‚Die Andere Wahrheit` in Günter Grass` Romanen Der Butt und Die
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‚Die Andere Wahrheit` in Günter Grass` Romanen Der Butt und Die
Universität Gent 2009-2010 ‚Die Andere Wahrheit‘ in Günter Grass’ Romanen Der Butt und Die Rättin Eine erzähltechnische Analyse Promotor: Prof. Dr. Biebuyck Verhandeling voorgelegd aan de Faculteit Letteren en Wijsbegeerte voor het behalen van de graad van Master in de Vergelijkende Moderne Letterkunde door Saartje Gobyn 1 Die Märchen hören nur zeitweilig auf oder beginnen nach Schluß aufs neue. Das ist die Wahrheit, jedesmal anders erzählt.1 2 1 2 Grass, Günter: Der Butt, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1977, S. 555. Grass, Günter: Worüber ich schreibe (http://www.kunsthaus-luebeck.de/sites/grass/kuechenzettel/g02.htm) 2 DANKESWORT Es ist eine angenehme Pflicht, mich beim Beendigen dieser Arbeit bei denjenigen Menschen, die mir beim Zustandekommen dieser Magisterarbeit geholfen haben, zu bedanken. Zuerst gebührt meinem Promoter Herrn Professor Biebuyck ein aufrichtiges ‚Danke schön„. An erster Stelle, war er es, der die Interesse für Grass„ Literatur bei mir erweckt hat. Er hat mich während zwei Jahre betreut und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Immer hat er Zeit dafür gemacht, Probleme zu besprechen und nützliche Tipps und Informationen zu verschaffen. Weiter will ich mich auch gern bei allen Mitgliedern der Forschungsgruppe Deutsche Literaturwissenschaft bedanken. Ich hatte die Chance, dieses Jahr ein Praktikum bei der Forschungsgruppe machen zu können und konnte so aus der Nähe erfahren, wie ‚das Leben eines Forschers„ aussieht. Weiter habe ich aus ihrer Expertise lernen können. Das Praktikum erlaubte mir auch, die Literatur von Grass zu vertiefen, was meine Magisterarbeit nur zugute kommen konnte. Zum Schluss will ich auch meine Mutter und Geschwister aufrecht bedanken. Ihre moralische Unterstützung und liebe Worte haben mich oft aufgemuntert. 3 INHALT Einführung 1. Eine literarische Einheit 6. 11. 1.1.Kontinuität inhaltlicher Elemente in Der Butt und Die Rättin 11. 1.2. Kontinuität formaler Elemente in Der Butt und Die Rättin 14. 2. Technische Analyse des Erzählvorgangs 17. 2.1. Autor versus Ich 17. 2.2. Behandlung der Zeit 18. 2.3. Spaltung des Erzählers 21. 2.3.1. Platz des Erzählers: wörtlich und figürlich 24. 2.3.2. Kampf um Anerkennung 25. 2.4. Die Rättin als Widerspieglung von Der Butt 3. Die Parenthese in Der Butt und Die Rättin 28. 30. 3.1. Theoretischer Hintergrund 30. 3.2. Belegstellung 31. 3.3. Funktionen der Parenthese 33. 3.3.1. Gleichzeitiges Universum 33. 3.3.2. Meta-Kommentare 38. 3.3.3. Betonung der Macht 40. 3.3.4. Projektion des Lesers 44. 3.3.5. Die ‚nicht-erzählte„ Geschichte 47. 3.3.6. Verneinung der Zeugenrolle 50. 4. Pragmatik in Der Butt und Die Rättin 4.1.Symbole 54. 54. 4.1.1. Die dritte Brust 54. 4.1.2. Das Dritte Programm 57. 4.2. Besondere Merkmale der Schreibtechnik 59. 4.2.1. Metaliterarische Aussagen 59. 4.2.2. Kreisende Geschichte 62. 4 4.2.3. Betonung der literarischen Konstruktion 63. 4.3. Der Butt und Die Rättin als historische Romane 64. Schlussfolgerungen 66. Bibliografie 69. 5 EINFÜHRUNG Aber Sie und Ich wissen, daß die Geschichten nicht aufhören können, immer wieder anders und anders wirklich zu verlaufen.3 Wenn wir das Oeuvre Grass‟ einer genauen Analyse unterziehen, fällt sofort auf, dass die verschiedenen Romane sich gegenseitig aufeinander beziehen. Die Werke verweisen explizit oder implizit aufeinander und auch die behandelten Themen zeigen, dass die Romane in Beziehung zueinander stehen. So werden verschiedene Motive immer wieder aufgegriffen, bekommen aber in dem einen Roman mehr Aufmerksamkeit als in dem anderen. So hat Hanspeter Brode bemerkt, dass „Grass ein enges Netz von Anspielungen, Verweisen, Vorund Rückdeutungen knüpft um auf diese Weise Schauplatz und Personenumfeld, historischpolitische Thematik und Chronologie als zusammenschließendes Band um seine Bücher zu [legen]“4 und auch Enzensberger „vermutet, daß Grass an einem größeren Ganzen schreibt.“ 5 Die Versenkung des Schiffes ‚Wilhelm Gustlov‟ zum Beispiel wird zum ersten Mal in Die Blechtrommel erwähnt6 und wird dann 2002 zum Hauptthema von Im Krebsgang, taucht aber zwischendurch zum Beispiel in Die Rättin auf. Die Mutter des Romanerzählers aus Im Krebsgang, Tulla Pokriefke, ist schon in Katz und Maus und Hundejahre anwesend und manchmal wird suggeriert, dass sie ursprünglich als Schwester Oskar Matzeraths konzipiert wurde.7 Aussagen wie: „Richtig“, sagt er [Oskar], „die kleine Pokriefke, ein Luder besonderer Art, wurde Tulla gerufen, war aber auch unter dem Decknamen Luzie Rennwand bekannt. Die hätte ich nicht zur Schwester haben mögen“ 8 muten in diesem Licht besonders ironisch an. Lars Korten hat darauf hingewiesen, dass Katz und Maus und Im Krebsgang auch noch auf eine andere Weise miteinander in Beziehung stehen.9 Am Ende des 10. Kapitels von Katz 3 Grass, Der Butt, S. 172. Brode, Hanspeter:“ Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß“ Zur erzählerischen Kontinuität im Werk von Günter Grass. In: Günter Grass: Auskunft für Leser. Hg. v. Franz Josef Görter. Darrmstadt: Luchterhand, 1984, S. 80. 5 Brode,“ Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß“ Zur erzählerischen Kontinuität im Werk von Günter Grass. S. 82. 6 Grass, Günter: Danziger Trilogie. Die Blechtrommel, Katz und Maus, Hundejahre. Darmstadt: Luchterhand, 1980, S. 45. 7 Wassmann Elena: Die Novelle als Gegenwartsliteratur: Intertextualität, Intermedialität und Selbstreferentialität bei Martin Walser, Friedrich Dürrenmat, Patrick Süskind und Günter Grass. St. Ingbert: Röhrig Verlag, 2009, S. 345. 8 Grass, Günter: Die Rättin. München: Deutscher Taschenbuchen Verlag, 1998, S. 91. 9 Korten, Lars: Gibt es eine postmoderne Novellistik? Anmerkungen zu Texten von Martin Walser, Christoph Hein, Günter Grass und Uwe Timm. In: Moderne, Postmoderne - und was noch? Hg. v. Sagmo Ivar. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2007, S. 140. 4 6 und Maus wird gefragt: „Gibt es Geschichten, die aufhören können?“10, worauf Im Krebsgang mit den Schlusssätzen „Das hört nicht auf. Nie hört das auf“ 11 antwortet. Ein anderes deutliches, thematisches Beispiel dieser Ganzheit ist zweifellos die Figur Oskar Matzerath. Oskar Matzerath, der Erzähler und zugleich die Hauptfigur in Die Blechtrommel, taucht als 60-jähriger Filmmacher aufs Neue in einem der Erzählstränge in Die Rättin auf. Oskar wird aber nicht einfach so aufgeführt, der Erzähler stellt ihn als ‚alter Bekannter‟12 vor und macht deutliche Anspielungen auf seine literarische Vergangenheit: Unser Herr Matzerath hat allerlei und bald auch seinen sechzigsten Geburtstag hinter sich. Selbst wenn wir den Prozeβ und die Verwahrung in einer Anstalt, zudem das Unwägbare der Schuld außer acht lassen, hat sich nach seiner Entlassung viel Mühsal auf Oskars Buckel gehäuft.13 In Pausen, die er sich selten einräumt, wird ihm seine Kindheit gewichtig, der er sich alternd wieder zu näheren wünscht: der Sturz von der Kellertreppe, Besuche beim Arzt, zu viele Krankenschwestern…14 In dem jüngeren Roman wird er aber vom Erzähler zum erzählten Objekt. Auch wenn wir in Der Butt über „jene[n] dreijährige[n] Junge, der wütend auf seine Blechtrommel schlug“ 15 lesen, wird implizit auf die Figur Oskar angespielt. Solche eigenartigen intertextuellen Verweise durchkreuzen das ganze Oeuvre Grass‟. Obwohl dies nur einige Beispiele sind und es noch dutzend andere gibt, werden wir sie dennoch als repräsentativ für das Oeuvre Grass‟ betrachten. Seine Texte bilden ein Knäuel, in dem ständig Elemente wiederkehren und in dem die unterschiedlichen Romane auf einander verweisen. Die Werke, auf die hingewiesen wird, werden entweder als ein fiktives Dokument oder als ein reales Ereignis präsentiert. Diese Arbeit bietet aber weder die Zeit noch den Raum, das ganze literarische Knäuel zu entwirren. Statt dem ganzen Oeuvre Grass‟ Aufmerksamkeit zu schenken, wird dafür optiert, zwei Romane, Der Butt und Die Rättin, genau unter die Lupe zu nehmen. Da auch Die Blechtrommel in enger Beziehung zu diesen Werken steht, wird dieser Roman manchmal mit einbezogen, dennoch wird Die Blechtrommel in dieser Arbeit nicht auf ausführliche Weise analysiert. Der Butt ist 1977 erschienen und behandelt die Geschichte der Menschheit von der Jungsteinzeit bis in die 70er Jahre. Ein zentrales Ich, das als Erzähler auftritt, versetzt sich in jede Epoche und berichtet über die damaligen Geschehnisse. Ausgangspunkt und 10 Grass, Günter: Danziger Trilogie. Die Blechtrommel, Katz und Maus, Hundejahre. Darmstadt: Luchterhand, 1980, S. 599. 11 Grass, Günter: Im Krebsgang, Göttingen: Steidl Verlag, 2002, S. 216. 12 Grass, Günter: Die Rättin. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007, S. 27. 13 Grass, Die Rättin, S. 28. 14 Grass, Die Rättin, S. 60. 15 Grass, Der Butt, S. 457. 7 strukturgebendes Merkmal des Romans ist das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau. Besondere Aufmerksamkeit liegt auf dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen über die Jahrhunderte hinweg. Der sprechende Plattfisch aus dem Märchen – der Butt – tritt in der Geschichte als Berater der Männersache auf. Diese thematische Konstante wurde zur Zeit der Erstveröffentlichung stark von Feministinnen angegriffen, welche dem Roman aufgrund dessen ein frauenfeindliches Weltbild unterstellten. In Bezug darauf äußerte Grass selbst die Idee, dass der Roman nach einer Fortsetzung mit einem weiblichen Erzähler verlange. 16 Neun Jahre darauf, 1986, wird Die Rättin veröffentlicht. Der Roman führt zu Anfang ein Erzähler-Ich und eine Ratte ein, die das Ich als Weihnachtsgeschenk bekommen hat. Rasch entsteht zwischen dem Ich-Erzähler und seinem Weihnachtsgeschenk ein Erzählkampf. Beide streiten darüber, wer eine Geschichte oder ‚die„ Geschichte erzählen darf. Die Rättin berichtet über den ‚Groβen Knall‟, über das Ende der Welt. Der Ich-Erzähler will dieses Ende bestreiten, seine Welt und seine Rasse retten, indem er ‚Gegengeschichten‟ erzählt. So finden wir im Roman verschiedene Erzählstränge vor. Die Hauptgeschichten behandeln den jetzt 60jährigen Oskar Matzerath, das Aussterben der Märchen, den Maler-Fälscher Malskat und fünf Frauen an Bord des Schiffes ‚Die Neue Ilsebill‟. Im Laufe des Romans werden die Geschichten auf eine eigenartige Weise miteinander verwoben. Mit seinen Erzählungen versucht der Ich-Erzähler die Ratte im wörtlichen Sinne zu über-reden, um so das Ende der Welt rückgängig zu machen, oder wie er selber sagt: ‚ich [will] durch Wörter das Ende aufschieben.‟17 Die ersten Sätze des Romans verraten aber, dass „das Tier gewann“ 18 und, dass die Menschheit von dem großen Knall zerstört wird. Diese Tatsache lässt sich aber auch bestreiten, denn die Geschichte ermöglicht viele und unterschiedliche Interpretationen. Die Wahl der zwei Werke lässt sich motivieren durch die Tatsache, dass wir beide Texte als eine kleine literarische Ganzheit betrachten können. Zudem wird manchmal behauptet, dass Die Rättin die weibliche Fortsetzung von Der Butt sein könnte. Beide Romane sind thematisch und stilistisch auf eine ähnliche Weise aufgebaut. Weiter tauchen in den zwei Texten auch wiederkehrende Elemente auf, sodass die Werke deutlich aufeinander verweisen und eine gemeinsame Analyse sich aufdrängt. Dieses Projekt ist kein Plädoyer dafür, dass beide Werke nicht mehr separat gelesen werden können, aber da sie viele Bezüge – 16 U.a.: Julian Preece: “The Transparency of the Male Narrative in “Der Butt” by Günter Grass.” In: The Modern Language Review. (Okt. 1995), S. 955-966, S. 960. Julian Preece: The life and work of Günter Grass: literature, history, politics. Groß-Britanien: Palgrave Macmillan, 2004, S. 145. 17 Grass, Die Rättin, S. 16. 18 Grass, Die Rättin, S. 7. 8 thematisch und strukturell – aufzeigen, kann eine gemeinsame Lektüre neue, interessante und zusätzliche Informationen liefern. Es fällt auf, dass viele Untersuchungen über ‚Grassliteratur„ um thematische und vor allem politische Aspekte herum kreisen; seine Romane werden auch oft als politische Flugblätter gelesen. Untersuchungen, die die narratologischen Merkmale und den Schreibstil vertiefen, sind schon immer – und vor allem in die letzten Jahrzehnten – in der Unterzahl. Diese Arbeit will versuchen, diese Lücke ein wenig zu füllen und baut daher auf eine erzähltechnische Analyse. Der Fokus liegt auf dem Aufbau der Werke und wie sie ihre Botschaft vermitteln. Auffallend in Bezug auf den Schreibstill ist das vielfältige Auftreten der Parenthese, welche dann auch besondere Aufmerksamkeit bekommt. Die Belegstellung dieser Stilfigur wird in beiden Romanen unter die Lupe genommen und sie wird auf ihre Funktion hin untersucht. In einem ersten Teil wird die Einheit zwischen Der Butt und Die Rättin untersucht. Inhaltliche sowie formale Elemente, die beide Romane gemeinsam haben, werden nacheinander betrachtet. Wie sich zeigen wird, sind die auffallendsten thematischen Elemente in beiden Büchern der Butt und der Feminismus. Auch den Märchen wird eine wichtige Rolle zugewiesen. Auf formaler Ebene springen die Gedichte in beiden Romanen sofort ins Auge. Eine technische Analyse des Erzählvorgangs steht im zweiten Teil an zentraler Stelle. Zuerst wird kurz auf die Ähnlichkeit zwischen dem Autor Grass und seinen Erzählern eingegangen. In der Analyse der Erzählperspektive wird sich herausstellen, dass die Spaltung der beiden Erzählinstanzen eine wichtige Rolle in beiden Romanen einnimmt. Dieser Punkt wird dann auch mit einbezogen und vertieft. Da der Umgang mit der ‚Zeit„ die beiden Werke in besonderem Maße prägt, wird auch die Zeitauffassung in Der Butt und Die Rättin analysiert. Wie sich zeigen wird, lassen sich die beiden Romane auch in dieser Hinsicht gut miteinander vergleichen. Nach einer genauen Lektüre der beiden Romane fällt auf, dass die Stilfigur der Parenthese überdurchschnittlich oft vertreten ist, so dass sich die Frage stellt, ob der Schaltsatz, neben der üblichen Funktion, noch eine weitere, tiefere Bedeutung haben kann. Diese Frage soll daher im dritten Teil an zentraler Stelle stehen. Zuerst wird ein kurzer theoretischer Hintergrund der Parenthese skizziert. Danach wird die Belegstellung der Stilfigur in beiden Romanen erforscht. Die Frage, ob sich eine Systematik in dem Gebrauch der Parenthese entdecken lässt, wird gelöst und schließlich wird die Stilfigur auf ihre Funktion erfragt. Wie sich herausstellen wird, erfüllt die Parenthese in Der Butt sowie in Die Rättin verschiedene Funktionen. Frappant ist, dass die Stilfigur oft, mittels nur eines Wortes 9 eine ‚unerzählte„ Geschichte mit einbezieht. Dadurch gibt die Parenthese oft eine ‚andere Wahrheit„, neben der bereits vorhandenen, wieder. Dieser letzte Punkt bringt uns zu einem der ‚wichtigsten„ Merkmale Grass„, der oft als Autor des ‚dritten Weges„ charakterisiert wird. Aus dem dritten Kapitel lässt sich schließen, dass der Schreibstil in Der Butt und Die Rättin den Inhalt reflektiert. Mittels Stilfiguren wird eine der pragmatischen Aspekte – die Existenz eines ‚dritten Weges„ – der beiden Romane betont. Wichtig ist, dass nicht nur die Parenthese diese Existenz unterstreicht. Zuerst werden zwei Symbolen, die den dritten Weg mitgestalten in Der Butt und Die Rättin, Aufmerksamkeit geschenkt. Weiter werden einige besondere Merkmale der Schreibtechnik analysiert und wird gefragt, ob auch die Merkmale die Existenz alternativer Wahrheiten markieren. Zum Schluss werden Der Butt und Die Rättin als historische Romane betrachtet, und wird erforscht welche Folgen diese Lektüre für den pragmatischen Aspekt von Grass„ Poetik hat. 10 1. EINE LITERARISCHE EINHEIT In der Einführung wurde bereits erwähnt, dass Der Butt und Die Rättin sich, sowohl auf dem Gebiet des Inhalts als auf dem Gebiet des Stils, nah anschließen. Die Absicht ist, dieses Thema im ersten Kapitel zu vertiefen, so dass wir die Frage, ob sich die beiden Romane tatsächlich als eine literarische Einheit lesen lassen, beantworten können. 1.1. Kontinuität inhaltlicher Elemente in Der Butt und Die Rättin Am deutlichsten sehen wir die Kontinuität inhaltlicher Elemente in der Figur des Buttes. Der Butt erzählt die Geschichte der Menschheit aus männlicher Perspektive her. Berater der Männer durch die Jahrhunderte hindurch ist der Butt aus dem Grimmschen Märchen Von dem Fischer und seiner Frau, das die Basis von Der Butt bildet. In Die Rättin taucht der Plattfisch wieder auf, hat aber, genau wie am Ende von Der Butt, das Lager gewechselt und berät jetzt anstatt der Männer die Frauen. Auffallend aber ist, dass der Fisch in Die Rättin nur als passives Objekt eine Rolle bekommt: der Fisch existiert nur in der Rede der Frauen, er hat keinen aktiven Anteil im Roman. Nach dem Lesen von Die Rättin erhebt sich die Frage, inwieweit wir diesen Roman als eine Fortsetzung von Der Butt betrachten sollen. Der Feminismus aus Der Butt bekommt in dem Erzählstrang der fünf Frauen eine deutliche Fortsetzung. Weiter hat Grass, wie oben schon erwähnt, nachdem Der Butt erschienen war, geäußert, dass der Roman eine Fortsetzung bekommen müsste, aber dann von einer Frau erzählt. Auch die Tatsache, dass Grass Die Rättin anfangs Das Meer oder Die Neue Ilsebill nennen wollte, spricht für eine solche Interpretation.19 Auffallend in diesem Bezug ist, dass die fünf Frauen aus Die Rättin auf dem Laufenden sind, über was in Der Butt vorgefallen ist, und auch auf die Ereignisse des älteren Romans hinweisen. Diese Tatsache spricht aus Textstellen wie: Hier [vor der Küste Ostholsteins] etwa haben wir Anfang der siebziger Jahre den Butt gefangen. Zufällig. Mit ner Nagelschere. Hat der das Maul aufgerissen! Lauter Hoffnungen und wunderhübsche Versprechungen. Wurde nichts draus. Alles nur Quallen, die schrumpfen, sobald du sie anguckst. 20 In Der Butt hieß es folgendermaßen: 19 Julian Preece, The life and work of Günter Grass: literature, history, politics. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2004. 20 Grass, die Rättin, S. 63. 11 hatte Siggi ihren Spazierstock – ein ordinär männliches Stück mit metallenem Reiseandenkenbeschlag – ins Boot mitgenommen. Dieser Stock diente als Angel. Ein gewöhnlicher Bindfaden hing ihm an. Der Haken war eine geschlechtslose Nagelschere. […] „Was uns praktisch fehlt“, sagte Fränki beim Schiffchenfalten, „ist ne ideologisch saubere Überichstütze.“ Da biß der Butt an. Glaub mir, Ilsebill! Aufs Stichwort mit Absicht.21 Darüber hinaus erinnert die Beschreibung der fünf Frauen aus Die Rättin manchmal sehr stark an die Darstellungen der Köchinnen. In Der Butt treten „Neun und mehr Köchinnen“22 auf. Wenn wir die Köchinnen im Kopf des Erzählers, „denn nur von Köchinnen kann ich erzählen, die in mir hocken und raus wollen“23, nachzahlen, kommen wir zu einem Schluss von zwölf Frauen.24 Auch in Die Rättin ist am Anfang von einer gleichen Zahl die Rede: „Eigentlich sollten die fünf Frauen an Bord des Schiffes ‚Die Neue Ilsebill„ zwölf Frauen sein. So viele hatten sich für die Forschungsreise auf dem ehemaligen Lastewer angemeldet; und eine gleich übertrieben hohe Zahl versammelte ich anfangs im Kopf.“ 25 Die zwölf Frauen rufen die Köchinnen aus Der Butt in Erinnerung. Übrigens wird auch in diesem Zitat darauf hingewiesen, dass die Seefrauen sich im Kopf des Erzählers versammeln, gerade wie auch die Köchinnen in ihm hockten. An anderen Stellen wird deutlich, dass die Frauen und das Ich schon eine Vorgeschichte haben: „Mehr weiß ich von ihren Träumen nicht, so nah mir alle gewesen sind.“26 und auch folgendes Zitat zeigt eine gemeine Geschichte auf: Unter Deck einzig ich. Ich schnüffle in ihren restlichen Siebensachen, die unter den Matten oder im Bugschrank in Seesäcken und Koffern offen liegen. Alles Schamlos befingern. Ich suche Briefe aus früher, noch früher Zeit – Geständnisse und Beteuerungen – und finde keinen Zettel, der mich auswiese. Ich sehe rasch Fotos durch, auf denen ich fehle. Andenken, Schmuck, Ketten aus geflochtenem Silber, doch kein Stuck darunter, dass ich zum Geschenk gemacht hätte.27 Vor allem die „Geständnisse und Beteuerungen“, können wir als eine deutliche Anspielung auf Der Butt verstehen. Und könnte das Ich vielleicht die Halskette Wiggas, aus Bernstein hergestellt, zwischen den anderen Schmuckstücke suchen? Das ganze Schreibprozess wird im Roman mit einbezogen – was später noch ausführlicher an die Reihe kommt. Dürfen wir dann vielleicht annehmen, dass Grass in seinem Roman auch die Entstehungsgeschichte des Romans mitreflektiert? Wir können stellen, dass Grass tatsächlich eine Folgerung auf Der Butt schreiben wollte, und dies mit seinen Köchinnen. Während des Schreibens hat er zwar 21 Grass, Der Butt, S. 39. Grass, Der Butt, S. 13. 23 Grass, Der Butt, S. 13. 24 Aua, Wigga, Mestwina, Dorothea, Margarete Rush, Agnes, Amanda Woyke, Sophie Rotzoll, Lena Stubbe, Sibylle (Billy), Maria, Ilsebill. 