Alhambra statt Tante Emma
Transcription
Alhambra statt Tante Emma
32 REportage Queen-Games GmbH, Troisdorf Alhambra statt Tante Emma Ein typisches Gewerbegebietsgebäude am Rande eines typischen Gewerbegebiets: Das ist der Sitz von Queen-Games. Hinter der unscheinbaren Fassade würde man alles Mögliche vermuten, bloß nicht ein Unternehmen, das mit Kreativität und Spielfreude sein Geld verdient. Doch genau die Wirtschaft Februar 2013 hier entstehen sie, Autorenspiele wie „Alhambra“, das vor zehn Jahren zum „Spiel des Jahres“ gekürt und samt Erweiterungssets bisher zwei Millionen Mal verkauft wurde, oder „Kingdom Builder“, vor kurzem als „Spiel des Jahres 2012“ ausgezeichnet. Ein Besuch in Troisdorf-Spich. 33 Reportage Sie unterrichten Kinder oder fahren Taxi, heilen Patienten oder entwickeln neue Geschäftsmodelle, kümmern sich um die Buchhaltung oder schreiben Firmenporträts. Daneben joggen sie oder gehen ins Theater, machen Yoga oder lernen eine Fremdsprache. Manche von ihnen bauen außerdem Siedlungen, errichten ihr eigenes Königreich und bekommen dafür jede Menge Gold. Diese Mitmenschen sind „Kingdom Builder“. Es gibt immer mehr von ihnen. Bis Ende 2013 könnten es vier Millionen sein. Denn bis dahin wird sich das Brettspiel „Kingdom Builder“ etwa eine Million Mal verkauft haben, und bis zu vier Personen können mitspielen. Dass es eine Million sein werden, liegt am Faktor 20. Der wiederum ist ein Erfahrungswert. „Unsere Startauflage für ein erfolgversprechendes Spiel liegt bei 50.000“, erklärt Rajive Gupta, Geschäftsführer der Queen-Games GmbH, dem Hersteller von „Kingdom Builder“. „Wird ein Spiel als ‚Spiel des Jahres’ nominiert, können wir zehn Mal so viel verkaufen.“ Und wenn aus der Nominierung Platz 1 wird, dann sind es 20 Mal so viel. „Kingdom Builder“ wurde im Sommer dieses Jahres als „Spiel des Jahres 2012“ ausgezeichnet. Anfang ist – Mathematik IAm Das klingt nach nüchterner Mathematik – und damit nach dem Kern eines Spiels! Denn am Anfang eines Familien-, Strategie- oder Autorenspiels – das sind die Arten von Spielen, die Queen-Games produziert – steht, ganz nüchtern, ein abstraktes, mathematisches Spielsystem. Ein Prinzip aus der Welt des Industriedesigns lautet: „Form follows Function“, und das gilt analog auch für die Spieleentwicklung bei Queen-Games: Die Form, das Aussehen, das konkrete Thema, der Handlungsort und -zusammenhang spielen am Anfang noch keine Besondere Unternehmen aus der Region In unregelmäßigen Abständen stellen wir in „Die Wirtschaft“ besondere Unternehmen mit dem „etwas anderen Produktportfolio“ oder außergewöhnliche Standorte vor. Rajive Gupta, Queen Games GmbH, freut sich über die Auszeichnung von „Kingdom Builder“ zum „Spiel des Jahres 2012“ . Rolle, los geht’s mit den reinen Funktionen. Wie viel Glück braucht man, wie viel Strategie ist im Spiel, wie kommt man zu Geld, Gebäuden, Positionen etc., sind die Abläufe logisch und nachvollziehbar, ist das Ziel auf verschiedenen Wegen zu erreichen – diese und viele andere Fragen stellen sich Gupta und sein Team zu Beginn. Da ist noch ganz egal, ob die Spielhandlung später auf altrömischen Pflasterstraßen, mittelalterlichen Feldwegen oder vor preußischen Stadtmauern stattfindet. „Wir nennen das ‚Spiele-Engineering’, und genauso technisch ist es auch gemeint“, verdeutlicht der Spiele-Verleger: „Das sind viele kleine Zahnräder, die perfekt ineinander greifen müssen, damit ein Spiel auch nach zehn oder hundert Mal spielen noch funktioniert und Spaß macht.