Vom Volk getrieben und zügelloser
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Vom Volk getrieben und zügelloser
Neuö Zürcör Zäitung 14 SCHWEIZ Samstag, 18. Oktober 2014 V Nr. 242 EIN JAHR VOR DEN EIDG Vom Volk getrieben und zügelloser Das Parlament ein Jahr vor den Wahlen Erst drei Viertel der Legislatur sind um, doch das Parlament hat bereits zwei Rekorde gebrochen. Noch nie musste es so viele Volksinitiativen behandeln – und noch kaum je lehnte es sich so stark gegen den Bundesrat auf. Markus Häfliger, Bern Das Parlament wird immer stärker von Volksinitiativen getrieben, und es lässt sich immer weniger vom Bundesrat führen. Das sind zwei grundlegende Entwicklungen im Bundeshaus ein Jahr vor den Wahlen. Eine statistische Auswertung der Parlamentsdienste zeigt, dass im Zusammenspiel von Regierung, Parlament und Souverän derzeit eigentliche Umwälzungen im Gang sind: Verhältnis zum Volk. Nie zuvor war das Parlament in einer Legislatur durch so viele Volksinitiativen absorbiert wie in dieser. Bis Legislaturende wird es über 30 Initiativen beraten haben (vgl. Grafik). Das heisst: Zu jeder dieser Initiativen mussten beide Räte eine Abstimmungsempfehlung fassen und dazu in einigen Fällen Gegenvorschläge erarbeiten. Zudem hat das Volk in dieser Legislatur bereits vier Initiativen angenommen, die das Parlament nun umsetzen muss. Auch das sind mehr als in jeder der 48 Legislaturperioden zuvor. Verhältnis zum Bundesrat. Nach drei Vierteln der Legislatur hat das Parlament bereits 22 Bundesratsvorlagen abgeschossen – entweder indem es nicht auf sie eintrat oder indem es die Vorlage nach der Beratung ablehnte. Damit sind bereits gleich viele Regierungsvorlagen gescheitert wie in der ganzen Legislatur zuvor und massiv mehr als in früheren Perioden (vgl. Grafik). Parlament im Hamsterrad Welche Folgen haben diese beiden Trends? Die vielen Initiativen belasten den Parlamentsbetrieb. Jedes Volksbegehren provoziert stunden- oder sogar tagelange Mammutdebatten. Allein bei der Masseneinwanderungsinitiative drängten 63 Nationalräte ans Rednerpult. Bei der «Abzocker»-Initiative bewegte sich das Parlament drei Jahre und vier Monate lang in einem Hamsterrad: So lange schoben die Räte die Initiative hin und her, bis sie sie zur Abstimmung freigaben. Noch mehr Probleme als vor der Abstimmung bereiten Initiativen nach der Abstimmung. Radikale Initiativtexte wie die Ausschaffungs-, die Zweitwohnungs- oder die Masseneinwanderungsinitiative provozieren grosse rechtliche und materielle Herausforderungen bei der Umsetzung. Während das Parlament so zunehmend durch Volksinitiativen ferngesteuert wird, emanzipiert es sich gleich- Bilanz der eidgenössischen Räte Vom Parlament behandelte Volksinitiativen 9 hängig 28 23 24 20 7 1995–99 1999–03 2003–07 2007–11 2011–15* Vom Parlament abgelehnte Bundesratsvorlagen 22 22 10 1 0 1995–99 1999–03 2003–07 2007–11 2011–15* * Stand nach drei Vierteln der Legislatur. QUELLE: PARLAMENTSDIENSTE NZZ-cke. Rscannzz-wKjA2 zeitig von der Regierung. Die Räte scheuen nicht mehr davor zurück, selbst grosse Bundesratsvorlagen zu versenken. In dieser Legislatur traf es unter anderem das Präventionsgesetz, das Kartellgesetz, die Staatsleitungsreform, das Meteorologiegesetz, das Versicherungsvertragsgesetz, die 6. IV-Revision sowie die «Lex USA». Für diese neue Lust am parlamentarischen Blattschuss gibt es unter langjährigen Parlamentariern zwei Lesarten. Nationalrätin Lucrezia MeierSchatz (cvp., St. Gallen) erklärt sich die wachsende Zahl gescheiterter Vorlagen zum einen mit der wachsenden Komplexität. Angesichts der Globalisierung sei das Parlament zunehmend überfordert. Zum anderen sinke die Kompromissbereitschaft der Parteien, sagt MeierSchatz. «Wer heute noch zu Kompromissen Hand bietet, wird allzu oft mit dem Vorwurf des