Umschlag in der Binnenschifffahrt
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Umschlag in der Binnenschifffahrt
TranspR_07+08.2013 17.08.13 07:49 Seite 269 TranspR 7/8-2013 v. Waldstein, Umschlag in der Binnenschifffahrt 269 Umschlag in der Binnenschifffahrt Rechtsanwalt Fink v. Waldstein, Mannheim Zum Abschluss des Kolloquiums sei das Thema »Brennpunkt Umschlag« dargestellt aus der Sicht des Verkehrsträgers Binnenschifffahrt, der bekanntlich einige Besonderheiten, wenn nicht gar Skurrilitäten aufweist. Gerade aber wegen der rapiden Zunahme multimodaler Verkehre und einer Internationalisierung, ja Globalisierung von Transporten, ist jedenfalls im Massengutbereich das Binnenschiff gern gesehenes Transportglied mit einer Performance, die es verbietet, es transportrechtlich unbeleuchtet zu lassen. Thema Grundlage der Diskussion soll ein spezifisch unimodaler Schadensfall sein, welcher einerseits binnenschifffahrtsrechtliche Spezialitäten enthält, andererseits das allgemeine frachtrechtliche Spannungsverhältnis zwischen Obhutszeitraum und Transportpflicht beleuchtet. Der Fall basiert auf einem Urteil des Oberlandesgerichts – Schifffahrtsobergericht – Karlsruhe (im Weiteren SchOG) vom 19. 5. 2011, AZ: 22 U 3/10 BSch, veröffentlicht in ZfB Zeitschrift für Binnenschifffahrt Nr. 9/2011, S. 73 ff. I. Sachverhalt Absender und Ladungseigentümer E beauftragt den Frachtführer F mit dem Transport von 1.200 tons Weizen vom mittleren Neckar nach Rotterdam (Frachtvertrag I). Die Allgemeinen Transportbedingungen des Frachtführers F sind Vertragsgrundlage. Zur Ausführung seiner Transportpflicht beauftragt F den ausführenden Frachtführer in Gestalt des Schiffseigners S1 des Gütermotorschiffes (GMS) »R.«. Da der Schiffsführer des GMS »R.« bedauerlicherweise vergaß, vor Abfahrt des beladenen Schiffes den achterlichen Landdraht zu lösen, verfiel das Schiff in der starken Strömung des Neckars, schlug quer und wurde aufgrund des Verlustes von Ruder und Schraube manövrierunfähig. Das Schiff konnte seine Reise nach Rotterdam nicht fortsetzen. Es wurde erforderlich, das GMS »R.« gänzlich leerzustellen, mithin auszuladen und in ein anderes Binnenschiff umzuladen. Havarie Grosse wurde erklärt. Zu diesem Zwecke beauftragte der Absender und Ladungseigentümer E, wiederum unter Zwischenschaltung des Frachtführers F, Schiffseigner S2 als ausführenden Frachtführer, der das GMS »V.R.« einsetzte (Frachtvertrag II). TranspR_07+08.2013 17.08.13 07:49 Seite 270 270 v. Waldstein, Umschlag in der Binnenschifffahrt Zum Zwecke des Umschlages Schiff/Schiff wurde ein Stelzenponton mit Kran verpflichtet. Ab diesem Moment begannen die Probleme. Den Beteiligten, namentlich den für das Schiff einerseits und die Ladung andererseits intervenierenden Sachverständigen war bekannt, dass der Transport mit dem GMS »R.« unter so genannten GMP-Regeln (Good Manufacturing Practice) zu erfolgen hatte. Die GMP-Regeln sind ein Zertifizierungssystem für die Futtermittelwirtschaft, sprich ein Hygienecodex. Hierbei muss sämtliches Material, welches unter diesem Hygienecodex zum Futtermitteltransport eingesetzt wird, also jedes Transport- und Umschlaggerät, GMP-zertifiziert sein. Das GMS »R.« hatte eine solche Zertifizierung und es gelang auch, mit dem GMS »V.R.« ein entsprechend zertifiziertes Schiff zu verpflichten. Was man indes nicht fand, war GMP-zertifiziertes Umladegerät, hier in Gestalt eines geeigneten Schwimmkrans. Kurzerhand entschloss man sich, den Schwimmkran und seinen Greifer in höchst akribischer Weise zu reinigen und den Umschlag durchzuführen. Das GMS »R.