DER TRAUM VoM PoDEST IN BUKAREST

Transcription

DER TRAUM VoM PoDEST IN BUKAREST
Kultur Ballett
Der Traum vom
Podest in Bukarest
Meret Schweinfurth trainiert für einen Titel
beim Dance World Cup in Rumänien
D
Fotos: © Till Neumann
ie Crème de la Crème der Tanzwelt trifft sich vom
28. Juni bis 4. Juli zum Dance World Cup in Rumänien. Auch Freiburger kämpfen dort um Medaillen, die
einzige Solistin ist Meret Schweinfurth. Die 24-Jährige hat in
Bukrarest nur ein paar Augenblicke, um ihr Ziel zu erreichen.
Meret Schweinfurth dreht sich, springt, windet sich auf dem
Boden, streckt ihre Hand hilfesuchend nach oben, die dunklen
Augen blicken flehend. Dazu singt die Medizinstudentin die
Klavierballade „Mad World“ von Gary Jules. Nur zwei Minuten
und 30 Sekunden dauert ihr Solo in der Kategorie „Gesang und
Tanz“, jedes Detail muss sitzen: „Man hat nur eine Chance auf
der Bühne, da muss man voll da sein“, sagt sie beim Trainingsbesuch im Ballettstudio Armin Krain. „Mal klappt es super, mal
ist es nichts. Eine Drehung misslingt, die Stimme zittert.“
Die eine Chance hat sie im März genutzt: Beim Deutschen
Ballettwettbewerb in München wurde sie Erste. Mit einem
weiteren Solo („Modern“) und der Gruppe Diamond Dust
(„Ballett“) holte sie jeweils Bronze. Mit den beiden Soli tritt die
Deutsche Meisterin beim Dance World Cup an. Schweinfurth
begleitet zudem als Trainerin ihre Juniorentanzgruppe, die in
München ebenfalls Erster wurde („Modern“).
Nervös ist sie beim Trainingsbesuch trotz der großen Herausforderungen nicht, vielmehr hochkonzentriert. Schweinfurth
ist schon seit vielen Jahren bei Wettkämpfen dabei, hat zahlreiche Titel geholt – unter anderem 2012 eine Solo-Goldmedaille
im Nationaltanz beim Dance World Cup in Österreich.
Für ihre Erfolge trainiert sie hart: Fünf Stunden die Woche übt
die Freiburgerin mit ihrer Gruppe, fünf weitere unterrichtet sie
den Nachwuchs. Seit Mitte Juni arbeitet sie zudem zwei Mal
wöchentlich an ihren Soli. Die Choreographien sind eingespielt:
„Es geht vor allem darum, Routine reinzukriegen und die Fehlerrate zu minimieren“, sagt Schweinfurth.
60 CHILLI Juni 2015
Training und Studium unter einen Hut zu kriegen ist ein Kunststück.„Man muss sich gut organisieren, irgendwie bekomme ich
es hin“, sagt Schweinfurth, die im 10. Semester studiert. Dafür
braucht es Disziplin: „Die Spontaneität geht ein bisschen verloren. Ein Training lasse ich für die Uni nicht ausfallen.“ Ihre Kommilitonen sagen manchmal:„Meret, du gibst dir die Kugel. Aber
wenn man dich tanzen sieht, weiß man, warum du es machst.“
Schweinfurth tanzt, seit sie drei Jahre alt ist. Ein Leben ohne
Ballett? Unvorstellbar! Lisa Eldner, Leiterin des Ballettstudios
Armin Krain und Diamond-Dust-Kollegin, kennt sie seit Kindertagen: „Meret ist mit vollem Herzblut dabei. Durch ihre
Erfahrung kann sie in Stresssituationen Ruhe bewahren.“ Darauf wird es in Bukarest ankommen.
Schweinfurths Ziel ist, unter den ersten Fünf zu landen. „Wenn
ich es aufs Treppchen schaffe, wäre ich ganz schön stolz.“ Gold
traut sie sich nicht zu: „Da sind enorm talentierte Menschen am
Start!“ Wichtiger ist ihr, die beste Leistung gezeigt zu haben. Ein
Traum würde dennoch wahr:„Bei der WM ein Solo zu gewinnen
ist das Größte, das man als Amateur erreichen kann!“
tln
Dance world cup
2900 Tänzer aus 31 Ländern
Der Dance World Cup ist laut Veranstaltern der weltweit
größte Wettbewerb für junge Tänzer. Vom 28. Juni bis 4. Juli
messen sich in Bukarest (Rumänien) 2900 Teilnehmer aus
31 Ländern. Aus Freiburg nimmt außer dem Ballettstudio
Armin Krain auch die Juniorengruppe Cantaloop vom Dance Center Heidi Weber in der Kategorie „Jazz“ teil.
