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Arbeitsunterlagen
zum Sommerlehrgang 2015
31.08.2015 bis 05.09.2015
(Antalya / Türkei)
„Aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und ihre
Bedeutung für die Praxis der Strafverteidigung"
Referenten:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Christoph Krehl, Karlsruhe
Co-Referent:
Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi, Berlin
Übersicht:
Vorwort
-3-
StGB Allg. Teil
-4-
StGB Besonderer Teil
- 81 -
Nebenstrafrecht
- 310 -
Strafprozessrecht
- 377 -
Inhaltsverzeichnis
- 582 -
-2-
Vorwort
Der Sommmerlehrgang 2015 in Antalya sollte eigentlich schon mit einem neuen anwaltlichen Referenten stattfinden,
nachdem Rainer Hamm den Vorstand gebeten hat sich um einen Nachfolge zu bemühen. Es hat sich dann aber als
durchaus schwierig erwiesen, einen Nachfolger für Rainer Hamm zu finden, der seit 1990 in Sestri Levante zunächst
viele Jahre zusammen mit RiBGH Gerhard Schäfer und seit 2010 zusammen mit RiBGH Prof. Dr. Christoph Krehl
referiert hat. Umso erfreulicher ist es, dass sich der Revisionsspezialist Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi bereit erklärt hat, als coreferierend mitwirkender Teilnehmer allen Kolleginnen und Kollegenen Gelegenheit zu geben, sich
gegenseitig kennenzulernen, um dann zu entscheiden, ob er ab dem Jahre 2016 und nach dem endgültigen Abschied
von Rainer Hamm dessen Part übernehmen wird.
Der Vorstand unseres Vereins dankt beiden Referenten und Herrn Norouzi für diese Lösung, die darauf angelegt ist,
den noch langjährigen Fortbestand des seit 1959 stattfindenden Sommerlehrgangs zu sichern.
Ein ganz besonderer Dank gilt jedoch unserem langjährigen Referenten Rainer Hamm, der diesen auf dem Gebiet der
strafrechtlichen Fortbildung einmaligen Lehrgang nachhaltig geprägt hat und dessen Name mit dem Sommerlehrgang untrennbar verbunden ist. Seit nunmehr 25 Jahren hat er den jährlichen Sommerlehrgang des Deutsche Strafverteidiger e.V. als Referent begleitet und damit zur Professionalisierung von Strafverteidigung beigetragen. Neben
seinen herausragenden fachlichen Qualitäten, darf auch sein persönliches Engagement für den Sommerlehrgang nicht
unerwähnt bleiben. Wir haben Rainer Hamm bei dem Sommerlehrgang nicht nur als engagierten, streitbaren und
professionellen Strafverteidiger, sondern auch als einen freundlichen und geselligen Teilnehmer des Lehrgangs kennengelernt, der dafür gesorgt hat, dass die immer wieder neu hinzu kommenden, aber auch die dem Lehrgang bereits
seit mehr als 25 Jahren treu gebliebenen Teilnehmer und ihre Angehörigen sich jedes Jahr aufs Neue auf den Sommerlehrgang freuen, um neue Freundschaften zu schließen und alte zu pflegen.
Auch wenn wir die Entscheidung Rainer Hamms, sich nach 25 Jahren von der Tätigkeit als Referent des Sommerlehrgangs zu verabschieden, bedauern, so hoffen wir doch ihn in Zukunft weiterhin als Teilnehmer und insbesondere
als Freund bei unseren Veranstaltungen und beim Sommerlehrgang begrüßen zu dürfen.
Der auch dieses Jahr wieder einwöchige Lehrgang wird – wie stets - Gelegenheit geben, die zahlreichen seit Juli
2014 ergangenen BGH-Entscheidungen auf ihre Relevanz für die tägliche Verteidigunspraxis in allen Instanzen zu
besprechen und auch anhand der eigenen Erfahrungen und Überlegungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu
diskutieren.
Die Auswahl der im Skript aufgenommenen Entscheidungen haben die Referenten am vermuteten Interesse der Teilnehmer ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausgerichtet. Weitere interessante Entscheidungen aus dem Berichtszeitraum finden sich im Internet unter http://www.hammpartner.de/de/rechtswissen/rechtsprechung.html.
Alle mit Gründen versehenen Entscheidungen der Strafsenate sind bei Kenntnis des Datums und/oder des Aktenzeichens in der Datenbank des Bundesgerichtshofs unter http://juris.bundesgerichtshof.de im Volltext abrufbar und
stehen auch in der auf CD abonnierbaren Entscheidungssammlung BGH-Nack zur Verfügung. Bei der Recherche
der Fundstellen waren die Angaben, Hinweise und Links im Strafrechtsmodul von www.beck-online.de hilfreich.
Die übers Jahr bereits kontinuierlich stattgefundene Vorbereitung und äußere Gestaltung des Skripts lag wieder in
den bewährten Händen von Frau Melanie Kilinc und Susanne Berneis aus dem Büro HammPartner. Dafür sei ihnen
herzlichst gedankt.
Im Interesse des Fortbildungsauftrags der Vereinigung Deutsche Strafverteidiger e.V. wird das Skript auch für alle
Strafverteidiger, die den Lehrgang dieses Mal nicht besuchen konnten, nach dessen Beendigung zum Downloard
bereitgestellt: www.deutsche-strafverteidiger.de und http://www.hammpartner.de/de/rechtswissen/fachliteratur.html.
Bielefeld im August 2015
Vorstand der DStV
-3-
StGB Allg. Teil
StGB § 6 Nr. 5 Deutsche Strafgewalt bei Auslandstaten ausl. Täter
BGH, Beschl. v. 18.03.2015 - 2 StR 96/14 - BeckRS 2015, 09405
Anfragebeschluss des 2. Strafsenats zur Frage der Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB.
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB
bedarf zu ihrer Rechtfertigung eines hinreichenden Inlandsbezugs; die Auslieferung des im Ausland festgenommenen Beschuldigten und seine daran anschließende Festnahme im Inland vermögen einen solchen nicht zu begründen.
2. Er fragt deshalb beim 1. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
Gründe:
I.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts übergab der Angeklagte, ein niederländischer Staatsangehöriger, im Auftrag eines niederländischen Rauschgiftlieferanten bei zwei Gelegenheiten im Juni und im August 2011 an Treffpunkten in den Niederlanden 40.000 bzw. 250.000 Ecstasy-Pillen gegen Entgelt an den früheren Mitangeklagten J.. Dieser war nach dem Kenntnisstand des Angeklagten ein (deutscher) Kontaktmann des eigentlichen, wiederum niederländischen Abnehmers. In Wirklichkeit handelte es sich bei den Übergaben um polizeilich angeschobene Scheingeschäfte. Bei dem angeblichen Abnehmer handelte es sich um einen verdeckten Ermittler der niederländischen Polizei. Der Angeklagte wurde unmittelbar nach der zweiten Übergabe auf Grund eines Europäischen Haftbefehls festgenommen und am 17. Oktober 2011 an Deutschland ausgeliefert. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des
Angeklagten, der geltend macht, deutsches Strafrecht sei nicht anwendbar, sowie die Sachbeschwerde erhebt.
2. Der Senat hält die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht für gegeben und erachtet die Revision insoweit für
erfolgversprechend. Er ist in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt der Auffassung, dass sich nach den
Feststellungen die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nur aus § 6 Nr. 5 StGB begründen ließe (nachfolgend II.).
Insoweit teilt der Senat aber die Bedenken der Revision gegen die Annahme des Generalbundesanwalts, die Auslieferung des Angeklagten nach Deutschland könne einen die Anwendung des § 6 Nr. 5 StGB legitimierenden Anknüpfungspunkt darstellen (nachfolgend III.).
II. Die Anwendung deutschen Strafrechts lässt sich nach den Feststellungen nur nach § 6 Nr. 5 StGB begründen.
Inländische täterschaftliche Tatbeiträge des früheren Mitangeklagten B. könnten zwar, wie das Landgericht in seinem im Urteil in Bezug genommenen und von der Revision mitgeteilten Beschluss vom 10. Mai 2012 richtig gesehen hatte, nach §§ 3, 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB zur Anwendung deutschen Strafrechts führen. Solche Tatbeiträge hat das Landgericht aber im Urteil nicht festgestellt; im Rahmen der rechtlichen Würdigung wird lediglich
ausgeführt, dass sich der Angeklagte den in Bonn erfolgten Tatbeitrag des früheren Mitangeklagten B. über § 9 Abs.
2 Satz 1 StGB zurechnen lassen müsse, ohne dass näher dargelegt wird, worin dieser bestehen soll. In der mitgeteilten Prozessgeschichte finden sich zwar Hinweise auf "vorherige Verhandlungen in Bo."; diese Ausführungen erfolgten aber lediglich im Rahmen der Wiedergabe des Anklagevorwurfs und können daher ebenso wenig wie die ersichtlich vorläufigen Einschätzungen des Landgerichts im Beschluss vom 10. Mai 2012 konkrete tatbestandsmäßige und
täterschaftliche Handlungen des Mitangeklagten B. belegen. Da der Angeklagte niederländischer Staatsangehöriger
ist und nach Deutschland ausgeliefert wurde, sind auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 StGB nicht erfüllt.
III. Der Senat ist mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Auffassung, dass § 6 Nr. 5 StGB
Ausdruck des Weltrechtsprinzips ist (nachfolgend 1.), es aber insoweit zur Ausdehnung der deutschen Strafgewalt
auf Auslandstaten ausländischer Täter eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedarf (nachfolgend 2.); die Auslieferung des Beschuldigten nach Deutschland und seine daran anschließende Festnahme im Inland vermögen indes
keinen solchen hinreichenden Inlandsbezug zu begründen (nachfolgend 3.).
-4-
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 6 Nr. 5 StGB Ausdruck des Weltrechtsprinzips
(vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 StR 201/11, NStZ 2012, 335 mit Anmerkung von Patzak; BGH,
Urteil vom 22. September 2009 - 3 StR 383/09, NStZ 2010, 521; Beschluss vom 22. November 1999 - 5 StR 493/99,
BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 37; Urteile vom 12. November 1991 - 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5
Vertrieb 2; vom 8. April 1987 - 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336; vom 22. Januar 1986 - 3 StR 472/85, BGHSt 34,
1, 2, und vom 20. Oktober 1976 - 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 32). Daran hält der Senat fest. Die Entscheidung des
Gesetzgebers, den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln grundsätzlich dem Weltrechtsprinzip zu unterwerfen,
findet seine völkerrechtliche Rechtfertigung u. a. (zum Einheits-Übereinkommen vom 30. März 1961 über Suchtstoffe vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1976 - 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 33) im Wiener Übereinkommen vom 20.
Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. 1993 II, S. 1136
ff.). Dieses betont die Erkenntnis, "dass die Ausmerzung des unerlaubten Verkehrs [mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen] in die kollektive Verantwortung aller Staaten fällt". Dementsprechend wird in Art. 4 Abs. 3 des Übereinkommens die Ausübung einer über die dort einzeln aufgezählten - im deutschen Recht im Wesentlichen schon
durch die §§ 3, 4 und 7 StGB umgesetzten - Jurisdiktionstitel hinausgehenden, nach innerstaatlichem Recht begründeten Strafbarkeit ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Dies lässt den Schluss auf die Geltung des Weltrechtsprinzips
zu, dessen Funktion gerade darin besteht, eine Verfolgung von Straftaten gegen wichtige Rechtsgüter der internationalen Staatengemeinschaft zu ermöglichen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1848, 1852; so im Ergebnis auch Böse in NKStGB, 4. Aufl., Vor § 3 Rn. 26, § 6 Rn. 13; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 6 Rn. 5; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 29.
Aufl., Vorbem. §§ 3-9 Rn. 19; Weber, BtMG, Vor §§ 29 ff. Rn. 121; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7.
Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 149; differenzierend MüKo-StGB/Ambos, 2. Aufl., Vor §§ 3-7 Rn. 43, 49). Der im Schrifttum
dagegen erhobenen Kritik (vgl. etwa Werle/Jeßberger in LK, 12. Aufl., § 6 Rn. 79; Roegele, Deutscher Strafrechtsimperialismus, 2014, S. 195 f.) ist zuzugeben, dass die in § 6 Nr. 5 StGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung nicht zwingend war; sie ist aber angesichts des den Staaten insoweit eingeräumten weiten Ermessens (vgl.
StIGH, PCIJ Series A Nr. 10 - The Case of the S. S. "Lotus", S. 18 ff.) nicht völkerrechtswidrig (BGH, Urteile vom
8. April 1987 - 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336 ff., und vom 20. Oktober 1976 - 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 32
f.).
2. Um im Fall des § 6 Nr. 5 StGB die Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Täter zu
rechtfertigen, müssen diese Taten über den Wortlaut der Vorschrift hinaus allerdings einen hinreichenden Inlandsbezug aufweisen.
a) Der Bundesgerichtshof hat bisher die Notwendigkeit eines Inlandsbezuges im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB zumeist
mit der Erwägung offengelassen, dass der zu Grunde liegende Sachverhalt einen solchen aufweise, wobei alle Strafsenate, die sich mit dieser Problematik zu befassen hatten, eine Neigung zu diesem Erfordernis zu erkennen gegeben
haben (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 1991 - 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2, vom 8. April
1987 - 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336, und vom 20. Oktober 1976 - 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 33; vgl. auch
BVerfG, NJW 2001, 1848, 1853; OLG Celle, Beschluss vom 15. September 2010 - 31 HEs 10/10, OLGSt StGB § 6
Nr. 3, insoweit in NStZ-RR 2011, 54 nicht abgedruckt). Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die die Notwendigkeit eines Inlandsbezugs in Frage stellen, sind demgegenüber nicht ersichtlich.
b) Nach Auffassung des Senats bedarf es - in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Literatur (vgl. Fischer, StGB,
62. Aufl., § 6 Rn. 5b; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 6 Rn. 1; MüKo-StGB/Ambos aaO § 6 Rn. 4; ders., Internationales Strafrecht, 4. Aufl., § 3 Rn. 100; Weber aaO Rn. 11; KK-StPO/Diemer, 7. Aufl., § 153c Rn. 2; vgl. auch Werle/Jeßberger in LK, 12. Aufl., § 6 Rn. 35) - eines solchen Inlandsbezuges, aus dem sich ein inländisches Interesse an
der Verfolgung im Ausland begangener Straftaten ergeben muss. Die dagegen im Schrifttum teilweise erhobene
Kritik (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 6 Rn. 1; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 6 Rn. 3) greift
nicht durch.
aa) Insoweit ist die Sachlage anders als bei völkerrechtlichen Kernverbrechen, bei denen der Gesetzgeber im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98,
BGHSt 45, 64, 66) die Notwendigkeit eines Inlandsbezugs ausdrücklich verneint hat (§ 1 VStGB, vgl. BT-Drucks.
14/8524 S. 14). Für völkerrechtliche Kernverbrechen ist charakteristisch, dass das völkerrechtliche Vertrags- oder
Gewohnheitsrecht eine weltrechtliche Verfolgung explizit und unbedingt vorschreibt (vgl. MüKo-StGB/Ambos aaO,
Vor §§ 3-7 Rn. 43, § 6 Rn. 15; ders., Internationales Strafrecht, 4. Aufl., § 3 Rn. 94), was bei diesen Straftaten dem
Erfordernis eines zusätzlichen Inlandsbezuges entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00,
BGHSt 46, 292, 307 zu § 6 Nr. 9 StGB). Eine solche völkerrechtlich begründete, umfassende Verfolgungspflicht gilt
-5-
für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmittel aber gerade nicht: vielmehr räumt Art. 4 Abs. 3 des Wiener
Suchtstoffübereinkommens 1988 den Vertragsparteien nur eine weitergehende Verfolgungsmöglichkeit in dem Sinne
ein, dass diese nach innerstaatlichem Recht ihre Strafgerichtsbarkeit über die im Übereinkommen explizit geregelten
Jurisdiktionstitel hinaus ausdehnen können. Insoweit ist daher Raum für eine Begrenzung der inländischen Strafgewalt.
bb) Dass eine grundsätzliche Verfolgungspflicht sämtlicher im Ausland begangener Straftaten, die dem Anwendungsbereich des § 6 Nr. 5 StGB unterfallen, nicht in Betracht kommt, liegt schon mit Blick auf die begrenzten Ressourcen der deutschen Strafrechtspflege auf der Hand. Zudem wird regelmäßig eine Aufklärung und Verfolgung von
Straftaten am Ort der Tatbegehung schneller und effektiver möglich sein. Dem hat der Gesetzgeber durch die Möglichkeit, gemäß § 153c Abs. 1 StPO von der Strafverfolgung abzusehen, Rechnung getragen. Die Staatsanwaltschaft
hat insoweit aber einen weiten Ermessensspielraum (vgl. KK-StPO/Diemer, 7. Aufl., § 153c Rn. 19), innerhalb dessen sie das öffentliche Interesse gegen widerstreitende Interessen abwägt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57.
Aufl., § 153c Rn. 1), ohne dass klare, die Ermessensausübung ausreichend vorhersehbar machende Kriterien erkennbar wären; solche lassen sich auch Nr. 94 Abs. 1 RiStBV nicht entnehmen. Das Erfordernis eines materiell-rechtlich
verstandenen Inlandsbezuges vermag demgegenüber eine gleichförmige, der revisionsrechtlichen Kontrolle zugängliche Rechtsausübung zu gewährleisten, was der Rechtssicherheit deutlich besser gerecht wird, als eine gerichtlich
nicht überprüfbare Ermessensentscheidung; dies gilt umso mehr angesichts der Bedeutung, die dieser Entscheidung
für den Betroffenen im Hinblick auf die Weite des § 6 Nr. 5 StGB zukäme, wollte man auf eine materiell-rechtliche
Einschränkung des Tatbestandes verzichten. Insoweit findet die Notwendigkeit eines Inlandsbezuges seine Grundlage letztlich im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit gehört
(vgl. BVerfG, NJW 2012, 669, 672 mwN sowie BVerfGE 7, 89, 92; 13, 261, 271). Damit läuft die Vorschrift des §
153c Abs. 1 StPO auch nicht leer: vielmehr kann die Staatsanwaltschaft im Rahmen der dortigen Ermessenentscheidung von der Verfolgung absehen, obwohl ein Inlandsbezug vorliegt und deutsches Strafrecht anwendbar ist, und
hierbei insbesondere außenpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen berücksichtigen (siehe § 153c Abs. 3 StPO
i.V.m. Nr. 94 Abs.1 Satz 2 RiStBV).
cc) Dieses Ergebnis entspricht zudem einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des § 6 Nr. 5 StGB. Eine solche ist
wegen des auch in Art. 2 Abs. 2 und 3 des Wiener Suchtstoffübereinkommens 1988 betonten völkerrechtlichen
Nichteinmischungsgrundsatzes geboten. Das Erfordernis eines Inlandsbezuges führt insoweit zu einer sinnvollen
Begrenzung des den Staaten in Art. 4 Abs. 3 dieses Übereinkommens eingeräumten Spielraums und kann daher
schon auf Ebene des Tatbestandes Verstöße gegen den Nichteinmischungsgrundsatz vermeiden (vgl. MüKoStGB/Ambos aaO Vor §§ 3-7 Rn. 13 ff., § 6 Rn. 4).
c) Als legitimierende Anknüpfungspunkte im Sinne eines Inlandsbezuges kommen nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Betracht: die spätere Einfuhr der im Ausland an einen Ausländer veräußerten Betäubungsmittel in das Bundesgebiet (BGH, Urteil vom 8. April 1987 - 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 339), ein inländischer Sitz der die Betäubungsmittel produzierenden oder die dafür nötigen Rohstoffe liefernden Firma (BGH,
Urteil vom 12. November 1991 - 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2), die Festnahme des sich freiwillig
im Bundesgebiet aufhaltenden Beschuldigten (BGH aaO), die Begehung einer mit der Auslandstat eng verknüpften
Inlandstat (BGH aaO) sowie ein früherer Wohnsitz oder jedenfalls ein regelmäßiger oder längerer Aufenthalt des
Beschuldigten im Inland (BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00, BGHSt 46, 292, 307; Urteil vom 30.
April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 68; Senat, Beschluss vom 11. Dezember 1998 - 2 ARs 499/98, NStZ
1999, 236; BGH, Beschluss vom 18. August 1994 - AK 12/94, BGHR StGB § 6 Nr. 1 Völkermord 1; Beschluss Ermittlungsrichter - vom 13. Februar 1994 - 1 BGs 100/94, NStZ 1994, 232, 233). Kein ausreichender Inlandsbezug
wurde dagegen im inländischen Aufenthalt des Tatopfers oder Anzeigeerstatters gesehen (vgl. Senat, Beschlüsse
vom 11. Februar 1999 - 2 ARs 51/99 und vom 11. Dezember 1998 - 2 ARs 499/98, NStZ 1999, 236). Die Frage, ob
die Festnahme des ausländischen Beschuldigten im Inland nach Auslieferung einen legitimierenden Anknüpfungspunkt zu begründen vermag, ist vom 3. Strafsenat offengelassen worden (BGH, Urteil vom 8. April 1987 - 3 StR
11/87, BGHSt 34, 334, 338). Der 1. Strafsenat hat in seiner Entscheidung vom 12. November 1991 - 1 StR 328/91
(BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2) offengelassen, ob es eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedarf, in der
rechtmäßigen Auslieferung eines ausländischen Beschuldigten durch seinen Heimatstaat aber einen solchen Anknüpfungspunkt erblickt. Mit Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 299/14 hat der 1. Strafsenat entschieden, dass sich
eine Inlandsberührung der Tat im Rahmen des § 6 Nr. 5 StGB ungeachtet der Bestimmungsorte der dort verfahrensgegenständlichen Rauschgiftlieferungen jedenfalls aus der Auslieferung des - in diesem Fall offenkundig deutschen -
-6-
Angeklagten an Deutschland ergeben kann. Die anderen Strafsenate haben sich - soweit ersichtlich - bislang nicht zu
dieser Frage geäußert.
3. Nach Ansicht des Senats vermag die Festnahme des Beschuldigten nach seiner Auslieferung allein keinen hinreichenden Inlandsbezug zu begründen. Zwar wird man dem Einverständnis des ausliefernden Staates mit der Auslieferung entnehmen können, dass jedenfalls dieser in der Strafverfolgung des Beschuldigten keinen Verstoß gegen den
Nichteinmischungsgrundsatz erblickt (so wohl auch der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 12. November 1991 - 1
StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2); die Frage, ob dies als Inlandsbezug ausreicht, könnte aber schon
anders zu beurteilen sein, wenn der ausliefernde Staat nicht mit dem Staat identisch ist, in dessen Staatsgebiet die Tat
begangen wurde oder aus dem der Beschuldigte stammt. Ungeachtet dessen erschöpft sich die Funktion des Inlandsbezugs, wie dargelegt, nicht in der Vermeidung von Verstößen gegen den Nichteinmischungsgrundsatz; vielmehr
soll dadurch zugleich eine gleichförmige, vorhersehbare Rechtsanwendung gewährleistet werden, was insoweit zu
einer materiell-rechtlichen Einschränkung des § 6 Nr. 5 StGB führt. Aus diesem Grund ist deutsches Strafrecht von
vornherein nicht anwendbar, wenn ein Bezug zum Inland fehlt. Unter diesem Gesichtspunkt rügt die Revision zu
Recht, dass ein Auslieferungsersuchen, auch auf Grund eines Europäischen Haftbefehls, die Strafbarkeit der Tat nach
deutschem Recht und damit die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts gerade voraussetzt und sie daher nicht erst
begründen kann (vgl. BGH - Ermittlungsrichter -, Beschluss vom 2. Juli 2012 - 2 BGs 152/12, StV 2013, 304, 306
zum Erlass eines Haftbefehls in einer vergleichbaren Konstellation). Die der Auslieferung nachfolgende Festnahme
im Inland ist nur deren unmittelbare Folge und kann daher für sich ebenfalls keinen hinreichenden Inlandsbezug
begründen. Anders läge der Fall dann, wenn vor dem Auslieferungsersuchen ein diesem zu Grunde liegender tragfähiger Inlandsbezug vorgelegen hätte, der auch nach Durchführung des Strafverfahrens noch anzunehmen wäre. Dies
ist nach den insoweit unergiebigen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil hier nicht der Fall.
IV.
