Sterbehilfe

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Sterbehilfe
DRZE/Im Blickpunkt
Sterbehilfe
Stand: August 2010 Ansprechpartnerin: Christina Rose
I. Einführung und grundlegende begriffliche Unterscheidungen
Mit
Sterbehilfe
(siehe Modul Sterbehilfe und Euthanasie)
kann zum einen "Hilfe
im
Sterben",
d.h. "Sterbebeistand" oder "Sterbebegleitung" gemeint sein. Sterbehilfe in diesem Sinne besteht in der
Unterstützung Sterbender durch Pflege, schmerzlindernde Behandlung sowie menschliche Zuwendung und ist
als dringendes Erfordernis im Umgang mit Sterbenden unumstritten. Zum anderen kann mit Sterbehilfe aber
auch "Hilfe zum Sterben" gemeint sein. Sterbehilfe meint dann das Töten oder Sterbenlassen eines sterbenden,
schwer kranken oder leidenden Menschen aufgrund seines eigenen, ausdrücklichen oder mutmaßlichen
Verlangens oder Interesses.
Die Frage nach einer "Hilfe zum Sterben" wird mit Blick auf unterschiedliche Situationen diskutiert. In dieser
Diskussion werden häufig vier Formen von Sterbehilfe im Sinne einer "Hilfe zum Sterben" unterschieden:
1 "Sterbenlassen" / "Passive Sterbehilfe": Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen (unter Beibehaltung
von "Grundpflege" und schmerzlindernder Behandlung),
2 "Indirekte Sterbehilfe" / "Indirekte aktive Sterbehilfe": Schmerzlindernde Behandlung unter Inkaufnahme
eines (nicht intendierten) Lebensverkürzungsrisikos,
3 "Beihilfe zur Selbsttötung" / "Freitodbegleitung": Hilfeleistung zur Selbsttötung z.B. durch Beschaffung
und Bereitstellung des tödlichen Medikaments,
4 "Aktive Sterbehilfe" / "Direkte aktive Sterbehilfe" / "Tötung auf Verlangen": Absichtliche und aktive
Beschleunigung oder Herbeiführung des Todeseintritts: im Gegensatz zur indirekten Sterbehilfe ist der Tod
nicht nur in Kauf genommen, sondern beabsichtigt, im Gegensatz zur Beihilfe zur Selbsttötung liegt die
letztentscheidende Tatherrschaft nicht beim Betroffenen selbst, sondern bei einem Dritten.
Das Bedeutungsspektrum des Begriffs Sterbehilfe ist weit. Es umfasst Sterbende, schwer oder unheilbar
(körperlich oder seelisch) Erkrankte, die unerträglich leiden oder die im Weiterleben keinen Sinn mehr
sehen und die deshalb den dringenden Wunsch nach "Erlösung" durch Sterbehilfe äußern. Genau so schließt
es dauerhaft bewusstlose oder bereits in der Endphase ihrer Erkrankung bewusstseinsgetrübte Patienten
ein, die sich nicht mehr selbst zu einem "medizin-technisch" möglichen, aber therapeutisch fragwürdigen
Einsatz lebensverlängernder Maßnahmen bzw. deren Abbruch äußern können. Es reicht bis hin zu noch nicht
äußerungsfähigen, schwerst geschädigten Neugeborenen, deren Lebenserwartung sehr gering ist oder deren
Leben mit großen Qualen verbunden sein wird.
Jedoch werden nicht alle Formen des "Sterbenlassens" unter den Stichworten "Sterbehilfe" oder "Euthanasie"
zusammengefasst. Jeder therapeutische, palliative (d.h. schmerzlindernde) oder lebensverlängernde Eingriff
bedarf der Zustimmung des Patienten. Will der Patient einen Eingriff nicht und führt die Unterlassung zu
seinem frühzeitigen Tod, so muss nach weit verbreiteter Auffassung seinem "Recht auf einen natürlichen Tod"
Rechnung getragen werden.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (1)
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Aus medizinethischer Sicht gibt es zwar eine grundsätzliche Verpflichtung des Arztes Leben zu erhalten, aber
nicht unter allen Umständen; darüber hinaus können lebensverlängernde Maßnahmen dann nicht verpflichtend
sein, wenn sie ineffektiv sind, wenn ihre Wirksamkeit zweifelhaft ist oder wenn sie für den Betroffenen
ein unverhältnismäßig großes Leiden verursachen. Hier wird sowohl aus medizinischer als auch aus
moralischer Sicht die Unterscheidung zwischen der Verwendung von gewöhnlichen und außergewöhnlichen
Behandlungsmitteln (siehe Modul Gewöhnliche und außergewöhnliche Behandlungsmittel) diskutiert.
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II. Zentrale Diskussionsfelder
In der Auseinandersetzung über die Zulässigkeit der Sterbehilfe und ihrer einzelnen Formen spielt eine
Vielzahl unterschiedlicher Aspekte eine Rolle. Dabei lassen sich vor allem folgende zentrale Diskussionsfelder
ausmachen:
Die Frage der Zulässigkeit der Selbsttötung
Die Einschätzung, dass das Töten eines Menschen auf sein eigenes Verlangen hin zulässig ist, setzt die
Einstellung voraus, dass ein Mensch sein eigenes Leben überhaupt gezielt verkürzen darf. Ob er dies aber darf,
und wenn ja, unter welchen Umständen, ist nicht unumstritten. Das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung
über Leben und Tod wird in der Diskussion unterschiedlich stark eingeschränkt. Hierbei lassen sich zwei
Ansätze unterscheiden:
Vertreter des ersten Ansatzes
(siehe Modul Unbedingte Unzulässigkeit der Selbsttötung) gehen von
einer "Unantastbarkeit" oder "Heiligkeit" des menschlichen Lebens aus. Das menschliche Leben ist damit
nicht nur für andere nicht verfügbar, sondern auch für den Betreffenden selbst. Diese Auffassung wird nicht
zuletzt in der jüdisch-christlichen Tradition vertreten und wird insbesondere von den Kirchen (siehe Modul
Kirchen) vorgebracht. Der angeführte Grund ist, dass das Leben gottgegeben ist und daher allein Gott die
"Herrschaft über Leben und Tod" zukommt. Deshalb muss das Leben, wenn es ohnehin bereits erlischt, zwar
nicht "um jeden Preis" verlängert werden, seine aktive Verkürzung durch Selbsttötung ist jedoch als Verstoß
gegen die göttliche Souveränität unzulässig. Wohl kann in solchen Fällen eine Minderung der subjektiven
Verantwortungsfähigkeit gegeben sein. Auf der Basis dieses Ansatzes können zwar u.U. die passive wie auch
die indirekte Sterbehilfe im Falle eines Menschen zulässig sein, bei dem der Sterbeprozess schon eingesetzt
hat. Keinesfalls aber soll die Beihilfe zur Selbsttötung oder die aktive Sterbehilfe erlaubt sein.
Dagegen wird
prinzipiell
aus rechtsethischer Sicht eine
Argumentationslast
(siehe Modul
Argumentationslast) gesehen, d.h. dass in einer freiheitlichen Rechtsordnung ein Verbot wie das der Sterbehilfe
nur dann eingefordert werden darf, wenn hierfür Gründe angeführt werden können, die weltanschaulich neutral
und damit für jedermann nachvollziehbar sind.
In ihrer inhaltlichen Argumentation, die sich ebenfalls gegen das Argument der generellen Unverfügbarkeit
menschlichen Lebens richtet, verweisen Anhänger des zweiten Ansatzes (siehe Modul Bedingte Zulässigkeit
der Selbsttötung) auf das Vermögen des Menschen, sich in seinem Handeln selbst zu bestimmen. In
dieser Fähigkeit zur Selbstbestimmung ist die Begründung der Menschenwürde zu sehen. So ist mit der
Fähigkeit auch die Pflicht verbunden, diese Würde zu schützen. Vor diesem Hintergrund besteht zudem eine
Pflicht, menschliches Leben vor lebensgefährdenden Eingriffen durch Dritte zu schützen, da das Leben die
Voraussetzung für menschliche Selbstbestimmung ist. Jedoch kann eine selbstbestimmte Verkürzung des
eigenen Lebens, ob aktiv oder passiv, um willen der menschlichen Würde nicht unbedingt verboten werden.
Dies gilt entsprechend auch für alle Formen der freiwilligen Sterbehilfe. Bedingung ist, dass die Entscheidung
in einem entscheidungsfähigen Zustand und in zutreffender Kenntnis aller Umstände wohlüberlegt getroffen
worden ist. Außerdem darf die Lebensverkürzung durch die Art und Weise, wie sie erfolgt, keine Gefährdung
Dritter implizieren. Weder ist daher die Sterbehilfe im Ganzen, noch sind einzelne ihrer Formen oder das
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Ersuchen um sie per se als unzulässig einzustufen. Vielmehr ist ihre Zulässigkeit daran zu überprüfen, ob
jeweils die genannten Bedingungen erfüllt sind bzw. erfüllt werden können oder nicht.
Ungeachtet der unterschiedlichen Grenzen der Selbstbestimmung ist die Achtung der Selbstbestimmung ein
zentrales Moment in der gesamten Diskussion zur Sterbehilfe. Zur Wahrung des Selbstbestimmunggsrechts
kann z.B. eine Patientenverfügung (siehe Modul Patientenverfügung) verfasst werden.
Die Frage der Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe
Unabhängig von der Frage nach der Zulässigkeit der Selbsttötung stellt sich bei der aktiven Sterbehilfe
die Frage nach der Zulässigkeit der Tötung durch Dritte (Fremdtötung). Diskutiert wird, ob das
Fremdtötungsverbot als kategorisches Verbot in diesem Zusammenhang Ausnahmen zulässt, welche Gründe
es für diese Ausnahmen geben könnte und ob mit ihnen Dammbrüche für eine Erweiterung dieser Ausnahmen
zu befürchten sind.
Auch aus moralischer Sicht stellt sich die Frage mach einer Unterscheidbarkeit zwischen aktiver Sterbehilfe
und anderen Formen der Sterbehilfe. Von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer solchen Differenzierung
hängt ab, ob aktive Sterbehilfe unbedingt unzulässig sein kann, wenn die anderen Forman der Sterbehilfe
zumindest bedingt zulässig sind.
Gegner der unbedingten Unzulässigkeit aktiver Sterbehilfe führen ins Feld, dass eine moralische
Unterscheidung zwischen Töten und Sterbenlassen nicht möglich ist, wenn beides aus den selben, nicht
selbstsüchtigen Beweggründen geschieht. Denn in beiden Fällen ist der Tod des Patienten die Folge. Überdies
kann ein "langsames" passives Sterbenlassen, zumal wenn es mit nicht behebbaren, unerträglichen Schmerzen
verbunden ist, unter Umständen "inhumaner" sein als eine "schnelle" aktive Sterbehilfe (z.B. durch eine
bewusste Überdosierung schmerzstillender Mittel).
Befürworter der unbedingten Unzulässigkeit aktiver Sterbehilfe verweisen vor allem darauf, dass mit einer,
wenngleich auch bedingten, "Erlaubnis zu töten" - genauer: einer Erlaubnis, Unschuldige, d.h. Menschen
jenseits von Notwehrsituationen, zu töten - eine "Relativierung des Fremdtötungsverbots" verbunden ist.
Dadurch könnten Missdeutungen und Missbrauch provoziert und so das zwischenmenschliche Vertrauen
untergraben werden. Dies ist selbst dann der Fall, wenn die Erlaubnis nur bedingt erteilt wird. Auch meinen sie,
dass eine solche "Relativierung des Fremdtötungsverbots" zu einer Abnahme der Tötungshemmung führt. Dies
könnte wiederum eine Ausweitung der Praxis aktiver Sterbehilfe auf andere Personenkreise als ursprünglich
beabsichtigt nach sich ziehen. Denn auch wenn sich die Zulassung ursprünglich ausschließlich auf Sterbende
bezieht, die zum relevanten Zeitpunkt urteils- und äußerungsfähig sind und die ihre Tötung freiverantwortlich
verlangen, so könnte sie sich doch ausweiten. Von der Fortentwicklung dieser Zulassung könnten dann sowohl
solche Patienten betroffen sein, die nicht urteils- und äußerungsfähig sind, als auch schwer kranke, noch
nicht sterbende Menschen sowie ältere oder behinderte Menschen ohne entsprechende Willensbekundung.
So ist sogar eine Ausweitung denkbar auf (nicht-freiwillige) Sterbehilfe, gegen den Willen des Betroffenen
- aus "Mitleid" oder "wirtschaftlichen Gründen". Die Vertreter der unbedingten Unzulässigkeit halten es für
unmöglich, diese Dammbruch-Gefahren auszuschließen, weder durch eine noch so gute Ausnahmeregelung,
noch dadurch, dass man die aktive Sterbehilfe zwar bedingt von der Strafbarkeit ausnimmt, aber an ihrer
Widergesetzlichkeit unbedingt festhält - wie es von den Befürwortern einer partiellen Zulassung der aktiven
Sterbehilfe vorgeschlagen wird.
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Der Arzt als Tötender
Eine Relativierung des Fremdtötungsverbots hat dann gravierende Auswirkungen auf das Arzt-PatientVerhältnis (siehe Modul Sterbehilfe und Arzt-Patient-Verhältnis) , wenn Ärzte in den Prozess der Sterbehilfe
mit einbezogen werden. Traditionell begegnet der Patient dem Arzt als "Heilendem" und "Helfendem". Wirkt
der Arzt bei der aktiven Sterbehilfe als Handelnder mit, dann wird er jedoch zum "Tötenden". Genau dies
widerspricht aber den grundsätzlichen Zielen ärztlichen Handelns und wird dementsprechend auch seitens der
Ärzteschaft kritisch oder gar ablehnend betrachtet. Stattdessen machen sich die Bundesärztekammer und der
Deutsche Ärztetag für mehr Palliativversorgung (siehe Modul Palliativversorgung) stark.
Die Gefahr einer latenten "Entsolidarisierung"
Dammbruch-Überlegungen werden nicht nur gegen eine Zulassung aktiver Sterbehilfe angeführt, sie spielen
auch bei der Diskussion der anderen Formen der Sterbehilfe eine Rolle. Formuliert wird vor allem die Sorge,
dass eine zu liberale Handhabung der Sterbehilfe-Problematik zu einer Aufkündigung der Solidarität mit
kranken, leidenden und sterbenden Menschen führen könnte und vielleicht sogar zu einem Druck auf Kranke
und Schwache, zur "Entlastung" ihrer Mitwelt von der Möglichkeit der Sterbehilfe Gebrauch zu machen.
Solche Erwägungen verpflichten zwar nicht notwendig zu einer unbedingten Ächtung jeder Form von
Sterbehilfe, mahnen jedoch dazu Schutzvorkehrungen zu treffen, die entsprechenden Entwicklungen
entgegenwirken.
Die Fragen der "Authentizität" des Sterbeverlangens und der Alternativlosigkeit der
Sterbehilfe
Wenn ein Sterbewilliger um Sterbehilfe bittet, stellt sich die Frage, ob dieses Verlangen wirklich "authentisch"
ist, d.h. ob er dies wirklich will und ob ihm nicht auf andere Weise geholfen werden kann. Auch hier gibt es
unterschiedliche Standpunkte:
Häufig wird darauf verwiesen, dass Sterbende typische Phasen des Sterbens (siehe Modul Sterbephasen)
durchlaufen, die mit gravierenden Stimmungswechseln einhergehen können. Verlangt ein Sterbender in dieser
Situation nach Sterbehilfe, ist dies - der entsprechenden Auffassung zufolge - daher oftmals weniger Ausdruck
eines stabilen Sterbewunsches, als vielmehr eine "natürliche" und vorübergehende Begleiterscheinung des
angebrochenen Sterbeprozesses.
Nicht selten ist auch der Hinweis, dass der Wunsch nach Sterbehilfe seinen Grund vor allem in
starken Schmerzen, Verlassenheits- oder Einsamkeitsgefühlen hat, aber auch in Schamgefühlen über die
eigene Hilflosigkeit und in den dadurch verursachten Depressionen. Diesen Gründen kann mit einer
schmerzlindernden Behandlung und/oder entsprechender menschlicher Zuwendung wirksam begegnet werden
- ein Ansatz, den auch die " Hospizbewegung " (siehe Modul Hospizbewegung) im Umgang mit Sterbenden
verfolgt.
Demgegenüber wird eingewendet, dass menschliche Zuwendung und schmerzlindernde Behandlung sowie
- im Falle psychisch kranker Menschen - auch psychotherapeutische Betreuung zwar oftmals zu einer
Revision des Sterbewunsches führt, dass es aber auch Kranke gibt, deren schwere körperliche und/oder
seelische Leiden nicht durch solche Maßnahmen behebbar sind, weshalb Sterbehilfe - wenn vielleicht auch
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nur in Ausnahmefällen - möglicherweise doch " alternativlos " (siehe Modul Zur Alternativlosigkeit von
Sterbehilfe) ist.
Das Problem der Ermittlung des mutmaßlichen Willens im Falle nicht entscheidungsfähiger
Patienten
Jedwede Form von Sterbehilfe kann nur dann zulässig sein, wenn sie dem Willen des Betroffenen selbst
entspricht. Deshalb ist die Sterbehilfe im Falle eines nicht mehr oder - wenn es sich um ein Neugeborenes
handelt - noch nicht urteils- und äußerungsunfähigen Patienten nur dann zulässig, wenn es im Vorfeld möglich
ist, seinen mutmaßlichen Willen zu ermitteln. Grundlegend sind bei dieser Ermittlung in einem ersten Schritt
die "medizinischen Kriterien", d.h. Diagnose und Prognose.
