Eine Hinweistafel fehlt Das Weimarer Goethehaus im zwanzigsten

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Eine Hinweistafel fehlt Das Weimarer Goethehaus im zwanzigsten
Weimar – Jena : Die große Stadt
5/1 (2012) S. 28–37
© Verlag Vopelius
http://www.verlagvopelius.eu
Eine Hinweistafel fehlt
Das Weimarer Goethehaus
im zwanzigsten Jahrhundert
Forschungsbericht und offene Fragen1
Paul Kahl
as Goethehaus in Weimar, so kann man in der jüngsten Hausmonografie der
Klassik Stiftung Weimar aus dem Jahr 2011 nachlesen, steht „ungebrochen“ –
so heißt es wörtlich – „für das, was an der deutschen Kultur als wertvoll und schätzenswert gilt“.2 Die Gleichsetzung von Goethehaus und deutscher Kultur, die,
nimmt man den Satz wörtlich, angedeutet wird, ist freilich ebenso bedenklich wie
die Vorstellung, ebendies geschehe „ungebrochen“: Damit ist jede geschichtswissenschaftliche Reflexion ausgeblendet – und auch die gesellschaftliche Wirklichkeit. Bildet das Goethehaus in Weimar tatsächlich „den menschlichen Widerpart zu einem der schrecklichsten Unorte, dem nur wenige Kilometer entfernten
Konzentrationslager Buchenwald“? 3 Eine solch holzschnittartige Verflachung des
Vielschichtigen lässt die gesamte Forschung zum Spannungsfeld Weimarer und
deutscher Geschichte außer Betracht 4, und sie bestätigt den fortschreitenden
Bedeutungsverlust Goethes selbst in Weimar.5 Die tiefe, tragische Verbindung zwischen Bildungsbürgertum und Nationalsozialismus ist freilich kaum irgendwo so
gut zu studieren wie in den Weimarer Dichterhäusern und ihrer hochproblematischen – und eben auch: hochpolitischen – Geschichte.
Adolf Hitler hat das Weimarer Schillerhaus zweimal besucht, schon 1925 und
dann als Reichskanzler, am 11. November 1934, und er hat auf Schillers Bett rote
Rosen niedergelegt. Er ehrt Schiller, wie der „Völkische Beobachter“ auf seiner
Titelseite schreibt, „indem der deutsche Genius des 20. Jahrhunderts sich beugt vor
dem Genius des 18. Jahrhunderts“.6 Hitlers gezielte Geste diente der Beruhigung
des Bürgertums – dessen Habitus er nachahmt – wie des westlichen Auslands nach
ersten Säuberungen und Morden, und sie war gegen die Vorstellung gerichtet, der
Nationalsozialismus sei ungeistig. Das Goethehaus hatte Hitler – so geht es aus
den Erinnerungen von Hans Severus Ziegler hervor – 1925 ebenfalls besichtigt7,
und bei dem Weimarbesuch anlässlich der Schillerfeier von 1934 hat er nach einer
Unterredung mit den Beteiligten im Hotel Elephant, darunter Hans Wahl, dem
damaligen Museumsdirektor, aus einem ihm persönlich zur Verfügung stehenden
Fonds 160 000 Reichsmark zur Verfügung gestellt, um das schon lange vorgesehene Erweiterungsgebäude des Goethe-Nationalmuseums zu ermöglichen, das
dann am 28. August 1935 eröffnet wurde.8 160 000 Reichsmark waren etwas mehr
als die Hälfte der Gesamtkosten. Hans Severus Ziegler bringt in seiner Ansprache
D
DOI10.2371/DgS5/1/2012/96
Paul Kahl Das Weimarer Goethehaus im zwanzigsten Jahrhundert
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Abb. 1. Goethebüste und Hinweistafel
im Treppenhaus (1. Obergeschoss) des
Erweiterungsbaus für das Goethe-Nationalmuseum von 1935: „Erweiterungsbau
geschaffen durch / die hochherzige
Unterstützung / des Führers und Reichskanzlers / ADOLF HITLER / im dritten Jahr
seiner Regierung / eingeweiht an Goethes
Geburtstag / 1935“.