Wischiwaschi oder der Windfahne bestraft.» Ständerat Felix Gutzwiller (Zürich, fdp.) bietet eine positivere Lesart an. Viele Bundesratsvorlagen seien Ausdruck eines «extremen gesetzgeberischen Aktivismus» und alles andere als notwendig. Deshalb begrüsst er es, dass das Parlament «tabuloser» geworden ist und mehr Bundesratsvorlagen ablehnt als früher. Ein weiterer Faktor ist die parteipolitische Zersplitterung in der Mitte. Diese macht die Mehrheitsbeschaffung für den Bundesrat ebenfalls schwieriger als früher. Und die «neue Mitte»? Dass das Parlament bei den Volksinitiativen und den Bundesratsvorlagen neue Rekorde schreiben würde, hat zu Beginn der Legislatur kaum jemand vorhergesehen – ganz im Gegensatz zur politischen Zusammensetzung des Rates, über die damals breit debattiert wurde. Bei den Wahlen im Herbst 2011 hatten die SVP und die FDP zusammen allein im Nationalrat 10 Sitze verloren, vor allem zugunsten der GLP und der BDP. Zu Legislaturbeginn war deshalb viel von der «neuen Mitte» die Rede. Und tatsächlich verschoben sich zu Beginn der Legislatur die Gewichte messbar nach links, wie der Politforscher Michael Hermann vor einem Jahr aufzeigte. In der zweiten Legislaturhalbzeit habe sich dieser Links-Trend aber abgeschwächt, sagt Hermann. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass in letzter Zeit keine grösseren Energievorlagen auf der Traktandenliste standen (die Energiewende war das Vorzeigeprojekt der «neuen Mitte»). Zudem zeigt sich inzwischen, dass vor allem die BDP oftmals bürgerlicher stimmt, als man das zu Legislaturbeginn erwartet hatte. Weniger unheilige Allianzen Die häufigste Konstellation lautet deshalb auch in der 49. Legislatur: Die Bürgerlichen gewinnen gegen die Linke – selbst wenn die Häufigkeit dieser klassischen Sieges-Konstellation etwas abnimmt. Die SVP ist zwar immer noch oft isoliert, aber etwas weniger oft als in der letzten Legislatur. Abgenommen im Vergleich zur letzten Legislatur haben zudem die unheiligen Allianzen der SVP mit der Linken. Diese Trends gehen aus Daten des Vereins Politools hervor, der die Abstimmungen im Nationalrat systematisch auswertet. Ein Jahr vor den Wahlen lautet das Fazit deshalb: Bei den Mehrheitsverhältnissen hat sich das Schweizer Parlament nicht fundamental verändert – «neue Mitte» hin oder her. Daniel Schwarz von Politools spricht von «einer Legislatur der Konsolidierung». Die grössten Veränderungen finden derzeit nicht innerhalb des Parlaments statt, sondern im Verhältnis des Parlaments zur Regierung und zu seinem Volk. Schweizerische Volkspartei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 26,6 Prozent (–2,3) Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014: 1 +0,4 Prozent Wahlbarometer SRG:2 24,6 Prozent Wahlziel: Die SVP will den Wähleranteil ausbauen, die Anzahl National- und Ständeräte erhöhen, den Mitte-Rechts-Block stärken und einen zweiten Bundesratssitz erringen. Wahlkampfthemen: EU-Beitritt, Ausländerpolitik, tiefe Steuern Wahlkampfbudget: Keine Angabe Volksinitiativen: Die Volksinitiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer ist im Parlament hängig. Zu einer Volksinitiative zur Umsetzung von Volksentscheiden fällt die Delegiertenversammlung der SVP Schweiz am 25. Oktober 2014 einen Grundsatzbeschluss. Sollte die Umsetzung der angenommenen SVP-Zuwanderungsinitiative nicht im Sinne der SVP sein, wird die Partei eine Volksinitiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit ins Auge fassen. Analyse: Die SVP ist in einer guten, aber dennoch kniffligen Ausgangslage. Sie hat ihr Formtief, in das sie 2012 geraten war, überwunden. Dies zeigen die kantonalen Wahlen. Ihre Themen werden den Wahlkampf dominieren. Ob sie in den eidgenössischen Wahlen zulegen kann, hängt aber von verschiedenen Faktoren ab. Mit der Zuwanderungsinitiative