Marko Nenonen, Raisa Maria Toivo (ed.), Writing Witch

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Marko Nenonen, Raisa Maria Toivo (ed.), Writing Witch
Francia­Recensio 2016/1
Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815)
Marko Nenonen, Raisa Maria Toivo (ed.), Writing Witch­Hunt Histories. Challenging the Paradigm, Leiden (Brill Academic Publishers) 2014, XIV–220 p., 27 ill., 1 map (Studies in Medieval and Reformation Traditions, 173), ISBN 978­90­
04­25790­0, EUR 119,00; H. C. Erik Midelfort, Witchcraft, Madness, Society, and Religion in Early Modern Germany. A Ship of Fools, Farnham, Surrey (Ashgate Publishing) 2013, XIV–348 p. (Variorum Collected Studies Series, 1029), ISBN 978­
1­4094­5733­6, GBP 85,50; Jonathan B. Durrant, Witchcraft, Gender and Society in Early Modern Germany, Leiden (Brill Academic Publishers) 2007, XXVII–288 p. (Studies in Medieval and Reformation Traditions, 124), ISBN 978­90­04­16093­4, EUR 99,00.
rezensiert von/compte rendu rédigé par
Rita Voltmer, Trier
Eine Rezension, welche sich die Aufgabe stellt, drei unterschiedliche Publikationsformen (Monografie, gesammelte Aufsätze eines Autors sowie einen Sammelband) zu besprechen, kann den jeweiligen Inhalten nur schwer gerecht werden. Mit dieser exkulpierenden Vorannahme sei es erlaubt, die Sammelbesprechung unter das Motto »Neues und Altes aus der englischsprachigen Hexenforschung« zu stellen, dabei die Publikationschronologie zu verlassen und mit der Festschrift zu Ehren von H. C. Erik Midelfort zu beginnen. Mit Fug und Recht kann H. C. Erik Midelfort als Nestor der regional­, sozial­ und mentalitätsgeschichtlich ausgerichteten Hexenforschung gelten. Bereits 2004 widmete ihm der AKIH (Arbeitskreis für Interdisziplinäre Hexenforschung) einen Sammelband1, es folgte 2009 ein weiterer Band mit Beiträgen von Kollegen und Freunden, vier Jahre später erschien der hier angezeigte Band mit 15 eigenen Aufsätzen, die das breite wissenschaftliche Oeuvre des international angesehenen Gelehrten in fünf thematischen Blöcken repräsentiert. In der deutschen Forschungslandschaft am bekanntesten sind sicher seine vielfältigen Arbeiten zum Phänomen des Wahnsinns (in Auseinandersetzung mit den Thesen von Michel Foucault) wie zu den Hexenverfolgungen bzw. ihrer Historiografie. Auf diesem Feld bleibt Midelfort weiterhin aktiv, wie der 2011 erschienene Aufsatz »Witch Craze? Beyond the Legends of Panic«2 belegt, der uns etwas intensiver beschäftigen soll, nicht zuletzt, weil die darin geäußerten Befunde ein Echo in dem Band von Nenonen und Toivo gefunden haben. Klar spricht sich Midelfort dafür aus, die irrigen, Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Die europäische Hexenverfolgung und ihre Auswirkungen auf Südwestdeutschland, hg. v. Sönke Lorenz und Jürgen Michael Schmidt. Stuttgart 2004
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H. C. Erik Midelfort, Witch Craze? Beyond the Legends of Panic, in: Magic, Ritual, and Witchcraft 6
/1 (
2011), p. 11–
33.