25 Grass, Die Rättin, S. 36. 26 Grass, Der Butt, S. 93. 27 Grass, Die Rättin, S. 94. 22 12 die Zahl vermindert, aber die Idee, dass auch diese Frauen eine ‚Ilsebill„ sein werden, blieb. Programmatisch in diesem Sinn ist auch der Name des Schiffes, ‚Die Neue Ilsebill„. Die Kenntnisse der Frauen, über dasjenige, was sich in Der Butt gespielt hat, können wir dann als eine übergreifende Allwissenheit verstehen. Ein anderes häufig auftauchendes Element ist das Märchen, welches zwischen der inhaltlichen und der formalen Ebene schwebt. Wie oben schon angegeben, ist das Märchen in Der Butt allgegenwärtig. Ausgangspunkt des Romans ist das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau und oft finden wir explizite Hinweise auf dieses Märchen vor – obwohl der Inhalt sich geändert hat – so z.B. ‚Ach Butt! Dein Märchen geht böse aus.‟ 28 Die Märchenverweise sind aber auch implizit im Roman verarbeitet. Nachdem die Brüder Grimm, Bettina Brentano, Arnim von Achim, Philipp Otto Runge, und Clemens Brentano sich darüber gestritten haben, ob Ilsebill im Märchen repräsentativ für die Frau ist, entscheiden sie sich, die Gemüter mit einem Waldspaziergang zu beruhigen: „Also gingen sie in den Wald und sahen ihn auf verschiedene Weise. Jeder ging mit einem Korb. Auf Rufweite wollten sie beieinander bleiben, um sich nicht zu verlaufen.“29 Der Wald, der Korb und das Sich Verlaufen sind übliche Elemente eines Märchens30 und auch in dem darauffolgenden Abschnitt werden Verweise auf andere Märchen hineingearbeitet.31 Die Gesellschaft schreibt hier also, im kurzen, ein eigenes Märchen. Durch die vielen Elemente, die außerhalb der fiktionalen Welt nie stattfinden könnten, die wir aber während des Lesens ohne Probleme für wahr halten, präsentiert der ganze Roman sich auch selber wie ein modernes Märchen, zwar ein Kunstmärchen. In Die Rättin dann taucht in einem der fünf Erzählstränge eine Mischung von Märchenfiguren auf.32 Diese Figuren behalten alle Eigenschaften, die sie in ihrem Märchen haben, benutzen die aber jetzt um ihren Wald retten zu können. Dazu kommt, dass auch das Märchen Der Rattenfänger von Hameln gänzlich, aber aufs Neue deformiert, in Die Rättin aufgenommen worden ist. Auch Die Rättin können wir als ein modernes, apokalyptisches Kunstmärchen verstehen. Beide Romane teilen also eine märchenhafte Verfremdung ihres Stoffes. Grass selber hat zu dem Gebrauch der Märchen Folgendes geäußert: 28 Grass, Der Butt, S. 552. Grass, Der Butt, S. 358. 30 Lüthi, Max: Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen Erzählender Dichtung. Bern: Francke Verlag, 1966, S. 11. 31 So treffen sich Arnim und Bettina „am Rand einer Lichtung, die sich um ein dunkles Wasserloch ergab‟ (Grass, Der Butt, S. 358) , was auf die Geschichte der zwei Königskinder hinweisen kann. Am Ende verlieren die Figuren sich dennoch im Wald aber werden plötzlich auf märchenhafte Weise von einem Forstmeister gerettet. (Grass, Der Butt, S. 360). 32 Figuren aus den Märchen von den Brüdern Grimm, Perrault, Andersen und sogar Musäus sind anwesend. 29 13 Allenfalls spricht noch aus Märchen Wahrheit, während uns die so vernünftig geknüpften Sachzwänge unserer Tage um jede Erkenntnis bringen. […] Könnten nicht sie, die Literaten, ihr, der Vernunft, die immerhin vernünftige Einsicht beibringen, daß Märchen, Mythen und Sagen nicht außerhalb unserer Wirklichkeit entstanden sind, also nicht irreal am Rande hausen und reaktionäre Finsternisse beschwören müssen, sondern Teil unserer Realität und kräftig genug geblieben sind, um uns klarer, wenn auch mit gesteigertem Ausdruck in unserer existentiellen Not und Wirrnis darzustellen, als es die überdies wortarm gewordene, nur noch im Fachjargon nuschelnde Vernunft vermag? 33 Im Licht dieses Zitats wird deutlich, dass die Märchen eine Gegenkraft darstellen, mit der das Ich aus Die Rättin sogar die Welt zu retten versucht. Auch Zhang weist darauf hin, dass die Märchen – nicht nur in Die Rättin – eine „Gegenposition zu der kapitalistischen Industriegesellschaft, in der Technik, Fortschrittsglaube und Vernunft herrschen“ 34 vertreten. Um die Verarbeitung von Volksmärchen bei Grass genauer analysieren zu können, sollte diesem Thema aber eine eigenständige Forschung gewidmet werden. 1.2. Kontinuität formaler Elemente in Der Butt und Die Rättin Wie angekündigt, lenkt das Märchen auch auf eine formale Ebene Die Rättin und Der Butt. Auch wenn von Märchenfiguren nicht die Rede ist, tauchen märchenhafte Floskeln auf, so zum Beispiel in Die Rättin: „Es war einmal ein Land, das hieß Deutsch…“35 Dieser Satz wird nicht vollendet, und man könnte vermuten, dass der Leser die Geschichte einfach selber auf ‚märchenhafte‟ Weise ausfüllen muss. Die Aussage aber verweist auf ein früheres Gedicht, das alles andere als märchenhaft ist, wie u.a. folgende Zeile zeigen: „Nun gab es sich eine Idee, die Stiefel trug, / gestiefelt als Krieg ausging, um die Welt zu sehen / […] / Doch rückläufig gelesen, konnte die gestiefelte Idee / als Verbrechen erkannt werden: so viele Tote.“36 Mit märchenhaften Aussagen wird eine schreckliche Geschichte erzählt, und dies wirkt, wie oben schon erwähnt, verfremdend für den Leser. Die Märchenfloskeln werden in diesem Kontext mit dem Inhalt von dem, was sie einleiten, kontrastiert. Auf diese Weise wird der Gräuel, über den erzählt wird, extra betont. Folgender Satz, der einen Abschnitt über Malskat einleitet, wirkt auf dieselbe Weise: ‚Es war einmal ein Maler, der sollte als Fälscher 33 Zhang, Xinyi: Formen und Funktionen der Intertextualität in Erzählwerken von Günter Grass. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2009, S. 147. 34 Zhang, Formen und Funktionen der Intertextualität in Erzählwerken von Günter Grass, S. 147. 35 Grass, Die Rättin, S. 111. 36 Grass, Die Rättin, S. 104-105. 14 berühmt werden.‟37 Gerade durch die Märchenfloskeln wird die Kluft zwischen dem, was mit derartigen Floskeln versprochen wird, und dem wirklichen Inhalt betont. Auf rein formaler Ebene sind die Gedichte, die in den Volltext eingearbeitet sind, am auffallendsten. Die Lyrik ist in Die Rättin zahlreicher vertreten als in Der Butt, aber ihre Funktion hat sich nicht geändert. Die Gedichte können wir entweder als Zusammenfassungen von demjenigen, was schon geschrieben ist, oder als Anspielungen auf dasjenige, was kommen wird, verstehen. Vor allem die Prolepse sollen wir erkennen, denn oft wird schon sehr früh, zwar auf ambigue Weise, angekündigt, was passieren wird. So können wir folgenden Strophen schon viele Ereignisse aus Die Rättin entnehmen. Es könnte, was ich erzählen will, weil ich durch Wörter das Ende aufschieben möchte, mit Quallen beginnen, die mehr, immer mehr, unabsehbar mehr werden, bis die See, meine See eine einzige Qualle. […] Doch als die See den Frauen Vineta zeigte, war es zu spät. Damroka verging, und Anna Koljaiczek sagte: Nu isses aus. Ach, was soll werden, wenn nichts mehr wird! Da träumte die Rättin mir, und ich schrieb: Die Neue Ilsebill geht als Ratte an Land.38 Die erste Strophe des Eröffnungsgedichtes verweist auf Ereignisse, die im gleichen Kapitel spielen, während die letzte Strophe schon auf das Ende anspielt. Viele Hinweise und Verweise sind aber beim Anfang des Lesens schwer zu verstehen und werden erst spät im Text deutlich. Auch in Der Butt haben die Gedichte eine ähnliche Wirkung. Ein Gedicht versucht sogar das ganze Buch zusammenzufassen: Alle Mit Sophie, so fängt mein Gedicht an, gingen wir in die Pilze. Als Aua mir ihre dritte Brust gab, lernte ich zählen. Wenn Amanda Kartoffeln schälte, las ich dem Fluß ihrer Schalen den Fortgang meiner Geschichte ab. Weil Sybille Miehlau Vatertag feiern wollte, nahm sie ein schlimmes Ende. Eigentlich wollte Mestwina den heiligen Adalbert nur liebhaben, immerzu liebhaben. 37 38 Grass, Die Rättin, S. 15. Grass, Die Rättin, S. 16-18. 15 Während die Nonne Rusch polnische Gänse rupfte, habe ich nichtsnutz flaumige Federn geblasen. Agnes, die keine Tür ins Schloß fallen ließ, war sanftmütig immer nur halb da. Die Witwe Lena zog Kummer an, weshalb es bei ihr nach Wruck und Kohl roch. Wigga, die Zuflucht, der ich entlief. Schön wie ein Eiszapfen ist Dorothea gewesen. Maria lebt noch und wird immer härter. Aber – sagte der Butt – eine fehlt. Ja – sagte ich – neben mir träumt sich Ilsebill weg.39 ‚Alle„ führt tatsächlich ‚alle„ wichtigen Köchinnen auf. Weil die Frauen des ‚Feminals„ fast alle ein Echo der Köchinnen sind, werden auch sie im Gedicht mit einbezogen. Das Gedicht befreit Der Butt von aller Franse und entblößt, in Bezug auf die Frauen, die ‚nackte„ Wahrheit. Ironischerweise werden gerade die Männer, deren Standpunkt in Der Butt vertreten wird, in einem Gedicht mit dem Titel ‚Alle„ nicht erwähnt. Im Gedicht finden wir Prolepse vor: so wird das schlimme Ende von Sibylle erwähnt, während das Kapitel ‚Vatertag„ erst später folgt. Auch die letzten zwei Verszeilen symbolisieren die Distanz zwischen dem Ich und Ilsebill, die erst in den Schlusssätzen des Romans deutlich ausformuliert wird: „Ilsebill kam. Sie übersah, überging mich. Schon war sie an mir vorbei. Ich lief ihr nach.“40 Genau wie in Die Rättin bekommt das Gedicht erst, nachdem der Roman endet, Bedeutung. Die Funktion und Wirkung der Gedichte hier völlig analysieren, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen aber ich möchte hier auf Dittberner41 und Brady42 verweisen. 39 Grass, Der Butt, S. 422. Grass, Der Butt, S. 556. 41 Dittberner, Hugo: Das Gedicht als Werkstück. Ein Essay zur Lyrik des Günter Grass. In: Günter Grass, München: Verl. Ed. Text + Kritik, 1988. 42 Brady, Philip: ‚Aus einer Kürbishhütte gesehen„: The Poems. In: Günter Grass‟s ‚Der Butt„. Sexual Politics and the Male Myth of History. Hg. v. Philip Brady, McFarland Timothy, John J. White. Oxford: Clarendon Press, 1990, S. 203-225. 40 16 2. TECHNISCHE ANALYSE DES ERZÄHLVORGANGS Nach einer genauen Lektüre fiel auf, dass Der Butt und Die Rättin eine ähnliche Struktur zugrunde liegt. Beide Romane zeigen auch in Bezug auf den Erzähler gemeinsame, eigenartige Merkmale auf. Die Struktur und die Eigenschaften werden in diesem Kapitel untersucht, in beiden Romanen miteinander verglichen, und auf ihre Funktionen erfragt. 2.1. Autor versus Ich Das narratologische Merkmal, das Der Butt und Die Rättin am meisten prägt, ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Erzählerfiguren, die von verschiedenen thematischen Angaben konstituiert wird. So liegen dem Ich-Erzähler aus Die Rättin seine kaschubische Familie und sein Danzig sehr am Herzen. Auch der Ich-Erzähler aus Der Butt kann seinen Hintergrund nicht leugnen. Unter anderem in dem neunten Monat verweist er auf seinen kaschubischen Ursprung: Mit der Aussage „Schlieβlich sind wir Kaschuben alle über paar Feldwege miteinander verwandt“43 werden die Ich-Erzähler der beiden Romane, obwohl Die Rättin später erschien, in eine deutliche Beziehung zueinander gesetzt. Auch die Allwissenheit beider Erzähler prägt den Erzählvorgang. Genau wie z.B. die Frauen auf ‚Die Neue Ilsebill‟ auf dem Laufenden sind über dasjenige, was in früheren Romanen vorgefallen ist, weiß auch der Ich-Erzähler aus Die Rättin, was sich schon alles ereignet hat. So stellt der Ich-Erzähler Oskar als einen alten Bekannten44 vor und spricht, nachdem die Frauen den Butt verflucht haben, über „dieses lange nicht mehr lautgewordene Geschrei nach dem sprechenden Plattfisch.“45 Die Einheit und die Kontinuität zwischen den verschiedenen Erzählern wird vor allem durch die Ähnlichkeit mit dem Autor Günter Grass konstituiert. Grass spielt ständig mit der Grenze zwischen autobiographischem und fiktionalem Schreiben, so dass die Erzähler scheinbar sehr oft Grass widerspiegeln. In Der Butt und Die Rättin ähnelt der Hintergrund des Erzählers, der aus einer deutlichen Ich-Perspektive schreibt und keinen Namen bekommt, dem des Autors Grass in großem Maße. Historische Ereignisse und persönliche Geschehnisse, die wir im Leben des Autors lokalisieren können, laufen durcheinander aber nie wird die ‚Wirklichkeit„, historisch oder persönlich, völlig ‚richtig„ auf den Text projiziert. Auffallend 43 Grass, Der Butt, S. 509. Grass, Die Rättin, S. 27. 45 Grass, Die Rättin, S. 63. 44 17 ist auch, dass die zwei Erzähler Schriftsteller sind – was wieder eine Anspielung auf Grass ist – und oft auf das Schreiben verweisen. So wird der ganze Schreibprozess der beiden Erzähler/Schriftsteller in die Romane mit einbezogen. Die Neigung, den Ich-Erzähler mit dem Autor zu identifizieren, ist groß, aber sieht man etwas genauer hin, wird deutlich, dass nicht alle Daten sich richtig einordnen lassen. Auch Braun hat, mit Recht, auf die Gefahren der Gleichstellung von Grass mit seinen Erzählern hingewiesen: „Grass invokes the autobiographical mode precisely in order to complicate public understanding of his authorial persona and draw attention to its constructed, textual nature.“46 Demnach sind die Erzähler in den Romanen Grass„ zwar bewusst nach dem Vorbild des Autors Grass kreiert worden, jedoch nicht um den Werken einen autobiographischen Charakter zu geben. Eher wird auf diese Weise versucht, das öffentliche Bild des Autors zu verwirren. Obwohl die Beziehung zwischen Grass und seinen Erzählern also evident ist, wird diese Arbeit den autobiographischen Bezug dennoch nicht tiefer ausarbeiten. Die Untersuchung fokussiert auf die technischen Aspekte des Erzählvorgangs und auf ihre Wirkung, was impliziert, dass, wenn über die Erzählperspektive und Erzählweise gesprochen wird, nur auf den Erzähler und nicht auf den Autor Günter Grass hingewiesen wird. Wir können schließen, dass der Autor Grass dafür sorgt, dass eine Einheit zwischen den Erzählern entsteht, welche jedoch nicht nur auf biographischen Elementen basiert. 2.2. Behandlung der Zeit Wie Der Butt und Die Rättin mit dem Begriff ‚Zeit„ umgehen, lässt sich nur schwer eindeutig benennen. Die Behandlung der Zeit ist aber so eigenartig und beeinflusst die Struktur beider Romane derartig, dass eine Analyse notwendig ist. Der Butt erzählt eine chronologische Geschichte, die aber durch die Rahmenerzählung, die der Erzähler aus den 70er Jahren aufführt, unterbrochen wird. Die Geschichte fängt in der Steinzeit an und schreitet bis in die Gegenwart weiter. Zwischendurch aber mischt der Erzähler sich oft ein und berichtet über zeitgenössische Ereignisse. Das ‚Jetzt‟ und das ‚Damals‟ können wir dennoch sehr einfach voneinander unterscheiden. Die Zeitauffassung ist in diesem Sinn linear. Diese lineare Auffassung wird aber nicht nur von den Kommentaren des Erzählers unterbrochen. Immer wieder wird, auch innerhalb kleinerer Erzählstränge, auf einstige Geschehnisse zurückgegriffen. Die Geschichte schreitet zwar fort, 46 Braun, Rebecca: Mich in Variationen erzählen: Günter Grass and the ethics of Autobiography. In: Modern Language Review 103: (2008), S. 1059. 18 aber im Sinne der ‚echternachischen Prozession„, denn ständig tauchen frühere Gegenstände wieder auf. Auffallend dabei ist, dass manche Erzählfäden dann von Neuem angesetzt werden und sich auch leicht ändern. Exemplarisch für die Erzählweise von Der Butt ist folgende Textstelle: Sie schossen Jan in den Bauch. Am 18. Dezember 1970 schossen sie Jan in den Bauch voller Schweinekohl. Die Miliz der Volksrepublik Polen schoß, neben anderen Arbeitern, dem Schiffsbauingenieur und Mitarbeiter der Werbeabteilung, dem Gewerkschaftsmitglied und Mitglied des Kommunistischen Bundes, Jan Ludkowski, vierunddreißig Jahre alt, in den Bauch voller gekümmeltem Schweinekohl, der mittags in der Kantine der Leninwerft an über zweitausend streikende Arbeiter ausgeteilt worden war.47 Dieser Abschnitt ist zwar ein komprimiertes Beispiel aber zeigt dennoch wie die Geschichte Der Butt aufgebaut ist: Ereignisse werden ständig wiederholt und mit neuen Details ergänzt. Zwischen den Wiederholungen aber – und das ist im vorangehenden Beispiel nicht der Fall – wird oft auf andere Gegenstände eingegangen. Die Technik erwirkt, dass die Geschichte manchmal auf der Stelle tritt. Gerade durch dieses kreisende ‚Sichfortbewegen„ der Geschichte stellt sich auch die Frage nach der Zuverlässigkeit des Erzählers, welcher immer wieder schon erwähnte Details ändert. Was Gerstenberg also in Bezug auf Die Blechtrommel bemerkte, gilt auch für Der Butt: „Es handelt sich um eine Simultantechnik, die jedem Einfall offen ist und, da sie stets andere Möglichkeiten als die gerade gewählten impliziert, das Ambivalente der Aussage fördert.“48 Die lineare Zeitauffassung hebt auf diese Weise sich selbst auf. Die Linearität wird auch untergraben, indem der Erzähler, der sich nicht als auktorial vorstellt, sich dennoch in jeder Periode auskennt und einmischt, so dass die Geschichte eher aus parallelen Universen besteht. Die letzte These wird in Die Rättin vertieft. Während wir in Der Butt Gegenwart und Vergangenheit noch deutlich voneinander trennen können, läuft in Die Rättin alles durcheinander und entsteht eine „Vergegenkunft“.49 Der Roman enthält verschiedene Aussagen, die implizieren, dass der Zeitverlauf in Die Rättin nicht mit dem Unsrigen übereinstimmt: „selbst heute noch – und es verging viel Zeit seitdem – fürchten wir die Mitbringsel dieser Stürme.“50 Eine mögliche Erklärung für diese Zeitauffassung finden wir in der Traumstruktur, von der Die Rättin durchdrungen ist. Der Text selber äußert auch eine 47 Grass, Der Butt, S. 500. Gerstenberg, Renate, Zur Erzähtlechnik von Günter Grass, Heidelberg: Carl Winter-Universitätsverlag, 1980, S. 38. 49 Grass selbst beschreibt die ‚Vergegenkunft„ als eine Wirklichkeit, „in der Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukunftiges simultan präsent sind.“: Brunssen, Frank: Das Absurde in Günter Grass‟ Literatur der achtziger Jahre. Würzburg, Königshausen und Neumann, 1997, S. 110. 50 Grass, Die Rättin, S. 198. 48 19 derartige Vermutung: „Nach einiger Zeit – sofern man dem Traum mit der Elle Zeit beikommen kann – sagte sie“.51 Auch die verschiedenen Erzählfäden folgen nicht aufeinander, im Gegenteil, alles findet gleichzeitig statt: „und läßt mich stehen mit meinen zu vielen Geschichten, die alle gleichzeitig aus ihren Anfängen drängen.“ 52 Ein Universum wird geschaffen, in dem alles parallel vorfällt, bis zum Moment des ‚großen Knalls‟. Dieser Knall erinnert an die Big-Bang-Theorie, in der das Universum mit einem großen Knall entsteht. Sehr ironisch übernimmt Grass die Angabe des Knalls, ändert aber die Funktion, denn in Die Rättin deutet der Knall das Ende an. In dem Anfangssatz „Auf Weihnachten wünschte ich eine Ratte mir, hoffte ich doch auf Reizwörter für ein Gedicht, das von der Erziehung des Menschengeschlechts handelt.“53 finden wir eine ähnliche Technik vor: der Ich-Erzähler verweist mit seinem Gedicht über die Erziehung des Menschengeschlechts auf Lessing, bekommt aber keine Inspiration für ein solches Gedicht, sondern eine Ratte – die dennoch als eine Muse wirkt – die über den Untergang der Menschheit berichtet. Das Gedicht über die Erziehung verweist schon auf den Untergang der Menschheit, genau wie Beginn und Ende des Universums in dem Knall zusammen kommen54, was aufs Neue auf eine gleichzeitige Zeitauffassung hinweisen kann. Eine solche temporale Bestimmung hat unter anderem Helge Jordheim mit dem Begriff „Gleichzeitigkeit“ angedeutet: In dieser Zeitkonzeption, die ein Nebeneinander historisch und chronologisch aufeinander folgender Bedeutungen und Erfahrungen voraussetzt, findet eine Abrechnung mit der modernen Konzeption einer bewegten, fortschreitenden und deshalb fundamental ungleichzeitigen Geschichte statt, die nicht zuletzt in den Schlüsselbegriffen der Moderne wie „Fortschritt“, „Modernisierung“ und „Avantgarde“ zum Ausdruck kam.55 Die Gleichzeitigkeit verknüpft bestimmte Elemente, die nichts miteinander zu tun haben. So wird zum Beispiel am Anfang von Die Rättin die Vorgeschichte ‚Der Neuen Ilsebill„ mit jener der ‚Gustloff„ verknüpft. Auf diese Weise entsteht eine „Mehrschichtigkeit von chronologisch aus verschiedenen Zeiten herrührenden Bedeutungen.“56 Die Mehrschichtigkeit unterstützt die Hypothese eines parallelen Universums. Dennoch wird auch die Gleichzeitigkeit in Die Rättin wieder unterminiert und zwar durch den Inhalt. Die Rättin 51 Grass, Die Rättin, S. 87. Grass, Die Rättin, S. 61. 53 Grass, Die Rättin, S. 7. 54 In diesem Sinn ist es auch vielbedeutend, dass das Ende der Menschheit zugleich der Beginn des Rattenzeitalters ist. 55 Jordheim, Helge: „Versuche zu einer Zeithermeneutik der Moderne und der Postmoderne: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Grass‟ Im Krebsgang und Wolfs Leibhaftig‟, In: Sagmo, Ivar (Hrsg.), Moderne, Postmoderne- und was noch?, Frankfurt am Main: Peter Lang, 2007, S. 111-143. 56 Helge: „Versuche zu einer Zeithermeneutik der Moderne und der Postmoderne: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Grass‟ Im Krebsgang und Wolfs Leibhaftig‟, S.116. 