hat sie ein Instrument in der Hand, mit dem sie Protestwähler abholen kann. Knifflig ist die Aufgabe, einen «moderaten Oppositionskurs» zu fahren: Opponiert und emotionalisiert die Partei zu stark, wird sie die von ihr anvisierten urbanen Schichten sowie Akademiker nicht gewinnen können. Zudem verbaute sie sich die Chancen auf einen zweiten Bundesratssitz. Gibt sie sich zu handzahm oder signalisiert gar Kompromissbereitschaft in der Zuwanderungspolitik, bricht der von ihr aufgesogene rechte Rand weg. Ein Fragezeichen ist die Personalpolitik: In der Partei gibt es derzeit nur einzelne für die Bundesversammlung als Bundesrat wählbare Köpfe. Eine konsistente Aufbauarbeit war in den letzten Jahren nicht zu beobachten. Zudem hat die Partei absehbar einen Generationenwechsel zu bewältigen. (msc.) Freisinnig-Demokratische Partei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 15,1 Prozent (–0,7) Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,7 Prozent Wahlbarometer SRG:2 15,8 Prozent Wahlziel: Die FDP will zweitstärkste Partei vor der SP werden. Wahlkampfthemen: Die FDP möchte mit den Werten Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt punkten. Die Kernthemen der Partei – Arbeitsplätze schaffen, Bürokratie abbauen und Sozialwerke sichern – stehen dabei weiterhin im Fokus. Wahlkampfbudget: 2011 verfügte die FDP über rund 3 Millionen Franken. 2015 soll das Budget für den Wahlkampf wiederum in diesen Rahmen zu liegen kommen. Volksinitiativen: Aus Sicht der FDP sollen Volksinitiativen nur dann zur Anwendung kommen, wenn alle anderen politischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Volksinitiativen will die Partei nicht als Marketinginstrument missbrauchen. Die FDP wird deshalb keine Volksinitiative lancieren. b-nzz -i Bildartikel 198.0*32 Analyse: Die FDP hat in der laufenden Legislatur in einigen Kantonen Boden gutgemacht, in anderen nicht. Insgesamt resultiert in den kantonalen Wahlen ein Minus. Eine Trendwende konnte Parteipräsident Philipp Müller nicht herbeiführen. Sein Kurs scheint die FDP für EU-Gegner sowie Kritiker der starken Zuwanderung wieder attraktiver zu machen, stösst aber bei Linksliberalen auf Skepsis. FDP-Bundesrat Didier Burkhalter ist zudem in der EU-Frage exponiert. Die FDP streicht mit ihrem Slogan, besonders mit der Betonung des Gemeinsinns, womit explizit auch das freiwillige Engagement in den Gemeinden gemeint ist, ihre Rolle als staatstragende Partei heraus. Ob das reicht, ist fraglich. Auch die FDP muss ihr Profil schärfen und dem Wahlvolk klare Projekte aufzeigen. Das muss nicht unbedingt über Volksinitiativen geschehen. Wenn sie betont, sie sei keine Mittepartei, sondern der liberale Pol, dann muss eine konsequent liberale Politik folgen. Sollte die FDP in den eidgenössischen Wahlen 2015 verlieren, werden unweigerlich ihre beiden Bundesratssitze zum Thema. Der Verlust eines Bundesratssitzes wäre für die Partei eine Zeitenwende. (msc.) Grüne Partei Schweiz ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 8,4 Prozent (–1,4) Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,8 Prozent Wahlbarometer SRG:2 7,3 Prozent Wahlziel: Die Grünen wollen die fünftstärkste Partei bleiben. Wahlkampfthemen: Im Zentrum steht für die GPS der Einsatz für preisgünstigen und ökologischen Wohnraum, der Kampf gegen die zweite Gotthardröhre, gegen den Ausbau des Schnüffelstaates sowie für eine offene und solidarische Schweiz. Wahlkampfbudget: Neben Kampagnen in den Kantonen wird die nationale Partei eine Dachkampagne führen. Dafür werden 200 000 Franken aufgewendet. Volksinitiativen: Die Volksinitiativen «für einen geordneten Atomausstieg» und «für eine nachhaltige und ressourcengerechte Wirtschaft (grüne Wirtschaft)» kommen ins Parlament. Zudem lancierten die Grünen die «Fair-Food-Initiative». Analyse: Die Grünen weisen keine gute Bilanz aus den kantonalen Wahlen auf. In einzelnen Kantonen, wo sie eigentlich gut verankert sind, haben sie gar stark verloren. Wenig weist derzeit darauf hin, dass sie 2015 in den nationalen Wahlen zulegen können. Zu stark ist die grünliberale Konkurrenz geworden, und auch andere Parteien machen die Ökologie zum Thema. Die Grünen haben ihre «Unique Selling Proposition» definitiv verloren, zumal auch der Atomausstieg beschlossen worden ist. Überdies unterscheidet sich die GPS in der Sozial-, Wirtschafts-, Aussen- oder Gesellschaftspolitik nur marginal von der SP. Die Grünen müssen gewissermassen legitimieren, warum es sie braucht. Die Ausgangslage ist also unbequem. Grüne Themen sind aber ausgesprochen abhängig von Ereignissen. Das zeigte beispielsweise Fukushima. Rasch kann eine Umweltkatastrophe ein enormes Potenzial für die Partei freilegen. Doch darauf vertrauen dürfen die Co-Präsidentinnen Regula Rytz und Adèle Thorens nicht. Die Grünen hüpfen, statt sich zu emanzipieren, lieber in den sozialdemokratischen Rucksack. Der links-grüne Schulterschluss über Listenverbindungen hat zwar mittlerweile Tradition, dürfte das Profil der Partei aber kaum schärfen. (msc.) Bürgerlich-Demokratische Partei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 5,4 Prozent (+5,4). Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,5 Prozent. Wahlbarometer SRG:2 4,8 Prozent. Wahlziel: Ziel ist es, drei Sitze zu gewinnen. Um dies zu erreichen, wird sich die BDP auf bestimmte Kantone konzentrieren. Wahlkampfthemen: Diese sind noch nicht festgelegt. Im Vordergrund stehen der Erhalt der Bilateralen, eine vorausschauende Raumplanung, die geordnete Energiewende sowie eine moderne Gesellschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für alle sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wahlkampfbudget: Rund 400 000 Franken. Volksinitiativen: Keine. Die BDP will Volksrechte nicht zu Marketingzwecken missbrauchen und lehnt Initiativen als reine Wahlkampfvehikel ab. Am 18. Oktober 2015 wird entschieden, wer in der nächsten Legislatur übe Analyse: Die BDP war die Senkrechtstarterin von 2011. Die 2008 gegründete nationale Partei erreichte einen Wähleranteil von 5,4 Prozent und damit Fraktionsstärke in Bern. Mittlerweile ist viel Lack abgeblättert. Fuss fassen konnte die BDP national nicht, und in Bern – einer ihrer Hochburgen – verlor sie die kantonalen Wahlen. Programmatisch reiht sich die BDP in der Mitte ein, wo sich unterdessen viele Parteien tummeln. Bei der BDP ist nicht ganz klar, was sie von anderen, etablierteren Parteien programmatisch unterscheidet. Es liegt an Parteipräsident Martin Landolt, zu zeigen, dass die BDP mehr als eine Partei «ad personam», für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, ist. Je stärker die Partei zwecks Absicherung des Bundesratssitzes die Kooperation mit der CVP sucht – notabene unter Inkaufnahme dramatischer Proteste in wichtigen Kantonalparteien –, desto grösser ist die Gefahr, dass die BDP vom Wahlvolk just als dies wahrgenommen wird: als Partei, die nur den Machterhalt fokussiert. Zudem ist für die BDP, die nur bürgerliche Segmente anspricht, eine problematische Folge solcher Politik, dass sie zu Koalitionen mit links gezwungen wird. Präsident Landolt hat die 1930er Jahre bemüht, um die SVP in ein bestimmtes Licht zu rücken. Ob die Diffamierungsstrategie aufgeht, ist mehr als fraglich, wird solches in der Schweiz doch in aller Regel nicht goutiert. (msc.) Neuö Zürcör Zäitung Samstag, 18. Oktober 2014 V Nr. 242 SCHWEIZ 15 GENÖSSISCHEN WAHLEN Christlichdemokratische Volkspartei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 12,3 Prozent (–2,2) Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,8 Prozent Allianzen verwässern Profile