(Reproduktion aus: Friedrich Voigt [Hrsg.], Staatlicher
Bauwille in Thüringen 1932–1937. Weimar 1938, S. 5)
Goethe und den Führer in einem
Atemzug zusammen: „Das Land
Thüringen und die Thüringische
Staatsregierung als Bauherr sieht
es in dieser Stunde als besondere
Pflicht an, dem ersten Arbeiter
und Diener der Nation, dem Führer und Reichskanzler, tiefgefühlten Dank für die zur Errichtung
dieses biographischen Museums
und Erweiterungsbaues notwendige und entscheidende Hilfe und
Förderung seitens des Reiches
auszusprechen […]. ‚Edel sei der
Mensch, hilfreich und gut.‘ Dieser Forderung gemäß Goethe nachzuleben und im Stolzgefühl seines Besitzes
unsere Kräfte dem Vaterlande und seinem Führer mit aller Hingabe zu weihen, das
ist ein schönes Ziel.“ 9
Seit 1935 stand Hitlers Büste im Eingangsbereich des Goethe-Nationalmuseums; sie ist nicht erhalten.10 Die Einzelheiten sind unerschlossen und sicherlich
aus verschiedenen Richtungen zu erörtern. In Anlehnung an Dieter Borchmeyer
kann man aber annehmen: Wie die Goethe-Gesellschaft spiegeln auch das GoetheNationalmuseum und seine Geschichte „das Wohl und Wehe des deutschen Bildungsbürgertums, seine ideologische Zwiespältigkeit wider“.11 Die tiefe, tragische
Verbindung zwischen Goethe-Nationalmuseum und Nationalsozialismus wird in
der Hausmonografie der Klassik Stiftung in einem einzigen Satz freilich mehr verborgen als ausgesprochen; er lautet: „Zur weiteren Entlastung des Goethehauses
entstand zwanzig Jahre später [nämlich nach dem Sammlungsgebäude von
1913/14] nochmals ein Anbau, der 1935 als ‚Goethemuseum‘ eingeweiht wurde.“12
Alle geschichtlichen Umstände, alle Handelnden bleiben unerwähnt, die einschlägige Literatur – immerhin liegen zwei Aufsätze zur Sache vor 13 – fehlt im Literaturverzeichnis, als hätte es Richard Alewyns Einsicht, es gehe nicht an, „sich Goethes zu rühmen und Hitler zu leugnen“ – so in seiner berühmten Kölner Vorlesung
„Goethe als Alibi?“ von 1949 – nie gegeben.14 Insofern unterstreicht das neue
Weimarer Buch ungewollt das Desiderat: Die Geschichte der beiden Weimarer
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Abb. 2. Die Hitlerbüste im „Durchgangsraum zum Treppenhaus des Neubaus“ (Halle im Erdgeschoss
zwischen Erweiterungsbau von 1935 und Zugang zum Wohnhaus).
(Reproduktion aus: Friedrich Voigt (Hrsg.), Staatlicher Bauwille in Thüringen 1932–1937. Weimar 1938, S. 4)
Dichterhäuser im Zeitalter des Nationalsozialismus ist nicht gänzlich unbekannt,
aber sie ist in einen sachwidrigen Dualismus von guter Klassik („menschlicher
Widerpart“) und Buchenwald („Unort“) hinein verdrängt und völlig unaufgearbeitet.15 Dieser Dualismus ist Hagiografie.
Doch damit nicht genug. Die einseitige Darstellung vermischt sich vollends mit
einer methodischen Vereinfachung, die offensichtlich auf Gedankengut des neunzehnten Jahrhunderts zurückgreift: die weit verbreitete Vorstellung von der
„Authentizität“ des Goethehauses, zumindest aber der Goethe’schen Privaträume:
„Umso beglückender ist es, dass Goethes Arbeitszimmer, die Herzkammer des
Hauses, genau so erhalten blieb wie zum Zeitpunkt von Goethes Tod.“16 Diese Vorstellung setzt Herman Grimms gleichsam spätromantische Vorrede zum ersten
Band der Weimarer Ausgabe von 1887 fort, in der es heißt: „Goethes, seit einem
halben Jahrhundert so gut wie verschlossenes Haus steht, dem deutschen Volke neu
geschenkt, offen wieder da. Die Räume, in denen er lebte und arbeitete, können
betreten werden, unberührt als habe er sie eben verlassen. Es ist als sei die Arbeit
seiner letzten Tage in frischem Aufschusse wieder ins Treiben gekommen.“17
Diese Einschätzung ist freilich nach 1945 methodisch noch verkehrter als damals,
sie hat sich aber über hundertfünfundzwanzig Jahre lang erhalten.18 Richtig an ihr
ist Folgendes: Es ist ein bis dahin kulturgeschichtlich unvergleichlicher Vorgang
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Abb. 3. Vorderansicht des bombengeschädigten Goethehauses (mit Notdach). Aufnahme von Walter
Hege im Juli 1945.
