Mondsucht und Sternenzauber

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Mondsucht und Sternenzauber
Sonntag Aktuell, 12. Oktober 2014
REISEN 27
Mondsucht und Sternenzauber
Mit einem Planetarium, der einzigen Sternwarte Südtirols, einem Planetenwanderweg und Teleskopen in fast jedem Haus bildet die Gemeinde
Karneid das erste „Sternendorf“ Europas.
VON STEFANIE BISPING AUS KARNEID
Auf den Gipfeln von Latemar-Kette,
Schwarzhorn und Weißhorn liegt goldenes
Licht. Es ist die Stunde vor Sonnenuntergang.
Dann funkeln die ersten Sterne auf. Die Besucher lassen die Köpfe in den Nacken sinken.
In der Acht-Meter-Kuppel über ihnen erscheint der Nachthimmel über Gummer:
heute, zur Zeit von Christi Geburt und vor
5000 Jahren, als der Jungsteinzeitmensch
Ötzi durch die Alpen wanderte. „Ein Planetarium ist eine Zeitmaschine“, erklärt David
Gruber. Der 30-jährige Astrophysiker im
„Star Wars“-T-Shirt moderiert die visuelle
Reise durchs Universum. „Je größer das
Teleskop, desto weiter schauen wir in die
Vergangenheit.“ Gruber, der in Bozen geboren wurde, in Wien Astronomie studierte und
derzeit über den Sternenhimmel in der Jungsteinzeit forscht, führt die Besucher durch
Zeit und Raum.
2002 wurde die einzige
Volkssternwarte Südtirols errichtet
Im Sommer 2013 wurde das Planetarium
als Außenstelle des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen eröffnet, das als Heimat
und letzte Ruhestätte der Gletschermumie
„Ötzi“ zu internationalem Ruhm gelangte.
Mit asymmetrischen Panoramafenstern ist
das Planetarium auch optisch ein ausgefallener Bau. Auf dem Dorfplatz von Gummer
ruht es wie auf einem Tablett, angerichtet
zwischen den Zacken des Latemars auf der
einen und den runden Kuppeln von Sternwarte und Sonnenobservatorium in Obergummer auf der anderen Seite. Das Planetarium ist der Stolz der Region, die sich durch
die Errungenschaft nicht nur für die Urlauber, sondern auch für ihre Bewohner aufgewertet sieht. Gummer gehört zu den raren
Orten, die beides besitzen: den simulierten
Sternenhimmel im Planetarium und die nach
dem Bozener Astronomen benannte Volkssternwarte Max Valier – die einzige in Südtirol –, die in Obergummer den Blick auf reale
Himmelsobjekte öffnet, flankiert vom Sonnenobservatorium gleich daneben.
Unter fünf möglichen Standorten konnte
der Verein der Amateur-Astronomen für die
Sternwarte wählen. Neben der Lage auf dem
Hochplateau in einer von künstlichem Licht
wenig belasteten Gegend war es die perfekte
Symmetrie der Koordinaten, die den Ausschlag für die Wahl des Plateaus in Obergummer gab: 11 Grad, 27 Minuten und 46 Sekunden östliche Länge und 46 Grad, 27 Minuten
und 11 Sekunden nördliche Breite. Das konnte kein Zufall sein. Eine Fügung der Sterne?
2002 wurde die Volkssternwarte errichtet,
mittlerweile betrachten jedes Jahr rund 6000
Menschen durch das Spiegelteleskop mit
acht Meter Brennweite den Nachthimmel.
„Da kann man schon viele Lichtjahre hinausschauen“, erklärt Rudi Holzer, der als begeisterter Sterngucker daheim in Bozen drei
Teleskope für den Hausgebrauch hat. Hier
oben ist die Aussicht ins All dennoch eine andere. „Wenn der Saturn mit Ring und Monden sichtbar ist oder ein Doppelstern, haben
wir aus der acht Meter großen Kuppel einfach einen fantastischen Blick“, schwärmt
Holzer. Schon als Schüler beobachtete er aus
der heimischen Dachluke den Sternenhimmel. Ein ganzes Berufsleben als Handelskaufmann überdauerte die Leidenschaft, für die
er jetzt, im Ruhestand, endlich Zeit hat.
Obwohl das Winterhalbjahr die beste Zeit
zum Sterneschauen ist, ist der Andrang an
der Sternwarte im Sommer besonders groß –
In der Sternwarte Max Valier betrachten jedes Jahr rund 6000 Menschen durch das Spiegelteleskop mit acht Meter Brennweite den Nachthimmel.
Südtirol
ITALIEN
Bozen
Steinegg
Karneid
SÜDTIROL
Deutschnofen
ner und mediterraner Kochkunst machen den Aufenthalt angenehm. DZ mit Halbpension ab 104 Euro pro
Person (www.sonnalp.com).
A 22
ITALIEN
Essen und trinken
Gummer
Welschnofen
Weißhorn
Schwarzhorn
Latemar
5 km
Anreise
Mit dem Zug nach Bozen (www.bahn.de). Steinegg
ist von dort über Blumau in etwa 20 Minuten zu erreichen. Alternativ mit dem Auto über die BrennerAutobahn bis Bozen-Nord.