Das Wahljahr 2015 steht im Zeichen der Diskordanz Wahlbarometer SRG:2 11,2 Prozent Wahlziel: Die CVP will 2 Prozentpunkte zulegen und moderat Sitze hinzugewinnen. Wahlkampfthemen: Schwerpunkt bleiben die Familienpolitik und die Stärkung des Mittelstands sowie der KMU. Sodann legt die CVP den Fokus auf den Erhalt der sozialen Sicherheit, die Sicherheit im Alltag sowie eine konstruktive Migrationspolitik. Wahlkampfbudget: 1,5 bis 2 Millionen Franken Volksinitiativen: Die CVP ist mit ihren Zwillingsinitiativen «für steuerfreie Kinderund Ausbildungszulagen» und zur Abschaffung der Heiratsstrafe unterwegs. Eventuell lanciert sie eine Volksinitiative für die Prämienbefreiung der Kinder. Analyse: Der CVP ist es in der laufenden Legislatur nicht gelungen, ihr Verliererimage abzustreifen. Sie hat in allen kantonalen Wahlen verloren. Es bleibt ihr verwehrt, in urbanen Gebieten zu wachsen – und sie kann ihre Position in konservativen Landesteilen und in Stammlanden nicht halten. Die CVP hat ihre historische Rolle im Bundesstaat, die Integration der Katholisch-Konservativen, erfüllt. Die CVPVerantwortlichen betonen, es brauche eine Partei wie die CVP in der Mitte, welche eine Scharnierfunktion zwischen den Polparteien einnehme. Die Wählerinnen und Wähler folgen dieser Argumentation aber nicht. Bei den letzten Wahlen wurde zwar die Mitte leicht gestärkt, nicht aber die CVP. Einen Neuanfang, mit dem die Rückgewinnung von Profil verbunden sein könnte, wagt die Traditionspartei derzeit nicht. Die Annäherung an die BDP kann zwar als Grundlagenarbeit für eine künftige neue Mittepartei verstanden werden. Diese Rechnung hat aber noch viele Unbekannte. Und die gegenwärtigen Kooperationsbestrebungen sind ebenso sehr machtpolitisch motiviert. Die CVP ist in einer unbequemen Ausgangslage. Verliert sie in den eidgenössischen Wahlen 2015 so stark wie 2011, wird sie wohl nur noch die Sitzzahl im Ständerat von anderen kleineren Parteien unterscheiden. (msc.) Sozialdemokratische Partei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 18,7 Prozent (–0,8) Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 +0,1 Prozent Wahlbarometer SRG:2 20,1 Prozent Wahlziel: Wähleranteil von mindestens 20 Prozent Wahlkampfthemen: Die Schwerpunkte liegen beim Einsatz für gerechte und gute Löhne, bezahlbaren Wohnraum, sichere Renten sowie ein gutes und bezahlbares Gesundheitssystem. Wahlkampfbudget: 1,5 Millionen Franken Volksinitiativen: Die SP wird an ihrem Wahlparteitag im Februar 2015 eine Volksinitiative für Kindergutschriften lancieren: «Eine Gutschrift für jedes Kind». Die Partei trägt zudem die Volksinitiativen «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)» sowie «AHV plus» mit. il-40-NU l 4sp 26.4 mm Analyse: Die SP hat in den letzten Jahren konsequent links politisiert – eine Reihe sehr pointierter Volksinitiativen hat die politische Agenda mitbestimmt. Zwar ist sie mit ihren Begehren gescheitert, doch haben die Sozialdemokraten Profil hinzugewonnen. Nach Jahren, in denen die SP in den Kantonen verloren hat, konnte sie in der laufenden Legislatur da und dort wieder zulegen. Präsident Christian Levrat fährt einen gewerkschaftlich-bewahrenden Kurs. Trotz Frühlingsgefühlen in der Partei muss die SP aufpassen, dass sie mit dieser Ausrichtung die linksliberalen Wählerinnen und Wähler nicht vergrault. Die SP ist längst keine Arbeiterpartei mehr, sondern eine Partei der Gutsituierten, des Mittelstands, der Staatsangestellten. Just für diese Klientel stehen unterdessen andere, weniger extreme Parteien parat. Die SP versteht es aber bis anhin, ihren radikalen Parteikurs mit einer Portion Pragmatik zu verknüpfen. Dabei helfen ihr die beiden SP-Vertreter im Bundesrat: Simonetta Sommaruga steht seit dem Gurten-Manifest für die moderne Sozialdemokratie und spricht mit ihrer sachorientierten Politik den SP-Reformflügel an. Alain Berset beweist, dass er gewillt ist, ohne Scheuklappen die Probleme des Wohlfahrtsstaats anzupacken. Die Doppelrolle als Regierungs- und Oppositionspartei spielt die SP also bis anhin gut. (msc.) Grünliberale Partei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 5,4 Prozent (+4,0). Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 +1,6 Prozent. Wahlbarometer SRG:2 7,3 Prozent. Wahlziel: Wähleranteil von 7 bis 8 Prozent. Wahlkampfthemen: Zentrales Thema ist die Energie- und Umweltpolitik. Die GLP will zudem liberale Reformen in der Landwirtschaft, Reformen für langfristig finanzierbare Sozialwerke und die Vereinfachung des Steuersystems. Im Wahlkampf wird sie sich auch für eine liberale Gesellschaftspolitik, etwa die Ehe für alle, starkmachen. Wahlkampfbudget: Die GLP Schweiz wird rund 300 000 Franken investieren. Daneben führen die Kantonalparteien ihre eigenen Kampagnen. Volksinitiativen: Volksinitiative «Energie- statt Mehrwertsteuer». er die Treppen des Bundeshauses die Ratssäle betreten darf. FLORIAN KALOTAY Evangelische Volkspartei ............................................................................................................................. Wähleranteil 2011: 2,0 Prozent (–0,4 Prozent) Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 keine Angabe Wahlbarometer SRG:2 1,8 Prozent Wahlziel: Die EVP will ihre beiden Mandate in den Kantonen Zürich und Bern halten und strebt die Rückgewinnung des 2007 verloren gegangenen Sitzes an. Wahlkampfthemen: Finanzierung der AHV, Erbschaftssteuer, Präimplantationsdiagnostik und Fortpflanzungsmedizingesetz, Religionsfreiheit, Migration. Wahlkampfbudget: Das Budget der Bundespartei liegt bei rund 250 000 Franken. Volksinitiativen: Im Wahljahr wird voraussichtlich die von der EVP mitlancierte Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» an die Urne kommen. Analyse: Gegründet 1919 und in 16 Kantonen mit Sektionen präsent, ist die EVP seit Analyse: Die Grünliberalen waren die Gewinner der letzten eidgenössischen Wahlen. Im nächsten Jahr wird es darum gehen, diesen Erfolg zu bestätigen. Derzeit stehen die Zeichen gut: der Trend aus den kantonalen Wahlen zeigt für die GLP nach oben. Es mehren sich die Anzeichen, dass die «linken» Grünen und die «liberalen» Grünen national ungefähr gleiche Potenziale aufweisen. Die Grünliberalen sprechen nach wie vor unzufriedene Teile der links-grünen Klientel wie auch Sympathisanten von FDP oder CVP an. Sie grasen also vielerorts. Und sie punkten in urbanen Wachstumsregionen. Zudem sprechen sie mit einer liberalen Gesellschaftspolitik Kreise an, die bürgerliche Parteien in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt haben. Die Probleme der Grünliberalen liegen in ihrer dünnen Personaldecke. Die schnell gewachsene Partei ist nicht überall personell gut aufgestellt. Auf der nationalen Bühne stehen drei oder vier Personen im Fokus. Parteipräsident Martin Bäumle bleibt Dreh- und Angelpunkt und Zugpferd der grünliberalen Politik. Das ist zu wenig, um national in die Breite zu wachsen. Ein Fragezeichen sind die Listenverbindungen: Die GLP hat 2011 stark von Allianzen profitieren können. Derzeit ist ungewiss, ob sie derart erfolgreiche Zweckbündnisse 2015 wieder wird eingehen können. (msc.) 1971 mit einem um die Marke von 2 Prozent schwankenden Wähleranteil in der eidgenössischen Politik präsent. Obwohl die Mitteparteien 2011 leicht gestärkt worden sind, musste die EVP Federn lassen und verlor einen Sitz in der Bundesversammlung. Die EVP wird ihrer Linie 2015 treu bleiben und das Evangelium ins Zentrum ihrer Politik rücken. Damit bleibt sie für eine kleine, aber treue evangelische Wählerschaft attraktiv. Expansion ist nicht oberstes Ziel der Partei, doch