52 20 erzählt die Geschichte der Vernichtung der Menschheit, daher sollen wir sie als ‚apokalyptisch„ betrachten, was dann aber eine lineare, bis zum Ende fortschreitende Zeitauffassung impliziert. Weiter unterstreichen beide Romane, ungeachtet ihre Zeitbehandlung, die zyklische Struktur der Geschichte, denn in Der Butt sowie in Die Rättin finden wir zahlreiche Verweise darauf, dass alles sich immer wiederholt. So heißt es zum Beispiel in Die Rättin: „Alles was stattfindet, findet wiederholt statt, geringe Veränderungen und modische Neuigkeiten einbegriffen.“57 In Der Butt betont das Ich am deutlichsten die zyklische Geschichte, denn „Ich, das bin ich Jederzeit“. Auch wenn über Vasco da Gama die Rede ist, wird deutlich, dass die Geschichte sich immer wiederholt: „Wieder- und wiedergeboren ist Vasco jetzt Schriftsteller. Er schreibt ein Buch, in dem es ihn zu jeder Zeit gegeben hat: steinzeitlich, frühchristlich, hochgotisch, reformiert, barock, aufgeklärt und so weiter.“58 Jedes Ereignis wiederholt sich, so dass sogar das Ich und Vasco da Gama zu einer Person werden. Es mag wohl deutlich sein, dass die Zeitbehandlung in beiden Romanen nicht eindeutig zu benennen ist. Der Butt zeigt eine lineare Struktur, welche jedoch immerzu unterbrochen wird, während Die Rättin eine Gleichzeitigkeit schafft, die an sich auch untergraben wird. Dazu betonen beide Romane die Idee einer zyklischen Geschichte. Der Butt und Die Rättin verkörpern also wohl sehr überzeugend die Idee Grass„ „mit einer Vergegenkunft zu arbeiten.“59 Die komplizierte Zeitbehandlung trägt dazu bei, die Geschichte, wie es in Der Butt heißt, immer wieder anders zu erzählen.60 Weiter denke ich, dass die offene, zerbröckelte Form, die vor allem in Die Rättin überspitzt wird, an erster Stelle einen Versuch darstellt, die ‚zeitgenössische„ Gesellschaft wiederzugeben. Unsere Gesellschaft ist dermaßen kompliziert und zersplittert, dass es nur einer solchen offenen Erzählstruktur gelingen kann, die Fragmentierung der Wirklichkeit zu fassen. 2.3. Spaltung des Erzählers Der Butt und Die Rättin werden beide aus einer Ich-Perspektive her erzählt, oder wie Stanzel es beschreibt, aus einem quasi-autobiographischen Ich. 61 Alle Geschehnisse, die in den 57 Grass, Die Rättin, S. 302. Grass, Der Butt, S. 179. 59 Brunssen, Das Absurde in Günter Grass‟ Literatur der achtziger Jahre, S. 110. 60 Grass, Der Butt, S. 555. 61 Stanzel, Franz K.: Unterwegs. Erzähltheorie für Leser. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002, S. 26. 58 21 Romanen an die Reihe kommen, werden von diesem Ich gefiltert. Das Ich erweckt den Eindruck, die Hauptrolle im Geschehen zu spielen. Rasch aber erweist sich, dass das Ich keine Handlungstragende Figur ist‚ es berichtet ‚nur„ über vergangenes Geschehen, aber hat in diesen Geschehnissen keine aktive Rolle. Darüber hinaus spaltet sich das Ich in beiden Romanen in anderen Instanzen und kompliziert auf diese Weise die Erzählstruktur. Der Butt Das ‚Ich‟, das sich am Anfang als „Ich, das bin ich jederzeit“ 62 präsentiert, ist der Haupterzähler von Der Butt. Daneben gibt es im Roman noch einen anderen Erzähler, nämlich den Butt, den wir als ‚Kontra-Erzähler„ betrachten können: Der Butt berät die Männer, will sie erhöhen, bewirkt aber ständig das Gegenteil. Am Ende gehört er den Frauen und arbeitet den Männern aufs Neue entgegen. Das Prinzip eines ‚Kontra-Erzählers„ hat Grass später in Die Rättin tiefer ausgearbeitet. Die Erzählinstanz wird auf diese Weise in zwei kleinere Instanzen geteilt. Das Erzähler-Ich aber treibt die Spaltung auf die Spitze, indem es sich mit dem ‚Männertum„ identifiziert und daher für fast jeden Mann steht. Die verschiedenen Geschichten des zeitlosen Ichs synthetisieren sich dann alle in Der Butt. Die zwei Erzähler, der Butt selbst und das ‚Ich‟, können wir – im Gegensatz zu Die Rättin – leicht voneinander unterscheiden, und auch die verschiedenen, kleinen Geschichten der Männer durch die Jahrhunderte hindurch sind deutlich voneinander zu trennen. Die Schwierigkeit aber besteht darin, dass die Erzählstimme des Ichs aus den 70er Jahren sich in den früheren Geschichten einmischt, so dass eine Mixtur zwischen damaligen und heutigen Ideen entsteht. Die Geschichte wird also – wie es so oft passiert – aus zeitgenössischem Blickwinkel gesehen und mutet daher oft anachronistisch an. Die Anachronismen werden aber sehr oft überspitzt und als Hyperbel präsentiert, was darauf hindeutet, dass das Einfügen der Anachronismen Teil des Schreibstils ist und daher einen witzigen, oft ironischen Effekt erreicht, wie folgende Textstellen illustrieren: Das war gegen Ende der Steinzeit. Ein ungezählter Tag. Wir machten noch keine Striche und Kerben. Nur mit Furcht sahen wir den Mond abmagern oder Fett ansetzen. Nichts Vorbedachtes traf pünktlich ein. Kein Datum. Nie kam wer oder was zu spät. 63 Auch in der Altsteinzeit. Jedenfalls seit Ende der letzten Vereisung. […] Sicher, manchmal die Unruhe. Wenn man wissen will, von wo der Fluß kommt. Oder ob hinterm Fluß, wo die Sonne aufsteigt, irgendwas los ist. Auch möchte ich wissen, ob man weiterzählen kann, als wir dürfen. Und auch die Frage nach dem Sinn. Ich meine, 62 63 Grass, Der Butt, S. 7. Grass, Der Butt. S. 24. 22 ob das, was wir so machen und was ja immer dasselbe ist, außer dem, was es ist, noch was anderes sein könnte. Aua sagte: Es ist nur, was ist.64 Die Rättin In Die Rättin finden wir eine ähnliche Struktur wie in Der Butt vor. Auch hier wird der Erzähler in zwei Instanzen gespalten: ein Ich und eine weibliche Ratte. Die Ratte erfüllt hier die Rolle des Kontra-Erzählers, indem sie sich die Geschichte, wider den Willen des Erzählers, ständig aneignen will. Die Erzählung des Ich-Erzählers wird, genau wie in Der Butt, an sich auch wieder gespalten. Die Rättin beinhaltet, neben dem Streit zwischen Erzähler und Ratte, verschiedene andere Erzählstränge. Sie behandeln den jetzt 60-jährigen Oskar Matzerath, das Aussterben der Märchen, den Maler-Fälscher Malskat und fünf Frauen an Bord des Schiffes ‚Die Neue Ilsebill‟. Im Laufe des Romans werden die Geschichten auf eine sonderbare Weise miteinander verwoben, bis sie alle in dem ‚großen Knall‟ zusammenkommen. In Die Rättin wird die Komplexität des Strukturs überspitzt. Während wir am Anfang noch eine Linie zwischen der Stimme des Erzählers und der der Rättin, sowie zwischen den verschiedenen Erzählsträngen ziehen können, läuft gegen Ende des Romans alles durcheinander – was als narratologische Technik aber nicht außergewöhnlich ist. Ständig stellt sich die Frage, wer jetzt spricht, Ich oder die Rättin, wer träumt, was der Traum beinhaltet65, und über welchen Erzählstrang eigentlich berichtet wird. Das Ende von Die Rättin gibt jedoch keine Antworten. Im Gegenteil, mit dem Schlusssatz ‚Ein schöner Traum, sagte die Rättin, bevor sie verging‟ 66 bleiben alle Fragen offen. Die Pluralisierung der beiden Erzähler, über die auch Braun schreibt, sie jedoch auf die Person des Autors zurückführt,67 erwirkt auch einen anderen, vielleicht wichtigeren Effekt. Durch die Spaltung der Erzählstimme wird sie hybrid und vertritt, in Hinblick auf die Ideologie, verschiedene Standpunkte. So wird es für den Leser fast unmöglich, den Erzähler auf eine Ideologie oder klare Meinung festzunageln, denn immer wieder wird auch die andere 64 Grass, Der Butt, S. 28. Die Anwesenheit der Träume in Die Rättin wurde ausführlich von Frank Brunssen und Thomas Kniesche untersucht: Brunssen, Frank: Das Absurde in Günter Grass‟ Literatur der achtziger Jahre. Würzburg, Königshausen und Neumann, 1997. Kniesche, Thomas: Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass‟ ‚Die Rättin‟. Wien: Passagen Verlag, 1991. 66 Grass, Die Rättin, S. 487. 67 Braun, Rebecca: Constructing Autorship in the Work of Günter Grass, Oxford, Clarendon Press, 2008. 65 23 Seite, ‚die andere Wahrheit‟ gezeigt.68 Die Pluralisierung lässt es zu, ‚die Wahrheit, jedes Mal anders erzählt‟69, wiederzugeben. 2.3.1. Platz des Erzählers: wörtlich und figürlich Die eigenartige Erzählstruktur hat einige Folgen in Bezug auf den Platz, den der Erzähler in der Geschichte einnimmt. Wie oben beschrieben, fällt die Erzählinstanz jedes Mal in zwei Stimmen auseinander. Auffallend ist, dass eine der Erzählstimmen immer einen Platz aus der Geschichte bekommt, und dies sowohl wörtlich als figürlich. Diese Tatsache ist bemerkenswert, weil der Ich-Erzähler sich am Anfang als Erzähler und als Hauptfigur präsentiert. Durch das ausdrückliche Auftreten des Ichs zu Anfang des Romans, erwartet der Leser eine quasi-autobiographische Erzählform.70 Die Erwartung wird aber unterbrochen, weil der Erzähler selbst lediglich an der Rahmenerzählung einen aktiven Anteil hat. Wo erwartet wird, dass Erzähler-Ich und Erzählung miteinander zusammenfallen, wird dennoch eine Distanz kreiert. Das Ich aus den 70er Jahren, der Haupterzähler, aus Der Butt hat an sich keine handelnde Rolle in der historischen Rekonstruktion der Geschichte. Nur im Erzählfaden, in dem es sich um ‚heute‟ handelt, hat er einen aktiven Anteil, wobei er sich jedoch die ganze Zeit im Kampf um Anerkennung, sowohl als Mann als auch als Schriftsteller, befindet. In Die Rättin finden wir Ähnliches vor, obwohl es in diesem Roman, wie oben schon angegeben, schwieriger ist, deutliche Grenzen zwischen den verschiedenen Erzählsträngen und -instanzen zu ziehen. Dennoch können wir behaupten, dass dem Ich des Anfangs, das auf ‚Reizwörter für ein Gedicht‟71 hofft, in den verschiedenen Geschichten keine wesentliche Rolle zugeteilt wird, obwohl er sich immer wieder, als Erzähler, in die Geschichten einmischt. Wo der Leser erwartet, dass er, als Erzähler, dem Geschehen fernbleibt und nur berichtet, interagiert er auf eine besondere Weise mit seinen Figuren: Matzerath lädt er dazu ein, gemeinsam einen Film zu drehen, die Zusammenarbeit ist jedoch zum Scheitern verurteilt und auch mit Malskat steht er in direktem Kontakt, er klettert sogar zu ihm aufs Gerüst: „aber sobald ich im Innengerüst der Lübecker Marienkirche hoch hinauf ins Chorgewölbe zu klettern beginne – naßkalt, zügig ist es hier oben – holt mich Gegenwart von den 68 Ein wichtiger Stilmittel in diesem Hinsicht ist die Ironie, der aber später in dieser Arbeit ein Kapitel gewidmet wird. 69 Grass, Der Butt, S. 555. 70 Stanzel, Franz: Unterwegs. Erzähltheorie für Leser. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002, S. 26. 71 Grass, Die Rättin, S. 7. 24 Gerüstbrettern.“72 Nur mit den Frauen redet er nicht, oder zumindest nicht direkt. Dennoch ist er auch in ihrer Geschichte nachdrücklich anwesend, schwebt nicht nur über dem Geschehen und stöbert sogar in ihren Sacken herum.73 Die Einzige, mit der der Erzähler indirekt – denn über Briefkarte – Kontakt hat, ist Damroka. Der Erzähler greift jedoch nie aktiv in die Handlung ein. Nur im Erzählstrang, der über die Rättin handelt, hat er einen aktiven Anteil, der aber – aufs Neue – vor allem darin besteht, einen Kampf mit der Rättin um das Erzählen der Geschichte zu führen. Die Stellung des Erzählers außerhalb der Geschichte wird auch durch die räumliche und zeitliche Konstellation unterstützt. Die Romane führen einen Erzähler auf, der, teils, figürlich aber auch wörtlich außer der Geschichte steht, indem er zeitlich oder räumlich isoliert wird. Das Ich aus Die Rättin wird, ob es ein Traum ist oder nicht, in einer Kapsel in den Raum geschossen und so von der Welt und seinen Erzählungen isoliert. Der Erzähler aus Der Butt ist zwar physisch anwesend, aber wird durch die Zeit von seiner Erzählung getrennt. Dazu kommt, dass ihm am Anfang der Eingang zum Buttprozess untersagt wird und er auf diese Weise, wenn auch kurzzeitig, räumlich vom einzigen Geschehen, in dem er schon eine aktive Rolle hat, getrennt wird. Das Ich, das die Erwartung handelnde Person im Geschehen zu sein aufwacht, wird also dennoch von der Geschichte getrennt, indem es nur in der Rahmenerzählung, jedoch nicht in den anderen Erzählsträngen, eine aktive Rolle bekommt. Diese Trennung wird entweder zeitlich oder räumlich verstärkt; das Ich aus Der Butt wird durch die Zeit von der Geschichte abgeschnitten, das Ich aus Die Rättin befindet sich in einer Raumkapsel und wird so von seinen Geschichten isoliert. 2.3.2. Kampf um Anerkennung Die Erzähler aus Die Rättin und Der Butt präsentieren sich beide als Schriftsteller, und setzen sich zum Ziel, eine Geschichte zu schreiben. Das Ich aus Die Rättin versucht, mittels seiner Erzählungen, dem Ende der Welt aus dem Wege zu gehen: „weil ich durch Wörter das Ende aufschieben möchte.“74 In Der Butt hat das Schreiben aber eine andere Bedeutung; der Erzähler versucht, schriftlich ein Zeugnis abzulegen um sich so der Schuld der Geschichte zu 72 Grass, Die Rättin, S. 325. Grass, Die Rättin, S. 94. 74 Grass, Die Rättin, S. 16. 73 25 entziehen. Mit der oben genannten Isolierung geht jedoch auch eine Verneinung einer direkten Rolle des Schriftstellers einher. Die Rättin In Die Rättin führen der Erzähler und seine weibliche Ratte einen Streit darüber, wer erzählen darf. Das Ich versucht seine Geschichten zu Ende zu bringen aber wird ständig von der Rättin unterbrochen, die über die Schlussphase und die Vernichtung der Menschheit sowie über das Rattenzeitalter berichtet: „Nein sagt die Rättin, von der mir träumt, solche Vertällchens haben wir satt. Das war einmal und war einmal.75“ Sein Widerstand ist aber umsonst, denn er ist der Rättin unterlegen: Während ich in einem Rollstuhl angeschnallt saß, schrie ich, als wäre im Traum ein Lautsprecher greifbar gewesen: Wir sind da! Alle immer noch da! Ich laß mir nichts einreden! Doch sie fistelte über unbeirrt, anfangs unverständliches Rattenwelsch – Do minscher gripsch Ultemosch! – um dann deutlich zu werden: Gut, daß sie weg sind! Haben alles versaut.76 Das Bild der neuen Rattenwelt, skizziert von der Rättin, funktioniert fast wie eine Warnutopie. Im Mitte des Romans findet der große Knall statt, vernichtet ‚das Menschengeschlecht„ und damit auch die Romanfiguren des Ich-Erzählers. Dem Erzähler selber wird der Untergang erspart, weil die Rättin ihn in einer Kapsel in den Raum geschossen hat. Vergebens versucht der Erzähler seine Geschichte weiterzuerzählen, denn wenn er „Antworten Erde“77 ruft, erhält er nur Geräusche als Reaktion. Könnte es sein, dass wir den Streit zwischen der Rättin und dem Ich als ein Streit um den Fortbestand der Literatur interpretieren sollen? In dieser Hinsicht können wir das ständige Anrufen der Erde als eine Suche nach einem Publikum zum Zuhören/Lesen verstehen. Zur Diskussion stehen der Platz und die Funktion, welche die Literatur in unserer zeitgenössischen, zersplitterten Gesellschaft einnehmen kann. In der Märchenerzählung wird dieses Thema spezifischer ausgearbeitet, denn dieser Erzählstrang handelt über das Retten des (Märchen)waldes und so implizit auch über das Überleben und die Überlieferung der Märchen, „denn mit den Wäldern / soll hier geschrieben stehen / sterben die Märchen aus.“ 78 Wir könnten stellen, dass die Verneinung der Schriftstellerrolle und der Kampf um das Märchenwald, den Streit um einen etablierten Platz für die Literatur in der zeitgenössischen Gesellschaft symbolisieren. 75 Grass, Die Rättin, S. 23. Grass, Die Rättin, S. 31-32. 77 Grass, Die Rättin, U.a. S. 137. 78 Grass, Die Rättin, S. 17. 76 26 Der Kampf, den das Ich und die Rättin ausfechten, wird von der Haltung des IchErzählers in den anderen Erzählsträngen kompensiert. Auch wenn der Erzähler der Rättin gehorchen muss, hält er doch die Fäden seiner eigenen Geschichten in der Hand, oder so hat es zumindest den Anschein. Die Rivalität zwischen der Rättin und dem Ich wird auf die anderen Geschichten übertragen, in denen der Erzähler krampfartig versucht, seine Macht zu behalten. Von Anfang an betont er, dass er der kreierende Kopf hinter den verschiedenen Geschichten ist, und expliziert, dass er die Fäden der Erzählstränge und der Personen in der Hand hat. Es gibt zahllose Beispiele im Text, die dies illustrieren: „Für diese Reise haben sich die fünf Frauen, wie ich sie wünsche, anlernen lassen.“79 und „Langsam, weil ich das so will¸ gewöhnen sie sich daran.“80 Ironischerweise muss er aber auch selbst seine Macht relativieren. So versucht er in dem Streit der Frauen den Moderator zu spielen, aber „mein Gutzureden bleibt, wie immer, ohnmächtig“81, er „kann nicht verhindern, daß die Meereskundlerin zu stricken aufhört und wieder von den KZ-Schiffen zu sprechen beginnt“82, und ein andermal versucht er sich einzumischen, muss aber schon bald feststellen, dass sein Versuch keinen Erfolg hat: „man hört nicht auf mich.“83 Am Ende, während des Empfangs für Oskar, scheint es sogar, als ob er alle Macht über die Romanfiguren verliert: „Er [ein Professor, Freund von Oskar] schloß nach einem Nebensatz, der mich betraf, und nach charmanter Referenz Maria zu Ehren, allseits einvernehmlich: „Doch nun ist Oskar wieder ganz unser!“84 Der Erzähler aller Geschichten wird nur noch im Nebensatz genannt und Oskar, den er mit seiner Operation auszuschalten versuchte, ist ‚wieder ganz unser„. Der Butt Durch die Jahrhunderte hindurch zeigt auch das Ich aus Der Butt künstlerische Züge. In der Steinzeit beschäftigt er sich mit Zeichnen: „Du, ein Künstler, der in seiner Not Zeichen zu setzen versteht, der die bleibende, die vielsagende Form sucht […].“ 85 Das Zeichen setzen wird hier, jetzt wo die Schrift noch nicht erfunden ist, als Metapher für das Schreiben benutzt. Schon damals werden seinem künstlerischen Charakter Zügel angelegt, denn „die Fünferreus und ihre zeichnerische Entsprechung [werden von Aua] verboten.“86 Diese Tendenz setzt sich bis in die 70er Jahre durch, denn noch immer kämpft der Erzähler um die Anerkennung als 79 Grass, Die Rättin, S. 22. Grass, Die Rättin, S. 23. 81 Grass, Die Rättin, S. 279. 82 Grass, Die Rättin, S. 66. 83 Grass, Die Rättin, S. 166. 84 Grass, Die Rättin, S. 475. 85 Grass, Der Butt, S. 27. 86 Grass, Der Butt, S. 25. 80 27 Schriftsteller. Das Zeugen und das Schreiben sind in Der Butt nah miteinander verwandt und diese Verknüpfung ist meiner Meinung nach von besonderer Bedeutung. Die Verknüpfung Schreiben-Zeugen wird aber an anderer Stelle in dieser Arbeit vertieft. Der Streit um die Anerkennung als Schriftsteller erwirkt in beiden Romanen, dass die Glaubwürdigkeit des Erzählers in Frage gestellt wird. Vergebens versucht der Erzähler sich Geltung zu verschaffen, findet aber kein Gehör. Wenn wir diesen Streit auf den Autor Grass projizieren, scheint es als ob Grass mit einer derartigen Technik seine eigene Position als Schriftsteller in der Gesellschaft anzweifelt. Dennoch hat der Kampf eine paradoxe Wirkung auf den Leser und bekommt er auch eine metaliterarische Bedeutung. Der Erzähler versucht sich eine Identität als Schriftsteller zu erkämpfen, aber gerade in diesen Stellen, wo der Streit zum Ausdruck kommt, ist der Erzähler/Schriftsteller am nachdrücklichsten anwesend. Der Erzähler wird tatsächlich zuerst von dem Butt und von den Frauen, danach von der Rättin überschattet. Der Kampf jedoch, den er führt um dies anzuprangern, betont gerade seine Identität. 2.4. Die Rättin als Widerspieglung von Der Butt Wie manche Forscher behaupten, können wir Die Rättin als eine Fortsetzung von Der Butt betrachten, vor allem wird der Feminismus aus Der Butt durch die fünf Seefrauen aus Die Rättin fortgeführt. Wenn wir aber die Konstellation beider Romane genauer betrachten, wie im Vorangehenden, fällt auf, dass Der Butt und Die Rättin in manchen Bereichen vollkommen gegensätzlich sind. Der Butt behandelt die Geschichte der Menschheit, vor allem aus männlicher Perspektive gesehen, obwohl die Frauenperspektive sicherlich auch vertreten wird. Die Rättin dagegen sucht zwar ‚Reizwörter für ein Gedicht, das von der Erziehung des Menschengeschlechts handelt‟87, berichtet aber über die Vernichtung der Menschheit. Genau da, wo Der Butt aufgehört hat, scheint Die Rättin wieder anzuknüpfen, vernichtet aber alles, was Der Butt geschaffen hat. Wie oben schon ausführlich beschrieben, spaltet die Erzählperspektive sich in beiden Romanen in verschiedene Instanzen. Genau wie in Der Butt fällt die Erzählinstanz auch in Die Rättin in einen Ich-Erzähler und ein Tier – zuerst einen männlichen Butt, danach aber eine weibliche Ratte – auseinander. Dazu kommt, dass die 87 Grass, Die Rättin, S. 7. 28 Rättin, im Gegensatz zum Butt, als eine mütterliche Ratgeberin auftritt. 88 Auch der Titel selber, Die Rättin – dem Titel Der Butt sehr ähnlich – kontrastiert das Männliche und das Weibliche aufs Neue miteinander. Der Erzähler aus Der Butt wird durch die Zeit von seinen Geschichten getrennt, während in Die Rättin der Raum dafür verantwortlich ist, dass der Erzähler von seinen Geschichten isoliert wird. Auch in Bezug auf die temporale Behandlung spiegeln sich die beiden Romane gegenseitig. Der Butt erzählt die Geschichte aus einer chronologischen, wenn auch unterbrochenen, linearen Hinsicht, während Die Rättin ein gleichzeitiges Universum schafft, in dem alles im selben Moment geschieht. Die Unterschiede verstärken aber meiner Meinung nach die Beziehung zwischen den beiden Romanen. Gerade durch die Differenzen wird die Komplementarität der Beiden betont und wird die Hypothese, dass Die Rättin eine Fortsetzung von Der Butt sein könnte, bekräftigt. 