1. Der Senat beabsichtigt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur Klärung der Frage, ob deutsches Strafrecht möglicherweise aus anderen Gründen anwendbar ist, an das Landgericht zurückzuverweisen. Nach den Urteilsgründen
erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass sich mittäterschaftliche Tathandlungen des früheren Mitangeklagten B.
feststellen lassen, die nach §§ 3, 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB zur Anwendung deutschen Strafrechts führen
könnten. Selbst wenn diese Handlungen nur als Beihilfe zu werten wären und für den Angeklagten daher keinen
inländischen Tatort begründen könnten (vgl. Werle/Jeßberger in LK, 12. Aufl., § 9 Rn. 16 mwN), würden sie jedenfalls einen die Anwendung des § 6 Nr. 5 StGB rechtfertigenden Inlandsbezug darstellen. In der bisherigen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bereits die Begehung einer mit der Auslandstat eng verknüpften Inlandstat die deutschen Strafverfolgungsbehörden zum Einschreiten berechtigt (s. o. III.2.c). Für inländische Tatbeiträge eines Gehilfen zu der im Ausland begangenen Haupttat kann nichts anderes gelten. Die Feststellung derartiger Tatbeiträge und
ihres Umfangs ist aber mit den Mitteln des dem Revisionsgericht allein zur Verfügung stehenden Freibeweisverfahrens nicht zuverlässig möglich, sondern erfordert eine Beweisaufnahme nach strengbeweislichen Grundsätzen. In
dieser Konstellation ist es angezeigt, das Urteil aufzuheben und die Sache an das Tatgericht zurückzuverweisen (vgl.
Senat, Urteil vom 28. Februar 2001 - 2 StR 458/00, BGHSt 46, 307, 309 f. mwN).
2. Dieser beabsichtigten Entscheidung steht zwar nicht die Rechtsprechung des 3. Strafsenats entgegen, da dieser die
Frage, ob die Festnahme des ausländischen Beschuldigten im Inland nach Auslieferung einen legitimierenden Anknüpfungspunkt zu begründen vermag, ausdrücklich offengelassen hat (BGH, Urteil vom 8. April 1987 - 3 StR
11/87, BGHSt 34, 334, 338). Auch das Urteil des 1. Strafsenats vom 5. November 2014 - 1 StR 299/14 dürfte nicht
entgegenstehen, da es die Auslieferung eines Deutschen und damit eine andere Fallkonstellation betraf, wie schon
die Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zeigt. Entgegenstehen könnte aber die Entscheidung vom 12. November
1991 - 1 StR 328/91 (BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2), in der der 1. Strafsenat die Auslieferung eines ausländischen Beschuldigten durch seinen Heimatstaat als ausreichenden Inlandsbezug angesehen hat. Der Senat hat erwogen, ob diese Rechtsansicht - die im vorliegenden Fall die Verwerfung der Revision zur Folge hätte - nicht tragend
gewesen sein könnte, da in der Entscheidung weitere, auch vorgreifliche, Anknüpfungspunkte für die Anwendung
deutschen Strafrechts (insbesondere der inländische Sitz der die Betäubungsmittel produzierenden oder die dafür
nötigen Rohstoffe liefernden Firma) genannt werden (vgl. Franke in LR, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 6). Um sicherzustellen, dass eine mögliche Divergenz nicht übersehen wird, fragt der Senat gleichwohl gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1
GVG beim 1. Strafsenat an, ob an etwa entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird (vgl. auch Franke aaO
Rn. 8).
-7-
StGB §§ 11, 332 f./EUBestG - Portugisischer Honorarkonsul kein Amtsträger
BGH, Beschl. v. 10.06.2015 - 1 StR 399/14 – für BGHSt, bisher unveröffentlicht (Revisionsführer Norouzi)
LS: Eine Bestrafung wegen Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union setzt eine zweistufige Prüfung der Amtsträgerschaft voraus. Zunächst ist seine
Stellung nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats zu beurteilen und bejahendenfalls (kumulativ)
nach deutschem Recht.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 20. Februar 2014 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der
Europäischen Union zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt. Es hat zudem den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 955.580,71 Euro angeordnet.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts
rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg; auf die Verfahrensrügen, denen ebenfalls
Gewicht beizumessen ist, kommt es daher nicht an.
I. Das Landgericht hat zum Vorwurf der Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Der im Jahr 1936 geborene Angeklagte war von 1994 bis 2010 Honorarkonsul der Republik Portugal. Im Zeitpunkt seiner Ernennung unterhielt er
bereits einige Kontakte in Portugal, wo seine Ehefrau seit 1979 ein Ferienhaus besaß und er eine Consultingfirma
betrieb. Auf seine Bewerbung bei der portugiesischen Botschaft wurde der Angeklagte nach erfolgreichem Durchlaufen eines offiziellen Auswahlverfahrens 1994 durch den Staatspräsidenten und entweder den Außenminister oder
den Regierungschef Portugals zum Honorarkonsul der Republik bestellt. Das Amt des Honorarkonsuls versetzte den
Angeklagten in die Stellung eines Repräsentanten des Landes, berechtigte ihn aber nicht, „förmliche Papiere, wie
z.B. Pässe oder Visa auszustellen“ (UA S. 6). Abgesehen von einer pauschalen Aufwandsentschädigung, die zwischen 2.000 Euro und 2.500 Euro pro Jahr lag, erhielt der Angeklagte für die Ausübung des Amtes keine Vergütung.
Aufwendungen für von ihm selbst durchgeführte Veranstaltungen und Empfänge wurden von dem Angeklagten
selbst getragen und nicht erstattet. Seinen Lebensmittelpunkt unterhielt der Angeklagte dabei fortwährend in
Deutschland. Unter Nutzung seiner Kontakte zu hochrangigen Vertretern der portugiesischen Regierung vermittelte
der Angeklagte Ende 2003 den Abschluss eines Vertrages über die Lieferung zweier U-Boote zwischen Portugal und
dem G. S.. Dem ging Folgendes voraus: Um mit größerem Erfolg den Verkauf von U-Booten betreiben zu können,
schlossen sich die Unternehmen F. AG, die Ho. AG und die T. GmbH zu dem Konsortium G. S. (nachfolgend: G.)
zusammen. Bereits Ende der 90er Jahre bemühte sich das G. um den Vertragsabschluss über die Lieferung von UBooten mit der Republik Portugal, die zwei U-Boote der Klasse 209 PN erwerben wollte und dafür ein Ausschreibungsverfahren initiiert hatte. Während eines Empfangs bei dem portugiesischen Botschafter am 10. Juni 1999 beklagte der anderweitig Verurteilte H., ein Vorstandsmitglied der F. AG, in offener Gesprächsrunde die Stagnation der
Vertragsverhandlungen mit Portugal und bat den Angeklagten um Unterstützung. Im Anschluss hieran und um die
Chancen des G. für den Gewinn der Ausschreibung zu erhöhen, versprach der anderweitig Verurteilte H. dem Angeklagten bei einem weiteren Zusammentreffen in München am 5. Juli 2002 finanzielle Zuwendungen als Gegenleistung für die Vermittlung von Kontakten zu ranghöchsten Regierungsvertretern Portugals. Der Angeklagte nahm
dieses Angebot trotz des von ihm erkannten Konflikts mit seiner Stellung als Honorarkonsul an; er sagte zu, sich
gegen Zahlung einer entsprechenden Vergütung für eine Auftragsvergabe an das G. einzusetzen. Ab diesem Zeitpunkt vertrat der Angeklagte in seiner Funktion als Honorarkonsul gegenüber verschiedenen amtlichen Stellen Portugals die Interessen der F. AG. So arrangierte er mehrfach Treffen zwischen hochrangigen portugiesischen Regierungsvertretern und Entscheidungsträgern des G. , etwa am 9. Juli und am 3. Oktober 2002 sowie vom 7. bis 9. Februar 2003. Er handelte dabei in dem Bestreben, einen Vertragsabschluss über die Lieferung von U-Booten herbeizuführen, um hierdurch das ausgelobte Honorar zu verdienen. Nach dem unter dem 23. Januar 2003 mit der F. AG
-8-
schriftlich niedergelegten Beratervertrag sollte dem Angeklagten bei Zustandekommen eines U-Bootkaufvertrages
eine Erfolgsprovision von 0,3 % der Auftragssumme zustehen. Am 6. November 2003 gewann das G. schließlich das
Ausschreibungsverfahren der portugiesischen Regierung. Das Auftragsvolumen für die Lieferung der U-Boote belief
sich auf insgesamt rund 880.000.000 Euro, wovon ein Anteil von 130.000.000 Euro auf die F. AG entfiel. Ein entsprechender Kaufvertrag zwischen den Parteien wurde formell im April 2004 geschlossen. Der Angeklagte führte
seine Beratungstätigkeit für die F. AG auch nach Abschluss des Ausschreibungsverfahrens noch bis Juli 2004 fort.
Insbesondere wirkte er auf den Abschluss des Kaufvertrages noch während eines Treffens mit dem portugiesischen
Verteidigungsminister am 5. Februar 2004 hin. Nach dem Zustandekommen des Kaufvertrages kam es zwischen
dem Angeklagten und der F. AG zu einem Streit über die Zahlung des Honorars, der nach einer umfangreichen zivilgerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Abschluss eines Vergleichs endete. In dieser Vergleichsvereinbarung
vom 9. Dezember 2004 verpflichtete sich die F. AG zur Zahlung eines Beraterhonorars von 1.420.000 Euro zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer an den Angeklagten sowie zur Erstattung seiner Rechtsanwaltskosten und zahlte daraufhin
eine Summe von insgesamt 1.679.342,61 Euro aus. 2010 erklärte der Angeklagte seinen Rücktritt vom Amt des
Honorarkonsuls, nachdem er nach Bekanntwerden der verfahrensgegenständlichen Vorwürfe durch die portugiesische Regierung zunächst suspendiert worden war. Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten als Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union (Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG i.V.m. § 332 Abs. 1, Abs. 3 StGB) gewertet und dessen Stellung als Amtsträger insoweit auf § 11 Abs. 1 Nr. 2
StGB gestützt. Es hat dabei unter entsprechender Auslegung des Art. 2 § 1 Abs. 1 EUBestG die Auffassung vertreten, auf die Einordnung der ausgeübten Funktion nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats komme es für die rechtliche Bewertung nicht an; auch eine abweichende Bewertung der Amtsträgerstellung nach portugiesischem Recht
könne auf die Anwendung des deutschen materiellen Strafrechts keinen Einfluss haben.
II. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen den
Schuldspruch wegen Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union gemäß
Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG i.V.m. § 332 Abs. 1, Abs. 3 StGB nicht. Die Strafkammer hat an die Prüfung
der Amtsträgereigenschaft im Sinne dieser Vorschrift einen fehlerhaften rechtlichen Maßstab angelegt, indem sie
alleine auf die Bewertung nach innerstaatlichem Recht (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) abgestellt hat. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr.
2 EUBestG stellt für die Bestechungsdelikte der §§ 332, 334 ff. StGB dem sonstigen Amtsträger nach diesen Vorschriften den Amtsträger eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union gleich, „soweit seine Stellung einem
Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches entspricht“. Ziel der Vorschriften des EUBestG
(Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen
der Europäischen Gemeinschaften vom 10. September 1998, BGBl. II 2340, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.
Juli 2004, BGBl. I 1763) ist es, die Strafbarkeit staatlicher Funktionsträger nach § 332 StGB auch bei transnationalen
Bestechungshandlungen im europäischen Rechtsraum im Sinne umfassender und effektiver Verbrechensbekämpfung
zu gewährleisten. Der Begriffsdefinition des Amtsträgers im Sinne des Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG liegt eine
zweistufige Struktur zugrunde; sie setzt bei dem Funktionsträger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union voraus, dass dieser Amtsträger sowohl nach dem Recht des betroffenen akkreditierenden Mitgliedstaats als auch in
Ansehung deutschen Rechts (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) ist. Nur bei Vorliegen der Amtsträgereigenschaft nach beiden
Rechtsordnungen zugleich kann der Tatbestand des Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG erfüllt sein. Dies hat das Landgericht verkannt; es hat deshalb verabsäumt, die erforderliche Bewertung der Stellung des Angeklagten nach portugiesischem Recht vorzunehmen und dementsprechende Feststellungen zu treffen.
1. Bei der Prüfung der Amtsträgerschaft ist in der ersten Prüfungsstufe von dem Recht des jeweiligen EUMitgliedstaats auszugehen. Nur wer danach für die Zwecke des Strafrechts Amtsträger dieses Landes ist, kann gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG die deutschen Straftatbestände der §§ 332, 334 StGB verwirklichen. Die Auslegung des Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG anhand allgemeiner methodischer Grundsätze lässt ein anderes Verständnis der Norm nicht zu und entspricht auch der im Schrifttum vorherrschenden Meinung (vgl. Graf in
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, StGB § 332 Rn. 5; Greeve/Dörr in Volk: MAH Verteidigung
in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2. Aufl., § 20 Rn. 122 f.; Korte, wistra 1999, 81, 84; ders. in: MK-StGB § 332
Rn. 5; Möhrenschlager in: Dölling, Handbuch der Korruptionsprävention, 8. Kap., Rn. 368; Rübenstahl, ZWH 2012,
179 ff.; Sowada in: LK-StGB Vor § 331 Rn. 25; Tinkl, wistra 2006, 126, 127; a.A. Dötterl, ZWH 2012, 54 ff.).
a) Ausgangspunkt und Grenzen der Auslegung ergeben sich aus dem Wortlaut der Norm (vgl. BVerfGE 75, 329, 341
f. mwN). Dieser besagt in Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG, sonstiger Amtsträger sei (nur) ein „Amtsträger
eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union, soweit seine Stellung einem Amtsträger im Sinne des § 11
-9-
Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches entspricht“. Die grammatikalische Auslegung ist eindeutig; nur ein Amtsträger
im Sinne des Rechts eines anderen EU-Mitgliedstaats fällt danach überhaupt in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Bei der Amtsträgereigenschaft nach fremdem Recht handelt es sich deshalb um ein konstitutives Merkmal
des gesetzlichen Straftatbestands. Der zweite Halbsatz der Vorschrift wäre anderenfalls inhaltsleer; sinntragend wird
er hingegen als anwendungsbeschränkendes Korrektiv der Strafvorschrift durch Inblicknahme des deutschen Rechts.
b) Systematisch folgt dasselbe aus der gesetzlichen Überschrift. Die „Gleichstellung von ausländischen mit inländischen Amtsträgern bei Bestechungshandlungen“ legt nahe, dass zwischen ihnen im Ansatz ein Unterschied besteht
oder jedenfalls bestehen kann. Identische Begriffe sind gleich, sie müssen nicht gleichgestellt werden. Dies bekräftigt
auch die Binnenstruktur der Vorschrift, die in Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EUBestG den Richter im Sinne des deutschen materiellen Strafrechts dem „Richter eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union“ gleichstellt und
dabei für die Bestimmung der Richtereigenschaft der Person des anderen Mitgliedstaats allein dessen Recht zum
Maßstab nimmt. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die strafrechtliche Gleichstellung von Richtern und
Amtsträgern in demselben Absatz der Vorschrift mit derselben Regelungstechnik vorgenommen hat, kann für den
Amtsträger nichts anderes gelten; auch hier muss das Recht des betroffenen Mitgliedstaats maßstabsgebend sein.
c) Die Zweistufigkeit des Amtsträgerbegriffs nach Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG wird auch durch die historische
Auslegung anhand der Gesetzesmaterialien und die allgemeinen Grundsätze europarechtsfreundlicher Rechtsanwendung (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 ff.) belegt.
aa) Bereits das dem EUBestG zugrunde liegende Protokoll der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften nach dem Rechtsakt des
Rates der Europäischen Union vom 27. September 1996 (BT-Drucks. 13/10424, S. 8 ff.; nachfolgend: Protokoll)
geht von dieser Regelungstechnik aus. Nach den Definitionen des Art. 1 „wird der Ausdruck ‘nationaler Beamter‘
entsprechend der Definition für den Begriff ‘Beamter‘ oder ‘Amtsträger‘ im innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats ausgelegt, in dem der Betreffende diese Eigenschaft für die Zwecke der Anwendung des Strafrechts dieses
Mitgliedstaats besitzt.“ Im Sinne der zweiten Prüfungsstufe erfolgt im folgenden Satz die Einschränkung der Strafbarkeit dergestalt, dass bei einem „Verfahren, das ein Mitgliedstaat wegen einer Straftat einleitet, an der ein Beamter
eines anderen Mitgliedstaates beteiligt ist“, die Definition nur insoweit angewendet werden muss, „als diese mit
seinem innerstaatlichen Recht im Einklang steht“ (BT-Drucks. 13/10424, S. 8).
bb) Der erläuternde Bericht zu dem Protokoll, vom Rat angenommen am 19. Dezember 1997 (vgl. ABl. EG 1998 C
11 S. 5; nachfolgend: erläuternder Bericht), enthält in Ziff. II. Art. 1 Nr. 1.4 eine inhaltsgleiche, gleichermaßen zweistufige Begriffsbestimmung.
cc) Die Begründung zum Vertragsgesetz (BT-Drucks. 13/10424, S. 6 f.) schließt hieran an. Danach verfolgt dieses
den Zweck, „Beamte bzw. Amtsträger anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Anwendungsbereich
der §§ 332 und 334 StGB“ einzubeziehen (vgl. BT-Drucks. 13/10424, S. 6). Soweit dort weiter ausgeführt wird, die
Auslegung des Amtsträgerbegriffes orientiere sich an der für deutsche Amtsträger geltenden Regelung (BT-Drucks.
13/10424, aaO), wird damit auf die Begriffsausfüllung nach dem Recht des Mitgliedstaats nicht etwa verzichtet,
sondern entsprechend dem bereits Ausgeführten auf die Möglichkeit der Einschränkung des ausländischen durch den
deutschen Rechtsbegriff Bezug genommen.
dd) Schließlich geht auch die Denkschrift der Bundesregierung (BT-Drucks. 13/10424, S. 12 f.) zu dem benannten
Übereinkommen von diesem Verständnis aus. Danach ergibt sich aus dem Protokoll und dem Erläuternden Bericht
hierzu, „dass für die Amtsträgereigenschaft grundsätzlich die nationale strafrechtliche Definition des Staates maßgeblich ist, dem der Amtsträger angehört“. Es sei aber „in Fällen der Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Eingrenzung des Amtsträgerbegriffs nach dem Recht des
strafverfolgenden Mitgliedstaates“ gestattet, von welcher (in Deutschland) bei der Umsetzung Gebrauch gemacht
werde. Personengruppen, die nach ihrem Status oder ihrer Funktion nicht zur Kategorie der Amtsträger im Sinne von
§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB gehören, aber Amtsträger nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats sind, seien dann in
Deutschland in Fällen der Bestechung und Bestechlichkeit nicht als Amtsträger zu behandeln. Die Regelung in Art. 2
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a des Vertragsgesetzes trage diesem Umstand Rechnung (vgl. BT-Drucks. 13/10424 S. 13). Die
Denkschrift der Bundesregierung setzt damit den im europäischen Rechtsraum geltenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 EUV, Art. 67 AEUV) um. Das Rechtssystem des betroffenen Mitgliedstaates findet durch
die Zugrundelegung seines materiellen Rechtsverständnisses Eingang in die deutsche Rechtssetzung, erfährt zum
Schutz des innerstaatlichen Primärraums aber im Sinne eines sich wechselseitig ergänzenden Konzepts gegebenenfalls eine Beschränkung durch die deutsche Begriffsbestimmung.
- 10 -
d) Verfassungsrechtliche Grundsätze widerstreiten der vorbeschriebenen Auslegung nicht. Die in Rechtsprechung
(BGH, Urteil vom 29. August 2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323, 345 [nicht tragend]) und Schrifttum (vgl. Dötterl, ZWH 2012, 54, 57) angedeuteten Bedenken, eine zweistufige Prüfung der Amtsträgerstellung könne zur Schaffung eines nicht mehr hinreichend bestimmten Blankettstraftatbestands führen, hält der Senat für unbegründet. Um
eine Blankettnorm, die mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG dem Erfordernis der Erkennbarkeit des Bestrafungsrisikos
für den Bürger nicht hinreichend Rechnung trägt, handelt es sich bei Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG nicht. Tragweite und Anwendungsbereich der Vorschrift sind klar erkennbar; jedermann kann vorhersehen, welches Verhalten
verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. BVerfGE 41, 314, 319; 45, 346, 351; 47, 109, 120; 48, 48, 56; 64, 389, 393
f.). Die hinreichende Bestimmtheit der Norm folgt bereits daraus, dass sich ihre Reichweite schon alleine durch die
deutschen Strafbarkeitsvoraussetzungen gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG, welche den Begriff des Amtsträgers im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB einschließen, für jedermann erkennbar absehen lässt. Die zusätzliche
Geltung ausländischen Rechts kann daneben die Tatbestandsmäßigkeit allenfalls entfallen lassen, sich aber nicht
strafbarkeitserweiternd auswirken. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist deshalb
ausgeschlossen. Auch ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht etwa deshalb zu besorgen, weil zur Prüfung der gesetzlichen Merkmale deutschen Rechts ausländische Vorschriften herangezogen werden müssen. Die
Ausübung der Strafgewalt bedarf zwar der Legitimation durch das Staatsvolk, welche durch die Gesetze eines ausländischen Staates nicht bewirkt werden kann (Art. 20 Abs. 3 GG). Ausländisches Recht kann aber zur Anwendung
gelangen, wenn deutsche Rechtsnormen darauf verweisen und es damit für maßgeblich erklären. Für die betreffende
ausländische Vorschrift gelten dann gleichermaßen die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes im Sinne des
Art. 103 Abs. 2 GG. Die den Amtsträger im Sinne des Strafrechts definierende portugiesische Regelung des Art. 386
Abs. 1 lit. c Código Penal Português (PPC) in der zur Tatzeit geltenden Fassung wird diesen Anforderungen ersichtlich gerecht.
e) Auch von bereits ergangener Rechtsprechung weicht der Senat mit den vorgenannten Erwägungen nicht ab. In
seiner Entscheidung vom 29. August 2008 (BGH, Urteil vom 29. August 2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323, 347)
hat der Bundesgerichthof nicht anderslautend entschieden. Tragend für diese Entscheidung war die Auslegung des
Amtsträgerbegriffs nach dem IntBestG; soweit eine Strafbarkeit nach dem EUBestG daneben unter Ablehnung der
Amtsträgereigenschaft nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB verneint wurde, enthält dies keine Aussage zu der Frage, ob
daneben auch das Begriffsverständnis des EU-Mitgliedstaats maßgebend, die Prüfung also ein- oder zweistufig vorzunehmen ist.
2. Da nach Auffassung des Landgerichts für die Amtsträgereigenschaft „allein auf den deutschen, nicht auch zusätzlich auf den portugiesischen Amtsträgerbegriff abzustellen“ ist (UA S. 52), hat es sich rechtsfehlerhaft nicht mit der
zunächst zu prüfenden Frage befasst, ob der Angeklagte Amtsträger nach portugiesischem Recht war.
III. Der Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts führt zur Aufhebung des Urteils. Die Aufhebung erfasst
hier auch die zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Es liegt nahe, dass diese unter Inblicknahme
auch portugiesischen Rechts anders getroffen worden wären. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Eine Freisprechung des Angeklagten durch den
Senat (§ 354 Abs. 1 StPO) kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Der Senat kann nicht sicher ausschließen,
dass bei Anwendung des zutreffenden Maßstabs Feststellungen getroffen werden können, die zu einer Strafbarkeit
des Angeklagten wegen Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union
gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG i.V.m. § 332 Abs. 1, Abs. 3 StGB führen, wenn der Angeklagte sowohl
nach portugiesischem Recht als auch nach deutschem Recht Amtsträger war.
IV. Durch den weitergehenden, auf Freisprechung lautenden Antrag des Generalbundesanwalts ist der Senat nicht an
einer Beschlussentscheidung gehindert. Die Befugnis des Revisionsgerichts, nach Urteilsaufhebung (§ 349 Abs. 4
StPO) die Sache zurückzuverweisen oder in der Sache selbst zu entscheiden, richtet sich ausschließlich nach § 354
StPO; sie setzt – mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Fallvarianten des § 354 Abs. 1 4. Var., Abs. 1a Satz 2
StPO – keinen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus (vgl. u.a. BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2009 –
3 StR 96/09 und vom 10. Februar 2004 – 4 StR 24/04).
- 11 -
StGB § 21 Wahn irrelevant bei Verfehlen des Wahnthemas durch die Tat
BGH, Urt. v. 25.02.2015 - 2 StR 495/13 - NStZ-RR 2015, 168
Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit auswirken, wenn Tatmotiv und Tathandlung nicht in einer direkten Beziehung zum
Wahnthema standen, ist alleine aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine
Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Februar 2015 für Recht erkannt: Die Revision
des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2013 wird verworfen, soweit
sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet. Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten gegen die Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels bleibt einer abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung,
Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten dazu verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass
der Angeklagte dazu verpflichtet ist, ihr allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit
nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Ein Beil hat es eingezogen. Gegen dieses Urteil
richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Erfolg; die Entscheidung über den Adhäsionsausspruch ist zurückzustellen.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in der Ehe des Angeklagten mit der Nebenklägerin vielfach zu
Gewalthandlungen und zu Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. Die Nebenklägerin vermochte sich aber nicht von
dem Angeklagten zu trennen. Dieser litt unter einer wahnhaften Störung in Form eines isolierten Eifersuchtswahns.
