Seminararbeit aus Handels- und Wirtschaftrecht
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Seminararbeit aus Handels- und Wirtschaftrecht
Mag. Florian Knotek 9700986 Seminararbeit aus Handels- und Wirtschaftrecht Univ.- Prof. Dr. Heinz Krejci, Univ.- Prof. Dr. Manfred Straube Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Wien SS 2004 Thema der Seminararbeit: Die Beweislastverteilung Organhaftung mit Ermessensspielraum bei Blick der der auf US – gesellschaftsrechtlichen den unternehmerischen amerikanischen Judgment Rule Verfasser: Mag. Florian Knotek Matrikelnummer: 9700986 , 1 Business Mag. Florian Knotek 9700986 Inhaltsverzeichnis 1. Allgemein...........................................................................................................3 2. Gesetzliche Grundlagen....................................................................................3 3. Theorien zum Ausmaß der Beweislastumkehr..................................................4 4. Untrennbarkeit von Rechtswidrigkeit und Verschulden.....................................5 5. Auswirkung der Untrennbarkeit auf die Beweislastumkehr...............................6 6. Kritik am „Doppeltatbestand“.............................................................................7 7. Die Lösung in der historischen Ratio?..............................................................9 8. Die „Mittellösung“............................................................................................10 9. Die Anwendung der BJR zur Abgrenzung des Ermessenspielraums.............12 9.1. Allgemein...........................................................................................12 9.2. Sinn und Zweck der BJR...................................................................13 9.3. Abgrenzung bloßer Fehlentscheidungen von Pflichtwidrigkeiten......13 - Bewusste Entscheidung - Sachkundige Entscheidung - Gutgläubigkeit, kein Interessenskonflikt 9.4. Rechtsfolgen der BJR und Beweislastverteilung..............................15 9.5. Die BJR und das österreichische Recht...........................................17 2 Mag. Florian Knotek 9700986 1. Allgemein Streitigkeiten, in denen Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstände einer AG wegen einer Schädigung der Gesellschaft haftbar gemacht werden sollen, stellen Gerichte oft vor nicht unerhebliche Probleme. Auch bei genauerer Betrachtung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen erfährt der Rechtsuchende oft nicht volle Befriedigung, sind doch die hier angesprochenen gesetzlichen Regelungen keineswegs klar und außer Streit gestellt. Im Folgenden möchte ich diese Problemfelder aufzeigen und, auch anhand der aus dem US amerikanischen Recht stammenden Business Judgment Rule, Lösungsvorschläge die teils von der Lehre, teils von der Rechtsprechung erarbeitet wurden, anbieten. 2. Gesetzliche Grundlagen Grundlage der Haftung von Vorstandsmitgliedern für Schäden, die diese der AG zugefügt haben, ist § 84 AktG. Diese Bestimmung normiert, dass Vorstandsmitglieder „bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben“ (§ 84 Abs.1) und bei „Verletzung ihrer Obliegenheiten der Gesellschaft gegenüber schadenersatzpflichtig werden“ (§ 84 Abs. 2 Satz 1). Darüber hinaus beinhaltet diese Bestimmung noch zusätzlich eine Beweislastumkehr zu Lasten der Vorstandsmitglieder, indem sich diese von der Schadenersatzpflicht „durch den Gegenbeweis befreien können, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet haben“ (§ 84 Abs. 2 Satz 2). Bei der GmbH gilt § 25 Abs.1 der die Geschäftsführer dazu verpflichtet, „bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“ anzuwenden. 