um Fürsorge zu erfahren. Menschen, die immer nur empfangen, denen keine Gelegenheit geboten wird, auch zu geben, werden mit der Zeit immer hilfloser und damit unglücklicher. Diesem Grundbedürfnis kann zum Beispiel mit der Versorgung von Tieren oder Pflanzen entgegengekommen werden. Bewohner/innen sind absolut in der Lage, ihre Vorstellungen von Lebensqualität zu formulieren, sofern man bereit ist, zuzuhören (Thomas, 2003). 4.1.5 Einrichtung Das Normalisierungsprinzip beinhaltet, dass der Standard der Einrichtungen sich am Maßstab dessen messen soll, was jedem/r Bürger/in in seiner/ihrer Gesellschaft geboten wird. Das bedeutet, Größe und Ausstattungsstandard müssen dem Durchschnitt des Umfeldes entsprechen und sollen sich äußerlich nicht von den umliegenden Gebäuden abheben. Weiters sollen technische Hilfen gegeben sein, um die Mobilität und damit auch die soziale Handlungsfähigkeit zu erhalten (Schickedanz, 2008). Auch Thomas beschreibt, dass die technischen Mittel ausgeschöpft werden müssen, um die Lebensqualität der älteren Menschen zu verbessern. Allerdings muss auch darauf geachtet werden, dass die Personen nicht von der Technik beherrscht werden. Es braucht Techniker/innen, Wissenschaftler/innen und Architekten/innen, welche Werkzeuge entwickeln, die von Bewohnern/innen gebraucht werden (Thomas, 2006). Weitere Überschneidungen sind unter dem Punkt 4.1.2 „Wohnumgebung“ aufgezeigt. 30 4.1.6 Aufwertung der sozialen Rolle Wolfensberger sieht Normalisierung als einen sich spiralförmig entwickelnden Prozess, der Ausgang ist die Normalisierung der Lebensbedingung, mit dem Ziel, ein höheres soziales Ansehen und soziale Kompetenz zu erreichen (Thimm et al., 1985). Auch Thomas (2006, S. 138) beschreibt das Problem, dass die alten Menschen als ein „Anhängsel an das aktive Erwachsendasein“ gesehen werden. Er plädiert für eine Konzeption, die alte Menschen nicht an den Rand drängt, sondern sie in den Mittelpunkt der Gesellschaft stellt. Die Beiträge, die sie geleistet haben und noch leisten, müssen geschätzt und respektiert werden. Da es keinen Begriff für das gegenseitige Angewiesensein der Generationen gibt, kreiert Thomas einen neuen Begriff: „Utopia der Alten“. Utopia meint eine zukünftige Gesellschaft, in der die alten Menschen ihren angemessenen Platz im menschlichen Lebenszyklus zurückbekommen. Als Beispiele werden unter anderen der Beitrag der Alten bei der Betreuung der Kinder und die Weitergabe der kulturellen Werte einer Gesellschaft genannt (Thomas, 2006). 4.2 Unterschiede Nur bei zwei Prinzipien konnte keine absolute Übereinstimmung gefunden werden, darauf wird nachfolgend eingegangen. 4.2.1 Kontakt zwischen den Geschlechtern Für Nirje (1994) bedeutet Normalisierung, in einer zweigeschlechtlichen Welt zu leben. Das impliziert, Beziehungen eingehen zu können, auch innerhalb eines Wohnheimes. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, um eine Partnerschaft ausleben zu können. Auch die Option des Heiratens darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dieser Punkt konnte in der Literaturrecherche über das Konzept der Eden-Alternative nicht explizit gefunden werden. Allerdings implizieren viele andere Beispiele, dass auch in diesem Punkt eine Übereinstimmung der Konzepte gegeben ist. Hohl (ein Angehöriger) beschreibt seine Erlebnisse in einem Eden-Heim wie folgt: Es ist selbstverständlich möglich, Lebenslust in einem Pflegeheim zu erleben. Diese Art der Betreuung lässt viel Raum für Eigenverantwortung, Selbst-Tätigkeit und Erfüllung von persönlichen 31 Bedürfnissen. Die Bewohner/innen werden dazu angeleitet, so lange wie möglich ein Leben nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen zu führen (Hohl, 2003). Ebenso in der Aussage „Auch im Alter bleibt ein Mensch Vater, Mutter, Konsument, Tante, Ratgeber, Nachbar, Freundin, nimmt am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teil“ (Monkhouse & Wapplinger, 2003, S.71) spiegelt sich die “Geschlechter-Normalität” wieder. 