Infos im Netz: www.dwcworld.com
Kultur interview
» Von wegen tolerant!«
Dragqueen Betty BBQ über Anfeindungen,
lackierte Fingernägel und Familie
S
chilli: Hallo Betty, du bist heute ungeschminkt. Fotografieren dürfen wir dich
nicht. Warum?
Betty: Ich stehe wahnsinnig in der Öffentlichkeit und muss mein Privatleben
schützen. Man hat als Dragqueen nicht
nur Freunde. Ich will das Ganze auch
nicht entzaubern. Deswegen halte ich
das wie alle erfolgreichen Dragqueens:
Von uns gibt’s nichts Privates.
chilli: Hat deine Vorsicht auch mit Freiburg zu tun?
Betty: Ja, ich finde es in Freiburg riskanter
als in anderen Städten. Ich arbeite seit einem halben Jahr nur noch mit Security. Im
Nachtleben habe ich immer Sicherheitsleute dabei. Ich erlebe aber auch viel Gutes.
Ich liebe mein Freiburg und die Freiburger.
chilli: Im April ist ein schwules Paar im
Bermudadreieck angegriffen worden ...
Betty: Das war ja nur der Gipfel des Ganzen. Es ist einfach genug passiert, ich bin
oft dumm angemacht worden. Mir wurden Bierflaschen hinterhergeworfen. Ich
bin außerdem mit einer Gruppe unterwegs, für die ich Verantwortung habe.
chilli: Was war das Heftigste?
Betty: An einem Samstagmittag hat mir
ein junger Mann mit Kinderwagen über
die ganze Kajo hinterhergeschrien:„Betty,
du scheiß Transe, so was brauchen wir in
Freiburg nicht.“ Solche Anfeindungen bekomme ich wöchentlich per E-Mail und
Post. Aber es kommt auch viel Positives,
das überwiegt und macht mir Mut.
Foto: © Betty BBQ
ie ist eines der schillerndsten
Gesichter der Freiburger Szene:
Betty BBQ. Die überregional bekannte Dragqueen organisiert Partys,
macht Stadtführungen, begleitet Junggesellenabschiede. Mittlerweile aber nur
noch mit Security, denn Freiburg ist ziemlich intolerant, sagt Betty. chilli-Redakteur
Till Neumann hat den Mann, der sich hinter
Betty verbirgt, zum Interview getroffen.
Schrill und fröhlich: Betty BBQ ist seit zwei Jahren hauptberufliche Dragqueen.
chilli: Freiburg scheint auf den ersten
Blick tolerant.
Betty: Von wegen tolerant! Die Stadt ruht
sich darauf aus, dass sie ach so weltoffen
und bunt ist. Das ist sie leider gar nicht.
In den letzten zwei Jahren ist in Freiburg
durch den Christopher Street Day (CSD)
und durch mich viel passiert. Die Szene
hat sich eine Weile auf die Straße getraut,
jetzt nicht mehr. Da ist noch viel zu tun.
chilli: So schlimm?
Betty: In Freiburg reichen lackierte Fingernägel als Mann, dass dir in der Straßenbahn jemand vor die Füße spuckt.
Ich kenne keinen offen homosexuellen
Mann in Freiburg, der noch keine Diskriminierung oder Gewalt erlebt hat.
chilli: Wie reagierst du darauf?
Betty: Ich bin von Beruf her schlagfertig.
Meine Security schreckt auch ein bisschen ab. Aber die Anfeindungen kommen nach wie vor. Ich kriege fünfseitige
E-Mails, dass ich mit der Homopropaganda aufhören soll, aber auch heftige
Beschimpfungen auf Facebook.
chilli: Kann man so etwas verarbeiten?
Betty: Meine Kunstfigur schützt mich
unglaublich. Wenn ich zu Hause bin, ge-
duscht und abgeschminkt bin, dann verschwindet auch das Negative wieder. Als
schwuler Mann könnte ich so nicht in der
Öffentlichkeit stehen.
chilli: Betty gibt es seit zwei Jahren.