Deshalb befand er sich in ambulanter, zeitweise auch in stationärer psychiatrischer Behandlung. Im September 2010
vollzog der Angeklagte gegen den Willen der Nebenklägerin mit ihr den Geschlechtsverkehr, wobei er sie gegen
ihren Widerstand auszog und mit seinem Körpergewicht auf das Bett drückte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Im Oktober 2011 wollte er seine Tochter I. dazu veranlassen auf die Nebenklägerin einzuwirken, damit sie sich mit ihm versöhne. Nachdem die Tochter dies abgelehnt hatte, hielt er ihr ein Brotmesser an den Hals und verlangte erneut deren
Beitrag zur Herbeiführung einer Versöhnung. Dabei wurde die Tochter leicht am Hals verletzt. Der Angeklagte ließ
von ihr ab, weil er glaubte, er habe sie genügend eingeschüchtert, um sein Ziel zu erreichen (Fall II.2. der Urteilsgründe). Am 28. Dezember 2011 wurde der Angeklagte morgens von der Nebenklägerin aus ihrem Zimmer verwiesen. Er fühlte sich als bisheriges Oberhaupt aus der Familie ausgeschlossen und beschloss, die Nebenklägerin dafür
zu bestrafen und sie zu töten. Er verließ die Wohnung, holte aus dem Keller ein Beil, versteckte sich hinter einem
Mauervorsprung vor dem Haus und wartete, bis die Nebenklägerin das Haus verließ. Dann folgte er ihr und holte zu
einem Schlag mit dem Beil auf ihren Kopf aus. Die Nebenklägerin nahm ihn im letzten Augenblick wahr und drehte
sich um, so dass der Schlag sie seitlich am Kopf traf. In rascher Folge schlug der Angeklagte dann weiter auf sie ein,
so dass sie zu Boden ging. Der Angeklagte ließ erst von ihr ab, als er glaubte, sie sei tot. Tatsächlich hatte sie keine
konkret lebensgefährlichen Verletzungen erlitten, wohl aber eine Skalpierungsverletzung am Kopf, eine Durchtrennung der rechten Achillessehne, den Verlust des linken Zeigefingers und weitere Hieb- und Schnittverletzungen am
ganzen Körper (Fall II.3. der Urteilsgründe). Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, der
Angeklagte sei bei der Begehung der Taten jeweils in seiner Fähigkeit, das Unrecht einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht erheblich beeinträchtigt gewesen.
II. Die Revision des Angeklagten gegen den Schuld- und Strafausspruch ist unbegründet.
1. Der Schuldspruch begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das gilt auch für die Annahme des
Landgerichts, der Angeklagte habe seine Tochter im Fall II.2. der Urteilsgründe bedingt vorsätzlich mit dem Messer
verletzt (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Zwar hat er ihr nur eine leichte Hautverletzung beigebracht, jedoch
übersteigt diese Verletzung nach den Gesamtumständen die Bagatellgrenze zur Erfüllung des Körperverletzungstat-
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bestands. Da er der Tochter "ohne Vorwarnung" ein Messer mit gezackter Klinge an den Hals hielt, ist auch die dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmende Feststellung bedingten Verletzungsvorsatzes nicht rechtsfehlerhaft.
2. Der Strafausspruch ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere für die Annahme des
Landgerichts, § 21 StGB greife unbeschadet des isolierten Eifersuchtswahns (vgl. Winckler/Foerster NStZ
1997, 297, 298) als schwerer seelischer Abartigkeit nicht ein. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten
psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit auswirken (vgl. Kröber in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass,
Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 330; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S.
181). Dies war aber nach den Urteilsfeststellungen zur jeweiligen Tatzeit nicht der Fall. Wenn Tatmotiv und Tathandlung nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema standen, ist alleine aus der Diagnose einer wahnhaften
Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten (vgl. Müller-Isberner/Venzlaff in
Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 180 f.). Weder die Vergewaltigung der Nebenklägerin
noch die gefährliche Körperverletzung und versuchte Nötigung der Tochter wurden unmittelbar aus einem Eifersuchtsmotiv heraus begangen. Von den beschriebenen Wahnvorstellungen über angebliche eheliche Verfehlungen
der Nebenklägerin abgesehen, kam es bei dem Angeklagten nicht zu einem Realitätsverlust. Hinweise auf psychotische Situationsverkennungen sind in den Urteilsfeststellungen zum Tatgeschehen nicht vorhanden. Das gilt insbesondere auch für den Fall des Versuchs der heimtückischen Tötung der Nebenklägerin. Bei der Begehung dieser Tat
fühlte sich der Angeklagte aus der Familie ausgestoßen und respektlos behandelt. Er ging planmäßig vor, indem er
das Beil aus dem Keller holte, sich hinter einem Mauervorsprung versteckte und die Nebenklägerin von hinten angriff, nachdem sie vorbeigegangen war.
3. Die Entscheidung über den Adhäsionsausspruch ist zurückzustellen. Der Senat hat mit Beschluss vom 8. Oktober
2014 - 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14 - bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs und bei dem Großen
Senat für Zivilsachen gemäß § 132 GVG angefragt, ob an Rechtsprechung festgehalten wird, die bei der Bemessung
des Schmerzensgeldes eine Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem fordert.
Der Senat möchte diese Rechtsprechung aufgeben. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Frage auch im vorliegenden Fall Bedeutung besitzt. Daher kann der Senat mit Blick auf das Anfrageverfahren derzeit nicht über den Adhäsionsausspruch entscheiden. Weil insoweit eine Entscheidung nicht in absehbarer Zeit erfolgen kann, ist über den
bereits entscheidungsreifen strafrechtlichen Teil des Revisionsverfahrens vorab zu befinden. Eine solche Teilerledigung des Rechtsmittels ist, wie der Senat im genannten Anfragebeschluss erläutert hat, ausnahmsweise zulässig.
StGB § 21, § 63 StPO § 258 Abs. 2 Unterbringung bei Freispruch, Verschlechterungsverbot
BGH, Beschl. v. 05.08.2014 - 3 StR 271/14 - BeckRS 2014, 18560
Bei erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit muss der Tatrichter sich zunächst Klarheit darüber
verschaffen, ob die verminderte Einsichtsfähigkeit tatsächlich dazu geführt hat, dass dem Täter die
Einsicht in das Unrecht seines Tuns gefehlt hat oder nicht. Hat ihm die Einsicht gefehlt, so ist weiter
zu prüfen, ob ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist ihm das Fehlen nicht vorwerfbar, so
ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar.
Nur wenn dem Täter die Einsicht gefehlt hat, dies ihm aber zum Vorwurf gemacht werden kann,
lägen die Voraussetzungen des § 21 StGB in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit vor. Hat
dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht
seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21
StGB im Hinblick auf die verminderte Einsichtsfähigkeit nicht anwendbar.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. August 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in
Moers vom 12. Februar 2014, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben
die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu
- 13 -
neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen besonders schweren Raubes
wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63
StGB) angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der Angeklagte im Einvernehmen mit zwei Mittätern am 22.
Oktober 2013 den Nebenkläger, hielt ihm ein Messer an die Kehle und ermöglichte so den Mittätern, das Opfer zu
durchsuchen und Mobiltelefone und Geldbeutel wegzunehmen. Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung "wegen aufgehobener Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit" schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war. Von der erheblichen
Verminderung der "Steuerungsfähigkeit und auch Einsichtsfähigkeit" war die Strafkammer überzeugt.
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine
außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen
darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der
Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Wie
der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, kann die Überzeugung von
der verminderten Schuldfähigkeit als Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
regelmäßig nicht auf die erheblich verminderte "Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" gestützt werden. Bei erheblich
verminderter Einsichtsfähigkeit muss der Tatrichter sich zunächst Klarheit darüber verschaffen, ob die verminderte
Einsichtsfähigkeit tatsächlich dazu geführt hat, dass dem Täter die Einsicht in das Unrecht seines Tuns gefehlt hat
oder nicht. Hat ihm die Einsicht gefehlt, so ist weiter zu prüfen, ob ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist
ihm das Fehlen nicht vorwerfbar, so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20
StGB anwendbar. Nur wenn dem Täter die Einsicht gefehlt hat, dies ihm aber zum Vorwurf gemacht werden kann,
lägen die Voraussetzungen des § 21 StGB in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit vor. Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB im Hinblick auf die verminderte Einsichtsfähigkeit nicht anwendbar. Auf die diesbezügliche Klärung kann hier nicht verzichtet werden, da es für die Annahme
eines Krankheitsbildes, bei dem sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit betroffen sein können (vgl.
BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168), an Feststellungen fehlt.
3. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den
Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin
geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann. Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers,
durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige
Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit
gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung
anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris
Rn. 8 mwN).
4. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb
bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
- 14 -
StGB § 22 Was ist ein Versuch? Hoeneß-Erpresser-Fall
BGH, Beschl. v. 19.05.2015 - 1 StR 200/15 - BeckRS 2015, 10698
Der Versuch ist grundsätzlich davon gekennzeichnet, dass der subjektive Tatbestand vollständig
erfüllt wird, während die Tat objektiv unvollständig bleibt. Die Verwertung von Umständen, die für
die Durchführung der Tat (hier des Versuchs) typisch sind und diese nicht über den Tatbestand
hinaus besonders kennzeichnen oder die regelmäßige Begleiterscheinungen eines Delikts sind, ist
regelmäßig fehlerhaft.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Dezember 2014 im
Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun
Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründet wird, hat
hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO
unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte, durch die Erpressung des ehemaligen Präsidenten des Fußballvereins B. e.V., H., eine größere Geldsumme zu erlangen. Er hatte die Medienberichterstattung
des gegen H. wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe geführten Strafverfahrens verfolgt und war zu der Auffassung gelangt, gegen diesen sei eine zu milde Strafe ausgesprochen worden. In einem längeren an H. gerichteten
Schreiben schilderte der hafterfahrene Angeklagte detailliert die Abläufe in einer Justizvollzugsanstalt aus Sicht
eines Inhaftierten. Er spiegelte dem kurz vor Haftantritt stehenden Adressaten seines Schreibens vor, er könne tatsächlich auf dessen Haftverlauf – etwa die Gewährung von Vollzugslockerungen oder Besuchsmöglichkeiten – einwirken und habe bei seinem Vorgehen Mittäter oder Helfer. Wenn H. an einem „normalen“ Haftverlauf liege, solle
er 215.000 Euro in bestimmter Stückelung in einer Tüte verstauen und diese zu einem benannten Zeitpunkt an einer
bestimmten Bushaltestelle in den Mülleimer werfen. Nachdem das Schreiben bei der Familie H. angekommen war,
schaltete diese die Polizei ein; die Drohungen nahmen H. und seine Frau sehr ernst, beide waren hierdurch angesichts
des bevorstehenden Haftantritts erheblich belastet. Die Polizei deponierte eine Plastiktüte, in der sich kein Geld befand, in dem bezeichneten Mülleimer und observierte den Übergabeort. Etwa zwanzig Minuten vor dem von ihm
genannten Übergabezeitpunkt fuhr der Angeklagte mit dem Fahrrad an dem Mülleimer vorbei und hielt in umliegenden Straßen Ausschau nach Polizeibeamten. Einige Zeit später fuhr er mit dem Fahrrad erneut zum Mülleimer, entnahm diesem die dort deponierte Plastiktüte und fuhr – in dem Glauben, das Geld erhalten zu haben – davon. Als er
von einem Polizeibeamten mit „Halt! Polizei!“ angesprochen wurde, ließ er die Plastiktüte fallen, beschleunigte und
entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit. Ein weiterer Polizist hielt den Angeklagten dann zwangsweise an, wobei
dieser vom Fahrrad stürzte und sich eine Kopfplatzwunde, einen Schlüsselbeinbruch und diverse Schürfwunden
zuzog. Ob H. zur Zahlung des von dem Angeklagten geforderten Betrages in der Lage gewesen wäre, war zum Tatzeitpunkt wegen eines noch ausstehenden Steuerbescheides für ihn selbst noch nicht absehbar.
2. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen den Schuldspruch; ergänzend verweist der Senat insoweit auf die
zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
3. Das Landgericht hat einen unbenannten besonders schweren Fall der (versuchten) Erpressung nach § 253 Abs. 4
Satz 1 StGB angenommen und den so bestimmten Strafrahmen nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Die
Strafzumessung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bei der Wahl des Strafrahmens und – aufgrund vollumfänglicher Bezugnahme – bei der konkreten Strafzumessung hat das Landgericht eine Reihe von Erwägungen zu
Lasten des Angeklagten angestellt, die sich als nicht tragfähig erweisen:
a) Als maßgeblich zu Lasten des Angeklagten gewerteten Ausdruck „erheblicher krimineller Energie“ wertet die
Strafkammer u.a., der Angeklagte habe die Datei mit dem Erpresserschreiben bewusst nicht auf seinem Computer
abgespeichert, um ein späteres Auffinden zu vermeiden (aktiv gelöscht wurde die Datei hingegen nicht); weil er auch
das Aufbringen seiner Fingerabdruckspuren durch Tragen von Handschuhen und Verwenden eines Geschirrspültuchs
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vermieden habe, wäre eine Ermittlung des Angeklagten als Täter durch die Ermittlungsbehörden ohne die Observation der Geldübergabe „nicht ohne weiteres gelungen“. Die Bedrohungslage sei gerade wegen der Diffusität der Drohungen erheblich gewesen und durch den Umstand, dass der Angeklagte in dem Schreiben anonym als „MisterX“
aufgetreten sei, noch verstärkt worden. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar anerkannt, dass die
sorgfältig geplante Vermeidung von Tatspuren oder deren Beseitigung vor der Tat als die Tat prägende Umstände
strafschärfend herangezogen werden dürfen (vgl. Theune in LK, 12. Aufl., § 46 Rn. 201; Detter NStZ 1997, 476, 477
f., je mwN; vgl. zuletzt auch BGH, Beschluss vom 26. März 2015 – 2 StR 489/14). Dem Angeklagten darf aber nicht
straferschwerend zur Last gelegt werden, er habe den Ermittlungsbehörden seine Überführung nicht erleichtert, indem er keine auf ihn hindeutenden Hinweise geschaffen habe (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2006 – 4 StR
422/05; zur einfachen Spurenverhinderung auch Theune aaO Rn. 202). Dies wäre aber der Fall, wenn man einem
Erpresser anlastet, er trete nicht unter seinem Namen, sondern anonym auf, und er habe ein Erpresserschreiben nicht
abgespeichert, sondern ohne Speicherung auf seinem Computer erstellt.
b) Ganz maßgeblich zu Lasten des Angeklagten hat das Landgericht zudem die Höhe des von ihm angestrebten
Vermögensvorteils gewertet, auch weil der Erpresste diesen Betrag nicht ohne weiteres, sondern nur abhängig von
dem Ergebnis eines noch ausstehenden Steuerbescheids habe aufbringen können. Ob der Angeklagte damit rechnete
oder damit rechnen konnte, dass die erpresste Summe von H. nur unter Schwierigkeiten hätte aufgebracht werden
können, teilt das Landgericht nicht mit; dieser für die Frage der Vorwerfbarkeit des genannten Straferschwerungsgrundes mitbestimmende Umstand versteht sich vorliegend aber nicht von selbst und hätte deshalb näherer Darlegung bedurft.
c) Nicht unbedenklich erscheint zudem die strafschärfende Erwägung der Kammer, die Tat sei nach Vorstellung des
Angeklagten bereits vollendet gewesen („subjektive Vollendungsnähe“). Denn der Versuch ist grundsätzlich davon
gekennzeichnet, dass der subjektive Tatbestand vollständig erfüllt wird, während die Tat objektiv unvollständig
bleibt (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 22 Rn. 2). Die Verwertung von Umständen, die für die
Durchführung der Tat (hier des Versuchs) typisch sind und diese nicht über den Tatbestand hinaus besonders kennzeichnen oder die regelmäßige Begleiterscheinungen eines Delikts sind, ist regelmäßig fehlerhaft (vgl. Stree/Kinzig
in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 46 Rn. 45c mwN).
4. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die insoweit getroffenen Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und bleiben daher bestehen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann hierzu ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
StGB § 22, § 244a Abs.2 Versuchsbeginn, Bandenabrede
BGH, Beschl. v. 07.08.2014 - 3 StR 105/14 - StraFo 2014, 513= NStZ 2015, 207
An einem unmittelbaren Ansetzen kann es trotz der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals
fehlen, wenn der Täter damit noch nicht zu der die Strafbarkeit begründenden eigentlichen Rechtsverletzung ansetzt. Ob dies der Fall ist oder ob er sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet,
hängt von seiner Vorstellung über das "unmittelbare Einmünden" seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer
am 7. August 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird das
Urteil des Landgerichts Trier vom 11. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten V., H. und Z. wegen schweren Bandendiebstahls und versuchten schweren
Bandendiebstahls zu Gesamtfreiheitsstrafen von sechs (V. ) bzw. fünf Jahren (H. und Z.) verurteilt; den Angeklagten
G. hat es des versuchten schweren Bandendiebstahls schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von
zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Daneben hat das Landgericht diverse Tatwerkzeuge eingezogen. Gegen
dieses Urteil wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben mit der Sachbeschwerde Erfolg, so dass es auf die erhobenen Ver-
- 16 -
fahrensbeanstandungen nicht ankommt. Nach den Feststellungen kamen die Angeklagten spätestens im Jahr 2011
überein, sich auf Dauer zur Begehung einer Vielzahl von Einbruchsdiebstählen zu verbinden und hierbei zusammenzuwirken, wobei nicht geklärt werden konnte, ob sie dabei als selbständige Gruppe fungierten oder einer noch größeren Gruppierung angehörten. Inhalt der Übereinkunft war, gemeinsam eine Vielzahl von Geldausgabeautomaten
nach der sogenannten Spreizer-Methode zu öffnen, um die darin befindlichen Bargeldbeträge - meist über 100.000 €
- zu entwenden. Entsprechend dieser Abrede verschafften sich die Angeklagten V. , H. und Z. im Fall II. 1. b der
Urteilsgründe in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 gewaltsam Zutritt zu den Geschäftsräumen der Volksbank-Filiale in S. und entwendeten aus dem dortigen Geldausgabeautomaten 125.585 €. Im Fall II. 2. b der Urteilsgründe trafen sich alle vier Angeklagten am späten Abend des 20. November 2011 in D. nahe der dortigen Sparkasse, die sie in den Vortagen wiederholt ausgekundschaftet hatten, um das in dem dortigen Geldautomaten gelagerte
Geld zu entwenden. Einer der Angeklagten verschaffte sich über eine Leiter Zutritt zu den Geschäftsräumen, indem
er ein Fenster aufbohrte. Anschließend entfernte er sich mit den übrigen Angeklagten vom Gebäude. In der Folgezeit
stieg zweimal einer der Angeklagten erneut für jeweils mehrere Minuten durch das geöffnete Fenster in die Geschäftsräume ein, wobei zwischen diesen Vor-gängen ein Zeitraum von 20 Minuten lag. Die Aufenthalte in der Bank
wurden dazu genutzt, eine Überwachungskamera im Servicebereich zu verdrehen, eine Holztür zum Geldausgabeautomaten aufzuhebeln, eine Datenmülltonne aus Metall im Servicebereich aufzustellen und den Netzstecker des Geldautomaten zu ziehen. Das zum Öffnen des Geldausgabeautomaten erforderliche Werkzeug hatten die Angeklagten
noch nicht in die Sparkasse geschafft. Um dies "in angemessener Zeit" zu bewerkstelligen, wären - so die Ausführungen in der Beweiswürdigung - mindestens zwei Personen erforderlich gewesen (UA S. 35). Nach dem letzten
Einstieg entfernten sich die Angeklagten vom Tatort und fuhren mit unterschiedlichen Fahrzeugen zu einem ca. 35
km entfernten Schnellrestaurant. Dort saßen sie einige Zeit zusammen, bevor sich die Angeklagten Z. und H. zu der
von dem Schnellrestaurant etwa 50 km und vom Tatort mindestens 59 km entfernten Wohnung des Angeklagten H.
aufmachten. Die Angeklagten V. und G. fuhren mit ihren Fahrzeugen zum vom Tatort etwa 30 km entfernten Wohnort des Angeklagten G.. Hierbei wurden die Angeklagten durch Polizeibeamte festgenommen.
1. Der jeweilige Schuldspruch kann in beiden Fällen schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Annahme des
Landgerichts, die Angeklagten hätten bandenmäßig im Sinne des § 244a Abs. 1 StGB gehandelt, einer sie tragenden
Beweiswürdigung entbehrt. Das Landgericht teilt an keiner Stelle des Urteils mit, aufgrund welcher Umstände es
sich von einer Bandenabrede der Angeklagten überzeugt hat. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
lässt sich dies nicht entnehmen. Der von der Strafkammer festgestellte Wille der Angeklagten, sich auf Dauer zur
Begehung einer Vielzahl von Einbruchsdiebstählen zu verbinden und hierbei zusammenzuwirken, liegt trotz des festgestellten, in den Taten zum Ausdruck kommenden professionellen Vorgehens der Angeklagten auch nicht derart auf
der Hand, dass eine andere Möglichkeit gänzlich ausgeschlossen erscheint und sich weitere Ausführungen deshalb
erübrigten. Hinsichtlich des Angeklagten G. kommt hinzu, dass das Urteil konkrete Feststellungen nur zu einer einzigen Tat enthält, an der dieser beteiligt war (zum Rückschluss von der Zahl der Taten auf die Bandenabrede vgl.
BGH, Urteil vom 16. Juni 2005 - 3 StR 492/04, NStZ 2006, 174). Dass er vor der Tat zu II. 2. b der Urteilsgründe
daran mitgewirkt hatte, mögliche Tatorte auszukundschaften, führt zu keinem anderen Ergebnis. Den Feststellungen
ist nicht zu entnehmen, dass die Angeklagten die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse für weitere Taten nutzen wollten. Die Evidenz einer Bandenabrede folgt schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft
zunächst zwei weitere gleich gelagerte Anklagevorwürfe gegen die Angeklagten erhoben hatte, die in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind. Zu der Beteiligung der Angeklagten an diesen Taten hat
die Kammer keine Feststellungen getroffen. Angesichts des vollständigen Schweigens der Urteilsgründe ist darüber
hinaus auch nicht überprüfbar, ob das Landgericht im Fall II. 1. b rechtsfehler-frei davon ausgegangen ist, dass diese
Tat trotz der Beteiligung von nur drei statt vier Bandenmitgliedern Ausfluss der getroffenen Bandenabrede war (vgl.
hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2006 - 4 StR 595/05, NStZ 2006, 342, 343; vom 1. Februar 2011 - 3 StR
432/10, StraFo 2011, 520; vom 1. März 2011 - 4 StR 30/11, StraFo 2011, 521; Urteil vom 28. September 2011 - 2
StR 93/11, juris Rn. 16) und nicht ausschließlich im eigenen Interesse der Angeklagten V. , H. und Z. begangen
worden ist. Da die Angeklagten insoweit entgegen der Feststellung des Landgerichts, Grundlage der Übereinkunft
sei es gewesen, gemeinsam zu agieren, gehandelt haben, war dies im Urteil zu erörtern (vgl. auch BGH, Beschluss
vom 10. Oktober 2012 - 2 StR 120/12, StraFo 2013, 128, 129).