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Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/
einseitig und falsch bewertenden Bezeichnungen wie »witch craze« (Hexenwahn) oder »panic« nicht mehr zu verwenden. Dem kann nur zugestimmt werden. In der deutschen Hexenforschung ist ein solcher Abschied längst begrifflich wie methodisch erfolgt und dies bis hinein in Einführungen für Studierende. Gut vertraut mit der deutschen Forschungslandschaft kennt der mehrsprachige Midelfort auch die Debatten um die »Instrumentalisierung« von Hexenprozessen zur Durchsetzung sozialer und politischer Einzel­ sowie Gruppeninteressen. Gerade hier hat die Forschung inzwischen große Fortschritte gemacht, konnten einzelne wie massenhaft auftretende Hexenprozesse doch klar als Instrumente politischer Herrschaftsdemonstration und ­durchsetzung auf vielen Konflikt­ und Handlungsebenen erkannt werden (das “herrschaftspolitische Paradigma”). Dabei haben sich damit befasste Forscherinnen und Forscher allerdings nicht – wie Midelfort annimmt – in diesem Thema verstrickt (»ensnarled«, V, S. 19), sondern mit klarem Kopf das Phänomen gerade in den kleinen und kleinsten Herrschaftseinheiten Europas herausgearbeitet – und dies in Auseinandersetzung mit bereits etablierten Erklärungsansätzen, die gerne auf den anthropologisch inspirierten Paradigmen von Keith Thomas und Alain MacFarlane beharren wollten.
Weiter plädoyiert Midelfort dafür, den forschenden Blick nicht nur auf jene Gebiete mit intensiven Hexenjagden (Akzeptanz des Sabbat­Konzepts, schwere Anwendung der Folter, Dynamisierung durch entsprechende Komplizennennungen, hunderte Hinrichtungen in kurzer Zeit etc.) zu richten, sondern verstärkt frühe oder späte Einzelprozesse (so wie es Thomas Robisheaux oder Lyndal Roper getan haben) sowie Regionen Europas zu untersuchen, die keine ausgemachten »panics« erlebt haben, wie z. B. Russland oder Finnland. Gerade der Verweis auf das letztgenannte skandinavische Land stützt sich auf Forschungen von Marko Nenonen, über dessen Arbeiten später noch gehandelt werden soll. Ganz möchte sich Midelfort nicht von dem Konzept der »panics« verabschieden, zumal da manche Hexenverfolgungen eben nur Teil eines viel größeren politischen Programms der religiös­moralisch­
politischen Reinigung eines Territoriums von (vermeintlichen) Störenfrieden (z. B. auch Vaganten) waren. Ergänzend bleibt anzumerken, dass bezogen auf das Alte Reich die Hexenforschung es noch längst nicht geschafft hat, alle Regionen zu ergründen, denn gerade erst jetzt öffnen sich private Adelsarchive, wo sich eine Fülle an Material findet, das mehr denn je die Annahme eines herrschaftspolitischen Paradigmas in Verbindung mit einer politischen Dämonologie stützt. Große Lücken in der archivalischen Aufarbeitung sind ebenfalls für das gesamte Gebiet zwischen Frankreich und Altem Reich festzustellen, von Savoyen bis hinauf nach Flandern über das Elsass (immer noch kaum erforscht), Lothringen (wo Robin Briggs sich auf die französischsprachigen bailliages beschränken musste) und Luxemburg. Deshalb und wohl auch aufgrund der kartografisch kaum umzusetzenden Fragmentierung dieser Verfolgungsräume fehlt bislang eine von Midelfort eingeforderte Karte der Hexenverfolgungen in Deutschland. Gerade die von Midelfort Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/
angemahnte Erforschung von Einzelverfahren sollte sich jedoch davor hüten, Interpretamente zu verwenden, mit denen ausgemachte Hexenjagden erhellt werden können. Hier argumentiert die deutsche Hexen­ und Kriminalitätsforschung dafür, solche Verfahren besser im Kontext der allgemeinen Strafgerichtsbarkeit zu bewerten. Insgesamt zeigen die versammelten Beiträge eindrucksvoll, wie intensiv Midelfort sich über Jahrzehnte hinweg selbstreflexiv und auf dem aktuellen Stand der Forschung mit den angesprochenen Problemfeldern auseinandergesetzt hat. Es bereitet großes Vergnügen, bei der Lektüre diesen Weg mit ihm zu beschreiten.