« wurde leergestellt und GMS »V.R.« erreichte nach glücklicher Reise Rotterdam. Weniger glücklich war allerdings der Umstand, dass der Empfänger die Ware gänzlich verwarf. Der Empfänger begründete seine Entscheidung allein damit, dass wegen des Einsatzes des Schwimmkranes der Nachweis eines GMPzertifizierten Transportsstandards nicht mehr gegeben sei und es sich damit um Schadware handle. Ausdrücklich wurde bestätigt, dass dies auch dann gilt, wenn – wie geschehen – nachgewiesen werden konnte, dass das Transportgut in Gestalt des Weizens in keiner Weise einen naturwissenschaftlich greifbaren Schaden erlitten hatte. II. Rechtsproblematik Im nachfolgenden Prozess verklagt nun der Absender und Ladungseigentümer E den Frachtführer F auf sämtliche ihm aus dem Schadensfall entstandenen Schäden, vorrangig den Warenschaden. Die Klägerin beruft sich auf die Haftung des Frachtführers im Obhutszeitraum, welcher sich hier nicht aus HGB, sondern aus Art. 16 Abs. 1 CMNI ergibt, da es sich um einen grenzüberschreitenden Transport mit einem Binnenschiff handelte. Die Beklagte wendet hierzu kurzerhand ein, dass der Schaden nach Darstellung der Klägerin allein dadurch entstanden ist, dass das Umschlaggerät in Gestalt des Schwimmbaggers nicht GMP-zertifiziert war. Dieser Umschlag sei nicht in Erfüllung von Transportpflichten der Beklagten F, vor allem aber außerhalb ihres Obhutszeitraumes erfolgt. Der Schaden sei eingetreten, als das GMS »R.« an der Ware keine Obhut mehr gehabt habe und andererseits eine neue Obhut des Leichterschiffes GMS »V.R.« noch nicht gegeben gewesen sei. Die zitierte Entscheidung des SchOG Karlsruhe schließt sich mit einer höchst interessanten und bemerkenswerten Begründung dieser Rechtsauffassung nicht an. Zwar räumen die Entscheidungsgründe ein, dass im »Normalfall« nach dem Entladen des Gutes die Beförderung als beendet anzusehen sei. Dies könne aber nur dann gelten, wenn der Frachtführer beim Ausladen davon ausgehen konnte, dass damit die Transportpflicht endgültig beendet worden sei (S. 14 der Entscheidungsgründe). Dies – so die Entscheidung – hat zur Folge, dass der Frachtführer F auch während der Umladung Obhut gehabt habe, und zwar sowohl während sich die Ware im Laderaum des GMS »R.« befand, sie TranspR 7/8-2013 vom Greifer umgeladen wurde und schließlich in die Laderäume des GMS »V.R.« gelangte. Inwieweit sich dies auf die Obhut der Unterfrachtführer S1 und/oder S2 auswirkt, lässt die Entscheidung offen. Dieser Argumentation sollen folgende Überlegungen entgegengesetzt werden: Gerade die vorliegende Konstellation hätte unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des SchOG Karlsruhe zur Folge, dass zwar die Beklagte und Zwischenfrachtführer F während beider Transporte durchgehend Obhut hatte, sich eine durchgehende Obhut eines oder gar beider ausführender Frachtführer in Gestalt der Schiffe »R.« und »V.R.« tatsächlich nicht darstellen lässt. Denn GMS »R.« hat schadfrei Ware ausgeladen und GMS »V.R.