(Stadtmuseum Weimar, Sammlung Hege)
gewesen, dass ein bürgerliches Arbeitszimmer als solches als erhaltungswürdig
erachtet wurde.19 Bis in die Gegenwart gibt es Vergleichsfälle, etwa das Arbeitszimmer von Ernst Jünger (gest. 1998), offenbar aber keinen Fall vor Goethe. Insofern ist das Goethe’sche Arbeitszimmer nicht nur ein Zeugnis für Goethe, sondern
zugleich eines des Personenkultes im neunzehnten Jahrhundert und eines der aus
dem Personenkult hervorgehenden bürgerlichen Gedenkstättenkultur, die sich im
Falle des Goethehauses mit der Traditionslinie von „Nationalmuseen“ verbindet.20
Tatsächlich hat Goethes Arbeitszimmer schon durch die Umlagerung der Handschriften in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts seinen ursprünglichen Charakter verloren, und es war im Zweiten Weltkrieg jahrelang völlig ausgeräumt und
wurde beim Bombenangriff von 1945 in Mitleidenschaft gezogen (Abb. 3–5).21
Das Zimmer ist so durch die bewusste Wiederherstellung des früheren Zustands –
streng genommen: schon durch die von ihrem ursprünglichen Sitz im Leben losgelöste, gezielte Erhaltung seit 1832 – zu dem geworden, was man heute in museumskundlicher Fachsprache eine Inszenierung nennt.22 Die Vorstellung, „dass Goethes
Arbeitszimmer […] genau so erhalten blieb wie zum Zeitpunkt von Goethes Tod“,
ist zwar sachlich nicht zutreffend; sie ist aber wirkmächtig für unser Goethebild,
sie ist – mit Worten Jan Assmanns – „zur fundierenden Geschichte verfestigt und
verinnerlicht“. Insofern ist sie „Mythos“.23 Fundierende Geschichte hat die Aufgabe, ein Handeln oder einen Zustand in der Gegenwart – etwa die UnvergleichWeimar – Jena : Die große Stadt 5/1 (2012)
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lichkeit einer Stätte – zu begründen und damit Identität zu stiften. Sie ist normativ
und, so Assmann, „völlig unabhängig davon, ob sie fiktiv oder faktisch ist“.24
Was man bis heute freilich unkritisch authentisch nennt, ist Folge von Kulturpolitik zu sowjetischer Zeit, als man das Haus wieder aufgebaut und, noch vor der
Gründung der DDR, im Sommer 1949 neu eröffnet hat. Das Haus in seiner heutigen baulichen wie auch innenarchitektonischen Gestalt beruht also auch auf Entscheidungen derer, die die Weimarer Klassik „ungebrochen“ zu instrumentalisieren versuchten: zu instrumentalisieren als einen der großen Gründungsmythen der
DDR, die ebenso vom Buchenwaldschwur zu leben vorgab wie von der Annahme,
dass im sozialistischen Staat „die großen humanistischen Ziele verwirklicht werden, für die die Besten des deutschen Volkes seit Jahrhunderten gekämpft haben“.25
Anders gesagt: Das Goethehaus in Weimar ist längst nicht nur ein Zeugnis Goethes: Es ist ein Zeugnis der allgemeinen Geschichte der Deutschen – der Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, als der preußische König Friedrich Wilhelm IV.
und alle deutschen Fürsten im Jahr 1842 versucht haben, im Goethehaus ein „Deutsches Museum“, ein erstes deutsches Nationalmuseum zu gründen26, wie auch der
politischen Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert und ihrer Abgründe. Das
Dilemma deutscher und europäischer Geschichte ist offensichtlich und in der
Geschichte der Weimarer Dichterhäuser, des einen wie des anderen, in nuce enthal-
Abb. 4. Das bombengeschädigte Goethehaus vom Garten aus (mit Notdach). Aufnahme von Walter
Hege im Juli 1945.