2. Im Fall II. 2. b hält der Schuldspruch wegen versuchten schweren Bandendiebstahls darüber hinaus auch deswegen rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil nach einer vom Landgericht nicht ausgeschlossenen Sachverhaltsvariante die Angeklagten noch nicht in das Versuchsstadium der Tat eingetreten waren. Die Strafkammer hat nicht ein-
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deutig klären können, aus welchen Gründen sich die Angeklagten vom Tatort entfernten. Sie hat es unter anderem
für möglich gehalten, dass sie sich zunächst plangemäß vom Tatort wegbegaben, um "nach einer Pause" zurückzukehren und den Tresor aufzubrennen. Hierfür spreche insbesondere, dass es nach der Einlassung des Angeklagten V.
zum Aufbrennen des Tresors noch "zu früh" gewesen sei. Diese Einschätzung entspreche wohl der üblichen Arbeitsweise der Bande (UA S. 36). In dieser Variante hätten die Angeklagten indes noch nicht im Sinne des § 22
StGB unmittelbar zur Verwirklichung des Diebstahls angesetzt.
a) Das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner
Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur - vollständigen - Tatbestandserfüllung führt oder im
unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet. Diese Voraussetzung kann schon gegeben
sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt; regelmäßig genügt es allerdings, wenn der Täter ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht. Es muss
aber immer das, was er zur Verwirklichung seines Vorhabens unternimmt, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden (BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 - 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 296; Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 540/10, NStZ 2011, 400, 401; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. März 2014 - 3
StR 424/13, NStZ 2014, 447, 448). An einem unmittelbaren Ansetzen kann es daher - ausnahmsweise - trotz der
Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals fehlen, wenn der Täter damit noch nicht zu der die Strafbarkeit begründenden eigentlichen Rechtsverletzung ansetzt. Ob dies der Fall ist oder ob er sich noch im Stadium der Vorbereitung
befindet, hängt von seiner Vorstellung über das "unmittelbare Einmünden" seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen das Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht deshalb im Allgemeinen, dass es zur Herbeiführung des vom Gesetz vorausgesetzten Erfolges noch eines weiteren - neuen - Willensimpulses bedarf (BGH,
Urteil vom 21. Dezember 1982 - 1 StR 662/82, BGHSt 31, 178, 182). Bezogen auf die Frage, wann bei einem - wie
hier nach § 244a StGB - qualifizierten Delikt das Versuchsstadium beginnt, decken sich diese Grundsätze mit der im
Schrifttum vorherrschenden Auffassung, dass die Unmittelbarkeit nur dann zu bejahen ist, wenn der Täter mit seiner
Handlung zugleich zur Verwirklichung des Grunddeliktes ansetzt (Gössel, ZIS 2011, 386, 389 mwN; BeckOK
v.Heintschel-Heinegg/Beckemper, StGB, § 22 Rn. 43; LK/Hillenkamp, StGB, 12. Aufl., § 22 Rn. 123; NK-StGBZaczyk, 4. Aufl., § 22 Rn. 53; S/S-Eser/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 22 Rn. 58), im Rahmen des § 244a StGB mithin
zur Wegnahme (LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 244a Rn. 9; MüKoStGB/Schmitz, 2. Aufl., § 244a Rn. 10; zu § 244
StGB vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 244 Rn. 11).
b) Nach diesen Maßstäben hatten die Angeklagten in der vom Landgericht als möglich erachteten Variante, wonach
der Tresor erst später aufgebrannt werden sollte, noch nicht unmittelbar zum schweren Bandendiebstahl angesetzt.
Zwar war einer der Angeklagten bereits gewaltsam in die Sparkasse eingedrungen und hatte damit die im Rahmen
von § 244a Abs. 1 StGB zum Tatbestandsmerkmal erhobene Voraussetzung des Einbrechens in einen Geschäftsraum
(§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB) erfüllt. Um die Wegnahme des Geldes durchführen zu können, hätten die Angeklagten als weitere wesentliche Zwischenschritte aber erst noch umfangreiches Werkzeug in die Bank schaffen und
den Geldautomaten aufbrennen müssen. Angesichts der in zeitlicher Hinsicht deutlichen Zäsur zwischen dem ersten
Stadium und der geplanten Fortsetzung des Tatplans erforderte diese einen weiteren, eigenständigen Willensentschluss. Die bis zum Zeitpunkt der Festnahme der Angeklagten durchgeführten Aktivitäten stellten insoweit nur wenngleich wesentliche - Vorbereitungsmaßnahmen dar.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten V. , H. und Z. im Fall II. 1. b der
Urteilsgründe maßgeblich auf die Ergebnisse der Telefonüberwachung gestützt. Hinsichtlich des Angeklagten H.
wird aus den Urteilsgründen allerdings nicht zweifelsfrei deutlich, aufgrund welcher Erwägungen die Strafkammer
diesen als Nutzer des ihm zugeordneten Handys nebst SIM-Karte bestimmen konnte. Soweit der Schluss des Landgerichts alleine auf dem Umstand beruhen sollte, dass sich die entsprechende SIM-Karte ausweislich der Verbindungsdaten nach der Tat zu der seinen Wohnsitz abdeckenden Funkzelle zubewegt hatte, bedürfte dies der näheren
Begründung: Denn hinsichtlich des Angeklagten G. hat die Strafkammer aus der Registrierung einer SIM-Karte in
der Funkzelle seines Wohnortes keinen Rückschluss dahin ziehen wollen, dass dieser der Nutzer der entsprechenden
SIM-Karte war (UA S. 10). Daneben wäre zu beachten, dass die Strafkammer im Rahmen von Fall II. 1. b der Urteilsgründe die Mitwirkung eines weiteren, unbekannt gebliebenen Täters nicht auszuschließen vermocht hat. Insoweit wäre zusätzlich zu bedenken, dass sich auch im Rahmen von Fall II. 2. b neben dem Angeklagten H. noch andere Täter über mehrere Tage hinweg in seinem Anwesen aufgehalten hatten.
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b) Der Angeklagte Z. soll sich "im Rahmen eines Beweisantrages am 14. Verhandlungstag" eingelassen haben. Beweisbehauptungen, die in einem von dem Verteidiger gestellten Beweisantrag enthalten sind, dürfen jedoch nicht in
eine Einlassung des Angeklagten umgedeutet werden, sofern sich dieser hierzu nicht erklärt (BGH, Beschluss vom
29. Mai 1990 - 4 StR 118/90, NStZ 1990, 447; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 16a). Hier-zu
schweigt das Urteil. Sollte sich der Angeklagte Z. zu den in dem Beweisantrag enthaltenen Behauptungen eingelassen haben, gilt Folgendes: Die Überzeugung, dass sich der Angeklagte Z. entgegen den in dem vorerwähnten Beweisantrag enthaltenen Behauptungen nicht in seinem Heimatland aufgehalten hat, hat das Landgericht auch aufgrund der Erwägung gewonnen, dass die entsprechenden Zeugen erstmals benannt wurden, nachdem der Angeklagte
bereits mehr als 13 Monate in Untersuchungshaft verbracht hat. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Dem Angeklagten steht es frei, sich zu den Anklagevorwürfen zu äußern (§ 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Einlassungsverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der nur
anfänglichen Aussageverweigerung dem Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden (BGH, Urteil vom 26.
Oktober 1965 - 5 StR 515/65, BGHSt 20, 281; Beschluss vom 27. Januar 1987 - 1 StR 703/86, BGHR StPO § 261
Aussageverhalten 4). Gleichermaßen fehlerhaft wäre die Erwägung des Landgerichts, sofern tatsächlich keine Einlassung des Angeklagten Z. vorgelegen haben sollte. Der Angeklagte darf nicht nur schweigen, sondern auch auf den
Antritt eines Entlastungsbeweises verzichten. Bei dem - wie hier - zunächst oder durchgehend schweigenden Angeklagten verbieten sich daher auch nachteilige Schlüsse, die alleine auf dem Zeitpunkt der Stellung eines Beweisantrages beruhen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2001 - 1 StR 415/01, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 26).
c) Das Landgericht hat als Grund für die Nichtvollendung der Tat zu II. 2. b der Urteilsgründe die weitere Möglichkeit gesehen, dass die Angeklagten den Verdacht gehabt haben könnten, polizeilich observiert zu werden. Diese
Einschätzung hat es entscheidend darauf gestützt, dass ein Verteidiger in der Hauptverhandlung "in einem unbedachten Moment" einen Zeugen nach einem schwarzen BMW mit Kölner Kennzeichen gefragt und es sich hierbei "erkennbar nicht um eine ins Blaue hinein gestellte Frage" gehandelt habe (UA S. 36). Dieser Schluss ist unzulässig,
denn er deutet die Frage des Verteidigers und mögliche hierin enthaltene Behauptungen in eine (Teil)Einlassung des
Angeklagten um.
d) Die Strafkammer hat im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten V. dessen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen der Bande berücksichtigt, welcher sich bereits aus seiner Einlassung zum Tatgeschehen
zu Fall II. 2. b ergeben habe. Bei dieser Begründung hat das Landgericht verkannt, dass es die Einlassung in wesentlichen Teilen als Schutzbehauptung gewertet hat (UA S. 33). Es durfte daher übrige Teile der Einlassung nicht ohne
nähere Begründung - an der es hier mangelt - zu Lasten des Angeklagten heranziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.
Juni 2011 - 5 StR 165/11, NStZ-RR 2011, 318, 319; LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 73). Soweit die Strafkammer den bestimmenden Einfluss des Angeklagten V. auf die Mitangeklagten daneben aus dessen Verhalten in
der Hauptverhandlung gefolgert hat, lassen die pauschal gehaltenen Ausführungen besorgen, dass sie zulässiges
Verteidigungsverhalten strafschärfend berücksichtigt hat (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 7. November 1986 - 2
StR 563/86, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 4; vom 29. Januar 2014 - 1 StR 589/13, NStZ 2014, 396,
397).
e) Wird die Erhebung eines Beweises wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO)
abgelehnt, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung
festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb (BGH, Urteil vom 7. April 2011 - 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713, 714). Die unter Beweis
gestellte Indiztatsache hat es in das bisherige Beweisergebnis so einzustellen, als sei sie erwiesen, und prognostisch
zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den
Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom
15. Oktober 2013 - 3 StR 154/13, NStZ 2014, 111, 112 m. Anm. Allgayer; vom 18. März 2014 - 2 StR 448/13,
NStZ-RR 2014, 252, 253; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220 mwN).
f) Sollte sich in der neuen Hauptverhandlung eine Bandenabrede der Angeklagten belegen lassen, so wird gegebenenfalls im Fall II. 2. b eine Verbrechensverabredung im Sinne des § 30 Abs. 2 StGB in Betracht zu ziehen sein.
Außerdem wird die zur Entscheidung berufene Strafkammer auch eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 303
- 19 -
StGB zu prüfen haben. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seinen Antragsschriften das besondere öffentliche
Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
StGB § 24 Rücktritt vom Versuch
BGH, Beschl. v. 06.05.2014 - 3 StR 134/14 - NStZ 2014, 450
Ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch der Körperverletzung ist möglich, wenn sich ein Mittel
zwar als ungeeignet erweist, ein anderes Mittel aber zur Verfügung steht, das ebenfalls eine Körperverletzung herführen konnte.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - am 6. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 11. Dezember 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von
sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des
Angeklagten hat in dem sich aus der Beschlussformel ergebenden Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im
Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Schuldspruch wegen schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter gefährlicher
Körperverletzung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der mit einer Sturmhaube maskierte Angeklagte durch eine offen
stehende Terrassentür die Wohnung der Geschädigten. In der einen Hosentasche trug er griffbereit ein Pfefferspray,
in der anderen einen Elektroschocker bei sich. Diese Gegenstände wollte er erforderlichenfalls einsetzen, um etwaigen Widerstand gegen die geplante Wegnahme von Geld aus der Wohnung zu brechen. Als die Geschädigte den
Angeklagten bemerkte, drückte er ihr mit dem Elektroschocker mehrmals auf den Arm und versuchte, einen Stromschlag auszulösen. Dies scheiterte jedoch, weil der Sicherungsstift nicht eingeführt war, den der Angeklagte möglicherweise gar nicht bei sich hatte. Die Geschädigte fürchtete dennoch weitere körperliche Übergriffe und wies den
Angeklagten deshalb auf Geld in ihrer Handtasche hin, in der er einen Umschlag mit 1.000 € und ein Portemonnaie
mit 285 € fand, die er an sich nahm. Zudem öffnete die Geschädigte auf Aufforderung des Angeklagten den Tresor,
dem er weitere 900 € entnahm.
2. Danach kann die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung keinen Bestand haben; denn das
Landgericht hat nicht erörtert, ob der Angeklagte vom unbeendeten Versuch der gefährlichen Körperverletzung zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Dies ist rechtsfehlerhaft, weil die Feststellungen den von der Strafkammer angenommenen Fehlschlag des Versuchs nicht tragen, so dass die Frage eines freiwilligen Rücktritts der Prüfung bedurft hätte. Dem Angeklagten war es aus technischen Gründen nicht gelungen, einen Stromstoß auszulösen.
Damit hatte er ersichtlich noch nicht alles getan, um den Körperverletzungserfolg herbeizuführen. Den Urteilsgründen lassen sich keine Umstände entnehmen, die ihn daran gehindert haben konnten, mit dem griffbereit zur Verfügung stehenden und von ihm von vornherein zum Einsatz vorgesehenen Pfefferspray weitere körperliche Angriffe
gegen die Geschädigte zu führen; ein Fehlschlag des Körperverletzungsversuchs ist daher nicht belegt (vgl. BGH,
Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228; Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12, NStZ
2013, 156, 157 f.). Ebenso wenig verhält sich das Urteil zu der Frage, ob der Angeklagte nur unfreiwillig davon
absah, die Geschädigte doch noch körperlich zu verletzen. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er sich aufgrund äußerer Zwänge oder psychischer Hemmungen nicht mehr in der Lage gesehen hätte, die Geschädigte nunmehr unter Einsatz des Pfeffersprays anzugreifen. Dass der Angeklagte möglicherweise deshalb von weiteren Ein-
- 20 -
wirkungen auf die Geschädigte absah, weil diese bereits aufgrund des folgenlosen Einsatzes des Elektroschockers
um Leib und Leben fürchtete und sich zur Duldung der Wegnahme des Geldes veranlasst sah, schließt einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus; denn dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte sein mit der Verwendung des Elektroschockers verfolgtes außertatbestandliches Ziel, an das Geld der Geschädigten zu gelangen, erreicht
hatte (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221; Beschluss vom 20. September 2012 - 3 StR
367/12, NStZ-RR 2013, 105). Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung
lässt auch die - von diesem Rechtsfehler nicht betroffene - Verurteilung wegen des tateinheitlich dazu begangenen
schweren Raubes entfallen (KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN). Der Wegfall der für diese Tat verhängten Einzelstrafe entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
StGB § 32 – Hoheitlich rechtswidriger Angriff als Notwehranlass
BGH, Urt. v. 09.06.2015 - 1 StR 606/14 - BeckRS 2015, 13281
LS: Zur Rechtswidrigkeit des Angriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB bei hoheitlichem Handeln.
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 6. August 2014 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun
Monaten verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.
A.
I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reiste der aus dem Irak stammende Angeklagte 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein unter Falschpersonalien gestellter Asylantrag wurde 2005 rechtskräftig abgelehnt. Seitdem wurden ihm immer wieder jeweils zeitlich befristete Duldungen erteilt, weil die Ausländerbehörden wegen
(vermeintlich) fehlender Ausweisdokumente von einem tatsächlichen Abschiebehindernis ausgingen. Ende November 2008 wurde der Angeklagte aus der Bundesrepublik ausgewiesen; die zuständige Ausländerbehörde setzte jedoch
die Abschiebung wegen nach ihrem Kenntnisstand weiterhin bestehender Abschiebehindernisse aus und sprach eine
weitere Duldung aus. Nachdem der Angeklagte seine wahre Identität offenbart und der zuständigen Ausländerbehörde Ausweispapiere vorgelegt hatte, ordnete diese seine Abschiebung für den 4. Februar 2014 an. Allerdings gewährte
dieselbe Behörde dem Angeklagten am 13. Januar 2014 eine weitere, bis zum 14. April 2014 befristete Duldung.
Eine Woche nach Ergehen dieser Duldungsverfügung beauftragte die Ausländerbehörde dennoch die zuständige
Polizeidirektion L. damit, die angeordnete Abschiebung am 4. Februar 2014 durch Verbringung des Angeklagten
zum Flughafen in Frankfurt/Main zu vollziehen. Von dort aus sollte er nach Erbil (Irak) abgeschoben werden. In dem
an die Polizeidirektion gerichteten Schreiben teilte die Ausländerbehörde mit, die Abschiebung sei gegenüber dem
Angeklagten schriftlich angekündigt und diesem aufgetragen worden, sich am festgesetzten Tag für die Durchführung der Abschiebung bereitzuhalten. Tatsächlich war eine entsprechende Ankündigung gegenüber dem Angeklagten jedoch versehentlich nicht erfolgt.
2. Da die zuständige Polizeidirektion von einer Information des Angeklagten über die Abschiebung ausging und
dieser nicht als gewaltbereit galt, wurden zwei uniformierte Beamte mit üblicher Ausrüstung und Kleidung, ohne
Schutzkleidung, mit der Durchführung der Abschiebung beauftragt. Als die Beamten am frühen Morgen des 4. Februar 2014 an der Wohnungstür des Angeklagten klingelten und ihn von der Abschiebung informierten, war dieser
völlig überrascht. Auf die Aufforderung hin, sich auszuweisen, händigte der Angeklagte den Polizeibeamten „seine
Duldung“ aus. Zugleich erklärte er, er werde nicht freiwillig mitkommen und wolle das Land nicht verlassen. Der
Aufforderung der inzwischen in die Wohnung gelangten Beamten, sich anzukleiden, kam der Angeklagte nicht nach.
Vielmehr konnte er, von den Polizeibeamten unbemerkt, ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm
ergreifen. Dieses Messer setzte er sich an den Hals. Durch die von den Polizeibeamten ernst genommene Suiziddrohung, veranlasste er diese, ihm die Ausfertigung der Duldungsverfügung zurückzugeben und seine Wohnung wieder
zu verlassen.
3. Während die Beamten Verstärkung anforderten, begab sich der Angeklagte unter Mitnahme des Küchenmessers
auf den Balkon seiner Wohnung und gelangte durch Überklettern einer Trennwand auf den Balkon der Nachbarwohnung. Dort versteckte er sich in einem Geräteschuppen. Dabei hoffte er darauf, dort nicht gefunden zu werden und so
- 21 -
der Abschiebung zu entgehen. Für den Fall der als möglich erwarteten Entdeckung wollte er sein Entkommen mittels
seines Messers erzwingen (UA S. 9).
4. Etwa 30 Minuten nach der Alarmierung trafen die polizeilichen Verstärkungen ein. Drei der hinzugekommenen
Beamten suchten auf dem Balkon der Nachbarwohnung nach dem Angeklagten. Unter ihnen war PHM E., der u.a.
mit einem Kettenhemd geschützt war. Ein zweiter der den Balkon absuchenden Beamten war mit einer Maschinenpistole bewaffnet. Im Rahmen der Suche versuchte PHM E., die Schiebetür des dem Angeklagten als Versteck dienenden Geräteschuppens aufzuziehen. Dies misslang jedoch zunächst, weil der Angeklagte die Tür von innen zuhielt. Als der Polizeibeamte E. daraufhin den Krafteinsatz verstärkte, konnte er die Tür so weit öffnen, dass der hinter ihm stehende Kollege den Angeklagten in dem Schuppen entdeckte und diesen sofort aufforderte, sich auf den
Boden zu legen. PHM E. zog nunmehr die Tür vollständig auf. Der Angeklagte hatte dieses erwartet und war entschlossen, das Messer einzusetzen, um sich so den Weg freizukämpfen und der beabsichtigten Abschiebung zu entgehen. Mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer stach er daher sofort schnell hintereinander mit horizontalen,
bogenartigen Bewegungen mindestens drei Mal in Richtung der linken Schulter und des Oberkörpers von PHM E..
Einer der wuchtig geführten Stiche traf den metallenen Türrahmen der Hütte und führte dort eine Beschädigung
herbei. Der Angeklagte, dem die Schutzbekleidung des Beamten nicht bekannt war, rechnete damit, dass PHM E.
durch die Stiche getötet werden könnte. Dies kümmerte ihn jedoch nicht (UA S. 20). Diese mögliche Folge war dem
Angeklagten „gleichgültig“ (UA S. 21). Der Beamte konnte jedoch reflexartig zurückweichen, so dass er durch die
Stiche nicht verletzt wurde. Sofort nach der Ausweichbewegung trat PHM E. wieder nach vorn und konnte dem
nunmehr aus der Hütte hinaustretenden Angeklagten mit dem Einsatzstock das Messer aus der Hand schlagen. Anschließend gelang es den drei auf dem Balkon eingesetzten Beamten, den sich wehrenden Angeklagten zu Boden zu
bringen und ihm Handfesseln anzulegen. Ob zumindest einer der Stiche PHM E. getroffen hatte und eine Verletzung
lediglich durch das getragene Kettenhemd verhindert worden war, hat das Landgericht nicht aufzuklären vermocht.
II. Es hat eine Rechtfertigung des Angeklagten auf der Grundlage von § 32 StGB ausgeschlossen. Im Zeitpunkt der
Ausführung der Stiche habe kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff gegen ihn vorgelegen. Zudem habe er nicht
mit Verteidigungs-, sondern mit Angriffswillen gehandelt, weil es ihm darum ging, seine Flucht zu ermöglichen (UA
S. 24). Einen freiwilligen Rücktritt vom Totschlagsversuch hat es verneint.
B. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung ebenfalls ohne Rechtsfehler
einen bedingten Tötungsvorsatz bei dem Angeklagten festgestellt.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bedingten Tötungsvorsatz, wer den Eintritt des Todes als
mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt
(Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt
werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und
subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteile vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14 Rn. 15, NJW 2014, 3382,
3383; vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13 Rn. 7; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27.
Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 Rn. 34 f. mwN). In die Prüfung sind dabei neben der objektiven
Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei
Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (BGH, Urteile vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14 Rn. 15,
NJW 2014, 3382, 3383; vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13 Rn. 7; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581,
582 mwN).
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht.
a) Das Landgericht hat das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes ohne Rechtsfehler auf die von dem
Angeklagten angenommene erhebliche objektive Gefährlichkeit seines Vorgehens gegen den Polizeibeamten E.
gestützt. Diese ist durch die Beschaffenheit des Messers mit einer Klingenlänge von 20 cm, die auch in der Beschädigung des metallenen Türrahmens zum Ausdruck kommende Wucht der Stiche sowie ihrer Ausführung in Richtung
des Oberkörpers des Beamten ausreichend mit tatsächlichen Umständen belegt. Die von dem Polizeibeamten E.
getragene Schutzkleidung in Gestalt eines Kettenhemdes war nicht als gegen die Wissenskomponente des bedingten
Tötungsvorsatzes sprechender Aspekt zu berücksichtigen. Der Tatrichter hat mit rechtsfehlerfreien Erwägungen
ausgeschlossen, dass dem Angeklagten das Vorhandensein derartiger Schutzbekleidung durch die nunmehr eingesetzten Polizisten bekannt war. Soweit das Landgericht dies auch darauf gestützt hat, dass die beiden zunächst mit
dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten dem Angeklagten ohne Schutzkleidung gegenüber getreten sind, handelt es sich um einen möglichen Schluss, der revisionsrechtlich hinzunehmen ist.
- 22 -
b) Die Billigung des als möglich erkannten Todeseintritts, dem der Angeklagte gleichgültig gegenüberstand, hat das
Landgericht mit dem von diesem selbst angegebenen unbedingten Fluchtwillen gleichfalls ohne Rechtsfehler begründet. Sonstige Umstände in seiner Person und der Tatausführung stehen dem Willenselement nicht entgegen.
Zwar kann bei einer - hier aus der Sicht des Angeklagten - generell lebensgefährlichen Gewalttat, die spontan, unüberlegt und in affektiver Erregung begangen wird, aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne
Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf eine billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts geschlossen werden (siehe BGH, Urteile vom 14. August 2014 - 4 StR
163/14 Rn. 18, NJW 2014, 3382, 3383 mwN; vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; vom 16. August 2012 - 3 StR 237/12, NStZ-RR 2012, 369, 370; vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 f.).
Das Vorliegen solcher Besonderheiten hat das Landgericht jedoch verneint. Insbesondere konnte es sachverständig
beraten einen Affekt bei dem Angeklagten ausschließen (UA S. 22 f.). Auch eine spontane Ausführung lag erkennbar
nicht vor. Der Angeklagte hat vielmehr planvoll sein Verlassen der Wohnung und das Verbergen in der Gartenhütte
auf dem Nachbarbalkon durchgeführt. Zudem hatte er während des wenigstens halbstündigen Versteckens in der
Hütte genügend Zeit, sein weiteres Vorgehen zu überdenken (UA S. 23 f.). Insgesamt hat das Landgericht damit
auch hinsichtlich der Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes eine ausreichende Gesamtbewertung der
maßgeblichen objektiven und subjektiven Umstände vorgenommen.