4.2.2 Wirtschaftlicher Standard Im Normalisierungsprinzip wird gefordert, dass Menschen mit geistiger Behinderung den gleichen Anspruch auf soziale Leistungen haben wie alle Anderen auch. Um an individuellen Freizeitangeboten teilzunehmen, ist es notwendig, einen eigenen Anteil des Geldes zu verwalten, der ihnen zur freien Verfügung stehen muss. Thomas (2006) sieht folgendes Problem: Ältere Menschen werden zunehmend früher aus dem aktiven Erwerbsleben ausgemustert und gleichzeitig sorgt der medizinische Fortschritt dafür, dass sie immer älter werden. So dauert die Zeit des Alters häufig mehr als drei Jahrzehnte und wird in unserer Gesellschaft fast ausschließlich unter dem Aspekt des Verfalls gesehen. Die Gleichsetzung des Alters mit Verfall und der Wunsch, diesen aufzuhalten, haben zu gewaltigen Anstrengungen der medizinischen Forschung geführt. Das Problem ist, dass Forschung sehr aufwendig und teuer ist. Die Erfolge der Altersmedizin haben die Selbstverständlichkeit erschüttert mit denen man früher die Gebrechen des Alters als gegeben hinnahm. Doch wer trägt die Kosten? Viele fürchten, dass durch sinkende Geburtenzahlen und zunehmende Lebenserwartung - die jetzige Generation von Alten ist die gesündeste, die es je gegeben hat alte Menschen eine finanzielle Belastung für die Gesellschaft werden. Doch die materielle Sicht ist nur ein Teilaspekt, denn alte Menschen bringen darüber hinaus „soziales Kapital“ ein (Thomas, 2006). Der wissenschaftliche Leiter der angewandten Sozialforschung in Wien, Gehmacher (2007) erklärt den Begriff „Sozialkapital“ wie folgt: Es bezeichnet damit die Kraft von innen, die Menge der sozialen Gefühle, die für das Tun zur Verfügung stehen. Sozial sind jene Gefühle, die sich aus der Gemeinschaft ergeben oder auch aus der Verbundenheit mit einer Glaubensgemeinschaft. Das bedeutet, soziale Gefühle entstehen aus Beziehungen zu anderen Menschen, zu Gemeinschaften oder auch zur eigenen Heimat und Symbolen. Ohne solche Beziehungen ist die Entwicklung sozialer Gefühle nicht möglich. Je größer das Netz an Naheste- 32 henden mit viel Empathie und Unterstützung, desto größer das Sozialkapital des Menschen. Jeder Mensch hat sein eigenes Sozialkapital und jede Gemeinschaft braucht zum Überleben ausreichend Zusammenarbeit und Zusammenhalt, ihr Sozialkapital (Gehmacher, 2007). 4.3 Ergebnisse des Vergleichs Von den neun grundlegenden Prinzipien des Normalisierungsprinzips, die berücksichtigt werden müssen, gibt es - wie im Kapitel 4.1 erläutert - bei sieben eine eindeutige Übereinstimmung mit dem Konzept der Eden-Alternative. Bei den Punkten „Kontakt zwischen Geschlechtern“, sowie „wirtschaftlicher Standard“ konnten in der Literatur keine expliziten Übereinstimmungen erkannt werden. Allerdings weisen viele Beispiele - wie im Kapitel 4.2 dargestellt - darauf hin, dass auch diese Prinzipien des Konzepts der Eden-Alternative dem Ursprungsprinzip gleichgestellt sind und lassen daher den Schluss einer Übereinstimmung zu. 33 5. Zusammenfassung Die zu Beginn dieser Arbeit beschriebenen demografischen Entwicklungen weisen eindeutig darauf hin, dass in Zukunft mehr