(Stadtmuseum Weimar, Sammlung Hege)
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Abb. 5. Das beschädigte Treppenhaus (provisorisch verschlossen) im ausgeräumten Goethehaus.
Aufnahme von Walter Hege im Juli 1945.
(Stadtmuseum Weimar, Sammlung Hege)
ten. Die Weimarer Klassik und ihre
wichtigsten Vertreter wurden im neunzehnten Jahrhundert vereinnahmt, um
einen kulturellen Ersatz zu schaffen für
die fehlende politische Einheit Deutschlands; im zwanzigsten Jahrhundert, um
undemokratische, totalitäre Herrschaftsformen als Fortführung und Vollendung
einer vergangenen kulturellen Blütezeit
zu beschönigen. Das lässt sich auch mit
größter Mühe nicht ausblenden.
Es ergibt sich ein klar beschreibbares
Forschungsdesiderat: die Geschichte des
Weimarer Goethe-Nationalmuseums im
zwanzigsten Jahrhundert. In Angriff
genommen ist überhaupt nur ein einziger Gesichtspunkt: die Erbauung des Goethemuseums von 1935.27 Die Voraussetzung für eine Geschichte des Goethe-Nationalmuseums ist kulturgeschichtliche Grundlagenforschung: die Sammlung,
Erschließung und Edition von Quellen – persönlichen und amtlichen Briefen,
Protokollen und amtlichen Schriftstücken, Zeitungsartikeln, Reiseberichten, Gästebüchern usw. – zur Geschichte des Hauses, seiner Dauerausstellungen wie seiner
Besucher. Die Aufwertung museumsgeschichtlicher Quellen und ihre Editionswürdigkeit, ja selbst die Geschichte von Museen ist ein vergleichsweise neuer Forschungszweig der Wissenschaftsgeschichte (man könnte „Museumsgeschichte“ als
einen Zweig der Wissenschaftsgeschichte ansehen; Dichterhäuser sind freilich
streng genommen keine Museen, ihre Geschichte spiegelt oftmals eher eine gesellschaftliche denn eine wissenschaftliche Entwicklung wider). Ein wichtiger Anstoß
stammt aus der Kunstgeschichte28, Vorarbeiten zur Geschichte der Weimarer Dichterhäuser im neunzehnten Jahrhundert liegen inzwischen ebenfalls vor.29 Im September 2011 hat im Frankfurter Goethe-Haus/Freien Deutschen Hochstift eine
Tagung unter dem Titel „Luther, Schiller, Goethe, Dürer, Mozart, Bach. Personengedenkstätten des neunzehnten Jahrhunderts“ das Forschungsdesiderat beschrieben.30 Eine Geschichte des Goethe-Nationalmuseums ließe sich anhand der
verschiedenen Epochenumbrüche gliedern: Das Haus seit der Gründung des Goethe-Nationalmuseums und bis zum Ende des Großherzogtums; das Haus in der
Weimarer Republik; das Haus im Nationalsozialismus und später in der DDR und
schließlich das Haus als Symbol und sein Bedeutungsverlust im wiedervereinigten
Deutschland, dem ersten deutschen Staat seit 1871, der – so Dieter Borchmeyer in
den „Deutschen Erinnerungsorten“ – „ohne Berufung auf Goethes Werk als eines
bestimmenden Kulturparadigmas auskam“.31 Ein möglicher Zugang könnte eine
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Geschichte des Hauses im Spiegel seiner Besucher sein, im Spiegel der zahlreichen
Schriftsteller und Intellektuellen, die das Haus besucht haben – von Kafka, Walter
Benjamin über Thomas und Klaus Mann, Alexander Abusch und Lew Kopelew –
bis hin zu den verschiedenen Staatsbesuchen, und zwar in den verschiedenen Epochen, darunter zuletzt François Mitterrand und Richard v. Weizsäcker (1991), der
chinesische Ministerpräsident Li Peng (1994) und der russische Präsident Wladimir Putin (2002).32 Was haben sie gesucht, was hat man ihnen gezeigt? Das, was
an deutscher Kultur als wertvoll und schätzenswert gilt? Was könnte man ihnen
zeigen? Vielleicht auch und gerade hier im Goethehaus in Weimar, dass die unaufgebbare Kultur klassischer, Goethe‘scher Humanität gerade nicht ungebrochen ist.