Die 2007 von Jonathan B. Durrant vorgelegte, inzwischen oft und positiv besprochene Dissertation hätte es verdient gehabt, etwas genauer von Midelfort herangezogen zu werden, denn auch Durrant setzt sich mit den bis dahin benutzten Interpretamenten der Hexenforschung auseinander. Anders noch als Midelfort und anders als später Nenonen, beklagt Durrant, dass der Hexenforschung gerade ein Muster fehle, mit dem schwere »top down« von der Obrigkeit inszenierte Hexenjagden interpretiert werden könnten. Seiner Auffassung nach sei den von MacFarlane, Thomas und anderen implementierten Erklärungen zu viel Bedeutung beigemessen worden, wonach Feindschaften und Konflikte innerhalb einer face­to­face community zu Hexereianschuldigungen und Prozessen geführt hätten. Mit diesen Ansätzen, die insbesondere (aber nicht nur) in der englischen Hexenforschung verwandt würden, ließen sich vielleicht Strukturen von Einzelverfahren und Kettenprozessen mit wenig involvierten Personen erklären, nicht aber Massenverfolgungen wie in dem von ihm untersuchten Eichstätt. Mithin sieht Durrant dort noch ein Soll der Hexenforschung, wo Midelfort es inzwischen als übererfüllt wahrnimmt. Durrant kann weiter herausarbeiten, dass in Eichstätt die Hexenprozesse Teil eines gegenreformatorisch ausgerichteten politischen Programms insbesondere des Fürstbischofs Westerstetten und der Sonderkommissionen gewesen sind. Die wichtige Rolle der Jesuiten und ihrer Netzwerke wird angesprochen, ein Blick in die Verfolgungsstruktur der Hexenverfolgungen in Sankt Maximin bei Trier und in der Stadt Trier selbst hätten ihm, wie bereits Alison Rowlands angemerkt hat, zusätzlich wichtiges Vergleichsmaterial sowie ein Interpretationsmuster geboten, das analytisch über das anthropologische Paradigma hinausgegangen ist. Immerhin kann Durrant klar herausarbeiten, dass weder eine (allemal diffus bleibende) Hexenfurcht (möglicherweise ausgelöst durch den Hexen zugeschriebene Wetterkatastrophen) noch nachbarschaftliche oder familiäre Konflikte Motoren der Verfolgung waren, sondern die Maßnahmen der Obrigkeit. Durrant verlässt die Sphäre des Politischen dann aber doch, um in den Hexenprozessakten nach den sozialen Wirklichkeiten von Zusammenleben, Freundschaft, Feindschaft, Sexualität und Feiern zu suchen. Hier werden ihm manche Forscherinnen und Forscher nicht mehr ganz folgen können, denn die Ergebnisse der inzwischen breit aufgestellten germanistischen Forschung bewerten den Quellen­ und Aussagewert von Gerichtsakten durch Verweis auf deren immanenten Konstruktcharakter erheblich Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/
kritischer.
Man sieht: Die Hexenforschung ist ein komplexes Feld, auf dem sich kein allgemeingültiges Paradigma etabliert hat. Mehr noch, aufgrund der Multilingualität der Forschung, die sich eben nicht allein der englischen Sprache bedient, sowie aufgrund der interdisziplinären Ansätze bleibt es schwierig, alle Ergebnisse zeitnah zu erfassen und zu verarbeiten. Forschungsberichte sind daher dringend erwünscht, allerdings nur dann hilfreich, wenn die Verfasser in der Lage sind, über den anglo­amerikanischen Sprachkreis hinauszugehen. Der Titel des von Raisa Maria Toivo und Marko Nenonen herausgegebenen Bandes verspricht daher viel, zumal beide finnischen Herausgeber und Autoren zu einem Kreis skandinavischer Historikerinnen und Historiker gehören, der sich intensiv mit den Phänomenen Zauberglaube und Hexenprozesse auseinandersetzt. Um die wissenschaftlichen Kontakte zwischen nationalen Forscherkreisen zu erhöhen, hatten Toivo und Nenonen bereits 2007 (gemeinsam mit Rune Blix Hagen und Brian P. Levack) die »Midnight Sun Witchcraft Conference« in Vardø (Nordnorwegen) organisiert. Hier hatte im 17. Jahrhundert die wohl schwerste Hexenjagd nördlich des Polarkreises stattgefunden, an die seit 2011 das von Peter Zumthor und Louise Bourgeois gestaltete Mahnmal erinnert. Alle in dem 2014 vorgelegten Band versammelten Autorinnen und Autoren hatten übrigens an dieser Konferenz teilgenommen. Möglicherweise