Fraktionsstärke im Bundesparlament bleibt längerfristiges Ziel. Die in den Kantonen Baselland, Bern, Zürich, Aargau und Thurgau mit einem Wähleranteil zwischen 3,8 und 5,9 Prozent vertretene EVP dürfte in ebendiesen Kantonen 2011 unter der aufkommenden BDP gelitten haben. Die Chancen sind intakt, vereinzelt wieder Boden gutzumachen. Im Wahljahr dürfte der EVP bei ihrer Profilierung die Volksinitiative für eine nationale Erbschaftssteuer helfen. (msc.) 1 Zur Berechnung des Trends wurde die Sitzverteilung in den kantonalen Parlamenten herangezogen und diese nach der jeweiligen Zahl der Stimmbürger und der zu vergebenden Sitze pro Kanton gewichtet. Die Zahlen wurden am 6. Oktober 2014 vom Zentrum für Demokratie Aarau berechnet. 2 Stichtag des von GFS Bern im Auftrag der SRG durchgeführten Wahlbarometers war der 18. September 2014 (n = 862). Der statistische Stichprobenfehler liegt bei 2,2 Prozentpunkten. René Zeller V Früher als auch schon ist in den Parteizentralen das Wahlkampffieber ausgebrochen. Gewerkelt wird an Volksinitiativen, die als publizitätswirksame Vehikel dienen sollen. Die FDP hat sich unlängst in Zug mit einem volkstümlichen Parteifest Mut zugesprochen. Die Präsidenten von SP und BDP poltern mit der Faschismuskeule durch die Zeitungsspalten. Und die Parteioberen von links bis rechts erklären dem Publikum, wie die sieben Bundesratssitze nach den Parlamentswahlen vom 18. Oktober 2015 verteilt werden sollten. Es ist nur folgerichtig, dass das wahlkämpferische Vorgeplänkel von parteitaktischen Sandkastenspielen dominiert wird. Die Zeiten, als die Konkordanz ein stabilisierendes Element der schweizerischen Politik war, sind längst vorbei. Spätestens seit 2011, als Eveline Widmer-Schlumpf im Kleid der BDP wiedergewählt wurde, regiert unter der Bundeshauskuppel die Diskordanz. Die Uneinigkeit darüber, was Regierungsverantwortung umfasst und welche informellen Spielregeln für die Zusammensetzung des Bundesrats gelten sollen, eröffnet den politischen Tenören kunterbunte Perspektiven. Lautester Verfechter einer Mitte-Links-Allianz ist SP-Präsident Christian Levrat. Er will partout verhindern, dass SVP und FDP vier Regierungssitze zugesprochen erhalten. Eine Mitte-Rechts-Regierung wäre Gift für das Land, behauptet Levrat. Die CVP will nichts unversucht lassen, um nebst ihrem eigenen Sitz auch jenen von Widmer-Schlumpf abzusichern. Als Stützkonstruktion soll eine halbwegs verbindliche Union mit der BDP gezimmert werden. Das würde die Chancen der SVP schmälern, einen zweiten Bundesratssitz zu ergattern, der ihr gemäss ihrer Wählerstärke eigentlich zustünde. Allerdings hat die Volkspartei in den letzten Jahren wenig unternommen, um ihre Regierungsfähigkeit zu bekräftigen. Die SVP ist faktisch die vehementeste Oppositionskraft im Lande. Wird das diskordante Schattenboxen, das sich die Parteien zurzeit im medialen Rampenlicht liefern, auch im Wahljahr 2015 das Mass aller Dinge sein? Wünschenswert ist das nicht. Der Souverän wird im Oktober 2015 an die Urne gerufen, um das Bundesparlament neu zu bestellen. Die parteipolitische Farbpalette ist also zu bestimmen – es wird nicht über die Zukunft der Diskordanz entschieden, auch nicht über Allianzen oder Unionen. Anders gesagt: Im Wahlkampf sind die Parteien Konkurrenten. So gesehen, sind deren Protagonisten gut beraten, wenn sie in den nächsten Monaten vor allem das eigene Parteiprofil polieren und schärfen. Gut unterwegs sind diesbezüglich die Grünliberalen. Sie haben sich mit ihrer konsequent ökologischen und gleichzeitig finanzpolitisch gezügelten Politik als eigenständige Marke etabliert. Weniger klar ist, weshalb man die antiliberalen Grünen wählen sollte, zumal diese kaum je den Rockzipfel der SP loslassen. Fast schon in Erklärungsnotstand sind CVP und BDP. Sie werden darlegen