Du bist mittlerweile hauptberufliche
Dragqueen?
Betty: Ja. Jetzt in der Saison verwandle
ich mich vier bis fünf Tage pro Woche in
Betty. Das Schminken dauert zweieinhalb
Stunden. Der Job bringt auch viel Organisatorisches mit sich. Ich sitze bis zu acht
Stunden in Jeans im Büro, um Sachen
vorzubereiten. Ich habe aber glücklicherweise Kolleginnen, die für mich arbeiten.
chilli: Viel diskutiert wird derzeit die
Homo-Ehe ...
Betty: Der Ausdruck ist furchtbar. Schreib
bitte „Ehe für alle“. Ich bin da definitiv
dafür. Für mich persönlich kommt eine
eingetragene Partnerschaft nicht in Frage. Wenn die Ehe gleichgestellt ist, kann
man vielleicht darüber reden.
chilli: Will denn Betty BBQ auch mal
irgendwann Familie?
Betty: Betty BBQ hat ja eine riesige Familie, eine ganze Stadt. Die ist definitiv
versorgt (lacht).
Juni 2015 CHILLI 61
Kultur interview
Schnappschüsse: Nein, das ist keine Szene aus einem Kriegsland, sondern aus der Flüchtlingsunterkunft St. Christoph an der Freiburger Messe. Die ersten
Bilder des Freiburg-Projekts setzen das Martinstor, die Fischerau, eine Bächle-Überquerung im Gegenlicht und den Aufbau des Zirkuszelts in Szene (r. von oben).
Das Bild von Polkowski mit der Hasselblad haben indes Touristen auf der Brooklyn Bridge in New York City geschossen.
Das lange Warten
auf Freiburg
Nach zwei Jahrzehnten arbeitet Klaus Polkowski endlich
an einem Projekt vor der Haustür
E
s dauert 23 Jahre, bis der Freiburger
Fotograf Klaus Polkowski die Idee
hat, ein Freiburg-Projekt auf die
Beine zu stellen. Der 50-Jährige kennt sich
mittlerweile auf allen Kontinenten aus,
aber noch nie hat er die eigene Heimat so
im Bild gebannt, wie er es aktuell macht.
Inszenierte Schnappschüsse. Die ersten
gibt es exklusiv im chilli.
Polkowski wuchs in Bad Säckingen
auf, ging dann nach Berlin und lernte
Krankenpfleger. Eines Tages lernte er
im indischen Kalkutta einen Gary kennen. Der war Fotograf, hatte eine Hasselblad im Arm und fragte den jungen
62 CHILLI Juni 2015
Mann, ob nicht er in dem Sterbeheim,
wo Polkowski damals arbeitete und
Gary nicht fotografieren durfte, ein
paar Aufnahmen machen könne. Polkowski fragte bei der Ordensschwester, ob er ein paar „Erinnerungsbilder“
schießen dürfe – er durfte. Mit seiner
ersten Nikon. Die acht Filmrollen gab
er Gary.
Eines Tages 1992 rief Gary an und
lud den jungen Hobbyfotografen nach
London ein. Polkowski stieg am Flughafen ins Taxi und stand dann vor
einem riesigen Gebäude in der City.
„Ich will zu Gary, das ist so ein Freak,
der wohnt sicher nicht hier“, sagte
er zum Taxifahrer. „Ja, Gary, der hat
hier sein Atelier, Gary Woods.“ Mithin Anfang der 90er einer der angesagtesten Schwarz-Weiß-Fotografen
überhaupt, der im Oktober 1992 sein
Mother-Teresa-Buch herausgab. In der
Ausstellung zum Buch hingen auch
ein paar Bilder von Polkowski, der sich
in seinen abgewetzten Jeans inmitten der Künstler- und Reichen-Society
irgendwie deplatziert vorkam. Aber die
Faszination für die Fotografie wurde er
danach nie mehr los.
Von Berlin zog Polkowski noch im
gleichen Jahr nach Freiburg und meldete sich beim Kunstmarkt in der
Fotos: © Klaus Polkowski
Kultur Fotografie
Oberen Altstadt an. An drei Tagen verkaufte er Bilder für 2000 Mark. Spätestens hier war klar, was Klaus werden wollte. Und wenig später hatte
auch er eine Hasselblad im Arm. Ein
paar Wochen später fotografierte
Polkowski auf dem 50. Geburtstag von
Heiner Sannwald, der damals das Pianohaus Lepthien leitete – und lernte dort den ZMF-Gründer Alex Heisler kennen. Seither ist Polkowski auch
Festivalfotograf.