88 Kniesche, Thomas: Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass‟ ‚Die Rättin‟. Wien: Passagen Verlag, 1991, S. 101. 29 3. DIE PARENTHESE IN DER BUTT UND DIE RÄTTIN Wie in der Einführung schon erwähnt wird, fällt nach einer genauen Lektüre von Der Butt und Die Rättin auf, dass die Parenthese allzu oft benutzt wird, als dass sie keine weitere – neben der üblichen – Funktion hätte. In diesem Kapitel wird der Gebrauch der Parenthese einer Analyse unterzogen, und anhand einer theoretischen Skizze, wird sie auf ihre Funktionen erforscht. 3.1. Theoretischer Hintergrund Die Parenthese ist ein selbständiger Einschub, ein Schaltsatz, innerhalb einem Gesamtsatz und wird zu den rhetorischen Figuren gezählt. Der Gesamtsatz wird thematisch, aber nicht grammatikalisch durch die Parenthese unterbrochen. Bei Lausberg finden wir folgende Definition: „Die Parenthese ist die konstruktionsfremde Zwischenschaltung eines Satzes (und damit eines Gedankens) in einen Satz.“89 Weiter weist er darauf hin, dass die Parenthese die Kontinuität des Hauptsatzes sprengt und dem Satz so eine kyklische Struktur besorgt. „Der parenthesenhaltige Gesamtsatz ähnelt so der Periode“90 und gerade deswegen wird die Parenthese auch zum Hyperbaton91, genauer zum Gedanken-Hyperbaton, gerechnet. Das Metzler Literatur Lexikon erwähnt auch, dass der Umfang einer Parenthese zwischen einem Wort und „einem Haupt- und Nebensätze gliedernden Abschnitt“92 schwebt. Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Parenthese „meistens eine erwünschte, nicht aber unbedingt notwendige Mitteilung oder eine affektive erklärbare Interjektion“93 enthält. Die Frage ist ob dies in den Romanen von Grass auch der Fall ist. Im Metzler Lexikon lesen wir, dass „der visuellen Kenntlichmachung Gedankenstriche, runde oder eckige Klammern, Kommata, in mündlicher Rede Pausen [dienen].“94 Lausberg aber benennt einen solchen Satz, der zwischen Kommata steht, als Apposition. Auch in dieser Arbeit wird nur mit den Parenthesen, die 89 Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. München: Max Hüber Verlag, 1960, S. 427. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, S. 427. 91 „ Das Hyperbaton ist die Trennung zweier syntaktisch eng zusammengehörender Wörter, durch die Zwischenschaltung eines unmittelbar nicht an diese Stelle gehörigen (ein- oder mehrwortigen Satzgliedes).“: Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, S. 357. 92 Metzler Literatur Lexikon. Hg. v. Dieter Burdorf , Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff. Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 2007, S. 571. 93 Metzler Literatur Lexikon, S. 571. 94 Metzler Literatur Lexikon, S. 571. 90 30 entweder durch Gedankenstriche oder durch runde Klammern95 von dem Hauptsatz getrennt werden, gerechnet. 3.2. Belegstellung Der Butt Die Parenthese in Der Butt ist so allgegenwärtig, dass die vielen Schaltsätze den Text in Chaos zu verwandeln scheinen. Der ganze Roman ist aber auf eine derartige Weise durchstrukturiert, dass es schwer denkbar ist, dass die Parenthese beliebig in den Text eingearbeitet worden ist. Sie wird entweder mit Klammern oder mit Gedankenstrichen markiert. Weil die beiden Satzzeichen durcheinander benutzt werden, erhebt sich die Frage, ob es eine Differenz zwischen dem Gebrauch von Klammern und von Strichen gibt. Obwohl es auf den ersten Blick scheint, als ob die beiden beliebig benutzt werden und wir keine festen Gebrauchsregeln finden können, lässt sich dennoch eine gewisse Systematik aufweisen. Wenn wir auf das Ziel, das sich der Erzähler gesetzt hat – ein Zeugnis zu schreiben – zurückgreifen, ist es möglich, dass er einen Unterschied zwischen demjenigen, was in den Zeugnis aufgenommen werden kann, und demjenigen, was er lieber ausspart, macht. Zwischen Gedankenstrichen erscheinen dann diejenigen Schaltsätze, die auch im Zeugnis eingepasst werden dürfen. Die Klammern zeigen Aussagen auf, die entweder überflüssig sind, Leseinformationen enthalten oder nicht in dem offiziellen Zeugnis mitgelesen werden dürfen. Durch eine solche Technik entsteht eine offizielle und eine nicht-offizielle Version der Geschichte, was an den Ausgangspunkt von Der Butt anschließt: die mögliche zweite Version von Von dem Fischer und seiner Frau. Gerade die Botschaft können – und sollen – wir Der Butt auch entnehmen: Es gibt eine andere, nicht mitgeteilte Wahrheit. Das Formale Aspekt – der Gebrauch der Parenthese – reflektiert den Inhalt. Wie sich zeigen wird, können wir den Parenthesen daneben verschiedene Funktionen zuweisen: manchmal erläutern sie einfach den Text, andere Parenthesen enthalten Aufzählungen, noch andere zeigen giftige Kommentare auf. Oft werden auch Rezepte oder Hinweise auf Rezepte in der Parenthese erwähnt, manche erzählen sogar eine eigene Geschichte. Dennoch haben die meisten Parenthesen eine gemeinsame Funktion: die Parenthese, ein Schaltsatz, der oft für weniger wichtig gehalten wird, hat in bestimmten Textstellen jedoch eine entscheidende Bedeutung. Auch dem Volltext können wir 95 Es gibt in Der Butt sowie in Die Rättin keine Schaltsätze zwischen eckigen Klammern. 31 metaparenthetischen Kommentar entnehmen, der die Wichtigkeit von ‚Nebenhandlungen„ betont. Es fällt übrigens auf, wie oft solche Nebenhandlungen erwähnt werden oder wie oft etwas ‚nebenbei„ gesagt wird. So berichtet der Erzähler über eine Tagung in Bièvres: „Das Wort hat der nächste. Abseits wird eine Resolution geboren. Auf Antrag der Italiener. Es geht um den Prager Frühling: er will nicht aufhören.“96 Der Prager Frühling, ein historisches, beeinflussendes Geschehnis, wird nur ‚abseits„ genannt. Eine derartige Wendung finden wir in manchen Stellen vor.97 Auch folgendes Zitat erwähnt ‚beiläufig„ ernsthafte Informationen: Dann spricht der Filmemacher vom nächsten Filmfestival und erzählt beiläufig von den Toten, die gegen Morgen eingesammelt werden. Die gebe es immer. Schon 1943, als er ein Kind war, seien zwei Millionen Bengalen verhungert, weil die britische Armee alle Reisvorräte im Krieg gegen die Japanner verbraucht habe. Ob es einen Film darüber gebe. Nein, leider nicht. Hunger könne man nicht filmen.98 Das Ich, Vasco in diesem Kapitel, äußert, dass der Filmemacher beiläufig die Tote erwähnt, doch wird tiefer auf die Tatsache eingegangen. In der darauffolgenden Aussage wird die – damalige und heutige – Situation auch deutlich kritisiert, was nicht als Nebensache verstanden werden sollte. Ein letztes Beispiel finden wir im folgenden Zitat vor: ich werde nicht auf Nebensächlichkeiten rumreiten – bei uns Männern klappt es ja auch nicht immer – sondern gleich zur Sache kommen: Mitte Oktober, kurz nachdem wir nach Hammel zu Bohnen und Birnen gezeugt hatten, wurde die Anklageschrift verlesen99 Ironischerweise erscheint ein Schaltsatz, gleich nachdem der Erzähler versprochen hat, nicht auf Nebensächlichkeiten einzugehen. Es ist auch noch die Frage, ob es wichtig ist, dass sie Mitte Oktober, nach Hammel zu Bohnen und Birnen, gezeugt haben. Dass „zeugen“ aber ein Homonym ist, öffnet für Der Butt interessante Interpretationsperspektiven: nachdem das Ich und seine Frau ‚gezeugt haben„ und das Resultat dieses ‚Zeugens„ neun Monate wächst, fängt auch der Erzähler an zu zeugen und lässt auch sein Zeugen, während dieser neun Monate, wachsen. Ilsebill erwartet ein Baby, während das Ich von einem Zeugnis schwanger ist. Die Frage aber ist, ob auch die Schuld übertragen wird: das Ich versucht seine Schuld in seinem Zeugnis von sich zu schreiben, aber bekommt auch das Baby, die neue Generation, diese Schuld mit?100 96 Grass, Der Butt, S. 343. Grass, Der Butt, S. 54: „Sag ihnen alles, Butt. Die Ilsebills müssen das wissen. Auch klitzeklein die Nebensache.“ Grass, Der Butt, S. 92: „Der Fall Mestwina wurde wie nebenbei abgehandelt.“ 98 Grass, Der Butt, S. 189. 99 Grass, Der Butt, S. 46. 100 Mit diesem Zitat kann auf die ‚Gnade der späten Geburt„ angespielt worden: „Die Gnade der späten Geburt ist ein vom deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1984 geprägter Ausspruch, der der Erleichterung Ausdruck verleiht, aufgrund des zu jungen Alters im Nationalsozialismus nicht schuldig (d. h. nicht zum Täter oder Mitläufer) geworden zu sein“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Gnade_der_sp%C3%A4ten_Geburt) Weil das 97 32 Durch all diese Ausdrücke, wird deutlich, dass mit der Bedeutung von ‚nebenbei„ gespielt wird, wodurch es dahin gestellt bleibt, was eine Nebenhandlung dann wohl sein mag. Wichtig für diese Arbeit ist, dass gerade die Tatsachen, die in Parenthese erscheinen – und in Theorie weniger wichtig sind – oft eine lenkende Bedeutung haben. Die Rättin Die Parenthese in Die Rättin ist auffallend weniger vorhanden als in Der Butt. Dieser Roman zeigt auch, im Gegensatz zu Der Butt, eine deutliche Systematik im Gebrauch der Parenthese. Die Rättin führt ebenfalls Parenthesen zwischen Klammern und zwischen Gedankenstrichen auf. Dennoch lassen die beiden sich leicht voneinander unterscheiden: abgesehen von zwei Ausnahmen101 erscheinen alle Parenthesen zwischen Klammern im Erzählstrang über die Märchenfiguren. Diese Parenthesen rufen dann immer die Figur Oskar Matzerath herbei: der Ich-Erzähler und Oskar Matzerath wollen zusammen einen Film über das Waldsterben drehen. Herr Matzerath aber befindet sich zu dieser Zeit in der Kaschubei, um den 107. Geburtstag seiner Großmutter Anna Koljaiczek zu feiern. Dennoch wird Oskar in den Produktionsprozess einbezogen, allerdings zwischen Klammern. Auffallend ist auch, dass die Parenthese je nach dem Märchenabschnitt einen anderen thematischen Schwerpunkt aufführt. In den anderen Erzählfäden finden wir die Stilfigur auch vor, dann aber zwischen Gedankenstrichen. Im Nachhinein werden die auffallendsten Funktionen und Wirkungen der Parenthese behandelt. Weil Der Butt und Die Rättin oft ähnliche Wirkungen der Stilfigur aufzeigen, werden diese, wo möglich, zusammen behandelt. Die Funktionen, die nur für einen der zwei Romane typisch sind, werden selbstverständlich separat besprochen. 3.3. Funktionen der Parenthese 3.3.1. Gleichzeitiges Universum Beide Romane kreieren mittels der Parenthese ein gleichzeitiges Universum. In Die Rättin erreichen die Parenthesen, dass die verschiedenen Erzählstränge durcheinander laufen, Zeugen hier aber so nachdrücklich als Homonym aufgeführt wird, wird insinuiert, dass das Zeugnis sowie das Baby die Schuld weitertragen. Das Konzepts der ‚Gnade der späten Geburt„ wird hier also untergraben. 101 Grass, Die Rättin, S. 212, S. 471. 33 verschiedene Zeitschichten miteinander verwoben werden und Verweise auf andere Romane häufig im Text vorzufinden sind. Auch in Der Butt werden durch die Parenthesen verschiedene Epochen miteinander verknüpft. Weiter erwirken sie, dass Fiktion und Fakt ständig vermischt werden. Die Rättin Manche Parenthesen in Die Rättin erzielen das ‚Durcheinandermischen„ verschiedener Romane: „Zum Schluß stoßen Hänsel und Gretel, die allerdings den entlaufenen Kanzlerkindern ähnlich sehen (und gleichwohl unseren Herrn Matzerath an Störtebeker und Tulla Pokriefke erinnern sollen)“.102 Störtebeker trat als Bandenführer in Die Blechtrommel auf, und Tulla Pokriefke verkörperte das Böse in Katz und Maus und Hundejahre. Mit dieser Parenthese wird also in einem Satz die ganze Danziger Trilogie herbeigerufen. Versucht der Autor auf diese Weise Die Rättin in diese Tradition einzuschreiben – und bei diesem Erfolg anzuknüpfen? Dadurch, dass der Hauptsatz von Hänsel und Gretel berichtet und die Parenthese Hinweise auf Tulla und Störtebeker enthält, verknüpft die Parenthese darüber hinaus verschiedene Zeitalter miteinander. Auch folgendem Zitat können wir Hinweise auf andere Romane entnehmen: Jetzt kommt mit blutverkrusteten Armstümpfen ein Mädchen, das seine abgehackten Hände an einer Schnur über den Rücken gehängt trägt. (Sollte unser Herr Matzerath gegen diesen Auftritt Einwände vorbringen – “Solche Grausamkeiten sind keinem Publikum zuzumuten!“ – werde ich sie mit dem Ruf „Zensur!“ entkräften und ihn an seine Kindheit, diesen Kreuzweg ausgesuchter Bestialitäten, erinnern. Zudem ist „Das Mädchen ohne Hände“ ein typisches Zeugnis der Grimmschen Märchensammlung, während Rübezahl, der auf Herrn Matzeraths Wunsch in diesem Film Hausmeister sein soll, nur als Gestalt eines hintersinnigen Kunstmärchens, und zwar bei Musäus, zu finden ist.)103 Diese Aussage ruft sehr deutlich Die Blechtrommel in Erinnerung und gibt damit das ‚literarische Universum‟, das Grass aufzubauen scheint, mit Gestalt. Die Aussage mutet auch sehr ironisch an, gerade weil Grass mit seinem Erzähler aus Die Rättin sein Meisterwerk kommentiert. Die Textstelle hat aber noch eine andere Funktion. Obwohl mit der Aussage auf Oskar Matzerath gezielt wird, sollen wir den Schaltsatz als Leserinformation betrachten. Der Erzähler will seinem Publikum deutlich machen, wie und wo wir Rübezahl situieren sollen, und benutzt dazu die Parenthese. Die vielen – und nicht nur parenthetischen – Anspielungen auf andere Romane, erreichen beim Leser manchmal auch das Gefühl etwas zu verpassen, wenn er die Hinweise 102 103 Grass, Die Rättin, S. 128. Grass, Die Rättin, S. 125. [Hervorhebung von mir, SG] 34 nicht einordnen kann. Wer Die Blechtrommel nicht gelesen hat, weiß nicht, wer Störtebeker ist, oder wie die Jugend Oskars aussieht und kann derartige Verweise in Die Rättin daher nur schwer im Kontext von Die Blechtrommel verstehen. Gerade durch diesen Schreibstil erhebt sich die Frage, in wie weit man die Werke von Grass separat lesen – oder zumindest interpretieren – kann. In dem Maße, wie sich Grass„ Oeuvre erweitert, schrumpft the happy few der Leser, die alle intertextuellen Verweise, die die Romane untereinander aufzeigen, einordnen kann. Der Butt Wie schon im ersten Teil erwähnt, wird Der Butt auf eine chronologische Weise geordnet, obwohl die Chronologie manchmal unterbrochen wird. In dieser Hinsicht spielt auch die Parenthese eine bedeutende Rolle; sie bringt die eine Zeitschicht in die andere hinein. So fängt der Teil über die Tagung in Bièvres folgendermaßen an: „Die Tagung in Bièvres (hier soll es früher Biber gegeben haben) ist mit Referaten […].“ 104 In diesem Satz vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit. Einige Sätze weiter aber berichtet der Erzähler über ein anderes gegenwärtiges Geschehnis, 105 das gerade nach dem Kongress vorgefallen ist: „(Neinnein! Ich bleibe dabei. Das war leichtsinnig. Auch wenn wir Glück hatten.)“ 106 Mit diesem Schaltsatz geht der Erzähler von der Tagung auf Ilsebills Sprung über. Nach der Parenthese berichtet er in Hauptsätzen über dieses Ereignis, schaltet aber rasch wieder auf die Vergangenheit um und berichtet dann in Parenthese über den Kongress: Pflichtschuldig sprang ich ihr hinterdrein. Aber noch lange, während ich meine Sätzlein sprach – „Ist ja verdammt noch mal gutgegangen. Aber fahrlässig war das schon“ – zog sich das Veteranenessen in Amandas Gesindeküchen hin (und verlief der Kongreß europäischer Revisionisten Punkt für Punkt nach der Tagesordnung.) 107 Der Erzähler fängt über ein gegenwärtiges Geschehen, den Kongress, zu berichten an, und erwähnt parenthetisch die Vergangenheit. Rasch aber verlässt er den Kongress und berichtet zwischen Gedankenstrichen über einen anderen gegenwärtigen Vorfall, Ilsebills Sprung. Einige Sätze weiter wird die Parenthese dann zum Medium, um über den Kongress, die Gegenwart also, Anfangspunkt dieser Stelle, zu berichten. Auch die Parenthesen in folgendem Beispiel erwirken die Mischung verschiedener Zeiten. Ein derartiges Geschehen können wir auch als eine Metalepse bezeichnen, denn die Parenthesen mischen nicht nur verschiedene 104 Grass, Der Butt, S. 343. Ilsebill, seine schwangere Frau, hat (symbolisch) einen Sprung über einen Bach unternommen, ist dabei gestürzt, hat sich aber nicht verletzt: Grass, Der Butt, S. 336-337. 106 Grass, Der Butt, S. 344. 107 Grass, Der Butt, S. 344. 105 35 Epochen, sie sorgen ebenfalls dafür, dass eine Mixtur verschiedener Erzähllinien entsteht.108 Bemerkenswert ist, dass die Parenthesen im folgenden Abschnitt aufeinander folgen und so eine kleinere Erzählung innerhalb der Erzählung aufführen. Aber ich mußte noch viele Pilzherbste im naßkalten Loch absitzen. (Inzwischen hatte ich vergessen, warum.) Und zu Griselde Dubertin sagte ich: „Diese Kalbskopfsülze habe ich Sophie Rotzoll zu Ehren gekocht und ganz aus sich und ohne Gelatine gelieren lassen.“ (Neinnein! Ich will nicht ihr konspirativer Fritz und in Festungshaft lebenslänglich gewesen sein.) Zu Ilsebill sagte ich: „Ein wirklich interessanter Fall, diese Sophie. Hat mit Pilzgift gearbeitet, wie der Butt nachweisen konnte.“ (Lieber bin ich der Gouverneur Rapp, der den gefüllten Kalbskopf überlebt und bis zum Schluß Ordnung hält.)109 Auf diese Weise verweben Gegenwart und Vergangenheit sich zu einem unentwirrbaren Knäuel, so dass, genau wie in Die Rättin, eine Gleichzeitigkeit entsteht. Die Hypothese wird nicht nur durch den Gebrauch der Parenthesen bestätigt. Auch in den Hauptsätzen finden sich verschiedene Anspielungen darauf, dass ‚Zeit„ ein relativer Begriff ist. So lesen wir zum Beispiel die Aussage: „Wir [Strya und das Ich] sind immer nur zeitweilig gegenwärtig. Uns nagelt kein Datum. Wir sind nicht von heute. Auf unserem Papier findet das meiste gleichzeitig statt.“110 Sofort nach dieser Aussage beschreibt das Ich, wie er in Danzig – der 1970er Jahre – während er seinen grützigen Kaffee trinkt, auf Dorothea – Gotik – wartete, aber mit ihrer Einkaufstasche Maria – 1970er Jahre – vorbeikam. Der Begriff Zeit wird völlig aufgehoben, und verschiedene Jahrhunderte mischen sich bis zu einer Einheit. Die Technik wird nicht nur auf das Ineinander-schieben von Vergangenheit und Gegenwart beschränkt. Im Kapitel mit dem bedeutungsvollen Titel ‚Die andere Wahrheit‟111 geschieht etwas Ähnliches. Wie im ersten Teil schon erwähnt, haben die Märchen und Märchenfloskeln einen wichtigen Anteil an Grass‟ Romanen, lenken oft thematisch, aber auch stilistisch den Text. In ‚Die andere Wahrheit‟ handelt es sich um ein Treffen von Philipp Otto Runge, Clemens und Bettina Brentano, die Brüder Grimm und Arnim von Achim. Während dieser Begegnung steht das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau, und dann vor allem die Tatsache, dass es zwei – eine frauenfeindliche und eine männerfeindliche – Versionen 108 http://de.wikipedia.org/wiki/Metalepsis#Die_Metalepse_der_Erz.C3.A4hltheorie : „Bei Genette bezeichnet die "narrative Metalepse" das Überschreiten der Grenze zwischen einer fiktionsinternen Binnenwelt und einer ebenfalls fiktiven Rahmenwelt des Erzählers.“ In Der Butt können wir die Geschichte der Männer als die fiktionsinterne Binnenwelt betrachten, während die fiktive Rahmenwelt des Erzählers die Erzähllinie des Ichs aus den 70er Jahren enthält. „Das kann zum einen bedeuten, dass der Erzähler (als Figur oder auch nur Stimme eines fiktionalen Textes, nicht zu verwechseln mit dem empirischen Autor!) sich in die Handlung seiner Geschichte einmischt. Dies ist insofern paradox, als der Erzähler damit die Simulation von Faktualität aufgibt und offenlegt, dass seine Geschichte nur fiktiv ist.“ Wie sich später noch herausstellen wird, ist dies ganz gewiss so in Der Butt und Die Rättin. 109 Grass, Der Butt, S. 391. 110 Grass, Der Butt, S. 127. 111 Grass, Der Butt, S. 352. 36 gäbe112, an zentraler Stelle. Dieser Abschnitt, in dem eine Mär zum Hauptthema wird, bekommt selber auch eine märchenhafte Atmosphäre, indem ständig zauberhafte Elemente auftauchen.113 Dennoch spielt die Parenthese in diesem Kapitel aufs Neue eine eigenartige Rolle. Zwischen Klammern wird dauernd auf den realen Lebenslauf der Protagonisten des Kapitels hingewiesen. So lesen wir über Wilhelm Grimm Folgendes: Einzig der zarte Wilhelm war dafür, in Bescheidenheit doch mit genauem Ohr, was auf der Ofenbank oder am Spinnrad erzählt werde, anzuhören und ohne Beigabe niederzuschreiben, damit es erhalten bleibe. „Mir wäre das schon genug“, sagte er. (Und später hat er auch geduldig Märchen gesammelt und getreu zum Hausschatz zusammengetragen.)114 Auch andere wahre, aber weniger verteilte Erwähnungen werden in den Text hineingearbeitet. Über Arnim vernehmen wir: „(Später [ist er] im Freiheitskrieg Hauptmann bei einem Landsturmbataillon und tapfer gewesen.)“115 Auch Brentanos Religionsänderung wird uns in Parenthese mitgeteilt: „Brentano wurde schon bald (als wollte er seine spätere Konversion zum Katholizismus üben) von einem Gefühl tiefer und hoher, umfassender und enggeführter Frömmigkeit überwältigt […].“116 Dieses häufige Einfügen realer Elemente untergräbt das selbstgeschaffene Märchen, sorgt aber auch dafür, dass die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verwischen. Was übrig bleibt, ist eine Mischung Beider, oder wie es im Kapitel betont wird: „Dat een un dat anner tosamen.