2 Länder - eine Liebe! Liebe in Zeiten der Globali

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2 Länder - eine Liebe! Liebe in Zeiten der Globali
2 Länder - eine Liebe!
Liebe in Zeiten der Globalisierung
In Zeiten der Globalisierung ist es leicht
nachvollziehbar, dass sich Menschen aus
verschiedenen Ländern oder Kulturen
kennenlernen, verlieben und zusammen
bleiben möchten. Aber: Binationale Paare
sind mit gesellschaftlichen Vorbehalten
oder gar Vorurteilen konfrontiert. Sind diese berechtigt? Oder ist es nicht gerade
eine Bereicherung für die Partnerschaft,
wenn Mann und Frau einen verschiedenen
Hintergrund mitbringen? Im Folgenden
geht es darum, spezifische Chancen, aber
auch Schwierigkeiten und Herausforderungen von binationalen Partnerschaften
zu beleuchten. Dieser Text stützt sich im
Wesentlichen auf
den BeobachterRatgeber Binational?- Genial! und Publikationen von frabina und ig binational (sh.
unten).
In der Schweiz ist inzwischen mehr als
jede 3. Ehe binational. Was heisst binational? Von einem binationalen Paar oder
einer binationalen Familie spricht man,
wenn die Mitglieder verschiedene Nationalitäten haben. Gemäss Bundesamt für Statistik wurden im Jahr 2009 36 Prozent der
Ehen zwischen SchweizerInnen und AusländerInnen geschlossen; davon 20 Prozent zwischen Schweizer-Mann und Ausländerin, 16 Prozent zwischen Ausländer
und Schweizer-Frau und ca. 6 Prozent
zwischen AusländerInnen verschiedener
Nationalitäten.
Das Thema binationale Paare ist selbstverständlich auch für unsere Beratungsstelle relevant. Im Jahr 2010 waren 25
Prozent der beratenen Paare binational.
Entwicklungsaufgaben bei der
Partnerwahl im Allgemeinen
und bei binationalen Paaren im
Besonderen
Die Partnerwahl ist ein Prozess, der verschiedene Entwicklungsaufgaben beinhaltet. Zunächst geht es darum, sich von der
Herkunftsfamilie zu lösen und sich für einen Mann oder eine Frau zu entscheiden
und eine Bindung einzugehen. Zu Beginn
der Beziehung findet ein intensiver Prozess des Sich-Kennenlernens statt, der im
Idealfall zu einer Persönlichkeitsentwicklung führt: Das eigene Selbst, die eigene
Identität wird durch die Auseinandersetzung mit dem Partner / der Partnerin differenziert. Nach der Entscheidung für einen
Partner / eine Partnerin und dem Eingehen einer verbindlichen Beziehung geht es
dann darum, eine gemeinsame Lebenswelt aufzubauen. Partnerschaft als Prozess bedingt ein Wachsen in gegenseitiger Herausforderung und Stimulation. Dabei ergibt sich die gemeinsame Weiterentwicklung, die Ko-Evolution aus der
Spannung der Unterschiede, des Einander-nicht-vollständig-verstehens und Einander-nicht-voll-entsprechens (Willi, 1985).
Bei binationalen Paaren finden die Prozesse des Kennenlernens und des Entscheids, eine Bindung einzugehen, allenfalls verkürzt statt. So kann es sein, dass
aufgrund von ausländerrechtlichen Bestimmungen und verschiedenen Herkunftsländern die Phase des unbeschwerten Verliebtseins und des langsamen SichKennenlernens nur verkürzt ist. Häufig
müssen diese Paare bereits nach kurzer
Zeit entscheiden, ob sie heiraten möchten,
damit sie überhaupt zusammenleben können. Dabei ist die Zeit unter Umständen zu
kurz, um wesentliche Punkte des Zusammenlebens und der Zukunftsvorstellungen
zu klären.
Beim Prozess der Differenzierung der eigenen Identität wird bei binationalen Paaren zusätzlich die eigene kulturelle Herkunft hinterfragt. Je unterschiedlicher die
Kulturen sind, desto mehr Differenzierungs- und Verständigungsprozesse werden vom Paar verlangt, damit KoEvolution im Sinn eines gemeinsamen
Wachsens möglich ist. Im Folgenden werden die besonderen Bedingungen von
binationalen Paaren hinsichtlich verschiedener Punkte beleuchtet:
Schwierigkeiten
Migration / Suche nach neuer
Heimat
Bei binationalen Partnerschaften kommt
es zur Migration eines Partners, entweder
bereits vor dem Kennenlernen oder danach. Migration bedingt grosse Anpassungsfähigkeit und macht Menschen möglicherweise anfälliger für psychische und
physische Erkrankungen. Die Heimat,
Freundinnen und Freunde, aber auch die
Herkunftsfamilie werden zurückgelassen.