Unterkunft
Im Hotel Oberwirt Weißes Kreuz in Steinegg lässt es
sich mit Hallenbad, Spa, Sonnenterrasse, Astronomie-Bibliothek und guter regionaler Küche aushalten.
Das DZ mit Halbpension kostet pro Person ab 67 Euro
(www.gasthofoberwirt.com).
An einer Almwiese mit Blick auf den Latemar liegt
das komfortable Hotel Sonnalp in Obereggen. Insbesondere die kulinarischen Grenzgänge zwischen alpi-
weil dann Hochsaison ist, aber auch wegen
der Sternschnuppenschauer im Juli und August. Um diese Kometenrückstände zu sehen,
braucht es keine künstliche Linse. Die Besucher liegen auf den Wiesen rund um die
Sternwarte im Gras und schicken ihre Wünsche in den Nachthimmel.
Für die Gemeinde Karneid, zu der außer
Gummer und Steinegg auch Kardaun,
Blumau und eben Karneid gehören, ist die
Mondsucht längst zum Wirtschaftsfaktor geworden. Mit Deutschnofen und Welschnofen
Die mit einem Michelin-Stern dekorierte Johannesstube im Hotel Engel in Welschnofen bietet erlesene
Kochkunst und ist täglich außer dienstags geöffnet
(www.hotel-engel.com).
Auf der in 1583 Meter Höhe beim Geoparc Bletterbach gelegenen Lahneralm werden unter anderem
köstliche „Strauben“ – in Fett gebackene Kringel, mit
Marmelade und Puderzucker garniert.
Ausflugstipp
1991 fand ein Ehepaar aus Nürnberg in den Ötztaler
Alpen die Leiche eines Mannes, der bereits seit 5000
Jahren tot war. Der Sensationsfund machte auch Südtirols Hauptstadt Bozen weltberühmt. Heute ist im
Südtiroler Archäologiemuseum nicht nur hinter Glas
die gekühlte Mumie „Ötzis“ zu betrachten, man erfährt auch alles über den erstaunlich hoch entwickelten Alltag, die medizinische Vorgeschichte und das
gewaltsame Ende dieses Alpenbewohners:
(Di.–So. 10-18 Uhr, Juli/August und Dezember täglich,
www.iceman.it). Eintritt neun Euro, Kinder ab sieben
Jahre sieben Euro.
Familienkarte für zwei Erwachsene und alle Kinder
unter 14 Jahren 18 Euro.
hat sie sich zum ersten europäischen Sternendorf zusammengeschlossen, einem EUProjekt, das vom Europäischen Fonds für
regionale Entwicklung unterstützt wird. Auf
Sternwarte und Sonnenobservatorium folgte
die Entwicklung eines Planetenrundwegs,
der Wanderer in drei Stunden von der Sternwarte durch Wiesen und Wald führt, vorbei
an Stationen, die im Maßstab 1:1 Milliarde
den Entfernungen der Planeten im Sonnensystem entsprechen. Im Dorf schmücken
Sonnenuhren die Vorgärten, Hotels besitzen
Sternwarten
In der Sternwarte Max Valier in Obergummer bei
Steinegg finden ganzjährig deutschsprachige Führungen mit Sternenbeobachtung statt. Termin: an jedem Donnerstagabend um 20 und 21 Uhr. Teilnahme
nur nach Anmeldung unter Telefon 00 39 /
04 71 36 13 14 (montags bis donnerstags 8–12 und
14–17 Uhr, freitags 8–12 Uhr, www.sternwarte.it). Die
Führungen kosten für Erwachsene fünf Euro, für
Schüler und Studenten 2,50 Euro. Der Weg zur Sternwarte geht von der Straße ab, die Steinegg mit Gummer verbindet, und ist beschildert.
Sonnenbeobachtung bietet der Verein Sternwarte
Max Valier von Mai bis Oktober jeden Freitag um
10 Uhr an, Anmeldung per E-Mail an
[email protected].
Das Planetarium in Gummern gehört zum Südtiroler
Archäologie-Museum in Bozen. Es öffnet donnerstags
bis samstags von 16 bis 22 Uhr, sonntags von 13.30
bis 18 Uhr. Erwachsene zahlen sieben Euro Eintritt,
Kinder und Studenten vier Euro. Die Uhrzeiten der
Filmvorführungen in deutscher Sprache sind im Netz
unter www.planetarium.bz.it zu finden. Reservierungen sind unter Telefon 00 39 / 04 71 61 00 20 oder
per E-Mail möglich ([email protected]).
Allgemeine Informationen
Tourismusverein Eggental, www.eggental.com,
www.sternendorf.it.
Teleskope und haben für die Gäste Bibliotheken zum Thema eingerichtet; Restaurants
bieten am Freitag jeder Vollmondwoche
durch die Astronomie inspirierte Menüs an
und nehmen so ebenfalls am Sternen-Boom
teil. Mit dem Planetarium ist nun ein Coup
gelungen, der beweist, dass man sich in Südtirol selten damit begnügt, nur das Bestehende
zu erhalten.
