Vom Volk getrieben und zügelloser

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Vom Volk getrieben und zügelloser
Neuö Zürcör Zäitung
14 SCHWEIZ
Samstag, 18. Oktober 2014 V Nr. 242
EIN JAHR VOR DEN EIDG
Vom Volk getrieben
und zügelloser
Das Parlament ein Jahr vor den Wahlen
Erst drei Viertel der Legislatur
sind um, doch das Parlament hat
bereits zwei Rekorde gebrochen.
Noch nie musste es so viele
Volksinitiativen behandeln – und
noch kaum je lehnte es sich so
stark gegen den Bundesrat auf.
Markus Häfliger, Bern
Das Parlament wird immer stärker von
Volksinitiativen getrieben, und es lässt
sich immer weniger vom Bundesrat führen. Das sind zwei grundlegende Entwicklungen im Bundeshaus ein Jahr vor
den Wahlen. Eine statistische Auswertung der Parlamentsdienste zeigt, dass
im Zusammenspiel von Regierung, Parlament und Souverän derzeit eigentliche Umwälzungen im Gang sind:
Verhältnis zum Volk. Nie zuvor war das
Parlament in einer Legislatur durch so
viele Volksinitiativen absorbiert wie in
dieser. Bis Legislaturende wird es über
30 Initiativen beraten haben (vgl. Grafik). Das heisst: Zu jeder dieser Initiativen mussten beide Räte eine Abstimmungsempfehlung fassen und dazu in
einigen Fällen Gegenvorschläge erarbeiten. Zudem hat das Volk in dieser
Legislatur bereits vier Initiativen angenommen, die das Parlament nun umsetzen muss. Auch das sind mehr als in
jeder der 48 Legislaturperioden zuvor.
Verhältnis zum Bundesrat. Nach drei
Vierteln der Legislatur hat das Parlament bereits 22 Bundesratsvorlagen abgeschossen – entweder indem es nicht
auf sie eintrat oder indem es die Vorlage
nach der Beratung ablehnte. Damit sind
bereits gleich viele Regierungsvorlagen
gescheitert wie in der ganzen Legislatur
zuvor und massiv mehr als in früheren
Perioden (vgl. Grafik).
Parlament im Hamsterrad
Welche Folgen haben diese beiden
Trends? Die vielen Initiativen belasten
den Parlamentsbetrieb. Jedes Volksbegehren provoziert stunden- oder sogar tagelange Mammutdebatten. Allein
bei der Masseneinwanderungsinitiative
drängten 63 Nationalräte ans Rednerpult. Bei der «Abzocker»-Initiative bewegte sich das Parlament drei Jahre und
vier Monate lang in einem Hamsterrad:
So lange schoben die Räte die Initiative
hin und her, bis sie sie zur Abstimmung
freigaben. Noch mehr Probleme als vor
der Abstimmung bereiten Initiativen
nach der Abstimmung. Radikale Initiativtexte wie die Ausschaffungs-, die
Zweitwohnungs- oder die Masseneinwanderungsinitiative provozieren grosse rechtliche und materielle Herausforderungen bei der Umsetzung.
Während das Parlament so zunehmend durch Volksinitiativen ferngesteuert wird, emanzipiert es sich gleich-
Bilanz der eidgenössischen Räte
Vom Parlament behandelte Volksinitiativen
9 hängig
28
23
24
20
7
1995–99
1999–03
2003–07
2007–11
2011–15*
Vom Parlament abgelehnte Bundesratsvorlagen
22
22
10
1
0
1995–99
1999–03
2003–07
2007–11
2011–15*
* Stand nach drei Vierteln der Legislatur.
QUELLE: PARLAMENTSDIENSTE
NZZ-cke.
Rscannzz-wKjA2
zeitig von der Regierung. Die Räte
scheuen nicht mehr davor zurück, selbst
grosse Bundesratsvorlagen zu versenken. In dieser Legislatur traf es unter
anderem das Präventionsgesetz, das
Kartellgesetz, die Staatsleitungsreform,
das Meteorologiegesetz, das Versicherungsvertragsgesetz, die 6. IV-Revision
sowie die «Lex USA».
Für diese neue Lust am parlamentarischen Blattschuss gibt es unter langjährigen Parlamentariern zwei Lesarten. Nationalrätin Lucrezia MeierSchatz (cvp., St. Gallen) erklärt sich die
wachsende Zahl gescheiterter Vorlagen
zum einen mit der wachsenden Komplexität. Angesichts der Globalisierung sei
das Parlament zunehmend überfordert.