Menschen in geriatrischen Langzeitpflegeeinrichtungen leben werden (müssen). Damit das Leben in diesen Wohn- und Pflegehäusern lebenswert sein kann, wird die sogenannte „Normalität“ gefordert. In dieser Arbeit wurde von der Annahme ausgegangen, dass es bereits Ansätze gibt, die auf dem Normalitätsprinzip aufbauen und das Konzept der Eden-Alternative ist eine davon. Um eine Beweisführung für diese Annahme zu ermöglichen, wurde zuerst das Normalisierungsprinzip in seinem Ursprung von Bank-Mikkelsen und Nirje, sowie die Erweiterung von Wolfensberger analysiert. Normalisierung ist ein theoretisch-normatives, das heißt, aus Wertprämissen abgeleitetes und ein praktisch-präskriptives, das heißt aus sozialem Handeln anleitendes Konzept (Thimm et al., 1985). Auch wenn die Ursprungskonzeptionierung aus der Betreuung geistig behinderter Menschen stammt, weist schon Wolfensberger (1986) darauf hin, dass dieses Konzept „…sich mit Sicherheit nicht nur auf andere behinderte Menschen, sondern darüber hinaus auch auf all jene beziehen könnte, die aus anderen Gründen - wie Lebensweise, Nationalität, Rasse, Alter o.ä. von ihrer Umgebung abgelehnt und abgewertet werden“ (Wolfensberger, 1986, S. 170). Daher erscheint es durchaus legitim, das Konzept der Normalisierung mit der Betreuungsphilosophie des Konzepts der Eden-Alternative zu vergleichen. Die Darstellung des Konzepts der Eden-Alternative wirkt einerseits simpel, da die wesentlichen Grundlagen - Kinder, Pflanzen, Tiere - an sich nichts Neues bei der Betreuung von Bewohner/innen in stationären Einrichtungen sind. Dahinter steht unser humanistisches Menschenbild mit den Werten wie: Würde, Autonomie, Recht auf Selbstbestimmung und eine ganzheitliche Betrachtung von Körper, Geist und Seele. Das Neue daran ist, dass Thomas die Probleme in der geriatrischen Langzeitbetreuung: Einsamkeit, Langeweile und Hilflosigkeit erkannte und diese Grundlagen neu aufbereitete und konzeptualisierte. Besonders wesentlich ist der gesamtbetriebliche Ansatz, die Bedürfnisse der Bewohner/innen in den Mittelpunkt zu stellen und weg zu kommen vom spitalorientierten Modell. Andererseits haben manche Ansichten Thomas für einige Menschen einen Beigeschmack der Unmöglichkeit. Zum Beispiel die Ausführungen zu „Utopia der Alten“, wie in Kapitel 4.1.6 beschrieben. Utopien können aber die Lücke sein, zwischen dem was ist, und dem was sein soll. Eine Art „Vision“, die das Denken in der Betreuung älterer Menschen verändern soll. 34 Eine wesentliche Übereinstimmung beider Konzepte besteht darin, dass andere erprobte, schon bestehende Konzepte, die Teilaspekte des Themas beleuchten, einbezogen werden sollen. Im Bereich der geriatrischen Langzeitbetreuung bedeutet dies die Einbeziehung von person-zentrierten Konzepten wie Kitwood (2008), Feil (2002), Böhm (1999) und andere. Das Konzept der Eden-Alternative ist sozusagen die „Dachphilosophie der Normalität“ und ermöglicht, je nach Bedarf den Einsatz von anderen Konzepten. Damit wäre die Professionalität und Individualität in der Betreuung geriatrischen Langzeitbewohner/innen gewährleistet. 5.1 Beantwortung der Forschungsfragen Bei der Bewertung der Argumente wurde der kriterienorientierte Ansatz gewählt (Miller & Babcock, 2000). Dabei werden folgende Kriterien für die Bewertung aufgestellt: Die Prämissen (Voraussetzungen / Annahmen) müssen annehmbar und adäquat sein. Die Bezugnahme auf Autoritäten muss korrekt sein. Die Informationsquelle muss glaubwürdig sein. Informationslücken müssen berücksichtigt werden. Persönliche Erfahrungen müssen angemessen verwendet werden. Eigeninteressen müssen abgewogen werden. Die Ergebnisse aus der Literaturrecherche und dem Vergleich lassen die gestellten Forschungsfragen „Gibt es Geriatriekonzepte, die dem Normalisierungsprinzip entsprechen“ und „Entspricht das Konzept der Eden-Alternative dem Normalitätsprinzip?