Darüber hinaus sind als weitere Schritte verschiedene Instrumentarien zur Ermittlung des mutmaßlichen
Patientenwillens in der Diskussion. Eine Möglichkeit ist eine vom Patienten selbst getroffene
Patientenverfügung , (siehe Modul Patientenverfügung) in der er, noch urteils- und äußerungsfähig,
entsprechende Willensbekundungen formuliert hat. Eine andere Möglichkeit besteht in der Konsultation eines
von dem Patienten vorgängig benannten Betreuers oder Vormunds, oder aber - wenn ein solcher nicht benannt
ist - einer oder mehrerer dem Patienten nahestehender Personen.
Ob diese Instrumentarien wirklich adäquat sind, wird jedoch kontrovers diskutiert. Skeptiker geben zu
bedenken, dass der Zeitraum zwischen der Abfassung einer Patientenverfügung und dem Eintritt des
"Ernstfalls" oft sehr lang ist, dass ein gesunder Mensch den "Ernstfall" nicht immer angemessen vorwegnehmen
kann und dass man in einer solche Verfügung auch nicht jeden möglichen Einzelfall voraussehen und
entsprechende Anweisungen formulieren kann. Zudem wird in Frage gestellt, ob eine Vertretung des
Patienten in Gestalt eines Patientenanwalts oder ein nahestehender Angehöriger den Patientenwillen zutreffend
einschätzt bzw. einschätzen kann oder ob eine solche Vertretung nicht möglicherweise sogar missbraucht
werden kann. Keines dieser Instrumentarien ist daher vorbehaltlos anzuwenden. Eine verlässliche Ermittlung
des mutmaßlichen Patientenwillens ist bisweilen sogar gar nicht möglich.
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III. Rechtliche Regelungen
Das Themenfeld Sterbehilfe berührt in rechtlicher Hinsicht
(siehe Modul Sterbehilfe in rechtlicher
Hinsicht) in erster Linie Bestimmungen der Strafgesetzgebung und, soweit ärztliches Handeln darin involviert
ist, des ärztlichen Standesrechts. Da die Sterbehilfe in den verschiedenen nationalen Gesetzgebungen meist
nicht ausdrücklich geregelt ist, sind ferner Gerichtsentscheide zu berücksichtigen, welche die herrschende
Rechtsauffassung in diesem Bereich widerspiegeln.
Die Sicht des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Am 29. April 2002 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in seinem
Urteil im Fall Pretty gegen das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland (siehe Modul
Urteil des EuGHMR im Fall Pretty vom 29. April 2002) entschieden, dass eine strafrechtliche Verfolgung
der Sterbehilfe im Sinne des britischen "Suicide Act" von 1961 nicht im Widerspruch mit tragenden Artikeln
der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten steht; nach Artikel 2
Absatz 1 des "Suicide Act" ist "eine Person, die bei dem Suizid eines anderen hilft, zu ihm anstiftet, bei
ihm berät oder ihn herbeiführt", mit einem Freiheitsentzug von bis zu vierzehn Jahren zu bestrafen. Die an
einer Motoneuronerkrankung leidende 43-jährige Britin Diane Pretty hatte am 21. Dezember 2001 gegen diese
Bestimmungen des "Suicide Act" und die Verweigerung der vorgängigen Straffreistellung ihres Ehemannes
durch die nationalen Gerichte geklagt, wenn dieser ihr bei einer Selbsttötung helfe. Mrs Pretty verstarb am 11.
Mai 2002 in einem Hospiz an ihrer Krankheit.
Die Situation in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Sterbehilfe nicht Gegenstand expliziter gesetzlicher Regelungen. Im
konkreten Fall wird geprüft, ob die den Fremdtötungsparagraphen §211 (Mord), §§212 und 213 (Totschlag)
und §216 (Tötung auf Verlangen) des deutschen Strafgesetzbuches (StGB)
(siehe Modul Deutsches
Strafgesetzbuch (StGB)) zu Grunde liegenden Tatbestände erfüllt sind. Der Suizid ist nach deutschem Recht
kein Straftatbestand, somit bleibt auch die Beihilfe zum Suizid straflos. Hier wird in der Rechtsprechung
allerdings geprüft, ob andere Straftatbestände wie Totschlag oder unterlassene Hilfeleistung (§323c StGB)
erfüllt werden. Wird die Beihilfe zum Suizid durch einen Arzt oder nahen Angehörigen geleistet, ist ferner die
Garantenstellung, die diese Personen dem Sterbewilligen gegenüber einnehmen, von besonderer Bedeutung, da
in diesen Fällen auch eine Unterlassung als Straftat gewertet werden kann. Die Forderung selbst über den Tod
entscheiden zu dürfen, führt derzeit in Deutschland zu Ansätzen einer kommerziell betriebenen Sterbehilfe
(siehe Modul Kommerziell betriebene Sterbehilfe) .
Für mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung beschloss
der Bundestag im Juni 2009 in seinem "Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts" eine Regelung zum
Umgang mit der Patientenverfügung (siehe Modul Patientenverfügung) . Dieses Gesetz schafft Klarheit
in dem bisher umstrittenen Punkt, dass der Wille des Patienten unbedingt zu achten ist - unabhängig
von Art und Stadium seiner Erkrankung, also auch dann, wenn die Krankheit nicht unumkehrbar zum
Tod führt. Voraussetzung für die Gültigkeit einer Verfügung ist die Schriftform (oder eine vergleichbar
zuverlässige Form der Aufzeichnung wie etwa ein Video). Wenn keine Patientenverfügung vorliegt oder
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die dort formulierten Umstände nicht auf die aktuelle Behandlungssituation zutreffen, haben Betreuer und
Arzt den mutmaßlichen Wunsch des Patienten zu ermitteln und dementsprechend zu handeln. Nach wie vor
bleiben solche Patientenverfügungen ungültig, die sich auf die rechtlich untersagte Tötung auf Verlangen
beziehen.
Als höchstrichterliche Instanz hat der Bundesgerichtshof bisher insgesamt fünf Urteile zur Sterbehilfe
gefällt, die als Präzedenzfälle angesehen werden können. Insbesondere in seinem letzten Urteil vom 25. Juni
2010 wurden die Implikationen des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts noch einmal gestärkt
und konkretisiert.
In den " Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung " (siehe Modul
Grundsätze der Bundesärztekammer) von 2004 wird die "gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen,
die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen" als "aktive Sterbehilfe" und somit als
"unzulässig und mit Strafe bedroht" abgelehnt. Hingegen heißt es dort, dass bei Sterbenden die
"Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen" kann, "dass eine möglicherweise dadurch bedingte
unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf". Lebensverlängernde Maßnahmen können
nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des
Patienten abgebrochen oder ihre Anwendung unterlassen werden, wenn sie "nur den Todeseintritt verzögern
und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann". Bei nicht-einwilligungsfähigen
Patienten hat der Arzt hierzu eine Erklärung der gesetzlichen Vertreter einzuholen, die ggf. von einem
Vormundschaftsgericht bestellt werden müssen.
Die Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz spricht sich in ihrem Bericht " Sterbehilfe und Sterbebegleitung.
Ethische, rechtliche und medizinische Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen ärztlicher
Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung des Patienten " (siehe Modul Bioethik-Kommission
Rheinland-Pfalz) vom 23. April 2004 für eine nachhaltige Unterstützung der häuslichen Pflege sowie den
Ausbau von Hospizen und der palliativmedizinischen Versorgung aus. Außerdem plädiert die Kommission
mehrheitlich für eine "klarstellende Regelung durch den Gesetzgeber zur aktiven, passiven und indirekten
Sterbehilfe". Insbesondere soll durch das Gesetz festgeschrieben werden, dass "weder das Unterlassen
oder der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten, noch die
als Nebenwirkung einer notwendigen und vom Patienten gewünschten Medikation in Kauf genommene
Lebensverkürzung rechtswidrig sind". Dies soll - anders als es die Bioethik-Kommission fordert - unabhängig
davon gelten, "ob das Grundleiden des Patienten einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat".
Nimmt ein Arzt in Fällen objektiv nicht behebbaren schwersten Leidens eine Tötung auf Verlangen vor, soll
gemäß Mehrheitsvotum der Kommission das Gericht von Strafe absehen können. Ebenso soll unter bestimmten
Umständen auch eine ärztlich assistierte Selbsttötung ausnahmsweise "zu rechtfertigen sein".
In seiner am 13. Juli 2006 veröffentlichten Stellungnahme "Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende"
beschäftigt sich der Nationale Ethikrat (siehe Modul Nationaler Ethikrat) schwerpunktmäßig mit Problemen
des derzeitigen Sprachgebrauchs im Zusammenhang von Sterbebegleitung, der als "missverständlich und
irreführend" beurteilt wird, sowie mit Fragestellungen im Kontext der Selbsttötung. Insbesondere werden zwei
Aspekte thematisiert: erstens die ethische Bewertung der Selbsttötung angesichts unheilbarer Krankheiten
und zweitens die Aufgaben und Pflichten von Ärztinnen und Ärzten bezüglich der Suizidintervention,
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der Beihilfe zum Suizid und der Bitte um Tötung auf Verlangen. Im Rahmen seiner Stellungnahme
stellt der Nationale Ethikrat unterschiedliche Positionen dar: Einige Mitglieder machen geltend, dass die
Suizidbeihilfe dem beruflichen Auftrag des Arztes widerspreche und es schwierig sei festzustellen, ob dem
Suizidwunsch eines Patienten tatsächlich ein frei verantworteter und ernsthaft bedachter Entschluss zugrunde
liegt anstatt nur einer temporären seelischen Krise oder einer depressiven Verstimmung. Dem entgegen
steht die Auffassung einer zweiten Gruppe, die betont, dass Ärzte verpflichtet seien "ihre medizinischen
Kompetenzen zum Besten ihrer Patienten einzusetzen und deren Selbstbestimmung zu akzeptieren". In der
Situation unheilbarer Krankheit könne dies auch die Beihilfe zum Suizid beinhalten. Die Beurteilung der
Entscheidungsfähigkeit eines Patienten gehöre überdies zum tagtäglichen Aufgabenbereich von Ärzten. Eine
dritte Position sieht in der Entscheidung des Arztes für oder gegen eine Beihilfe zu Suizid eine höchst
persönliche Gewissensentscheidung, die zu billigen sei und berufrechtlich nicht geahndet werden solle.
Auch die Frage nach organisierter Vermittlung von Suizidbeihilfe ist im Nationalen Ethikrat umstritten.
Mehrheitlich bestehen grundlegende Bedenken gegen sie, und auch ihre Befürworter bewerten sie gegenüber
einer professionellen Suizidbeihilfe durch den behandelnden Arzt als nicht wünschenswert. In der Frage der
Tötung auf Verlangen besteht im Nationalen Ethikrat Übereinstimmung darin, dass das entsprechende Verbot
nach §216 StGB Bestand haben soll, wobei in Einzelfällen das Absehen von Bestrafung ermöglicht werden
solle.
Die Situation in der Schweiz
Ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland ist in der Schweiz (siehe Modul Schweiz) die Sterbehilfe
nicht explizit durch das Gesetz geregelt. Die aktive Sterbehilfe, also die gezielte Tötung eines Menschen zur
Verkürzung seines Leidens, ist jedoch nach den Artikeln 111 (vorsätzliche Tötung), 113 (Totschlag) oder 114
(Tötung auf Verlangen) des Strafgesetzbuches (siehe Modul Schweizerisches Strafgesetzbuch) strafbar.
In Artikel 115 des schweizerischen StGB heißt es: "Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum
Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde,
mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft." Daraus wird gefolgert, dass die Beihilfe
zum Suizid
(siehe Modul Beihilfe zum Suizid) nicht strafbar ist, wenn sie aus nicht-selbstsüchtigen
Motiven geleistet wird. Ein derzeit laufendes Revisionsverfahren des Strafgesetzbuches
(siehe Modul
Schweizerisches Strafgesetzbuch) , in dem einschneidende Regeln für die organisierte Sterbehilfe vorgesehen
sind, ist noch nicht entschieden. Hiernach dürften entweder nur Menschen Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen,
deren Tod unmittelbar bevorsteht oder es könnte sogar – so eine zweite Fassung – die Sterbehilfe ganz verboten
werden.
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat als zuständige
standesrechtliche Instanz die beiden Richtlinien "
Behandlung und Betreuung von zerebral
schwerst geschädigten Langzeitpatienten " (siehe Modul SAMW zu zerebral schwerst geschädigten
Langzeitpatienten) (27. November 2003) und " Betreuung von Patienten am Lebensende " (siehe
Modul SAMW zur Betreuung von Patienten am Lebensende) (5. Februar 2004) veröffentlicht, die ihre 1995
verfassten "Medizinisch-ethischen Richtlinien für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerst
geschädigter Patienten" ersetzen. In den alten Richtlinien wurde die Beihilfe zum Suizid nicht als "Teil der
ärztlichen Tätigkeit" betrachtet. Die Inkaufnahme der Lebensverkürzung im Rahmen palliativer Maßnahmen
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DRZE/Im Blickpunkt
bei Sterbenden sowie der Behandlungsabbruch oder der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen in
aussichtslosen Fällen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten wurden jedoch als zulässig anerkannt.
In den überarbeiteten Richtlinien zur "Betreuung von Patienten am Lebensende" spricht sich die SAMW für
eine bedingte Öffnung hin zur Möglichkeit einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid aus. Zwar hält die SAMW
daran fest, dass "die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit" sei, sie hebt jedoch abweichend von
der Fassung von 1995 hervor, dass der Arzt andererseits "den Willen des Patienten zu achten" habe und dass
dies auch bedeuten könne, "dass eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes, im Einzelfall Beihilfe
zum Suizid zu leisten, zu respektieren" sei.
Vor dem Hintergrund der Gründung von Sterbehilfeorganisationen (siehe Modul Sterbehilfeorganisationen)
und dem damit verbundenen so genannten Sterbetourismus hat die Nationale Ethikkommission im Bereich
Humanmedizin (NEK) im April 2005 eine Stellungnahme
(siehe Modul Stellungnahme der Nationalen
Ethikkommission im Bereich Humanmedizin) zum Thema "Beihilfe zum Suizid" verfasst, in der sie die
aktuelle Rechtslage und die Praxis der Auslegung darstellt. Die Kommission befürwortet die liberale Regelung
des Artikels 115 StGB, der besagt, dass Suizidbeihilfe legal ist, solange sie nicht aus selbstsüchtigen
Motiven erfolgt. Eine Ausnahme bilden jedoch psychisch Kranke (siehe Modul Suizidhilfe bei psychisch
Kranken); bei ihnen soll keine Suizidbeihilfe geleistet werden, wenn der Suizidwunsch Ausdruck oder
Symptom der psychischen Erkrankung ist. Die NEK plädiert außerdem dafür, Sterbehilfeorganisationen
unter eine staatliche Aufsicht zu stellen, um die "Einhaltung von Qualitätskriterien für die Abklärung von
Suizidhilfeentscheiden" zu gewährleisten.
Welche "Mindestanforderungen [...] überprüft, erfüllt und dokumentiert" sein müssen, "damit aus ethischer
Sicht Suizidbeihilfe geleistet werden darf", hat die NEK in ihrer Stellungnahme " Sorgfaltskriterien im
Umgang mit Suizidbeihilfe " (siehe Modul NEK zu Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe)
vom 27. Oktober 2006 dargelegt. Zu den von der NEK empfohlenen Mindestanforderungen gehört, dass
keine Zweifel an der "Urteilsfähigkeit" des Suizidwilligen bestehen. Ferner muss der Suizidwunsch "aus
einem schweren, krankheitsbedingten Leiden" entstanden sein. Der Suizidwunsch darf nicht "aus einem
Affekt oder aus einer absehbar vorübergehenden Krise" resultieren oder Symptom einer psychischen
Krankheit sein. Zudem ist erforderlich, dass der Suizidwunsch "frei von äußerem Druck" zustande
gekommen ist und "alle alternativen Optionen" mit dem Suizidwilligen abgeklärt worden sind. Um das
Vorliegen dieser Voraussetzungen zu überprüfen seien "persönliche, mehrmalige Kontakte und intensive
Gespräche" unabdingbar - ebenso wie die Bestätigung durch eine unabhängige "Zweitmeinung [...] von einer
dafür kompetenten Person". Um Missbräuchen der straffreien Suizidbeihilfe in Sterbehilfeorganisationen
vorzubeugen, empfiehlt die NEK eine Kontrolle solcher Organisationen "durch organisationsinterne und externe Personen".
Der NEK-Stellungnahme vom 27. Oktober 2006 vorausgegangen war eine Empfehlung des Bundesrates
vom 31. Mai 2006
(siehe Modul Empfehlung des schweizer Bundesrates) an das Parlament, auf den
Erlass eines Gesetzes über die Zulassung und Beaufsichtigung von Sterbehilfeorganisationen zu verzichten.
Die Empfehlung des Bundesrates gründete sich auf einen entsprechenden Bericht des Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartements
(siehe Modul Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement)
.
Der Bericht war zu dem Ergebnis gelangt, dass Missbräuche bei der Suizidhilfe "auf kantonaler und
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DRZE/Im Blickpunkt
auf kommunaler Ebene [...] durch konsequente Anwendung und Durchsetzung des geltenden Rechts [...]
sowie durch Erlass von Bestimmungen im Bereich der Spital-, Pflege- und Heimwesens" verhindert
werden könnten. Bundesgesetzgeberische Maßnahmen, mit denen Sterbehilfeorganisationen einer besonderen
staatlichen Aufsicht unterstellt würden, hatte der Bericht dagegen abgelehnt. Solche Maßnahmen seien sowohl
"unverhältnissmäßig" als auch "untauglich", da sie "zu einer starken Bürokratisierung und gar zu einer
unerwünschten Institutionalisierung und staatlichen Zertifizierung der Tätigkeit der Suizidhilfeorganisationen
führen" würden.