II. Im Ergebnis ist die Annahme eines rechtwidrigen Handelns des Angeklagten rechtlich nicht zu beanstanden. Die
gegen den Polizeibeamten E. geführten drei Messerstiche waren weder durch Notwehr gemäß § 32 StGB noch durch
einen sonstigen Erlaubnissatz gerechtfertigt.
1. Der Angeklagte sah sich zwar im Zeitpunkt der Messerstiche einem unmittelbar bevorstehenden und damit gegenwärtigen Angriff auf seine durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Fortbewegungsfreiheit seitens des Polizeibeamten ausgesetzt. Dieser Angriff war jedoch nicht im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB rechtswidrig.
a) Der - in dem vorgenannten Sinn - Rechtmäßigkeit des bevorstehenden Zugriffs durch den Polizeibeamten E. stand
nicht entgegen, dass der Vollzug der durch die zuständige Ausländerbehörde materiell rechtmäßig angeordneten
Abschiebung am 4. Februar 2014 (noch) nicht erfolgen durfte, weil dem Angeklagten eine über diesen Termin hinausreichende, bis zum 14. April 2014 befristete Duldung (§ 60a AufenthG) erteilt worden war. Eine Duldung setzt
den Vollzug der Abschiebung zeitweilig aus (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 11 B 676/15 Rn.
2; Bauer in Renner/ Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., AufenthG § 60a Rn. 16). Die am 20. Januar 2014
erfolgte Beauftragung der Polizeidirektion L. mit dem Vollzug der Abschiebung seitens der zuständigen Ausländerbehörde stellt sich weder als gemäß § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG möglicher wirksamer Widerruf der am 13. Januar
2014 dem Angeklagten erteilten Duldung noch als deren wirksame Rücknahme dar. Denn Rücknahme oder Widerruf
wären jedenfalls dem Angeklagten nicht bekannt gegeben (§ 41 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG Baden-Württemberg) worden. Die Voraussetzungen, unter denen eine Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes durch Vermittlung einer anderen
Behörde - hier der Polizeidirektion L. - erfolgen kann (zu diesen Voraussetzungen BVerwG, Beschlüsse vom 16.
November 2010 - 6 B 58/10, Buchholz 402.44 VersG Nr. 18; vom 5. Mai 1997 - 1 B 129/96, Buchholz 402.240 § 45
AuslG 1990 Nr. 11), lagen ersichtlich nicht vor. Für eine Beauftragung der Polizeidirektion, einen Rücknahme- oder
Widerrufsbescheid bezüglich der Duldung an den Angeklagten auszuhändigen, bestehen keine Anhaltspunkte. Vielmehr spricht die seitens der zuständigen Ausländerbehörde der beauftragten Polizeidirektion am 20. Januar 2014
übermittelte (unzutreffende) Information, dem Angeklagten sei die Abschiebung angekündigt worden, gegen die
Möglichkeit, die Ausländerbehörde habe die am 13. Januar 2014 erteilte Duldung widerrufen oder zurückgenommen
und mit der Bekanntgabe dieses Verwaltungsaktes die Vollzugspolizei beauftragt. Ungeachtet der Aussetzung der
Vollziehbarkeit der Abschiebung wegen der erneuten Duldungsverfügung war aber das auf die Ingewahrsamnahme
des Angeklagten zum Zwecke der Abschiebung gerichtete Verhalten von PHM E. kein rechtswidriger Angriff im
Sinne von § 32 Abs. 2 StGB.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich die Rechtmäßigkeit - sowohl bezüglich § 32 Abs.
2 StGB als auch § 113 Abs. 3 StGB - des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen
Vollstreckungsrecht (vgl. BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November
1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 363 sowie die Nachw. bei Rönnau/Hohn in Leipziger Kommentar zum StGB,
12. Aufl., Band 2, § 32 Rn. 117; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 1, § 32 Rn. 75; siehe auch
BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 26 ff. bzgl. der Recht-
- 23 -
mäßigkeit bei § 113 Abs. 3 StGB). Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne
hängt vielmehr lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind,
„er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und der
Hoheitsträger sein - ihm ggf. eingeräumtes - Ermessen pflichtgemäß ausübt (BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1
StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365; weitere umfassende
Nachw. bei Rönnau/Hohn aaO § 32 Rn. 117 Fn. 332; Erb aaO § 32 Rn. 75 Fn. 159). Befindet sich allerdings der
Hoheitsträger in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung, handelt er willkürlich oder
unter Missbrauch seines Amtes, so ist sein Handeln rechtswidrig (BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR
512/66, BGHSt 21, 334, 363; in der Sache ebenso bereits BGH, Urteil vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4,
161, 164 f.; siehe auch BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. April 1991 - 1 BvR 7/90, NJW
1991, 3023 sowie Erb, Festschrift für Gössel, 2002, S. 217, 230 f.).
c) Diese Auslegung des einfachen Gesetzesrechts mit der teilweisen Ablösung des strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB (und § 113 Abs. 3 StGB) von der Rechtmäßigkeit des hoheitlichen
Handelns nach Maßgabe der jeweils einschlägigen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften ist entgegen der von
Teilen der Strafrechtswissenschaft (etwa Paeffgen in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl., Band 2, § 113 Rn. 39
ff. mwN) vorgetragenen Kritik verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, [1. Kammer des Ersten Senats],
Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 26 ff. bzgl. der Rechtmäßigkeit bei § 113 Abs. 3 StGB).
d) Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung (vgl. aber BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 375/11,
NStZ 2012, 272, 273 mit Anm. Erb JR 2012, 207, 209 f.) fest. Die gegen diese in der Strafrechtswissenschaft erhobenen Einwände (siehe etwa Rönnau/Hohn aaO Rn. 119; Kindhäuser in Nomos Kommentar zum StGB, 4. Aufl.,
Band 1, § 32 Rn. 69) werden den für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 StGB maßgeblichen Besonderheiten der Situation nicht ausreichend gerecht, in der sich ein Bürger drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen
durch einen Hoheitsträger ausgesetzt sieht.
aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit (im Sinne von § 32 StGB und § 113 StGB) von hoheitlichem Handeln stets in den Blick genommen, in welcher
Lage sich (Polizei)Vollzugsbeamte bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeit befinden (vgl. BGH, Urteile vom 31. März
1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365 f.; siehe
auch BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 - 1 BvR 1090/06 Rn. 29 und 36). Diese
müssen sich in der konkreten Situation in der Regel unter einem gewissen zeitlichen Druck auf die Ermittlung eines
äußeren Sachverhalts beschränken, ohne die Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns auf der Grundlage des materiellen Rechts oder des (Verwaltungs)Vollstreckungsrechts bis in alle Einzelheiten klären zu können (siehe BVerfG und
BGH jeweils aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat vor dem dargestellten Hintergrund bezüglich der Auslegung
des Rechtmäßigkeitsbegriffs in § 113 Abs. 3 StGB verfassungsrechtlich akzeptiert, dass bei der Notwendigkeit umgehenden behördlichen Einschreitens eine Pflicht des betroffenen Bürgers zur Befolgung einer wirksamen, wenn
auch gegebenenfalls rechtswidrigen Diensthandlung besteht (BVerfG aaO Rn. 29). Er muss die Amtshandlung
grundsätzlich hinnehmen und kann erst nachträglich eine Feststellung der eventuellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme erreichen (BVerfG aaO mwN).
bb) Von diesen Grundsätzen geht auch das Verwaltungsvollstreckungsrecht aus. Ihm liegt der Gedanke zugrunde,
der betroffene Bürger habe eine Pflicht zur Duldung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung auch dann,
wenn nicht sämtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. Erb, Festschrift für Gössel, S. 217, 227
mwN). Dies ergibt sich aus den (einfach)gesetzlichen Regelungen über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
von Rechtsbehelfen gegen Vollstreckungsmaßnahmen in den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen (etwa § 12 Satz 1
Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz Baden-Württemberg [LVwVG]; siehe auch Stammberger in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl., § 18 VwVG Rn. 14; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl., §
32 Rn. 13). Der Betroffene ist darauf beschränkt, nachträglichen Rechtsschutz einzuholen. Es ist mit dem Ausschluss
der aufschiebenden Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen wertungsmäßig nicht zu vereinbaren, gegen solche Maßnahmen dem Betroffenen im Fall ihrer Rechtswidrigkeit das Notwehrrecht aus § 32 StGB
einzuräumen (zutreffend Erb aaO).
cc) Die spezifische Auslegung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB (und §
113 Abs. 3 StGB) bei hoheitlichem Handeln trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die eingesetzten Vollzugsbeamten im Dienst der staatlichen Ordnung tätig werden, die wiederum die Sicherung der Rechtsordnung insgesamt
gewährleistet (BGH, Urteile vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52, BGHSt 4, 161, 164; vom 10. November 1967 - 4
- 24 -
StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365 f.). Die Entlastung des Vollzugsbeamten von dem Risiko, dass sich bei einer ex
post erfolgenden Prüfung der Rechtmäßigkeit seines hoheitlichen Handelns am Maßstab meist des materiellen Verwaltungsrechts oder des Verwaltungsvollstreckungsrechts seine ex ante unter den konkreten Bedingungen seines
Handelns vorgenommene Rechtmäßigkeitsbeurteilung als unzutreffend erweist und dem von der Maßnahme betroffenen Bürger dann eine ggf. gewaltsame Verteidigung gegen den Hoheitsträger offen stünde, dient gerade im
demokratischen Rechtsstaat der Sicherung der Entschlusskraft der eingesetzten Vollzugsbeamten (siehe insoweit
bereits BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 366 und 367). Wird - wie hier - der
hoheitlich handelnde Beamte mit der Vollstreckung einer durch eine andere Behörde angeordneten Verwaltungsmaßnahme beauftragt, darf er sich grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit der ihm übertragenen Vollstreckung verlassen. Umgekehrt muss die beauftragende Behörde von dem Vollzug der Maßnahme durch die angewiesene Behörde
und deren dort konkret betraute Beamte ausgehen können. Derartige Weisungsverhältnisse bilden im Rechtsstaat das
notwendige Bindeglied, um die demokratische Legitimation für die Ausübung von Staatsgewalt sowie die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung gewährleisten zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 2 C 24/13 Rn. 30; siehe auch grundlegend BVerfGE 93, 37, 66 ff. bzgl. der Weisungsgebundenheit der Verwaltung
gegenüber der Regierung). Der von der angeordneten Verwaltungsvollstreckung Betroffene wird durch die ihm auferlegte Pflicht zur Duldung einer sich im Nachhinein als - gemessen an den einschlägigen außerstrafrechtlichen Vorschriften - rechtswidrig erweisenden hoheitlichen Maßnahme nicht rechtlos gestellt. Ihm steht die nachträgliche
gerichtliche Rechtmäßigkeitsprüfung (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) vollständig zur Verfügung.
dd) Darüber hinaus führte die Gewährung des Notwehrrechts gegen hoheitliches Handeln zu nicht akzeptablen Konsequenzen im Hinblick auf die Rechtsgüter des betroffenen Bürgers auf der einen Seite und derjenigen des ausführenden Beamten auf der anderen Seite. Der von einer - nach dem maßgeblichen materiellen Recht oder Vollstreckungsrecht - rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme betroffene Bürger befindet sich in einer völlig anderen tatsächlichen Lage als derjenige, der sich einem rechtswidrigen Angriff auf seine Rechtsgüter durch Private ausgesetzt sieht.
Innerhalb der Grenzen seiner Duldungspflicht (siehe unten Rn. 34) ist die Eingriffsintensität der staatlichen Maßnahme durch die für hoheitliches Handeln bestehenden Schranken, vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(dazu im hier relevanten Zusammenhang BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 29. April 1991 - 1
BvR 7/90, NJW 1991, 3023) begrenzt. Es droht typischerweise kein endgültiger Verlust des beeinträchtigten Rechtsguts. Auf der anderen Seite wäre der Vollzugsbeamte bei Gewährung des Notwehrrechts gegen sein hoheitliches
Handeln der Gefahr erheblicher Rechtsgutsbeeinträchtigungen in einer Situation ausgesetzt, in der er ohne ihm vorwerfbaren Irrtum von der Rechtmäßigkeit der hoheitlichen Vollstreckungsmaßnahme ausgeht. Gerade bei Notwehrhandlungen gegen bewaffnete Polizeibeamte im Rahmen des Vollzugs durch andere Behörden angeordneter Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung wird eine zur endgültigen und sicheren Abwehr des Angriffs führende „Verteidigung“ häufig gleichsam notwendig die Tötung der eingesetzten Beamten umfassen (Erb, Festschrift für Gössel,
S. 217, 222). Gegen eine solche „Verteidigung“ dürfte sich der Beamte nicht rechtmäßig wehren. Eine ihm zumutbare legale Verhaltensalternative bliebe ihm dann nicht. Entweder handelt er entgegen dem ihm erteilten Vollstreckungsauftrag oder er macht sich durch eine Abwehr der dann nicht rechtswidrigen Verteidigung des von seiner
hoheitlichen Maßnahme betroffenen Bürgers strafbar.
ee) Daher folgt der Senat nicht einer in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Auffassung, die bei - am materiellen
Verwaltungsrecht oder dem Verwaltungsvollstreckungsrecht gemessen - rechtswidrigem Handeln des Hoheitsträgers
auch strafrechtlich von einem rechtswidrigen Angriff i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB ausgeht, dem vom hoheitlichen Handeln Betroffenen aber lediglich ein (eingeschränktes) Notwehrrecht gewährt (so etwa Amelung JuS 1986, 329, 337;
Rönnau/Hohn aaO § 32 Rn. 134 mwN; der Sache nach über eine Einschränkung des Notwehrrechts über das Merkmal „geboten“ wie diese auch OLG Hamm JR 2010, 361 f. mit krit. Anm. T. Zimmermann). Eine solche Rechtsauffassung wird weder den beschriebenen (oben Rn. 27-31) tatsächlichen noch den rechtlichen Besonderheiten des
möglichen Notwehrrechts des einzelnen Bürgers gegen das Handeln von staatlichen Hoheitsträgern gerecht. Insbesondere verkennt sie, dass bei dem Vorgehen gegen bewaffnete Polizeibeamte deren Tötung oder zumindest deren
gravierende Verletzung meist die allein eine sichere und endgültige Angriffsabwehr gewährleistende „Verteidigungshandlung“ wäre (Rn. 32).
e) Die Grenzen der Pflicht zur Duldung einer nach den maßgeblichen außerstrafrechtlichen Rechtsvorschriften
rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme sind dort erreicht, wo diese mit dem Grundsatz der Rechtsbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) schlechthin unvereinbar sind (BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom
29. April 1991 - 1 BvR 7/90, NJW 1991, 3023; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 31. März 1953 - 1 StR 670/52,
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BGHSt 4, 161, 164). Das ist jedenfalls bei Willkür und bei Nichtigkeit des Verwaltungshandelns der Fall (BVerfG
und BGH jeweils aaO). Bei der Verwaltungsvollstreckung endet die Duldungspflicht des Betroffenen auch bei der
Nichtigkeit von Verwaltungsakten (§§ 43, 44 LVwVfG) im Schweregrad entsprechenden Verletzungen der Voraussetzungen der Verwaltungsvollstreckung (Erb, Festschrift für Gössel, S. 217, 230; ähnlich T. Zimmermann JR 2010,
361, 365 „offensichtlich bösgläubige und amtsmissbräuchliche Vollstreckungshandlungen“). Das Handeln ist dann
stets rechtswidrig im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB.
f) Bei Anwendung der vorstehenden rechtlichen Maßstäbe war der unmittelbar bevorstehende Angriff durch PHM E.
auf das Freiheitsrecht des Angeklagten nicht gemäß § 32 Abs. 2 StGB rechtswidrig.
aa) Der Polizeibeamte E. handelte, wie die übrigen mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten,
nach den getroffenen Feststellungen innerhalb seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit aufgrund des seitens der
ihrerseits zuständigen Ausländerbehörden erteilten Auftrags zur Verwaltungsvollstreckung. Hinsichtlich der Durchführung des Vollzugs der Abschiebung sind durch die beauftragte Polizei die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten worden. Das gilt auch für die Durchführung der Vollstreckung zur Nachtzeit (vgl. § 9 Abs. 2 LVwVG). Gemäß §
9 Abs. 1 LVwVG bedarf diese einer Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang
des angefochtenen Urteils ergibt, hatte die Ausländerbehörde eine solche Erlaubnis erteilt. Denn sie hatte der unmittelbar beauftragten Polizeidirektion L. mitgeteilt, dem Angeklagten als Abzuschiebenden sei die Abschiebung angekündigt und diesem aufgetragen, sich ab 3.00 Uhr morgens unter seiner Wohnanschrift bereitzuhalten (UA S. 7/8).
bb) Der bevorstehende Zugriff durch PHM E. erweist sich auch nicht aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalls als rechtswidrig im Sinne des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs. Weder befand er sich in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung noch handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines
Amtes (Rn. 25). Das gilt selbst dann, wozu das Landgericht allerdings keine Feststellungen getroffen hat, wenn ihm
durch Information seitens der zunächst eingesetzten Polizeibeamten B. und K. bekannt gewesen sein sollte, dass der
Angeklagte diesen eine Duldungsverfügung gezeigt, anschließend aber wieder zurückverlangt hatte.
(1) Das Fehlen eines schuldhaften Irrtums über die Erforderlichkeit der Ingewahrsamnahme des Angeklagten ergibt
sich aus folgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen: Der Polizeidirektion L. war durch das Regierungspräsidium Ka. als zuständiger Ausländerbehörde der Auftrag zum Vollzug der Abschiebung für den 4. Februar 2014
erteilt worden. Der Polizeidirektion war weiter mitgeteilt worden, dass dem Angeklagten die Abschiebung für den
genannten Termin angekündigt und ihm aufgegeben war, sich am fraglichen Tag ab 3.00 Uhr für den Transport bereitzuhalten. Diese Informationen waren auch an den in der Tatnacht diensthabenden Einsatzleiter des mit dem Vollzug durch die Polizeidirektion beauftragten Polizeireviers 3 in S. gelangt (UA S. 8). Die am 13. Januar 2014 dem
Angeklagten erteilte Duldung als Vollzugshindernis war dem zuständigen Einsatzleiter daher zunächst ebenso wenig
bekannt wie den zunächst mit dem Vollzug der Abschiebung beauftragten Polizeibeamten (POM B. und POM’in K.
). Anhaltspunkte für das Bestehen des Vollzugshindernisses aus § 60a AufenthG ergaben sich nach Beginn des Vollzugs lediglich aus dem Hinweis des Angeklagten auf die Duldung sowie dem kurzzeitigen Zugriff (UA S. 8 und 9)
von POM B. und POM’in K. auf die bei dem Angeklagten vorhandenen Ausfertigung der Duldung vom 13. Januar
2014. Selbst wenn den zur Verstärkung herbeigerufenen Polizeibeamten, darunter PHM E. , das Vorhandensein der
Ausfertigung einer über den Abschiebetermin hinausreichenden Duldung ebenfalls bekannt geworden sein sollte,
führte dies für den Polizeibeamten nicht dazu, dass er in ihm vorwerfbarer Weise die verwaltungsvollstreckungsrechtliche Rechtswidrigkeit der Durchführung verkannt hätte. Den beauftragten Polizeibehörden lagen aufgrund
Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde Informationen vor, aus denen sich zunächst eindeutig die Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Abschiebung ergab. Allein der Hinweis des Angeklagten auf die Duldung und das kurzzeitige
bildliche In-den-Händen-Halten der Ausfertigung durch die beiden zunächst eingesetzten Polizeibeamten konnten
keine solchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vollzugs hervorrufen, die zu einem schuldhaften Irrtum über den
Vollzug der angeordneten Verwaltungsvollstreckung führen konnten. Eine nähere Prüfung des Inhalts und der Echtheit der Duldung hat der Angeklagte bereits gegenüber POM B. und POM’in K. selbst vereitelt, indem er die Rückgabe der Ausfertigung durch seine Suiziddrohung erzwungen hat. Eine Klärung des Vorhandenseins einer wirksam
erteilten, über den 4. Februar 2014 hinausreichenden Duldung durch Rücksprache mit dem zuständigen Regierungspräsidium Ka. war angesichts der Tageszeit (zwischen 4.00 und 4.30 Uhr) nicht möglich. Wegen der eindeutigen
Informationen und der Beauftragung durch das Regierungspräsidium war daher für PHM E. (wie auch die übrigen
eingesetzten Polizeibeamten) nicht ohne Weiteres erkennbar, dass die Abschiebung des Angeklagten wegen der
erneut erteilten Duldung am fraglichen Tag verwaltungsvollstreckungsrechtlich nicht gestattet war.
- 26 -
(2) Das hoheitliche Handeln der zur Vollstreckung der angeordneten Abschiebung eingesetzten Polizeivollzugsbeamten, damit auch des Polizeibeamten E., war angesichts des vorstehend Ausgeführten nicht willkürlich. Ebenso
wenig lagen Verletzungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts vor, die in ihrem Schweregrad Nichtigkeitsgründen
des Verwaltungsakts entsprechen würden.
g) Schließlich stehen auch die sonstigen Verhältnisse des konkreten Einzelfalls der Anwendung des strafrechtlichen
Rechtmäßigkeitsbegriffs bei hoheitlichem Handeln nicht entgegen. Die damit einhergehende Duldungspflicht des
von einer hoheitlichen Maßnahme Betroffenen darf diesem zumutbar auferlegt werden, weil kein endgültiger
Rechtsverlust droht, sondern eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit eröffnet ist (dazu oben Rn. 30).
Vorliegend verfügte der Angeklagte über eine Ausfertigung der bis zum 14. April 2014 befristeten Duldungsverfügung. Zwischen dem polizeilichen Zugriff gegen 4.30 Uhr und dem Abflug des Flugzeugs nach Erbil (Irak) vom
Flughafen Frankfurt/Main um 10.10 Uhr verblieb genügend Zeit, um durch die Vollzugspolizeibeamten mittels
Nachfrage bei der zuständigen Ausländerbehörde nach Beginn deren regelmäßiger Dienstzeit klären zu lassen, ob die
Voraussetzungen für die Vollstreckung der Abschiebung vorlagen oder diese (noch) durch eine wirksam erteilte
Duldung gehindert war. Es drohte daher im Hinblick auf das Recht zum Aufenthalt im Inland bis zum Ablauf der
Duldungsfrist dem Angeklagten kein endgültiger Rechtsverlust. Die Freiheitsentziehung bis zu der Klärung der vollstreckungsrechtlichen Rechtslage durch Einschaltung der Ausländerbehörde musste der Angeklagte aus den für das
Bestehen eines spezifischen strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bei hoheitlichem Handeln maßgeblichen Gründen gerade dulden und durfte sich nicht mit erheblicher Gewaltanwendung dagegen wehren.
2. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts kommen andere Rechtfertigungsgründe zu seinen Gunsten
ebenfalls nicht in Betracht.
III. Anhaltspunkte für das Fehlen schuldhaften Verhaltens ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil ebenfalls
nicht.
1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint.
2. Nach den ausreichend getroffenen Feststellungen befand sich der Angeklagte auch nicht in einem die Bestrafung
aus einer vorsätzlichen Tat ausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013
- 1 StR 449/13, NStZ 2014, 30 f. mwN). Der Angeklagte hatte bereits gegenüber den zunächst eingesetzten Polizeibeamten B. und K. angekündigt, nicht freiwillig mitzukommen und das Land nicht verlassen zu wollen (UA S. 8).
Bei dem Einsatz des Messers kam es ihm darauf an, die von ihm erwartete Festnahme und daran anschließende Abschiebung zu verhindern (UA S. 9). Dass er sich über tatsächliche Umstände geirrt haben könnte, deren wirkliches
Vorliegen einen von der Rechtsordnung anerkannten Rechtfertigungsgrund begründen würde, der ihm die als möglicherweise tödlich erkannten Messerstiche gestattete, ist nicht ersichtlich.
3. Ebenso wenig belegen die Feststellungen einen Erlaubnisirrtum als besondere Erscheinungsform des Verbotsirrtums (§ 17 StGB). Weitere Ausführungen dazu waren nicht geboten. Dem Angeklagten kam es allein auf die Ermöglichung seiner Flucht an. Über die Rechtmäßigkeit des Messereinsatzes als Mittel zum Erreichen dieses Ziels hat er
nicht erkennbar reflektiert.