“ Bei „Stimmt so – Tante Emma geht an die Börse“ hat es nicht so gut funktioniert, gibt Gupta freimütig zu – dieses in den Neunzigerjahren verlegte Spiel entpuppte sich als Flop. Die Zahnräder griffen zwar ineinander, doch war das Thema zu nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen – und damit interessanterweise unattraktiv. „Es war die Zeit, als die T-Aktie auf den Markt kam und viele Menschen in Deutschland zu Aktionären wurden“, erinnert sich Gupta, das Spiel sollte die gesell- die Wirtschaft Februar 2013 34 REportage kenntnisse nach Deutschland kam. Damals sah er im Fernsehen eine Show mit Jürgen von der Lippe, in der „Carrom“ vorgestellt wurde, ein altes Brettund Geschicklichkeitsspiel aus Indien. Da überlegte sich der gebürtige Inder, der in London seinen MBA gemacht hatte, das traditionsreiche Spiel aus seiner Heimat in Deutschland zu vermarkten. Ein Jahr lang importierte er das Spiel, doch schnell musste er feststellen, dass die Verarbeitungsqualität nicht deutschen Maßstäben entsprach. Also gründete er gemeinsam mit seiner Frau Beate Haasbach-Gupta die Queen Carroms Spielwaren GmbH mit Verwaltungssitz in Bonn und eigener Produktion in Troisdorf. 1993 wandelten die beiden ihr Unternehmen in die Queen-Games GmbH um und erweiterten das Sortiment. Zu Spieleklassikern wie Carrom gesellten sich zunächst vor allem Sammelkartenspiele; sie hatten etwa die Lizenz für „Star Wars“ oder „Herr der Ringe“. Etwa um das Jahr 2000 herum kristallisierte dann das Geschäftsfeld heraus, mit dem das Unternehmen auch heute noch seinen Hauptumsatz erzielt: die sogenannten Autoren-, Familien- und Strategiespiele. Vermarktung IWeltweite „Alhambra“ war das erste Spiel des Troisdorfer Verlages, das zum „Spiel des Jahres“ gekürt wurde. Bis heute gibt esÜbersetzungen in 27 Sprachen und samt Ergänzungssets wurde es weltweit rund zwei Millionen Mal verkauft. schaftliche Entwicklung widerspiegeln. „Menschen wollen im Spiel aber nicht ihre unmittelbare Lebenswirklichkeit nachvollziehen, sondern im Gegenteil in ganz andere Welten eintauchen“, hat Gupta gelernt. Diese Welten heißen Vergangenheit, Fantasy, Science Fiction. ins Mittelalter IAb Also setzte sich Queen-Games drei Jahre später erneut mit dem Autor des Spiels, Dirk Henn, zusammen. Gupta war nach wie vor von dem zugrunde liegenden Spielsystem überzeugt, fand aber, dass es gut ein weiteres Zahnrädchen vertragen könnte. Henn ergänzte die Zahnräder „Kaufen“ und „Sammeln“ um „Bauen“. Dann ging’s erneut auf Stufe 2: Themenfindung. Gemeinsam verlegte man das Spiel in die Vergangenheit. Weit weg von „Tante Emma“ und den Aktien, auch weg von Henns ursprünglichem Themenvorschlag „Al Capone“, stattdessen mitten hinein ins Mittelalter, zur berühmten „Alhambra“ in Granada. Und so wurde, im zweiten Anlauf, das bis heute meistverkaufte Spiel des kleinen Troisdorfer Verlags geboren. 2003 gab es den Adelstitel der Branche: „Alhambra“ wurde zum „Spiel des Jahres“ gekürt. Bis heute wurde es in 27 Sprachen übersetzt und samt Ergänzungssets weltweit rund zwei Millionen Mal verkauft. Das hätte sich Rajive Gupta nicht träumen lassen, als er 1987 ohne Geld und deutsche Sprach- die Wirtschaft Februar 2013 Spätestens mit „Alhambra“ war Queen-Games dann in der obersten Riege der deutschen SpieleVerlage angekommen. Nach eigenen Angaben rangiert das Troisdorfer Unternehmen in der Kategorie Autoren- und Strategiespiele nach Kosmos, Ravensburger und Schmidt Spiele auf Rang 4. Zugleich war der Einstieg in den Export geschafft. „Die Auszeichnung als ‚Spiel des Jahres 2003’ war der Türöffner für die weltweite Vermarktung“, erinnert sich Gupta. Gespielt wird „Alhambra“ auch in Island und China, Südkorea und den USA und in