Dass der Lernort Weimar gerade ebendieses zeigt und zeigen muss: wie tief gefährdet das Kulturelle am Abgrund der politischen Geschichte steht und wie eng Bildung und Verbrechen verbunden sein können. Eine Hinweistafel, die das Haus in
seine Geschichtlichkeit einordnet – gut sichtbar im Eingangsbereich –, wäre dies
doch wohl wert.
Anmerkungen und Quellennachweis
1
Vgl. den ersten Teil: Paul Kahl, Das Vermächtnis der Goetheenkel und die Gründung des GoetheNationalmuseums vor 125 Jahren (1885–2010). Forschungsbericht und offene Fragen. In: Die große
Stadt. Das kulturhistorische Archiv von Weimar-Jena Jg. 3 (3/2010), S. 173–181.
2
Vgl. Goethes Wohnhaus. Mit Beiträgen von Viola Geyersbach, Jochen Klauß, Kristin Knebel,
Katharina Krügel, Ulrike Müller-Harang, Gisela Maul, Margarete Oppel, Bettina Werche. Hg. v.
Wolfgang Holler und Kristin Knebel. Weimar 2011, S. 7.
3
Ebd.
4
Zur Geschichte der Verdrängung in Weimar – zur Geschichte des „Denkverbot[s] im kollektiven
Gedächtnis der Stadt“ seit 1945 – vgl. Justus H. Ulbricht, Fragmentierte Erinnerung – Weimar 1933
bis 1945. In: Klassikerstadt und Nationalsozialismus. Kultur und Politik in Weimar 1933 bis 1945.
Hg. v. Justus H. Ulbricht. (Weimarer Schriften 56) Weimar 2002, S. 6–24, hier S. 8. Volker Wahl,
Wissen Sie, daß Hitler niemals hier gewesen ist? Berichte aus der Hauptstadt deutscher Verdrängung. In: Thüringische Landeszeitung, 7. September 1996, Treffpunkt, S. 3. Vgl. außerdem grundlegend die beiden Sammelbände: Weimar 1930. Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur. Hg.
v. Lothar Ehrlich und Jürgen John. Köln, Weimar, Wien 1998. Das Dritte Weimar. Klassik und Kultur im Nationalsozialismus. Hg. v. Lothar Ehrlich, Jürgen John und Justus H. Ulbricht. Köln, Weimar, Wien 1999. Und: Holm Kirsten, „Weimar im Banne des Führers“. Die Besuche Adolf Hitlers
1925–1940, Köln, Weimar, Wien 2001. Sowie: Georg Bollenbeck, Weimar. In: Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 1. Hg. v. Etienne François und Hagen Schulze. München 42002, S. 207–224.
5
Vgl. Dieter Borchmeyer, Goethe. In: Deutsche Erinnerungsorte. Bd. 1. (wie Anm. 4), S. 187–206,
hier besonders S. 205f.
6
Nach Georg Ruppelt, Hitler gegen Tell. Die „Gleich- und Ausschaltung“ Friedrich Schillers im
nationalsozialistischen Deutschland. (Lesesaal Heft 20) Hameln 2005, S. 16.
7
Hans Severus Ziegler, Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt, Göttingen 21964, S. 125f.
8
Quelle für die Unterredung mit Hitler sind die Aufzeichnungen von Friedrich Voigt vom 10. November 1934, wiedergegeben bei Dietrich 1999 (wie Anm. 13), S. 105f.
9
Karl Robert Mandelkow (Hg.), Goethe im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Goethes in Deutschland. Vier Teile. München 1975–1984, Teil 4, S. 176f. Der schnelle Bauerfolg
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diente zugleich der propagandistischen Herabsetzung der Bemühungen aus der Zeit der Weimarer
Republik, vgl. Dietrich 1999 (unten Anm. 13), S. 106.