“ folgendermaßen beantworten: Person-zentrierte Konzepte zeigen Ansätze von „Normalität“, allerdings fehlt die gesamtbetriebliche Umsetzung. Das Konzept der Eden-Alternative bietet Möglichkeiten, das Normalitätsprinzip im Lebensalltag einer geriatrischen Langzeitpflegeeinrichtung umzusetzen, da es eindeutig dem Ursprung des „Normalisierungsprinzips“ entspricht. 5.2 Ausblick Schon heute gibt es Anzeichen tief greifender und weitreichender Veränderungen im Gesundheits- und Sozialwesen und damit auch in der Betreuung älterer Menschen. Es braucht ein Change Management, um wirksame Veränderungen von Verhaltensmustern und Fähigkeiten sowie Prozesse und Kommunikationsstrukturen in ihrer Effizienz und Effektivität zu erhöhen. Der Erfolg von Organisationen ist heute mehr denn je abhängig von deren Fähigkeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Allerdings weist Blonski darauf hin, dass der richtige 35 Zeitpunkt für den Start der Veränderungsprozesse einen kritischen Erfolgsfaktor darstellt (Blonski, 2007). Beispielsweise genügt es nicht, wenn die oberste Leitung einer Organisation ein neues Konzept einführen möchte, ohne dass die betroffenen Mitarbeiter/innen ausreichend Schulungen durchlaufen. Bezug nehmend auf die Grundsätze des Konzepts der EdenAlternative bedeutet dies, dass das gesamte Personal eines Pflegewohnhauses geschult werden muss. Da es derzeit im Rahmen des Wiener Geriatriekonzeptes zu einer Umstrukturierung der Betreuung geriatrischer Menschen in Langzeiteinrichtungen kommt, ist es zu empfehlen, jetzt den Wandel zu gestalten und das Konzept der Eden-Alternative als Normalitätsprinzip in die neuen Pflegewohnhäuser zu implementieren. Die Praxis hat es schon bewiesen: Es ist möglich das Konzept der Eden-Alternative in Pflegeheimen zu implementieren. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es schon mehrere Häuser, welche von sehr guten Erfolgen berichten. Sowohl die Lebensqualität der Bewohner/innen als auch die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter/innen ist gestiegen und aus betriebswirtschaftlicher Sicht konnten Einsparungen, zum Beispiel beim Medikamentenverbrauch, verzeichnet werden. Sehr interessant sind auch die Ergebnisse der Pilotstudie „Sozialkapital im Geriatriezentrum, Wirkung der Eden-Alternative“, die in einem Wiener Pflegeheim 2008/2009 durchgeführt wurde (Gehmacher, 2009). Die Sozialkontakte zwischen dem Personal und den Bewohner/innen in Bereichen mit dem Konzept der Eden-Alternative sind höher als auf vergleichbaren Stationen ohne dieses Konzept. Auch das Sozialkapital aus familiären Nahbeziehungen ist für das Befinden der Bewohner/innen bedeutsam. Daher ist eine Empfehlung der Studie, Besuche und den Aufbau von persönlichen Beziehungen zu fördern. Gehmacher (2009) betont auch, dass intensivere Beziehungspflege, wie sie das Konzept der Eden-Alternative fördert, durch deutliche Korrelationen zwischen Sozialkapital und Gesundheitszustand lohnenswert erscheint. Daher sind weitere Empfehlungen qualitative und quantitative Forschungen zu Themen wie Lebensqualität, Sozialkapital (auch im Zusammenhang mit Gesundheitszustand) und Mitarbeiter/innenzufriedenheit in Pflegewohnhäusern mit dem Konzept der Eden-Alternative durchzuführen. 