Alhambra statt Tante Emma

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Alhambra statt Tante Emma
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REportage
Queen-Games GmbH, Troisdorf
Alhambra statt Tante Emma
Ein typisches Gewerbegebietsgebäude am
Rande eines typischen Gewerbegebiets:
Das ist der Sitz von Queen-Games. Hinter
der unscheinbaren Fassade würde man
alles Mögliche vermuten, bloß nicht ein
Unternehmen, das mit Kreativität und
Spielfreude sein Geld verdient. Doch genau
die Wirtschaft Februar 2013
hier entstehen sie, Autorenspiele wie „Alhambra“, das vor zehn Jahren zum „Spiel
des Jahres“ gekürt und samt Erweiterungssets bisher zwei Millionen Mal verkauft wurde, oder „Kingdom Builder“, vor
kurzem als „Spiel des Jahres 2012“ ausgezeichnet. Ein Besuch in Troisdorf-Spich.
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Reportage
Sie unterrichten Kinder oder fahren Taxi, heilen Patienten oder entwickeln neue Geschäftsmodelle,
kümmern sich um die Buchhaltung oder schreiben
Firmenporträts. Daneben joggen sie oder gehen ins
Theater, machen Yoga oder lernen eine Fremdsprache. Manche von ihnen bauen außerdem Siedlungen, errichten ihr eigenes Königreich und bekommen dafür jede Menge
Gold. Diese Mitmenschen sind „Kingdom
Builder“. Es gibt immer
mehr von ihnen. Bis
Ende 2013 könnten es
vier Millionen sein.
Denn bis dahin wird sich
das Brettspiel „Kingdom
Builder“ etwa eine Million Mal verkauft haben,
und bis zu vier Personen
können mitspielen.
Dass es eine Million
sein werden, liegt am
Faktor 20. Der wiederum
ist ein Erfahrungswert.
„Unsere Startauflage für ein erfolgversprechendes
Spiel liegt bei 50.000“, erklärt Rajive Gupta, Geschäftsführer der Queen-Games GmbH, dem Hersteller von „Kingdom Builder“. „Wird ein Spiel als
‚Spiel des Jahres’ nominiert, können wir zehn Mal
so viel verkaufen.“ Und wenn aus der Nominierung
Platz 1 wird, dann sind es 20 Mal so viel. „Kingdom
Builder“ wurde im Sommer dieses Jahres als „Spiel
des Jahres 2012“ ausgezeichnet.
Anfang
ist – Mathematik
IAm
Das klingt nach nüchterner Mathematik – und
damit nach dem Kern eines Spiels! Denn am Anfang
eines Familien-, Strategie- oder Autorenspiels – das
sind die Arten von Spielen, die Queen-Games produziert – steht, ganz nüchtern, ein abstraktes, mathematisches Spielsystem. Ein Prinzip aus der Welt
des Industriedesigns lautet: „Form follows Function“, und das gilt analog auch für die Spieleentwicklung bei Queen-Games: Die Form, das Aussehen, das konkrete Thema, der Handlungsort und
-zusammenhang spielen am Anfang noch keine
Besondere Unternehmen
aus der Region
In unregelmäßigen Abständen stellen wir in
„Die Wirtschaft“ besondere Unternehmen mit
dem „etwas anderen Produktportfolio“ oder
außergewöhnliche Standorte vor.
Rajive Gupta, Queen Games GmbH, freut sich über
die Auszeichnung von „Kingdom Builder“ zum „Spiel
des Jahres 2012“ .