IV. Ein unmittelbar aus dem Verfassungsrecht resultierendes Verbot, den Angeklagten für die gegen den Polizeibeamten gerichteten Messerstiche zu bestrafen, besteht nicht. Selbst wenn die Vollstreckung der Abschiebeanordnung
wegen des aus der Duldung folgenden Vollzugshindernisses verwaltungsvollstreckungsrechtlich nicht rechtmäßig
gewesen sein sollte, schließt dies eine Bestrafung des Angeklagten wegen der durch die Messerstiche rechtswidrig
verwirklichten Straftat nicht aus (vgl. BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], Beschluss vom 30. April 2007 – 1
BvR 1090/06 Rn. 53 f.).
V. Die Strafzumessung des Tatgerichts enthält ebenfalls keine revisiblen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
1. Die Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (BGH, Urteile vom 24.
März 2015 - 5 StR 6/15 Rn. 7 mwN; vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14 Rn. 15; Beschluss vom 18. Dezember
2007 - 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.), ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf
Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen (BGH, Urteile vom 24. März 2015 - 5 StR 6/15 Rn. 7; vom 31. Juli 2014 - 4 StR 216/14 Rn. 4). Welchen
Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; siehe
etwa BGH, Urteil vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; BGH, Beschluss vom 18. Dezember
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2007 - 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 146 mwN). Das Revisionsgericht
darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falls zugrunde liegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen
ist (siehe BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14 Rn. 16; Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 5 StR
530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.).
2. Derartige der Revision zugängliche Rechtsfehler bei der Anwendung von § 213 StGB weist das angefochtene
Urteil nicht auf.
a) Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen von § 213 Alt. 1 StGB (zu diesen ausführlich BGH, Urteil
vom 26. Februar 2015 - 1 StR 574/14 Rn. 18 ff.) bestehen nicht.
b) Die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB hält ebenfalls sachlich-rechtlicher
Prüfung stand. Das Landgericht ist von der gebotenen Gesamtbewertung aller relevanten Umstände (Fischer aaO §
213 Rn. 12; H. Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 4, § 213 Rn. 49 jeweils mwN) ausgegangen. In diese hat es zugunsten des Angeklagten eingestellt, dass er nicht über die bevorstehende Abschiebung
informiert worden war und wegen der bis zum 14. April 2014 befristeten Duldung auch nicht mit dieser rechnen
konnte. Zudem hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und seine
besondere Lage wegen der Konfrontation mit der bevorstehenden Abschiebung in den frühen Morgenstunden berücksichtigt. Damit hat es, auch wenn es die Bedeutung der Duldung als Vollzugshindernis rechtlich nicht vollständig erfasst hat, inhaltlich die für die Entscheidung über das Vorliegen eines minder schweren Falls bestimmenden,
aus der Verwaltungsvollstreckung resultierenden Umstände gewürdigt. Dass es diese Aspekte auch im Zusammenhang mit der wegen der von PHM E. getragenen Schutzkleidung geringen objektiven Gefährlichkeit der Messerstiche nicht für die Annahme eines minder schweren Falls hat genügen lassen, ist nach dem vorgenannten Prüfungsmaßstab hinzunehmen. Das Abstellen des Landgerichts auf die aus Sicht des Angeklagten besonders gefährliche
Vorgehensweise angesichts der Art und Wucht der Stiche sowie der konkreten Beschaffenheit des Messers als bestimmende Gründe gegen einen minder schweren Fall lässt Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen. Gleiches gilt,
soweit es aus den nämlichen Gründen den Strafrahmen des § 213 StGB auch unter Berücksichtigung des vertypten
Milderungsgrundes aus § 23 Abs. 2 StGB nicht herangezogen, sondern den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB nach
§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Auch innerhalb des gewählten Strafrahmens sind keine Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten zu erkennen.
StGB § 41 Freiheitsstrafe neben Geldstrafe
BGH, Beschl. v. 24.07.2014 - 3 StR 176/14 - StV 2015, 171
§ 41 StGB erlaubt keine Zusatzstrafe.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts zu 3. auf dessen Antrag - am 24. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 3. Mai 2013
a) in den Schuldsprüchen dahin abgeändert, dass
- der Angeklagte T. des banden- und gewerbsmäßigen Betruges,
- der Angeklagte M. des banden- und gewerbsmäßigen Betruges und des Betruges in neun Fällen
schuldig sind,
b) in den gesamten Strafaussprüchen aufgehoben; die jeweils zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten,
c) in den Aussprüchen, dass nicht auf Verfall von Wertersatz erkannt wird
- soweit es den Angeklagten T. betrifft, dahin abgeändert, dass dieser aus der Tat 26.965,40 € erlangt hat,
- soweit es den Angeklagten M. betrifft, aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten des banden- und gewerbsmäßigen Betruges in zwei Fällen (Fälle II. 1 und 2 der
Urteilsgründe) und den Angeklagten M. weiter des Betruges in neun Fällen (Fälle II. 3 bis 11 der Urteilsgründe)
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schuldig gesprochen. Den Angeklagten T. hat es deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zu
einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen verurteilt, gegen den Angeklagten M. hat es auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten sowie eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen erkannt. Ferner hat es
festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz jeweils Ansprüche Verletzter entgegenstehen, und den
Wert des von den Angeklagten in den Fällen 1 und 2 Erlangten mit je 28.695,66 € sowie den Wert des vom Angeklagten M. in den Fällen 3 bis 11 Erlangten mit 7.557,56 € beziffert. Die Revisionen der Angeklagten rügen die
Verletzung materiellen Rechts und beanstanden das Verfahren. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge den
aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des
Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Annahme jeweils rechtlich selbständiger Taten in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen versandten die Angeklagten unter den von ihnen angemeldeten Einzelgewerben "A. G. (AGZ)" und "D. G. V. (DGV)" ab Ende 2008 massenhaft Formularschreiben an Gewerbetreibende im Bundesgebiet, deren Anschriften sie aus täglicher Auswertung der in der Online-Datenbank des Bundesanzeigers veröffentlichten Neueinträge in das Handelsregister erlangten. Durch entsprechende Gestaltung der
Schreiben wollten sie bei deren Adressaten den Irrtum hervorrufen, es handele sich um die Gebührenrechnung des
Registergerichts, um sie so zu einer Überweisung des darin genannten Betrages auf das mitgeteilte Konto der "AGZ"
bzw. der "DGV" zu veranlassen (Fall II. 1). Im Frühjahr 2009 entschlossen sich die Angeklagten, dieses aus ihrer
Sicht erfolgreiche "Geschäftsmodell" einerseits auszuweiten und andererseits nach außen hin eine Mehrzahl von
Versendern in Erscheinung treten zu lassen, um Anzeigen der kontoführenden Banken nach dem Geldwäschegesetz
entgegenzuwirken. Über einen Strohmann gründeten sie hierzu in mehreren Bundesländern insgesamt fünf GmbHs,
unter deren Kopf sie sodann ab Juni 2009 jeweils einen Teil der von ihnen erstellten Anschreiben versandten (Fall II.
2). Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen im Übrigen sind die als Fälle II. 1 und 2 abgeurteilten Tathandlungen
als Teilakte eines insgesamt einheitlichen Geschehens zu bewerten. Die Neuausrichtung im Frühjahr 2009 führte
lediglich zu einer Veränderung des Erscheinungsbilds nach außen hin. Im Kern verblieb es demgegenüber bei der
Fortsetzung des von vornherein auf Dauer und Gleichförmigkeit angelegten Handelns. Das zwischen den Angeklagten und den weiteren Tatbeteiligten verabredete arbeitsteilige Vorgehen und die damit verbundenen Aufgabenzuweisungen blieben ebenso unverändert wie die Gewinnverteilung. Den Geschäftsbetrieb der "AGZ" und der "DGV"
führten die Angeklagten auch nach der Gründung der neuen Gesellschaften fort; sämtliche der Einzelunternehmen
bildeten nach dem Tatplan ein Firmengeflecht, durch das tatsächliche Zahlungsströme vor Banken und Ermittlungsbehörden verschleiert werden sollten. Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend ab. § 265 StPO steht dem
nicht entgegen, da sich die Angeklagten bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Konkurrenzverhältnisse nicht
wirksamer hätten verteidigen können.
2. Die gesamten Strafaussprüche haben - bereits unabhängig von der Änderung der Schuldsprüche - keinen Bestand.
Das Landgericht hat bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen nicht nur Freiheitsstrafen, sondern auch Geldstrafen
für geboten erachtet (§ 41 StGB). Die Vorschrift erlaubt indes keine Zusatzstrafe. Wird neben einer verwirkten Freiheitsstrafe auch auf eine Geldstrafe erkannt, so muss sich vielmehr die Strafe in ihrer Gesamtheit im Rahmen des
Schuldangemessenen halten. Das Verhältnis zwischen den beiden Sanktionsmitteln richtet sich dabei nach allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen, weshalb bei der Bemessung der Freiheitsstrafe die Verhängung einer zusätzlichen
Geldstrafe als bestimmende Strafzumessungstatsache Berücksichtigung zu finden hat (vgl. BGH, Urteil vom 21.
März 1985 - 4 StR 53/85, wistra 1985, 147). Zu den Auswirkungen der Geldstrafen auf die Bemessung der Freiheitsstrafen verhält sich das Urteil jedoch nicht. Was den Angeklagten M. betrifft, hätte sich das Landgericht überdies
damit auseinandersetzen müssen, ob die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe nach dessen Vermögensverhältnissen überhaupt angebracht ist (hierzu BGH aaO, 148). Nach den Feststellungen verfügt er über kein
Vermögen, ist mit 100.000 € verschuldet und bezieht lediglich Sozialleistungen. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils auch in den Gesamtstrafenaussprüchen. Die jeweils zugehörigen Feststellungen werden von den
Mängeln nicht berührt und können aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen
treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch treten.
3. Auch die Aussprüche, dass nicht auf Verfall von Wertersatz erkannt wird (§ 111i Abs. 2 StPO), sind nicht frei von
Rechtsfehlern.
a) Soweit der Angeklagte T. betroffen ist, ändert der Senat den Ausspruch dahin ab, dass dieser Angeklagte aus der
als Fälle II. 1 und 2 abgeurteilten Tat 26.965,40 € erlangt hat (§ 111i Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf die vom Landgericht
- 29 -
hinzugerechneten, auf Konten der "DGV" geflossenen Gelder hatte nach den Feststellungen ausschließlich der Mitangeklagte Zugriff.
b) Was den Angeklagten M. anbelangt, hat der Ausspruch dagegen insgesamt keinen Bestand, denn das Landgericht
hat nicht geprüft, ob bereits nach der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB von der Anordnung des Verfalls
von Wertersatz abzusehen gewesen wäre (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 8. August 2013 - 3 StR 179/13, NStZRR 2014, 44). Hierzu hätte es sich angesichts der festgestellten Vermögensverhältnisse gedrängt sehen müssen. Der
neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch zu beachten haben, dass aus der als Fälle II. 1 und 2 abgeurteilten Tat lediglich die der "DGV" zugeflossenen Beträge in die Verfügungsgewalt des Angeklagten M. gelangten. Auf die Zahlungseingänge bei der "AGZ" und bei den später gegründeten Gesellschaften konnte er nach den Feststellungen nicht
zugreifen; insoweit erhielt er vom Mitangeklagten monatliche Provisionen, die den abgeurteilten Teilakten nicht
mehr zugeordnet werden können.
4. Von der Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Revisionsverfahrens sieht der Senat entgegen
dem Antrag des Generalbundesanwalts ab. Nach den Umständen, insbesondere nach der Schwierigkeit und der Bedeutung des Verfahrens (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), erscheint dessen Dauer von etwa elf Monaten zwischen der
ersten Revisionsbegründung und der Entscheidung des Senats insgesamt noch als angemessen. Der Senat weicht
damit nicht im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO von einem den Angeklagten begünstigenden Antrag der Staatsanwaltschaft ab, denn es handelt sich insoweit nicht um eine Entscheidung über die Revision gegen das Urteil.
StGB § 46 II Zumessungsfehler
BGH, Beschl. v. 15.04.2014 - 2 StR 626/13 - StV 2014, 611
Die Verhängung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzfristigen Freiheitsstrafe steht in keinem angemessenen Verhältnis zu dem abgeurteilten Tatunrecht, wenn nicht besondere Umstände
gerade auch die Anordnung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, die eingehend
auch unter Berücksichtigung des § 47 StGB zu begründen wäre, rechtfertigen.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 15. April 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 14. Mai 2013, soweit es ihn
betrifft und soweit er verurteilt wurde, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird vorgenanntes Urteil, soweit es ihn betrifft und soweit er verurteilt wurde, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten F. - unter Freisprechung im Übrigen - wegen unerlaubten "gewerbsmäßigen"
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten A. hat es wegen unerlaubten
Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen.
Die Revision des Angeklagten F. hat in vollem Umfang Erfolg, diejenige des Angeklagten A. ist hinsichtlich des
Strafausspruchs erfolgreich; im Übrigen sind sie offensichtlich unbegründet.
I. Die Revision des Angeklagten F. hat in vollem Umfang Erfolg. Die Verurteilung wegen unerlaubten "gewerbsmäßigen" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung, mit
der das Landgericht entgegen der Einlassung des Angeklagten F. zu der für das Handeltreiben erforderlichen Annahme von Eigennützigkeit gelangt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, soweit das Landgericht davon ausgeht, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel nicht zum Einkaufspreis an die Mitangeklagte S.
weiterverkaufte, sondern hierdurch selbst - in der Höhe allerdings nicht näher bestimmten - Gewinn erzielte. Die
Strafkammer zieht aus den dargelegten Einkommensverhältnissen des Angeklagten und seinen Verbindlichkeiten
den Schluss, dass er mit dem ihm zur Verfügung stehenden Geld seinen Kokainkonsum nicht hätte finanzieren können, und nimmt deshalb an, dass die abgeurteilten Verkäufe der Gewinnerzielung zur Finanzierung der Drogenkäufe
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dienten. Jedoch tragen die in den Urteilsgründen mitgeteilten Zahlen den Schluss der Kammer nicht. Zum einen
fehlen - wie die Kammer selbst mitteilt - nähere Einzelheiten zu den vom Einkommen abzuziehenden Aufwendungen für sich, den Unterhalt für seine Töchter und einen abzuzahlenden Kredit, so dass letztlich offen bleibt, wieviel
an Mitteln der Angeklagte tatsächlich zur Verfügung hatte. Hinzu kommt, dass Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen der Lebensgefährtin des Angeklagten fehlen, der mit ihr und einer seiner Töchter in einem Reihenhaus
zusammen lebt. So enthalten die Urteilsgründe keine Erkenntnisse dazu, ob die Lebensgefährtin des Angeklagten was im Rahmen des Zusammenlebens nahe liegt oder jedenfalls möglich ist - im Tatzeitraum finanzielle Leistungen
im Rahmen des Lebensunterhaltes erbrachte. Um einen vollständigen Überblick über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten zu erlangen, hätte die Strafkammer deshalb auch ihre möglichen Einkünfte und Ausgaben
in den Blick nehmen müssen. Soweit das Landgericht die Eigennützigkeit der Drogenverkäufe nicht hinreichend
belegt hat, entzieht dies dem Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln die Grundlage.
II. Die Revision des Angeklagten A. führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg (§
349 Abs. 2 StPO). Das Landgericht hat für den Besitz von 0,5 Gramm Marihuana eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt und deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und unter Bewährung stand, bleibt die Strafkammer den Nachweis schuldig, dass diese Strafe noch einen gerechten Schuldausgleich
für das begangene Tatunrecht darstellt. Bewegt sich ein Konsumentenfall, um den es hier augenscheinlich geht, im
untersten Bereich der geringen Menge, sind der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 90, 145, 188 ff.) besonders zu beachten. Bei einem derartigen Bagatelldelikt mag zwar die Ablehnung eines
Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG hinzunehmen sein, wenn der Angeklagte wie hier ca. neun Monate
zuvor wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Verhängung
einer nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzfristigen Freiheitsstrafe steht aber in keinem angemessenen Verhältnis
zu dem abgeurteilten Tatunrecht (vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 13, Rn. 74),
wenn nicht besondere Umstände gerade auch die Anordnung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter sechs Monaten,
die eingehend auch unter Berücksichtigung des § 47 StGB zu begründen wäre, rechtfertigen (Patzak, a.a.O., Rn. 75).
Solche Umstände aber hat das Landgericht nicht dargetan. Dass der Angeklagte "dreist und unbelehrbar" (UA S. 30)
sein soll, wird von den kargen Feststellungen zur abgeurteilten Tat nicht belegt. Allein der (erneute) Verstoß gegen
Vorschriften des BtMG neun Monate nach einer Verurteilung, der sich offensichtlich in dem Eigenkonsum geringer
Mengen (die auf dem Wohnzimmertisch aufgefunden wurden) erschöpft, rechtfertigt diese moralisierende Einschätzung des Landgerichts nicht. Zusätzliche Gesichtspunkte, die diese Wertung tragen könnten, hat das Landgericht
nicht vorgebracht. Soweit es anführt, der Angeklagte sei auch nicht dadurch entlastet, dass er, wie es sonst oft der
Fall sei, drogenabhängig gewesen wäre und es sich nicht um einen geringfügigen Rückfall gehandelt habe, stellt dies
keinen strafschärfenden Umstand dar. Vielmehr lassen diese Formulierungen besorgen, das Landgericht habe das
Fehlen strafmildernder Umstände nachteilig zu Lasten des Angeklagten gewichtet. Hinzu kommt, dass die Strafkammer jede Erklärung dafür schuldig bleibt, warum es sich angesichts einer am untersten Rand bewegenden Menge
von Betäubungsmitteln nicht um einen "geringfügigen" Rückfall handeln sollte.
StGB § 46 Leugnen kein Strafschärfungsgrund
BGH, Beschl. v. 21.08.2014 - 1 StR 320/14 - StV 2015, 221
Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die
Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden. Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten. Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung
des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die
Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2014 beschlossen:
- 31 -
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Februar 2014 mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I. Die Jugendschutzkammer des Landgerichts Augsburg hatte den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern sowie weiteren Fällen von schwerem sexuellen Missbrauch
von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiterhin war die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Auf die Revision des Angeklagten hatte
der Senat den Maßregelausspruch der Sicherungsverwahrung wegen Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 265
StPO aufgehoben, die Revision im Übrigen aber verworfen (Beschluss vom 26. Juni 2012 - 1 StR 158/12), so dass
Schuld- und Strafausspruch in Rechtskraft erwuchsen. Nunmehr hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts
Augsburg, an welche die Sache zurückverwiesen worden war, erneut die Unterbringung des Angeklagten in der
Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge erneut zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.
II. Die Strafkammer hat bei der Prüfung der Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung einen Hang
des Angeklagten zu strafrechtsrelevanten Rechtsbrüchen im Bereich der Sexualdelikte (§ 66 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S.
1 Nr. 4 StGB) auch darauf gestützt, dass er schon seit früher Jugend die Neigung aufweise, aus Bestrafungen nichts
zu lernen (UA S. 42), und keinerlei Anstrengungen unternommen habe, sich mit den Taten auseinanderzusetzen;
ebenso habe er keine Angebote der JVA wahrgenommen, eine Sexualtherapie durchzuführen, da er seine Taten bis
zum heutigen Tag abstreite (UA S. 43). Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat die Strafkammer ausgeführt,
dass mehrere Angebote der JVA, den Angeklagten in der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter unterzubringen, an der mangelnden Bereitschaft des Angeklagten, die Taten einzuräumen, gescheitert seien. Zwar habe
dieses Verhalten dem Angeklagten vor dem rechtskräftigen Strafausspruch im vorliegenden Verfahren nicht vorgeworfen werden können, jedoch habe er auch nach Rechtskraft des Schuldspruches seit 27. Juni 2012 seine Haltung
nicht geändert; vielmehr habe er bis zuletzt die den beiden Verurteilungen zugrunde liegenden Sexualstraftaten geleugnet. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens
des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit eines Angeklagten verwertet
werden (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001 - 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595, 596; BGH, Beschluss vom 4. August
2009 - 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271; Beschluss vom 20. März 2012 - 1 StR 64/12). Wenn der Angeklagte die
Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges
Verteidigungsverhalten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 9, 10). Die Grenze ist erst erreicht,
wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10; BGH, Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11, StV 2011, 482). Auch wenn mit der Entscheidung des
Senats vom 26. Juni 2012 der Schuld- und Strafausspruch in Rechtskraft erwachsen ist, durfte dem Angeklagten,
solange über die Anordnung der Sicherungsverwahrung noch keine rechtskräftige Entscheidung getroffen war, nicht
vorgeworfen werden, die ihm zur Last liegenden Sexualstraftaten nicht eingeräumt zu haben, zumal gerade auf diese
bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abzustellen ist. Zwar hätte das Landgericht berücksichtigen dürfen,
dass Umstände, die seiner möglicherweise bestehenden Gefährlichkeit entgegenwirken, nicht vorhanden sind. Hier
hat das Landgericht aber schon die Gefährlichkeit mit dem Leugnen der verfahrensgegenständlichen Taten begründet. Damit hat es dem Angeklagten unzulässig das Leugnen der Taten, die den Verfahrensgegenstand bilden, negativ
angelastet. Das Urteil war deshalb aufzuheben.
- 32 -
StGB § 46 Verfahrensverzögerung 2 Jahre Stillstand Vollstreckungslösung
BGH, Beschl. v. 18.02.2015 - 2 StR 523/14 - BeckRS 2015, 06203
Wird ein Verfahren fast zwei Jahre beim Landgericht nicht bearbeitet, weil die zuständige Schwurgerichtskammer aufgrund der hohen Belastung mit vorrangig zu behandelnden Haftsachen nicht
früher verhandeln konnte, begründet dies schon mit Blick auf die lange Zeit der Untätigkeit das
Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, die im Wege der Vollstreckungslösung auszugleichen ist. Dass sich der Angeklagte nicht in Haft befunden hat, rechtfertigt es nicht,
eine beim Landgericht anhängige Strafsache eine solch lange Zeit unbearbeitet zu lassen. Sollte vor
dem Ablauf von zwei Jahren für die zuständige Strafkammer keine Möglichkeit bestanden haben,
die Sache zu verhandeln, hätte dies dem Präsidium des Landgerichts mitgeteilt werden müssen,
damit dieses zur Beachtung des Beschleunigungsgebots Abhilfe schafft.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 18. Februar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. August 2014
aufgehoben, soweit eine Kompensationsentscheidung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen unter
Einbeziehung weiterer Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf
die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Schuld- und Strafausspruch weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Verfahrensvorschriften sind - wie dem
Antrag des Generalbundesanwalts zutreffend zu entnehmen ist - nicht verletzt. Allerdings ist die landgerichtliche
Entscheidung rechtsfehlerhaft, soweit das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung verneint (und
deshalb eine Kompensation hierfür nicht ausgesprochen) worden ist. Wie sich den Urteilsgründen entnehmen lässt,
ist es nach der Verweisung der Sache an das Landgericht durch das Amtsgericht Frankfurt am Main im November
2011 bis zur endgültigen Vorlage an das Landgericht im September 2012 zu einer ersten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gekommen. Dass die Akte beim Amtsgericht offenbar zeitweise in "Abraum" geraten ist, wie
das Landgericht feststellt, ist ein allein in die Sphäre der Justiz fallender Umstand, der nicht zu Lasten des Angeklagten gehen darf. Darüber hinaus ist die Sache fast zwei Jahre beim Landgericht nicht bearbeitet worden, weil die zuständige Schwurgerichtskammer aufgrund der hohen Belastung mit vorrangig zu behandelnden Haftsachen nicht
früher verhandeln konnte. Dies begründet - entgegen der Ansicht des Landgerichts - schon mit Blick auf die lange
Zeit der Untätigkeit das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, die im Wege der Vollstreckungslösung auszugleichen ist. Dass sich der Angeklagte nicht in Haft befunden hat, rechtfertigt es nicht, eine beim
Landgericht anhängige Strafsache eine solch lange Zeit unbearbeitet zu lassen. Sollte vor dem Ablauf von zwei Jahren für die zuständige Strafkammer keine Möglichkeit bestanden haben, die Sache zu verhandeln, hätte dies dem
Präsidium des Landgerichts mitgeteilt werden müssen, damit dieses zur Beachtung des Beschleunigungsgebots Abhilfe schafft. Der Senat sieht - was zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung an sich geboten wäre - davon ab, in
der Sache selbst zu entscheiden und festzusetzen, wie viele Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Denn den
Urteilsgründen lässt sich insbesondere mit Blick auf die Zeit zwischen November 2011 und September 2012 nicht
hinreichend zuverlässig entnehmen, in welchem Umfang es hier zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gekommen ist.