Zum anderen sinke die Kompromissbereitschaft der Parteien, sagt MeierSchatz. «Wer heute noch zu Kompromissen Hand bietet, wird allzu oft mit
dem Vorwurf des Wischiwaschi oder der
Windfahne bestraft.»
Ständerat Felix Gutzwiller (Zürich,
fdp.) bietet eine positivere Lesart an.
Viele Bundesratsvorlagen seien Ausdruck eines «extremen gesetzgeberischen Aktivismus» und alles andere als
notwendig. Deshalb begrüsst er es, dass
das Parlament «tabuloser» geworden ist
und mehr Bundesratsvorlagen ablehnt
als früher. Ein weiterer Faktor ist die
parteipolitische Zersplitterung in der
Mitte. Diese macht die Mehrheitsbeschaffung für den Bundesrat ebenfalls schwieriger als früher.
Und die «neue Mitte»?
Dass das Parlament bei den Volksinitiativen und den Bundesratsvorlagen neue
Rekorde schreiben würde, hat zu Beginn der Legislatur kaum jemand vorhergesehen – ganz im Gegensatz zur
politischen Zusammensetzung des Rates, über die damals breit debattiert
wurde. Bei den Wahlen im Herbst 2011
hatten die SVP und die FDP zusammen
allein im Nationalrat 10 Sitze verloren,
vor allem zugunsten der GLP und der
BDP. Zu Legislaturbeginn war deshalb
viel von der «neuen Mitte» die Rede.
Und tatsächlich verschoben sich zu
Beginn der Legislatur die Gewichte
messbar nach links, wie der Politforscher Michael Hermann vor einem Jahr
aufzeigte. In der zweiten Legislaturhalbzeit habe sich dieser Links-Trend
aber abgeschwächt, sagt Hermann. Das
hängt unter anderem damit zusammen,
dass in letzter Zeit keine grösseren
Energievorlagen auf der Traktandenliste standen (die Energiewende war das
Vorzeigeprojekt der «neuen Mitte»).
Zudem zeigt sich inzwischen, dass vor
allem die BDP oftmals bürgerlicher
stimmt, als man das zu Legislaturbeginn
erwartet hatte.
Weniger unheilige Allianzen
Die häufigste Konstellation lautet deshalb auch in der 49. Legislatur: Die Bürgerlichen gewinnen gegen die Linke –
selbst wenn die Häufigkeit dieser klassischen Sieges-Konstellation etwas abnimmt. Die SVP ist zwar immer noch oft
isoliert, aber etwas weniger oft als in der
letzten Legislatur. Abgenommen im
Vergleich zur letzten Legislatur haben
zudem die unheiligen Allianzen der
SVP mit der Linken. Diese Trends
gehen aus Daten des Vereins Politools
hervor, der die Abstimmungen im Nationalrat systematisch auswertet.
Ein Jahr vor den Wahlen lautet das
Fazit deshalb: Bei den Mehrheitsverhältnissen hat sich das Schweizer Parlament nicht fundamental verändert –
«neue Mitte» hin oder her. Daniel
Schwarz von Politools spricht von «einer Legislatur der Konsolidierung». Die
grössten Veränderungen finden derzeit
nicht innerhalb des Parlaments statt,
sondern im Verhältnis des Parlaments
zur Regierung und zu seinem Volk.
Schweizerische
Volkspartei
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Wähleranteil 2011: 26,6 Prozent (–2,3)
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014: 1 +0,4 Prozent
Wahlbarometer SRG:2 24,6 Prozent
Wahlziel: Die SVP will den Wähleranteil ausbauen, die Anzahl National- und Ständeräte erhöhen, den Mitte-Rechts-Block stärken und einen zweiten Bundesratssitz erringen.
Wahlkampfthemen: EU-Beitritt, Ausländerpolitik, tiefe Steuern
Wahlkampfbudget: Keine Angabe
Volksinitiativen: Die Volksinitiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller
Ausländer ist im Parlament hängig. Zu einer Volksinitiative zur Umsetzung von Volksentscheiden fällt die Delegiertenversammlung der SVP Schweiz am 25. Oktober 2014
einen Grundsatzbeschluss. Sollte die Umsetzung der angenommenen SVP-Zuwanderungsinitiative nicht im Sinne der SVP sein, wird die Partei eine Volksinitiative zur
Kündigung der Personenfreizügigkeit ins Auge fassen.