3 Mag. Florian Knotek Eine dem 9700986 Aktienrecht entsprechende Bestimmung hinsichtlich der Beweislastumkehr findet sich im Text zwar nicht, doch wird deren Anwendung nach ganz allgemeiner Ansicht mit einer analogen Anwendung des § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG vermutet. Außerdem sei diese Bestimmung nur lex specialis zu der zivilrechtlichen Vertragshaftung, weshalb schon aus diesem Grund eine Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB anzuwenden sei. 1 3. Theorien zum Ausmaß der Beweislastumkehr Betrachtet man nun die Bestimmungen über die Beweislastumkehr genauer, so stellt sich die Frage nach dem Ausmaß des von der Geschäftsleitung zu leistenden Freibeweises: Nach einer Auffassung2 beinhalten die besagten Regeln eine Vermutung sowohl hinsichtlich des rechtswidrigen als auch des schuldhaften Verhaltens, weshalb die Gesellschaft nur beweisen müsse, dass ihr durch das Verhalten des Beklagten ein Schaden entstanden sei, der freilich kausal verursacht wurde. Allerdings müsse der belangte Geschäftsleiter nachweisen, nicht schuldhaft oder schon gar nicht rechtswidrig gehandelt zu haben. Einer anderen Meinung3 nach, beziehe sich die Beweislastumkehr nur auf das Verschulden, weshalb die Gesellschaft den Schaden, (die Kausalität, die Adäquanz) und eben auch die Rechtswidrigkeit zu beweisen habe, das beklagte Organ hingegen nur, nicht schuldhaft gehandelt zu haben. Andere vertreten eine „Mittellösung“, indem sie dem Geschäftsführer den Freibeweis des mangelnden Verschulden und des pflichtgemäßen Verhaltens auferlegen, jedoch nicht bloß den schlichten Nachweis eines von ihm verursachten 1 Harrer, Haftungsprobleme bei der GmbH (1990), 41 Koppensteiner, GmbH-Gesetz, 2. Aufl., § 25 RZ 29 3 OGH, ecolex 1998, 77 (Reich-Rohrwig) 2 4 Mag. Florian Knotek 9700986 Schadens genügen lassen, sondern von der Gesellschaft verlangen, das diese ein möglicherweise rechtswidriges Verhalten des Beklagten nachweist.4 Dritte sind der Meinung, dass hier keine statische Entscheidung vorgenommen werden dürfe. Hingegen sei die Frage der Beweislastverteilung auf den konkreten Entscheidungssachverhalt abzustimmen.5 4. Untrennbarkeit von Rechtswidrigkeit und Verschulden Dass eben ausgeführter Meinungsstreit auch in der Praxis sehr wohl von Bedeutung ist, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass bei Fragen der Organhaftung Rechtswidrigkeit und Verschulden in den meisten Fällen ja kaum trennbar sind. So wie bei den positiven Forderungsverletzungen oder den Verletzungen vertraglicher Schutz und Sorgfaltspflichten ist auch hier ganz allgemein anerkannt, dass Unrecht und Verschulden verschwimmen:6 Denn es ist davon auszugehen, dass durch die in den oben genannten Bestimmungen des Aktien – und GmbH Rechts, „geforderte Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers (Geschäftsleiters)“, ein objektiver Verschuldensmaßstab begründet wird. Unternehmensleiter können sich daher nicht auf ihre eigene Unfähigkeit berufen, sondern haben sich wie jemand in verantwortlich leitender Position bei der selbständigen treuhändigen Wahrnehmung fremder Interessen zu verhalten.7 Aber die „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers“ ist nicht nur bei der Feststellung des objektiven Verschuldensmaßstabes von Relevanz, sondern wird auch bei der Ermittlung der Rechtswidrigkeit des einzelnen Organverhaltens von großer Bedeutung sein. Wie sonst, wenn nicht