müssen, weshalb es zwei Mitteparteien braucht, die hauteng kooperieren wollen und überdies nach allen Seiten kompromissbereit sind. Die Prognose sei gewagt: Wer sich im Wahljahr 2015 auf den Sesseltanz um die sieben Regierungssitze konzentriert und als programmatische Allianz-Wundertüte auftritt, wird in den Parlamentswahlen kaum obsiegen. Adieu Bern Mehrere politische Schwergewichte beenden ihre Karriere For. Bern V «Wir treten auf. Wir spielen. Wir treten ab.» Kurz und elegant resümierte Bundesrat Moritz Leuenberger 2010 in seiner Abschiedsrede vor dem Parlament sein politisches Werk. Auch per Ende der laufenden Legislatur verlassen mehrere Parlamentarier die Bühne, welche die Politik in den vergangenen Jahren mitgeprägt haben. Dazu gehört der Freiburger Ständerat und Fast-Bundesrat Urs Schwaller, dem es als Fraktionspräsident gelang, zwischen den Flügeln der CVP auszugleichen und das Profil der Partei zu schärfen. Er ist seit 2003 im Parlament. Seine Voten in der Gesundheits-, Sozial- und Finanzpolitik haben Gewicht. Auch die Urner FDP-Nationalrätin Gabi Huber, seit 2003 in der grossen Kammer, hat ihre Fraktion umsichtig geführt und dabei besonderen Wert auf Geschlossenheit gelegt. Ihr Rücktritt, von diversen Fraktionskollegen bedauert, kam überraschend. Nicht alle haben entschieden In der ersten Novemberhälfte wird der Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller über seine Pläne informieren. Derzeit scheinen jene, die mit einem Rücktritt rechnen, etwas Rückenwind zu verspüren. Bekannt ist hingegen der Abtritt seiner Partei- und Ratskollegin Christine Egerszegi, die seit 2007 im Ständerat ist und davor 12 Jahre im Nationalrat politisierte. Mit Georges Theiler und Hans Hess verlassen zwei weitere FDP-Ständeräte die nationale Politik. Der Zuger CVP-Ständerat und Ratsdoyen Peter Bieri wird Anfang 2015 entscheiden, ob er nochmals ins Rennen steigt. Bei Verena Diener (Zürich, glp.) deuten die Zeichen derzeit darauf hin, dass sie wieder antritt. Eine parteiinterne Amtszeitbeschränkung hindert den Walliser CSP-Vertreter René Imoberdorf daran, nochmals für das Stöckli zu kandidieren. Im Nationalrat ist der Rücktritt des SP-Urgesteins Andreas Gross zu verzeichnen. Er sitzt seit 1991 in der grossen Kammer. Auch die langjährige SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (seit 1998 im Rat) wird zurücktreten, falls sie im April 2015 in den Zürcher Regierungsrat gewählt wird. Bei der CVP endet nach 16 Jahren im Nationalrat die politische Karriere von Lucrezia Meier-Schatz, bei der BDP jene von Hansjörg Hassler. Der Bündner präsidiert seit 2011 die BDP-Fraktion. Nach der Blocher-Abwahl und dem Ausschluss der SVP Graubünden aus der SVP Schweiz verliess Hassler seine frühere politische Heimat und schloss sich der neugegründeten BDP an. Chefposten neu zu besetzen SVP-Nationalrat Oskar Freysinger will sich ab kommenden Herbst voll seinem Walliser Regierungsratsamt widmen und gibt deshalb seinen Posten in Bern auf. Dem CVP-Präsidenten Christophe Darbellay aus demselben Kanton sind aufgrund einer parteiinternen Amtszeitbeschränkung die Hände gebunden. Fraglich bleibt, ob Darbellay an einer Ausnahmeregelung interessiert wäre, um den zusätzlichen Nationalratssitz für das Wallis der CVP zu sichern. Darbellays Hauptziel ist der Einzug in die kantonale Regierung im Frühjahr 2017. Bei mehreren langjährigen Mandatsträgern wie Toni Bortoluzzi, Max Binder (beide svp.), Ruedi Lustenberger (cvp.) und Kurt Fluri (fdp.) ist der Entscheid ausstehend. Bortoluzzi wird sich im April 2015 dazu verlauten lassen. Aufgrund der Rücktritte sind diverse Posten neu zu besetzen. Dazu gehören das Fraktionspräsidium von FDP und BDP und das Parteipräsidium der CVP. Wechsel bei den Chefposten der anderen Parteien und Fraktionen sind derzeit nicht absehbar.