Dies kann zu Entwurzelung, Einsamkeit,
einem Gefühl der sozialen Isolation und zu
Heimweh führen. Je nach Land muss eine
neue Sprache, in jedem Fall aber neue
soziale und kulturelle Regeln des Zusammenlebens erlernt werden. Die Arbeitssituation stellt ebenfalls Herausforderungen
für die ausländische Partnerin / den ausländischen Partner. Häufig ist es schwierig, Arbeit zu finden, berufliche Qualifikationen werden nicht anerkannt und der oder
die ausländische PartnerIn müssen Hilfsjobs verrichten oder bleibt arbeitslos. Je
nach Herkunft muss der oder die ausländische PartnerIn mit Vorurteilen oder Rassismus rechnen.
Ungleichgewicht in der Partnerschaft
Die Folgen der Migration wirken sich auf
die Partnerschaft aus. Alle obengenannten
Umstände können die Partnerschaft belasten und zu einem Ungleichgewicht führen. Der oder die heimische PartnerIn hat
mehr Zugang zu Ressourcen und übernimmt z.B. mehr Aufgaben nach aussen.
Er übersetzt für die Partnerin vor Behörden. Die einheimische Partnerin hat einen
grösseren Freundeskreis und die Herkunftsfamilie in der Nähe. Diese Beispiele
lassen sich beliebig ergänzen. Ein gutes
Gleichgewicht in der Partnerschaft ist aber
zentral für deren Gelingen (Jellouschek,
2005). Bereiche wie Geben - Nehmen,
Autonomie - Bindung, Sich durchsetzen Anpassen sind besonders störungsanfällig
für ein Machtungleichgewicht in der Partnerschaft.
Kulturunterschiede und daraus
folgende „Fallen“
Wir werden in eine Kultur hineingeboren
und merken erst, dass es Unterschiede
der Lebensformen gibt, wenn wir Erfahrungen ausserhalb unserer Lebenswelt
machen. „Ein Fisch ist sich des Wassers
nicht bewusst, bis er nicht mehr im Wasser
ist“ (Borboa, in Urech, Schiess & Stucki, S.
127)
Ali El Hashash, ein aus Jordanien stammender Soziologe und Begründer eines
Instituts für interkulturelle Kommunikation
beschreibt neben der Asymmetrie durch
Migration folgende Schwierigkeiten auf
Paarebene (Urech, Schiess & Stucki):


Es kann zu kulturell bedingten
Missverständnissen im kommunikativen
Bereich
kommen.
Kommunikation unterscheidet sich
in verschiedenen Kulturen beträchtlich. Dabei geht es sowohl
um verbale Kommunikation, als
auch um nonverbale Kommunikation wie Mimik und Gestik. So ist die
Gestik beispielsweise in Italien
schon sehr anders als in der
Schweiz. Unterschiedlich ist in Kulturen auch die Distanz zwischen
Individuen, also ob man sich zB. im
Zug in ein freies Abteil setzt oder
„aufschliesst“, also sich zu den anderen
hinsetzt.
Es kann zu kulturell bedingten
Missverständnissen durch unterschiedliche
soziokulturelle
Konzepte kommen. Dazu gehört
beispielsweise der Umgang mit
Zeit, aber auch die Vorstellungen,
was die Männer- bzw. Frauenrolle
beinhaltet, sowie die unterschiedliche Bedeutung von abstrakten
Begriffen wie Liebe, Demokratie,
Freiheit, etc.
„Obwohl wir verschieden sind, glauben wir
an das Gleiche.“
Chancen
Aus obengenannten Unterschieden ergeben sich folgende „Fallen“ für binationale
Paare:
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




Der einheimische Partner negiert
die asymmetrische Ausgangslage
und nimmt so die Schwierigkeiten
des Partners nicht ernst.
Unterschiede in Persönlichkeit oder
unterschiedliche Interessen werden
Kulturunterschieden zugeschrieben
und diese betont und eine eigentliche Auseinandersetzung vermieden.
Der ausländische Partner macht
Rassismusvorwürfe. Somit werden
Auseinandersetzungen im Keim
erstickt.