durch diesen objektiven 4 Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I, 2.Aufl., Rz 2/420 Heermann, Unternehmerisches Ermessen, Organhaftung und Beweislastverteilung, ZIP 1998, 761 (767) 6 Fleck, GmbH-Recht 1997, 237 7 Fleck, GmbH-Recht 1997, 238 5 5 Mag. Florian Knotek 9700986 Sorgfaltsmaßstab, lässt sich der Pflichtenkreis des einzelnen Organs, der ja durch punktuelle gesetzliche Bestimmungen nur unzureichend konkretisiert werden kann, feststellen. Somit kann wohl festgestellt werden, dass die Verletzung der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers, sowohl schuldhaftes wie auch rechtswidriges Organhandeln auslöst, Unrechts – und – Verschuldensbeweis daher zusammenfallen.8 5. Auswirkungen der Untrennbarkeit auf die Beweislastumkehr Gelangt man nun zu diesem Ergebnis, hat dies freilich Auswirkungen auf die oben beschriebenen Meinungen zum Ausmaß der Beweisslastverteilung: Denn wenn Verschulden und Unrecht nicht trennbar sind, ja sogar zusammenfallen, so muss dies ja auch folgerichtig für die Beweislastumkehr des § 84 Abs. 2 AktG bzw. analog auch für § 25 Abs. 1 GmbHG gelten. Denn ein Beweislastumkehrverständnis, dass nur den Freibeweis von dem Verschulden verlangt, der Gesellschaft aber den Nachweis der organschaftlichen Sorgfaltswidrigkeit auferlegt, würde die Regelung der Beweislastumkehr aushöhlen bzw. bedeutungslos machen: Wenn es der Gesellschaft nämlich gelingt, die maßgebenden Umstände die die Pflichtwidrigkeit auslösen, zu beweisen, so ist ja, bei oben erwähnter Deckungsgleichheit der Tatbestände, die Schuld des sorgfaltswidrig handelnden Organ in aller Regel gleich mitbewiesen. Für eine Beweislastumkehrregel, die dem Geschäftsleiter nun den Beweis des Nichtverschuldens auferlegt, ist demnach kein Raum mehr.9 Ein weiteres Argument für die Vermutung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens und den daraus resultierenden Freibeweis zu Lasten des Organs, wird auch in dem allgemeinen Grundsatz einer Aufteilung der Beweislast nach „Beweisnähe“ bzw. „Gefahrenkreisen“ gesehen, denn Gesetzeszweck sei es auch 8 9 Fleck, GmbH-Recht 1997, 237 Wünsch, GmbHG § 25 Rz 45 6 Mag. Florian Knotek 9700986 dem typischen Informationsdefizit der klagenden Gesellschaft Rechnung zu tragen. Dem folgend trage derjenige die Beweislast, der den besseren Zugang zu den maßgeblichen Tatsachen habe bzw. solle verhindert werden, dass die Gesellschaft, die oft nur sehr schlechten bis gar keinen Einblick in die internen (Entscheidungs-) Vorgänge habe, in einen Beweisnotstand gerate.10 Stimmt man nun dieser ratio der Beweislastverteilung zu, so muss dies konsequenterweise für Verschulden und Rechtswidrigkeit gelten, da ja wie oben beschrieben, dieselben Nachweise erbracht werden müssen. Im Ergebnis führt diese Auffassung daher ebenfalls zu einer Verschuldens- wie auch- Rechtswidrigkeitsvermutung.11 Konkret bedeutet dies, wie oben erwähnt, dass die klagende Gesellschaft lediglich den ihr zugefügten Schaden12 beweisen müsste, der beklagte Geschäftsführer oder Vorstand aber, dass sein organschaftliches Handeln nicht als rechtswidrig oder jedenfalls nicht als schuldhaft einzustufen ist. 6. Kritik am „Doppeltatbestand“ Doch geht vielen diese Ansicht, wonach eine Verschuldens- und vor allem eine Rechtswidrigkeitvermutung zu Gunsten der Gesellschaft greift, zu weit: Denn es solle beachtet werden, dass das Risiko der Unaufklärbarkeit, das bei dieser Ausformung der Beweislastverteilung das beklagte Organ treffen würde, praktisch zur Erfolgshaftung des Geschäftsleiters führen und ihm