Analyse: Die SVP ist in einer guten, aber dennoch kniffligen Ausgangslage. Sie hat
ihr Formtief, in das sie 2012 geraten war, überwunden. Dies zeigen die kantonalen
Wahlen. Ihre Themen werden den Wahlkampf dominieren. Ob sie in den eidgenössischen Wahlen zulegen kann, hängt aber von verschiedenen Faktoren ab. Mit der
Zuwanderungsinitiative hat sie ein Instrument in der Hand, mit dem sie Protestwähler
abholen kann. Knifflig ist die Aufgabe, einen «moderaten Oppositionskurs» zu fahren:
Opponiert und emotionalisiert die Partei zu stark, wird sie die von ihr anvisierten
urbanen Schichten sowie Akademiker nicht gewinnen können. Zudem verbaute sie
sich die Chancen auf einen zweiten Bundesratssitz. Gibt sie sich zu handzahm oder
signalisiert gar Kompromissbereitschaft in der Zuwanderungspolitik, bricht der von ihr
aufgesogene rechte Rand weg. Ein Fragezeichen ist die Personalpolitik: In der Partei
gibt es derzeit nur einzelne für die Bundesversammlung als Bundesrat wählbare
Köpfe. Eine konsistente Aufbauarbeit war in den letzten Jahren nicht zu beobachten.
Zudem hat die Partei absehbar einen Generationenwechsel zu bewältigen. (msc.)
Freisinnig-Demokratische
Partei
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Wähleranteil 2011: 15,1 Prozent (–0,7)
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,7 Prozent
Wahlbarometer SRG:2 15,8 Prozent
Wahlziel: Die FDP will zweitstärkste Partei vor der SP werden.
Wahlkampfthemen: Die FDP möchte mit den Werten Freiheit, Gemeinsinn und
Fortschritt punkten. Die Kernthemen der Partei – Arbeitsplätze schaffen, Bürokratie
abbauen und Sozialwerke sichern – stehen dabei weiterhin im Fokus.
Wahlkampfbudget: 2011 verfügte die FDP über rund 3 Millionen Franken. 2015 soll
das Budget für den Wahlkampf wiederum in diesen Rahmen zu liegen kommen.
Volksinitiativen: Aus Sicht der FDP sollen Volksinitiativen nur dann zur Anwendung
kommen, wenn alle anderen politischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Volksinitiativen will die Partei nicht als Marketinginstrument missbrauchen. Die FDP wird
deshalb keine Volksinitiative lancieren.
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Analyse: Die FDP hat in der laufenden Legislatur in einigen Kantonen Boden gutgemacht, in anderen nicht. Insgesamt resultiert in den kantonalen Wahlen ein Minus.
Eine Trendwende konnte Parteipräsident Philipp Müller nicht herbeiführen. Sein Kurs
scheint die FDP für EU-Gegner sowie Kritiker der starken Zuwanderung wieder
attraktiver zu machen, stösst aber bei Linksliberalen auf Skepsis. FDP-Bundesrat
Didier Burkhalter ist zudem in der EU-Frage exponiert. Die FDP streicht mit ihrem
Slogan, besonders mit der Betonung des Gemeinsinns, womit explizit auch das
freiwillige Engagement in den Gemeinden gemeint ist, ihre Rolle als staatstragende
Partei heraus. Ob das reicht, ist fraglich. Auch die FDP muss ihr Profil schärfen und
dem Wahlvolk klare Projekte aufzeigen. Das muss nicht unbedingt über Volksinitiativen geschehen. Wenn sie betont, sie sei keine Mittepartei, sondern der liberale Pol,
dann muss eine konsequent liberale Politik folgen. Sollte die FDP in den eidgenössischen Wahlen 2015 verlieren, werden unweigerlich ihre beiden Bundesratssitze zum
Thema. Der Verlust eines Bundesratssitzes wäre für die Partei eine Zeitenwende. (msc.)
Grüne
Partei Schweiz
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Wähleranteil 2011: 8,4 Prozent (–1,4)
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,8 Prozent
Wahlbarometer SRG:2 7,3 Prozent
Wahlziel: Die Grünen wollen die fünftstärkste Partei bleiben.
Wahlkampfthemen: Im Zentrum steht für die GPS der Einsatz für preisgünstigen
und ökologischen Wohnraum, der Kampf gegen die zweite Gotthardröhre, gegen den
Ausbau des Schnüffelstaates sowie für eine offene und solidarische Schweiz.
Wahlkampfbudget: Neben Kampagnen in den Kantonen wird die nationale Partei
eine Dachkampagne führen. Dafür werden 200 000 Franken aufgewendet.
Volksinitiativen: Die Volksinitiativen «für einen geordneten Atomausstieg» und «für
eine nachhaltige und ressourcengerechte Wirtschaft (grüne Wirtschaft)» kommen ins
Parlament. Zudem lancierten die Grünen die «Fair-Food-Initiative».