lag darin ihre Auswahl begründet. Auf diesen denkbaren Zusammenhang macht der Band nicht aufmerksam, vielmehr begeben sich Toivo und Nenonen, wie sie im Vorwort schreiben, auf eine Mission (S. XI). Dieser aus wissenschaftlicher Sicht kaum angebrachte »Missionierungsdrang« wird insbesondere im Beitrag von Marko Nenonen deutlich, der gegen (allerdings nur vermeintliche) Leitideen der Hexenforschung, insbesondere gegen das so genannte »Western European paradigm« anschreibt. Auf dieser historiografischen Mission befindet sich Nenonen schon seit geraumer Zeit in vergleichbar angelegten Vorträgen und Aufsätzen, wie zum Beispiel 2007 in Vardø oder 2011 in einer Sektion des skandinavischen Historikertages (Early Modern Witchcraft in the Nordic Countries: Historiography and Challenges. Trolldomsforskning i Norden 1994–2011). Und hier schließt sich dann auch der Kreis zu der von Midelfort 2011 geforderten Aufgabe der »legends of panic«, denn provokant behauptet Nenonen, bis heute habe sich die Hexenforschung mit einem Phänomen beschäftigt, den witch­hunts, das es eigentlich nie gegeben habe, sondern das bis in seine Einzelbestandteile lediglich ein Konstrukt der westeuropäischen Forschung gewesen sei, welche sich viel zu stark nur mit den massenhaften Verfolgungen und der diabolischen Hexerei beschäftige. Wir erinnern uns: Durrant hatte 2007 noch Gegenteiliges festgestellt. Ohne in eine Diskussion der den mainstream mutig verlassenden, jedoch widerlegten Thesen Nenonens einzusteigen (dies haben schon andere Rezensenten wie Willem de Blécourt, Walter Rummel oder Liv Helene Willumsen getan), bleibt doch festzuhalten, dass die von Toivo und Nenonen versammelten Beiträge solide Überblicke zu den jeweilig Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/
präsentierten Forschungsfeldern bieten, wie zum Beispiel Marianna G. Muravyeva zu den russischen Zaubereiverfahren, Rune Blix Hagen zu den gegen die Sami gerichteten Verfolgungen in Nordnorwegen oder Gunnar W. Knutson zu den einschlägigen Vorgängen auf der iberischen Halbinsel. Dabei werden aber nicht unbedingt neue Wege beschritten, sondern Expertinnen und Experten fassen ihre schon seit längerem bekannten Ergebnisse zusammen oder setzen andere Akzente, wie Charles Zika zur visuellen Repräsentation des Phänomens oder Ronald Hutton zu heutigen neopaganen Ausprägungen.
Zum Ende bleibt aus historiografischer Sicht auf einige Dilemmata der internationalen Hexenforschung hinzuweisen: So ist es richtig, den Anregungen von Midelfort, Nenonen sowie Toivo zu folgen und sich mit den Ausprägungen von Magie­, Zauber­ und Hexenglaube in jenen Regionen zu beschäftigen, die bislang eher weniger beachtet wurden, wie zum Beispiel in den skandinavischen Ländern. Damit geraten Verfahren in den Blick, die sich weitaus weniger auf das kumulative Delikt der diabolischen Hexerei, als vielmehr auf das maleficium konzentrieren. Es ist auch richtig, dass die vielen in Finnland bekannten Verfahren wegen Zauberei nicht mit jenem methodischen Instrumentarium zu analysieren sind, das bei der Untersuchung massiver Hexenjagden, beispielsweise in Südwestdeutschland, Anwendung findet. Dies entwertet letztere Paradigmen jedoch in keiner Weise. Vielmehr müssen jeweils andere Erklärungsmuster auf die unterschiedlichen Ausprägungen von Hexen­ und Magieglaube sowie einschlägige Prozesstätigkeiten in den jeweiligen chronologischen, kulturellen, konfessionellen, politischen und geografischen Kontexten angepasst werden. Dem von Midelfort geäußerten Wunsch, anderes Material als nur die Hexenprozessakten heranzuziehen, hat gerade die deutsch­ und französischsprachige Hexenforschung entsprochen, nicht zuletzt, weil der nur begrenzte Aussagewert von Gerichtsakten die Betrachtung komplementären Materials nötig macht. Die vielen Tagungen, die sich in den letzten Jahren mit Fragen der Kommunikation, der Medien, der Öffentlichkeit und des Wissenstransfers im Umfeld von Hexenprozessen und magischem Denken gewidmet haben, belegen das breite Spektrum der Zugänge.