vielen anderen Ländern. Anders als manche Mitwettbewerber tritt der Hersteller auf dem Weltmarkt einheitlich als QueenGames auf, er vergibt keine Unterlizenzen. Stattdessen arbeiten die Troisdorfer in 47 Ländern mit eigenen Vertriebspartnern zusammen. Was die Produktion betrifft, verzichtet QueenGames auf die vermeintlichen Segnungen der Globalisierung: Die Rohmaterialien, die zum Einsatz kommen, etwa Papier und Pappe für den Karton, die Spielfläche sowie die Anleitung, stammen ausschließlich aus Deutschland und Finnland, produzieren lässt das Unternehmen die einzelnen Komponenten in Deutschland, den Niederlanden sowie in Österreich. Seit der Auszeichnung von „Alhambra“ folgten sechs weitere Nominierungen zum „Spiel des Jahres“ und dann, 2012, der zweite Sieg mit „Kingdom Builder“. „Diese Werbung ist für uns unbezahlbar“, weiß Beate Haasbach-Gupta. Doch wissen sie und ihr Mann, dass es mit zwei „Blockbustern“ allein 35 Reportage nicht getan ist. „Wichtiger als die Kategorie ‚meistverkauftes Spiel’ ist für uns ‚längstverkauftes Spiel’“, sagt Gupta. Die beiden Spiele „Metro“ und „Show Manager“ etwa verkauft Queen-Games nun schon seit rund einem Dutzend Jahren, „Shogun“ seit 2006 – „und zwar Jahr für Jahr auf einem kontinuierlich stabilen Niveau“, sagen die beiden Spiele-Verleger stolz. Doch auch dabei lassen sie es nicht bewenden. Sie kreieren nicht nur Jahr für Jahr neue Spiele, sondern entwickeln auch die Marke „QueenGames“ weiter. So stieg das Unternehmen vor drei Jahren in den Markt der Kinderspiele ein. Unter dem Markennamen „Queen Kids“ kommen Spiele für Kinder ab vier Jahren auf den Markt, „Freche Frösche“, „Nelly“ oder etwa „Haselnussbande“, ein charmantes und schön ausgestattetes Spiel für bis zu vier Kinder, bei dem Eichhörnchen auf die Suche nach knackigen Haselnüssen, saftigen Beeren, Kastanien oder Tannenzapfen gehen und dabei mit „Freddi dem Frischling“ konkurrieren. Die neueste Marke heißt „Queen Digitals“ – unter diesem Signet entwickelt Queen-Games Apps und Digitalspiele. Ein weiterer Trend sind sogenannte „Real Time Adventure Games“. So stellte QueenGames bei der Messe „SPIEL ’12“ im Oktober in Essen „Escape“ vor, ein Spiel mit Soundtrack und Countdown, bei dem die Mitstreiter gegen die Uhr spielen. Zugleich pflegt das Troisdorfer Unternehmen bei solchen Messen den Kontakt zu seinen Kunden, vor allem aber auch zu den vielen Endkunden. Allein in Essen kamen 22.000 Fans und Vielspieler an den Messestand, um sich auszutauschen und Neuheiten zu testen. Einige Spiele von Queen-Games haben ’’ ,, Wir legen bei der Produktion unserer Spiele viel Wert auf hochwertige Materialien. Beate Haasbach-Gupta, Queen Games zahlreiche Stammspieler, und zwar bis ins hohe Alter. „Es gibt Rentner, die jeden Tag ‚Alhambra’ spielen“, weiß Beate Haasbach-Gupta. Erst kürzlich habe sich einer beim Verlag gemeldet. „Er hat darum gebeten, seinem Spielteam neue ‚Alhambra’-Spielkarten zur Verfügung zu stellen“, erzählt die Unternehmerin, „sie hatten ihre bisherigen komplett abgenutzt.“ Den Wunsch haben die Guptas gerne erfüllt. Lothar Schmitz, freier Journalist, Bonn Queen-Games – Zahlen und Fakten Sitz des Unternehmens: Gründungsjahr: Mitarbeiter: Spiele im Angebot: Zahl der verkauften Spiele pro Jahr: Meistverkauftes Spiel: Anzahl der Sprachen, in denen „Alhambra“ angeboten wird: Dauer der Entwicklung eines Spiels: Marken: Troisdorf-Spich 1989 8 feste, ca. 20 freie 74 700.000 bis 1 Million 2 Millionen („Alhambra“ inkl. Erweiterungssets) 27 0,5 bis 2 Jahre „Queen-Games“ „Queen Kids“ „Queen Digitals“ www.queen-games.de die Wirtschaft Februar 2013