Analyse: Die Grünen weisen keine gute Bilanz aus den kantonalen Wahlen auf.
In einzelnen Kantonen, wo sie eigentlich gut verankert sind, haben sie gar stark
verloren. Wenig weist derzeit darauf hin, dass sie 2015 in den nationalen Wahlen
zulegen können. Zu stark ist die grünliberale Konkurrenz geworden, und auch andere
Parteien machen die Ökologie zum Thema. Die Grünen haben ihre «Unique Selling
Proposition» definitiv verloren, zumal auch der Atomausstieg beschlossen worden ist.
Überdies unterscheidet sich die GPS in der Sozial-, Wirtschafts-, Aussen- oder Gesellschaftspolitik nur marginal von der SP. Die Grünen müssen gewissermassen legitimieren, warum es sie braucht. Die Ausgangslage ist also unbequem. Grüne Themen sind
aber ausgesprochen abhängig von Ereignissen. Das zeigte beispielsweise Fukushima.
Rasch kann eine Umweltkatastrophe ein enormes Potenzial für die Partei freilegen.
Doch darauf vertrauen dürfen die Co-Präsidentinnen Regula Rytz und Adèle Thorens
nicht. Die Grünen hüpfen, statt sich zu emanzipieren, lieber in den sozialdemokratischen Rucksack. Der links-grüne Schulterschluss über Listenverbindungen hat zwar
mittlerweile Tradition, dürfte das Profil der Partei aber kaum schärfen. (msc.)
Bürgerlich-Demokratische
Partei
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Wähleranteil 2011: 5,4 Prozent (+5,4).
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,5 Prozent.
Wahlbarometer SRG:2 4,8 Prozent.
Wahlziel: Ziel ist es, drei Sitze zu gewinnen. Um dies zu erreichen, wird sich die
BDP auf bestimmte Kantone konzentrieren.
Wahlkampfthemen: Diese sind noch nicht festgelegt. Im Vordergrund stehen der
Erhalt der Bilateralen, eine vorausschauende Raumplanung, die geordnete Energiewende sowie eine moderne Gesellschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für
alle sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Wahlkampfbudget: Rund 400 000 Franken.
Volksinitiativen: Keine. Die BDP will Volksrechte nicht zu Marketingzwecken missbrauchen und lehnt Initiativen als reine Wahlkampfvehikel ab.
Am 18. Oktober 2015 wird entschieden, wer in der nächsten Legislatur übe
Analyse: Die BDP war die Senkrechtstarterin von 2011. Die 2008 gegründete nationale Partei erreichte einen Wähleranteil von 5,4 Prozent und damit Fraktionsstärke in
Bern. Mittlerweile ist viel Lack abgeblättert. Fuss fassen konnte die BDP national
nicht, und in Bern – einer ihrer Hochburgen – verlor sie die kantonalen Wahlen.
Programmatisch reiht sich die BDP in der Mitte ein, wo sich unterdessen viele
Parteien tummeln. Bei der BDP ist nicht ganz klar, was sie von anderen, etablierteren
Parteien programmatisch unterscheidet. Es liegt an Parteipräsident Martin Landolt, zu
zeigen, dass die BDP mehr als eine Partei «ad personam», für Bundesrätin Eveline
Widmer-Schlumpf, ist. Je stärker die Partei zwecks Absicherung des Bundesratssitzes
die Kooperation mit der CVP sucht – notabene unter Inkaufnahme dramatischer
Proteste in wichtigen Kantonalparteien –, desto grösser ist die Gefahr, dass die BDP
vom Wahlvolk just als dies wahrgenommen wird: als Partei, die nur den Machterhalt
fokussiert. Zudem ist für die BDP, die nur bürgerliche Segmente anspricht, eine
problematische Folge solcher Politik, dass sie zu Koalitionen mit links gezwungen
wird. Präsident Landolt hat die 1930er Jahre bemüht, um die SVP in ein bestimmtes
Licht zu rücken. Ob die Diffamierungsstrategie aufgeht, ist mehr als fraglich, wird
solches in der Schweiz doch in aller Regel nicht goutiert. (msc.)
Neuö Zürcör Zäitung
Samstag, 18. Oktober 2014 V Nr. 242
SCHWEIZ 15
GENÖSSISCHEN WAHLEN
Christlichdemokratische
Volkspartei
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Wähleranteil 2011: 12,3 Prozent (–2,2)
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 –0,8 Prozent
Allianzen verwässern Profile
Das Wahljahr 2015 steht im Zeichen der Diskordanz
Wahlbarometer SRG:2 11,2 Prozent
Wahlziel: Die CVP will 2 Prozentpunkte zulegen und moderat Sitze hinzugewinnen.