“117 Dennoch wird auch die ‚reale„ Geschichte in kleinen Details deformiert: „Indessen hatten sich Arnim und Bettina (die einige Jahre später ein Ehepaar werden und acht Kinder haben sollten) am Rand einer Lichtung“. 118 Die Ehe hat tatsächlich stattgefunden, aber historische Quellen berichten über sieben statt acht Kinder. 119 Wird auf diese Weise, durch das Ändern kleiner Details, auch unsere gekannte Geschichte untergraben? Wenn wir diese Zahlsänderung aber etwas genauer analysieren, finden wir eine eigenartige Technik vor: ‚Die andere Wahrheit„ will mit realen Personen – die übrigens alle mit Märchen beschäftigt waren – selber ein ‚neues„ Märchen schaffen. Dazu werden zauberhafte Elemente in die Geschichte hineingearbeitet. Da, wo die reale Geschichte aber 112 Die Ölenbergsche Handschrift aber erwähnt nichts über eine mögliche zweite Version des Märchens: Grimm, Jakob und Wilhelm: Die älteste Märchensammlung. Hg. v. Heinz Rölleke. Genf: Fondation Martion Bodmer, 1975. 113 Im ersten Kapitel ist schon auf dieses Thema eingegangen worden: S. 13-14. Wichtig, und ironisch ist, dass die zauberhafte Atmosphäre teils durch die Wirkung des Fliegenpilzes kreiert wird. 114 Grass, Der Butt, S. 354. 115 Grass, Der Butt, S. 357. 116 Grass, Der Butt, S. 358. 117 Grass, Der Butt, S. 356. 118 Grass, Der Butt, S. 358. 119 http://www.uni-ulm.de/LiLL/3.0/D/frauen/biografien/Jh19/arnim.htm (9/04/2010) 37 selbst märchenhafte Elemente aufweist – die Zahl sieben120 – wird sie geändert und zu ‚normalen„ Verhältnissen zurückgebracht. Wird durch diese Änderung der Zahl suggeriert, dass die Realität nicht märchenhaft sein kann? Durch eine solche Technik laufen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion durcheinander und entsteht ein Universum, in dem es nicht wichtig ist, was real und was nicht, was vergangen und was zeitgenössisch ist. Eine andere, aber genau so wahre Geschichte wird kreiert. 3.3.2. Meta-Kommentare Die Rättin Die Parenthese fungiert auch als direkter Kommentar auf den Märchentext. Bei eigenartigen ‚Nebenhandlungen‟, die in den originellen Märchen nur schwer stattfinden könnten, verweist der Erzähler auf die Wünsche Herrn Matzeraths, vielleicht um sich auf diese Weise abzusichern: „Nachdem der dritte Zwerg die lustig arrangierten Schlümpfe in Jacob Grimms Vitrine bestaunt hat, trägt er (nach einem Vorschlag, den unser Herr Matzerath gemacht hat) den Wunsch von Rotkäppchens Großmutter nach dem Grimmschen Wörterbuch vor“. 121 Ein anderes Beispiel, in dem der Erzähler die Verantwortung für dasjenige, was passiert, auf Matzerath weiterschiebt, ist Folgendes: Während Hänsel die verzweifelten Märchengestalten zu trösten versucht, läuft Gretel zum Brunnen, wo sie mit einem Guß aus dem Wassereimer den Froschkönig aus dem Brunnenloch holt. Schmerzhaft lächelnd akzeptiert die damenhafte Prinzessin eine beginnende Dreierbeziehung. (Diese Komplikation wünscht sich unser Herr Matzerath.)122 Die Parenthese fungiert als Meta-Kommentar auf den Text und, vor allem, auf die Handlungen. Dennoch werden nicht alle derartigen Änderungen dem Herrn Matzerath zugeschrieben. Auch der Erzähler sorgt manchmal für eigenartige Wendungen in der Geschichte: Es fällt auf, daß alle Sieben ihr Schneewittchen benutzten: Nicht nur muß das kränkliche wesen die Wäschen bügeln, ihnen Knöpfe annähen und sieben Paar Schuhe auf Hochglanz putzen: man sieht auch diesen und jenen mit dem immer folgsamen Hausmütterchen in einer Dachkammer verschwinden. Sobald der Kunde nach relativ kurzer Zeit pfeifend treppab steigt und Schneewittchen Mal um Mal erschöpfter aus 120 Lüthi, Max: Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen Erzählender Dichtung. Bern: Francke Verlag, 1966. 121 Grass, Die Rättin, S. 228. 122 Grass, Die Rättin, S. 229. 38 ihrer Kammer wankt, kassiert die Böse Stiefmutter Münzen alter Prägung, preußische Thaler, Goldstücke darunter.123 Diese Interpretation, wenn sie hier auch überspitzt wird, kommt nicht aus der Feder des IchErzählers und ist auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Sie schließt an einige psychoanalytische Auslegungen des Märchens an – in denen u.a. die Zwerge als phallische Symbole gesehen werden124 – auf denen hier höchstwahrscheinlich von Grass angespielt wird. Es wäre denkbar, dass eine solche ‚Nebenhandlung‟ nicht dem Herrn Matzerath zugeschrieben wird, weil sie bestehenden Interpretationen entspricht. Der Butt Manche Parenthesen sind einfach erläuternd oder erweiternd beim Hauptsatz. So z.B.: „Wie wir uns Besuch zum Abendessen laden – meine mit Reibkäse überbackenen Auberginen, dein knackiger Salat –“.125 Der Leser bekommt auch oft zusätzliche Informationen. Derartige Erweiterungen neigen aber manchmal zur Prahlerei, u.a. wenn wir die lateinischen Namen verschiedener Pflanzen mitbekommen: „Nun ist das Schwadengras (Glyceria fluitans L.)“ 126, „Natürlich sammelten wir in Hungerzeiten auch andere Wildgräser, etwas die Waldhirse (Millium effusum) oder den Roten Wachtelweizen (Melampyrnum arvense).“ 127 An anderen Stellen macht der Erzähler Gleichartiges, dann aber mit Zitaten. Der Abschnitt ‚Von der Last böser Zeit‟128 handelt von Andreas Gryphius und Martin Opitz von Beberfeld, zwei Dichtern aus dem 17. Jahrhundert. Der Erzähler verleiht seiner Geschichte Nachdruck und Wahrhaftigkeit, indem er Zitate aus Gedichten der Dichter benutzt: Als Magdeburg fiel und elend wurde, habe er sogar Schmähgedichte auf die gottesfürchtige Stadt geschrieben – „Die stets alleine schlieff, die züchtig alte Magd…“ – so daß man ihn habe verfluchen müssen im protestantischen Haus. 129 Und all die antikisch geputzten Lob- und Dankeshymnen, die er, der buckelnde Opitz, gewiß immer sauber der Regel nach, für den Blutsaugenden Grafen Dohna in Verse gesetzt habe – „Du hebst mich über mich, du wilt mich gantz befreyen. Von deiner Waffen last, wilmt mich den Musen leyhen…“ – seien zwar meisterlich […].130 123 Grass, Die Rättin, S. 241. Meder, Theo: Een zoen voor Sneeuwitje. Over de veranderlijkheid van sprookjes. http://www.meertens.knaw.nl/medewerkers/theo.meder/Sneeuwwitje.html (16/04/2010) Jones, Steven: The Pitfalls of Snow White Scholarship. In: The Journal of American Folklore. Vol. 92, No 363 (1979), pp 69-73. 125 Grass, Der Butt, S. 62. 126 Grass, Der Butt, S. 82. 127 Grass, Der Butt, S. 83.: Im Roman lesen wir „Melampyrnum arvense“, der korrekte lateinische Name heißt aber Melampyrum arvense. http://nl.wikipedia.org/wiki/Wilde_weit (16/04/2010) 128 Grass, Der Butt, S. 246. 129 Grass, Der Butt, S. 249. 130 Grass, Der Butt, S. 253. 124 39 Auch größere Gedichtabschnitte werden in diese Textstellen aufgenommen, so dass der Leser rasch einen Überfluss an Zitaten bekommt. Es scheint aber, als ob die Tatsache vom Text selber kommentiert wird, denn am Ende dieses Kapitels kommt folgende Aussage: ‚Plötzlich in Gelehrtenlatein und mit Zitaten Abstand schaffend (wonach auch Gryphius ins Lateinische überging), sagte Opitz nach längerem Senecazitat […].‟131 Der Satzteil ‚mit Zitaten Abstand schaffend‟ scheint der vorhergehenden Erzähltechnik zu gelten, und vielleicht könnten wir ‚Gelehrtenlatein‟ sogar mit den lateinischen Pflanzenbenennungen verknüpfen. Die Tatsache, dass Gryphius selber aufs Lateinische umschaltet, verstärkt die Vermutung, dass hier von einem Abstand zwischen Leser und Erzähler und nicht zwischen Opitz und Gryphius die Rede ist. Das Umschalten wird zwischen Klammern erwähnt, ist aber dennoch entscheidend für diese Interpretation. Der Erzähler ist sich seines Intellektualismus bewusst, kommentiert ihn selber und nimmt auf diese Weise den (möglichen) Kommentar des Lesers vorweg. Dieser im Text eingebaute Mechanismus, das Antizipieren auf Leserreaktionen, findet sich auch in anderen Textstellen, aber dann vor allem in der Person Ilsebills. Die Technik lenkt aber auch den Kommentar des Lesers. Weil er schon im Text möglichen Kommentar vorfindet, wird er (unbewusst) dazu angeregt, auf die vorgeschriebene Weise über den Text zu reflektieren. 3.3.3. Betonung der Macht Die Rättin Am Anfang fungieren die Aussagen in Parenthese wie Regieanweise eines Filmes; sie beschreiben die Handlungen und die Figuren: „(Hier sollte zu Filmbeginn, falls der sterbende Wald mit unserem Herrn Matzerath Produktionshilfe zum Film wird, die Autokolonne langsam, im Schritttempo fahren.)“132 Auch folgende Parenthese enthält deutliche Anweise, jetzt in Bezug auf die Kleidung der Schauspieler: (Die Kanzlerkinder sind nach meiner Vorstellung ein wenig dicklich geraten; doch können sie auch mager bis spillerig sein, falls unser Herr Matzerath diesen Typ wünscht. Eine dem Försterrock nachempfundene Kleidung eint die Familie: Loden, Bundhosen, Schnürstiefel, Hirschhornknöpfe.)133 Aus manchen der Parenthesen, wie auch aus dem oben zitierten Schaltsatz, spricht die Einstellung des Ich-Erzählers, den Willen des Herrn Matzerath zu berücksichtigen. Treffend ist, dass gerade die Wünsche Oskar Matzeraths immer ‚nur„ in Parenthese erscheinen und 131 Grass, Der Butt, S. 253. Grass, Die Rättin, S. 50. 133 Grass, Die Rättin, S. 51. 132 40 dass wir in den Hauptsätzen fast keinen dieser Wünsche erfüllt sehen. Die Parenthesen am Anfang des ‚Filmes‟ scheinen vor allem hinzukommende Informationen über den Drehverlauf zu umfassen, damit Oskar auch in Polen auf dem Laufenden bleibt: „(Falls unser Herr Matzerath wissen will, wie schön die Hexe häßlich ist, soll sie ihm, weil unser Stummfilm ein farbiger Stummfilm sein soll, ausgemalt werden: Sie ist nicht rothaarig, schielt aber leicht aus bernsteinfarbenen Augen.)“134 Versucht der Ich-Erzähler mit derartigen Hinweisen Oskar zu ködern? Denn, Bernstein ist, heute immer noch, eines der wichtigsten Exportprodukte Danzigs und liegt Oskar Matzerath – und dem Ich-Erzähler selber – daher am Herzen. Auch in Die Blechtrommel und in Der Butt135 wird dieser Stein regelmäßig erwähnt. Wie oben schon dargelegt wurde, wecken die Parenthesen die Illusion, dass die Meinung von Oskar in den Prozess des Filmemachens mit einbezogen wird. Im Laufe des Romans aber sehen wir eine Entwicklung im Gebrauch der Parenthese. Während sie am Anfang tatsächlich einige Wünsche des Filmproduzenten enthält, werden diese Wünsche nach kurzer Weile gerade in der – und durch die – Parenthese negiert, so auch in folgenden Abschnitten: Und wie sich der Märchenwald zur Lichtung öffnet, steht, inmitten der Lichtung, in Stein gehauen ein Denkmal, das die Grimmbrüder Schulter an Schulter abbildet. (Hier nun möchte unser Herr Matzerath eine Gruppe von Professoren versammelt sehen, die alle Märchenexperten und Hintersinnforscher sind. Sie sollen die soziologischen, linguistischen und psychologischen Dimensionen der Grimmschen Hausmärchen ausleuchten und die Grimmbrüder in ein längeres Fachgespräch ziehen. Ich bin dagegen.)136 (Dennoch halte ich unseres Herrn Matzerath Vorschlag, den armen Rübezahl nach seinem Märchendichter Musäus rufen zu lassen, für zu ausgedacht. Einleuchtender wäre es, wenn Wilhelm Grimm zartfühlig Rübezahls Not erkennen, den ungeschlachten Riesen suchen, finden und in den Kreis der Grimmschen Märchengestalten aufnehmen würde.)137 (Und bevor er nach Polen abreiste, sagte unser Herr Matzerath noch, an dieser Stelle müsse des Froschkönigs Dame dem weinenden Prinzen ihre geplagte Stirn zum Kuß anbieten; aber ich meine, es würde diese Nebenhandlung vom weiteren Geschehen nur ablenken.)138 (Herr Matzerath will, daß die Hexe wütig mit gelben Augen nun doch zur Schere greift; aber ich mag Rapunzel nicht kahl sehen und rette ihr langes Haar, indem ich Hänsel gegen die Hexe ausspiele.)139 Obwohl nicht jede Parenthese den Willen Oskars explizit verneint, fällt dennoch auf, dass die Parenthese oft der Ort ist, wo eine Diskussion zwischen dem Ich-Erzähler und dem 134 Grass, Die Rättin, S. 124. U.a. die Halskette von Wigga, dessen Perlchen sie in ihrer Suppe verliert, ist aus Bernstein hergestellt. 136 Grass, Die Rättin, S. 275. 137 Grass, Die Rättin, S. 276. 138 Grass, Die Rättin, S. 278. 139 Grass, Die Rättin, S. 391. 135 41 Produzenten entbrennt. Bemerkenswert ist, dass dasjenige was Oskar erleiden muss, dem Erzähler selber von der Rättin zugefügt wird, wie folgende Fragmente zeigen: Er sagt: „sobald ich aus Polen gesund zurück bin vielleicht…“ Ich sage: „es könnte mir im Nebensatz einfallen, Ihr Visum einfach verfallen zu lassen.“ „Erpressung!“ nennt er das, „Autorenhochmut!“ „Na gut“, sagt er, „ohnehin wird der Wald nur noch im Film zu retten sein.“140 Streng plötzlich hörte ich sie: Das muß aufhören! Ausflüchte dulden wir nicht. Es könnte uns einfallen, dich zu vergessen, dich nicht mehr komisch zu finden, anderes als dich, säugende Schmeißfliegen etwa zu träumen. Ich hoffe, du verstehst meinen kleinen Hinweis.141 Das Konzept des Einfalls, das übrigens häufig in Die Rättin erscheint,142 betont die offene, unvollendete Struktur des Romans. Es ist hier nicht die Rede von durchstrukturierten, im Voraus geordneten Entwürfe, aber von lockeren Gedanken, die einfach so in den Text mit einbezogen werden. Zugleich wird mit dem ‚Einfall„ auch der fiktionale Charakter markiert, denn der Leser wird an solchen Textstellen mit der Tatsache, dass sich alles im Kopf des Erzählers einfällt, konfrontiert. Rasch wird deutlich, dass sich zwischen dem Erzähler und Oskar ein besonderes Verhältnis entfaltet. Obwohl Oskar selbst der Erzähler in Die Blechtrommel war, und das Ich in diesem Roman nicht anwesend ist, hat es doch manchmal den Anschein, als ob das Ich aus Die Rättin Oskar kreiert hat: Ich jedenfalls habe unseren Herrn Matzerath nicht ableben lassen, doch fiel mir zu ihm nichts Sonderliches mehr ein. Seit seinem dreißigsten Geburtstag gab es keine Nachricht von ihm. Er verweigerte sich. Oder war ich es, der ihn gesperrt hatte?143 In solchen metaliterarischen Aussagen tritt aufs Neue die Person des Schriftstellers Grass, wenn auch zwischen den Zeilen, deutlich hervor. Das Ich aus Die Rättin versucht jetzt Oskar fest im Griff zu halten: so will er nicht, dass Herr Matzerath nach Polen fährt und versucht, ihn nach der Reise mittels einer Operation zu ‚eliminieren„, halst ihn aber dadurch mit einer Dauerkatheter auf. Andererseits benimmt er sich sehr empathisch wenn Oskar nach längerer Zeit seiner Familie begegnet: „Nur Mut, Oskar! Rufe ich unserem Herrn Matzerath zu.“ 144 Oskar tritt in Die Rättin also statt als Erzähler als Figur auf, aber dennoch wird sehr oft auf seine literarische Vergangenheit angespielt. Wenn das Ich über Oskar spricht, verweist er fast immer auf ihn mit dem Possessivpronomen „unser“.145 Das Ich gibt dafür folgende Erklärung: 140 Grass, Die Rättin, S. 121. [Hervorhebung von mir, SG] Grass, Die Rättin, S. 464. [Hervorhebung von mir, SG] 142 Grass, Die Rättin, S. 213-214. 143 Grass, Die Rättin, S. 28. Das Spielchen „Er verweigerte sich […] oder war ich es“ erinnert sehr stark an die Dialoge zwischen dem Ich und der Rättin, z.B. „wer sagte das? Die Rättin […] oder sagte ich“. S. 409. 144 Grass, Die Rättin, S. 257. 145 Grass, Die Rättin, u.a. S. 28, S.30, S. 61, S. 160, S. 253, S. 442 u.s.w. 141 42 „Da es ihm Freude bereitet, wenn ihn jedermann „unser Herr Matzerath“ nennt“.146 Das Possessiv zeigt aber, dass Oskar Matzerath noch immer Gemeingut des Publikums, noch immer der Trommler aus Die Blechtrommel ist. Durch den Gebrauch von „unser“ wird jedes Mal implizit Grass„ erster Roman herbeigerufen. Obwohl Oskar jetzt vom Erzähler in Die Blechtrommel zum nur erzählten Objekt geworden ist, hat er dennoch eine regieführende Rolle in Die Rättin. Diese Rolle wird vom Erzähler ständig verneint, wodurch Oskar Matzerath seinen Status aus Die Blechtrommel definitiv verliert. In der Rahmenerzählung kämpft der Ich-Erzähler mit der Rättin um die Kontrolle über die verschiedenen Geschichten behalten zu können, aber innerhalb des Abschnitts über Matzerath hat er die Fäden fest in der Hand. Aufs Neue erleidet Oskar das gleiche wie der Ich-Erzähler: das Ich kämpft für Anerkennung als Schriftsteller (denn die Rättin versucht, seine Rolle zu übernehmen) und daher entnimmt es auch Oskar seine Aufgabe als Produzent. Könnte es sein, dass, gerade weil der Ich-Erzähler der Rättin unterlegen ist, er, koste was es wolle, die Macht über Oskar behalten will? In dieser Hinsicht wäre es auch sinnvoll, die Vorschläge Oskars mit einzubeziehen und sie nachher dennoch zu negieren, denn gerade auf diese Weise wird die Macht des Erzählers markiert. Wenn wir den ganzen Streit auf eine Meta-Ebene versetzen, können wir die Parenthese als ein Dialog zwischen dem ‚heutigen‟ Erzähler aus Die Rättin und dem damaligen Erzähler aus Die Blechtrommel verstehen. Der Ich-Erzähler aus Die Rättin können wir, wie im ersten Teil schon deutlich geworden ist, leicht als ein Alter Ego des Schriftstellers Grass verstehen, und dass auch Oskar und Grass ähnliche Züge haben, darf uns nicht verwundern. Wenn wir die Diskussion zwischen Oskar und dem Ich in diesem Licht betrachten, finden wir im Roman einen Dialog zwischen dem früheren und dem heutigen ‚Ich‟ von Grass vor. Obwohl der Inhalt der Parenthese für den Dialog nicht so wichtig ist, kann die ständige Verneinung der Ideen von Oskar auf eine literarische, poetologische Evolution hinweisen, die in der Parenthese Gestalt gewinnt. Charakterisierend für den ganzen Roman ist, dass die Vorschläge Matzeraths, obwohl sie negiert werden, doch in den Roman aufgenommen worden sind. Derartige Parenthesen verkörpern, gerade wie in Der Butt, den sogenannten ‚dritten Weg‟. Die Alternativen, die möglichen Nebenhandlungen – die, wie schon gezeigt, oft mehr als Nebenhandlungen sind – werden gezeigt, damit man einsieht, dass, was man liest, nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Diese Vielheit von Möglickeiten schließt an typisch modernistisches Gedankengut an 146 Grass, Die Rättin, S. 60. 43 Grass zeigt sich in diesem Sinn, damit er dieses Konzept vertieft, als modernistischer Schriftsteller. Auffallend ist, dass sich in diesem Märchenabschnitt, in dem die Parenthese den Willen Oskars immer wieder verneint, auch ein Wunsch von Herrn Matzerath befindet, der nicht zwischen Klammern wiedergegeben wird: „Auf Vorschlag unseres Herrn Matzerath, der immer auf Nebenhandlungen bedacht ist, finden die Grimmbrüder nun in der Einöde ein langes goldenes Haar.“147 Dieser Wunsch aber wird im Gegensatz zu den vielen anderen eingewilligt und erscheint vielleicht daher im Hauptsatz. Ironischerweise wird in dieser Aussage explizit darauf hingewiesen, dass es in Bezug auf die Vorschläge Matzeraths sehr oft um Nebenhandlungen geht und dennoch wird diese Nebenhandlung nicht in Parenthese aufgeführt. Der Butt Das Ich in Der Butt spielt seine Macht weniger als der Erzähler in Die Rättin aus, bestimmte Parenthesen aber benutzt er dennoch, um seine Macht als Erzähler zu bekräftigen und darauf hinzuweisen, dass er am Ende die Geschichte bestimmt, so auch in folgendem Zitat: während mir zu meiner Ilsebill immer wieder was einfällt: sie muß nur, wie im Märchen, ihre Wünsche hersagen. Ilsebill will, Ilsebill will. Zum Glück ist es mir gelungen, sie krank zu schreiben. (Ich kann das.) Die angelehnte Tür hält den Raum hinter meinem Rücken offen nach nebenan. Von dort kommt ihr Husten, will gehört und zu Punkt und Strich werden.148 Während das Ich sich vor allem als einer Mann, der unter den Pantoffel steht, präsentiert, weiß er dennoch manchmal auf subtile Weise, seine Macht als Erzähler zu betonen. Wenn wir jetzt die Möglichkeit, dass die Klammern eine Aussage, die eigentlich nicht im Report hingehören, ausdrücken, nochmal herbeirufen, bekommt diese Information vor allem einen witzigen Effekt. 3.3.4. Projektion des Lesers Weil die Parenthese nur in Der Butt eine derartige Funktion aufzeigt, wird unter diesem Punkt nicht näher auf Die Rättin eingegangen. Ilsebill, die schwangere Frau des Ich-Erzählers, läuft wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte. Auch sie wird, wie der Erzähler, mit ‚der Frau‟ durch die Jahrhunderte 147 148 Grass, Die Rättin, S. 275. Grass, Der Butt, S. 283. 44 hindurch gleichgestellt. Auffallend aber ist, dass sie, obwohl sie eine Konstante in der Geschichte ist, nur in der Rede des Erzählers existiert. Sehr oft erscheint Ilsebill auch ‚nur‟ in der Parenthese: der Erzähler unterbricht sein geschichtliches Erzählen, schaltet auf die Gegenwart um und redet seine Frau an.149 Vor allem am Anfang von Der Butt finden wir die Technik oft vor: „Doch immerhin – glaub mir, Ilsebill! – blieben noch Zweifel.“150, „(Ach Ilsebill, wäre das Metall doch in den Bergen geblieben.)“151 Die Anreden Ilsebills sind an sich gar nicht so eigenartig, denn Ilsebill ist the narratee152 oder die Lesefigur der Geschichte: Der Erzähler erzählt seiner Frau seinen Lebenslauf und bezieht sie daher oft in der Geschichte: „Bevor sie über umgekehrte Rollenverteilung weitere Spekulationen anstellen konnte – „Ich möchte dich mal schwanger erleben!