Rolle, los geht’s mit den reinen Funktionen. Wie viel
Glück braucht man, wie viel Strategie ist im Spiel,
wie kommt man zu Geld, Gebäuden, Positionen etc.,
sind die Abläufe logisch und nachvollziehbar, ist
das Ziel auf verschiedenen Wegen zu erreichen –
diese und viele andere Fragen stellen sich Gupta
und sein Team zu Beginn. Da ist noch ganz egal, ob
die Spielhandlung später auf altrömischen Pflasterstraßen, mittelalterlichen Feldwegen oder vor
preußischen Stadtmauern stattfindet. „Wir nennen
das ‚Spiele-Engineering’, und genauso technisch ist
es auch gemeint“, verdeutlicht der Spiele-Verleger:
„Das sind viele kleine Zahnräder, die perfekt ineinander greifen müssen, damit ein Spiel auch nach
zehn oder hundert Mal spielen noch funktioniert
und Spaß macht.“
Bei „Stimmt so – Tante Emma geht an die
Börse“ hat es nicht so gut funktioniert, gibt Gupta
freimütig zu – dieses in den Neunzigerjahren verlegte Spiel entpuppte sich als Flop. Die Zahnräder
griffen zwar ineinander, doch war das Thema zu
nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen – und
damit interessanterweise unattraktiv. „Es war die
Zeit, als die T-Aktie auf den Markt kam und viele
Menschen in Deutschland zu Aktionären wurden“,
erinnert sich Gupta, das Spiel sollte die gesell-
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kenntnisse nach Deutschland kam. Damals sah er
im Fernsehen eine Show mit Jürgen von der Lippe,
in der „Carrom“ vorgestellt wurde, ein altes Brettund Geschicklichkeitsspiel aus Indien. Da überlegte
sich der gebürtige Inder, der in London seinen MBA
gemacht hatte, das traditionsreiche Spiel aus seiner
Heimat in Deutschland zu vermarkten. Ein Jahr lang
importierte er das Spiel, doch schnell musste er
feststellen, dass die Verarbeitungsqualität nicht
deutschen Maßstäben entsprach. Also gründete er
gemeinsam mit seiner Frau Beate Haasbach-Gupta
die Queen Carroms Spielwaren GmbH mit Verwaltungssitz in Bonn und eigener Produktion in Troisdorf. 1993 wandelten die beiden ihr Unternehmen
in die Queen-Games GmbH um und erweiterten das
Sortiment. Zu Spieleklassikern wie Carrom gesellten sich zunächst vor allem Sammelkartenspiele;
sie hatten etwa die Lizenz für „Star Wars“ oder
„Herr der Ringe“. Etwa um das Jahr 2000 herum
kristallisierte dann das Geschäftsfeld heraus, mit
dem das Unternehmen auch heute noch seinen
Hauptumsatz erzielt: die sogenannten Autoren-,
Familien- und Strategiespiele.
Vermarktung
IWeltweite
„Alhambra“ war das
erste Spiel des Troisdorfer Verlages, das
zum „Spiel des Jahres“ gekürt wurde.
Bis heute gibt esÜbersetzungen in
27 Sprachen und
samt Ergänzungssets wurde es weltweit rund zwei Millionen Mal verkauft.
schaftliche Entwicklung widerspiegeln. „Menschen
wollen im Spiel aber nicht ihre unmittelbare Lebenswirklichkeit nachvollziehen, sondern im Gegenteil in ganz andere Welten eintauchen“, hat
Gupta gelernt. Diese Welten heißen Vergangenheit,
Fantasy, Science Fiction.
ins
Mittelalter
IAb
Also setzte sich Queen-Games drei Jahre später erneut mit dem Autor des Spiels, Dirk Henn, zusammen. Gupta war nach wie vor von dem zugrunde
liegenden Spielsystem überzeugt, fand aber, dass
es gut ein weiteres Zahnrädchen vertragen könnte.
Henn ergänzte die Zahnräder „Kaufen“ und „Sammeln“ um „Bauen“. Dann ging’s erneut auf Stufe 2:
Themenfindung. Gemeinsam verlegte man das Spiel
in die Vergangenheit. Weit weg von „Tante Emma“
und den Aktien, auch weg von Henns ursprünglichem Themenvorschlag „Al Capone“, stattdessen
mitten hinein ins Mittelalter, zur berühmten „Alhambra“ in Granada. Und so wurde, im zweiten Anlauf, das bis heute meistverkaufte Spiel des kleinen
Troisdorfer Verlags geboren. 2003 gab es den
Adelstitel der Branche: „Alhambra“ wurde zum
„Spiel des Jahres“ gekürt. Bis heute wurde es in 27
Sprachen übersetzt und samt Ergänzungssets weltweit rund zwei Millionen Mal verkauft.
Das hätte sich Rajive Gupta nicht träumen lassen, als er 1987 ohne Geld und deutsche Sprach-
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Spätestens mit „Alhambra“ war Queen-Games
dann in der obersten Riege der deutschen SpieleVerlage angekommen. Nach eigenen Angaben rangiert das Troisdorfer Unternehmen in der Kategorie
Autoren- und Strategiespiele nach Kosmos, Ravensburger und Schmidt Spiele auf Rang 4. Zugleich war
der Einstieg in den Export geschafft. „Die Auszeichnung als ‚Spiel des Jahres 2003’ war der Türöffner
für die weltweite Vermarktung“, erinnert sich Gupta.
Gespielt wird „Alhambra“ auch in Island und China,
Südkorea und den USA und in vielen anderen Ländern. Anders als manche Mitwettbewerber tritt der
Hersteller auf dem Weltmarkt einheitlich als QueenGames auf, er vergibt keine Unterlizenzen. Stattdessen arbeiten die Troisdorfer in 47 Ländern mit eigenen Vertriebspartnern zusammen.