Wahlkampfthemen: Schwerpunkt bleiben die Familienpolitik und die Stärkung des
Mittelstands sowie der KMU. Sodann legt die CVP den Fokus auf den Erhalt der
sozialen Sicherheit, die Sicherheit im Alltag sowie eine konstruktive Migrationspolitik.
Wahlkampfbudget: 1,5 bis 2 Millionen Franken
Volksinitiativen: Die CVP ist mit ihren Zwillingsinitiativen «für steuerfreie Kinderund Ausbildungszulagen» und zur Abschaffung der Heiratsstrafe unterwegs. Eventuell
lanciert sie eine Volksinitiative für die Prämienbefreiung der Kinder.
Analyse: Der CVP ist es in der laufenden Legislatur nicht gelungen, ihr Verliererimage abzustreifen. Sie hat in allen kantonalen Wahlen verloren. Es bleibt ihr
verwehrt, in urbanen Gebieten zu wachsen – und sie kann ihre Position in konservativen Landesteilen und in Stammlanden nicht halten. Die CVP hat ihre historische
Rolle im Bundesstaat, die Integration der Katholisch-Konservativen, erfüllt. Die CVPVerantwortlichen betonen, es brauche eine Partei wie die CVP in der Mitte, welche
eine Scharnierfunktion zwischen den Polparteien einnehme. Die Wählerinnen und
Wähler folgen dieser Argumentation aber nicht. Bei den letzten Wahlen wurde zwar
die Mitte leicht gestärkt, nicht aber die CVP. Einen Neuanfang, mit dem die Rückgewinnung von Profil verbunden sein könnte, wagt die Traditionspartei derzeit nicht.
Die Annäherung an die BDP kann zwar als Grundlagenarbeit für eine künftige neue
Mittepartei verstanden werden. Diese Rechnung hat aber noch viele Unbekannte.
Und die gegenwärtigen Kooperationsbestrebungen sind ebenso sehr machtpolitisch
motiviert. Die CVP ist in einer unbequemen Ausgangslage. Verliert sie in den eidgenössischen Wahlen 2015 so stark wie 2011, wird sie wohl nur noch die Sitzzahl im
Ständerat von anderen kleineren Parteien unterscheiden. (msc.)
Sozialdemokratische Partei
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Wähleranteil 2011: 18,7 Prozent (–0,8)
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 +0,1 Prozent
Wahlbarometer SRG:2 20,1 Prozent
Wahlziel: Wähleranteil von mindestens 20 Prozent
Wahlkampfthemen: Die Schwerpunkte liegen beim Einsatz für gerechte und gute
Löhne, bezahlbaren Wohnraum, sichere Renten sowie ein gutes und bezahlbares
Gesundheitssystem.
Wahlkampfbudget: 1,5 Millionen Franken
Volksinitiativen: Die SP wird an ihrem Wahlparteitag im Februar 2015 eine Volksinitiative für Kindergutschriften lancieren: «Eine Gutschrift für jedes Kind». Die Partei
trägt zudem die Volksinitiativen «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV
(Erbschaftssteuerreform)» sowie «AHV plus» mit.
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26.4 mm
Analyse: Die SP hat in den letzten Jahren konsequent links politisiert – eine Reihe
sehr pointierter Volksinitiativen hat die politische Agenda mitbestimmt. Zwar ist sie
mit ihren Begehren gescheitert, doch haben die Sozialdemokraten Profil hinzugewonnen. Nach Jahren, in denen die SP in den Kantonen verloren hat, konnte sie in der
laufenden Legislatur da und dort wieder zulegen. Präsident Christian Levrat fährt
einen gewerkschaftlich-bewahrenden Kurs. Trotz Frühlingsgefühlen in der Partei muss
die SP aufpassen, dass sie mit dieser Ausrichtung die linksliberalen Wählerinnen und
Wähler nicht vergrault. Die SP ist längst keine Arbeiterpartei mehr, sondern eine
Partei der Gutsituierten, des Mittelstands, der Staatsangestellten. Just für diese
Klientel stehen unterdessen andere, weniger extreme Parteien parat. Die SP versteht
es aber bis anhin, ihren radikalen Parteikurs mit einer Portion Pragmatik zu verknüpfen. Dabei helfen ihr die beiden SP-Vertreter im Bundesrat: Simonetta Sommaruga
steht seit dem Gurten-Manifest für die moderne Sozialdemokratie und spricht mit
ihrer sachorientierten Politik den SP-Reformflügel an. Alain Berset beweist, dass er
gewillt ist, ohne Scheuklappen die Probleme des Wohlfahrtsstaats anzupacken. Die
Doppelrolle als Regierungs- und Oppositionspartei spielt die SP also bis anhin gut. (msc.)