Grundsätzlich wäre eine klare und eindeutige Benennung nötig, wobei gerade nicht mit dem Begriff für organisierte »Massenverfolgung« (witch­hunt) ein Sammelband betitelt wird, der eben diese Nomenklatur herausfordern will. Wie alle Zweige historischer Forschung bleibt auch die Hexenforschung ihrer eigenen Zeit verhaftet, Wege der Forschung sollen und müssen sich ändern. Doch diejenigen, welche jetzt die Paradigmenwechsel fordern, können dies nur tun, weil sich andere zunächst mit schweren Verfolgungen sowie den damit verknüpften Vorstellungswelten beschäftigt haben – und erst damit das wissenschaftliche und öffentliche Interesse an diesem Thema geweckt haben.
Es ist eine Ironie der Publikationsgeschichte, dass ein Jahr vor dem Band von Nenonen und Toivo, herausgegeben von Brian P. Levack, das »Oxford Handbook of Witchcraft in Early Modern Europe and Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/
Colonial America« erschienen ist, in dem ähnliche Themen von zum Teil denselben Autoren (Charles Zika und Rune Blix Hagen) abgehandelt wurden (darauf hat bereits Willem de Blécourt verwiesen). Eine Abstimmung zwischen den Bänden konnte, sollte oder wollte niemand vornehmen. Dies verweist auf ein weiteres Dilemma: Während schon seit den 1990er Jahren (fälschlich, wie sich immer wieder herausstellt) die deutsche Hexenforschung für tot oder im Dschungel der Paradigmen für verirrt erklärt wurde, explodiert der englischsprachige Buchmarkt zum Thema Hexenglaube und Hexenprozesse. In Deutsch, Französisch oder Italienisch verfasste Forschung wird jedoch manchmal von englischsprachigen Kolleginnen und Kollegen kaum zur Kenntnis genommen. Natürlich ermöglicht es die Publikation von Forschungsergebnissen in englischer Sprache als lingua franca deutschen, russischen, finnischen oder norwegischen Historikerinnen und Historikern geradezu global wahrgenommen zu werden. Allerdings bleibt die Gefahr bestehen, dass unter dem Label »witchcraft« nationalsprachliche Semantik, Semiotik und die damit untrennbar verbundenen Bedeutungen, Kontexte und Konnotationen nivelliert, schlimmstenfalls simplifiziert und ihres individuellen Charakters beraubt werden. Einen Ausweg aus der Sprachenfalle böte allein eine verbesserte Multilingualität, wie sie Midelfort so vorbildlich besitzt.
Damit sind wir beim wohl größten Problem ankommen: die Publikationsorgane, die Verlage. Natürlich sollten sich Hexenforscher von reißerischen Labels wie »witch craze« oder »Hexenwahn« verabschieden. Auch der Terminus »Hexenjagd«, eingeführt von Brian P. Levack (»witch­hunt«), sollte nur dann benutzt werden, wenn tatsächlich das historische Phänomen in seiner vollen Ausprägung gemeint ist. Analog dazu sollten Regionalstudien, wie sie beispielsweise Jonathan B. Durrant vorgelegt hat, nicht als Gesamtdarstellungen zu Deutschland schlechthin umetikettiert werden. Jedoch dürfte sich die anglo­
amerikanische Leserschaft wenig unter den Bezeichnungen kleinteiliger Territorien des Alten Reichs vorstellen können, die dann auf dem Buchdeckel stehen würden. Eine verbesserte Publikationspolitik wird allein an jenen Verlagen und Ausstellungsmachern scheitern, die ungern auf die verkaufsfördernde Appellfunktion von Begriffen wie »Hexenwahn« verzichten wollen. Wie auch immer die wünschenswert kontroversen Debatten um alte und neue Paradigmen ausgehen werden, abschließend bleibt festzuhalten, dass die Hexenforschung internationalen Kolleginnen und Kollegen wie H. C. Erik Midelfort, Jonathan B. Durrant, Marko Nenonen oder Raisa Maria Toivo das wachbleibende Interesse am Thema sowie neue – oder besser gesagt – immer wieder erneuerte Impulse verdankt.
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