10
Volker Wahl weist mich freundlicherweise darauf hin, dass sich Hans Wahl am 5. August 1946
gegenüber Edwin Redslob über die Büste äußerte. Redslob, Mitbegründer des Berliner „Tagesspiegels“, hatte am 8. Juni 1946 ebendort den Beitrag „Pfingstfahrt nach Weimar“ veröffentlicht. Darin
steht der Satz: „Im Goethehaus hat Hitlers Büste gestanden.“ Hans Wahl, sein Schulfreund, schreibt
ihm daraufhin am 5. August 1946: „Deinen Pfingstaufsatz über Weimar habe ich gelesen durch das
‚Argus-Büro‘. Leider bekomme ich ja den Tagesspiegel nicht und muß Dir zum Schluß in alter
Freundschaft sagen, daß es ein wenig schmerzlich war, daß im Goethehaus die Büste Hitlers gestanden haben soll. Das erweckt einen falschen Eindruck. Sie hat ja lediglich im Durchgangsraum zum
Treppenhaus des Neubaus, also nicht im Goethehaus, gestanden, und Du weißt, daß sie mir über
Nacht vor dem Einweihungstag amtlich hineingestellt worden ist. Bei der Räumung des Museums zu
Kriegsbeginn ist sie (aber versehentlich) kaputt gegangen.“ Zit. nach der Abschrift von Volker Wahl
aus der Dienstkorrespondenz Hans Wahl von 1946 im Goethe- und Schiller-Archiv. Der Briefdurchschlag ist unter GSA 150/366a vorhanden, wegen der Sanierung des Archivgebäudes aber ausgelagert und erst Mitte 2012 wieder verfügbar. Siehe dazu (Abb. 2) die hier erstmals wieder veröffentlichte Aufnahme aus dem „Durchgangsraum“ (Halle im Erdgeschoss zwischen Wohnhaus und
Erweiterungsbau von 1935) als Reproduktion aus: Friedrich Voigt (Hrsg.), Staatlicher Bauwille in
Thüringen 1932–1937. Weimar 1938, S. 4.
11
Dieter Borchmeyer, Goethe im Widerspiel von „Nationalitäts-Wahnsinn“ und „ökumenischer Internationalität“. Stationen in der Geschichte der Goethe-Gesellschaft. In: Goethe-Jahrbuch 127 (2010),
S. 82–94, hier S. 86.
12
Holler/Knebel 2011 (wie Anm. 2), S. 21. – Die Verschleierung der geschichtlichen Umstände hat in
Weimar eine Vorgeschichte, vgl. Weimarer Klassikerstätten. Geschichte und Denkmalpflege. Bearb.
v. Jürgen Beyer und Jürgen Seifert. Bad Homburg und Leipzig 21997, wo es nur heißt: „Eine maßgebliche Vergrößerung der Ausstellungsfläche wurde durch die Errichtung eines Museumsneubaus
1932 bis 1935 erreicht.“ (S. 222) Im Folgenden wird sogar der Eindruck erweckt, die Nationalsozialisten seien Gegner des Vorhabens gewesen: „Bei Wiederaufnahme des Museumsprojektes verhinderten die Nationalsozialisten die weitere Realisierung der Tessenowschen Pläne, und der Bau
wurde nach modifizierten Entwürfen des Architekten Walter Voigt durch Mitarbeiter des Bauamtes
beim Thüringischen Finanzministerium ausgeführt.“ (S. 223) Durch die gezielte Auslassung der entscheidenden Mitteilung sind die Dinge auf den Kopf gestellt. – Gerechterweise ist auch zu sagen,
dass sich demgegenüber Helmut Holtzhauer in seiner Einleitung zu Goethe-Museum. Werk, Leben
und Zeit Goethes in Dokumenten (Berlin und Weimar 1969) der Geschichte nicht verweigert und
festhält: „Da war es der Nazistaat, der hier eine Chance für nationales Ansehen, ‚eine Propagandatat
deutscher Art‘ witterte und der schließlich im Jahre 1935 den Neubau zustande brachte, nicht ohne
seine ‚Wertschätzung‘ Goethes durch die Errichtung eines viel größeren und anspruchsvolleren
Nietzsche-Archivs in Weimar deutlich zu zeigen.“ (S. 8).
13
Andrea Dietrich, „Ein Denkmal der Dankbarkeit Deutschlands“. Der zweite Erweiterungsbau des
Goethe-Nationalmuseums. Idee – Entwürfe – Ausführung 1930–1935. In: Wege nach Weimar. Auf
der Suche nach der Einheit von Kunst und Politik. Hg. von Hans Wilderotter und Michael Dorrmann.