Nichtsdestotrotz bleibt die öffentliche Kontrolle der Sterbehilfe-Organisationen in der Schweiz ein Thema.
Vorreiter bei dieser Diskussion ist der Kanton Zürich (siehe Modul Suizidhilfe im Kanton Zürich) : Hier hat
einerseits eine der in der Schweiz agierenden Organisationen eine entsprechende Vereinbarung mit dem Kanton
unterzeichnet, andererseits hat sich massiver ziviler Protest gegen die Arbeit der Sterbehilfeorganisationen
formiert, so dass unlängst durch die Initiative der Bürger mit Unterschriftensammlungen die Durchführung
eines Volksentscheids im Kanton erzwungen wurde, dessen Ergebnis noch aussteht.
Die Situation in den Niederlanden
Am 1. April 2002 trat das " Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der
Hilfe bei der Selbsttötung " ("Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding") (siehe
Modul Gesetzeslage Sterbehilfe in den Niederlanden) in Kraft. Es sieht Änderungen des Strafgesetzbuches
dahingehend vor, dass die in Artikel 293 (Tötung auf Verlangen) und Art. 294 Abs. 2 (Beihilfe zum Selbstmord)
beschriebenen Tatbestände nicht als strafbar gelten, wenn sie von einem Arzt begangen werden, der dabei
besondere Sorgfaltskriterien beachtet. Diese "beinhalten, dass der Arzt:
a zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient freiwillig und nach reiflicher Überlegung um Sterbehilfe
gebeten hat,
b zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich
war,
c den Patienten über seinen Zustand und dessen Aussichten informiert hat,
d mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist, dass es in dem Stadium, in dem sich der Patient befand,
keine angemessene andere Lösung gab,
e mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt hinzugezogen hat, der den Patienten gesehen und sein
schriftliches Urteil über die in den Punkten a) bis d) bezeichneten Sorgfaltskriterien abgegeben hat, und
f die Lebensbeendigung medizinisch sorgfältig ausgeführt hat."
Bei Patienten, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Willen zu äußern, jedoch früher in schriftlicher Form eine
Bitte um Lebensbeendigung formuliert haben, kann der Arzt dieser Bitte nachkommen.
Wenn ein Patient im Alter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren eine Bitte um Lebensbeendigung vorbringt,
kann der Arzt dieser Bitte entsprechen, wenn die Eltern bzw. der Vormund in die Entscheidung einbezogen
wurden. Bei Patienten zwischen zwölf und sechzehn Jahren ist hierzu das Einverständnis der Eltern bzw. des
Vormunds erforderlich.
Der Arzt muss sein Vorgehen bei der Lebensbeendigung bzw. der Hilfe zum Suizid dem zuständigen
Leichenbeschauer melden und einen Bericht über die Einhaltung der Sorgfaltskriterien vorlegen. Der Bericht
wird von einer Kontrollkommission geprüft, deren Zusammensetzung und Kompetenzen im neuen Gesetz
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (11)
DRZE/Im Blickpunkt
festgelegt sind. Wenn die Kontrollkommission Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Arztes hegt,
informiert sie darüber die Staatsanwaltschaft.
Laut einer Presseerklärung vom 29. November 2005
(siehe Modul Niederländisches Ministerium für
Gesundheit, Gemeinwohl und Sport) des niederländischen Ministeriums für Gesundheit, Gemeinwohl und
Sport (Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport) soll in den Niederlanden ein Komitee eingerichtet
werden, das die Staatsanwaltschaft in Fällen von Euthanasie bei Neugeborenen sowie Spätabtreibungen beraten
soll. Beide Fälle sollen weiterhin als Straftaten gelten; ob der ausführende Arzt jedoch strafrechtlich verfolgt
wird, soll der zuständige Staatsanwalt in Zukunft mit Hilfe des neuen Komitees entscheiden. Damit soll erreicht
werden, dass Entscheidungen für Spätabtreibungen und Lebensbeendigung bei Neugeborenen mit der nötigen
Sorgfalt getroffen werden. Zudem reagiert die Regierung damit auf das so genannte " Groningen Protocol ",
(siehe Modul Das Groningen-Protokoll) das von dem Groningen University Medical Centre als Grundlage für
den Umgang mit diesen Fällen angenommen wurde. Das Komitee soll aus drei verschiedenen Ärzten (deren
fachliche Qualifikation sich je nach Fall entscheidet), einem Ethiker und einem Juristen bestehen.
Aktuell wird eine Ausweitung der Legalisierung von Sterbehilfe in den Niederlanden diskutiert. Angeregt
wird diese Debatte durch die "Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende" ( NVVE ), die zusammen
mit der Bürgerinitiative "Aus freiem Willen" für die Sterbehilfegesuche gesunder Menschen, die ihr Leben
als vollendet ansehen, eintritt. Diesen soll der Suizid z.B. durch die Bereitstellung von Sterbebegleitern, die
keine Ärzte sind, oder durch sogenannte "Letzte-Wille-Pillen", die ab einer gewissen Altersgrenze erwerbbar
sein sollen, erleichtert werden. Das niederländische Parlament wird sich in Bälde mit der Petition der
Bürgerinitiative befassen und Stellung nehmen müssen, zu dem schwierigen Gesuch um Sterbehilfe bei
vollendetem Leben.
Zur Debatte siehe die Artikel " 'Letzte-Wille-Pille' für Lebensmüde " und " Für Menschen ohne Perspektive
" in der TAZ vom 27.5.2010.
In den Niederlanden werden inzwischen - auch in englischer und in deutscher Übersetzung - Bücher (siehe
Modul Ratgeberliteratur aus den Niederlanden) veröffentlicht, in denen über Möglichkeiten zur Selbsttötung
informiert wird.
Zwischen 2007 und 2008 ist die Zahl der Fälle von Sterbehilfe in den Niederlanden (siehe Modul Mehr
Sterbehilfe-Fälle in den Niederlanden) von 2120 auf 2331 um fast zehn Prozent gestiegen. Damit setzt sich
ein Trend fort, der sich seit 2002 abzeichnet.
Die Situation in Belgien
Am 16. Mai 2002 hat die belgische Abgeordnetenkammer mit 86 gegen 51 Stimmen bei 10 Enthaltungen
ein "Gesetz zur Euthanasie" verabschiedet. Der belgische Senat hatte dieses Gesetz bereits am 25. Oktober
2001 gebilligt. Nach dem neuen Gesetz ist die Tötung auf Verlangen durch einen Arzt unter bestimmten
Bedingungen (siehe Modul Gesetzeslage Sterbehilfe in Belgien) erlaubt.
Die Situation in Luxemburg
Am 17.3.2009 trat im Großherzogtum Luxemburg ein Sterbehilfegesetz in Kraft ( Loi du 16 mars 2009
sur l'euthanasie et l'assistance au suicide ) (siehe Modul Gesetzeslage Sterbehilfe in Luxemburg) .
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (12)
DRZE/Im Blickpunkt
Gemäß diesem Gesetz ist die Beihilfe zum Suizid in Luxemburg, wie in den Niederlanden und Belgien, unter
bestimmten Umständen erlaubt.
Patienten haben nun die Möglichkeit, mit ärztlicher Hilfe vorsätzlich aus dem Leben zu scheiden. Die
Straffreiheit dieser ärztlichen Hilfe hängt von verschiedenen Bedingungen ab: Der betroffene Patient muss
volljährig sein und sich in einer medizinisch ausweglosen Situation befinden. Er muss unter psychischen
oder physischen Schmerzen leiden, ohne Aussicht auf eine Besserung dieser Situation. Der Wunsch, aus dem
Leben zu scheiden, muss freiwillig, wohlüberlegt und ohne äußeren Druck zustande kommen und schriftlich
formuliert sein. Bei 16- bis 18-Jährigen darf Sterbehilfe nur dann geleistet werden, wenn die Eltern oder die
gesetzlichen Vertreter zuvor ihre Zustimmung erteilt haben. Bei einem Patienten, der seinen Wunsch nicht
mehr äußern kann, ist der in einer Patientenverfügung festgelegte Wille entscheidend. Laut dem Gesetz muss
der Arzt mit dem Patienten mehrere ausführliche Gespräche bezüglich seiner Entscheidung führen und ihn über
seinen Zustand und alle medizinischen Möglichkeiten aufklären. Außerdem muss grundsätzlich die Meinung
eines zweiten Arztes über die Schwere und Unheilbarkeit der Erkrankung hinzugezogen werden. Sämtliche
Fälle von Sterbehilfe müssen einer Kontrollkommission gemeldet werden, die die Erfüllung der im Gesetz
festgelegten Bedingungen überprüft.
Die erste Lesung zum Sterbehilfegesetz fand am 19. Februar 2008 statt und wurde mit 30 Ja-Stimmen, 26 NeinStimmen und drei Enthaltungen angenommen. Da es aber laut dem Staatsrat juristische Unvereinbarkeiten
mit dem gleichzeitig vorgeschlagen Gesetz zur Palliativmedizin ( Loi du 16 mars 2009 relative aux soins
palliatifs, à la directive anticipée et à l'accompagnement en fin de vie ) (siehe Modul Der luxemburgische
Gesetzestext zu Palliativmedizin) gab, wurden die Parlamentarier nicht von einer zweiten Lesung entbunden.
Die erneute Abstimmung über das Sterbehilfegesetz am 18. Dezember 2008 erbrachte ein Ergebnis von 31 JaStimmen, 26 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen und bestätigte somit die Einstellung der Parlamentarier in der
ersten Abstimmung.
Am 17. März 2009 erschien das Amtsblatt Memorial, in dem das Gesetz abgedruckt war und somit in Kraft
trat. Das Gesetz trägt das Datum des 16. März 2009 und die Unterschrift von Großherzog Henri.
Die Verzögerung der Veröffentlichung ist auf eine Verfassungsänderung bezüglich der Rechte des
Großherzogs zurückzuführen. Damit ein Gesetz in Kraft treten kann, musste vor der Verfassungsänderung der
Großherzog dieses nicht nur unterschreiben, sondern auch billigen. Anfang Dezember 2008 wurde bekannt,
dass Großherzog Henri das Gesetz nicht unterschreiben werde, da er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren
könne. Das Vetorecht sollte nun durch eine Änderung des Artikels 34 der Verfassung dem Großherzog entzogen
werden: Der Großherzog muss ein Gesetz nur noch verkünden, nicht mehr billigen. Die erste Lesung zu diesem
Änderungsvorschlag fand am 11. Dezember 2008 statt und wurde angenommen. Da das luxemburgische
Parlament bei einer Verfassungsänderung allerdings nicht von einer zweiten Lesung entbunden werden kann
und diese frühestens drei Monate nach der ersten Lesung erfolgen darf, wurde am 11. März 2009 erneut
abgestimmt. Die Verfassungsänderung wurde einstimmig und mit Einverständnis des Großherzogs Henri
angenommen.
Die Situation in Frankreich
In Frankreich ist am 22. April 2005 das Gesetz " Loi n° 2005-370 relative aux droits des malades et à la
fin de vie " (siehe Modul Gesetzeslage Sterbehilfe in Frankreich) verabschiedet worden, das das Gesetz
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (13)
DRZE/Im Blickpunkt
über das öffentliche Gesundheitswesen (Code de la santé publique) dahingehend ändert, dass ein Abbruch
der medizinischen Behandlung auf Wunsch eines Patienten dann nicht strafbar ist, wenn dieser sich in einer
fortgeschrittenen Phase oder in der Endphase einer schweren und unheilbaren Krankheit befindet - auch
wenn dieser Abbruch den Tod beschleunigt. Ist der Patient nicht mehr entscheidungsfähig und liegt keine
Patientenverfügung vor, so müssen die Familienangehörigen bzw. eine Vertrauensperson und ein weiterer Arzt
hinzugezogen werden. Patientenverfügungen werden berücksichtigt, sofern ihr Verfassen zum Zeitpunkt des
Eintretens der Bewusstlosigkeit nicht länger als drei Jahre zurück liegt und sie nicht widerrufen wurden. Aktive
Sterbehilfe (siehe Modul Aktive Sterbehilfe in Frankreich) hingegen bleibt in Frankreich weiterhin verboten.
Die Situation in Italien
Vergleichbar mit der Situation in Deutschland ist die Sterbehilfe in Italien nicht ausdrücklich gesetzlich
geregelt. Die aktive Sterbehilfe fällt jedoch grundsätzlich in den Anwendungsbereich des strafrechtlichen
Verbots der vorsätzlichen Tötung ("omicidio volontario", Art. 575 codice penale). Diese Vorschrift sieht eine
Mindeststrafe von 21 Jahren vor. Für eine Strafmilderung im Falle einer Mitleidstötung besteht im Einzelfall
ein gewisser Wertungsspielraum: Art. 62 codice penale (siehe Modul Italienisches Strafgesetzbuch) erkennt
als mildernden Umstand an, wenn der Straftäter aus "Motiven von besonderem moralischem oder sozialem
Wert" ("motivi di particolare valore morale o sociale") gehandelt hat. Im Falle einer wirksamen Einwilligung
seitens des Sterbewilligen kommt der Tatbestand der "Tötung mit Einwilligung" ("omicidio del consenziente",
Art. 579 codice penale) mit einem Strafrahmen von 6 bis 15 Jahren zur Anwendung. Abweichend von der
deutschen Rechtslage ist indes auch die Verleitung und die Beihilfe zum Selbstmord gemäß Art. 580 codice
penale ("istigazione o aiuto al suicido") strafbar. Art. 580 codice penale sieht einen Strafrahmen von 5 bis 12
Jahren vor.
Die passive Sterbehilfe unterfällt im Falle einer wirksamen Einwilligung durch den Sterbewilligen dem
in Art. 32 Abs. 2 der italienischen Verfassung
(siehe Modul Italienische Verfassung) garantierten
Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich medizinischer Behandlungen. Dort heißt es, dass "niemand außer in
den gesetzlich geregelten Fällen zwangsweise einer medizinischen Behandlung unterzogen werden darf."
Diese Ausnahmeregelungen dürfen ihrerseits auf keinen Fall die durch den "Respekt vor der menschlichen
Person" ("respetto della persona umana") auferlegten Grenzen verletzen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2).
Im Falle der fehlenden Einwilligung ist die passive Sterbehilfe für den Garanten, d.h. für denjenigen, der
rechtlich für die Verhinderung des Todes einzustehen hat (etwa Eltern, Ehegatten und Ärzte), grundsätzlich
als "Tötung durch Unterlassen" gleichermaßen strafbewehrt wie die aktive Tötung (Art. 575 i.V.m. Art. 40/2
codice penale).
Nur in den Fällen des Hirntods ist der Abbruch oder das Unterlassen lebenserhaltender medizinischer
Maßnahmen erlaubt, sofern die hinzugezogenen Angehörigen des Hirntoten, der zuständige Chefarzt, ein
behandelnder Arzt sowie ein Rechtsmediziner dem zustimmen. Sind sich die Ärzte und die Angehörigen
uneins, muss gerichtlich entschieden werden.
Der aktuelle Fall der Komapatientin Eluana Englaro
(siehe Modul Eluana Englaro) hat dazu geführt, dass
die Debatte um die Sterbehilfe in Italien wieder intensiv geführt wird und auch durch die Politik aufgegriffen
worden ist.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (14)
DRZE/Im Blickpunkt
Die Situation in Großbritannien
Wie der Fall Pretty (siehe Modul Urteil des EuGHMR im Fall Pretty vom 29. April 2002) noch einmal
nachdrücklich aufzeigte, spricht der " Suicide Act " (siehe Modul Suicide Act) ein grundsätzliches
Suizidhilfeverbot aus. Sterbehilfe wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 14 Jahren geahndet. Die
Rechtssituation in Großbritannien lässt dabei einen weiten Ermessensspielraum bezüglich des tatsächlichen
Strafmaßes im Einzelfall zu. Es ist britischen Staatsbürgern zwar möglich in die Schweiz zu reisen, wenn sie
Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen. Werden sie hierbei jedoch begleitet und unterstützt, so verhält sich die
Begleitperson gesetzeswidrig. In der Praxis kommt es selten zur Strafverfolgung, doch bisher konnten sich die
Betroffenen nicht darauf verlassen ohne Anklage zu bleiben. Im Juli 2009 hat nun eine Einzelfallentscheidung
die Debatte angefacht. Debbie Purdy , (siehe Modul Richtlinien zur Sterbehilfe in Großbritannien) eine an
Multipler Sklerose erkrankte, suizidwillige Britin, hat im House of Lords erreicht, dass die obersten Richter
ihrem Mann Straffreiheit zusichern, falls dieser ihr bei der Ausreise in die Schweiz helfen sollte. Auf diesen
Fall hin ordneten die Lordrichter an, dass die britische Anklagebehörde (GPP) genaue Richtlinien erlassen
müsse, die Aufschluss darüber geben, unter welchen Bedingungen es bei Suizidhilfe tatsächlich zur Verfolgung
komme. Die britische Anklagebehörde verkündete daraufhin im September 2009 entsprechende Richtlinien
(siehe Modul Richtlinien zur Sterbehilfe in Großbritannien) . Entscheidend für die Straffverfolgung ist
demnach etwa die Unterscheidung zwischen "Beihilfe" und "Ermutigung" zum Freitod sowie die Frage, ob
der Begleiter vom Tod des Patienten profitiert. Kritiker führen an, dass der Erlass dieser Richtlinien zur
Strafverfolgung bei Beihilfe zum Suizid durch Angehörige eine Legalisierung „durch die juristische Hintertür“
darstellt.