36 Anzuregen ist auch eine genauere Betrachtung der Mitarbeiter/innen: Welche Berufsgruppen sollen und / oder müssen, in einem „Eden - Heim“ tätig sein? Welche Aufgabe haben akademisch ausgebildete bzw. diplomierte Pflegekräfte? Was können „Lebensassistenten“ sein? Wie ist der Einsatz von ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen? Da der Lebensabschnitt in einem Pflegewohnheim meist das letzte Kapitel der Lebensgeschichte ist, sollte er das ganze Leben „abrunden“. Dazu ist das Konzept der Eden-Alternative geeignet, da es dem Normalitätsprinzip in der Betreuung von geriatrischen Langzeitpflegebewohner/innen entspricht. Es ist somit vergleichbar mit dem „Dach“ eines Pflegewohnhauses, unter dem andere (person-zentrierte) Konzepte umgesetzt und damit die Individualität der Bewohner/innen und Professionalität der Mitarbeiter/innen gleichermaßen ernst genommen werden. Damit werden die Wünsche der Bewohner/innen nach weitgehender Erhaltung der körperlichen und geistigen Mobilität, größtmöglichen Maß an Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und damit einen positiven Selbstwertgefühl erfüllt. Weiters werden die Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme am Leben der Gemeinschaft, das Erleben von Geborgenheit und Aufgenommensein in familiärer Atmosphäre gewährleistet. 37 6. Literaturverzeichnis Bartholomeyczik, S., Halek, M., & Riesner, C. (2006) Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe Herausgeber: Bundesministerium Gesundheit. Wittgen Bergman-Evans, B. (2004) Beyond the basics. Effects of the Eden Alternative Model on Quality of Life Issues. Journal of Gerontological Nursing, Jun; 30(6), 27-34 Billmann, M., Schmidt, B. & Seeberger B. (2009) In Würde altern. Frankfurt: Mabuse-Verlag Blonski, H. (Hrsg.) (2007) Den Wandel gestalten. Change Management in Pflegeorganisationen. Frankfurt: Mabuse-Verlag Böhm, E. (1999) Psychobiographisches Pflegemodell nach Böhm. Band I: Grundlagen. Wien: Wilhelm Maudrich Böhm, E. (1999) Psychobiographisches Pflegemodell nach Böhm. Band II: Arbeitsbuch. Wien: Wilhelm Maudrich Feil, N. (2002) Validation - Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. München: Ernst Reinhardt Verlag Fond Soziales Wien (2008) Geschäftsbericht 2008. http://www.fsw.at/export/sites/fsw/fswportal/downloads/broschueren/fsw/GB08.pdf abgefragt am: 12.2.2010 Gatterer, G. (Hrsg.) (2003) Multiprofessionelle Altenbetreuung. Wien: Springer-Verlag Gehmacher, E., (2007) Sozialkapital – einfach erklärt. http://www.heartsopen.com/docs/Sozialkapital%20einfach%20erklaert.pdf abgefragt am 20.4.2010 Gehmacher, E. (2009) Eden wirkt. PDF Eden Evaluation Institut BOAS. http://www.edeneurope.net/cms/content/blogcategory/1/34/lang,german/ abgefragt am: 14.4.2010 Hohl, R. (2003) Wenn das Alter uns einholt. In: Monkhouse, C. & Wapplinger, R. Übermorgen, wenn wir alt sind. Zürich: Rüffer & Rub. S. 154-155 Hopfmüller, E. (2004) Das Heimsystem - ein Auslaufmodell: Aufruf zu einer Heim-Enquente. In: Kuhlmann, H-P. & Nübel, G. (Hrsg.) Alte Menschen - moderne Zeiten. Frankfurt: Mabuse Verlag. S. 68-77 Innes, A. (Hrsg.) (2004) Die Dementia Care Mapping Methode (DCM). Bern: Hans Huber Jekic, D. (2003) Eden macht nicht halt, wenn es dunkel wird. In: Monkhouse, C. & Wapplinger, R. Übermorgen, wenn wir alt sind. Zürich: Rüffer & Rub. S. 140-143 38 Josat, S., Schubert, H.-J., Schnell, M. & Köck, Ch. (2006) Qualitätskriterien, die Altenpflegeheimbewohnern und Angehörigen wichtig sind. Pflege, 2006 (19), 79-87 Kasten, E., Utecht, C. & Waselewski, M. (2004) Den Alltag demenzerkrankter Menschen neu gestalten. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft Kitwood, T. (2008) Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern: Hans Huber Kiyota, E. (2003) Bauen für die Eden-Alternative. In: Monkhouse, C. & Wapplinger, R. Übermorgen, wenn wir alt sind. Zürich: Rüffer & Rub. S. 98-108 Leeb, F. (2009) wohnen pflegen leben. Wien: Bohmann Verlag Löser, A. (2008) Pflegekonzepte in der stationären Altenpflege. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft Miller, M. & Babcock D. (2000) Kritisches Denken in der Pflege. Bern: Hans Huber Monkhouse, C. & Wapplinger, R. (2003) Übermorgen, wenn wir alt sind. Zürich: Rüffer & Rub Nagl-Cupal, M., Alder, A., Hinterlehner-Becker, S. & Weberndorfer, E. (2006) Zu Gast im Pflegeheim: Was erwarten sich pflegende Angehörige von Kurzzeitpflege als entlastende Maßnahme? Universität Wien - Institut für Pflegewissenschaft Nirje, B. (1994) Das Normalisierungsprinzip. In: Hahn, M., Fischer, U., Klingmüller, B., & Seifert, M. (Hrsg.) WISTA: Experten – Hearing 1993. Wohnen im Stadtteil für Erwachsene mit schwerer geistiger Behinderung. Reutlingen. S. 175-202 Pochobradsky, E., Bergmann, F., Brix-Samoylenko, H., Erfkam, H. & Laub, R. (2005) Situation pflegender Angehöriger. ÖBIG im Auftrag des BM für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Rathauskorrespondenz (17.11.2009) Häupl/Wehsely präsentieren große Seniorenumfrage. http://www.wien.gv.at/vtx/vtx-rk-xlink?SEITE=%2F2009%2F1117%2F011.html abgefragt am: 2.1.2010 Roshner, R. & Robinson, S. (2005) Impact of the Eden Alternative® on Family Satisfaction. JAMDA, May/June; 6(3), 189-193 Schickedanz, P. (2008) Das Normalisierungsprinzip und seine konzeptuelle Weiterentwicklung durch Wolfensberger und Thimm. Norderstedt: GRIN-Verlag Schneider, C. (2007) Pflege und Betreuung bei psychischen Alterserkrankungen. Wien: Facultas Verlag Statistik Austria (2010) Bevölkerungsprognosen http://www.statistik.at/web_de/statistiken/index.html abgefragt am 20.5.2010 39 Statistik Austria (2009) Österreich Zahlen Daten Fakten. Broschüre. Jentzsch & Co Steiner, B. (2008) Gelassenheit schafft Freiraum für Normalität. CURAVIVA, 3/2008, 10-13 Thomas, W. (2003) Die drei Qualen des Alters. In: Monkhouse, C. & Wapplinger, R. Übermorgen, wenn wir alt sind. Zürich: Rüffer & Rub. S. 44-55 Thomas, W. (2006) Die Eden-Alternative. Lahr: Ernst Kaufmann Thimm, W., Ferber, Ch., Schiller, B. & Wedekind, R. (1985) Das Normalisierungsprinzip – Vorüberlegungen für pädagogische und sozialpolitische Konsequenzen. In: Thimm, W. (Hrsg.) Das Normalisierungsprinzip. Marburg: Lebenshilfe-Verlag Thimm, W. (Hrsg.) (2008) Das Normalisierungsprinzip. Marburg: Lebenshilfe-Verlag Tupy, G. (2009) Die Eden Alternative: Eine neue Pflegephilosophie im Haus Pottendorf. Lebenswelt Heim 44, 34-35 Vonwald, F. (2008) Vom Leben der Menschen. In: Schneider, C. & Zehetner, L. (Hrsg.) Seelenpflege von Montag bis Dezember. Wien: Wilhelm Maudrich. S. 117-134 Wancata, J. (2002) Die Epidemiologie der Demenzen. Wiener Medizinische Wochenschrift, 152 (3/4), 52-56 Wehsely, S. (2010) Amtsführende Stadträtin für Gesundheit und Soziales. http://www.sonja-wehsely.at/?page_id=23 abgefragt am: 12.2.2010 Wiener Gebietskrankenkasse (2009) Erster österreichische Demenzbericht. http://www.wgkk.at/mediaDB/539709_Demenzbericht.pdf abgefragt am: 14.3.2010 Wolfensberger, W. (1986) Die Entwicklung des Normalisierungsgedankens in den USA und Kanada. In: Thimm, W. (Hrsg.) Das Normalisierungsprinzip. Marburg: Lebenshilfe Verlag. S. 168-186 40