Dass Steinegg heute Heimat von 1360 umtriebigen Menschen ist, verdankt es vor allem der Straße, die seit 1968 in 15 engen
FOTO: BISPING
Kehren von Blumau im Tal bis zum 823 Meter hoch gelegenen Steinegg führt. „Als die
Straße fertig war, waren wir nicht mehr abgeschnitten. Das Dorf wuchs wieder, statt
kleiner zu werden“, sagt Franz Mahlknecht.
Das Heimatmuseum verfügt
über 7000 Exponate
Der Mittsiebziger hat 23 Jahre lang das
Steinegger Heimatmuseum geleitet und
springt nun, obwohl längst im Ruhestand,
gelegentlich noch als Führer durch das Labyrinth der fast 7000 Exponate ein. Für die Besucher wird die Tour durchs Museum, das in
einem Felsen unter der Kirche des Dorfs versenkt ist, unter seiner Führung zur Zeitreise
in eine Ära, die viel weiter zurückzuliegen
scheint, als dies tatsächlich der Fall ist: als
der Himmel über Südtirol nachts ausschließlich von Mondlicht und Sternen erhellt wurde und Kinder Fackeln trugen, um an finsteren Wintermorgen den Weg zur Dorfschule
zu finden.
„Früher hatte hier jede Familie ein Dutzend Kinder“, erzählt Mahlknecht, der selbst
mit zwölf Geschwistern aufwuchs. Die Einrichtung der Bauernküche im Museum mit
Kochstelle, Speisekasten und Brotschneider
deckt sich mit seinen Kindheitserinnerungen: „Drei bis vier Kinder teilten sich einen
Teller.“ Genauso wie den Bottich, der zweimal im Jahr mit Badewasser gefüllt wurde.
Im Sommer war für die Schule keine Zeit: Die
Kinder wurden zur Arbeit auf umliegende
Höfe oder auf die Alm geschickt. Seither hat
sich das Leben in Südtirol, das heute als
wohlhabendste Region Italiens gilt, dramatisch gewandelt. Die Schönheit der Bergpanoramen und des Himmels, der sich darüber spannt, ist geblieben.
REISE-NACHRICHTEN
Bankrottserie in Russland:
14 Reiseveranstalter sind pleite
Moskau – Pleitewelle in Russland: Seit Mitte Juli sind dort 14 Reiseanbieter in Konkurs
gegangen. Rund 130 000 Touristen sind insgesamt betroffen, 56 000 davon waren im
Ausland. Für die dramatische Entwicklung
gibt es mehrere Gründe: Zum einen
schrumpften aufgrund der Ukraine-Krise
die Wirtschaft und das Fernweh vieler Russen. Zudem führte der Verfall des Rubels dazu, dass für die Reiseveranstalter Hotels im
Ausland und Flüge dorthin in den vergangeTDT
nen Monaten immer teurer wurden.
Viel Zeit für Reisekauf
im Internet
München – Wer im Internet seinen Urlaub
bucht, der lässt sich in der Regel viel Zeit.
Beim Reisekauf online vergehen vom ersten
Gedanken an die Ferien bis zur Buchung
durchschnittlich 120 Tage. Dagegen greifen
Kunden von Reisebüros, so fand der
Münchner Reiseveranstalter FTI heraus,
schon nach 80 Tagen zu.
TDT
Ausbau des Victoria Falls Airport
Harare – Simbabwe erhält einen zweiten
internationalen Flughafen: Victoria Falls
Airport, Ziel vieler Touristen auf dem Weg
zu den Victoria-Fällen, wird für 120 Millionen Euro ausgebaut. Geplante Eröffnung ist
Juli 2015. Dann können auch Großraumflugzeuge wie der Airbus A380 landen. TDT
Tickets für ein Konzert plus Anfahrt, hat
der Kunde Anspruch auf einen Reisepreissicherungsschein. Es handle sich „um eine
Mehrheit von Reiseleistungen und damit
um eine Pauschalreise“, so die Bad Homburger Wettbewerbszentrale, die gegen
mehrere Reiseveranstalter Unterlassungserklärungen erwirkte.
TDT
Die teuersten Hotels der USA
Konzertticket plus Anfahrt
ergibt eine Pauschalreise
Bad Homburg – Verkauft ein Veranstalter
New York – Die größte Stadt der USA hat
auch die Hotels mit den teuersten Durchschnittsraten der Vereinigten Staaten: 16 der
20 kostspieligsten Häuser befinden sich in
New York. Besonders gepfeffert sind die
Preise des Soho House: Dort kostet eine
Übernachtung in einem regulären Doppelzimmer aktuell 1189 Dollar – umgerechnet
950 Euro. Die zweitteuersten Nachtquartiere zum Normaltarif warten auf den beiden
oberen Etagen des MGM Grand (1134 Dollar) in Las Vegas. Zu den Top Five – so zeigt
eine Übersicht des Reiseportals Travelmag.com mit Preisen für den Oktober weiter – gehören zudem die drei New Yorker
Hotels Peninsula (1014), St. Regis (995) und
Four Seasons (943 Dollar).
TDT