Die Situation in den USA
Da die Strafgesetzgebung in den USA (siehe Modul USA: Bundesweite Regelungen) in erster Linie durch
die Einzelstaaten erfolgt, gibt es keine bundesweit verbindlichen Regelungen zur Sterbehilfe und zur Beihilfe
zum Suizid. Die Bundesgerichte haben zu klären, ob die Gesetze der Einzelstaaten der Bundesverfassung
entsprechen.
Die aktive Sterbehilfe ist in allen Einzelstaaten verboten, während der Behandlungsabbruch und der
Behandlungsverzicht in Übereinstimmung mit dem Patientenwillen in aussichtslosen Fällen (passive
Sterbehilfe) allgemein akzeptiert sind. Dasselbe gilt für die indirekte Sterbehilfe.
Auch der Suizid gilt in einigen Staaten als Verbrechen oder Vergehen, desgleichen die Beihilfe zum Suizid. In
einzelnen Bundesstaaten gab es Initiativen zur Legalisierung der Beihilfe zum Suizid. In Oregon (siehe Modul
US-Bundesstaat Oregon) ist am 27.Oktober 1997 der "Death with Dignitiy Act" in Kraft getreten, wonach
"ein einsichtsfähiger Erwachsener, ... bei dem durch den behandelnden und den beratenden Arzt eine terminale
Erkrankung festgestellt wurde", einen schriftlichen Antrag stellen kann, sein "Leben auf menschenwürdige
Weise zu beenden". Der Patient erhält nach Genehmigung des Antrags ein Rezept für ein Medikament, das es
ihm ermöglichen soll, sein Leben selbst zu beenden. Auch in den Bundesstaaten Washington und Montana
ist die Beihilfe zum Suizid unter vergleichbaren Vorgaben 2008 bzw. 2009 legalisiert worden.
Anfang des Jahres 2005 löste der Fall Terri Schiavo (siehe Modul Terri Schiavo) in den USA eine erneute
Debatte über das Recht zu sterben und den Umgang mit Euthanasie aus. Terri Schiavo hatte im Jahr 1990
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (15)
DRZE/Im Blickpunkt
bei einem Zusammenbruch eine schwere Gehirnschädigung erlitten und befand sich seitdem im Wachkoma.
Während ihr Ehemann und gesetzlicher Vormund dafür plädierte, die künstliche Ernährung einzustellen und
die Patientin sterben zu lassen, wie es ihr (allerdings nur mündlich geäußerter) Wunsch gewesen sei, sprachen
sich ihre Eltern für die Weiterernährung aus. Anfang des Jahres 2005 ordnete Präsident George W. Bush an,
den seit sieben Jahren im Staat Florida andauernden Gerichtsstreit, in dessen Verlauf die künstliche Ernährung
bereits mehrmals unterbrochen und wieder aufgenommen wurde, auf Bundesebene weiter zu führen. Dafür
wurde eigens eine Gesetzesinitiative entworfen, durch die erreicht werden sollte, dass Terri Schiavo so lange
am Leben gehalten wird, bis ein Bundesgericht zu einer Entscheidung gekommen ist. Im Februar wurde der
Fall schließlich vor dem höchsten Gericht der USA zugunsten von Terri Schiavos Ehemann entschieden.
Die Situation in Australien
Im Northern Territory von Australien (siehe Modul Australien) trat 1996 der "Rights of the Terminally
Ill Act" in Kraft. Dieser erlaubte den ärztlich assistierten Suizid bei terminal Kranken, deren Leiden ein
unerträgliches Maß erreicht hat. Vier Patienten nahmen sich daraufhin mit Hilfe eines Computers, der auf
Knopfdruck die Injektion einer tödlichen Medikamentendosis auslöste, das Leben. Das Gesetz wurde 1997
durch ein Gesetz des australischen Parlaments außer Kraft gesetzt. Ähnliche Gesetzesinitiativen wie im
Northern Territory gab es auch in anderen Bundesstaaten Australiens. Erst kürzlich wurde ein Entwurf zu einem
Gesetz zur Legalisierung der Euthanasie gleichzeitig in beide Kammern des Parlaments von Südaustralien
eingebracht.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (16)
DRZE/Im Blickpunkt
Autorennachweis
Sterbehilfe
•
Einführung und grundlegende begriffliche Unterscheidungen
Verfasst von Ingo Hillebrand, grundlegend überarbeitet von Christina Rose und Katharina Campe (Oktober
2009); überarbeitet von Aurélie Halsband, Freya Möbus, Christina Rose (April/Mai 2010).
•
Zentrale Diskussionsfelder
Verfasst von Ingo Hillebrand, grundlegend überarbeitet von Christina Rose und Katharina Campe (Oktober
2009); überarbeitet von Aurélie Halsband, Freya Möbus, Christina Rose (April/Mai 2010).
•
Rechtliche Regelungen
Verfasst von Michael Weiffen, überarbeitet von Bert Heinrichs (August 2009), grundlegend überarbeitet
von Christina Rose und Katharina Campe (Oktober 2009); überarbeitet von Aurélie Halsband, Freya Möbus,
Christina Rose (April/Mai 2010); überarbeitet von Freya Möbus, Robert Ullrich; Christina Rose (Juli/August
2010).
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (17)
DRZE/Im Blickpunkt
Module
Module zum Blickpunkt Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe in Frankreich
Aktive Sterbehilfe in Frankreich
Der Fall der schwerkranken Krebspatientin Chantal Sébire und Ihrem Ersuchen nach aktiver Sterbehilfe
hatte Ende 2008 die Debatte zu einer gesetzlichen Straffreiheit für Sterbehilfe neu entfacht. Am 24.
November 2009 wurde der von den Sozialisten eingebrachte Gesetzesentwurf für eine Straffreiheit der
Sterbehilfe unter bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen mit konservativer Mehrheit von UMP und NC in
der Nationalversammlung abgelehnt. Damit bleiben die Regelungen der „loi n° 2005-370 relative aux droits
des malades et à la fin de vie" in Kraft.
Ergebnisse und Begründungen der Abstimmung (in französischer Sprache)
Zur rechtlichen Situation in Frankreich
Argumentationslast
Argumentationslast
Die grundsätzliche Frage nach der rechtsethischen Zulässigkeit eines strafrechtlichen Verbots in einem
demokratischen Staatswesen und die mit einer solchen Argumentation verbundene Argumentationslast
behandelt:
Hoerster, Norbert (2009): Zur Legitimität der Sterbehilfe. In: Information Philosophie (2), S. 7-13.
Australien
Australien
"Rights of the Terminally Ill Act" und weitere relevante Dokumente
Bedingte Zulässigkeit der Selbsttötung
Bedingte Zulässigkeit der Selbsttötung
Zur Kritik am Argument der "Unantastbarkeit" oder "Heiligkeit" des Lebens und der Auffassung einer
unbedingten Unzulässigkeit der Selbsttötung vgl. paradigmatisch:
Siep, Ludwig / Quante, Michael (1999): Ist die aktive Herbeiführung des Todes im Bereich des medizinischen
Handelns philosophisch zu rechtfertigen? In: Adrian Holderegger (Hg.): Das medizinisch assistierte Sterben.
Zur Sterbehilfe aus medizinischer, ethischer, juristischer und theologischer Sicht. Universitätsverlag: Freiburg
i. Ue./Herder: Freiburg i. Br., 37-55.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (18)
DRZE/Im Blickpunkt
Beihilfe zum Suizid
Beihilfe zum Suizid
Für eine breite öffentliche Debatte sorgte im Jahr 2000 eine Entscheidung des Stadtrats Zürich, ein seit
1987 bestehendes Verbot aufzuheben, das die Durchführung und Unterstützung von Selbsttötungen in den
Einrichtungen des Gesundheits- und Umweltdepartments untersagte. Danach dürfen seit dem 1. Januar 2001
die Insassen von Alters- und Krankenheimen, die über kein anderes Zuhause verfügen, in diesen Einrichtungen
Suizid verüben und sich dabei von Angehörigen oder Mitgliedern von Sterbehilfeorganisationen unterstützen
lassen. Dem Heimpersonal ist die Beihilfe zum Suizid in solchen Fällen ausdrücklich untersagt. Gegen diese
Regelung wurde wiederholt Einspruch erhoben.
Die Stadt Zürich hat ihre Haltung gegenüber den Einwänden in einer Medienmitteilung ausgeführt und die
Einsprüche gegen ihr Vorgehen auf ihrer Homepage dokumentiert.
Medienmitteilung der Stadt Zürich.
Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz
Bericht der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz
Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hat die Aufgabe, die Landesregierung über aktuelle
Entwicklungen in den Lebenswissenschaften sowie über ethische, soziale, rechtliche und wirtschaftliche
Aspekte neuer Technologien und ihre möglichen Folgewirkungen zu beraten. Die Kommission wurde 1986 im
Auftrag des rheinland-pfälzischen Ministerrats vom Justizminister des Landes gegründet.
Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz (2004): Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Ethische, rechtliche und
medizinische Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht und
Selbstbestimmung des Patienten.
Das Groningen-Protokoll
Das Groningen-Protokoll
Das so genannte "Groningen Protocol" von 2002 legt fünf Bedingungen fest, die erfüllt sien müssen, damit
Sterbehilfe an Neugeborenen nicht strafbar ist.
1 die Diagnose und Prognose sicher sein,
2 das Leiden hoffnungslos und unerträglich sein,
3 ein unabhängiger Arzt dieses Leiden sowie die Diagnose und Prognose bestätigen,
4 die Zustimmung beider Eltern vorliegen und
5 ein bestimmter medizinischer Standard eingehalten werden.
Ein Artikel zweier der Autoren des "Groningen Protocols", in dem auch das Protokoll selbst abgedruckt ist,
befindet sich im New England Journal of Medicine.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (19)
DRZE/Im Blickpunkt
Verhagen, Eduard; Sauer, Pieter J.J.(2005): The Groningen Protocol "Euthanasia in severly ill newborns. In:
New England Journal of Medicine 352 (10), 959ff.
Der luxemburgische Gesetzestext zu Palliativmedizin
Loi du 16 mars 2009 relative aux soins palliatifs, à la directive anticipée et à l'accompagnement en fin
de vie
Der luxemburgische Gesetzestext zu Palliativmedizin im Original
Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements: "Sterbehilfe und Palliativmedizin Handlungsbedarf für den Bund?" (24. April 2006)
Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements: Sterbehilfe und Palliativmedizin Handlungsbedarf für den Bund? (24. April 2006)
Eluana Englaro
Der Fall Eluana Englaro
Die Italienerin Eluana Englaro war nach einem Unfall im Jahr 1992 ins Koma gefallen. Ihr Vater hatte
durchzusetzen versucht, dass die künstliche Ernährung der Frau eingestellt wird. Im November 2008 hatte
das oberste italienische Berufungsgericht in letzter Instanz eine Anordnung des Mailänder Berufungsgerichts
bestätigt, wonach die künstliche Ernährung der Italienerin eingestellt werden konnte. Dies scheiterte allerdings
zunächst an einer Intervention des Gesundheitsministeriums. In der ersten Februarwoche wurde Eluana Englaro
dann jedoch in ein Altersheim verlegt, wo die künstliche Ernährung eingestellt wurde. Die Verlegung war von
Protesten von Kritikern der Gerichtsentscheidung begleitet. Auch der Vatikan hatte das Urteil zuvor kritisiert.
Die Regierung unter Ministerpräsident Berlusconi versuchte anschließend, durch ein Eildekret die Fortsetzung
der künstlichen Ernährung zu erzwingen. Staatspräsident Napolitano verhinderte das Inkrafttreten jedoch durch
die Verweigerung seiner Unterschrift. In Reaktion darauf wollte die Regierung in einem Eilverfahren ein
Gesetz in Geltung setzen, das eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung erforderlich gemacht hätte. Bevor
dieses Eilverfahren zum Abschluss gebracht werden konnte, verstarb Eluana Englaro am 9.02.2009. Ersten
Ergebnissen einer Autopsie zufolge starb die Patientin an Dehydrierung, also an Verdursten. Das Vorgehen der
Ärzte entspräche damit der Entscheidung des Gerichts. Kritiker, darunter Ministerpräsident Berlusconi, hatten
zuvor Vorwürfe erhoben und öffentlich Mutmaßungen angestellt, Englaro sei nicht eines natürlichen Todes
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (20)
DRZE/Im Blickpunkt
gestorben. Vor allem die kurze Zeit zwischen der Beendigung der künstlichen Ernährung und dem Eintritt des
Todes hatten Vermutungen dieser Art befördert. Diese Vorwürfe bestätigten sich nach der Obduktion allerdings
nicht. Nachdem das italienische Parlament vor dem Hintergrund des Streits um Englaros Tod ein weiteres
Gesetz zur Regelung der Sterbehilfe in Italien auf den Weg gebracht hatte, verabschiedete der italienischen
Senat Ende März 2009 einen Gesetzesentwurf, demzufolge eine Unterbrechung von lebenserhaltenden
Maßnahmen wie die Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung in Zukunft verboten sein soll. Die Verabschiedung
dieses Gesetzes durch die Abgeordnetenkammer steht derzeit noch aus.
Bericht der Times über die Kritik des Vatikans an der Entscheidung im Fall "Eluana Englaro"
Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den Tod der Komapatientin Eluana Englaro
Bericht der New York Times über den Tod der Komapatientin Eluana Englaro
Bericht der Süddeutschen Zeitung über den Tod der Komapatientin Eluana Englaro
Briefing der New York Times bezüglich der Todesursache im Fall Eluana Englaro
Empfehlung des schweizer Bundesrates
Empfehlung des Bundesrates vom 31. Mai 2006
Zur Empfehlung des Bundesrates vom 31. Mai 2006 an das Parlament, in der es heißt, auf den Erlass
eines Gesetzes über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen zu verzichten, vgl. die
Medienmitteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom gleichen Tag
Gesetzeslage Sterbehilfe in Belgien
Belgien: "Loi relatif à l'euthanasie"
Voraussetzung für die Erlaubnis des Tötens auf Verlangens ist, dass der Patient volljährig oder, falls
minderjährig, mit hinsichtlich dieser Frage vergleichbarem Rechtsstatus ausgestattet ist ("mineur émancipé"),
im Moment seines Verlangens zurechnungsfähig ist und sein Wunsch freiwillig, überlegt und ohne äußeren
Druck formuliert wurde. Der Patient muss sich in einer medizinisch ausweglosen Situation befinden, in der
ein anhaltendes, unerträgliches physisches oder psychisches Leid besteht, das durch einen Unfall oder eine
schwere und unheilbare Krankheit verursacht ist und nicht gelindert werden kann.
Die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Tötung auf Verlangen wird dabei an die Einhaltung eines bestimmten
Verfahrens gebunden. So muss der Arzt den Patienten über dessen Gesundheitszustand und Lebenserwartung
sowie über therapeutische und palliative Möglichkeiten informiert haben und mit diesem zu der gemeinsamen
Überzeugung gelangt sein, dass es in dieser Situation keine andere "vernünftige Lösung" ("solution
raisonnable") für den Patienten gibt. Der Arzt hat sich in mehreren, über eine angemessene Periode hinweg
geführten Gesprächen mit dem Patienten der Dauerhaftigkeit seines physischen oder psychischen Leids sowie
seines Sterbewunsches zu versichern. Hinsichtlich der Frage, ob ein anhaltendes, unerträgliches und nicht zu
linderndes physisches oder psychisches Leid vorliegt, ist ein zweiter, unabhängiger und in der betreffenden
Pathologie kompetenter Arzt zu konsultieren. Der Sterbewunsch des Patienten muss vom Patienten selbst
schriftlich aufgesetzt und unterschrieben sein. Ist er dazu nicht in der Lage, kann der Wunsch durch eine
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (21)
DRZE/Im Blickpunkt
Person seiner Wahl, die kein materielles Interesse am Tod des Patienten hat, im Beisein des Arztes niedergelegt
werden. Ist nicht zu erwarten, dass der Tod des Patienten in absehbarer Zeit eintreten würde, muss mindestens
ein Monat zwischen dem schriftlich gefassten Sterbewunsch und der Tötung auf Verlangen vergangen sein.
Jeder Volljährige oder Minderjährige mit hinsichtlich dieser Frage vergleichbarem Rechtsstatus ("mineur
émancipé") kann für den Fall, dass er nicht mehr seinen Willen äußern kann, vorsorglich eine
Willenserklärung abgeben, dass ein Arzt an ihm "eine Euthanasie praktiziert", wenn er an einer schweren
und unheilbaren Beeinträchtigung infolge eines Unfalls oder einer Erkrankung leidet, bewusstlos ist und
die Situation nach aktuellem Stand der Wissenschaft irreversibel ist. In der Willenserklärung können in
einer Präferenzordnung eine oder mehrere Vertrauenspersonen benannt werden, die in die Ermittlung des
mutmaßlichen Patientenwillens einzubinden sind. Im Fall der andauernden physischen Unfähigkeit, selbst eine
solche Willenserklärung zu verfassen, kann diese von einer vom Betroffenen gewählten Person aufgesetzt
werden, die kein materielles Interesse am Tod des Patienten hat. Ein Arzt, der im Falle eines schwer,
unheilbar und irreversibel Kranken, der bewusstlos ist, auf der Grundlage einer solchen Willenserklärung
"eine Euthanasie praktiziert", handelt auch hier rechtmäßig, sofern er bestimmte Verfahrensregeln einhält. Zu
diesen zählt, dass er zur Einschätzung der medizinischen Situation einen zweiten Arzt und zur Ermittlung des
mutmaßlichen Patientenwillens die in der Willenserklärung genannten Personen konsultiert hat.