Berlin 1999, S. 99–108. Dies., „Geistige Weihestätten“. Der zweite Erweiterungsbau des GoetheNationalmuseums und die Nietzsche-Gedächtnishalle. In: Klassikerstadt und Nationalsozialismus
(wie Anm. 4), S. 145–156. Vgl. außerdem Kirsten 2001 (wie Anm. 4), S. 74–78.
14
Nach Mandelkow 1975–1984 (wie Anm. 9), Teil 4, S. 335.
15
Unaufgearbeitet ist auch die Geschichte der Häuser zu DDR-Zeiten. Vgl. aber Gerd Dietrich, „Die
Goethepächter“. Klassikmythos in der Politik der SED. In: Weimarer Klassik in der Ära Ulbricht.
Hg. v. Lothar Ehrlich und Gunter Mai. Köln, Weimar, Wien 2000, S. 151–174. Georg Bollenbeck:
Programmatische Hypothesen. Die bildungsbürgerliche Kultursemantik und die ambivalente Bilanz
der NFG. In: „Forschen und Bilden“. Die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen
deutschen Literatur in Weimar 1953–1991. Hg. v. Lothar Ehrlich. Köln, Weimar, Wien 2005, S. 69–84.
16
Vgl. Holler/Knebel 2011 (wie Anm. 2), S. 7.
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17
Johann Wolfgang Goethe: Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Abteilungen I–IV. Weimar 1887–1912; ergänzt durch: Nachträge und Register zur IV. Abteilung: Briefe.
Hg. von Paul Raabe. 3 Bde. München 1990, Abt. I, Bd., 1, S. XVf.
18
Man könnte sie im Spiegel der verschiedenen Hausführer verfolgen. Noch im Jahr 2000 ist zu lesen:
„Durch die Umsicht der von Goethe beauftragten Testamentsvollstrecker, später dann der erwachsenen Enkel und der verantwortlichen Kustoden, wurde das Arbeitszimmer bis heute in dem zu Goethes
Tod vorgefundenen Zustand bewahrt“, Goethes Wohnhaus in Weimar. Bearb. von Gisela Maul und
Margarete Oppel mit Beiträgen von Erich Trunz, Katharina Krügel und Marie-Luise Kahler. München/Wien 22000, S. 120.
19
Die Bewahrung des Zimmers und seine Verschließung, selbst vor den Angehörigen der Familie, wird
durch zahlreiche Quellen belegt, darunter die Klage Ottilie v. Goethes (offenbar Anfang August
1832): „Was aber dies alles auf das Höchste steigern mußte, ist daß ich und meine Kinder mich von
dem Eintritt in das Zimmer meines Schwiegervaters ausgeschlossen sehe, und das der Schlüssel der
mir allein jedem Gefühl nach zukömmt, in den Händen von Kräuter ist. Ich war unangenehm betroffen durch das große Vorlegeschloß vor der Thüre“, GSA 68/657, Bl. 1. Vgl. die Abbildung des
Schlosses bei Gerhard Schuster/Caroline Gille (Hrsg.), Wiederholte Spiegelungen. Weimarer Klassik 1759–1832. Ständige Ausstellung des Goethe-Nationalmuseums. 2 Bde. München und Wien
1999, S. 914.
20
Vgl. Paul Kahl, Das Goethehaus am Frauenplan in Weimar. Nationalmuseum, Gedenkstätte und
Symbolort der deutschen Geschichte. Vorüberlegungen zu einer Gesamtdeutung. In: Jahrbuch der
Deutschen Schiller-Gesellschaft (55) 2011, S. 19–48.
21
Eine Abbildung von 1945 zeigt das Zimmer teilzerstört und leer, vgl. Goethe zieht Kreise. 125 Jahre
Goethe-Nationalmuseum (1885–2010) und 100 Jahre Vereinigung des Freunde (1910–2010). Hrsg.
v. Dieter Höhnl und Jochen Klauß im Auftrag des Freundeskreises des Goethe-Nationalmuseums e.V.
Weimar 2010, S. 12, vgl. auch S. 18. Zum Ausmaß der Zerstörung vgl. den nicht namentlich gekennzeichneten „Bericht über die Schäden vom 9. Februar 1945 am Goethe-Nationalmuseum und den
Klassischen Stätten“ [Weimar, Februar 1945], GSA 150/M 16.