« hat bereits beschädigte Ware geladen. Außerdem würde dies zu einer frachtrechtlichen Differenzhaftung führen. F würde zwar gegenüber E aus dem Obhutsgedanken haften, könnte diese Haftung aber nicht gegenüber dem oder den ausführenden Frachtführern durchleiten. Diese Rechtskonsequenz erscheint unverständlich. Nicht haltbar scheint auch die Gleichsetzung der frachtrechtlichen Transportpflicht einerseits mit dem Obhutszeitraum andererseits. Verkannt wird der Umstand, dass es sich bei der Transportpflicht um eine schuldrechtliche Pflicht handelt, deren Beginn oder Ende vom Parteiwillen getragen ist. Der Obhutszeitraum hingegen – und zwar sowohl nach HGB als auch nach CMNI – ist kein rechtlicher Zeitraum, sondern ein tatsächlich bedeutsamer Zeitraum. Die Tatsächlichkeit der Obhut ergibt sich bereits aus Art. 16 CMNI, welcher Beginn und Ende der Obhut gerade nicht durch Rechtspflichten definiert, sondern durch die Tatsächlichkeit der Übernahme, respektive der Ablieferung der Güter. Dies als Obhutszeitraum zu bezeichnen ist auch zutreffend, da die Obhut – wie etwa der Besitz – mit einer tatsächlichen Herrschaft des Frachtführers über das Gut beschrieben wird und ihn selbstverständlich eine insoweit verschärfte Haftung nur dann trifft, wenn er auch tatsächlich in der Lage ist, Obhut auszuüben. Vom reinen Denkmodell her ist der Frachtführer das Huhn und das Gut das Ei, auf dem es sitzt. Nimmt man dem Huhn das Ei, nimmt man ihm die Obhut. Diese Erwägung ist möglicherweise unvollkommen. Geht man – wie der vorliegende Schadensfall zeigt – davon aus, dass ein Güterschaden in einem Binnenschiff allein dadurch eintreten kann, dass eine durchgehende GMP-Zertifizierung fehlt, so liegt es nicht zwingend fern, den Schaden doch in den Obhutszeitraum des Frachtführers F und des ausführenden Frachtführers S1 zu verlagern. Man müsste dann nur – meines Erachtens zwanglos – das eigentliche Schadensereignis nicht im Umladen durch den nicht zertifizierten Greifer des Schwimmkranes sehen, sondern bereits darin, dass der Greifer die noch im GMS »R.« befindliche Ware berührt hat. Sieht man dies als Schadensursache, was deswegen logisch erscheint, weil es aus Hygienegründen kaum entscheidend ist, ob ein nicht zertifizierter Greifer nur in die Ware hineinfasst, oder diese letztlich auch ergreift und umschlägt, so kommt man damit zu dem auch vom Oberlandesgericht erkannten Verstoß gegen die Obhutspflicht. Denn selbstverständlich gereicht es dem Huhn zum Vorwurf, an sein Gelege einen nicht zertifizierten Greifer heranzulassen. Im Folgenden soll nun auf die Transportverpflichtung des Frachtführers eingegangen werden. Wie dargestellt, ist das SchOG Karlsruhe der Auffassung, dass die ursprünglich eingegangene Transportverpflichtung des Frachtführers F gegenüber dem Absender E durch den Schadensfall und das Um- TranspR_07+08.2013 17.08.13 07:49 Seite 271 TranspR 7/8-2013 v. Waldstein, Umschlag in der Binnenschifffahrt laden nicht beendet wurde. Hiergegen bestehen die nachfolgenden Bedenken. In der Binnenschifffahrt gibt es das Institut der Havarie Grosse, welche hier zur Anwendung kam. Schiff und Ladung befanden sich in Gefahr, Havarie Grosse wurde erklärt und die Umladung erfolgte – Transportpflicht hin oder her – zur Errettung von Schiff und Ladung aus gemeinsamer Gefahr. Hervorzuheben ist insoweit, dass die im Rahmen der Havarie Grosse ergriffenen Maßnahmen nicht etwa frachtvertraglich – also zwischen Absender und Frachtführer oder gar ausführendem Frachtführer – vereinbart oder durchgeführt werden, sondern zwischen Schiff und Ladung, mithin zwischen dem Schiffseigentümer und dem Wareneigentümer, was primär sachenrechtlichen Einschlag hat und damit auf einer gänzlich anderen Ebene liegt als der schuldrechtlich zu qualifizierende Frachtvertrag. Hieraus erhellt sich, dass die nach dem Schadensfall des GMS »R.« zu treffenden Maßnahmen, hier auch in Gestalt der frachtrechtlichen Verpflichtung des GMS »V.R.«, von eben diesen »Beteiligten«, nämlich dem Schiffseigentümer und dem Wareneigentümer, getroffen wurden. Sowohl die Umladung der Ware aus dem GMS »R.