Jede praktizierte Tötung auf Verlangen muss bei einer einzurichtenden "Föderalen Kontroll- und EvaluationsKommission" registriert und bewertet werden. Diese hat zu beurteilen, ob die Bedingungen und die
jeweils vorgesehenen Verfahrensregeln für eine legale Tötung auf Verlangen erfüllt sind. Kommt eine
Zweidrittelmehrheit der 16-köpfigen Kommission (8 Mediziner, 4 Juristen und 4 unmittelbar mit der
Problematik unheilbar Kranker befasste Personen) zu dem Schluss, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt
sind, ist der Fall an den zuständigen Staatsanwalt weiterzuleiten.
Wortlaut des beschlossenen "Projet de loi relatif à l'euthanasie"
Das nationale belgische Bioethikkomitee hatte sich 1997 in einer Stellungnahme zur Sterbehilfe geäußert.
1999 veröffentlichte das Komitee eine weitere Stellungnahme, die speziell die Sterbehilfe bei nichteinwilligungsfähigen Personen behandelt.
Comité consultatif de Bioéthique de Belgique: Avis n° 1 du 12 mai 1997 concernant l'opportunité d'un
règlement légal de l'euthanasie.
Comité consultatif de Bioéthique de Belgique: Avis n° 9 du 22 février 1999 concernant l'arret actif de la vie
des personnes incapables d'exprimer leur volonté.
Gesetzeslage Sterbehilfe in den Niederlanden
Gesetz zur Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung
Der Originaltext des am 1. April 2002 in Kraft getretenen "Gesetzes zur Überprüfung bei Lebensbeendigung
auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung" (Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp
bij zelfdoding) ist zugänglich über die Web-Seiten der Nederlandse Vereniging voor Vrijwillige Euthanasie
(NVVE):
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (22)
DRZE/Im Blickpunkt
Eine deutsche Übersetzung des Sterbehilfegesetzes liegt auf den Seiten der katholischen Nachrichten-Agentur
vor:
Einen guten und knappen Überblick über die Entwicklung der rechtlichen Regelung der Sterbehilfe in den
Niederlanden bis 1994 und die sich darum rankende gesellschaftliche Diskussion gibt:
Gordijn, Bert (1997): Euthanasie in den Niederlanden - eine kritische Betrachtung. Berlin: Humanitas-Verlag.
Gesetzeslage Sterbehilfe in Frankreich
Loi n° 2005-370 relative aux droits des malades et à la fin de vie
Loi n° 2005-370 du 22 avril 2005 relative aux droits des malades et à la fin de vie (1)
Gesetzeslage Sterbehilfe in Luxemburg
Loi du 16 mars 2009 sur l'euthanasie et l'assistance au suicide
Der luxemburgische Gesetzestext zu Sterbehilfe im Original
Gewöhnliche und außergewöhnliche Behandlungsmittel
Gewöhnliche und außergewöhnliche Behandlungsmittel
Gewöhnliche Maßnahmen und Mittel sind diejenigen, die sich auf Medikamente oder Behandlungsmethoden
beziehen, die ohne weiteres bereit stehen und angewandt werden, ohne schwere Schmerzen, Kosten oder andere
Unannehmlichkeiten zu verursachen, die aber für den betroffenen Patienten eine begründete Hoffnung auf
eine gesundheitliche Besserung geben. Außergewöhnliche Maßnahmen oder Mittel sind diejenigen, welche
sich auf Medikamente oder Behandlungsmethoden beziehen, die nicht angewandt werden können, ohne dass
sie schwere Schmerzen, Kosten oder andere Unannehmlichkeiten verursachen, die aber - falls sie verwendet
würden - für den betroffenen Patienten keine begründete Hoffnung auf einen angemessenen gesundheitlichen
Nutzen geben. Betrachtet man diese Unterscheidung unter ethischen Gesichtspunkten, dann kann differenziert
werden zwischen lebensverlängernden Maßnahmen, die moralisch verpflichtend angewandt werden müssen
(gewöhnliche Mittel) - da sie dem Patienten voraussichtlich dienlich sind - oder fakultativ angewandt werden
können (außergewöhnliche Mittel) - da der Nutzen für den Patienten nicht offensichtlich oder in hohem
Maß umstritten ist. Auf die Grenze von moralisch gebotenem ärztlichen Handeln hat bereits Papst Pius XII.
1957 im Hinblick darauf hingewiesen, dass Leben, Gesundheit und irdische Tätigkeiten geistigen Zwecken
untergeordnet seien. Dabei wird der Tod als integraler Bestandteil des Lebens angesehen, weil er nach
christlicher Vorstellung nicht das Ende, sondern der Übergang zu einem neuen Leben ist.
Ansprache von Pius XII. "Rechtliche und sittliche Fragen der Wiederbelebung" am 24. November 1957 an
eine Gruppe von Ärzten, die auf Veranlassung des Georg-Mendel-Instituts für Genetik zusammengekommen
waren. In: AAS 49 (1957), 1027-1033. (Deutsch in: A.-F. Utz/J.-F. Groner (Hg.): Aufbau und Entfaltung des
gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII., Bd. 3, Freiburg (Schweiz) 1961, 3266-3274, hier S. 3270.)
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (23)
DRZE/Im Blickpunkt
Grundsätze der Bundesärztekammer
Grundsätze der Bundesärztekammer (BÄK) zur ärztlichen Sterbebegleitung
Die Bundesärztekammer hat - als die für das ärztliche Standesrecht in der Bundesrepublik maßgebliche
Einrichtung - ihre Haltung zur Sterbehilfe in den "Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung" niedergelegt.
Eine aktualisierte Fassung der 1998 verfassten Richtlinien liegt seit Mai 2004 vor.
Bundesärztekammer (2004): Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. In:
Deutsches Ärzteblatt 101 (19) (07.05.2004), Seite A1298 - A1299.
Bundesärztekammer/Kassenärztliche Bundesvereinigung (2008): Sterben in Würde, Grundsätze und
Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte.
Hospizbewegung
Hospizbewegung
Weiterführende Informationen zu Ansatz, Zielen und Aufgaben der Hospizbewegung gibt die
Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz.
Weiterführende Informationen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Hospiz
Kinderhospiz
Italienische Verfassung
Italienische Verfassung
Der italienische Senat
Italienisches Strafgesetzbuch
Italienisches Strafgesetzbuch
codice penale
Kirchen
Kirchen
Da sich sowohl die Evangelische als auch die Katholische Kirche in Deutschland für die "Unantastbarkeit"
und "Heiligkeit" des Lebens einsetzen, lehnen sie die aktive Sterbehilfe ab, als "eine ethisch nicht
vertretbare, gezielte Tötung eines Menschen in seiner letzten Lebensphase, auch wenn sie auf seinen
ausdrücklichen, verzweifelten Wunsch hin erfolgt" und plädieren für "eine Stärkung der Alternativen [...] für
eine menschenwürdige Begleitung Kranker und Sterbender [...] durch Engagement in Caritas und Diakonie, in
den Sozialstationen, Hospizen und Krankenhäusern".
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (24)
DRZE/Im Blickpunkt
Zur Textsammlung kirchlicher Erklärungen unter:
Kommerziell betriebene Sterbehilfe
Kommerziell betriebene Sterbehilfe
Bereits zum wiederholten Mal hat im Zusammenhang mit der kommerziellen Sterbehilfe der ehemalige
Hamburger Justizsenator Roger Kusch das Augenmerk von Politik und Öffentlichkeit auf sich gezogen.
Zwar wurde ihm im Jahr 2007 vom Hamburger Verwaltungsgericht geschäftsmäßige Suizidbegleitung
untersagt, seine neuerlichen Bestrebungen jedoch passen sich dieser Regelung an: Der 2007 von Roger Kusch
gegründete Verein „SterbeHilfeDeutschland“ vermittelt gegen jährliche Mitgliedszahlung oder gegen eine
einmalige Zahlung eines lebenslangen Mitgliedschaftsbeitrags Beratung und Begleitung in der Umsetzung des
eigenen Suizidwunsches, ohne dass Kusch - seiner Meinung nach - hierbei eine aktive Beteiligung oder eine
Gewinnorientierung im Sinne des Urteils vorgeworfen werden könnten.
In der Vergangenheit hatten sich sowohl die ehemalige Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU)
ablehnend gegenüber kommerzieller Sterbehilfe geäußert, als auch der Bundesrat . Ein Gesetzesentwurf
zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung wurde 2008 im Bundesrat
diskutiert, es kam jedoch nicht zu einer Verabschiedung.
Der neuerliche Vorstoß von Kusch gibt nun innerhalb der derzeitigen Regierung wieder Anlass für
Diskussionen. Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP ist vorerst nur das strafrechtliche Verbot
gewerbsfähiger Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung vorgesehen. „SterbeHilfeDeutschland“
könnte mangels solcher gewerblicher Ausrichtung aber nur dann strafrechtlich verboten werden, wenn
insgesamt die organisierte Sterbehilfe strafrechtlich untersagt würde. Bezüglich der entsprechenden
Gesetzesänderung herrscht derzeit Uneinigkeit innerhalb der Koalition.
Beate Merk
das strafrechtliche Verbot der organisierten Sterbehilfe, Bundesjustizministerin
(CSU) fordert
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger (FDP) lehnt dies ab.
Einen
Gesetzesantrag
zur Strafbarkeit der Werbung für Suizidbeihilfe reichte im März 2010 der
rheinlandpfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) ein. Das öffentliche Anpreisen von Mitteln
oder eigenen bzw. fremden Diensten zur Selbsttötung in "anstößiger Weise" oder aus "kommerziellen
Zwecken" soll mit Geld- oder Freiheitsstrafen geahndet werden.
Kritik an dem Begriff Sterbehilfe
Kritik des Nationalen Ethikrats an der Bezeichnung "Sterbehilfe"
Der Nationale Ethikrat empfiehlt in seiner Stellungnahme von 2006 die Bezeichnungen aktive, passive und
indirekte Sterbehilfe aufzugeben, da es sich um missverständliche und irreführende Begriffe handle.
Insbesondere der Terminus "indirekte Sterbehilfe" wird kritisiert, da die Handlungen, die diese Bezeichnung
umfassen soll, eine Hilfe zum Sterben gar nicht intendierten. Vielmehr gehe es um palliativmedizinische
Maßnahmen wie Schmerzbehandlung und Sedierung, die mit dem Risiko einer durch sie hervorgerufenen
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (25)
DRZE/Im Blickpunkt
Lebensverkürzung verbunden seien. Daher solle der Begriff "indirekte Sterbehilfe" durch "Therapien am
Lebensende" ersetzt werden.
Weiterhin wird vorgeschlagen, das Unterlassen bzw. Abbrechen lebensverlängernder Maßnahmen als
"Sterbenlassen" zu bezeichnen, da es sich in manchen Fällen um ein aktives Eingreifen handelt (z.B. das
Entfernen einer Magensonde), was durch den Ausdruck "passive Sterbehilfe" nicht deutlich werde.
Schließlich wird angeraten statt von "aktiver Sterbehilfe" von "Tötung auf Verlangen" zu sprechen.
Siehe Kapitel 4 der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats von 2006 ( )
Mehr Sterbehilfe-Fälle in den Niederlanden
Steigende Tendenz der Sterbehilfe-Fälle in den Niederlanden
Im Bericht der fünf regionalen Sterbehilfe-Kommissionen in den Niederlanden wird die Zahl der Fälle von
Sterbehilfe im Jahr 2008 mit 2331 angegeben. Damit kam es im Vergleich zum Vorjahr (2120 Fälle) zu einer
Zunahme um ca. 10 Prozent und damit zu einer ähnlichen Steigerung wie zwischen 2006 (1923 Fälle) und 2007.
Diese Zahlen bestätigen eine Tendenz, die sich laut den Organisationen bereits seit 2003 abzeichnet. Genauere
Untersuchungen zeigen, dass dieser Trend nur die Sterbehilfefälle bei Patienten mit Krebsleiden betrifft. Diese
stellen die "klassische Kategorie" dar, in der immer mit Abstand die meisten Fälle verzeichnet werden.
Für den Anstieg werden vor allem zwei Gründe angenommen, und zwar jeder für sich sowie in Wechselwirkung
miteinander: Erstens sei durch eine entsprechende Richtlinie der Unterschied zwischen Palliativmedizin
und Sterbehilfe deutlicher geworden. Deshalb wird angenommen, dass seltener als in der Vergangenheit
palliative Maßnahmen gewählt werden, Sterbehilfe dafür entsprechend häufiger. Zweitens wurde in der letzten
landesweiten Untersuchung von 2005 die Meldebereitschaft von Suizidhilfe auf 80% geschätzt. In den übrigen
20% ging es vor allem um Sterbehilfe mit Hilfe von Morphin. Es wird angenommen, dass zunehmend von
dem regulären Sterbehilfemittel Gebrauch gemacht wird und dass diese Fälle auch gemeldet werden, was zu
einem Anstieg der Meldungen führt.
Ob sich die Entwicklung dadurch aber tatsächlich erklären lässt, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten,
die auch für mehr Klarheit sorgen sollen, was die Praxis medizinischer Entscheidungsfindung in Fragen zum
Lebensende angeht.
Zum Bericht der Kommissionen (in Niederländisch)
Nationaler Ethikrat
Der Nationale Ethikrat
Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates (früher: Deutscher Ethikrat) zu Selbstbestimmung und Fürsorge
am Lebensende findet sich unter:
Nationaler Ethikrat (2006): Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende. Stellungnahme.
NEK zu Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (26)
DRZE/Im Blickpunkt
Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) Nr. 13/2006:
"Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe" (27. Oktober 2006)
Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) Nr. 13/2006:
"Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe" (27. Oktober 2006)
Niederländisches Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport
Presseerklärung des niederländischen Ministeriums für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport
(Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport)
Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport (29.11.2005): Advisory Committee on termination of life
of neonates
Palliativversorgung
Palliativversorgung
Palliativpflege oder Palliativversorgung zielt auf die umfassende Pflege von Patienten ab, die nicht mehr
heilbaren Erkrankungen aufweisen. Eine bestmögliche Lebensqualität und Lebenszufriedenheit soll diesen
Patienten und deren Familien ermöglicht werden. Anders als bei der aktiven Sterbehilfe wird der Tod
nicht beschleunigt. Der Patient soll bis zum Zeitpunkt des Todes selbstbestimmend die nutzenbringendste
Behandlung erfahren, sowohl physisch als auch psychisch.
Link zur Bundesärztekammer
Link zum Beschlussprotokoll des 106. Deutschen Ärztetages 2003
Link zum Redaktionsbüro Gesundheit / Bundesministerium für Gesundheit
Link zum Deutschen Hospiz- und Palliativverband e.V.
Palliativmedizin ist im Rahmen des Medizinstudiums in Deutschland seit Juli 2009 als Pflichtfach in
die Approbationsordnung für Ärzte aufgenommen, und zwar durch einen (in einem
Gesetzesentwurf
vorgeschlagenen) entsprechenden Passus im Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus
, das am 10.7.2009 in Kraft trat. Durch das Gesetz soll sichergestellt werden, "dass die Studentinnen und
Studenten der Medizin im späteren Berufsleben den Anforderungen an die Versorgung Schwerstkranker und
Sterbender gewachsen sind und die umfassende und kompetente Versorgung dieser Menschen gewährleistet
wird".
Sowohl in Deutschland als auch im Ausland haben sich überregionale Organisationen der Verbesserung der
Palliativmedizin verschrieben.
Patientenverfügung
Patientenverfügung
Unter einer Patientenverfügung versteht man die Willenserklärung eines Menschen, die dieser für den Fall
äußert, dass er gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist bestimmten medizinische Maßnahmen, die ihn selbst
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (27)
DRZE/Im Blickpunkt
betreffen, zuzustimmen oder diese abzulehnen. Diese Verfügungen spielen eine große Rolle im Hinblick
auf die Selbstbestimmung eines Patienten, denn durch unterschiedliche Wertvorstellungen können sich die
Meinungen der Beteiligten einer Behandlungssituation gegenüber stehen. Besonders dann, wenn Patienten
mittels Patientenverfügungen lebensverlängernde Maßnahmen für sich selbst ablehnen oder wenn sie gar
für den Fall später einsetzender eigener Entscheidungsunfähigkeit das eigene Sterbenlassen oder die aktive
Sterbehilfe fordern und somit die Handlung eines Dritten erforderlich wird, entstehen Situationen, in denen
eine ärztlich indizierte Maßnahme dem Willen des Patienten nicht entspricht. Für solche Fälle muss es eine
klare Regelung geben, wie der Wille des Patienten zu gewichten ist.
In der Debatte um den rechtlichen Status und die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen wurden mehrere
verschiedenartige Ansichten geäußert. So hat die vom Bundesjustizministerium eingesetzte Arbeitsgruppe
"Patientenautonomie am Lebensende" am 10. Juni 2004 ihren Abschlussbericht vorgelegt, in dem sie fordert,
dass Wünsche in Patientenverfügungen - wenn sie auf die konkrete Situation zutreffen - auch dann verbindlich
gelten sollen, "wenn die Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat".
Im Gegensatz dazu hat die Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des deutschen
Bundestages (15. Wahlperiode) am 13. September 2004 einen Zwischenbericht veröffentlicht, in dem sie
dafür plädiert, einen Verzicht oder Abbruch einer medizinisch indizierten oder ärztlich vorgeschlagenen
lebenserhaltenden Maßnahme nur dann umzusetzen, "wenn das Grundleiden irreversibel ist und trotz
medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird".