Der ausländische Partner weicht
auf die Opferrolle aus.
Diskriminierung, die ausländischer
Partner von aussen erlebt wird auf
Beziehung oder auf Partner projiziert.
Interessengegensätze werden von
einheimischem Partner auf Kulturunterschiede erklärt.
In einer Partnerschaft mit einem Partner
aus einem anderen Land lernt man eine
andere Kultur aus erster Hand kennen.
Man kann Einblick nehmen und wird Teil
der Familie, dies führt zu einer intensiven
Auseinandersetzung mit einer anderen
Kultur, einer anderen Sprache und anderen Familiengefügen. Dies Bedingt Offenheit und Toleranz, Respekt und gute
Kommunikationsfähigkeit. Wissen wird
erweitert, Eigenes hinterfragt und andere
Spielräume erschliessen sich.
Binationale Partnerschaften sind „Lehrstätten interkultureller Kompetenz“ (Urech,
Schiess & Stucki, 2005). Menschen, die
einen Partner aus einer anderen Kultur
heiraten, sind häufig offen, tolerant, interessiert und flexibel. Bereitschaft, sich mit
„dem anderen“ auseinanderzusetzen, sich
zuzuhören und zu verstehen versuchen,
Kompromisse und Konsens bilden zu können sind grundsätzlich gute Voraussetzungen für das Gelingen einer Partnerschaft.
In vielen Lebensbereichen müssen vom
Paar individuelle Lösungen gefunden werden. Grundlage für das Gelingen einer
binationalen Partnerschaft ist die Qualität,
Stabilität und Tragfähigkeit der Beziehung.
Wichtig sind Kooperationsbereitschaft,
Pflegen von Gemeinsamkeiten, Umgang
mit Differenzen und Offenheit für den
Partner / die Partnerin.
(www.binational.ch)
Herausforderungen
Umgang mit verschiedenen
Religionen
„Wie hältst Du es mit der Religion?“
Kindererziehung
Wichtige Ereignisse des Lebens wie Geburt, Hochzeit, Tod werden mit besonderen Bräuchen und Festen begangen. Religiöse Überzeugung, kulturelles Erbe und
volkstümliches Brauchtum wirken hier zusammen. Auch wo religiöse Bindung weniger stark geworden ist, leben Bräuche
weiterhin und erfüllen ihre Funktion als
sinngebendes Element für Übergänge. Für
bikulturelle Paare stellen sich konkret die
Fragen, welche Feste sie feiern möchten
und welche Bräuche sie leben, aber auch
welcher Religion ihre Kinder angehören
sollen und welche religiösen Werte sie
ihnen vermitteln möchten.
Bei der Kindererziehung werden implizite
Wertvorstellungen und Normen explizit
gemacht. Erziehung ist auch ein intuitiver
Prozess und wird von eigenen Erfahrungen bestimmt. Hier können Unterschiede
besonders deutlich ausfallen und brauchen eine intensive Auseinandersetzung.
Diese Unterschiede sind nicht nur in binationalen Beziehungen bedeutsam, können
aber durch kulturelle Unterschiede verschärft werden. Es ist wichtig, sich über
Unterschiede klar zu werden und damit
einen Umgang zu finden, um den Kindern
klare Leitplanken zu vermitteln.
Kinder aus binationalen Beziehungen haben in beiden Kulturen Wurzeln und somit
ein Anrecht darauf, den Zugang zur Kultur
des anderen Elternteils zu haben. Wichtig
für die Identität sind Kontakte zu Familienmitgliedern im Heimatland oder zu
Landsleuten.
Früher hielt man Zweisprachigkeit für ein
Hindernis beim Spracherwerb, in der Zwischenzeit hat sich gezeigt, dass die meisten Kinder keine Probleme mit Zweisprachigkeit haben. Wichtig ist, dass eine
Sprache relativ konsequent vom immer
gleichen Elternteil gesprochen wird. Dies
kann in der Familie dann zu Schwierigkeiten führen, wenn einer der Partner die
Sprache des anderen nicht versteht und
sich in der Folge ausgeschlossen fühlt.
Trennung / Scheidung
Eine Trennung / Scheidung ist für die
meisten Menschen ein kritisches Lebensereignis, bei binationalen Paaren kommen
zusätzliche Schwierigkeiten zum Tragen.