das unternehmerische Risiko der Gesellschaft aufbürden würde. Gerade das unternehmerische Risiko trägt aber die GmbH.13 Dazu kommen noch die Beweisschwierigkeiten für die Umstände und Rahmenbedingungen von Handlungen die unter Umständen schon längere Zeit zurückliegen und vielfach auch nicht ausführlich dokumentiert wurden. In diesem Sinn sei auch zu bedenken, 10 Böhler, Zur Beweislast bei der Organhaftung, in Krejci – FS (2001) 508 Böhler, Zur Beweislast, 509 12 ebenso dessen Kausalität und Adequanz 13 Reich-Rohrwig, GmbH-Recht, Rz 2/420 11 7 Mag. Florian Knotek 9700986 dass die Geschäftsleitung ja gerade nicht für jede nachteilige Entwicklung des Gesellschaftsvermögens haften solle. Da das Risiko des ungünstigen Ausgangs von Unternehmergeschäften im Wesen unternehmerischer Betätigung liege, seien riskante Geschäfte nicht von vornherein zu beanstanden, die Geschäftsleitung daher auch nicht für jede Vermögensverminderung haftbar, sondern vielmehr nur dann, wenn sie denn unternehmerischen Ermessensspielraum14 überschritten habe. Genau diese Wertung, die das Unternehmerrisiko somit der Gesellschaft und nicht deren Leitungsorgan zuweist, sei bei einer Rechtswidrigkeitsvermutung aber in Gefahr: Denn führe jede nachteilige Entwicklung des Gesellschaftsvermögens zur Beweislastumkehr, trage wie schon erwähnt, die Geschäftsleitung, wenn sie nach Jahren nicht mehr in der Lage ist, die Vertretbarkeit ihrer damaligen Entscheidung darzulegen, letztendlich das Risiko des Erfolges.15 Oft wird in diesem Zusammenhang das Argument vorgebracht, dass der Wortlaut des § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG, der ja auch analog für die GmbH gilt, nur die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens umfasse, die Rechtwidrigkeit also im Sinne des unternehmerischen Risikos, die Gesellschaft zu beweisen habe. Dies wird mit einem Verweis auf das allgemeine Schadenersatzrecht begründet, wonach jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigeren Norm zu beweisen hat, weshalb der Kläger das Vorliegen aller Haftungserfordernisse beweisen muss. Wenn § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG davon nun eine Ausnahme darstellt, müsse diese im Zweifelsfalle eng verstanden werden. Da in dieser Bestimmung aber lediglich von der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters die Rede ist, sei damit nur das Verschulden gemeint, eine Erstreckung der Beweislast auf die Rechtswidrigkeit hätte eine ausdrückliche Erwähnung verlangt.16 Gerade aber die Tatsache das in § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG von der „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ die Rede ist, wird im Hinblick auf § 1298 ABGB, der in seinem Wortlaut nur von „Verschulden“ spricht, auch die 14 Auch die Frage nach den Grenzen des unternehmerischen Ermessenspielraums wirft einige Probleme auf und soll in einem nachstehenden Kapitel in Zusammenhang mit der US- amerikanischen Business Judgment Rule erürter werden. 15 Böhler, Zur Beweislast, 509 16 Fleck, zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers GmbHR 1974, 224 8 Mag. Florian Knotek 9700986 Meinung vertreten, dass gerade weil dies der Gesetzgeber in dieser (§ 84 Abs. 2 Satz 2 AktG) Bestimmung hier nicht tut, sei ein weites Verständnis geboten, dass sowohl die Vermutung der Rechtswidrigkeit als auch die des Verschuldens umfasst.17 7. Die Lösung in der historischen Ratio? Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmung eröffnet einen Ausweg aus dem Spannungsfeld zwischen Verschuldens – und gleichzeitiger Rechtswidrigkeitsvermutung und der Aufteilung in Gefahrenbereiche bzw. dem Grundsatz der Beweisnähe einerseits und der Maxime, dass das Unternehmen und nicht der Unternehmensleiter das wirtschaftliche Risiko tragen soll, andererseits: So spricht die amtliche Begründung zu § 84 des deutschen Aktiengesetzes von 1937, als solches ja Vorgänger des österreichischen Aktiengesetzes von 1965, davon, dass mit dieser Norm „ja lediglich der in der Rechtsprechung schon entwickelte Gedanke, wonach der Vorstand im Schadenersatzprozess den Entlastungsbeweis zu führen hat, gesetzlich verankert werden“.18 Die Beweislastumkehr sollte nach dem Willen des Gesetzgebers daher wohl inhaltlich jenes Ausmaß haben, das ihr die damalige Rechtsprechung zubilligte.19 Und über dies dürfte weitgehend Einigkeit bestehen: So dürfte damals einheitlich eine „vermittelnde“ Lösung judiziert worden sein, denn die Gesellschaft musste neben dem Beweis des konkreten Schadens, auch nachweisen, dass dieser durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Organmitglieds entstanden ist. Der Beklagte hatte wiederum zu beweisen, dass er nicht pflichtwidrig oder doch nicht schuldhaft gehandelt hatte.20 17 Böhler, Zur Beweislast, 510 Goette, Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast der objektiven Pflichtwidrigkeit bei der Organhaftung, ZGR 1995, 669 19 Böhler, Zur Beweislast, 511 20 Goette, ZGR 1995, 669 18 9 Mag. Florian Knotek 9700986 8. Die „Mittelösung“21 Die Mittellösung versucht den „Spagat“ zwischen reiner Verschuldensvermutung einerseits und Vermutung hinsichtlich Verschulden und Rechtswidrigkeit andererseits. Soll die Beweislastumkehr nicht ihre Bedeutung verlieren bzw. nicht ausgehöhlt werden, muss man sie auf Verschulden und Rechtswidrigkeit beziehen, da ja, wie oben erwähnt, zur Prüfung dieselben Umstände herangezogen werden. Diese Regelung verliert aber dann nicht an ihrer Bedeutung, wenn man von der Gesellschaft bloß den Nachweis möglicherweise pflichtwidrigen Verhaltens fordert. Dabei wird die Beweislastumkehr ja nicht ausgehöhlt, obliegt es doch immer noch dem beklagten Organ die möglicherweise vorliegende Pflichtwidrigkeit mittels Freibeweises zu entkräften. Auch der Gedanke einer Beweislastverteilung nach Beweisnähe bzw. Gefahrenbereichen steht nicht im Widerspruch zu der anvisierten Mittellösung: Denn das Risiko der Unaufklärbarkeit, soll ja nach diesem Gedanken jenen treffen, der hinsichtlich der Aufklärung „näher dran“ ist. Da dies in aller Regel auf den Geschäftsleiter zutreffen wird, erscheint es logisch, die Gesellschaft vom konkreten Nachweis der Rechtswidrigkeit des organschaftlichen Handelns zu befreien. Allerdings greife die Beweislastumkehr nach dem Gefahrenbereichsprinzip immer erst dann, wenn „solche Umstände nachgewiesen sind, die die Schadensursache im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Beklagten lokalisieren und nach der Lebenserfahrung zunächst den Schluss nahe legen, dass der Beklagte die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat.“22 Also erst wenn die Gesellschaft diesen Nachweis erbringt, wird vermutet, dass das beklagte Organ den Schaden sowohl schuldhaft als auch rechtswidrig verursacht hat. 21 22 Böhler, Zur Beweislast, 510 f Welser, Schadenersatz statt Gewährleistung, 68 10 Mag. Florian Knotek 9700986 Da beim Gefahrenbereichprinzip immer auch die Zumutbarkeit eine Rolle spielt, es soll ja denjenigen das Risiko der Unaufklärbarkeit treffen, dem der Nachweis aufgrund der Beweisnähe zumutbarer ist, erscheint eine Beweislast des Geschädigten zumindest für einen Anschein pflichtwidrigen Verhaltens als in aller Regel aber noch zumutbar. 