Erst seit kurzem sind der rechtliche Status und die Verbindlichkeit der Patientenverfügung im Parlament
gesetzlich geregelt. Am 18. Juni 2009 beschloss der Bundestag das Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts
, welches neben anderen von den Abgeordneten Joachim Stünker (SPD) und Michael Kauch (FDP)
vorgeschlagen wurde.
Ziel des Stünker-Entwurfs ist es, "durch eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung für alle Beteiligten
mehr Rechtssicherheit zu schaffen" und die Achtung des Grundsatzes der Selbstbestimmung zu stärken. Die
Patientenverfügung, deren Wirksamkeitsvoraussetzung die Schriftform oder eine vergleichbare Form, z.B. eine
Videoaufzeichnung, ist, wird durch diesen Entwurf im Betreuungsrecht verankert.
Das Gesetz gewährleistet, dass der in der Patientenverfügung festgelegte Wille des Betroffenen unabhängig
von Art und Stadium der Erkrankung zu beachten ist. Die Missachtung gilt als Körperverletzung. Doch die
Umsetzung der Patientenverfügungen erweist sich in konkreten Situationen häufig als problematisch. Die
Vielfalt möglicher unvorhersehbarer Umstände erschwert es oft, im Sinne des nicht mehr einwilligungsfähigen
Patienten zu behandeln. Diesem Faktum wird in dem 2009 neuformulierten Betreuungsgesetz vermehrt
Rechnung getragen: Sofern die gegebene Situation nicht in der Patientenverfügung bedacht wurde, muss
die Frage nach der Durchführung einer ärztlichen Maßnahme in einem dialogischen Prozess zwischen Arzt,
Betreuer und ggf. weiteren Vertrauenspersonen des Patienten entschieden werden. Kommen die Dialogpartner
nicht zu einer Einigung über den mutmaßlichen Patientenwillen, muss das Betreuungsgericht miteinbezogen
werden. Dies ist ebenso der Fall, wenn bei einer besonders schwer wiegenden Entscheidung eines Betreuers
oder Bevollmächtigten die Befürchtung besteht, dass er nicht nach dem Willen des Patienten handelt oder
wenn "die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (28)
DRZE/Im Blickpunkt
und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet". Eine solche nicht genehmigte Maßnahme darf nur
durchgeführt werden, wenn mit einem Aufschub Gefahr für den Betreuten verbunden ist.
Zur Umsetzung des dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, insbesondere zur Relevanz der
dialogischen Entscheidungsfindung, bezieht die aktuelle Empfehlung der Bundesärztekammer und der
Zentralen Ethikkommission zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung (
) Stellung sowie
der Artikel " Patientenverfügungsgesetz: Umsetzung in der klinischen Praxis " von D. Borasio, H.J. Heßler
und U. Wiesing erschienen in: Deutsches Ärzteblatt 106(40), A 1952–1957.
Es ist weder unbedingt erforderlich, vor dem Verfassen ein Beratungsgespräch mit einem Arzt zu führen,
noch muss die Verfügung in regelmäßigen Abständen durch Unterschrift und Datum neu bestätigt werden.
Die Entscheidung eine Verfügung zu verfassen oder dies nicht zu tun steht jedem Menschen frei. Auch dann,
wenn eine Patientenverfügung aus der Sicht etwa von Pflegepersonal oder Angehörigen deren späteres Handeln
erleichtern würde, darf niemand zur Abfassung gedrängt oder gezwungen werden. Willensbekundungen, "die
auf eine verbotene Tötung auf Verlangen gerichtet sind, bleiben unwirksam".
Alternativ zum Stünker-Entwurf brachten die Abgeordneten Hubert Hüppe, Beatrix Philipp, Prof. Dr. Norbert
Lammert (alle CDU/CSU) und weitere Abgeordnete einen Antrag ein, in dem sie sich gegen die "gesetzliche
Überregulierung der Patientenverfügung" aussprachen.
Der Wunsch, eine Patientenverfügung für den Fall der eigenen Einwilligungsunfähigkeit zu erstellen ist
nach den Abgeordneten verständlich, allerdings sind zukünftige Krankheits- und Leidenszustände nicht
vorhersehbar. Obwohl in der Praxis Patientenverfügungen, wenn die darin geäußerten Wünsche der jeweiligen
Situation entsprechen, Beachtung geschenkt wird, wird es immer Fälle geben, in denen Patientenverfügungen
nicht anwendbar und somit nicht verbindlich sind. Nach diesem Entwurf ist die gegenwärtige Rechtslage
vollkommen ausreichend, d.h. "eine über die aktuelle Rechtslage hinausgehende gesetzliche Regelung der
Patientenverfügung weder notwendig noch überzeugend möglich". Dieser Entwurf konnte sich jedoch nicht
durchsetzen.
Ebenso wenig mehrheitsfähig war der Entwurf einer Gruppe von Abgeordneten um Wolfgang Bosbach (CDU/
CSU), der vorsah, dass einer Erklärung von Wünschen in einer Patientenverfügung eine "umfassende ärztliche
und rechtliche Beratung vorausgegangen, dokumentiert und mit der Patientenverfügung vom Notar beurkundet
ist und diese nicht älter als fünf Jahre alt ist oder mit neuer ärztlicher Beratung bestätigt wurde". Bei heilbaren
Krankheiten ist der Arzt nicht verpflichtet, sich Wünschen in einer Patientenverfügung, die ohne ärztliche
Beratung zustande gekommen ist, anzunehmen. Inhalte, die nicht auf einen Behandlungsabbruch abzielen, sind
allerdings verbindlich.
Der Blickpunkt Patientenverfügungen bietet einen umfassenden Überblick über die aktuelle rechtliche
Regelung in Deutschland und über die relevanten ethischen Aspekte.
Weitere Informationen zu Inhalt und Verlauf der Debatte um Patientenverfügungen finden sich unter:
Link zur Debatte im Bundestag
Leben am Lebensende - Bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke und Sterbende schaffen
Link zur Stellungnahme des Präsidenten der Bundesärztekammer (2008)
Link zur Stellungnahme der Evangelischen Kirche
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (29)
DRZE/Im Blickpunkt
In Reaktion auf das neue Gesetz zur Patientenverfügung hat die Ärztekammer Hamburg ihr Muster einer
Verfügung den neuen gesetzlichen Regelungen angepasst.
Muster einer Verfügung
.
Das Muster ist Teil der Broschüre der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz
(2009): Ich sorge vor. Hamburg.
Broschüre "Ich sorge vor"
Eine allgemeine Einführung zum Thema Patientenverfügungen sowie einen Überblick über die Diskussion in
Deutschland bis 2005 bietet:
Dr. Katrin Grüber / Dr. Nicklas-Faust, Jeanne (2005): Patientenverfügungen. Dieser Reader ist im Auftrag
der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erstellt worden.
Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Aspekte der Patientenverfügung sowie Hilfestellung beim
Abfassen einer Verfügung (Stand: vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes) findet sich auf den Seiten des
humanistischen Verbandes in Berlin:
Humanistischer Verband in Berlin.
Formulierungshilfen und Textbausteine (Stand: vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes) werden ebenfalls zur
Verfügung gestellt durch u.a.:
Bundesministerium der Justiz.
Deutsche Hospiz-Stiftung.
Einen Überblick über Textbausteine, die im Laufe der langjährigen Debatte von verschiedensten Seiten aus
zur Verfügung gestellt wurden, liefert das Portal zur Medizinethik an der Ruhr-Universität Bochum.
Portal zur Medizinethik.
Informationen zu der Möglichkeit, eine Vertrauensperson mit der Durchsetzung einer Patientenverfügung zu
betrauen, stellt das Bundesministerium der Justiz in der Broschüre "Betreuungsrecht" zur Verfügung. Diese
enthält konkrete Angaben zu den Themen Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung.
Broschüre "Betreuungsrecht".
Ratgeberliteratur aus den Niederlanden
Ratgeberliteratur zur Sterbehilfe aus den Niederlanden
2001 haben vier niederländische Ärzte die Wetenschappelijk Onderzoek naar Zorgvuldige Zelfdooding
(WOZZ) gegründet, eine Stiftung, die wissenschaftliche Untersuchungen zu Sterbehilfe durchführt. Diese
Stiftung gibt im Eigenverlag Ratgeberliteratur zum Thema heraus und vertreibt diese außerhalb des
Buchhandels. Das zuerst erschienene Buch "Informatie over zorgvuldige levensbeendiging" ist inzwischen
vergriffen. Es ist noch erhältlich in deutscher Übersetzung ("Wege zu einen humanen, selbstbestimmten
Sterben").
Zur Website der Stiftung WOZZ
Die deutsche Übersetzung des Buches ist online erhältlich
In Niederländisch, Deutsch und Englisch liegt zudem vor:
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (30)
DRZE/Im Blickpunkt
Boudewijn, Chabot (2009): Een waardig levenseinde in eigen hand / A hastended death by self-denial of food
and drink / Ausweg. Das Leben beenden durch Verzicht auf Essen und Trinken. Ohne Ort. Online erhältlich
Richtlinien zur Sterbehilfe in Großbritannien
Richtlinien zur Sterbehilfe in Großbritannien
Debbie Purdys Fall wurde am 30. Juli 2009 vom höchsten britischen Gericht entschieden. Der Prozess
zog sich über zwei Jahre. Die Entscheidung der Lordrichter beinhaltet neben dem eigentlichen Urteil vor
allem eine für die Zukunft wichtige Anordnung an die Anklagebehörde, verbindliche Richtlinien zu erlassen,
aus denen ersichtlich ist, ob und wann mit einer Strafverfolgung im Fall eines begleiteten Suizids zu
rechnen ist. Bereits in einer ersten Reaktion auf diese Entscheidung erklärt sich Keir Starmer, der Leiter
der britischen Anklagebehörde, mit dem Urteil einverstanden. Neben den schnellstmöglich gewünschten
vorläufigen Richtlinien kündigt er dort auch eine umfassende Meinungserhebung an, deren Ergebnisse in den
Entstehungsprozess endgültiger rechtlicher Regelungen einfließen sollen, die er für 2010 in Aussicht stellt.
Die von der britischen Anklagebehörde daraufhin herausgegebenen Richtlinien für die Strafverfolgung nach
Beihilfe zum Suizid wurden im September 2009 veröffentlicht. Entscheidend für die Straffverfolgung ist
demnach etwa die Unterscheidung zwischen "Beihilfe" und "Ermutigung" zum Freitod, das Vorliegen einer
unheilbaren Krankheit bei dem oder der Betroffenen, das Alter der oder des Betroffenen, die Fähigkeit zur
und tatsächliche Äußerung des Suizidwunsches, die Beziehung zwischen Begleitendem und Suizidwilligem
sowie die Frage, ob der Begleiter von dem Tod des Patienten profitiert. Die Entscheidung für oder gegen eine
Strafverfolgung nach Beihilfe und/oder Ermutigung zum Freitod ist ausdrücklich als Einzelfallentscheidung
angelegt, welche mit dem öffentlichen Interesse abgewogen wird.
Die Richtlinien enthalten eine Übersicht über diejenigen Aspekte, die bei der Entscheidung zur Strafverfolgung
nach Beihilfe zum Suizid berücksichtigt werden. Dabei werden die einzelnen Anforderungen an die Beweislage
und die Inhalte des öffentlichen Interesses aufgelistet, die auf die Entscheidung für oder gegen eine
Strafverfolgung Einfluss nehmen.
Seit ihrer Veröffentlichung dienen die Richtlinien als Grundlage für gerichtliche Verfahren. Zu dem ersten
Ermittlungsverfahren, in dem sie relevant waren, kam es am 11. Januar 2010 im Fall Cari Loder, welche sich
im Juni 2009 nach schwerer neurologischer Erkrankung das Leben genommen hatte. Angeklagt wurde das
Mitglied der Sterbehilfe befürwortenden Gruppe "Friends at the End", Dr. Libby Wilson, die wenige Tage vor
dem Suizid telefonisch Kontakt mit Ms Loder aufgenommen hatte. Der Gerichtsentscheid steht noch aus.
Das Meinungsbild in der Bevölkerung, welche bei einer Neuregelung laut Starmer Einfluss nehmen soll, ergibt
neueren Umfragen zufolge derzeit folgendes Bild:
Eine repräsentative Erhebung im Auftrag der Londoner Times vom 19. Juli 2009 anlässlich des Suizids
eines schwerkranken Ehepaars in den Räumen der Sterbehilfe Dignitas in der Schweiz ergab, dass die Briten
sich mehrheitlich für eine Anwendung der aktiven Sterbehilfe im eigenen Land aussprechen. So befürworten
dreiviertel der Befragten, dass Mediziner aktive Sterbehilfe in Kliniken leisten dürfen. Es überwog jedoch bei
ca. 85 Prozent der Teilnehmer die Ansicht, dass legale Sterbehilfe an bestimmte Bedingungen zu knüpfen sei,
etwa an das Vorliegen einer unheilbaren Krankheit.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (31)
DRZE/Im Blickpunkt
Eine repräsentative
Erhebung des Instituts Ipsos MORI
vom 16. Dezember 2009 im Auftrag der
Sterbehilfeorganisation "Dignity in Dying" ergab, dass sich 53 % der britischen Abgeordneten dafür
aussprachen, Ärzte für die Beihilfe zum Suizid nicht strafrechtlich zu verfolgen, wenn der Patient
zustimmungsfähig war, seinen Willen direkt geäußert hatte und unheilbar erkrankt war. Dagegen gaben 40 %
der Abgeordneten an, eine strafrechtliche Verfolgung zu befürworten, weil das Handeln des Arztes oder der
Ärztin gegen geltendes Gesetz verstoße.
Zum Originaltext der Entscheidung der Lordrichter im Fall Purdy
Zur ersten Reaktion von Keir Starmer
Zum Inhalt der vorläufigen Richtlinien für die Strafverfolgung
Zu den Dokumenten und dem Prozedere der Befragung zum Thema Suizidhilfe durch die britische
Anklagebehörde
Artikel der Times zu ihrer Umfrage zum Thema Suizidhilfe
Ergebnisse dieser Times-Umfrage zum Wunsch nach Gesetzesänderung
SAMW zu zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2003): Behandlung und Betreuung von
zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten. Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW
In den medizinisch-ethischen Richtlinien zur "Behandlung und Betreuung von zerebral schwerst geschädigten
Langzeitpatienten" der SAMW von 2003 heißt es, "die Pflicht zur Lebenserhaltung unterliegt jedoch
Einschränkungen. Vorrangiges massgebendes Kriterium für Entscheide, auf lebenserhaltende Massnahmen zu
verzichten oder sie abzubrechen, ist der Patientenwille. Ist dieser in einer Patientenverfügung festgehalten,
so ist diese nach Meinung der SAMW zu befolgen, "solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen,
dass diese dem derzeitigen Willen des Patienten nicht mehr [entspricht]". Liegt keine Patientenverfügung
vor, gilt der mutmaßliche Wille des Patienten. Weiter heißt es, Entscheidungen, die für oder gegen die
Weiterbehandlung eines Patienten getroffen werden, sollen von allen beteiligten Personen akzeptiert und
möglichst mitverantwortet werden. Die letzte Entscheidung liege jedoch beim direkt verantwortlichen Arzt.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2003): Behandlung und Betreuung von zerebral
schwerst geschädigten Langzeitpatienten. Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW
SAMW zur Betreuung von Patienten am Lebensende
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2004): "Betreuung von Patienten am
Lebensende". Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW
In den Richtlinien "Betreuung von Patienten am Lebensende" wird die Zulässigkeit einer ärztlichen Beihilfe
zum Suizid an folgende drei "Mindestanforderungen" gebunden: 1. "Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt
die Annahme, dass das Lebensende nahe ist", 2. "Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert
und soweit gewünscht auch eingesetzt" und 3. "Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen,
ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer Drittperson überprüft, wobei diese nicht
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (32)
DRZE/Im Blickpunkt
zwingend Arzt sein muss". Ferner muss ein "Todeseintritt nach Beihilfe zum Suizid [...] als ein nicht-natürlicher
Todesfall den Untersuchungsbehörden gemeldet werden". Der Geltungsbereich der neuen Richtlinien ist
auf "Patienten am Lebensende" beschränkt. Damit seien Kranke gemeint, "bei welchen der Arzt aufgrund
klinischer Anzeichen zur Überzeugung gekommen ist, dass ein Prozess begonnen hat, der erfahrungsgemäß
innerhalb von Tagen oder einigen Wochen zum Tod führt".
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2004): "Betreuung von Patienten am
Lebensende". Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW
Im Universitätskrankenhaus von Lausanne ist als erstem Krankenhaus in der Schweiz seit Januar 2006 die
aktive Sterbehilfe unter bestimmten Umständen erlaubt, so meldete Welt Online im Dezember 2005.
Schweiz
Schweiz
1994 forderte Nationalrat Victor Ruffy in einer Motion (d.h. in einem parlamentarischen Vorstoß, der auf
Zustimmung des Parlaments hin zwingend wird) vom Schweizer Bundesrat eine Initiative zur gesetzlichen
Regelung der Sterbehilfe. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement setzte daraufhin im März 1997
eine Arbeitsgruppe ein, welche die medizinischen, ethischen und rechtlichen Fragestellungen in diesem
Themenfeld klären sollte. Die Arbeitsgruppe legte ihren Bericht im April 1999 vor und empfiehlt darin, die
indirekte und die passive Sterbehilfe, die in der Schweiz ohnehin als zulässig gelten, gesetzlich explizit zu
regeln. Eine Mehrheit der Mitglieder der Arbeitsgruppe spricht sich weiterhin dafür aus, die aktive Sterbehilfe
in Ausnahmefällen von der Strafverfolgung auszunehmen. Der Bundesrat hat diesen Bericht im Januar 2000 zur
Kenntnis genommen und im Juli 2000 einen eigenen Bericht vorgelegt. Darin schließt sich der Bundesrat der
Empfehlung der Arbeitsgruppe an, die indirekte und die passive Sterbehilfe gesetzlich zu regeln, widerspricht
aber der Forderung nach einer "sehr restriktiv formulierten Ausnahme" der direkten aktiven Sterbehilfe von
der Strafbarkeit.
Medienmitteilungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (2000): Sterbehilfe. Bericht der Arbeitsgruppe an das
Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement.
Schweizerischer Bundesrat (2000): Bericht des Bundesrates zum Postulat Ruffy, Sterbehilfe. Ergänzung des
Strafgesetzbuches
Schweizerisches Strafgesetzbuch
Schweizerisches Strafgesetzbuch
Derzeit liegen dem Bundesrat zwei Revisionsentwürfe bezüglich Art. 115 StGB und Art. 119 Militärstrafgesetz
vor. Variante 2 stellt Beihilfe und/oder Ermutigung zum Suizid aus selbstsüchtigen Motiven oder im Rahmen
einer Suizidhilfeorganisation unter fünfjährige Freiheits- bzw. Geldstrafe.
Variante 1 stellt eine Ergänzung zu Variante 2 dar, insofern Fälle eingeräumt werden, in denen Straffreiheit
gewährt werden soll. Straffrei soll demnach die Beihilfe und/oder Ermutigung zum Suizid unter anderem dann
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (33)
DRZE/Im Blickpunkt
bleiben, wenn die suizidwillige Person urteilsfähig war, sich frei entschieden und dies auch geäußert hat und
wenn sie an einer unheilbaren Krankheit mit unmittelbar bevorstehender Todesfolge litt. Der Suizidhelfer muss
mit der suizidwilligen Person Alternativen erwogen haben, er darf keinen Erwerbszweck verfolgt haben und
die Suizidhandlung darf nur mit ärztlich verschriebenen Mittel ausgeführt worden sein.
Nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens steht nun die Entscheidung des Gesetzgebers bevor.
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Zweites Buch: Besondere Bestimmungen.
Bericht zur Änderung des Strafgesetzbuches.
Stellungnahme der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) im April 2005: Eine Stellungnahme
zum Thema "Beihilfe zum Suizid"
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) (2005): Beihilfe zum Suizid.
Sterbehilfe in rechtlicher Hinsicht
Sterbehilfe in rechtlicher Hinsicht
Eine gute Zusammenstellung von Rechtsdokumenten zur Sterbehilfe ist in Wolfslast und Conrads 2001
enthalten. Der Band versammelt Gesetzestexte, Urteilsbegründungen, Richtlinien und Stellungsnahmen aus
verschiedenen Ländern, wobei alle Dokumente in deutscher Sprache vorliegen.
Wolfslast, Gabriele / Conrads, Christoph (Hrsg.) (2001): Textsammlung Sterbehilfe. Berlin: Springer.
Sterbehilfe und Arzt-Patient-Verhältnis
Aktive Sterbehilfe und Arzt-Patient-Verhältnis
Die Sorge, dass eine Zulassung ärztlicher aktiver Sterbehilfe das gegenseitige Vertrauen der Menschen und
vor allem auch das Arzt-Patient-Verhältnis untergraben könnte, wird nicht zuletzt von den Kirchen und von
ärztlicher Seite selbst vorgebracht:
Johannes Paul II.: Enzyklika Evangelium vitae. Von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, Priester
und Diakone, die Ordensleute und Laien, sowie an alle Menschen guten Willens über den Wert und
die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Verlautbarungen der Apostolischen Stuhls, 120). Bonn 1995, v.a. Abschnitte 64-67.
Im Sterben: Umfangen vom Leben. Gemeinsames Wort zur Woche für das Leben 1996: "Leben bis zuletzt Sterben als Teil des Lebens". Hannover [u.a.] 1996.
Entschließung des 98. Deutschen Ärztetags 1995 zur Aktiven Sterbehilfe. In: Deutsches Ärzteblatt 92 (23),
9. Juni 1995, 1687.
Sterbehilfe und Euthanasie
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (34)
DRZE/Im Blickpunkt
Sterbehilfe und Euthanasie
Im Englischen bzw. Amerikanischen, Französischen und Italienischen werden für "Sterbehilfe" in der Regel
die Ausdrücke "euthanasia", "euthanasie" und "eutanasia" gebraucht. Diese leiten sich von dem altgriechischen
Wort "euthanasía" ab, das so viel bedeutet wie der "gute" oder "leichte Tod" im Sinne eines schmerzfreien,
schnellen oder auch würdigen Todes - im Gegensatz zum langsamen und qualvollen oder unwürdigen Tod.
Die Verwendung des Ausdrucks "Euthanasie" als Synonym für Sterbehilfe hat sich im Deutschen nicht
durchsetzen können, da er vor dem Hintergrund der rassistisch und eugenisch motivierten Massentötung
als "lebensunwertes Leben" bezeichneter kranker und behinderter Menschen im "Euthanasieprogramm"
in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus negativ konnotiert ist. In der Sterbehilfe-Debatte
spielen Bedenken, dass eine Zulassung der Sterbehilfe, vor allem auch der aktiven, zu einer solchen
"Zwangseuthanasie" führen könnte, eine wichtige Rolle (vgl. Abschnitt II dieses Blickpunkts: Die Frage der
Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe).
Eine erste Einführung in das Thema "Sterbehilfe" / "Euthanasie" geben:
Grimm, Carlo / Hillebrand, Ingo (2009): Sterbehilfe. Bd. 8 der Reihe Ethik in den Biowissenschaften Sachstandsberichte des DRZE. Freiburg i.Br.: Karl Alber.
Lutterotti, Markus von / Eser, Albin (1989): Art. "Sterbehilfe", in: Albin Eser / Markus von Lutterotti / Paul
Sporken (Hrsg.), Lexikon Medizin, Ethik, Recht. Herder: Freiburg, Basel, Wien, 1086-1100.
Schara, Joachim / Beck, Lutwin / Eser, Albin / Schuster, Josef (1998): Art. "Sterbehilfe", in: Wilhelm Korff /
Lutwin Beck / Paul Mikat (Hrsg.), Lexikon der Bioethik. Bd. 3. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh, 445-454.
Einen umfassenden historischen Überblick über das Thema einschließlich der Sterbehilfe-Diskussion in
Deutschland bietet:
Benzenhöfer, Udo (1999): Der gute Tod? Euthanasie und Sterbehilfe in Geschichte und Gegenwart. München:
Beck.
Sterbehilfeorganisationen
Sterbehilfeorganisationen
Da Beihilfe zum Suizid aus nicht-selbstsüchtigen Zielen in der Schweiz nicht strafbar ist, haben sich hier
so genannte Sterbehilfeorganisationen etabliert, beispielsweise der Verein "DIGNITAS - Menschenwürdig
leben - Menschenwürdig sterben". Diese Organisation hat "statutengemäss den Zweck, ihren Mitgliedern
ein menschenwürdiges Leben wie auch ein menschenwürdiges Sterben zu sichern und diese Werte auch
weiteren Personen zugute kommen zu lassen". DIGNITAS "hilft im konkreten Fall bei der Durchsetzung
der Patientenverfügung gegenüber Ärztinnen und Ärzten sowie Kliniken und steht für Sterbevorbereitung,
Sterbebegleitung und Freitodhilfe zur Verfügung." Dieser Verein hat seit September 2005 auch eine
Zweigstelle in Deutschland (Hannover) unter dem Namen DIGNITATE. Hier können auch deutsche Mitglieder
eintreten, die dann "in der Schweiz direkt beraten [...] werden und auch dort einen begleiteten Suizid erhalten".
Auf den Internetseiten von DIGNITATE heißt es außerdem, Ziel der Vereinsgründung in Deutschland sei es zu
erreichen, dass "in Deutschland die moderne schweizerische Form der Sterbehilfe bald einmal möglich [wird]".
Weitere Informationen zu DIGNITAS
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (35)
DRZE/Im Blickpunkt
Die Eröffnung der deutschen Zweigstelle in Hannover war von Protesten begleitet. Zur Dokumentation s. Die
Zeit (27.10.2005, Nr.44)
Neben DIGNITAS gehört Exit zu den bekannten schweizerischen Sterbehilfeorganisationen. In ihrem
Jahresbericht von 2009 vermeldet die Organisation ein Ansteigen ihrer Mitgliedszahlen um 2000 Personen
auf 53.000 Mitglieder sowie eine zunehmende Inanspruchnahme der Suizidbeihilfe von 167 Fällen im Jahre
2008 auf 217 Fälle in 2009. Nach Annahme von EXIT zeige dies ein steigendes Interesse an organisierter
Suizidbegleitung.
Aktueller Jahresbericht von Exit und weitere Informationen zur Organisation
Sterbephasen
Sterbephasen
Zur Phänomenologie des Sterbeprozesses und seiner Phasen vgl. grundlegend:
Kübler-Ross, Elisabeth (2001): Interviews mit Sterbenden. Kreuz-Verlag: Stuttgart (Neuauflage).
Suicide Act
Suicide Act
1961 erlassen, regelt der "Suicide Act" zunächst, dass der Suizid in Großbritannien nicht mehr strafbar ist.
Damit sind Menschen, deren Suizid fehlschlägt, für den Versuch der Selbsttötung nicht mehr zu belangen. Den
rechtlichen Status der Beihilfe zum Suizid regelt der Absatz 2. Artikel 2.1 sieht ein Strafmaß von bis zu 14
Jahren vor. 2.4 regelt zudem, dass die Einzelfallentscheidung der Anklagebehörde zufällt.
Die am 01. Februar 2010 eingetretene rechtliche Neuregelung des "Suicide Act" beinhaltet keine wesentlichen
Veränderungen, jedoch fällt nun die Ermutigung zum Suizid unter den Tatbestand der Beihilfe, wobei im
Einzelfall von der britischen Anklagebehörde zu entscheiden ist, ob die Beihilfe straffrei bleibt.
Suizidhilfe bei psychisch Kranken
Suizidhilfe bei psychisch Kranken
Zum Umgang mit Sterbehilfegesuchen psychisch Kranker hat die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
zusammen mit der Sterbehilfeorganisation Exit in einer Vereinbarung Stellung bezogen. Wenn psychiatrische
Fachgutachter in ausführlichen Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass der Sterbehilfewunsch des
Patienten nicht Ausdruck der therapierbaren psychischen Erkrankung ist, sondern dass es sich um einen
wohlerwogenen, dauerhaften, die Gesamtsituation erfassenden Entscheid einer urteilsfähigen Person handelt,
dürfe auch psychisch Kranken Sterbehilfe geleistet werden.
Dass es sich bei Sterbehilfegesuchen psychisch Kranker um einen besonderen Problemkomplex handelt,
betonte kürzlich das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich: Verurteilt wurde ein Gynäkologe, der einem
psychisch kranken Spanier ein Rezept über Natriumpentobarbital zum Zweck des Suizids ausstellte, ohne
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (36)
DRZE/Im Blickpunkt
dass ausführliche psychiatrische Fachgutachten vorlagen. Der Suizidwillige legte lediglich Berichte vor,
denen es an einer eingehenden Beschreibung des Krankheitsbildes und -verlaufes sowie an Angaben über
Häufigkeit und Dauer der ärztlichen Behandlung mangelte. Da der Gynäkologe selbst nicht über die
erforderlichen psychiatrischen Kenntnisse für die Beurteilung des Suizidwunsches verfüge, habe er seine
Sorgfaltspflicht verletzt. Ihm wurde daraufhin die Berechtigung entzogen, Sterbewilligen, die psychisch krank
sind, Rezepte über Naterium-Pentobarbital auszustellen. Psychisch Gesunden darf er hingegen weiterhin
Suizidmittel verschreiben.
Zum Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 11.3.2010 ( ).
Suizidhilfe im Kanton Zürich
Diskussion über Suizidhilfe im Kanton Zürich
Der Züricher Regierungsrat hat sich mit Beschluss vom 14.März 2007 dafür ausgesprochen, mit
den Suizidhilfeorganisationen im Kanton Zürich einvernehmlich Standesregeln abzusprechen, da eine
"weitergehende, präzisierende Regelung auf eidgenössischer Ebene" nicht in Sicht ist. Die Organisationen
sollen sich diesen Regeln freiwillig unterziehen können. Die Vereinbarung ist als Zwischenschritt bis zur
Einführung einer gesetzlichen Regelung gedacht.
Im Kanton Zürich unterhalten die beiden Sterbehilfe-Organisationen Dignitas und EXIT ihre Geschäftsstellen.
Während Dignitas eine staatliche Kontrolle ihrer Arbeit weiterhin ablehnt, hat EXIT sich auf den Wunsch des
Regierungsrates hin mit der Staatsanwaltschaft Zürich auf eine "Vereinbarung über die organisierte Suizidhilfe"
verständigt, in der diese zwecks Qualitätssicherung gewissen Rahmenbedingungen unterstellt ist. Mit dieser
Vereinbarung werden fünf Ziele verfolgt:
a Respektierung des Rechts auf einen würdigen Tod
b Gewährleistung des Rechts auf Selbstbestimmung
c Wahrnehmung der Fürsorge bei suizidgefährdeten Menschen
d Geordneter Umgang mit Verschreibung/Anwendung von Heilmitteln
e Geordneter Ablauf der Untersuchung betreffend die Umstände des Todes.
EXIT verpflichtet sich in der Vereinbarung dazu,
• die Organisation und ihre finanziellen Mittel transparent zu machen, wozu auch eine jährliche Überprüfung
der Buchhaltung durch eine gesetzlich zugelassene Revisionsstelle gehört,
• Sterbehilfe nur unter bestimmten Voraussetzungen zu leisten, nämlich dann, wenn sowohl ein schweres,
krankheitsbedingtes Leiden vorliegt, als auch Alternativen abgeklärt und erwogen wurden, wenn
die selbstbestimmte Entscheidung wohlerwogen und dauerhaft ist und wenn keine Zweifel an der
Urteilsfähigkeit und keine Anzeichen für eine psychische Erkrankung der suizidwilligen Personen bestehen,
• einen festgelegten Rahmen für den Ablauf und die Art und Weise der Suizidhilfe einzuhalten, welche in
einer Dokumentationsmappe dargelegt werden, die nach erfolgtem Suizid den am Sterbeort eintreffenden
Polizeibeamten und dem Amtsarzt übergeben wird,
• ausschließlich das Sterbemittel Natrium-Pentobarbital (NaP) zu verwenden und
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (37)
DRZE/Im Blickpunkt
• bezüglich der Auswahl der Freitodbegleiter und Vertrauensärzte sorgfältig vorzugehen, diese angemessen
aus- und weiterzubilden sowie zur Vermeidung von Routine pro Jahr jeden Freitodbegleiter in der Regel
nicht mehr als 12 Suizidhilfe-Fälle begleiten zu lassen.
Der Kanton Zürich verpflichtet sich insbesondere dazu, die "Kosten für das Verfahren betreffend die
Untersuchung des Suizids als aussergewöhnlichen Todesfall" aus den Mitteln der Staatskasse zu entrichten.
Der Text der Vereinbarung
Diese Vereinbarung über die organisierte Sterbehilfe zwischen der Züricher Staatsanwaltschaft und der
Sterbehilfeorganisation EXIT wurde am 16.6.2010 in einer öffentlichen Beratung durch das schweizerische
Bundesgericht für ungültig erklärt. Der Gegenstand der Einigung sei von so großer Bedeutung, dass er nicht
kantonal geregelt werden könne. Damit wird es umso dringlicher, dass der Bund einen Konsens in Sachen
Sterbehilfe erzielt.
Siehe dazu: Schweizerische Depeschenagentur: "Exit-Deal mit Staatsanwaltschaft ist illegal". NZZ-Online,
16.6.2010 (
).
Währenddessen formiert sich aus der Bevölkerung im Kanton Protest. Dieser schlägt sich in einer
Zwillingsinitiative nieder, die erstens einen "Stopp der Suizidhilfe" fordert (und hierfür 8736 Unterschriften
sammelte) und zweitens ein "Nein zum Sterbetourismus im Kanton Zürich" (wofür sich 9216 Unterstützer
fanden). Damit ist in beiden Fällen die notwendige Zahl der Unterschriften für eine Volksabstimmung (nämlich
6000) überschritten, so dass nun der Kantonsrat eine solche Abstimmung durchführen muss, auch wenn die
Rechtmäßigkeit der zweiten Initiative kurzfristig in Frage stand.
Zum Download der Petition "Stopp der Suizidhilfe" als pdf-Dokument und zum Verlauf des Verfahrens
Zum Download der Petition "Nein zum Sterbetourismus im Kanton Zürich" als pdf-Dokument und zum Verlauf
des Verfahrens
Terri Schiavo
Der Fall Terri Schiavo
Weiterführende Informationen und verschiedene Gerichtsurteile im Fall Terri Schiavo finden sich in englischer
Sprache unter:
Terri Schiavo Case: Legal issues involving healthcare directives, death, and dying.
Unbedingte Unzulässigkeit der Selbsttötung
Unbedingte Unzulässigkeit der Selbsttötung
Das Argument der "Unantastbarkeit" oder "Heiligkeit" des Lebens, die jedwede aktive Verkürzung des eigenen
Lebens verbietet, wird im Zusammenhang mit der Sterbehilfe-Problematik seitens der Kirchen in folgenden
Dokumenten formuliert:
Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie. 5. Mai 1980 [deutsche Fassung]. Hrsg.
vom Sekretariat der Deutschen Bischofkonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 20). Bonn 1980.