“ – erzählte ich ihr von Aua und ihren drei Brüsten.“153 Gerade weil Ilsebill als Zuhörer fungiert, übernimmt sie oft die Rolle eines Lesers, und zwar diese einer feministisch-kritischen Leserin, wie zum Beispiel im vorangehenden Beispiel: „ – „Ich möchte dich mal schwanger erleben!“ – “154 oder in folgender Stelle: „Dafür kann er nix. Dabei kommt ja was raus bei ihm. Wenn auch ironisch und um drei Ecken nur. Den mußt du mal über Natur reden hören. Ist ihm fremd eigentlich. Sierht er als Katastrophe an. Und wenn was schief geht – neulich war kein Klopapier im Haus – datiert er sofort – typisch Mann – den Beginn der Apokalypse.“ 155 Die Anreden Ilsebills können wir als Anreden der Leserin/des Lesers verstehen. Manchmal erwirkt dies einen witzigen, oder gar ironischen Effekt: „Die meisten Grübchen hatte Aua (wie du, Ilsebill) im Winterpolster ihrer Arschbacken: dreiunddreißig Stück.“ 156 Wenn wir Ilsebill mit dem Leser gleichschalten, wirken manche Abschnitte sogar beschämend für den Leser, gerade weil der Erzähler die heutige Prüderie und Sitten und Gebräuche anzuprangern versucht : (Ach hätten wir doch das Doppelklo, wenn nicht das großfamiliäre.) Sei ehrlich, Ilsebill, auch wenn du deinen Goldzahn nicht aus den Exkrementen klauben wolltest und das Wort Scheiße (wie allgemein üblich) nur und sinnwidrig als Schimpfwort benutzt. Gib es zu, Ilsebill, und schütze nicht Schwangerschaft vor: auch du blickst hinter dich, wenn 149 In dieser Hinsicht sorgen auch die Anreden Ilsebills dafür, dass ein gleichzeitiges Universum entsteht, denn gerade weil das Ich seine Frau anredet, wird ständig von Vergangenheit auf Gegenwart und vice versa übergegangen. 150 Grass, Der Butt, S. 28. 151 Grass, Der Butt, S. 29. 152 Fludernik, Monika: An Introduction to Narratology. Abingdon: Routledge, 2009, S. 23. :”The narratee is the intrafictional addressee of the narrator‟s discourse.” 153 Grass, Der Butt, S. 8. 154 Grass, Der Butt, S. 8. 155 Grass, Der Butt, S. 394. 156 Grass, Der Butt, S. 31. 45 auch sheu und zu gut erzogen. Wie ich riechst du dich gerne. Und gerne würde ich dich riechen, wie ich von dir gern gerochen wäre. Liebe? Das ist sie.157 Andermal aber wird die feministische Leserin, via Ilsebill, angegriffen: „Ein Frauenleben“, sagte der Butt, „das auch der feministischen Bewegung beispielhaft sein sollte: Amanda Woyke hat uns nicht nur die Kartoffel schmackhaft gemacht, sondern mit ihrer Großgesindeküche auch einen Hinweis gegeben auf die kommende, schon beginnende chinesische Weltverköstigung.“ („Und wenn es endlich soweit ist“, sagte ich hämisch zu Ilsebill, „möchte ich wissen, wo du mit deinen Wünschen bleibst.“)158 Folgender Abschnitt zitiert zwar keine reale Rede Ilsebills, der Erzähler aber versetzt sich in ihre Position und kommentiert dasjenige, was geschieht. Nichts hält sie ab. Notfalls verjuxt sie dein Geld, um dir zu beweisen, daß Armut ihre Qualitäten fördert. Sie läßt dich tief fallen, um dir behutsam wieder das Gehen (an Krücken) Schritt für Schritt beizubringen. Erst wenn du leidest ‒ sie hilft dir dabei ‒ wirst du ganz ihre mitleidende Liebe auskosten können. („Kann ich dir helfen? Irgendwie helfen? Ich bin sicher, du wirst eines Tages meine Hilfe noch brauchen. Und zwar nötig. Dann ist es womöglich zu spät.“) Von ihr geblendet, kannst du ihrer Anleitung (auch im dichten Verkehr) gewiß sein. Mit einem Wort: auf Ilsebill ist Verlaß.159 Um ‚Ilsebill„, das heißt die Frau, zu kommentieren, benutzt der Erzähler Klischeebilder, die so eingebürgert sind – die ätzenden Tadel auf den Fahrstil des Mannes – , dass fast jeder Leser sie erkennen wird. Obwohl die feministische Leserin sich durch derartige Textstellen tatsächlich angegriffen fühlen kann, dürfen wir die Ironie solcher Passagen nicht verpassen. Wir können schlussfolgern, dass Ilsebill als ein Klangbrett des Lesers fungiert und dies auf zweierlei Art. Sie äußert manchmal Kommentare, die die Reaktion der (feministischen) Leserin vorweg zu nehmen scheinen. Andererseits steckt sie auch Kommentare ein, die dem Leser/der Leserin gelten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass nicht nur die Parenthese diese Funktion erfüllt. Ilsebill wird auch im Volltext vom Erzähler angeredet, und diese Anreden haben dieselbe Wirkung. Auf die Beziehung zwischen dem Erzähler und Ilsebill wird also manchmal die Beziehung zwischen dem Autor und dem Leser projiziert. Bemerkenswert in diesem Verhältnis ist die Tatsache, dass obwohl Ilsebill den Leser an manchen Stellen vertritt, sie nicht als implied reader160 fungiert. In der Figur von Ilsebill wird eher der oberflächige Leser widergespiegelt, der sich in der Haltung Ilsebills mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert weiß. Meiner Meinung nach repräsentiert gerade der Leser, 157 Grass, Der Butt, S. 244. Grass, Der Butt, S. 320. 159 Grass, Der Butt, S. 410. 160 Fludernik, Monika: An Introduction to Narratology. Abingdon: Routledge, 2009. S. 24. “An implied reader […] is a projection from the text and is perceived by the reader as acting out the role of an ideal reader figure, although the real reader may not actually assume this role.” 158 46 der sich vom Technik ertappt fühlt, die Ironie durchschaut und daher weiter reflektiert den implied reader. 3.3.5. Die ‚nicht-erzählte‘ Geschichte Die Rättin Wie unterm ersten Punkt erwähnt, haben die Parenthesen in jedem Märchenabschnitt einen anderen thematischen Schwerpunkt. In dem elften Kapitel handeln die meisten Parenthesen von der Kindheit Oskars. Aufs Neue werden die Hinweise ohne einzige Erläuterung im Text aufgenommen, nur wer Die Blechtrommel gelesen hat, kann sie in dem ursprünglichen Kontext einordnen: Jetzt walzen die Räumdrachen auf der Autobahn alles Grünzeug nieder und kommen näher und näher. (Unser Herr Matzerath wünscht, daß diese Spezialfahrzeuge, die bisher einzig in Indien und Südamerika für das Abräumen weitläufiger Slumgebiete gut waren, nun aber jedermann vertreiben, der soeben noch die Märchenregierung Grimm feierte, überdies mit Flammenwerfern bestückt sind. Ich spreche mich gegen solch altertümliche Bewaffnung aus, muß aber damit rechnen, daß sich Oskars Frühprägungen am Ende durchsetzten; so tief hat ihn der Einsatz von Flammenwerfern beim Kampf um die Polnische Post beeindruckt.)161 Diese Parenthese verweist direkt auf das Kapitel ‚Die Polnische Post„ 162 in Die Blechtrommel, in dem Oskar seinen „mutmaßlichen Vater“ Jan Bronski verliert. Nicht nur Grass„ erstes Buch wird in diesem Abschnitt wach gerufen. Die Anspielungen auf die Slumgebiete in Indien und Südamerika sind indirekte Verweise auf das Vasco Da Gama- Kapitel aus Der Butt, in dem Vasco nach Indien zurückkehrt und die Armut in den Slumgebieten anklagt. 163 Auch diese Parenthese erwirkt, dass frühere Werke Grass im Roman mit einbezogen werden. Der Hinweis auf den Kampf um die polnische Post hat aber auch auf einer zweiten, indirekten Ebene Bedeutung, denn die Anspielung ist gleichzeitig ein impliziter Verweis auf den Zweiten Weltkrieg. Die Kriegsvergangenheit wird, zwar indirekt und zwischen Klammern, im Roman verarbeitet. Auch andere Parenthesen in dem elften Kapitel spielen indirekt auf den Weltkrieg an: „(Mir ist, als habe sich unser Herr Matzerath, wie von Jugend an gewohnt, mit dem Feind, wenn nicht verbündet, so doch gemein gemacht; zwischen den Industriebossen ahne, nein, sehe ich ihn.)“164 Den Schaltsatz können und sollen wir vielleicht auch aus dem Kontext herausheben und in einer größeren Ganzheit verstehen: zuerst wird der 161 Grass, Die Rättin, S. 415. Grass, Danziger Trilogie, S. 190. 163 Grass, Der Butt, S. 177. 164 Grass, Die Rättin, S. 419. 162 47 Versuch Oskars, sich der Zeitgeist des damaligen Deutschlands abzuwehren, gerade durch das Einstellen seines Wachstums, mit diesem Schaltsatz widerrufen. In dieser Aussage können wir Matzerath auch leicht als Symbol Deutschlands verstehen, das, obwohl es tatsächlich Widerstand gab – „wenn nicht verbündet“ – , von den Naziideen durchdrungen war. Die Korrektur „ahne, nein sehe ich“ schließt sich dem typischen Erzählstil von Die Rättin und anderen Romanen an, kann aber in dieser Parenthese auch dem Inhalt gelten: die ‚Schuld‟ Deutschlands darf nicht dahin gestellt bleiben oder angezweifelt – „ahne“ – sie muss anerkannt werden – „nein, sehe ich.“ Auch folgender Parenthese können wir die Schuldfrage entnehmen: „(während sich unser Herr Matzerath aus einer seitlichen Luke davonstiehlt und wieder einmal, als spiele er Kind, schuldlos sein möchte.)“ 165 Die Aussage spielt auf die vielen Interpretationen von Die Blechtrommel an, die das Buch als ein Geständnis, ein Schuldbekenntnis und eine Schuldablösung verstehen. Der Konjunktiv in dem Satz und die Tatsache, dass „schuldlos“ mit „stehlen“ verbunden wird, sind aber vielbedeutend. Dennoch wird auch jetzt, wie immer bei Grass, die Kehrseite der Medaille gezeigt: „(und wäre er nicht zum Feind übergelaufen, hätte es auch mit ihm ein so trauriges Ende genommen, sagt unser Herr Matzerath.)“166 Wenn wir die Parenthese im selben Licht wie die vorhergehenden interpretieren, liest sie sich als eine Entschuldigung für die Rolle Deutschlands in dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin aber nicht der Meinung, dass hier von einer Beschönigung die Rede ist. Der Ich-Erzähler versucht die Geschichte nicht auf eine Meinung festzunageln, zeigt hingegen auch die andere Möglichkeit. Einerseits verweisen in dem elften Kapitel die Parenthesen auf die Kindheit Oskars und spielen auf Die Blechtrommel an. Andererseits rufen sie, gerade dadurch, dass Die Blechtrommel in Erinnerung gebracht wird, die Kriegsvergangenheit Deutschlands hervor und tritt die Schuldfrage an zentrale Stelle. Auf diese Weise wird dasjenige, was nicht erzählt werden kann, dennoch, wenn auch indirekt und in Parenthese, thematisiert. Auch einer der zwei Parenthesen, die sich außerhalb des Märchenabschnitts befinden, können wir eine derartige Technik zuschreiben. Am Anfang des sechsten Kapitels wird auf einen britischen Bombenangriff von 1942 hingewiesen, der u.a. das große Orgel der Marienkirche und mehrere Gewölbe im Chor vernichtete. Nach diesem Verweis lesen wir Folgendes: Als ein Notdach errichtet und die Chorgewölbe wieder zugemauert wurden, ließ der Bischof von Lübeck, der wie viele evangelische Pfarrherren ein Nazi war, im Chorschlußgewölbe das Hakenkreuz als Schlußstein setzen. […] Natürlich wurde das 165 166 Grass, Die Rättin, S. 421. Grass, Die Rättin, S. 420. 48 Hakenkreuz bald darauf weggemeißelt, das machte man überall so zu Beginn der fünfziger Jahre; der Bischof jedoch blieb, wenn er nicht gestorben ist, tiefinnerlich Nazi bis heutzutage.167 Der Bombenangriff von 1942 und die Zerstörung der Marienkirche sind historisch reale Geschehnisse. Auch die Tatsache, dass es zu dieser Zeit einen nazistischen Bischof gab, wird von historischen Quellen bestätigt: „Auch die evangelisch-lutherische Landeskirche war betont antisemitisch: sie wurde geführt von dem am 13. August 1934 eingesetzten Bischof Erwin Balzer, der aus seiner antisemitischen Einstellung keinen Hehl machte.“ 168 Ich habe aber in keiner der Quellen einen Hinweis darauf gefunden, dass dieser Bischof ein Hakenkreuz in der Marienkirche habe anbringen lassen. Es fällt nicht sofort auf, aber der Name dieses Bischofs wird uns im Zitat nicht mitgeteilt. Der Erzähler lenkt aber einige Abschnitte weiter selbst die Aufmerksamkeit darauf mit folgender Parenthese: „(wer will noch wissen wie jener Bischof von Lübeck hieß, der ins Chorschlußgewölbe ein steingehauenes Hakenkreuz fügen ließ?)“ 169 Gerade aber dadurch, dass das Ich so nachdrücklich betont, dass der Name hier nicht erwähnt wird, hebt er die Geschichte des Bischofs hervor. Mittels des Verschweigens wird die Swastikageschichte unterstrichen. Der Bischof fungiert auch vor allem exemplarisch für die Missstände in der Kirche während des Zweiten Weltkriegs, die durch diese Technik beleuchtet und an den Pranger gestellt werden. Der Butt Gerade wie in Die Rättin rufen manche Parenthesen in Der Butt auch eine nicht-erzählte Geschichte hervor, die oft auf den Zweiten Weltkrieg hinweist. Am späten Nachmittag wollte ich meine dreifach verengte Korbreuse einholen, die ich am frühen Morgen, noch vor der ersten Stillzeit, ausgesetzt hatte. (Etwa dort war mein bevorzugter Fangplatz, wo später der beliebte Badeort Heubude mit der Straßenbahn, Linie 9, bequem zu erreicht war.)170 Gerade wie andere Parenthesen, erwirkt auch diese, dass Vergangenheit und Gegenwart, Tatsache und Fiktion miteinander vermischt werden. Dennoch kommt noch eine andere 167 Grass, Die Rättin, S. 194-195. [Hervorhebung von mir, SG]: Der fettgedruckte Satz kritisiert explizit, dass über dutzende Kriegsgeschehnisse der Mantel des Schweigens gebreitet würde. Die Wortfolge im folgenden Satz fügt der Kritik noch eine weitere Dimension hinzu: der Bischof blieb (wahrscheinlich) tatsächlich Nazi, aber durch das Einschalten des Nebensatzes ‚wenn er nicht gestorben ist‟ wird vor allem der erste Teil, ‚der Bischof blieb‟ betont. Balzer wurde 1945 entlassen, erhielt die kirchlichen Würden jedoch, ungeachtet seine Nazivergangenheit, 1955 zurück. http://wapedia.mobi/de/Erwin_Balzer (18/04/2010) 168 http://kirche-christen-juden.org/dokumentation/literatur/literatur2_3.html (18/04/2010) Auch: http://wapedia.mobi/de/Erwin_Balzer (18/04/2010) 169 Grass, Die Rättin, S. 212. 170 Grass, Der Butt, S. 26. 49 Dimension dazu. Heubude ist der Ort, wo die russische Armee während des Zweiten Weltkriegs am längsten aufgehalten wurde, bis er am 31. März 1945 eingenommen wurde und Danzig völlig von der Roten Armee besetzt war.171 Indirekt und zwischen Klammern wird auf den Zweiten Weltkrieg hingewiesen. Der Zweite Weltkrieg ist übrigens auffallend abwesend in der ‚buttischen„ Geschichte der Menschheit, zumindest was explizite Verweise betrifft. Es gibt aber verschiedene indirekte Anspielungen auf die Zeit 1940-1945, wodurch auch die Kriegsvergangenheit, zwar unerzählt, mit eingezogen wird. In diesem Bezug ist es wichtig, dass der Ich-Erzähler während des Tribunals zeugen will, daran aber immer von seinem Umfeld gehindert wird. Dieser Punkt wird im nächsten Abschnitt weiter ausgetieft. Weil wir die Verneinung der Zeugenrolle nicht nur der Parenthese entnehmen können, werden hier auch die Hauptsätze in der Analyse eingeschlossen. 3.3.6. Verneinung der Zeugenrolle in Der Butt Der Ich-Erzähler präsentiert sich in Der Butt als Schriftsteller, er will vor allem schriftlich Zeugnis ablegen. Nachdem der Butt von den Frauen zum zweitenmal gefangen und ein Tribunal eingestellt worden ist, stellt der Ich-Erzähler sich zum Ziel, einen Bericht über den Prozess zu schreiben: […] glaub mir Ilsebill, ich werde nicht auf Nebensächlichkeiten rumreiten […] doch erwarte bitte von mir keinen korrekten Prozeßbericht: einerseits bin ich kein Jurist, andererseits (wenn auch schwankend) Partei; schließlich hat man mich, meinen Fall mitverhandelt, ohne daß ich Schlagzeilen machte.172 Der erste Satz des Berichtes läutet „Es war einmal ein Butt“ 173. Die Märchenfloskel ist an sich schon programmatisch für den weiteren Inhalt. Das Ich, das sich als Ich aus allen Zeiten präsentiert, will im Prozess gehört werden, will seine Version der Tatsachen mitgeben, aber ihm wird von den Frauen und vom Butt der Zutritt zum Prozess untersagt: Das ist doch ungerecht, Ilsebill. Sie wollten mich anfangs nicht zulassen. Mein mit schriftlichen Angaben gestützter Einspruch, ich sei es gewesen, der vom Neolithikum bis in die Gegenwart jeweils im Verhältnis zu Aua, Wigga, Mestwina, zur hochgotischen Dorothea, zur dicken Gret, zur sanften Agnes, zur preußischen Amanda und so weiter gelebt habe, wurde vom Butt nicht bestätigt – die Männern seien zu jeder Zeitweil beliebig gewesen – und von den Beisitzerinnen des Tribunals verlacht: Da könne ja jeder kommen. Der Herr Schriftsteller suche wohl Stoff, wolle sich anbiedern, mal wieder schmarotzen, seine Komplexe in Literatur ummünzen, uns womöglich die Hausfrauenrente aufschwatzen und ähnliche Beschwichtigungen. […] Mein 171 http://www.deutsche-schutzgebiete.de/danzig.htm (18/04/2010) Grass, Der Butt, S. 46. 173 Grass, Der Butt, S. 46. 172 50 Zeugnisrecht wurde bestritten. Mir wurde rund viertausend Jahre Vergangenheit abgesprochen.174 Erst wenn Ilsebill seine Häuslichkeit, „(Kochen Putzen Babypflege),“ 175 bestätigt, bekommt der Ich-Erzähler Zugang zum Prozess und zu den Unterlagen. Das Aufheben des Saalverbots hat aber für den Status des Ichs keine Folgen: „Deshalb verzichtete er auf Zeugen, wie er ja auch auf mich, den immerhin hauptbeteiligten Mann, als Entlastungszeugen verzichtet hatte. Überhaupt war von mir nur beiläufig die Rede. Anonym verhandelt war ich bloß Publikum.“176 Derartige Aussagen laufen wie ein roter Faden durch den ganzen Roman hin. 177 Erst ganz am Ende gibt es eine Annäherung zwischen den Frauen und dem Ich: „[…] fand ich zum erstenmal Gelegenheit, mich in wechselnder Zeitweil vorzustellen.“ 178 Der Verzicht auf das Zeugnis des Ich-Erzählers können wir mit der Schwierigkeit, die ‚dritte Wahrheit„ zu erzählen, verknüpfen. Gerade dadurch, dass das Ich nicht zeugen darf, wird die Möglichkeit des anderen Weges negiert. Eine weitere Dimension aber kommt diesem Nicht-Zeugen hinzu. Der Ich-Erzähler, der sich als beispielhaft für das Gender ‚Mann„ aufstellt, trägt die Last der Vergangenheit: Die Verantwortung für Kriege, politische Missstände, Armut, die ihm zur Last gelegt werden, eignet das Ich sich an. Deshalb will er auch schreiben, um die Last der Vergangenheit leidlich zu machen, um Schuld abzulegen. Die Schuld und die Verknüpfung zwischen Schuld und Schreiben wird verschiedene Male thematisiert: „Was nun Butt? Steht alles nun auf Papier […]. Bin ich entlastet nun? An Schuld leichter? Und die restliche Schande? […]. Woran ich mich nicht erinnern will. Aber ich muß.“179 Gerade um sich von dieser Schuld lossprechen zu können, wird alles aufgeschrieben: „Und die Schande danach will ich mir nicht zurückrufen; aber ich muß, weil ich schreibe und schreiben muß.“180 Aus dieser Hinsicht bekommt das Schreiben eine therapeutische Wirkung: Dann rät er mir, noch mehr Papier zu kaufen. Geschrieben lese sich alles normal. Nur Schriftliches sei gleichstarke Gegennatur. Zumeist siege das geschriebene Recht. Und was man – der Schande wegen – nicht, niemals wieder erinnern wolle, werde erst, wenn es in Schrift stehe, so gut wie vergessen sein. „Männer überleben nur schriftlich!“ sagt er [der Butt] und will zitiert werden.181 174 Grass, Der Butt, S. 77. Grass, Der Butt, S. 77. 176 Grass, Der Butt, S. 94. 177 Grass, Der Butt, u.a. S. 78, 109, S. 151, 225, 322, 331. 178 Grass, Der Butt, S. 535. 179 Grass, Der Butt, S. 110. 180 Grass, Der Butt, .S 101. 181 Grass, Der Butt, S. 107. 175 51 Der Butt lässt sich als ein Schuldbekenntnis lesen, mit dem um Verzeihung gebeten wird. Aber dadurch, dass das Ich nicht zeugen darf, erhebt sich die Frage ob es gerecht ist, die Schuld der Vergangenheit zu erlassen. Dennoch zeugt der Ich-Erzähler, zwar nicht während des Prozesses, aber er schreibt seine ganze Geschichte von sich in Der Butt. Was aber als das größte Trauma Deutschlands betrachtet wird und eine noch immer lebendige Schuldfrage mit sich bringt, der Zweite Weltkrieg, wird zwar kurz berührt, aber dennoch nicht thematisiert und aufgeschrieben. Am Ende des siebten Monats sagt der Butt Folgendes: „Ihr könnt mir Alexander und Cäsar, die Hohenstaufen und Deutschherren, auch noch Napoleon und den zweiten Wilhelm anlasten, aber nicht diesen Hitler und diesen Stalin. Die liegen außer meiner Verantwortung. Was danach kam, kam ohne mich. Diese Gegenwart ist nicht meine. Mein Buch ist geschlossen, meine Geschichte ist aus.“ Da rief ich: „Nein Butt! Nein! Das Buch geht weiter und die Geschichte auch.“ 182 Nach einer kurzen Grübelei des Erzählers, die dieser Aussage direkt folgt, fängt der achte Monat an, ohne dass etwas Weiteres über „diesen Hitler und diesen Stalin“ gesagt wird. Auch in Die Rättin finden wir einen gleichen Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg vor. Wenn der Erzähler den Zweiten Weltkrieg zur Sprache bringt, wird er auch jetzt abrupt von seinem Kontra-Erzähler, in diesem Fall die Rättin, unterbrochen: „bis ein gewisser Hitler und ein gewisser Stalin ganz Polen auffraßen, worauf es sich aber dennoch nicht verloren gab, sondern, wie es im Lied hieß, aufs Neue… Hier brach sie ab – Das führt zu nichts! – und sagte zu ihrem neunschwänzigen Wurf“.183 Die ähnliche Verweisung in beiden Romanen springt sofort ins Auge: „diesen Hitler und diesen Stalin“ und „ein gewisser Hitler und ein gewisser Stalin“. Es wird nicht direkt auf den Nationalsozialismus und auf die darauffolgende Reaktion Stalins hingewiesen. Die Pronomina „dieser“ und „ein gewisser“ muten spottend an. Sie erheben den Eindruck, dass beide Herren relativ unbekannt sind, aber wir dürfen annehmen, dass Hitler und Stalin in den kollektiven Gedächtnis eingegraben sind. Durch den unkonventionellen Gebrauch der Pronomina werden ihre Täte sogar unterstrichen. Sowohl in Der Butt als in Die Rättin wird, nachdem Hitler und Stalin genannt worden sind, nicht weiter auf den Zweiten Weltkrieg eingegangen. 