23 Die Mittellösung kommt daher zu dem Schluss, dass nach der ratio einer Beweislastverteilung, wie sie das Aktienrecht anordnet24, die Gesellschaft zwar das konkrete Tun oder Unterlassen des Organmitglieds jedenfalls nicht nachzuweisen hat25, sie aber sehr wohl solche Umstände nachzuweisen hat, die nach der Lebenserfahrung bzw. aller Wahrscheinlichkeit nach, zunächst den Schluss nahe legen, dass sorgfaltswidrig gehandelt wurde und die Schadensursache aus dem Verantwortungsbereich des Beklagten stammt. Erst nach diesem Nachweis der Gesellschaft kommt es zur Beweislastumkehr, also dazu, dass der Beklagte beweisen muss, nicht rechtswidrig oder doch nicht schuldhaft gehandelt zu haben. 23 Böhler, Zur Beweislast, 510 f bzw. analog dies für die GmbH gilt 25 insofern geht die Lösung über eine reine Verschuldensvermutung hinaus 24 11 Mag. Florian Knotek 9700986 9. Die Anwendung der BJR zur Abgrenzung des Ermessenspielraums 9.1. Allgemein Wie in der „Mittellösung“ dargelegt, hat bei Vorliegen des Anscheins rechtswidriger Handlungen, der Geschäftsleiter zu beweisen, nicht schuldhaft oder doch nicht rechtswidrig gehandelt zu haben. Es stellt sich die Frage nach dem Sorgfaltsmaßstab, den das handelnde Organ anzuwenden hat. Dieser wird im Schrifttum wie folgt definiert26: Der Haftung der Geschäftsleitung, soll erst dann ausgelöst werden, wenn der unternehmerische Ermessenspielraum überschritten bzw. die geschuldeten brachen-, größen- und situationsadäquaten Bemühungen unterlassen bzw. verletzt wurden. Auch die oberstgerichtliche Rechtsprechung vertritt die Ansicht, „dass der Fehlschlag unternehmerischer Entscheidungen nicht schon an sich pflichtwidrig sei. Denn sonst würde dem Vorstand oder Aufsichtsrat doch das Unternehmensrisiko aufgebürdet, dass aber stets bei der Gesellschaft bleibt.“27 Und auch der deutsche BGH betont die Bedeutung des unternehmerischen Ermessens, „.....ohne dass unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist“.28 Ausgehend von diesen Entscheidungen mehren sich die Stimmen, die meinen, dass das US-amerikanische Rechtsinstitut der Business Judgment Rule auf den Handlungsspielraum bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen Vorständen und Geschäftsführern zu übertragen sei. 26 29 Böhler, Zur Beweislast, 520 OGH 26.02.2002, 1 Ob 144/01k 28 ecolex 1997, 507 29 U. Torggler, Business Judgment Rule und Unternehmerische Ermessensentscheidungen, ZfrV 2002, 133 27 12 von Mag. Florian Knotek 9700986 Die BJR des US-amerikanischen Rechts scheidet bloße unternehmerische Fehlentscheidungen eines directors, die keine Haftung nachsichziehen, von Pflichtverletzungen, die diese sehr wohl auslösen. 9.2 Sinn und Zweck der Business Judgment Rule Die hinter der BJR stehenden Überlegungen und Wertungen können wie folgt umschrieben werden30: - Richter sind keine unternehmerische Manager: Es Entscheidungen ist nicht der Sache des Gerichtes Unternehmensleitung zu hinterfragen. - Vorstände bzw. Geschäftsführer sind keine Propheten: Ex ante sorgfältige Entscheidungen dürfen nicht deshalb haftungsauslösend sein, weil sie sich nachträglich als nachteilig herausgestellt haben. - Das unternehmerische Risiko darf nicht auf die Unternehmensleitung übertragen werden. - Die Haftung für unternehmerischen bloße Fehlentscheidungen Tätigkeit unverzichtbare würde die in Innovationsfreude der und Risikobereitschaft hemmen. 