- 33 -
StGB § 46, § 46a, § 49 Auswirkungen der Tat müssen vorhersehbar sein
BGH, Beschl. v. 18.03.2015 - 3 StR 7/15 - BeckRS 2015, 07944
Auswirkungen der Tat können dem Täter nur dann straferschwerend angelastet werden, wenn sie
von ihm nach Art und Gewicht im Wesentlichen vorausgesehen werden konnten und ihm vorwerfbar sind.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - am 18. März 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. August 2014 im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die
Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte
die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg;
im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Strafkammer hat die Strafe dem nach § 23 Abs.
2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten, von zwei Jahren bis zu elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe reichenden
Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Einen minder schweren Fall des Totschlags, der einen Strafrahmen
von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe aufweist, hat es nach Abwägung der allgemeinen bestimmenden
Strafzumessungsgründe verneint und zur Begründung weiter ausgeführt, die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB
sowie des § 46a StGB seien nicht gegeben. Dies lässt für sich genommen einen Rechtsfehler nicht erkennen. Das
Landgericht hat jedoch nicht bedacht, dass nach Ablehnung eines minder schweren Falles aus diesen Gründen zunächst weitergehend zu prüfen gewesen wäre, ob die allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte im Zusammenwirken mit dem vertypten Milderungsgrund des Versuchs zur Annahme eines minder schweren Falles führen. Erst
wenn es auch mit Blick hierauf weiterhin die Bejahung eines minder schweren Falles nicht für angemessen gehalten
hätte, hätte es seiner Strafzumessung den nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen zugrunde
legen dürfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 276/14, juris Rn. 4). Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch; denn es ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht einen minder schweren Fall angenommen und eine mildere Strafe verhängt hätte, hätte es den aufgezeigten
Rechtsfehler nicht begangen. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden durch den Rechtsfehler nicht
berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den
bisherigen nicht widersprechen. Der Senat weist vor dem Hintergrund, dass die Strafkammer es strafschärfend berücksichtigt hat, durch die Tat seien die Brautleute finanziell und die Eltern der Braut in ihrem Ansehen geschädigt
worden, darauf hin, dass derartige Auswirkungen der Tat dem Täter nur dann straferschwerend angelastet werden
können, wenn sie von ihm nach Art und Gewicht im Wesentlichen vorausgesehen werden konnten und ihm vorwerfbar sind (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 34 mwN).
StGB § 46, StPO § 267 Strafzumessung durch Textbaustein
BGH, Beschl. v. 19.02.2015 - 2 StR 343/14 - NStZ-RR 2015, 174 (Ls) vollst. In BeckRS 2015, 06200
Fehlerhafte Strafzumessung durch Verwendung eines "Textbausteins".
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 19. Februar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 4. März 2014, soweit es
ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
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2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe
von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2
StPO). Der Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei der Strafrahmenwahl hat die Strafkammer geprüft, ob ein minder schwerer Fall nach § 250 Abs. 3 StGB in Betracht kommt; sie hat dies verneint, da es
an Milderungsgründen von ganz außergewöhnlichem Umfang fehle und das Tatbild auch unter Berücksichtigung des
Tatbeitrages des Angeklagten, seiner Persönlichkeit und der für und gegen ihn sprechenden Strafzumessungsgründe
bei einer Gesamtbetrachtung der nachfolgend dargestellten Strafzumessungserwägungen dem Regelfall einer besonders schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB entspreche. Ungeachtet der nur
eingeschränkten Revisibilität der Entscheidung über die Annahme bzw. Nichtannahme eines minder schweren Falles
lassen die Formulierungen des Landgerichts besorgen, dieses habe seiner Entscheidung einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Denn für die Annahme eines minder schweren Falles ist nicht das Vorliegen ganz außergewöhnlicher Milderungsgründe erforderlich; ausreichend ist es, wenn im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung ein beträchtliches Überwiegen der strafmildernden Umstände festgestellt werden kann (vgl. BGH, Beschluss
vom 16. Oktober 2013 - 2 StR 312/13). Es lässt sich nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des
zutreffenden Maßstabs zur Annahme eines minder schweren Falles gekommen wäre. Hinzu kommt, dass die Strafkammer im Rahmen der konkreten Strafzumessung Umstände zu Lasten des Angeklagten gewichtet hat, die es nicht,
zumindest nicht in vollem Umfang hätte berücksichtigen dürfen. Das Landgericht hat der Strafbemessung insoweit
offenbar einen "Textbaustein" zugrunde gelegt, der sich gleichlautend auch bei den drei anderen (nach Jugendstrafrecht verurteilten) Angeklagten findet, und diesen lediglich um einen Hinweis auf die strafrechtlichen Vorbelastungen, die teilweise Verbüßung von Jugendstrafe sowie den Umstand, dass der Angeklagte G. zum Tatzeitpunkt unter
laufender Bewährung stand, ergänzt. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Erwägungen der Strafkammer, die in
gleicher Weise zu Lasten bei allen Angeklagten herangezogen worden sind, beziehen sich hinsichtlich der drei Mitangeklagten auf zwei Taten der besonders schweren räuberischen Erpressung und belegen jeweils bezogen auf die
einzelne Tat ihre kriminelle Energie. Der Angeklagte G. aber ist - auch wenn im Rahmen der Beweisaufnahme seine
Beteiligung an der zweiten Tat festgestellt worden ist - lediglich wegen einer Tat angeklagt und verurteilt worden, so
dass das Landgericht gehindert war, sämtliche Umstände so zu seinen Lasten zu verwerten, als sei er wegen beider
Taten verurteilt worden. Im Übrigen hätte das Landgericht schon die Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt,
allein auf die abgeurteilte Tat beziehen müssen; die Formulierungen der Strafkammer lassen insoweit besorgen, dass
sie von vornherein eine (unzulässige) Gesamtwürdigung beider Taten vorgenommen hat. Dies führt zur Aufhebung
des Strafausspruchs, da der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei zutreffender Prüfung zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt und (gegebenenfalls auch bei Verneinung eines solchen) eine geringere
Strafe verhängt hätte.
StGB § 46a Nr. 1, Kein TOA bei § 315b
BGH, Urt. v. 04.12.2014 - 4 StR 213/14 - NJW 2015, 500 = NStZ 2015, 263
LS: Der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB ist auf den vorsätzlichen Eingriff in
den Straßenverkehr nach § 315b StGB nicht anwendbar.
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 3. Februar 2014 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 25. April 2013 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr,
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung in Tatmehrheit
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mit falscher uneidlicher Aussage in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei
Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Außerdem hatte es ihn auf sein Anerkenntnis hin dazu verurteilt, an die
Polizeibeamtin W. als Adhäsionsklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 800 Euro zu bezahlen. Auf seine Revision hob der Senat mit Beschluss vom 9. Oktober 2013 die Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung u. a. sowie den Gesamtstrafen- und den Maßregelausspruch auf und verwies die Sache
im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurück. Die weiter gehende Revision wurde verworfen. Das im zweiten Rechtsgang zuständige Landgericht hat den
Angeklagten nunmehr wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem
Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung verurteilt (Einzelstrafe: zwei Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe) und mit den rechtskräftigen Einzelstrafen
(acht und zehn Monate Freiheitsstrafe) aus der im ersten Rechtsgang erfolgten Verurteilung wegen falscher uneidlicher Aussage in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung, eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Außerdem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf
von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision macht der Angeklagte unter anderem geltend, dass bei der Bestimmung der Einzelstrafe für die als vorsätzlichen
gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung u.a. bewertete Tat der
Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB nicht in Betracht gezogen worden sei. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen befuhr der alkoholbedingt fahruntüchtige Angeklagte mit seinem Pkw öffentliche Straßen, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte. Als er einer Polizeikontrolle unterzogen werden
sollte, ergriff er mit seinem Pkw die Flucht. Nachdem er an einer Einmündung anhalten musste, weil sich ihm der
Zeuge S. mit seinem Pkw quer in den Weg gestellt hatte, stoppten die verfolgenden Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug hinter seinem Wagen. Die Polizeibeamtin W. stieg aus, klopfte an die Beifahrertür des Pkw des Angeklagten
und verlangte deren Öffnung. Der Angeklagte leistete der Aufforderung keine Folge. Stattdessen rangierte er sein
Fahrzeug mehrmals hin und her. Dabei fuhr er der zurückweichenden Polizeibeamtin W. über den rechten Fuß und
stieß gegen das Dienstfahrzeug der Polizei, wodurch ein Sachschaden in Höhe von 1.136,01 Euro entstand. Die Polizeibeamtin W. trat daraufhin vor den Pkw des Angeklagten und forderte ihn aus einem Abstand von zwei bis vier
Metern zum Anhalten auf. Der Angeklagte fuhr nun, auch diese Aufforderung missachtend, mit Vollgas an und
flüchtete, indem er durch eine zwischen dem Bordstein und dem Pkw des Zeugen S. bestehende etwa 1,6 Meter
breite Lücke hindurchfuhr. Die Polizeibeamtin W. konnte sich durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen.
Dabei wurde sie von der vorderen rechten Stoßstange des Pkw des Angeklagten erfasst und leicht verletzt. Dem
Angeklagten kam es bei seinem Vorgehen allein darauf an, sich der Polizeikontrolle zu entziehen. Als möglich erkannte Verletzungen der Polizeibeamtin W. und eine Beschädigung des Dienstfahrzeugs der Polizei nahm er jeweils
billigend in Kauf. Auf seiner weiteren Fluchtfahrt stieß der Angeklagte mit seinem Pkw gegen einen Omnibus (Sachschaden 2.613,01 Euro) und fuhr danach, obgleich er den Anstoß bemerkt hatte, ohne anzuhalten weiter. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang bei der von ihm verletzten Polizeibeamtin W. entschuldigt und das bereits im ersten Rechtsgang anerkannte Schmerzensgeld an sie bezahlt.
2. Das Landgericht hat in dem mit bedingtem Schädigungsvorsatz erfolgten Zufahren auf die Polizeibeamtin W. und
ihrer sich anschließenden Verletzung einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b
Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB, eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2
StGB und einen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB gesehen. Im Übrigen hat es das
Verhalten des Angeklagten als Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB (Beschädigung des Polizeifahrzeugs),
fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB), unerlaubtes Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen (§ 142 Abs. 1 StGB) und vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) gewertet. In konkurrenzrechtlicher Hinsicht ist es davon ausgegangen, dass alle Delikte zueinander im Verhältnis der Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 StGB (natürliche Handlungseinheit) stehen.
II. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Das Landgericht hat der Bemessung der Strafe für die als vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung u.a bewertete Tat nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei
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den Strafrahmen des § 315b Abs. 3 StGB zu Grunde gelegt und davon abgesehen, den Strafrahmen nach § 46a Nr. 1
StGB zu mildern.
a) Der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a Nr. 1 StGB ist auf den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den
Straßenverkehr nach § 315b StGB nicht anwendbar und brauchte daher vom Landgericht in Bezug auf diese Vorschrift nicht in Erwägung gezogen zu werden.
aa) Obgleich § 46a StGB nach seinem Wortlaut in beiden Varianten für alle Delikte gilt (BGH, Beschluss vom 18.
August 2009 – 2 StR 244/09, NStZ-RR 2009, 369), können sich aus den verschiedenen tatbestandlichen Voraussetzungen, die in den Nummern 1 und 2 der Bestimmung festgeschrieben sind, Anwendungsbeschränkungen ergeben
(vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 1995 – 5 StR 156/95, NStZ 1995, 492). Im Gegensatz zu § 46a Nr. 2 StGB, der
vorwiegend den materiellen Schadensausgleich betrifft und deshalb hier nicht einschlägig ist, zielt § 46a Nr. 1 StGB
vorrangig auf den Ausgleich der immateriellen Folgen einer Straftat ab (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 8. August 2012 – 2 StR 526/11, NJW 2013, 483 Tz. 17; Beschluss vom 2. Mai 1995 – 5 StR 156/95, NStZ 1995, 492).
Dazu bedarf es eines kommunikativen Prozesses zwischen Täter und Opfer, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Mai
2013 – 4 StR 109/13, Rn. 11; Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439; Urteil vom 19. Dezember
2002 – 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 142 f.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46a Rn. 10a mwN). Dafür ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung. Das Bemühen des Täters muss Ausdruck der
Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer muss die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich
akzeptieren (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439, 440; Urteil vom
19. Oktober 2011 – 2 StR 344/11, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 8; Urteil vom 27. August 2002 – 1 StR
204/02, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 6). Dies und der Wortlaut des § 46a Nr. 1 StGB schließen eine Anwendung dieser Vorschrift auf "opferlose" Delikte aus (weiter gehend in Bezug auf eine juristische Person, BGH, Urteil
vom 18. November 1999 – 4 StR 435/99, NStZ 2000, 205).
bb) Danach ist eine Anwendung von § 46a Nr. 1 StGB bei einem vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß
§ 315b StGB grundsätzlich ausgeschlossen.
(1) § 315b StGB schützt die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2004 – 4 StR
160/04, NStZ 2004, 625; Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 123; Beschluss vom 23.
Mai 1989 – 4 StR 190/89, NJW 1989, 2550; Urteil vom 21. Mai 1981 – 4 StR 240/81, VRS 61, 122, 123; König in:
Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315b Rn. 3 und § 315 Rn. 4 mwN). Die in der Norm aufgezählten
Individualrechtsgüter (Leben, Gesundheit und bedeutende Sachwerte der durch den Eingriff betroffenen Verkehrsteilnehmer) werden dabei lediglich faktisch mit geschützt (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02,
BGHSt 48, 119, 123; Beschluss vom 14. Mai 1970 – 4 StR 131/69, BGHSt 23, 261, 264 zu § 315c StGB; SSWStGB/Ernemann, 2. Aufl., § 315b Rn. 1; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315b Rn. 3 und §
315 Rn. 5). Auch wenn § 315b StGB voraussetzt, dass sich die durch die tatbestandliche Handlung begründete abstrakte Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs zu einer konkreten Gefahr für eines der genannten
Individualrechtsgüter verdichtet hat (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 122;
SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 315b Rn. 5) und der Täter bei Eingriffen innerhalb des fließenden Verkehrs mit
einem zumindest bedingten Schädigungsvorsatz gehandelt haben muss (BGH, Beschluss vom 5. November 2013 – 4
StR 454/13, NStZ 2014, 86, 87; Beschluss vom 18. Juni 2013 – 4 StR 145/13, VRR 2013, 387, 388; Urteil vom 20.
Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237 f.), werden die betroffenen Verkehrsteilnehmer dadurch nicht
zum Träger des bestimmenden Rechtsguts. Ein zwischen ihnen und dem Täter durchgeführter dialogischer Ausgleichsprozess kann daher grundsätzlich weder zu einem friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat veranlassten Folgen, noch – wie dies von § 46a Nr. 1 StGB vorausgesetzt wird – zu einer Lösung des der Tat zugrunde
liegenden Gesamtkonflikts führen (im Ergebnis wie hier Theune in LK-StGB, 12. Aufl., § 46a Rn. 21;
MüKoStGB/Maier, 2. Aufl., § 46a Rn. 3; NK-StGB/Streng, 4. Aufl., § 46a Rn. 10; Schönke/Schröder-Stree/ Kinzig,
StGB, 29. Aufl., § 46a Rn. 4a; a.A. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46a Rn. 8; SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 46a
Rn. 20; Kaspar/Weiler/Schlickum, Der Täter-Opfer-Ausgleich, 2014, S. 26 jeweils zu § 315c StGB; Maiwald, GA
2005, 339, 345; Pielsticker, § 46a StGB – Revisionsfalle oder sinnvolle Bereicherung des Sanktionenrechts?, 2004,
S. 118; Kasperek, Zur Auslegung und Anwendung des § 46a StGB, 2002, S. 65 f.; Schöch, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV, 2000, S. 309, 333 f.). Hiermit steht in Einklang, dass der Bundesgerichtshof einen Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB sowohl bei der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB
(Urteil vom 4. April 2001 – 5 StR 68/01, BGHR StGB § 339 DDR-Richter 2, nicht tragend entschieden), als auch bei
- 37 -
Steuerdelikten (Beschluss vom 25. Oktober 2000 – 5 StR 399/00, NStZ 2001, 200, 201; Beschluss vom 18. Mai
2011 – 1 StR 209/11, wistra 2011, 346) für ausgeschlossen erachtet hat, weil diese Delikte nur Gemeinschaftsrechtsgüter schützen und – im Fall der Rechtsbeugung – Individualinteressen allenfalls mittelbar geschützt werden.
(2) Dem steht nicht entgegen, dass nach § 46a Nr. 1 StGB ein gelungener Täter-Opfer-Ausgleich auch schon anzunehmen sein kann, wenn der Täter eine Wiedergutmachung seiner Tat nur zum überwiegenden Teil erreicht oder
lediglich ernsthaft erstrebt hat (so aber Pielsticker, § 46a StGB – Revisionsfalle oder sinnvolle Bereicherung des
Sanktionenrechts?, 2004, S. 118; Kaspar/ Weiler/Schlickum, Der Täter-Opfer-Ausgleich, 2014, S. 26). Eine nur zum
überwiegenden Teil erreichte oder lediglich erstrebte Wiedergutmachung vermag die Annahme eines erfolgreichen
Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB nur dann zu rechtfertigen, wenn sie auf der Grundlage umfassender
Ausgleichsbemühungen geleistet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2002 – 2 StR 336/02, BGHR
StGB § 46a Anwendungsbereich 2). Hieran fehlt es aber, wenn der Geschädigte nicht Träger des bestimmenden
Rechtsguts ist, sondern nur faktisch in den Schutzbereich der verletzten Norm einbezogen wird. Auch kann die gegenüber einem einzelnen Geschädigten geleistete Wiedergutmachung grundsätzlich nicht als eine Teilwiedergutmachung oder ein Wiedergutmachungsbemühen in Bezug auf andere verletzte Rechtsgüter gedeutet werden, deren
Träger nicht in den Ausgleichsprozess einbezogen wurden oder für die es – wie hier in Bezug auf das Rechtsgut der
Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr – keine individualisierbaren Opfer gibt.
cc) Soweit der Senat in einer früheren Entscheidung eine Anwendung des § 46a StGB bei einer Verurteilung wegen
vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung u.a. für zulässig erachtet
hat, betraf dies einen Fall des § 46a Nr. 2 StGB (Beschluss vom 17. Januar 1995 – 4 StR 755/94, NStZ 1995, 284).
b) Eine Anwendung der Vorschrift des § 46a Nr. 1 StGB in Bezug auf § 315b StGB kam hier auch nicht deshalb in
Betracht, weil sich der Angeklagte durch dieselbe Tat im Rechtssinn (§ 52 Abs. 1 StGB) einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat und insoweit ein Täter-Opfer-Ausgleich (Entschuldigung und Zahlung von Schmerzensgeld) erfolgt ist. Bezugspunkt für den Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1
StGB, soweit er zu einem vertypten Strafmilderungsgrund führt, ist – wie bei anderen vertypten Strafmilderungsgründen grundsätzlich auch – der konkret verwirklichte Straftatbestand. Hat der Täter – wie hier – tateinheitlich
mehrere Delikte begangen, führt dies dazu, dass im Hinblick auf jede der konkurrierenden Gesetzesverletzungen
gesondert zu prüfen ist, inwieweit ein die Anwendung von § 46a Nr. 1 StGB ermöglichender Opferbezug besteht und
– bejahendenfalls – ob ein gelungener Ausgleich mit dem betroffenen Opfer erfolgt ist. Ist dies lediglich in Bezug
auf eines oder mehrere der konkurrierenden Delikte der Fall, kann dem Täter § 46a StGB als vertypter Strafmilderungsgrund auch nur insoweit zugute kommen. Eine Ausnahme hiervon ist nicht geboten. Zwar wird unter diesen
Umständen für einen Täter nur ein eingeschränkter Anreiz für Ausgleichsbemühungen bestehen, wenn ihm – wie
hier – in Tateinheit zu einem dem Täter-Opfer-Ausgleich zugänglichen Delikt auch noch ein zumindest gleichgewichtiges „opferloses“ Delikt zur Last liegt (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1996, 3286 zu § 46a Nr. 2 StGB bei einer
Verurteilung wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung; Theune in LK-StGB, 12. Aufl., § 46a Rn. 49 f.;
dagegen SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 46a Rn. 23 [keine Milderungsmöglichkeit auch hinsichtlich des opferbezogenen Delikts]; noch weiter gehend Kespe, Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung, 2011, S. 96).
Dieser Einwand vermag aber mit Rücksicht auf die systematische Einordnung von § 46a Nr. 1 StGB als vertypter
Strafmilderungsgrund nicht zu überzeugen. Im Übrigen sind Wiedergutmachungsleistungen und Ausgleichsbemühungen, die in Bezug auf die Folgen eines tateinheitlich begangenes Delikt erbracht wurden, dessen Strafandrohung
nicht die nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB Maßgebliche ist, bei der konkreten Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB
zu berücksichtigen.
2. Die weitere Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2
StPO). Der Umstand, dass das Landgericht die Bildung der Gesamtstrafe aus der von ihm im zweiten Rechtsgang
neu festgesetzten Einzelstrafe und den bereits rechtskräftigen Einzelstrafen aus dem nur teilweise aufgehobenen
ersten Urteil rechtsfehlerhaft auf § 55 StGB gestützt und § 54 StGB nicht unmittelbar angewendet hat (vgl. BGH,
Beschluss vom 25. Juni 2004 – 2 StR 153/04; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 5), beschwert den Angeklagten
nicht.
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StGB § 46a Täter-Opfer-Ausgleich ohne friedenstiftender Wille
BGH, Urt. v. 05.11.2014 - 1 StR 327/14 - NStZ-RR 2015, 83
Gewinnt das Gericht den Eindruck, dass ein auf die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB gerichtetes Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Opfer nicht als Ausdruck der Übernahme von
Verantwortung, sondern als prozesstaktisches Vorgehen des Angeklagten zu sehen ist und ist es
vielmehr davon überzeugt, dass die vom Angeklagten vorgenommenen Ausgleichsbemühungen
nicht vom Willen zu einem friedensstiftenden Gesamtausgleichs mit der Nebenklägerin getragen
waren, so fehlt es an einem Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November 2014 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 24. Februar 2014 mit den
Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten
seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Vom Vorwurf zweier weiterer Taten hat es ihn aus
tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zuungunsten des Angeklagten
eingelegten Revision, gestützt auf die Sachrüge, die Beweiswürdigung. Sie wendet sich sowohl gegen die Nichtverurteilung wegen eines Sexualdelikts, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, als auch gegen den Teilfreispruch.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts,
soweit er verurteilt wurde. Das in der Revisionshauptverhandlung auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel
ist unbegründet.
A.
I.
Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und
Wertungen getroffen:
1. Der im Jahr 1979 geborene ledige Angeklagte hatte bereits mehrfach feste Beziehungen für einen Zeitraum von
maximal einem Jahr. Anfang des Jahres 2012 wurde er wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften und wegen
Verbreitung kinderpornographischer Schriften in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt hat.