184 In dieser Hinsicht ist die Aussage „was man […] nicht niemals wieder erinnern wolle, werde erst, wenn es in Schrift stehe, so gut wie vergessen sein“185 sehr bedeutungsvoll. Könnte es sein, dass gerade deswegen der Zweite 182 Grass, Der Butt, S. 460. Grass, Die Rättin, S. 103. 184 In Die Rättin aber finden wir in anderen Textstellen dennoch Verweise auf den zweiten Weltkrieg und auf den Gräuel der Konzentrationslager vor. So werden zum Beispiel die Ratten sehr oft mit den Juden verglichen. Meistens werden solche Verweise eher zwischendurch und implizit erwähnt, es gibt keine (ausführlichen) Passagen, in denen es sich nur um den Zweiten Weltkrieg handelt. 185 Grass, Der Butt, S. 107. 183 52 Weltkrieg in Der Butt nicht thematisiert wird? Das Fehlen des Zweiten Weltkrieges in der Geschichte vom Butt macht deutlich, dass diese Zäsur in der Geschichte nie vergessen werden darf. Dennoch gibt es in dem achten Monat einige Textstellen, die zur Reflexion anregen. Am Ende dieses Monats, nachdem Billy tot wiedergefunden ist, erscheint die Aussage „War das noch ein Mensch?“186 Dieser Ausruf erinnert an Primo Levis Zeugnis Ist das ein Mensch?187, das von den Ausschreitungen und enthumanisierenden Umständen in den Konzentrationslagern handelt. In diesem Licht bekommt „der blauweiß gestreifte Pulli“ 188 von Billy, die am Rande des Weges gefunden wird, eine extra Dimension, gerade weil er die Gefängnisklamotten der KZ‟ler in Erinnerung bringt. Wichtig ist, dass der blauweiße Pulli aufs Neue zwischen Klammern erscheint, als ob ein Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg nicht in einem offiziellen Zeugnis hingehört – gerade wie der Butt geäußert hat.189 Auch die Sinnlosigkeit und der Gräuel von demjenigen, was in dem achten Monat passiert, könnten wir vielleicht mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs in Beziehung bringen. Wenn wir den Zweiten Weltkrieg auf diese Weise mitlesen, wird dieses Ereignis, zwar unausgesprochen, dennoch in der Geschichte der Menschheit miterzählt. Das implizit Erzählen einer Geschichte entspricht einer Untersuchung von Biebuyck, der das Konzept der unerzälhten Geschichte bei Grass vertieft hat.190 Den Kampf um Anerkennung können wir nach meiner Meinung also aus zweierlei Hinsicht verstehen. Zuerst betont der Kampf, um als Zeuge gehört zu werden die Existenz einer anderen Möglichkeit und einer anderen Wahrheit neben den bekannten oder allgemeinen Fakten. Weil das Zeugen und das Schreiben sooft mit dem Ablegen von Schuld, und manchmal mit Vergessen, verknüpft werden, könnte es sein, dass der Streit für Anerkennung als Zeuge in die Geschichte hineingearbeitet worden ist, gerade um das Nicht-Vergessen zu betonen. 186 Grass, Der Butt, S. 502. Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Ein autobiographischer Bericht. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007. (Erstausgabe: 1958, Übersetzt ins Deutsche: 1961). 188 Grass, Der Butt, S. 500. 189 „ aber nicht diesen Hitler und diesen Stalin. Die liegen außer meiner Verantwortung. Was danach kam, kam ohne mich. Diese Gegenwart ist nicht meine. Mein Buch ist geschlossen, meine Geschichte ist aus.“: Grass, Der Butt, S. 460. 190 Biebuyck, Benjamin: „Günter Grass“ In: Duitse literatuur na 1945. Deel 1: Duitsland 1945-1989. Ed. A. Gilleir & B. Philipsen. Leuven: Peeters 2006, 227-249. 187 53 4. PRAGMATIK IN DER BUTT UND DIE RÄTTIN Aus dem vorigen Kapitel lässt sich ableiten, dass die Schreibtechnik in Der Butt und Die Rättin den Inhalt der Romane lenkt. Mittels der Parenthese wird eine der pragmatischen Aspekte der beiden Werke – die Existenz eines ‚dritten Weges„ – betont. Wichtig ist, dass nicht nur die Parenthese diese Existenz unterstreicht. In dem Schlusskapitel wird dieser pragmatische Aspekt anhand einer genauen Analyse von zwei Symbolen und einiger besonderen Merkmale der Schreibtechnik ergänzt. 4.1. Symbole 4.1.1. Die dritte Brust In beiden Romanen tauchen einige Symbole auf, die den dritten Weg vertreten. Im vorigen Abschnitt wurde bereits der Streit um die Möglichkeit, ein Zeuge zu sein können, behandelt. Das Ich aus Der Butt jedoch kämpft ebenso gut um Anerkennung als Mann und als Vater und bekommt in diesem Streit die Hilfe des Buttes: Die Natur will nicht mehr weiblich erduldet, sondern männlich bezwungen werden. Kanäle ziehen. Sümpfe trocken legen. Das Land einteilen, pflügen und in Besitz nehmen. Den Sohn zeugen. Vererben. Zweitausend Jahre zu lang habt ihr Stillzeit gehabt, habt ihr die Zeit im Stillstand vertrödelt. Ich rate euch: Weg von der Brust. Ihr müßt euch entwöhnen. Mein Sohn, du mußt dich endlich entwöhnen!191 Das Ich versucht sich als Mann zu verhalten, wird aber rasch in sein ‚Mann-sein„ tief gekränkt. Schon am Anfang erwähnt der Erzähler nebenbei: „(als sei ich nicht immer noch jungsteinzeitlich geschädigt.)“ 192 Erst am Ende des ersten Monats scheint der Erzähler im Stande zu sein, uns den möglichen Grund dieser Schädigung mitzuteilen: Und als ich dort, wo später am Ostufer Graudenz (die Festung) liegen sollte, von einem Pferd getreten, von einem Kurzschwert in den Daumen geschnitten, von Goitschenweibern als „pomorsche Sumpfquappe“ beschimpft und von einem immer besoffenen oder vom Fliegenpilz benommen Gotenkerl, der so zahnlos war, daß ich ihm Dörrfleisch vorkauen mußte, am helllichten Tag hinter einem blühenden Ginsterbusch in den Arsch gefickt wurde (wobei der Kerl nicht seinen Eberzahnhelm abnehmen wollte), lief ich davon […].193 Die Vergewaltigung sorgt dafür, dass das Ich sofort seine Sippe wieder aufsucht, wo er aber auch herabgewürdigt wird, weil er vor seinem Volk geflüchtet war. Auch die aus der 191 Grass, Der Butt, S. 36. Grass, Der Butt, S. 77. 193 Grass, Der Butt, S. 105. 192 54 Vergewaltigung hervorgegangene Erniedrigung verfolgt den Mann: „habe ich verschwiegen verdrängt vergessen. Die Schande. Das Loch im Geschehen. Die leere Sprechblase. Woran ich mich nicht erinnern will“.194 Der Butt rät ihm „noch mehr Papier zu kaufen“,195 damit er die Schande von sich schreiben kann. Mittels dieses Zitats wird schon im ersten Monat die therapeutische Wirkung des Schreibens angekündigt, der später eine wesentliche Rolle zugeteilt wird: mittels des Schreibens will das Ich die Kriegsvergangenheit vergessen. Auch die größte Angst der Männer laut Freud, die Kastrationsangst, 196 wird in Der Butt thematisiert, und zwar wenn Margret Rusch, oder Dicke Gret, „das linke oder rechte Hodenei“ von Jakob Hegge abbeißt und „vor Schreck verschluckt“.197 Auch in der Gegenwart hat sich für das Ich nicht viel geändert. Immer noch scheint er seiner Ilsebill unterlegen zu sein und versucht umsonst Respekt zu erzwingen: ich hatte mich (wieder einmal) übernommen. Wo ich saß, war offenbar nichts, oder ein Loch oder nur beispielhaft etwas, das zwar meinen Namen trug, aber als exemplarischer Fall mal schonend und nachsichtig – „Die Kriegsjahre müssen ihn so verroht haben“ – mal mit Schärfe – „Eigentlich sollte man ihn entmündigen!“ – während eineinhalb Stunden verhandelt wurde.198 Die Frauen entnehmen dem Ich, das überhaupt nie einen Namen bekommen hat, seine Identität; er wird zum verhandelten Fall. Aufs Neue taucht das Trauma des Krieges auf, hier wird sogar suggeriert, dass die Kriegsjahre zu geistlicher Vernichtung geführt haben. Es hat den Anschein, als ob das Ich im Zitat den Platz des Opfers des Krieges, des KZ‟lers, einnimmt. Darüber hinaus versucht das Ich seine Rechte als Vater – vergeblich – zu beanspruchen: „Übrigens sagten zur Steinzeit schon die Mütter zu ihren Babies: „Eiei“ – und die Männer, dazugerufen, sagten: „Nana“. Väter gab es keine. Nur Mutterrecht galt.“199 Dieses Mutterrecht versucht der Butt abzubauen, indem er die Männer emanzipieren will. Mit Hilfe des Buttes 194 Grass, Der Butt, S. 107. Grass, Der Butt, S. 107. 196 Duijker, H.C.J et al: Encyclopedie van de psychologie. Amsterdam-Brussel: Elsevier, 1977, S. 54-55. Auch der Erzähler spielt auf Freud an: „Stimmt Ilsebill: das ist die Angst der Männer, so gebissen zu werden. Es gibt Theorien, nach denen in allen Frauen der Wunsch zappelt, allen Männern die Klöten und auch den Pimmel abzubeißen. Schnappmöse und Penisneid heißen Kapitelüberschriften in heißhungrig zerlesenen Büchern.“: Grass, Der Butt, S. 301-302. Unter anderem im Kasus ‚Kleiner Hans„ , beschrieben von Freud, werden die Kastrationsangst und Penisneid thematisiert: Freud, Sigmund: Ziektegeschiedenissen. Dora, Kleine Hans, De Rattenman, Het geval Schreber, De wolvenman. Hg. v. Wilfred Oranje. Amsterdam: Boom, 1998, S. 139-263. 197 Grass, Der Butt, S. 200. 198 Grass, Der Butt, S. 392. Ironischerweise wird in diesem Zitat, wo der Erzähler als Mann herabgesetzt wird, gerade das beschrieben, was er in dem ganzen Roman als Zeuge, zu erreichen versucht: „nur beispielhaft etwas, das zwar meinen Namen trug, aber als exemplarischer Fall verhandelt wurde.“ Diese Rolle versucht das Ich sich schon vom Anfang an zu geben, denn „Ich, das bin ich jederzeit“. Das Ich wirkt exemplarisch, verliert seine Identität, wird hier dennoch als Zeuge der Geschichte anerkannt. 199 Grass, Der Butt, S. 13. 195 55 versucht der Erzähler, „aufgeklärt […] ein Wort für Vater zu suchen“200, der Butt aber muss dem Ich der 70er Jahre gestehen, dass „du [da nichts] machen [kannst], mein Sohn. Das ist ihre Natur, die ist stärker und immer im Recht. Mit der Vaterschaft bist du am Pflock. Das immerhin haben die Frauen für sich. Deine Ilsebill weiß das.“201 Der Mann wird von den Frauen nur als Erzeuger anerkannt: „Für alle kam ich als Erzeuger zumindest in Betracht.“ 202 Doch wird auch dieses Recht angezweifelt, denn am Anfang der buttischen Geschichte entfuhr Ilsebill über die Erzeugung von Kindern: „ohne ihn [die Männer] geht es leider noch nicht!“203 Dennoch versucht der Erzähler sich als Vater irgendwie Geltung zu verschaffen: wenn von der Schwangerschaft Ilsebills - in diesem Sinn als ‚die Frau„ zu betrachten – die Rede ist, erscheint regelmäßig die Parenthese (von mir). 204 Der Erzähler versucht auf diese Weise seine Position zu bestätigen, erwirkt aber nur, dass Zweifel über den ‚wirklichen„ Erzeuger aufkommen. Die Verneinung der Väter- und Männerrolle dürfen wir aber nicht isoliert betrachten, denn sie entspricht dem ganzen Geschlechterstreit, eine wichtige thematische Konstante in Der Butt. Obwohl Der Butt damals von vielen Feministinnen angegriffen und als frauenfeindlich umschrieben wurde, soll deutlich sein, dass auch die männlichen Gestalten eher jämmerlich und nicht von ihrer besten Seite dargestellt werden. Gerade wie die Frau 205 wird auch der Mann mit allerhand Klischees verknüpft und daher oft stereotyp präsentiert: „Die Welt beherrschen will er, die Natur bezwingen und von der Erde weg sich über sie erheben.“206 Der Autor versucht, indem sowohl die übliche Männer- als auch die Frauenhaltung angeprangert wird, die bereits genannte dritte Möglichkeit zu kreieren. Die dritte Möglichkeit wird am Anfang sogar von einer der drei Brüste Auas symbolisiert,207 was für Ilsebill als ‚die heutige Frau„ schon frauenfeindlich ist: „Klar, mußt du sagen: Männliche Wunschprojektion! Mag ja sein, daß das anatomisch nicht möglich ist. Damals aber, als die Mythen noch Schatten warfen, hatte Aua drei Stück. Und es stimmt schon, oft fehlt heute die dritte. Ich meine, es fehlt irgendwas. Na, das Dritte. Sei doch nicht gleich so gereizt.“ 208 200 Grass, Der Butt, S. 103. Grass, Der Butt, S. 107. 202 Grass, Der Butt, S. 405. 203 Grass, Der Butt, S. 11. [Hervorhebung von mir, SG] 204 Grass, Der Butt, u.a. S. 61, S. 227, S. 465. 205 z.B.: Grass, Der Butt, S. 16: “Die Frauen sollten sich mehr innerlich um die Religion kümmern. Die Küche ist Herrschaft genug.“ 206 Grass, Der Butt, S. 356. 207 Auch Sandford verweist auf diese Interpretation: Sandford, John: „Men, Women and the ‚Third Way‟.‟ In: Günter Grass‟ Der Butt. Sexual Politics and the Male Myth of History. Hg. v. Philip Brady, Thimoty McFarland, John J. White, Oxford: Clarendon Press, 1990, S. 169-186. 208 Grass, Der Butt, S. 9. 201 56 Weil aber die dritte Brust, die Utopie, plötzlich und ohne Weiteres, abfällt, können wir Der Butt als eine Suche nach der verlorengegangenen ‚dritten Möglichkeit„ lesen, was uns eigentlich vom Anfang an mitgeteilt wird: „Vielleicht haben wir nur vergessen, daß es noch mehr gibt. Was Drittes. Auch sonst, auch politisch, als Möglichkeit.“ 209 Der andere Weg aber wird in Der Butt nicht gefunden, die dritte Möglichkeit bleibt offen. 4.1.2. Das Dritte Programm Das Dritte Programm, ein Rundfunkprogramm, kommt manchmal in Der Butt zur Sprache 210 und tritt als eine thematische Konstante in Die Rättin auf.211 Die Merkmale, die diesem Programm zugeschrieben worden, entsprechen dem dritten Weg und auch der Name an sich ist programmatisch.212 Am Anfang äußert das Ich Folgendes über das Dritte Programm: Das alles bietet der Kulturspiegel des Dritten Programms meiner Weihnachtsratte und mir. Des Sprechers angenehme, in vielen Sendungen voll ausgereifte Stimme, die, nie frei von ironischen Nebentönen und kritischen Parenthesen, dennoch bis auf die Sekunde genau Bescheid weiß, gescheit Bescheid weiß […].213 Die Stimme des Sprechers, die das Ich deutlich zu schätzen weiß, scheint sogar ein Echo von Grass„ Stimme zu sein, so dass es den Anschein hat, als ob Grass mit dieser Aussage seine eigenen Qualitäten lobt. Gerade wie die dritte Brust in Der Butt, vertritt das Dritte Programm in Die Rättin die andere Möglichkeit, jedoch wird sie nie so wörtlich wie in Der Butt ausformuliert. Das Ich benutzt sein Drittes Programm in dem Streit mit der Rättin als Mittel, um das Weltende verhindern zu können. Das Programm steht, laut dem Erzähler, für Hoffnung und Änderung: „ man müsse nur, sagt das Dritte Programm, den Willen haben zum Wollen und umdenken möglichst bald…“ 214 Auch aus folgendem Fragment können wir die Funktion des Dritten Programms ableiten: 209 Grass, Der Butt, S. 10. Grass, Der Butt, u.a. S. 553. 211 Auf die folgenden Seiten wird wörtlich oder indirekt auf das Dritte Programm angespielt: Grass, Die Rättin, S. 56, 77, 97, 100, 157, 181, 183, 212, 326, 352, 353, 394-395, 423, 429, 453, 454, 456, 465, 466, 478, 479. 212 Der Name verweist eigentlich auf die Medienlandschaft aus den 60er Jahren: „Als die Dritten Fernsehprogramme (umgangssprachlich die Dritten) bezeichnet man in Deutschland die regionalen Programme der ARD. Der Name rührt daher, dass es in den 1960er Jahren mit dem Ersten und dem Zweiten Deutschen Fernsehen zunächst nur zwei nationale Fernsehprogramme gab. Die regional orientierten und daher auch nur regional ausgestrahlten Fernsehprogramme waren somit in ihrem Verbreitungsgebiet jeweils die dritten Programme. Verantwortlich für die dritten Programme sind die einzelnen ARD-Rundfunkanstalten.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Drittes_Fernsehprogramm (11/05/2010). Es mag aber wohl deutlich sein, dass das Dritte Programm in den Romanen von Grass eine weitere Bedeutung bekommt. 213 Grass, Die Rättin, S. 56. 214 Grass, Die Rättin, S. 454. 210 57 Als könnte ich gelingen, den Traum abzuwälzen, schrie ich mein Neinneinnein! Ich beschwor das Dritte Programm: Gleich hören wir den Pressespiegel. Gleich wird anderes wirklich. Ich sagte: Demnächst gibt es bleifreies Benzin. Ich behauptete: Der Hunger erledigt sich von selbst. Vom nächsten Wirtschaftsgipfel, der bestimmt stattfinden werde, von Friedensbemühungen in Stockholm und sonst noch wo, sogar vom Papst dessen zunächst geplanter Reise erzählte ich ihr. Man kann wieder hoffen, bei aller Skepsis hoffen, rief ich und wollte nicht glauben, was ist. Hör zu, Rättin, beschloß ich, heute noch werde ich einen Baum pflanzen. 215 Es gibt aber im Laufe des Romans eine Entwicklung in der Haltung des Erzählers und in der Funktion des Programms. Nach einer Weile findet sich der Erzähler mit der Situation, welche die Ratte skizziert, ab und damit verliert auch das Dritte Programm seine Funktion: „Meine Weihnachtsratte und ich stimmen überein: Diese Nachrichten tun so als ob. Zwar läuft noch alles, doch nichts geht mehr. Im Dritten Programm, ob in Brüssel oder Uppsala: Die Luft ist raus.“216 Schließlich muss das Ich gestehen, dass das Programm keine Lösung mehr bieten kann: Nein, Rättlein, uns hilft kein Schulfunk mehr. Was soll uns das Echo des Tages, wenn es den Nachhall vergangener Schrecknisse und Verbrechen mit zufälligem Geplapper übertont? Die Programme löschen sich wechselseitig. Nichts darf haften und schmerzen. Löcherig nur erinnern wir uns: Da war doch was, war doch was, war was…217 Dieses Erinnern verweist auf das Verschwinden der Menschheit, aber ruft genauso gut den vergangenen dritten Weg herbei. Gerade wie in Der Butt die dritte Brust wegfällt, verliert das Dritte Programm hier sein Vermögen zu retten. Frappant in dieser Hinsicht, ist wie oft das Programm ‚schweigt„.218 Das Schweigen sollen wir symbolisch verstehen, nämlich als das Scheitern, vielleicht sogar als das Nicht-Existieren der anderen Wahrheit. Im Roman wird auch insinuiert, dass gerade das Fehlen einer solchen Wahrheit zu der Vernichtung der Menschheit führt: „Langsam solltest du wissen, daß es euch, samt Drittem Programm, nur noch in unseren Träumen gibt.“219 Der Butt und Die Rättin wollen den anderen Weg darstellen, und in diesem Sinn schließen sich die beiden Romane aufs Neue aneinander an. Was den Geschlechterstreit betrifft, versucht Der Butt die dritte Möglichkeit innerhalb dieses Kampfes darzustellen. Am Ende aber wird deutlich, dass dieser durch Auas dritte Brust symbolisierte Weg, offen bleibt. Grass selber hat geäußert, dass die Geschichte aufs Neue erzählt werden sollte, jetzt aber von einer Frau. Wie oben schon angezeigt, gibt es Indizien dafür, Die Rättin als diese Geschichte 215 Grass, Die Rättin, S. 157. Grass, Die Rättin, S. 395. 217 Grass, Die Rättin, S. 429. 218 Grass, Die Rättin,u.a. S. 77: „der mitten im Satz das Dritte Programm aus dem Raum nimmt“, S. 212: „Kein Drittes Programm“, S. 352: „jetzt schweigt das Dritte Programm“, S. 423: „das Dritte Programm versagt.“ 219 Grass, Die Rättin, S. 466. 216 58 zu betrachten. Auch jetzt aber wird diese Möglichkeit, durch das Dritte Programm konkret gemacht, nicht erreicht, was letztendlich zu der Vernichtung der Menschheit führt. 4.2. Besondere Merkmale der Schreibtechnik Aus dem vorigen Kapitel lässt sich ableiten, dass eine der wichtigsten Funktionen der Parenthese in Der Butt und Die Rättin, das Miteinbeziehen einer alternativen Wahrheit, neben der bereits vorhandenen, ist. Folgende Parenthese thematisiert die Hypothese fast wörtlich: (Jenes Märchen aber, das der Butt über ein altes Weib dem Maler Runge und den Dichtern Arnim und Brentano, den Brüdern Grimm lieferte, war als letzte Fassung druckfertig und eindeutig gemacht worden, während das ungedruckte Erzählen immer die nächste, die ganz anders verlaufende, die allerneueste Geschichte meint.) 220 Dieses Zitat impliziert deutlich, dass es neben dem offiziellen Zeugnis immer noch andere, ‚ganz anders verlaufende„ Wahrheiten gibt. Wie im vorigen Kapitel bereits erwähnt, können wir der Parenthese auch diese Funktion entnehmen: zwischen Klammern erscheinen Tatsachen, die ein derartiges nicht-offizielles Zeugnis repräsentieren. Ironisch ist, dass Der Butt diesen dritten Weg darstellen will. Die Absicht wird aber mittels des Zitats unterminiert, denn neben dem gedrückten Der Butt hat sich bereits wieder eine allerneueste, ungedruckte Geschichte entwickelt. Nach meiner Meinung ist Grass sich dessen jedoch sehr bewusst, und ist die Aussage gerade um die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Wahrheiten zu betonen in den Text hineingearbeitet worden. Exemplarisch sind auch die Vorschläge Oskars in Bezug auf ‚Das Waldsterben„ in Die Rättin und das Schalten zwischen Fiktion und Tatsache in Der Butt. Frappant in diesem Sinn ist, wie die Parenthese mittels nur eines Wortes eine nicht-erzählte Geschichte aufführt und mit der bereits erzählten vermischt. Die Kriegsvergangenheit und die damit einhergehende deutsche Schuldfrage sind in diesem Bezug ohne Zweifel die wichtigsten Beispiele. 4.2.1. Metaliterarische Aussagen Auch nicht-parenthetische Sätze erfüllen diese Funktion. In beiden Romanen finden wir verschiedene, oft metaliterarische Aussagen, vor, die wir als Leitfaden für eine Interpretation der Texten benutzen können. Vor allem Der Butt formuliert oft wörtlich seine 220 Grass, Der Butt, S. 300. 