9.3. Abgrenzung zwischen bloßer Fehlentscheidung und haftungsbegründenter Pflichtwidrigkeit31 Eine gesetzmäßige und durch den Unternehmenszweck Geschäftsentscheidung unterliegt dem Schutz der BJR, wenn sie 30 31 Grass, Business Judgment Rule, 1998, 2 f U. Torggler, ZfrV 2002, 137 13 gedeckte Mag. Florian Knotek 9700986 - bewusst - sachkundig - im guten Glauben, im Gesellschaftsinteresse getroffen wurde. - bewusste Entscheidung Um in den Schutzbereich der BJR zu gelangen, müssen die Mitglieder der Unternehmensführung eine bewusste Entscheidung treffen. Bloße Untätigkeit eines Organs unterliegt nicht dem Schutz der BJR, außer es handelt sich dabei wiederum um eine bewusste Entscheidung nicht zu handeln, diese ist daher auch als unternehmerische Entscheidung zu qualifizieren und – bei Vorliegen der übrigen, unten angeführten Elemente – dem Schutz der BJR unterstellt. - sachkundige Entscheidung Ein director oder officer muss seine Entscheidung sachkundig treffen, d.h. er muss sich in jenem Ausmaß informieren, wie es vernünftigerweise unter den gegebenen Umständen als angemessen erscheint. Der Kreis der vom Vorstand zu nutzenden Informationen hängt von der Bedeutung der jeweiligen Geschäftsentscheidung für das Unternehmen, vom Zeitdruck sowie von den mit der Informationsbeschaffung verbundenen Kosten ab. Geschuldet wird also keinesfalls die Heranziehung jeder verfügbarer Informationsquelle, sondern bloße effiziente Information. Dies führt aber entscheidungsreif dazu, zu dass erachten, die Entscheidung, wiederum selbst eine eine Angelegenheit für unternehmerische Ermessensentscheidung darstellt. Ein beklagter Organwalter muss in diesem Zusammenhang nur beweisen, dass es vertretbar war, aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Informationen eine Entscheidung zu treffen.32 32 U. Torggler, ZfrV 2002, 134 14 Mag. Florian Knotek 9700986 Eine sachkundige Entscheidung wird weiters dann vermutet, wenn sich die Organe eines nachvollziehbaren „Entscheidungsfindungsprozess“ bedienen. Die Mitglieder der Unternehmensführung entscheiden sachkundig, wenn sie im guten Glauben auf Berichte der von ihnen bestellten Experten vertrauen. Freilich wirkt jedoch ein Auswahlverschulden hinsichtlich der Experten als haftungsbegründend und schließt somit den Schutz der BJR aus. - Gutgläubigkeit - kein Ermessensmissbrauch, kein Interessenskonflikt der Manager Der Schutz der BJR entfällt, wenn sich das beklagte Organ bei der Entscheidung in einem Interessenskonflikt befand, denn es darf mit seiner Entscheidung nicht vorrangig seine finanziellen Interessen oder die naher Angehöriger verfolgen. Das bedeutet, dass eine Entscheidung die sich durchaus innerhalb des Ermessenspielraums befand, also daher vertretbar war, trotzdem pflichtwidrig und somit haftungsauslösend ist, wenn den Sonderinteressen der Vorzug vor den Interessen der Gesellschaft gegeben wurde.33 9.4. Rechtsfolgen der Business Judgment Rule und Beweislastverteilung34 In der Mehrheit der Bundesstaaten, ausgehend von Dellaware, gilt die BJR als widerlegbare Vermutung dafür, dass eine Geschäftsentscheidung des Management sachkundig, im guten Glauben und in aufrichtiger Überzeugung, im besten Interesse der Gesellschaft gehandelt zu haben, getroffen wurde. Da die BJR als „sicherer Hafen“35 zu Gunsten des Managements verstanden wird, hat die klagende Partei diese Vermutung zu entkräften, somit trifft sie die Behauptungsund Beweislast. Liegen die drei genannten Elemente der BJR vor, wird die inhaltliche Qualität einer unternehmerischen Entscheidung von denjenigen Gerichten, die der Rsp des Dellaware Supreme Court folgen, nicht überprüft. Folglich sind Vorstandsmitglieder in diesem Fall keiner persönlichen Haftung ausgesetzt. 