Grünliberale
Partei
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Wähleranteil 2011: 5,4 Prozent (+4,0).
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 +1,6 Prozent.
Wahlbarometer SRG:2 7,3 Prozent.
Wahlziel: Wähleranteil von 7 bis 8 Prozent.
Wahlkampfthemen: Zentrales Thema ist die Energie- und Umweltpolitik. Die GLP
will zudem liberale Reformen in der Landwirtschaft, Reformen für langfristig finanzierbare Sozialwerke und die Vereinfachung des Steuersystems. Im Wahlkampf wird
sie sich auch für eine liberale Gesellschaftspolitik, etwa die Ehe für alle, starkmachen.
Wahlkampfbudget: Die GLP Schweiz wird rund 300 000 Franken investieren.
Daneben führen die Kantonalparteien ihre eigenen Kampagnen.
Volksinitiativen: Volksinitiative «Energie- statt Mehrwertsteuer».
er die Treppen des Bundeshauses die Ratssäle betreten darf.
FLORIAN KALOTAY
Evangelische
Volkspartei
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Wähleranteil 2011: 2,0 Prozent (–0,4 Prozent)
Trend aus kantonalen Wahlen 2011–2014:1 keine Angabe
Wahlbarometer SRG:2 1,8 Prozent
Wahlziel: Die EVP will ihre beiden Mandate in den Kantonen Zürich und Bern halten
und strebt die Rückgewinnung des 2007 verloren gegangenen Sitzes an.
Wahlkampfthemen: Finanzierung der AHV, Erbschaftssteuer, Präimplantationsdiagnostik und Fortpflanzungsmedizingesetz, Religionsfreiheit, Migration.
Wahlkampfbudget: Das Budget der Bundespartei liegt bei rund 250 000 Franken.
Volksinitiativen: Im Wahljahr wird voraussichtlich die von der EVP mitlancierte
Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» an die Urne kommen.
Analyse: Gegründet 1919 und in 16 Kantonen mit Sektionen präsent, ist die EVP seit
Analyse: Die Grünliberalen waren die Gewinner der letzten eidgenössischen Wahlen.
Im nächsten Jahr wird es darum gehen, diesen Erfolg zu bestätigen. Derzeit stehen
die Zeichen gut: der Trend aus den kantonalen Wahlen zeigt für die GLP nach oben.
Es mehren sich die Anzeichen, dass die «linken» Grünen und die «liberalen» Grünen
national ungefähr gleiche Potenziale aufweisen. Die Grünliberalen sprechen nach wie
vor unzufriedene Teile der links-grünen Klientel wie auch Sympathisanten von FDP
oder CVP an. Sie grasen also vielerorts. Und sie punkten in urbanen Wachstumsregionen. Zudem sprechen sie mit einer liberalen Gesellschaftspolitik Kreise an, die
bürgerliche Parteien in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt haben. Die
Probleme der Grünliberalen liegen in ihrer dünnen Personaldecke. Die schnell
gewachsene Partei ist nicht überall personell gut aufgestellt. Auf der nationalen
Bühne stehen drei oder vier Personen im Fokus. Parteipräsident Martin Bäumle bleibt
Dreh- und Angelpunkt und Zugpferd der grünliberalen Politik. Das ist zu wenig, um
national in die Breite zu wachsen. Ein Fragezeichen sind die Listenverbindungen: Die
GLP hat 2011 stark von Allianzen profitieren können. Derzeit ist ungewiss, ob sie
derart erfolgreiche Zweckbündnisse 2015 wieder wird eingehen können. (msc.)
1971 mit einem um die Marke von 2 Prozent schwankenden Wähleranteil in der eidgenössischen Politik präsent. Obwohl die Mitteparteien 2011 leicht gestärkt worden
sind, musste die EVP Federn lassen und verlor einen Sitz in der Bundesversammlung.
Die EVP wird ihrer Linie 2015 treu bleiben und das Evangelium ins Zentrum ihrer Politik rücken. Damit bleibt sie für eine kleine, aber treue evangelische Wählerschaft
attraktiv. Expansion ist nicht oberstes Ziel der Partei, doch Fraktionsstärke im Bundesparlament bleibt längerfristiges Ziel. Die in den Kantonen Baselland, Bern, Zürich,
Aargau und Thurgau mit einem Wähleranteil zwischen 3,8 und 5,9 Prozent vertretene
EVP dürfte in ebendiesen Kantonen 2011 unter der aufkommenden BDP gelitten
haben. Die Chancen sind intakt, vereinzelt wieder Boden gutzumachen. Im Wahljahr
dürfte der EVP bei ihrer Profilierung die Volksinitiative für eine nationale Erbschaftssteuer helfen. (msc.)