Was die Produktion betrifft, verzichtet QueenGames auf die vermeintlichen Segnungen der Globalisierung: Die Rohmaterialien, die zum Einsatz
kommen, etwa Papier und Pappe für den Karton,
die Spielfläche sowie die Anleitung, stammen ausschließlich aus Deutschland und Finnland, produzieren lässt das Unternehmen die einzelnen Komponenten in Deutschland, den Niederlanden sowie in
Österreich.
Seit der Auszeichnung von „Alhambra“ folgten
sechs weitere Nominierungen zum „Spiel des Jahres“ und dann, 2012, der zweite Sieg mit „Kingdom
Builder“. „Diese Werbung ist für uns unbezahlbar“,
weiß Beate Haasbach-Gupta. Doch wissen sie und
ihr Mann, dass es mit zwei „Blockbustern“ allein
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Reportage
nicht getan ist. „Wichtiger als die Kategorie ‚meistverkauftes Spiel’ ist für uns ‚längstverkauftes
Spiel’“, sagt Gupta. Die beiden Spiele „Metro“ und
„Show Manager“ etwa verkauft Queen-Games nun
schon seit rund einem Dutzend Jahren, „Shogun“
seit 2006 – „und zwar Jahr für Jahr auf einem kontinuierlich stabilen Niveau“, sagen die beiden Spiele-Verleger stolz.
Doch auch dabei lassen sie es nicht bewenden.
Sie kreieren nicht nur Jahr für Jahr neue Spiele,
sondern entwickeln auch die Marke „QueenGames“ weiter. So stieg das Unternehmen vor drei
Jahren in den Markt der Kinderspiele ein. Unter
dem Markennamen „Queen Kids“ kommen Spiele
für Kinder ab vier Jahren auf den Markt, „Freche
Frösche“, „Nelly“ oder etwa „Haselnussbande“, ein
charmantes und schön ausgestattetes Spiel für bis
zu vier Kinder, bei dem Eichhörnchen auf die Suche
nach knackigen Haselnüssen, saftigen Beeren, Kastanien oder Tannenzapfen gehen und dabei mit
„Freddi dem Frischling“ konkurrieren.
Die neueste Marke heißt „Queen Digitals“ –
unter diesem Signet entwickelt Queen-Games Apps
und Digitalspiele. Ein weiterer Trend sind sogenannte
„Real Time Adventure Games“. So stellte QueenGames bei der Messe „SPIEL ’12“ im Oktober in Essen
„Escape“ vor, ein Spiel mit Soundtrack und Countdown, bei dem die Mitstreiter gegen die Uhr spielen.
Zugleich pflegt das Troisdorfer Unternehmen bei
solchen Messen den Kontakt zu seinen Kunden, vor
allem aber auch zu den vielen Endkunden. Allein in
Essen kamen 22.000 Fans und Vielspieler an den
Messestand, um sich auszutauschen und Neuheiten
zu testen. Einige Spiele von Queen-Games haben
’’
,,
Wir legen bei der Produktion
unserer Spiele viel Wert
auf hochwertige Materialien.
Beate Haasbach-Gupta,
Queen Games
zahlreiche Stammspieler, und zwar bis ins hohe Alter.
„Es gibt Rentner, die jeden Tag ‚Alhambra’ spielen“,
weiß Beate Haasbach-Gupta. Erst kürzlich habe sich
einer beim Verlag gemeldet. „Er hat darum gebeten,
seinem Spielteam neue ‚Alhambra’-Spielkarten zur
Verfügung zu stellen“, erzählt die Unternehmerin,
„sie hatten ihre bisherigen komplett abgenutzt.“ Den
Wunsch haben die Guptas gerne erfüllt.
Lothar Schmitz,
freier Journalist, Bonn
Queen-Games – Zahlen und Fakten
Sitz des Unternehmens:
Gründungsjahr:
Mitarbeiter:
Spiele im Angebot:
Zahl der verkauften
Spiele pro Jahr:
Meistverkauftes Spiel:
Anzahl der Sprachen, in denen
„Alhambra“ angeboten wird:
Dauer der Entwicklung
eines Spiels:
Marken:
Troisdorf-Spich
1989
8 feste, ca. 20 freie
74
700.000 bis 1 Million
2 Millionen („Alhambra“
inkl. Erweiterungssets)
27
0,5 bis 2 Jahre
„Queen-Games“
„Queen Kids“
„Queen Digitals“
www.queen-games.de
die Wirtschaft Februar 2013