(englische Version)
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (38)
DRZE/Im Blickpunkt
Johannes Paul II.: Enzyklika Evangelium vitae. Von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, Priester
und Diakone, die Ordensleute und Laien, sowie an alle Menschen guten Willens über den Wert und
die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Verlautbarungen der Apostolischen Stuhls, 120). Bonn 1995, v.a. Abschnitte 64-67.
Im Sterben: Umfangen vom Leben. Gemeinsames Wort zur Woche für das Leben 1996: "Leben bis zuletzt
- Sterben als Teil des Lebens". Hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und vom
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Hannover / Bonn 1996 (Gemeinsame Texte ; 6).
Urteil des EuGHMR im Fall Pretty vom 29. April 2002
Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Pretty gegen das Vereinigte Königreich von
Großbritannien und Nordirland vom 29. April 2002
Die Klage von Diane Pretty ging davon aus, dass das britische Recht hier im Widerspruch zu den Artikeln
2 ("Recht auf Leben"), 3 ("Verbot der Folter"), 8 ("Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens"),
9 ("Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit") und 14 ("Diskriminierungsverbot") der Europäischen
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten stehe. In seinem Urteil vom 29. April 2002
befand der Europäische Gerichtshof, dass die Klage zwar zulässig sei, eine von Pretty reklamierte Verletzung
der genannten Artikel durch das Sterbehilfe-Verbot des "Suicide Act" und die Zurückweisung der erwähnten
Ersuche um vorgängige Straffreistellung aber nicht vorliege.
Die Klägerin berief sich in ihrer Argumentation vor allem auf das Recht auf Selbstbestimmung über die
Fortsetzung bzw. Nicht-Fortsetzung des eigenen Lebens, das insbesondere aus den Artikeln 2 ("Recht auf
Leben") und 8 ("Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens") folge, und das auch die Hilfe Dritter bei
einer Selbsttötung rechtfertige, und zwar in Fällen Schwerstkranker, die einem qualvollen Tod zuvorkommen
wollten, aber nicht aus eigener Kraft zur Selbsttötung in der Lage seien. Der Europäische Gerichtshof räumte
zwar ein, dass nicht auszuschließen sei, dass das Sterbehilfe-Verbot des "Suicide-Act" einen Eingriff in das
Recht auf Achtung des Privatlebens und der personalen Selbstbestimmung der Klägerin (nach Artikel 8 Absatz
1) darstelle, hielt aber einen solchen Eingriff zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer angesichts des
anzuerkennenden Missbrauchrisikos eines gelockerten Sterbehilfe-Verbots nicht für unverhältnismäßig (im
Sinne von Artikel 8 Absatz 2), wenn - wie im britischen Fall etwa durch einen breiten Spielraum bei der
Strafbemessung - eine Flexibilität in der Beurteilung des Einzelfalls ermöglicht sei. Aufgrund der Bedeutung
des vorliegenden Falls sei auch die Ablehnung einer vorgängigen Straffreistellung nicht unverhältnismäßig.
Die Pressemitteilung zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Pretty gegen
das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 29. April 2002 kann über den EuGH in
englischer Sprache abgerufen werden. Wählen Sie unter dem entsprechenden Link den Menüpunkt "Search
the Case Law - HUDOC" und geben Sie folgende Application Number an: 00002346/02.
Pressemitteilung zum Urteil des EGMR im Fall Pretty gegen das Vereinigte Königreich von Großbritannien
und Nordirland
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (39)
DRZE/Im Blickpunkt
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Text als PDF-Datei
zugänglich über den Server des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Urteile des BGH zur Sterbehilfe
Urteile des BGH zur Sterbehilfe
Bisher hat der Bundesgerichtshof fünf Urteile zur Sterbehilfe getroffen.
Auführlichere Informationen zu den ersten vier Urteilen siehe Grimm, Carlo/ Hillebrand, Ingo (2009):
Sterbehilfe. Rechtliche und ethische Aspekte. Band 8 der Reihe Ethik in den Biowissenschaften Sachstandsberichte des DRZE. Alber: Freiburg im Breisgau. Online-Dartellung
Der erste verhandelte Fall betraf das sogenannte "Kemptener Urteil". Vor dem Landgericht
Kempten wurden Betreuer und Arzt einer Wachkomapatientin verurteilt, da sie ohne Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts (heute: Betreuungsgericht) das Personal des Pflegeheims angewiesen hatten, die
künstliche Ernährung der Patientin auf Tee umzustellen mit dem Ziel des baldigen, schmerzfreien Todes. Das
Pflegepersonal war dieser Aufforderung jedoch aus rechtlichen Bedenken nicht nachgekommen, sondern hatte
sich an das Vormundschaftsgericht gewandt, das wiederum die geplante Nahrungsumstellung untersagt hatte.
Die Kemptener Richter sahen in dem Vorgehen von Arzt und Betreuer nicht einen Versuch der zulässigen
passiven Sterbehilfe, da der Tod der Patientin nicht unmittelbar bevorgestanden habe, sondern den Tatbestand
des versuchten Totschlags.
In der Revision des Urteils vor dem Bundesgerichtshof wurden Betreuer und Arzt am 13.9.1994 freigesprochen:
Bei einer unheilbar erkrankten, entscheidungsunfähigen Patientin könne das Absetzen der künstlichen
Ernährung auch zulässig sein, wenn keine Todesnähe bestehe, nämlich dann, wenn dies dem mutmaßlichen
Willen der Kranken entspreche. In dem verhandelten Fall konnte durch Zeugenaussagen ermittelt werden, dass
die Patientin der geplanten Ernährungseinstellung mutmaßlich zugestimmt hätte, wodurch das Vorgehen der
Beklagten gerechtfertigt gewesen sei.
Zur Fallschilderung und Urteilsbegründung des BGH
.
Vor dem Landgericht Kiel wurde im April 1995 der zweite Fall verhandelt, der anschließend beim BGH in
Revision ging: Ein Ärzte-Ehepaar hatte eine befreundete Rentnerin betreut, die sich im Sterben befunden
hatte. Nach Beratschlagung mit einem weiteren Arzt hatten sie sich entschlossen, die Patientin nicht mehr in
ein Krankenhaus zu verlegen, sondern sie daheim medikamentös zu versorgen. Kurz darauf war die Rentnerin
gestorben.
Die Kieler Richter kamen zu dem Ergebnis, dass die Frau an einer Überdosis des verabreichten Dolantin
gestorben sei, welches das Ehepaar mit Tötungsabsicht injiziert hatte. Die Motive der Ehepartner dafür, warum
sie sich zur Tötung entschlossen hatten, seien verschieden gewesen: Der Mann hätte die vermögende Rentnerin
mittels eines gefälschten Testamentes möglichst schnell beerben wollen. Sein Tötungsmotiv sei demnach
Habgier gewesen, sodass er wegen Mordes verurteilt wurde. Seine Frau hätte der Rentnerin hingegen einen
schmerzvollen Sterbeprozess ersparen wollen. Da jedoch auch sie mit Tötungsabsicht gehandelt habe, wurde
sie wegen Totschlags ebenfalls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (40)
DRZE/Im Blickpunkt
In der Revision des Urteils vor dem Bundesgerichtshof wurde die Ehefrau am 15.11.1996
freigesprochen. Gemäß den Karlsruher Richtern liege ein Mangel an Beweisen für die Tötungsabsicht und für
die Todesursächlichkeit der Dolantingabe vor: Es könne nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen werden, dass
die Ärztin beabsichtigt hatte, die Sterbende durch therapeutisch gebotene, schmerzlindernde Medikation zu
begleiten und dabei den beschleunigten Todeseintritt nicht intendiert hätte.
Erstmalig wurde so die indirekte Sterbehilfe für zulässig erklärt: "Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde
Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht
dadurch unzulässig, daß sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den
Todeseintritt beschleunigen kann".
Zur ausführlichen Darstellung des Falles und zur Urteilsbegründung des BGH .
Der dritte Fall beschäftigte sich mit der Frage, in welchen Fällen die Anweisung eines Betreuers durch
das Vormundschaftsgericht (heute: Betreuungsgericht) genehmigt werden muss. Konkret wurde folgender
Sachverhalt verhandelt:
Der Betreuer eines Wachkomapatienten hatte die Einstellung der künstlichen Ernährung beantragt, da eine
Besserung des Gesundheitszustandes nicht zu erwarten und das Vorhaben im Sinne des Patienten gewesen
seie. Als Beleg für Letzteres konnte sich der Betreuer auf eine schriftliche Willensbekundung des Betreuten
berufen, in der das Einstellen der Ernährung bei irreversibler Bewusstlosigkeit gefordert wird.
Die Oberlandesgerichte Frankfurt und Karlsruhe beschlossen, dass eine vormundschaftsgerichtliche
Genehmigung eingeholt werden muss, das Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein verneinte dies jedoch,
sodass der Bundesgerichtshof den Fall zu entscheiden hatte.
Die Karlsruher Richter kamen am 17.3.2003 zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall eine
vormundschaftsgerichtliche Zustimmung notwendig sei. Zwar habe der Betreuer dem Patientenwillen Geltung
zu verschaffen, das Verweigern einer lebenserhaltenden- und verlängernden Maßnahmen (hier: der künstlichen
Ernährung) müsse jedoch Gegenstand richterlicher Überprüfung sein. In diesem Verfahren sei sicherzustellen,
dass die vorliegende Situation der in der Patientenverfügung beschriebenen entspricht.
Grundsätzlich wurde durch das Urteil dennoch der Status der Patientenverfügungen gestärkt: Ist "ein Patient
einwilligungsunfähig und [hat] sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so
[müssen] lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor - etwa in
Form einer sog. Patientenverfügung - geäußerten Willen" entspricht.
Zur Urteilsbegründung des BGH und einer detaillierten Darstellung des Sachverhaltes .
Eine kritische Stellungnahme zum Urteil des BGH veröffentlichte die Bundeszentralstelle Patientenverfügung
.
Der vierte Fall wurde im Juni 2005 entschieden. Ihm voraus gingen die Richtersprüche des Oberlandesgerichts
(OLG) München und des Landgerichts (LG) Traunstein, in dem die Klage eines Betreuers verhandelt
worden war, der das Einstellen der künstlichen Ernährung eines von ihm zu betreuenden Wachkomapatienten
entgegen den Willen der Heimleitung durchsetzen gewollt hatte. Die Pflegekräfte hatten sich geweigert der
Anordnung nachzukommen, obgleich auch der behandelnde Arzt die Ernährungseinstellung empfohlen hatte.
Dabei hatten sie sich einerseits auf einen zwischen Heim und Patient geschlossenen Vertrag berufen, in dem die
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (41)
DRZE/Im Blickpunkt
Behandlungsdauer festgelegt worden sei und andererseits auf das Recht, die Anordnung aus Gewissensgründen
zu verweigern.
OLG und LG wiesen die Klage des Betreuers ab. Während des Revisionsverfahrens verstarb der Patient, sodass
Gegenstand der Verhandlung vor dem BGH lediglich die Frage war, wer die Kosten des Rechtsstreits zu
übernehmen habe. Die Karlsruher Richter urteilten, dass beide Parteien die durch den Prozess angefallenen
Kosten zu tragen hätten, da die strafrechtlichen Grenzen der Sterbehilfe bislang nicht hinreichend klar
erschienen.
Entgegen der Auffassung des OLG entschied der BGH am 8.6.2005, dass erstens die vertragliche Vereinbarung
über eine mögliche, zukünftige Behandlungsdauer unwirksam ist und dass zweitens den Pflegekräften kein
Verweigerungsrecht zugesprochen werden kann. In der Begründung für den Urteilsspruch des BGH wurde
u.a. angeführt: "Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, daß die künstliche
Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem
Verlangen [...] nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals
rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht".
Mit diesem Urteil stärkt der BGH die Patientenautonomie und die Wirksamkeit des aktuellen
Patientenwillens. Die künstliche Ernährung durch eine Magensonde sei "ein Eingriff in die körperliche
Integrität" und bedürfe so der Einwilligung des Betreuten bzw. Betreuenden. Eine Fortsetzung der Ernährung
gegen den Patientenwillen stelle damit eine rechtswidrige Handlung dar. Der BGH sprach sich somit klar
gegen "Zwangsbehandlungen" aus, auch wenn sie lebenserhaltend sei. Ebenso sei der Wunsch des Patienten
zu beachten, auch wenn die geforderte Handlung (hier: die Ernährungseinstellung) mit dem eigenen Gewissen
nicht vereinbar sei. Das "Selbstbestimmungsrecht der Pflegekräfte finde am entgegenstehenden Willen des
Patienten bzw. des für ihn handelnden Betreuers - also an den Rechten anderer - ihre Grenze".
Zwar hätte das Pflegeheim die Möglichkeit gehabt, eine gerichtliche Überprüfung des Betreuerhandelns
anzuregen, notwendig wäre die Zustimmung des Betreuungsgerichts in diesem Fall jedoch nicht gewesen.
Nur wenn Uneinigkeit zwischen Arzt und Betreuer herrscht, z.B. wenn letzterer medizinisch gebotene,
lebenserhaltende Maßnahmen verweigert, bedarf es der Einschaltung des Gerichtes.
Zu Urteilsbegründung und Fallschilderung sind online einsehbar .
Der Hintergrund des letzten und aktuellsten Urteils war die am 30.04.2009 getroffene Entscheidung des
Landgerichts Fulda, den Anwalt P. der Beihilfe zum Totschlag schuldig zu sprechen. Tochter und Sohn einer
bereits seit fünf Jahren im Wachkoma liegenden Patientin hatten sich bemüht, dem ursprünglichen - von der
Mutter mündlich geäußerten - Willen auf Abbruch einer Behandlung für den Fall einer solchen vorliegenden
irreversiblen Situation zu entsprechen und auf eine Einstellung der künstlichen Ernährung über eine PEGSonde gedrängt.
Als es zu einem Kompromiss mit der Heimleitung gekommen war und die Ernährung zunächst eingestellt,
auf Verlangen der Geschäftsleitung des Gesamtunternehmens gegen den Willen der Angehörigen aber wieder
aufgenommen worden war, hatte der Anwalt zum eigenmächtigen Durchtrennen des Nahrungsschlauchs
geraten. Diesem Rat waren die Geschwister gefolgt.
Die Heimleitung hatte daraufhin die Verlegung der Patientin in ein Krankenhaus veranlasst, in welchem die
Ernährung wieder fortgesetzt worden war. Die Frau war wenige Tage darauf eines natürlichen Todes gestorben.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (42)
DRZE/Im Blickpunkt
Der Auffassung des Landgerichtes, dass das beratschlagende Verhalten des Anwaltes der Beihilfe zum
Totschlag gleichkomme, schloss sich der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit seinem Urteil vom
25.06.2010 nicht an. Auf der Grundlage des 2009 erlassenen „Patientenverfügungsgesetzes“ urteilten die
Richter, dass das von der Patientin verfügte Einstellen der Behandlung unabhängig von Art und Stadium
der Erkrankung geschehen müsse. Die Wideraufnahme der künstlichen Ernährung gegen den ursprünglichen
Willen der Frau werteten sie als einen Angriff der Heimleitung auf das Selbstbestimmungsrecht der Patientin.
Auch ein „aktives Tun“, wie es das Durchtrennen des Nahrungsschlauchs darstelle, sei in der gegebenen
Situation erlaubt.
Das Urteil gilt als Durchbruch für die Stärkung des Patientenwillens und sorgt für Klarheit in der
Rechtsprechung.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs (2010): Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des
Patientenwillens ist nicht strafbar.
US-Bundesstaat Oregon
US-Bundesstaat Oregon
Nach der Studie von Chin et al. 1999 haben im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes 23 Personen auf
einen entsprechenden Antrag hin ein tödliches Medikament erhalten. 15 von ihnen starben nach Einnahme des
Medikaments, 6 starben an ihrer Krankheit und 2 waren zu Beginn der Studie noch am Leben.
Chin, Arthur E. / Hedberg, Katrina / Higginson, Grant K. / Fleming, David W. (1999): Legalized physicianassisted suicide in Oregon - The first year's experience. In: The New England Journal of Medicine 340 (7):,
S. 577-583.
Seventh Annual Report on Oregon's Death with Dignity Act
"The Oregon Death with Dignity Act"
USA: Bundesweite Regelungen
Bundesweite Regelungen zur Sterbehilfe in den USA
Dem US-Kongress der vergangenen Legislaturperiode lag der "Pain Relief Promotion Act of 2000" als
Gesetzentwurf zur Beratung vor. Dieser würde den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe bundesweit
unter Strafe stellen und anderslautende einzelstaatliche Regelungen außer Kraft setzen.
"Pain Relief Promotion Act of 2000"
Zur Alternativlosigkeit von Sterbehilfe
Alternativlosigkeit von Sterbehilfe?
Die skizzierte Kontroverse in der grundlegenden Frage, ob Sterbehilfe "überflüssig" würde, wenn nur die
Möglichkeiten von Pflege, Schmerzbehandlung und menschlicher Zuwendung hinreichend ausgeschöpft
würden, findet einen augenfälligen Niederschlag u.a. auch in dem diesbezüglich uneinheitlichen Votum der
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (43)
DRZE/Im Blickpunkt
Arbeitsgruppe in dem im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments der Schweiz erstellten
Bericht zur Sterbehilfe vom März 1999.
Arbeitsgruppe Sterbehilfe (1999): Sterbehilfe. Bericht der Arbeitsgruppe an Eidg. Justiz- und
Polizeidepartment.
http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe (44)