1
Zur Berechnung des Trends wurde die Sitzverteilung in den kantonalen Parlamenten herangezogen und diese
nach der jeweiligen Zahl der Stimmbürger und der zu vergebenden Sitze pro Kanton gewichtet. Die Zahlen wurden
am 6. Oktober 2014 vom Zentrum für Demokratie Aarau berechnet.
2
Stichtag des von GFS Bern im Auftrag der SRG durchgeführten Wahlbarometers war der 18. September 2014
(n = 862). Der statistische Stichprobenfehler liegt bei 2,2 Prozentpunkten.
René Zeller V Früher als auch schon ist in
den Parteizentralen das Wahlkampffieber ausgebrochen. Gewerkelt wird an
Volksinitiativen, die als publizitätswirksame Vehikel dienen sollen. Die FDP
hat sich unlängst in Zug mit einem volkstümlichen Parteifest Mut zugesprochen.
Die Präsidenten von SP und BDP poltern mit der Faschismuskeule durch die
Zeitungsspalten. Und die Parteioberen
von links bis rechts erklären dem Publikum, wie die sieben Bundesratssitze
nach den Parlamentswahlen vom 18. Oktober 2015 verteilt werden sollten.
Es ist nur folgerichtig, dass das wahlkämpferische Vorgeplänkel von parteitaktischen Sandkastenspielen dominiert
wird. Die Zeiten, als die Konkordanz ein
stabilisierendes Element der schweizerischen Politik war, sind längst vorbei.
Spätestens seit 2011, als Eveline Widmer-Schlumpf im Kleid der BDP wiedergewählt wurde, regiert unter der Bundeshauskuppel die Diskordanz.
Die Uneinigkeit darüber, was Regierungsverantwortung umfasst und welche
informellen Spielregeln für die Zusammensetzung des Bundesrats gelten sollen, eröffnet den politischen Tenören
kunterbunte Perspektiven. Lautester
Verfechter einer Mitte-Links-Allianz ist
SP-Präsident Christian Levrat. Er will
partout verhindern, dass SVP und FDP
vier Regierungssitze zugesprochen erhalten. Eine Mitte-Rechts-Regierung
wäre Gift für das Land, behauptet
Levrat. Die CVP will nichts unversucht
lassen, um nebst ihrem eigenen Sitz auch
jenen von Widmer-Schlumpf abzusichern. Als Stützkonstruktion soll eine
halbwegs verbindliche Union mit der
BDP gezimmert werden. Das würde die
Chancen der SVP schmälern, einen
zweiten Bundesratssitz zu ergattern, der
ihr gemäss ihrer Wählerstärke eigentlich
zustünde. Allerdings hat die Volkspartei
in den letzten Jahren wenig unternommen, um ihre Regierungsfähigkeit zu bekräftigen. Die SVP ist faktisch die vehementeste Oppositionskraft im Lande.
Wird das diskordante Schattenboxen,
das sich die Parteien zurzeit im medialen
Rampenlicht liefern, auch im Wahljahr
2015 das Mass aller Dinge sein?
Wünschenswert ist das nicht. Der
Souverän wird im Oktober 2015 an die
Urne gerufen, um das Bundesparlament
neu zu bestellen. Die parteipolitische
Farbpalette ist also zu bestimmen – es
wird nicht über die Zukunft der Diskordanz entschieden, auch nicht über Allianzen oder Unionen. Anders gesagt:
Im Wahlkampf sind die Parteien Konkurrenten. So gesehen, sind deren Protagonisten gut beraten, wenn sie in den
nächsten Monaten vor allem das eigene
Parteiprofil polieren und schärfen.
Gut unterwegs sind diesbezüglich die
Grünliberalen. Sie haben sich mit ihrer
konsequent ökologischen und gleichzeitig finanzpolitisch gezügelten Politik
als eigenständige Marke etabliert. Weniger klar ist, weshalb man die antiliberalen Grünen wählen sollte, zumal diese
kaum je den Rockzipfel der SP loslassen.