In diesen Tagen tourt er für seine
Auftraggeber wieder durch die ganze
Republik. Ganz vorbei an der Farbfotografie kommt er dabei nicht, aber die
Liebe gehört dem Schwarzen und dem
Weißen. Und so wird auch das Freiburg-Buch, für das sich Polkowski zwei
Jahre Zeit lassen will („zwei Mal jede
Jahreszeit, das brauch ich einfach“)
ein Schwarz-Weiß-Buch werden, mit
knapp 200 „inszenierten Schnappschüssen“, wie er es nennt. „Das wird
kein Touristenbildband, sondern ein
Buch für die Freiburger, die ihre Stadt
und auch ihre Menschen so sehen
werden, wie sie sie noch nie gesehen
haben“, sagt er und zieht an der Zigarette im kleinen Lokhallen-Park. Qualitativ hochwertig, großformatig, 59
Euro das Stück, 3333 wird es geben. Ein
visuelles Tagebuch des Künstlers. Allein der Druck kostet 50.000 Euro. Vielleicht der Auftakt für eine lose Reihe,
die in den nächsten 20, 30 Jahren ein
paar Mal erscheinen wird.
192.000 Postkarten mit 20 FreiburgMotiven hat er unlängst bei einer
Druckerei in Kollnau gedruckt, auf
der Frankfurter Buchmesse wird er
mit denen einen eigenen, kleinen
Stand haben. Der Mann, der mittlerweile zehn Kameras sein Eigen nennt
und gerade wieder eine neue auf seiner Wunschliste hat, will das Authentische einfangen, die Realität nicht verändern. Seine Portraits haben längst
einen rahmenlosen Freundeskreis:
Alice Cooper, Chris de Burgh, Klaus
Maria Brandauer, Maceo Parker, Dave
Brubeck, Al Jarreau, Hot Chocolat, Juliette Gréco, Nina Hagen, Ben Becker,
James Brown, Loriot, Brian Ferry – die
Liste der Eingefangenen ist eigentlich
beliebig lang. Eins von Gary Woods
fehlt noch.
Lars Bargmann
Kultur
Notizen
Freiburgerin
für Filmpreis
nominiert
Siebenmal ist das Nazidrama „Elser“
für den deutschen Filmpreis nominiert, eine der „Lolas“ könnte nach
Freiburg gehen: Isabelle Neumann,
die ihre Werkstatt auf dem GanterAreal hat, darf auf den Preis in der Kategorie „Maskenbild“ hoffen.„Ich hatte bei Christian Friedel eine ‚normale’
Maske zu Beginn, später dann in den
Verhörszenen und im Konzentrationslager gab es immer mehr Spezialeffekte“, berichtet Neumann. „Wir
hatten dabei Verwandlungen zum
Beispiel in der Farbigkeit der blauen
Flecke und einem geschwollenen
Auge. Da wir nicht chronologisch gedreht haben, war das eine besondere Herausforderung.“ Der Filmpreis
wird am 19. Juni in Berlin vergeben,
in der Kategorie „Maskenbild“ sind
noch zwei weitere Filme nominiert.
Die Türmer von
freiburg
Am 20. Juni eröffnet das Theater
Freiburg sein einjähriges Stadtprojekt „DIE TÜRMER VON FREIBURG
– Eine Stunde auf dem Dach des
Theaters“ mit einem Mittsommernachtsfest. Der erste Türmer – von
insgesamt 730 – wird dann auf einer von Benjamin Tovo und Nounja
Jamil entworfenen Konstruktion
stehen, die gleichsam vor den Augen
der chilli-Redaktion entstanden
ist: Der Freiburger Zimmermeister
Johannes Ott hat sie in fünf Modulen
in der Lokhalle aufgebaut. Ein Jahr
lang (dietuermervonfreiburg.de)
wird täglich bei Sonnenaufgang und
Sonnenuntergang ein Freiburger
für eine Stunde im Turm sein, seinen
Alltag hinter sich lassen und – über
die Stadt blickend –
neue Perspektiven
entdecken. Bilder
gibt es hier:
tbr/bar
Juni 2015 CHILLI 63