59 ‚Zwischenposition„ und verweist auf die Existenz verschiedener Wahrheiten und Geschichten:221 Dann wurde meine politische Arbeit verhandelt: Was mir (ihm) trotz bester Absicht alles daneben gegangen sei. Und zwar folgerichtig, weil ich (er) mich (sich) nicht eindeutig entscheiden könne: immer einerseits andererseits. Meine (seine) absurde Ideologiefeindlichkeit sei ja bereits schon wieder meine (seine) Ideologie. „Schade drum. Da kann er einem leid tun, Griselde, wirklich, wenn er so rumhängt und nicht weiß, wo und wie und hilflos. Ausflüchte sucht, meistens historische.222 Gerade dieses ‚immer einerseits andererseits„ versucht Der Butt zu symbolisieren, indem der Roman ständig die Kehrseite der Medaille miteinbezieht. Was Ilsebill dem Ich vorwirft, ist gerade die Absicht des Erzählers. In diesem Fragment vertritt Ilsebill nochmal deutlich the narratee und fasst den möglichen Kommentar des Lesers in Worte. Gerade weil der Leser sich mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert weiß, soll er dazu angeregt werden, weiter zu denken und die eigenen Ideen zu reflektieren. Andererseits unterstreichen die Kommentare aber nochmals die Existenz verschiedener Wahrheiten, so dass wir sie vielleicht nicht als Kommentar sondern als Wiederholung, fast als Indoktrination betrachten können. Das vorgehende Zitat können wir als eventueller Leserkommentar verstehen, es gibt in Der Butt jedoch verschiedene andere Passagen, die ‚Engstirnigkeit„ deutlich in Frage stellen: „Es ist wohl so“, sagte der Maler ein wenig bitter, „daß wir Menschen nur immer die eine Wahrheit und nicht die andere auch dulden wollen.“223 Das Nichtwollen zu nuancieren und die Fixation auf eigene Gedanken werden im Zitat thematisiert. Auch folgende Stelle kritisiert das ‚Nicht-Anerkennen„ – Wollen – anderer Wahrheiten: „Über das Erzählen von Geschichten ist viel geschrieben worden. Die Leute wollen die Wahrheit hören. Kommt aber Wahrheit vor, sagen sie: „Ist ja doch nur alles erfunden.“ Oder sie lachen: „Was dem alles einfällt.“224 Das letzte Zitat können wir aufs Neue als Reflexion über Der Butt verstehen. Zuerst gilt die Aussage „über das Erzählen von Geschichten ist viel geschrieben worden“ Der Butt, denn auch dieser Roman hat das Schreiben eines Zeugnisses zum Hauptthema gemacht. Auch die Repliken scheinen ein Teil eines Dialogs zwischen Autor /Erzähler und Leser zu sein. Aufs Neue taucht dieselbe Technik auf: im Roman wird der mögliche Kommentar des Lesers vorweggenommen, damit der Leser mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert wird und auf diese Weise über seine Reaktion reflektiert. Auch andere Passagen scheinen an erster Stelle Der Butt und der Rezeption vom Roman zu gelten: „Und auch die Geschichte vom Butt 221 Grass, Der Butt, u.a. S. 172, S. 299, S. 524. Grass, Der Butt, S. 394. 223 Grass, Der Butt, S. 360. 224 Grass, Der Butt, S. 295-296. 222 60 ist so überkommen. Jedes Mal wurde sie anders wirklich erzählt.“ 225 Diese Aussage betrifft das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau, aber wir können die Behauptung genauso gut auf der Ebene des Romans – und nicht auf der Ebene der Erzählung – verstehen. Mit dem Satzteil „Die Geschichte vom Butt“ wird auf Der Butt selber hingewiesen, und auch der weitere Verlauf der Aussage bekommt einen metaliterarischen Charakter. Den Kommentar können wir als eine Voraussage, in der der Autor Grass deutlich hervor tritt, über die Rezeption von Der Butt lesen – und, wie nach der Erstveröffentlichung deutlich wurde, hatte Grass Recht, denn Der Butt ist himmelhoch angepreist sowie total kritisiert worden. Die Rättin ist auf eine andere Art und Weise als Der Butt aufgebaut. Die weibliche Variante entblößt – noch mehr als Der Butt – seinen eigenen Produktionsprozess, zeigt dennoch weniger metaliterarische Aussagen auf, die die Existenz der alternativen Wahrheit betonen. Es gibt Hinweise auf die Zwischenposition, zum Beispiel: „Doch gibt es andere Berichte, die alle ein bißchen falsch, ein bißchen richtig sind…“226 aber die Idee sehen wir vor allem in der Struktur des Romans. Zuerst werden die verschiedenen Erzählfäden im Laufe des Romans miteinander vermischt, so dass am Ende eine Mixtur, in der Elemente aus den verschiedenen Linien auftauchen, entsteht. Darüber hinaus ist der ganze Roman um eine Traumstruktur herum aufgebaut. Die Struktur erwirkt, dass der Roman sich selbst entkräftet und in Frage stellt, so dass am Ende überhaupt nicht mehr klar ist, wer was und wen träumt. Die Traumstruktur behauptet dennoch die ‚Wirklichkeit„ darzustellen: „Nur mein Traum macht das möglich. Er entblößt die Wirklichkeit“.227 Der Traum erlaubt, dass verschiedene Wirklichkeiten hervortreten. In Die Rättin wird impliziert, dass gerade diese Vielheit die Wirklichkeit ist. Die besondere Struktur sorgt also dafür, dass verschiedene Möglichkeiten und Wahrheiten nebeneinander zu stehen kommen: „Nach einer Pause, die mir für Spiele mit anderen Wirklichkeiten blieb […].“228 Dennoch warnt Die Rättin auch für eine allzu buchstäbliche Interpretation des Ganzen, denn „wir dürfen was geschrieben steht, nicht allzu genau nehmen.“229 Der Leser soll den Inhalt abstrahieren und auf ‚seine„ Wirklichkeit projizieren. 225 Grass, Der Butt, S. 299. Grass, Die Rättin. S. 282. 227 Grass, Die Rättin, S. 235. 228 Grass, Die Rättin, S. 469. 229 Grass, Die Rättin, S. 335. 226 61 4.2.2. Kreisende Geschichte Die Aussage „das ist die Wahrheit, jedesmal anders erzählt“ 230 taucht in Der Butt vielfältig auf. Frappant ist, dass die Schreibtechnik in Der Butt die Aussage auch wörtlich verkörpert. Im ersten Teil wurde schon auf das kreisende ‚Sichfortbewegen„ des Romans hingewiesen. Wenn wir jetzt bestimmte Stellen genauer unter die Lupe nehmen, fällt auf, dass das Neuanfangen bestimmter Erzählfäden tatsächlich eine ‚anders erzählte Wirklichkeit„ nach vorne bringt. So lesen wir, wenn über Sophie Rotzoll berichtet wird, über Le Gros Folgendes: „Le Gros aß und erzählte zum drittenmal seinen vormittäglichen Sieg über die Russen.“ 231 Diese Aussage im Roman ist tatsächlich die dritte, in der Le Gros seinen Sieg erwähnt. 232 Drei Mal wird, mit anderen Wörtern, dieselbe Geschichte, die ‚Wahrheit„ erzählt. Jedoch wird nicht immer die gleiche Wahrheit mitgeteilt, oft ändern bestimmte Details sich. So vernehmen wir in Der Butt, wie Margarete Rusch Jakob Hegge „das linke oder rechte Hodenei“233 abbeißt. Gut hundert Seiten weiter wird diese Gegebenheit aufs Neue aufgerührt und heißt es: „Da nimmt die dicke Gret, nachdem sie ihn als Schietkerl und Labbermann beschimpft hat, ihre Wut und Fürsorge zusammen, schnappt sich die linke Klöte im Hodensack des Predigers und beißt sie ihm ab.“234 Derartige Änderungen der Informationen könnten wir mit der Zuverlässigkeit des Erzählers verknüpfen, in diesem Fall aber erzielen sie nicht die Unterminierung der Glaubwürdigkeit des Erzählers, eher werden auf diese Weise verschiedene Wahrheiten nebeneinander gestellt und setzt Der Butt sein eigenes Motto in die Praxis um. Auch in Die Rättin werden wir mit einem derartigen Stil konfrontiert; bestimmte Tatsachen werden erwähnt, später aufs Neue aufgewärmt, allerdings mit leicht geänderten oder hinzugefügten Einzelheiten. So wird die Familie von Oskar insgesamt vier Male ‚introduziert„235, drei Mal in real life und ein letztes Mal in Oskars Zukunftsvideo. Auch was die Familie Oskars betrifft, bekommt der Leser nur spärliche Auskünfte. Auffallend jedoch ist, dass jedes Mal auch dieselben Informationen wiederholt werden. So wird zum Beispiel immer, wenn über die Bruns die Rede ist, erwähnt, dass sie aus Hongkong kommen und ‚Mombasa„ wird jeweils mit der Information ‚eine Stadt am Indischen Ozean„ ergänzt. Die 230 Grass, Der Butt , S. 555. Grass, Der Butt, S. 383. 232 Vgl. dazu: Grass, Der Butt, S. 379: „Doch Major Le Gros, der zur Abendtafel als Gast geladen war, hatte den Feind noch vorn den Palisaden niederkartätscht.“ und: Grass, Der Butt, S. 381: „Man war lustig und feierte Le Gros, dessen Kanoniere am Vormittag die anstürmenden Russen vor der Sternschanze niederkartätscht hatten.“ 233 Grass, Der Butt, S. 200. [Hervorhebung von mir, SG] 234 Grass, Der Butt. S. 301. [Hervorhebung von mir, SG] 235 Grass, Die Rättin, S. 208-212, S. 253-258, S. 283-293, S. 303-307. 231 62 Erwähnung des Bischofs, der im vorigen Kapitel auch schon an die Reihe kam, finden wir auch an verschiedenen Stellen vor, jedoch je anders formuliert.236 4.2.3. Betonung der literarischen Konstruktion Im ersten Teil wurde schon erwähnt, dass beide Erzähler der Romane selber auch Schriftsteller sind. Dies hat für den Aufbau des Romans einige Folgen, denn in Der Butt sowie in Die Rättin wird der ganze Schreibprozess mit einbezogen. Dadurch bekommt der Leser manchmal den Eindruck, als ob nicht ein fertiger Roman, sondern ein ‚Romanplan„ vorliegt. In Der Butt zum Beispiel wird unter anderem folgendermaßen auf den Entstehungsprozess hingewiesen: Ich versprach ihm darüber zu schreiben. Plötzlich sagte er: „Überhaupt, das Buch. Heißt es nun endgültig „Der Butt“? Ich bestehe darauf. Und auch Sie, Sieglinde – darf ich so sagen – sollten dafür sorgen, daß es im Sinne des feministischen Tribunals bei diesem einfachen Titel bleibt.237 Auch wenn der Erzähler den Butt fragt, ob „alles nun auf Papier [steht]“ 238 wird indirekt auf den Schreibprozess angespielt. In Die Rättin wird dies überspitzt: das Schreiben wird noch unverhüllter gezeigt. Die Rättin wird in Konstruktion dargestellt und der Schreibprozess an sich ist ein wichtiger Anteil des Romans. Auch Roehm hat darauf hingewiesen: „Die Konstruktion ist ein Vorgang; der Roman erscheint als im Bau befindlich, nicht als fertiggestelltes Gebäude. Die Erzählerfiguren reagieren ständig aufeinander – das Konstruieren wird in seinem zeitlichen Verlauf dargestellt.“ 239 Ein Indiz dafür ist zum Beispiel der Gebrauch des Konjunktivs, so „könnte Wilhelm leise zu Jacob Grimm sagen: „Du siehst, lieber Bruder, die alten Märchen hören nicht auf.“240 Gerade dadurch, dass der Schreibprozess mit einbezogen und Teil des Romans wird, wird auch die fiktionale Seite des Ganzen betont: immer wieder wird der Leser daran erinnert, dass, was er liest, ‚bloß„ ein Roman, Literatur ist. Der Leser soll sich nicht zu viel in dem Geschehen verlieren und muss zu jedem Zeitpunkt erkennen, dass er sich mit Fiktion konfrontiert weiß. Wie früher in der Arbeit schon erwähnt wurde, erwirkt die Metalepse241 einen ähnlichen Effekt. Dadurch, dass 236 Grass, Die Rättin. u.a. S. 194-195, S. 212. Grass, Der Butt, S. 419. 238 Grass, Der Butt, S. 110. 239 Roehm, Klaus-Jurgen: Polyphonie und Improvisation. Zur offenen Form in Günter Grass‟ Die Rättin. New York: Peter Lang, 1992, S. 86. 240 Grass, Die Rättin, S. 55. [Hervorhebung von mir, SG] 241 Wenn die verschiedenen Erzählfaden (und so auch Gegenwart und Vergangenheit) aus Der Butt miteinander vermischt werden, können wir dies als eine Metalepse benennen. 237 63 die literarische Konstruktion entblößt wird, wird das Effekt verstärkt. Die Tatsache reimt sich aber nicht mit dem Willen, die alternativen Wahrheiten wiederzugeben, denn gerade durch das Betonen des fiktionalen Charakters wird auch die Existenz des dritten Weges untergraben. Könnte es aber sein, dass Grass sich dessen peinlich bewusst ist und auf diese Weise zeigt – und anprangert - dass die anderen Möglichkeiten nur im Fiktionalen überleben können? 4.3. Der Butt und Die Rättin als historische Romane Interessant für diese Arbeit ist, dass sich Der Butt und Die Rättin leicht als historische Romane lesen lassen, in denen Danzig als zentraler Ort – der Nabel der Welt – hervor tritt. Der Butt könnte als zweidimensionaler historischer Roman242, Die Rättin als dreidimensionaler historischer Roman243 bezeichnet werden. Wie sich schon erwiesen hat, erzählt Der Butt eine Geschichte der Menschheit, die sich auf historische und fiktive Tatsachen stützt. Beide sind aber so nah miteinander verknüpft, dass es oft schwer wird, Tatsache und Fiktion voneinander zu unterscheiden. Darüber hinaus gibt es verschiedene Zeugen, die sich in dem Ich vereinigen, die in dieser Geschichte nicht gehört werden (wollen). Obwohl auch diese Zeugen die Geschichte mit konstruiert haben, wird ihrer Anteil negiert, oder wie es in Der Butt heißt: „Geschichte die nicht geschrieben wurde, doch da ist und nachhängt.“244 Die Zeugen können wir auch wie den kleinen Mann verstehen, dessen Stimme in der Geschichte kein Gehör findet. Die vielen Hinweise darauf, dass das Ich „die Zeit treppab“245 ging können wir dann programmatisch verstehen: Grass sitzt nicht in einem Elfenbeinturm, zeigt sich engagiert und schreibt die Geschichte von dem (negierten) Volk aus. Die vielen Hinweise auf andere Texte in Der Butt erheben den Eindruck, dass ‚die„ Geschichte eine textliche Konstruktion ist und vom Text bestimmt (und nicht vice versa) wird. Auch für Die Rättin gelten dieselben Merkmale: der Roman erzählt einen Teil der Geschichte der Menschheit, die aus einer Mixtur von fiktiven und historischen Elementen besteht, verschiedene Erzähllinien werden zusammen gebracht, es gibt zig Anspielungen auf andere Texte und Die Rättin entblößt – noch deutlicher als Der Butt – seinen fiktionalen Charakter. Die Technik legt die Geschichtschreibung an sich frei und betont, dass Geschichte 242 Ein Roman, in dem Vergangenheit und Gegenwart ineinander fließen. Ein Roman, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft werden. Grass selbst benennt dies als „Vergegenkunft“. 244 Grass, Der Butt, S. 524. 245 Grass, Der Butt, u.a. S. 8, 393, 524. 243 64 immer aus einem subjektiven Standpunkt heraus geschrieben wird. Eine objektive Geschichte, ‚die„ Wahrheit existiert nicht, es gibt immer verschiedene Wahrheiten und Möglichkeiten nebeneinander – die aber nicht alle anerkannt werden. 65 SCHLUSSFOLGERUNGEN „Grass schreibt an einem größeren Ganzen“ 246 äußert Enzensberger, und auch bei mir wuchs diese Vermutung, nachdem ich einige Romane von Grass gelesen hatte. In dieser Arbeit treten zwei seiner Werke, Der Butt und Die Rättin, an zentraler Stelle, weil wir die beiden Romane als eine kleine literarische Einheit betrachten können. Auch wird Die Rättin oft als die weibliche Fortsetzung von Der Butt gelesen. Viele Untersuchungen nach Romanen von Grass fokussieren auf politische Aspekte. So wird oft versucht, aus dem literarischen Inhalt auf den politischen Standpunkt Grass„ zu schließen. Den technischen und narratologischen Merkmalen der Romane werden oft weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgangspunkt dieser Arbeit jedoch war eine erzähltechnische Analyse von Der Butt und Die Rättin. Weil nach einer genauen Lektüre auffiel, wie oft die Parenthese in beider Romanen benutzt wird, wurde vor allem auf die Stilfigur fokussiert. In einem ersten Teil wurden beide Romane auf gemeinsame thematische und formale Elemente untersucht. Der Butt sowie der Feminismus aus Der Butt tauchen in Die Rättin wiederum auf. Auch die Figur Oskar Matzerath nimmt aufs Neue teil, sie jedoch verweist vor allem auf Die Blechtrommel. Auffallend ist auch, dass die Frauen an Bord der ‚Neuen Ilsebill„ die Köchinnen aus Der Butt in Erinnerung rufen. Die Frauen sowie der Ich-Erzähler verfügen über eine übergreifende Allwissenheit und kommentieren Geschehnisse aus beiden Romanen. Auch das Märchen spielt eine bedeutungsvolle Rolle in den zwei Werken: Der Butt liegt das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau zugrunde und Die Rättin enthält einen Erzählstrang, der völlig von Märchenfiguren besetzt wird. Auch auf die formale Ebene lenken Märchen beide Romane: sehr oft, auch wenn nicht von Märchen die Rede ist, tauchen Märchenfloskeln wie „Es war einmal“ auf. Die Floskeln aber introduzieren meistens Abschnitte, deren Inhalt alles andere als märchenhaft ist. Die Form wird deutlich mit dem Inhalt der Abschnitte kontrastiert, was einen verfremdenden Effekt auf den Leser hat. Auch die Gedichte, die oft Kurzfassungen von Geschehnissen sind oder kryptische Prolepse enthalten, finden wir in beiden Romanen vor. Im zweiten Kapitel wurden Der Butt und Die Rättin einer erzähltechnischen Analyse unterzogen. Zuerst wurde der Tatsache, dass beide Erzähler eine Widerspieglung des Schriftstellers Grass sein könnten, kurz Aufmerksamkeit geschenkt. Zweitens wurde die 246 Brode,“ Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß“ Zur erzählerischen Kontinuität im Werk von Günter Grass. S. 82. 66 Zeitauffassung in beiden Romanen unter die Lupe genommen. Wir können schlussfolgern, dass Der Butt die Geschichte linear, wenn auch unterbrochen, erzählt, während Die Rättin ein Universum schafft, in dem alles gleichzeitig geschieht. Beide Romane untergraben aber zugleich ihre Zeitauffassung: Der Butt führt ein Ich auf, das sich mit jeder Epoche auskennt und sich in jede Epoche einmischt, so dass auch in diesem Roman manchmal ein ‚gleichzeitiges Universum„ entsteht. Die Rättin erzählt über den Untergang der Welt und können wir daher als apokalyptisch betrachten, was aber eine Linearität impliziert. Dazu kommt, dass beide Romane die zyklische Struktur der Geschichte betonen, weil oft darauf hingewiesen wird, wie alles sich immer wiederholt. Es mag wohl deutlich sein, dass die Zeitauffassung sich nicht eindeutig benennen lässt. Auch die Erzählperspektive in beiden Romanen wurden untersucht. Die Erzählinstanz wird in Der Butt und Die Rättin in mehreren Erzählstimmen gespalten. Beide Werke zeigen eine ähnliche Struktur auf: es ist die Rede von einem Erzähler und einem Kontra-Erzähler – zwei Mal ein Tier: zuerst ein männlicher Butt, dann eine weibliche Ratte – deren Dialog die ‚Rahmenerzählung„ formt. Das Erzähler-Ich führt selbst auch verschiedene Erzähllinien auf, in denen es keine handlungstragende Rolle mehr hat. Wie sich herausgewiesen hat, werden beide Erzähler auch von ihren Erzählungen isoliert: das Ich aus Der Butt wird durch die Zeit von den Erzählungen getrennt, während das Ich aus Die Rättin in einer Kapsel in den Raum geschossen wird. Auch die Erzählperspektive und die Struktur lassen sich nicht einfach benennen, doch kann es meiner Meinung nach nur dieser Struktur und dieser Zeitsbehandlung gelingen, die zeitgenössische, fragmentierte Wirklichkeit zu fassen. In dem dritten Kapitel trat die Parenthese an zentraler Stelle. Anhand einer theoretischen Skizze wurde sie auf ihre Funktionen in Der Butt und Die Rättin untersucht. In Der Butt fiel es auf, dass mittels der Parenthese ein nicht-offizielles Zeugnis geschaffen wird: zwischen Klammern erscheinen Aussagen, die nicht im Zeugnis, an das das Ich schreibt, aufgenommen werden dürfen. Daneben können wir der Parenthese in Der Butt sowie in Die Rättin verschiedene Funktionen zuschreiben. Mittels parenthetischer Aussagen wird oft ein Universum geschaffen, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenkommen. Auch Tatsache und Fiktion werden, mit Hilfe der Parenthese, zu einer Ganzheit. In den Schaltsätzen wird auch manchmal möglicher Kommentar des Lesers vorweggenommen. Weil der Leser sich mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert weiß, fühlt er sich ertappt und soll, als implied reader, seine Ideen weiterreflektieren. Dazu kommt, dass die Kommentare, gerade weil sie schon vorhanden sind, auch oft die Gedanken des Lesers lenken. Am auffallendsten aber ist, dass parenthetische Sätze oft mittels eines Wortes eine ‚nicht-erzählte„ Geschichte 67 herbeirufen. Sehr oft wird auf die Kriegsvergangenheit hingewiesen, ohne dass sie aber buchstäblich erwähnt wird. Im Allgemeinen können wir schlussfolgern, dass die Parenthese sehr oft eine andere Möglichkeit, eine andere Wahrheit herbei ruft, was für Grass als Schriftsteller des ‚dritten Weges„ charakterisierend ist. Im Schlusskapitel wurde dieser letzte Punkt ergänzt, denn wir können die Funktion nicht nur der Parenthese entnehmen. Zuerst wurden zwei Elementen, die den dritten Weg symbolisieren, Aufmerksamkeit geschenkt. Danach wurden einige andere besondere Merkmale der Schreibtechnik analysiert. Es lässt sich schließen, dass auch die metaliterarischen Aussagen, das Kreisen der Geschichte sowie die offene Struktur die Existenz anderer Wahrheiten markieren. Diese Arbeit hat versucht, die Lücke in die erzähltechnischen Untersuchungen ein wenig zu füllen, aber, wie immer, haben sich während das Schreiben dieser Arbeit viele neue Forschungsvorschläge entwickelt. So könnte es interessant sein, die Funktion der Parenthese auch in anderen Romanen Grass„ zu untersuchen. Sind sie auch da überdurchschnittlich vorhanden und erfüllen sie eine ähnliche Funktion? Auch der Unterschied zwischen dem Gebrauch von Klammern und Gedankenstrichen könnte vertieft werden. Weiter würde es nützlich sein, zu untersuchen mittels welcher anderen Erzähltechniken der dritte Weg dargestellt wird. Vielleicht kann diese Arbeit ein Ansatz für weitere Untersuchungen sein. 68 BIBLIOGRAFIE Primärliteratur: Grass, Günter: Der Butt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1977. Grass, Günter: Danziger Trilogie: Die Blechtrommel, Katz und Maus, Hundejahre. Darmstadt: Luchterhand, 1980. Grass, Günter: Die Rättin. München: Deutscher Taschenbuchen Verlag, 1998. 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