Fast schon in Erklärungsnotstand sind
CVP und BDP. Sie werden darlegen
müssen, weshalb es zwei Mitteparteien
braucht, die hauteng kooperieren wollen
und überdies nach allen Seiten kompromissbereit sind. Die Prognose sei gewagt: Wer sich im Wahljahr 2015 auf den
Sesseltanz um die sieben Regierungssitze konzentriert und als programmatische Allianz-Wundertüte auftritt, wird in
den Parlamentswahlen kaum obsiegen.
Adieu Bern
Mehrere politische Schwergewichte beenden ihre Karriere
For. Bern V «Wir treten auf. Wir spielen. Wir treten ab.» Kurz und elegant
resümierte Bundesrat Moritz Leuenberger 2010 in seiner Abschiedsrede
vor dem Parlament sein politisches
Werk. Auch per Ende der laufenden
Legislatur verlassen mehrere Parlamentarier die Bühne, welche die Politik
in den vergangenen Jahren mitgeprägt
haben. Dazu gehört der Freiburger
Ständerat und Fast-Bundesrat Urs
Schwaller, dem es als Fraktionspräsident gelang, zwischen den Flügeln der
CVP auszugleichen und das Profil der
Partei zu schärfen. Er ist seit 2003 im
Parlament. Seine Voten in der Gesundheits-, Sozial- und Finanzpolitik haben
Gewicht. Auch die Urner FDP-Nationalrätin Gabi Huber, seit 2003 in der
grossen Kammer, hat ihre Fraktion umsichtig geführt und dabei besonderen
Wert auf Geschlossenheit gelegt. Ihr
Rücktritt, von diversen Fraktionskollegen bedauert, kam überraschend.
Nicht alle haben entschieden
In der ersten Novemberhälfte wird der
Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller
über seine Pläne informieren. Derzeit
scheinen jene, die mit einem Rücktritt
rechnen, etwas Rückenwind zu verspüren. Bekannt ist hingegen der Abtritt
seiner Partei- und Ratskollegin Christine
Egerszegi, die seit 2007 im Ständerat ist
und davor 12 Jahre im Nationalrat politisierte. Mit Georges Theiler und Hans
Hess verlassen zwei weitere FDP-Ständeräte die nationale Politik. Der Zuger
CVP-Ständerat und Ratsdoyen Peter
Bieri wird Anfang 2015 entscheiden, ob
er nochmals ins Rennen steigt. Bei
Verena Diener (Zürich, glp.) deuten die
Zeichen derzeit darauf hin, dass sie wieder antritt. Eine parteiinterne Amtszeitbeschränkung hindert den Walliser
CSP-Vertreter René Imoberdorf daran,
nochmals für das Stöckli zu kandidieren.
Im Nationalrat ist der Rücktritt des
SP-Urgesteins Andreas Gross zu verzeichnen. Er sitzt seit 1991 in der
grossen Kammer. Auch die langjährige
SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (seit
1998 im Rat) wird zurücktreten, falls
sie im April 2015 in den Zürcher
Regierungsrat gewählt wird. Bei der
CVP endet nach 16 Jahren im Nationalrat die politische Karriere von Lucrezia
Meier-Schatz, bei der BDP jene von
Hansjörg Hassler. Der Bündner präsidiert seit 2011 die BDP-Fraktion. Nach
der Blocher-Abwahl und dem Ausschluss der SVP Graubünden aus der
SVP Schweiz verliess Hassler seine frühere politische Heimat und schloss sich
der neugegründeten BDP an.
Chefposten neu zu besetzen
SVP-Nationalrat Oskar Freysinger will
sich ab kommenden Herbst voll seinem
Walliser Regierungsratsamt widmen
und gibt deshalb seinen Posten in Bern
auf. Dem CVP-Präsidenten Christophe
Darbellay aus demselben Kanton sind
aufgrund einer parteiinternen Amtszeitbeschränkung die Hände gebunden.
Fraglich bleibt, ob Darbellay an einer
Ausnahmeregelung interessiert wäre,
um den zusätzlichen Nationalratssitz für
das Wallis der CVP zu sichern. Darbellays Hauptziel ist der Einzug in die
kantonale Regierung im Frühjahr 2017.
Bei mehreren langjährigen Mandatsträgern wie Toni Bortoluzzi, Max Binder (beide svp.), Ruedi Lustenberger
(cvp.) und Kurt Fluri (fdp.) ist der Entscheid ausstehend. Bortoluzzi wird sich
im April 2015 dazu verlauten lassen.
Aufgrund der Rücktritte sind diverse
Posten neu zu besetzen. Dazu gehören
das Fraktionspräsidium von FDP und
BDP und das Parteipräsidium der CVP.
Wechsel bei den Chefposten der anderen Parteien und Fraktionen sind derzeit nicht absehbar.