22
Zum Begriff „Inszenierung“ vgl. Martin Seel, Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die
Reichweite eines Begriffs. In: Josef Früchtl/Jörg Zimmermann (Hrsg.), Ästhetik der Inszenierung.
Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens. Frankfurt/M.
2001, S. 48–62. – Außerdem grundlegend: Thomas Thiemeyer, Inszenierung und Szenografie. Historische Semantik eines musealen Grundbegriffs und seines Herausforderers. Erscheint in: Zeitschrift für Volkskunde 2/2012.
23
Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen
Hochkulturen. München 1992, S. 76, zur Unterscheidung von fundierender und kontrapräsentischer
Erinnerung außerdem S. 78–86.
24
Ebd., S. 76. – Vgl. auch Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Hg. v. Nicolas
Pethes und Jens Ruchatz unter Mitarbeit von Martin Korte und Jürgen Straub. Reinbek bei Hamburg
2001, S. 613–615 (zum Begriff Ursprung und Ursprungsmythos). Ursprungsmythen können auch
„als Flucht aus der Gegenwart erscheinen“, S. 614.
25
So in den Hinweisen für Jugendweihefahrten zu den klassischen Gedenkstätten und Literaturmuseen
in Weimar von 1970 (unpag.). Vgl. ähnlich schon Alexander Abusch in „Weimar und Bitterfeld. Rede
zur 75-Jahr-Feier des Goethe-Nationalmuseums und des Goethe-Schiller-Archivs in Weimar am 27.
August 1960“: „Wir können heute vor ganz Deutschland zeigen, daß die humanistischen Erziehungsgedanken Goethes, die in der deutschen Gesellschaft seines Zeitalters nicht verwirklicht werden
konnten, nun in einer ausgereiften Weise durch unsere sozialistische Umwälzung der Gesellschaft
ihre Verwirklichung finden, nicht für eine bevorrechtete und erlesene kleine Schar von Menschen,
sondern – kühner, als es Goethe zu träumen vermochte – für das zur gebildeten Nation aufsteigende
ganze Volk.“ Nach: Mandelkow 1975–1984 (wie Anm. 9), Teil 4, S. 419. Vgl. oben Anm. 15.
26
Vgl. Kahl 2010 (wie Anm. 1) und 2011 (wie Anm. 20).
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Vgl. Dietrich 1999 und 2002 (wie Anm. 13).
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Vgl. als methodisches Vorbild (auch im Blick auf den Dokumentenanhang): Bénédicte Savoy
(Hrsg.), Tempel der Kunst. Die Entstehung des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815.
Mainz 2006.
Paul Kahl, „… ein Tempel der Erinnerung an Deutschlands großen Dichter“. Das Weimarer Schillerhaus 1847–2007. Gründung und Geschichte des ersten deutschen Literaturmuseums. Mit Dokumentenanhang. Folge I in: Die große Stadt. Das kulturhistorische Archiv von Weimar– Jena Jg. 1 (4/2008),
S. 313–326. Folge II in Jg. 2 (1/2009), S. 40–75. Folge III in Jg. 2 (2/2009), S. 155–176. Folge IV in
Jg. 2 (3/2009), S. 217–237. Außerdem Kahl 2011 (oben Anm. 20), ebenfalls mit Dokumentenanhang
zur Geschichte des Goethehauses im neunzehnten Jahrhundert.
Vgl. Christoph Schmälzle, Wochenendausflüge und Wallfahrten zu begehbaren Bücherschränken.
Luther, Bach, Goethe waren hier: Eine Frankfurter Tagung über die Kultstätten der Bildungsreligion.
In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Oktober 2011, Nr. 231, S. N 4.
Borchmeyer 2002 (wie Anm. 5), S. 205.
Zum Besuch von Mitterrand vgl. Richard v. Weizsäcker, Der Weg zur Einheit. München 2009, darin
das Kapitel: Die deutsche Nation: woher wir kommen. Zum Besuch Li Pengs: Kahl 2011 (oben Anm.
20), auch mit weiterführender Literatur.
Kontakt:
Dr. Paul Kahl
Seminar für Deutsche Philologie
Käte-Hamburger-Weg 3
37073 Göttingen
E-Mail: [email protected]
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