„Wenn es draußen knallte, machte ich mir mit Chateau Musar einen

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„Wenn es draußen knallte, machte ich mir mit Chateau Musar einen
Report Im Gespräch
Ulrich Kienzle, Beruf: Fernsehjournalist. Sonst Nahostexperte, Weintrinker und
Berufsbruddler. Markenzeichen: Schnäuzer und linksliberale Schnauze. Foto: ZDF
Kienzle: Zumindest für Libyen. Allgemein glaube ich,
dass die ganze Entwicklung in
den arabischen Gebieten keine
kurzfristige Geschichte ist. Es
wird Rückschläge wie Fortschritte geben. Das ist ein Einschnitt wie bei uns die Französische Revolution! Aber zu
Gaddafi: Der wird bei uns in
den Medien gern als Irrer
bezeichnet. Da frage ich mich,
was ist das für ein Irrer, der den
Westen aufs Kreuz legt, in dem
er auf Massenvernichtungswaffen verzichtet, die er gar
nicht hat? Das ist doch eher
ein raffinierter Hund! Er hat
die Erdölgebiete zurückerobert und sucht nun Investoren in China und Indien. Er
denkt also schon über den Sieg
über die Rebellen hinaus. Gaddafi wird dadurch zwar wieder
zum Paria in der Weltpolitik,
aber das kann ihm egal sein,
solange das Geld fließt. Das
Verrückte ist ja, dass die
Schlagzeilen und die Angst in
der Welt dazu führen, dass er
weniger Öl verkaufen muss,
aber mehr verdient.
Umgang mit Polizisten geübt waren, mitgenommen und ihre Zahl von Straße zu Straße
vergrößert. Als sie im Zentrum ankamen,
waren es so viele, dass die Polizei sie nicht
mehr kontrollieren konnte.
WNA: Sie waren jahrelang Auslandskorrespondent im Nahen Osten, schreiben aber fleißig Bücher über die Schwaben. Was könnten
die Araber von den Schwaben lernen und umgekehrt?
WNA: Die Handyvideos dazu liefen dann in
Youtube und in der Tagesschau. Lässt sich die
vierte Gewalt hier nicht etwas den Schneid
abkaufen?
Kienzle: Ich glaube nichts. Aber sie sind beide
sehr schwer zu verstehende Völkerschaften.
Und das ist es, was mich reizt.
Kienzle: Die Medienwelt ist heute so kompliziert, dass ein Medium allein nicht mehr ausreicht. Natürlich geht es darum, herauszukriegen, was die Bevölkerung denkt. Und bei diesem Versuch, das herauszufinden, haben alle
bisherigen Werkzeuge versagt. Auch die
Geheimdienste haben nichts gemerkt. Ein Kollege vom Spiegel, der seit fünfzig Jahren in
Kairo lebt, hat davon nichts mitbekommen.
Deshalb fühle ich mich da in guter Gesellschaft,
oder in schlechter, je nach dem. Ich will die
Kollegen gar nicht kritisieren, aber im Falle
Libyen sind sie angesichts von Bengasi und
anderen Städten einer Illusion erlegen. Gaddafi wurde schon für tot erklärt. Leider ist genau
das Gegenteil der Fall.
WNA: Die Idee von einer demokratischen ara-
bischen Welt ist also doch nur ein Strohfeuer?
WNA: Wie ist es bei Ihnen: Trübt der Schwabe nicht das genießerische Urteilsvermögen?
Kienzle: Ich habe früher lange geglaubt, dass
der Trollinger der beste Rotwein der Welt ist.
Und als ich nach Beirut ging, habe ich auch
einige Flaschen davon mitgenommen. Aber
dort habe ich schnell festgestellt, dass die einen
besseren Rotwein machen.
„Wenn es draußen knallte,
machte ich mir mit Chateau Musar
einen schönen Abend“
WNA: Besser, weil günstig?
Kienzle: Der war damals noch günstig, ja. Ich
habe Chateau Musar getrunken. Wenn es draußen richtig laut knallte, habe ich mir mit diesem Wein einen schönen Abend gemacht und
gut geschlafen. Ein paar Jahre später, 1993,
habe ich gelesen, dass der Musar bei einer
Blindverkostung in Frankreich alle Bordeaux’
geschlagen hat. Daraus schließe ich, dass mein
Weingeschmack nicht so schlecht ist.
WNA: Als Journalist sind Sie außer Dienst,
scheinen aber aktiv wie eh und je. Bleibt da
noch so was wie ganz banale Freizeit übrig?
Kienzle: Ja. So häufig, wie Sie das darstellen,
trete ich ja nicht auf. Jetzt ist gerade eine hektische Zeit, weil viele Leute Vorträge haben
wollen über das nahöstliche Verwirrspiel. Ich
versuch dem gerne nachzukommen. Aber ich
arbeite nicht Tag und Nacht, ich versuche das
Leben schon zu genießen.
WNA: Hoffentlich. Ich habe gehört, momentan
schreiben Sie wieder ein Buch.
WNA: Apropos Reiz: In den Sechziger Jahren
haben Sie in Tübingen den Humor der Gôgen
und den Muff unter den Talaren erlebt. Sind
Sie der Region noch in irgendeiner Form verbunden?
Kienzle: Das ist zumindest der Plan.
Kienzle: Ja, ich bin gerne dort. Ich bin ein
schwäbischer Chauvinist, aber ein aufgeklärter.
WNA: In Anspielung auf einen bekannten
Moderationsausstieg: „Noch Wünsche, Kienzle?“
WNA: Aber als Weintrinker dürften Sie seinerzeit nicht gerade auf Ihre Kosten gekommen
sein.
Kienzle: Nein.
Kienzle: Nein. Mein Vermieter hat damals seinen eigenen Wein hergestellt. Das war so ziemlich das Grausamste, was ich in meinem Leben
getrunken habe. Er versuchte nämlich seinem
Wein mit Ochsenblut die Säure zu nehmen.
Eine sehr ungewöhnliche Methode.
WNA: Es ist also in der Mache?
Kienzle: (Pause) Reden wir nicht viel davon.
WNA: Also wunschlos glücklich?
Kienzle: Ich bin fast wunschlos glücklich.
WNA: …und schreiben dabei vielleicht noch
das ein oder andere Buch.
Kienzle: Vielleicht.
WIRTSCHAFT Neckar-Alb
April 11
19