33 Grass, Business Judgment Rule, 1998, 111 Kapsch, Grama, Business Judgment Rule, ecolex 2003, 524 35 „safe harbour“ 34 15 Mag. Florian Knotek 9700986 Allerdings fallen unternehmerische Entscheidungen, die zwar nach außen den Grenzen der BJR entsprechen, aber inhaltlich jeglicher rationalen Grundlage entbehren, somit unvertretbar sind, nicht unter den Schutz der BJR. Dies widerspricht auch nicht den vorher erwähnten Zielen der BJR, weil eine Überforderung der Gerichte deshalb nicht zu befürchten ist, da ja nicht zu beurteilen ist, ob die beste Entscheidung getroffen wurde, sondern bloß ob ein ordentlicher Geschäftsmann die gewählte Entscheidung als unvertretbar, weil in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit den Entscheidungsvoraussetzungen36, ansehen würde.37 Jene Gerichte, die dem American Law Institut (ALI) folgen, verstehen die BJR ebenfalls als „safe harbour“. Der Unterschied zum Delaware – law besteht jedoch darin, dass die officers und directors das Vorliegen der Tatbestandselemente der BJR zu beweisen haben, weil keine Vermutung zu ihren Gunsten besteht. Auch nach dieser Ansicht stellen von Haus aus unvertretbare Unternehmensentscheidungen eine haftungsbegründende Pflichtverletzung dar, die deshalb nicht dem Schutz der BJR unterliegen können. Liegt die Vermutung eines Sorgfaltsverstoßes vor, kann die klagende Partei mittels der derivative suit Ersatzansprüche gegen die Unternehmensführung geltend machen.38 36 die aber sehr wohl der BJR entsprechen U. Torggler, ZfrV 2002, 139 38 Kapsch, Grama, Business Judgment Rule, 524 37 16 Mag. Florian Knotek 9700986 9.5. Die BJR und das österreichische Recht Nach herrschender österreichischen Lehre39 wird der Ermessensspielraum der Unternehmensleitung ( § 70 Abs. 1 AktG) grundsätzlich durch - Gesetz - Satzung - Anstellungsvertrag - Organbeschlüsse bestimmt. Die unternehmerischen Ermessensentscheidungen müssen weiters sachkundig erfolgen.40 Darüber hinaus, darf die Unternehmensleitung keine unverhältnismäßigen Risiken eingehen, die insbesondere dann vorliegen, wenn durch ihr Eingehen der Bestand des Unternehmens gefährdet wird.41 Aus der organschaftlichen Treuepflicht wird abgeleitet, dass die Mitglieder der Unternehmensführung ihre Organstellung nicht auf Kosten der Gesellschaft ausnutzen und aus Geschäftschancen der Gesellschaft keinen eigenen Vorteil ziehen dürfen.42 Dies verdeutlicht bestehendenParallelen des österreichischen Rechts mit der US – amerikanischen BJR. Deshalb können die BJR meiner Meinung nach bei der Beschreibung bzw. Auslegung des allgemeinen Verhaltensstandard des § 84 Abs. 1 S. 1 AktG und des damit zusammenhängenden Ermessensspielraums hilfreich sein, legen die BJR doch sehr anschaulich dar, wie unternehmerische Entscheidungen „gestrickt“ sein 39 U. Torggler, ZfrV 2002, 139 U. Torggler, ZfrV 2002, 140 41 U. Torggler, ZfrV 2002, 141 42 U. Torggler, ZfrV 2002, 140 40 17 Mag. Florian Knotek 9700986 müssen, um als noch im Rahmen des Sorgfaltsmaßstabs gelten zu können. Vor allem rechtsuchende Unternehmensleitern, könnten die BJR bei ihrer Tätigkeit, ein hilfreicher Verhaltensmaßstab sein. Daher sollten auch im österreichischen Recht Geschäftsentscheidungen, die sich innerhalb der gerade aufgezeigten Grenzen befinden, solange inhaltlich nicht überprüfbar sein, als sie die Unternehmensleitung - bewusst - sachkundig - und in der Überzeugung, zum Wohle der Gesellschaft gehandelt zu haben, getroffen hat. 18