Unter Umständen muss der ausländische
Partner / die ausländische Partnerin die
Schweiz verlassen. Dies kann zu einem
hohen Druck auf die Partnerschaft führen
und stellt faktisch ein Machtungleichgewicht dar.
Bei gemeinsamen Kindern kann das Besuchsrecht nicht mehr oder nur noch erschwert ausgeübt werden, wenn ein Partner im Ausland lebt. Die Beziehung zwischen diesem Elternteil und dem Kind verschlechtert sich, es droht Entfremdung.
Zudem kann in konfliktreichen Scheidungen passieren, dass die Kultur des anderen Elternteils abgewertet wird, was für die
Kinder und deren Identität verständlicherweise schwierig gilt. Auch bei binationalen
Paaren gilt: auch getrennte Eltern bleiben
Eltern und sollen zum Wohl der Kinder
möglichst weiterhin kooperieren können.
Zum Schluss
„Interkulturelle Ehen sind der beste Beweis dafür, dass durch Unterschiedlichkeiten Entwicklungen in Gang gesetzt werden. Völkerverständigung und friedliche
Koexistenz bedeuten aber nicht, dass am
Ende alle gleich sein müssen. Es ist wichtig, dass man sich gegenseitig in seinem
Anderssein respektiert“ (Ali Sarhan in
Urech, Schiess & Stucki, S. 44)
Das Leben in einer binationalen Partnerschaft erfordert von beiden Partnern ein
hohes Mass an Flexibilität, Fähigkeit, Gewohntes zu hinterfragen, Offenheit und
Mut zur Auseinandersetzung. Es gibt zweifellos viele Hürden und Vorurteile zu meistern. Wenn dieser Prozess der Auseinandersetzung gelingt, ist die binationale
Partnerschaft oder Familie eine Bereicherung für die Betroffenen, aber auch für das
Umfeld und die Gesellschaft. Es ist aber
auch möglich, dass die Schwierigkeiten
die individuellen Möglichkeiten des Systems überfordern und die Schwierigkeiten
letztlich unüberbrückbar werden.
Entwicklung hört nie auf. Eine Paarbeziehung ist nicht statisch, sondern von Höhen
und Tiefen gezeichnet. Krisen führen zu
Auseinandersetzungen, Suchbewegungen
und Neuorientierung. Ein besonders wichtiger und letztlich in jeder Beziehung zentraler Punkt für das Gelingen einer Partnerschaft ist der konstruktive Umgang mit
Unterschieden. Das Respektieren und
Akzeptieren von Andersartigkeit ist eine
wichtige Grundlage für eine wertschätzende, erfüllende und bewegte Beziehung binational oder nicht!
Daniela Holenstein
Fachpsychologin für Psychotherapie FSP
Fachstellen / Organisationen:
 Ig binational. Interessengemeinschaft
für binationale Paare mit Treffen und
Bulletin: www.ig-binational.ch
 Frabina. Beratungsstelle für Frauen und
binationale Paare, Laupenstrasse 2,
3008 Bern,
031 381 27 01
www.frabina.ch
 Verbund der Beratungsstellen für binationale und interkulturelle Paare und
Familien, www.binational.ch
Filmempfehlung zum Thema:
Destination Liebe. Regie: S. Neuenschwander, K. Oester u.a. Arbeitsgruppe swiss links, Schweiz 2002
Die Fotos wurden uns freundlicherweise
zur Verfügung gestellt von der Beratungsstelle für Familien, St. Gallen. Die Bilder
wurden im Rahmen einer Fotoausstellung
gezeigt, die visuell besticht und der Thematik ein Gesicht gibt.
Literatur:
 Frabina. Fragen und Überlegungen zu
binationaler Freundschaft und Ehe.
Download www.frabina.ch
 Jellouschek, Hans. Die Paartherapie.
Kreuz Verlag, Stuttgart 2005.
 Urech, Schiess und Stucki (Hrsg.), Atlantis pro juventute 2005.Binational?
Genial! Der Beobachter-Ratgeber für
binationale Paare mit Kindern.
 Wiessmeier Brigitte (Hrsg.) Binational
ist doch viel mehr als deutsch. Studien
über Kinder aus bikulturellen Familien.
LIT-Verlag, Münster, 1999.
 Willi, Jürg: Entwicklungsaufgaben bei
der Partnerwahl. Handout aus einer
Weiterbildung.
 Willi, Jürg: Koevolution. Die Kunst gemeinsamen Wachsens. Rowohlt Reinbek bei Hamburg, 1985.
 Wikipedia