« in das »V.R.« als auch die Erteilung eines Frachtauftrages an das GMS »V.R.« erfolgte durch die Havarie-Grosse-Gemeinschaft, nicht also durch den Ladungseigentümer E alleine, und vor allem grundsätzlich unter Ausschluss der im Frachtvertrag I noch beteiligten Frachtführer F. Wenn im vorliegenden Fall und aus Gründen der reinen Zufälligkeit auch zur Ausführung des Havarie-Grosse-Transportes Frachtführer F wiederum eingeschaltet, besser zwischengeschaltet war, so ändert sich an der beendeten und neu begründeten Transportpflicht nichts. Die Transportpflicht aus Frachtvertrag I war mit Eintritt des Schadensfalles, spätestens aber mit der Erklärung von Havarie Grosse beendet. Im Zuge der Havarie Grosse erfolgte eine neue frachtrechtliche Verpflichtung, dargestellt in Frachtvertrag II, mit im Übrigen gänzlich geänderten Konditionen, sei es hinsichtlich Ladeort, sei es hinsichtlich Fracht. Zum Beleg der Richtigkeit dieser Sichtweise sei angemerkt, dass die Kosten der frachtrechtlichen Verpflichtung des Leichterschiffes »V.R.« in Havarie Grosse verrechnet wurden, mithin zum Aufwand zur Rettung von Schiff und Ladung zählen. Außerdem mag eine »fortdauernde« Transportpflicht von F zwar denkbar sein, nicht aber eine fortdauernde Transportpflicht von S1, da ja unzweifelhaft mit S2 eine neue Transportpflicht begründet wurde. 271 Wenn aber und wie gezeigt, die Einbeziehung von Frachtführer F in den Frachtvertrag II für das »V.R.« nur als außerordentlich zufällig zu bezeichnen ist und dieser Transport auch gänzlich ohne F hätte stattfinden können, so erschließt sich nicht, weshalb von einer Fortführung der ursprünglich durch Frachtvertrag I begründeten Transportverpflichtung des Frachtführers F auszugehen sein sollte. III. Ergebnis und Konsequenz Die Transportverpflichtung des Frachtführers einerseits und seine verschärfte Haftung im Obhutszeitraum andererseits erlauben keine rechtliche Gemengelage. Haftung und Verpflichtung sind und bleiben zweierlei. Frachtvertraglich war der Frachtvertrag I mit dem GMS »R.« mit Eintritt des Schadensfalles, jedenfalls der Fahruntauglichkeit des Schiffes, jedenfalls aber mit seiner Entladung beendet und zwar allein schon deshalb, weil über dasselbe Gut ein neuer Frachtvertrag mit dem GMS »V.R.« geschlossen wurde und dieser Vertrag in der Tat eine Transportverpflichtung dergestalt begründete, dass dieses Gut – was es auch immer sein möge, feinster Weizen oder Müll – nach Rotterdam zu befördern war. Folgende Erkenntnisse erscheinen letztlich gleichermaßen zwingend wie provokant: 1. Zur Vermeidung einer Diskussion über seine Haftung sollte ein vormaliger Zwischenfrachtführer in Fällen der Havarie Grosse nicht im Auftrag von Schiff und Ladung tätig werden. 2. Dem ausführenden Frachtführer von GMP-zertifizierten Transporten ist anzuraten, sein Lukendach erst und nur dann und auch im Falle höchster Not zu öffnen, falls der herannahende Greifer nachweisbar GMP-zertifiziert ist oder die Ware bewusst durch die Havarie-Grosse-Gemeinschaft beschädigt, sprich geopfert werden soll. Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass die oben dargelegte und zur Diskussion gestellte Rechtsauffassung des SchOG Karlsruhe nicht entscheidungserheblich wurde. Die Klage wurde insgesamt deshalb abgewiesen, weil das Gericht letztlich von der wirksamen Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für nautisches Verschulden nach CMNI und den Transportbedingungen des Frachtführers F ausgegangen ist.