2. Anfang September 2012 lernte der Angeklagte über die Internetplattform „friend-Scout24“ die Nebenklägerin
kennen. Nach mehreren telefonischen Kontakten und weiterer Kommunikation mittels SMS verabredeten sich beide
für den 14. September 2012 an der Wohnung des Angeklagten in S.. Am Nachmittag dieses Tages fragte die Nebenklägerin vor ihrer Abfahrt per SMS bei dem Angeklagten an, ob sie am Folgetag noch bei ihm duschen könne. Ebenfalls per SMS forderte der Angeklagte ein Foto von ihr in Unterwäsche, um überprüfen zu können, ob sie auch tatsächlich schlank sei. Die Nebenklägerin lehnte dies ab, schickte ihm aber mittels MMS ein Bild von ihrem nackten
Bauch sowie ein Ganzkörperfoto, jedoch in bekleidetem Zustand. Ihrer Mutter, die am 15. September 2012 gegen
15.00 Uhr einen Arzttermin hatte, versprach die Nebenklägerin, früh morgens wieder nach Hause zu fahren, sodass
sie gegen Mittag spätestens wieder daheim sein werde. Nachdem die Nebenklägerin am 14. September 2012 gegen
20.00 Uhr bei der Wohnung des Angeklagten in S. angekommen war, fuhren beide zunächst mit dem PKW des Angeklagten zu einer Lounge in R., wo sie sich bis etwa 23.00 Uhr aufhielten. Der Angeklagte konsumierte dort keinen
Alkohol; die Nebenklägerin trank etwa einen halben Longdrink. Das Gespräch beider hatte alltägliche Dinge ohne
sexuellen Hintergrund zum Gegenstand. Nach der gemeinsamen Rückkehr in seine Wohnung empfahl der Angeklagte der Nebenklägerin zur Entspannung und gegen den inneren Stress die Einnahme von Globuli. Die Nebenklägerin
nahm daraufhin gegen Mitternacht fünf vom Angeklagten übergebene Tabletten mit Wasser ein. Er hatte diese zuvor
aus dem oberen Fach des Wohnzimmerschranks geholt und als solche seiner Mutter bezeichnet, die als Heilpraktikerin tätig sei. Die Nebenklägerin machte sich über das Aussehen der Tabletten und die fehlende Verpackung keine
- 39 -
Gedanken. Nach ihrer Meinung sahen die Tabletten wie Schüssler Salze aus; zudem hatte ihr der Angeklagte gesagt,
„es sei nur etwas Pflanzliches“. Tatsächlich handelte es sich um benzodiazepinhaltige Tabletten wie Valium, deren
Einnahme zu einer erheblich über dem therapeutischen Bereich von etwa 200 ng/ml liegenden Konzentration von
insgesamt 700 ng/ml Diazepam im Blut führte. Aufgrund der Wirkung der Tabletten trat bei der Nebenklägerin eine
plötzliche Müdigkeit auf. Sie legte sich auf die Couch im Wohnzimmer des Angeklagten. Zuvor hatte sie, da sie ihre
eigene mitgebrachte Schlafhose nicht mehr finden konnte, die Jogginghose des Angeklagten als Schlafhose erhalten
und angezogen. Die Nebenklägerin geriet sodann in einen sedierten, muskulaturentspannten unnatürlichen Schlafzustand, in dem die ordnungsgemäßen körperlichen Funktionen, wie die Wahrnehmungsfähigkeit, gestört waren. Als
die Nebenklägerin nach Mitternacht im Bett des Angeklagten in dem beschriebenen Zustand „schlief“, fasste sie der
Angeklagte massiv im Hüft-, Oberschenkel- sowie im gesamten Beinbereich an und verursachte dadurch insbesondere an ihrem linken Oberschenkel zwei schmerzhafte Hämatome und weitere Hämatome an ihren Beinen, sowie Hüftschmerzen. Desweiteren wurden ihr durch den Angeklagten die Beine auf die Brust gedrückt. Die Nebenklägerin
spürte hierdurch einen länger anhaltenden Druck auf ihren Brustkorb. Die Handlungen des Angeklagten nahm die
Nebenklägerin jeweils im Halbschlaf bei teilweisem Bewusstsein wahr. Durch die verabreichten Mittel bestand die
Gefahr des Erbrechens sowie der Aspiration, sodass für die Nebenklägerin aufgrund des nicht kontrollierbaren Zustands Lebensgefahr durch die Gefahr des Erstickens an Erbrochenem bestand. Der Angeklagte wusste bei Verabreichung der benzodiazepinhaltigen Tabletten, dass diese eine schlafmittelähnliche Wirkung entfalteten, und wollte die
Nebenklägerin in den unnatürlichen Schlafzustand bringen. Ihm war die gesundheitsschädliche Wirkung der Tabletten bewusst. Zudem erkannte er, dass deren Verabreichung zu einem für ihn nicht mehr kontrollierbaren Zustand der
Nebenklägerin führen konnte mit der Möglichkeit einer Lebensgefahr in Form der Gefahr des Erstickens nach Erbrechen und Aspiration des Erbrochenen.
3. Am nächsten Morgen wachte die Nebenklägerin im Bett des Angeklagten auf; sie hatte nur noch ihren Slip, ihren
BH und ein Achsel-T-Shirt an. Die Nebenklägerin konnte kaum aufstehen bzw. stehen bleiben und hatte Schmerzen
im Hüftbereich. Während der Heimfahrt fühlte sie sich sehr müde und stark benommen. Nach ihrer Rückkehr gegen
14.00 Uhr schlief sie nochmals ein. Auch danach und am Folgetag verblieb es bei der Benommenheit und Übelkeit
bzw. einem gewissen Rauschzustand der Nebenklägerin. Sie verständigte deshalb den medizinischen Notdienst.
4. Ein DNA-Vergleich der Spuren an dem von der Nebenklägerin in der Tatnacht getragenen Slip erbrachte am Bund
(Außenseite sowie Innenseite) Y-chromosomale Merkmale, die in sieben von neun Merkmalen mit den YChromosomen des Angeklagten übereinstimmten. Ein Spermatest im Zwickelbereich des Slips der Nebenklägerin
sowie die Untersuchung eines Genitalabstrichs von ihr auf Spermien hin blieben negativ. Am Bett des Angeklagten
befanden sich dessen Spermaspuren.
5. Im Zusammenhang mit dem festgestellten Geschehen hat das Landgericht auch zwei Ermittlungsvorgänge der
Polizeidirektion Nabburg in den Blick genommen. Am 4. März 2010 hatte eine junge Frau berichtet, sie sei stark
alkoholisiert gewesen und sei nach einem Diskothekenbesuch von dem Angeklagten heimgefahren worden. Sie
konnte noch in der Nacht im PKW des Angeklagten aufgefunden werden. Die junge Frau behauptete später, es habe
sich nach zwei Monaten der Verdacht einer Geschlechtskrankheit ergeben, die nicht von ihrem Freund habe stammen können. Ende März 2010 hatte eine andere junge Frau gegenüber der Polizei angegeben, im Mai 2009 in einer
Diskothek in N. gewesen zu sein, sich aber an nichts mehr erinnern zu können, bis sie in der Wohnung des Angeklagten erwacht sei. In beiden Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt.
6. In der Hauptverhandlung schloss der Angeklagte mit der Nebenklägerin nach einer Entschuldigung für die Verabreichung der benzodiazepinhaltigen Tabletten einen Vergleich, in dem er sich im Hinblick auf Ansprüche aus Delikt
zur Zahlung von 5.000 Euro in monatlichen Teilbeträgen von 250 Euro verpflichtete.
7. Von dem festgestellten Tatgeschehen hat sich das Landgericht im Wesentlichen aufgrund eines Geständnisses des
Angeklagten sowie der Angaben der Nebenklägerin überzeugt. Es hat die Richtigkeit des Geständnisses anhand von
weiteren Zeugenaussagen sowie gestützt auf Sachverständigengutachten, insbesondere zur Konzentration der im Blut
der Nebenklägerin festgestellten Benzodiazepine und der Wirkungen auf sie, überprüft.
8. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung durch Beibringen eines
gesundheitsschädlichen Stoffes und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5
StGB) gewertet. Die durch das Wenden und Drehen der Nebenklägerin entstandenen Hämatome hat das Landgericht
als tateinheitlich begangene vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB eingestuft. Von der Vornahme
sexueller Handlungen (§ 184g Nr. 1 StGB) des Angeklagten an der Nebenklägerin und damit einer Sexualstraftat
konnte sich das Landgericht nicht überzeugen (UA S. 24 f.). Es sei nicht zweifelsfrei festgestellt, dass die DNA-
- 40 -
Spuren am Bund des Slips der Nebenklägerin von dem Angeklagten stammten. Zudem würde selbst solches nicht
zwingend eine sexuelle Handlung belegen, weil die Spuren auch beim bloßen Entfernen der Kleidung entstanden
sein konnten. Das festgestellte Drehen und Wenden der Nebenklägerin durch den Angeklagten und die von ihm
verursachten Hämatome ließen nach Auffassung des Landgerichts ebenfalls keine sichere Überzeugung von sexuellen Handlungen des Angeklagten an der Nebenklägerin zu. Dasselbe gelte im Hinblick auf die beiden von der Polizeidirektion Nabburg gegen den Angeklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen
Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, die später eingestellt worden seien.
9. Das Vorliegen eines minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung lehnte das Landgericht auf der
Grundlage einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände ab. Die Voraussetzungen eines Täter-OpferAusgleichs i.S.v. § 46a Nr. 1 StGB hielt das Landgericht nicht für gegeben.
II.
1. Aufgrund einer weiteren Anklage der Staatsanwaltschaft Amberg (Az. 109 Js ) lagen dem Angeklagten darüber
hinaus folgende Taten zur Last:
a) Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2008, vermutlich am 22. Juni 2008, habe der Angeklagte in seiner Wohnung einer unbekannt gebliebenen Geschädigten Schlafmittel oder Ähnliches verabreicht, um
sie zum Einschlafen zu bringen oder sie bewusstlos zu machen und um sich an ihr in diesem Zustand ohne ihr Einverständnis zu vergehen. Als die Geschädigte fest geschlafen habe oder bewusstlos gewesen sei und weder zu einer
Willensentscheidung noch zu einer Gegenwehr fähig gewesen sei, habe sie der Angeklagte im Genitalbereich berührt, um sich sexuell zu befriedigen. Dabei habe er gewusst, dass die Geschädigte damit nicht einverstanden gewesen wäre.
b) Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2010 habe der Angeklagte dieses Vorgehen in gleicher Weise gegenüber einer anderen unbekannten Geschädigten im Stadtgebiet von R. oder M. wiederholt.
2. Zu diesen Tatvorwürfen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
a) Der Angeklagte filmte eine unbekannte junge Frau, die sich nur mit einem Slip bekleidet auf dem Rücken oder
seitwärts liegend auf einem Bett in seiner Wohnung befand. Ihre Augen waren geschlossen. Nach der Berührung von
Gesicht, Händen und Fingern der Frau durch den Angeklagten fiel eine Hand der Frau nach unten, nachdem sie losgelassen wurde. Anschließend wurde das Geschlecht der Geschädigten durch Wegschieben des Slipzwickels sichtbar; die Hand des Angeklagten manipulierte am Genital der Geschädigten. Bei den Berührungen zeigte die Frau
keine Reaktion.
b) Zu einem weiteren Zeitpunkt filmte der Angeklagte wiederum eine unbekannte Frau, die bäuchlings auf einem
Bett oder einer Couch lag und von dem Angeklagten berührt wurde. Zu sehen ist auch der unbekleidete Po der Frau
und deren Genital, das von dem Angeklagten mit den Fingern berührt wurde. Ihr rechter Arm war um ihren Kopf
gelegt. Bei der Berührung zeigte die Frau keine Reaktion. Auf dem Computer bzw. Mobiltelefon des Angeklagten
befanden sich zudem vier Bilddateien dieser Frau, darunter ein Nacktbild von ihr.
3. Für beide Sachverhalte gelangte der medizinische Sachverständige zu dem Ergebnis, dass sich die in den Videosequenzen erkennbaren jungen Frauen in einem Zustand tiefer Bewusstseinsbeeinträchtigung, mithin – aus medizinischer Sicht – einer Widerstandsunfähigkeit, befunden hatten. Der Angeklagte gab zu diesen Vorwürfen an, die beiden Frauen seien mit seinen Handlungen einverstanden gewesen.
4. Das Landgericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass die unbekannten Frauen mit den sexuellen Manipulationen des Angeklagten nicht einverstanden gewesen seien. Zwar sei in der Stellungnahme seines Verteidigers zur
Haftbeschwerde zunächst angegeben worden, es habe sich bei beiden Frauen um Gelegenheitsbekanntschaften gehandelt, an deren Einwilligung zu Foto- und Videoaufnahmen der Angeklagte keine Zweifel gehabt habe. Hierin
liege jedoch kein Widerspruch zu der Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die Frauen seien mit den
Handlungen einverstanden gewesen. Die Einlassung gehe lediglich über die Erklärung seines Verteidigers im Zusammenhang mit der Haftbeschwerde hinaus. Wie die beiden Frauen in den auf den beiden kurzen Videoclips erkennbaren Zustand gekommen seien, sei völlig offen. Möglicherweise sei dies auf genossenen Alkohol zurückzuführen. Auch ihr Einverständnis mit den sexuellen Handlungen des Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden.
Dass die eine Frau zumindest mit der Erstellung der aufgefundenen Fotoaufnahmen einverstanden gewesen sei, sei
naheliegend (UA S. 35).
B. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I. Die Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf der ihm durch die Anklage der Staatsanwaltschaft Amberg vom
14. Oktober 2014 (Az. 109 Js ) zur Last gelegten Sexualdelikte zum Nachteil von zwei von ihm im bewusstlosen
- 41 -
oder schlafenden Zustand gefilmten unbekannten Frauen hat keinen Bestand. Die tatgerichtliche Beweiswürdigung
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft oder, wie hier, am Vorliegen
der tatsächlichen Voraussetzungen eines strafbaren Verhaltens nicht zu überwinden vermag, ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht
Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung
widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.
Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen
Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Denn einzelne Belastungsindizien,
die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, können doch in ihrer Gesamtheit die für eine
Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen. Deshalb bedarf es einer Gesamtabwägung aller
für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt zudem, ob
überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl.
nur BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109; vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10
Rn. 15; vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11 Rn. 9; vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12 Rn. 10; vom 18. Dezember
2012 – 1 StR 415/12 Rn. 28 [insoweit in BGHSt 58, 72 nicht abgedruckt].
2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
a) Die Urteilsgründe lassen bereits besorgen, dass das Landgericht, das das Einverständnis der beiden unbekannten
Frauen mit den an ihnen vorgenommenen sexuellen Handlungen nicht auszuschließen vermochte (UA S. 35), insoweit einen falschen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt hat. Einlassungen, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit
es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen. Das Tatgericht hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber
zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Es ist weder im
Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen,
für deren Vorliegen außer den nicht widerlegbaren, aber auch durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten
keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR
2010, 85 und vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34). Das Landgericht hätte deshalb das vom Angeklagten behauptete Einverständnis der von ihm gefilmten unbekannten jungen Frauen nicht ohne nähere Wiedergabe
und Erörterung seiner Einlassung als nicht ausgeschlossen ansehen dürfen (UA S. 35). Es hätte sich jedenfalls mit
dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass es sich um eine eher fernliegende Annahme handelt, die Frauen könnten damit einverstanden gewesen sein, dass sexuelle Handlungen an ihnen im Zustand tiefgreifender Bewusstseinsstörung vorgenommen und davon Fotoaufnahmen angefertigt werden.
b) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft. Angesichts der Feststellungen zur Verabreichung der Tabletten an
die Nebenklägerin hätte das Landgericht näher erörtern müssen, ob die unbekannten Frauen damit einverstanden
waren, dass an ihnen im schlafenden oder bewusstlosen Zustand sexuelle Handlungen vorgenommen werden. Zeigte
sich nämlich im Fall der Nebenklägerin, dass es dem Angeklagten nicht wesensfremd war, eine Frau gegen deren
Willen in einen Zustand der Bewusstlosigkeit oder der Widerstandsunfähigkeit zu versetzen, konnte dies jedenfalls
ein Indiz dafür sein, dass auch die gefilmten Frauen nicht freiwillig in diesen Zustand geraten waren. Einer Erörterung hätte dieser Umstand auch deswegen bedurft, weil die Nebenklägerin geäußert hatte, sie habe im Halbschlaf
wahrgenommen, dass der Angeklagte ihre Hand hochhob und wieder fallen ließ (UA S. 14). Eine solche Handlung
ist auch auf einer der Filmaufnahmen zu sehen (UA S. 31).
c) Schließlich fehlt es auch an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden
Umstände. Die Beweiswürdigung der Strafkammer lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des Umstandes
bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen,
doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl.
BGH, Urteil vom 17. September 1986 – 2 StR 353/86; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1).
II. Soweit das Landgericht bei der vom Angeklagten eingeräumten Tat zum Nachteil der Nebenklägerin sexuelle
Handlungen und damit eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177 StGB) als nicht nachweisbar angesehen
hat (UA S. 24 ff.), hält die Beweiswürdigung ebenso rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar wurde der Angeklagte insoweit nicht freigesprochen, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) sowie – insoweit
rechtsfehlerhaft (vgl. MüKo-StGB/Joecks, 2. Aufl., § 223 Rn. 116, § 224 Rn. 52) – in Tateinheit mit vorsätzlicher
- 42 -
Körperverletzung (§ 223 StGB) verurteilt. Im Fall einer Nichtverurteilung wegen eines idealkonkurrierenden Delikts
aus tatsächlichen Gründen gilt jedoch für das Revisionsgericht derselbe Prüfungsmaßstab wie bei Freisprüchen. Es
hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob die Beweise
erschöpfend gewürdigt worden sind. Solche Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegen hier vor.
1. Das Landgericht hat bereits den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro
reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach
abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 – 1
StR 582/06). Hier hat das Landgericht einzelne Indizien, wie etwa das Vorhandensein männlicher DNA am Bund des
von der Nebenklägerin getragenen Slips oder das festgestellte Drehen und Wenden der Nebenklägerin jeweils isoliert
mit der Begründung als Belastungsindiz ausgeschieden, dass sich daraus nicht zwingend eine sexuelle Handlung
ergebe bzw. dies keine sichere Überzeugung von sexuellen Handlungen zulasse (UA S. 24). Dies ist rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht hätte der DNA-Spur am Bund des Slips der Nebenklägerin nicht deshalb jegliche Indizwirkung
absprechen dürfen, weil es Zweifel an ihrer Verursachung durch den Angeklagten hatte (UA S. 24). Vielmehr hätte
es dieses Indiz, wenn auch mit eingeschränktem Beweiswert, in die gebotene Gesamtwürdigung einstellen müssen.
2. Zudem werden wesentliche Umstände vom Landgericht nicht erörtert, obwohl dies nahegelegen hätte.
a) Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, an welchen Stellen genau die Nebenklägerin Hämatome erlitten hat und
welche Handlungen des Angeklagten hierfür ursächlich gewesen sein können. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um einen möglichen Sexualbezug der Gewaltanwendung beurteilen zu können. So lässt sich etwa der Umstand,
dass der Angeklagte der Nebenklägerin ihre Knie auf die Brust drückte und diese daraufhin einen länger anhaltenden
Druck auf dem Brustkorb verspürte (UA S. 9, 14), nicht ohne weiteres mit einem vom Landgericht in den Blick
genommenen nicht sexualbezogenen „Entfernen der Kleidung“ (UA S. 24) erklären. Vielmehr legt dies eine der
Nebenklägerin aufgezwungene unnatürliche Haltung nahe, bei der das Genital entblößt wird, was eine nachfolgende
Manipulation, wie sie auf den Videos der unbekannten Frauen erkennbar ist, leicht ermöglicht.
b) Soweit sich das Landgericht nicht davon überzeugen konnte, dass der Angeklagte Spurenverursacher der DNAAntragungen männlichen Ursprungs am Bund (Innen- und Außenseite) des Slips der Nebenklägerin war (UA S. 24),
verhalten sich die Urteilsgründe nicht dazu, ob überhaupt ein anderer Spurenverursacher in Betracht kommt.
c) Schließlich hätte das Landgericht erörtern müssen, dass die auf den Videosequenzen an den unbekannten Frauen
dokumentierten sexuellen Handlungen ebenfalls nicht mit einem Eindringen verbunden waren, sodass – worauf der
Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – das Fehlen entsprechender medizinischer Befunde oder von
Sperma vor dem Hintergrund der von dem Angeklagten geübten Praktiken sexuelle Handlungen nicht ausschließt.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass in einer neuen tatgerichtlichen Hauptverhandlung eine Verurteilung des
Angeklagten wegen Sexualdelikten möglich ist.
III. Das Urteil ist somit auf die Revision der Staatsanwaltschaft insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben; die
Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
C. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten ist unbegründet, die Strafzumessung
weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Entgegen der Auffassung der Revision des Angeklagten hat das Landgericht die Voraussetzungen eines TäterOpfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB als vertyptem Strafmilderungsgrund ohne Rechtsfehler verneint.
a) Nach § 46 Abs. 2 StGB ist das Nachtatverhalten des Täters, insbesondere sein Bemühen um Wiedergutmachung
und das Erstreben eines Ausgleichs mit dem Verletzten, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vor diesem
Hintergrund muss bereits aus gesetzessystematischer Sicht der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a StGB an
weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, insoweit nicht
abgedruckt in NStZ 2002, 646). Nach § 46a Nr. 1 StGB kann zwar das ernsthafte Bemühen des Täters um Wiedergutmachung, das darauf gerichtet ist, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, genügen. Die Vorschrift setzt
aber nach der gesetzgeberischen Intention (BT-Drucks. 12/6853, S. 21, 22) und nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden,
friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2002 - 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29). Wenn auch ein Wiedergutmachungserfolg nicht zwingende Voraussetzung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2001 - 1 StR 333/01, NStZ 2002, 29), so muss sich doch das Opfer
auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereitfinden und sich auf ihn einlassen. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-
- 43 -
Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die erbrachten Leistungen oder
Bemühungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 2003 – 1 StR
174/03, NStZ-RR 2003, 363 und vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439; jeweils mwN). Das ergibt
sich aus der ratio und der Entstehungsgeschichte dieser Norm. Der Täter muss zudem mit dem ernsthaften Bestreben
handeln, das Opfer „zufriedenzustellen“. Ob der nach § 46a Nr. 1 StGB erforderliche kommunikative Prozess gegeben ist, ist im Einzelfall anhand deliktsspezifischer Gesichtspunkte zu prüfen (BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2
StR 73/02, NStZ 2002, 646, 647).
b) Hier hat das Landgericht ausgehend von zutreffenden Maßstäben das Vorliegen der Voraussetzungen eines TäterOpfer-Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Zwar schloss der Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung mit der Nebenklägerin einen Vergleich über ein Schmerzensgeld in Höhe von
5.000 Euro, das ab dem 1. Januar 2015 in monatlichen Teilbeträgen von 250 Euro gezahlt werden sollte. Dies genügte für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs hier jedoch nicht. Dem Vergleich fehlte bereits die für einen friedensstiftenden Ausgleich mit der Nebenklägerin erforderliche Einbeziehung des Sexualbezugs der dem Angeklagten
vorgeworfenen Handlungen. Er bezog sich ersichtlich – ebenso wie die zuvor erfolgte Entschuldigung – allein auf
die Verabreichung der benzodiazepinhaltigen Tabletten, nicht aber auf die Vornahme sexueller Handlungen (UA S.
11). Zudem hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der in der Hauptverhandlung abgeschlossene Vergleich ohne vorherige Einbeziehung der Nebenklägerin in einen kommunikativen Prozess vorwiegend Mittel zur Vermeidung einer längeren Freiheitsstrafe für den Angeklagten sein sollte. Im Hinblick darauf, dass noch
keinerlei Zahlungen geleistet waren und auch der in Aussicht gestellte Zahlungsbeginn erst zehn Monate in der Zukunft liegen sollte, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht dieses Verhalten gegenüber dem
Opfer nicht als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung, sondern als prozesstaktisches Vorgehen des Angeklagten (UA S. 29) gewertet hat. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass auch in der Hauptverhandlung noch ein
friedensstiftender Täter-Opfer-Ausgleich möglich ist. Es hat sich vielmehr davon überzeugt, dass die vom Angeklagten vorgenommenen Ausgleichsbemühungen nicht vom Willen zu einem friedensstiftenden Gesamtausgleich mit der
Nebenklägerin getragen waren. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Somit fehlte es an einem TäterOpfer-Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB. Der Angeklagte wird jedoch Gelegenheit haben, bis zur neuen
Hauptverhandlung vor dem Tatgericht weitere Bemühungen um einen Täter-Opfer-Ausgleich mit der Nebenklägerin
zu unternehmen, um dadurch die Voraussetzungen einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1
StGB zu schaffen.
2. Auch im Übrigen hält die Strafzumessung rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines minder schweren
Falls der gefährlichen Körperverletzung ausgeschlossen.
StGB § 46b, BtMG § 31Kronzeugen ab wann?
BGH, Beschl. v. 25.02.2015 - 5 StR 18/15 - BeckRS 2015, 04700
Die Vorschriften der § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. StGB, § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG regeln nicht ausdrücklich den Beginn ihres Anwendungsbereichs. Da sie aber an das aktuelle Strafverfahren gegen den
Offenbarenden anknüpfen, stellt dessen Beginn den ermöglichen Zeitpunkt da, in dem dieser den
Vorteil einer Strafmilderung erlangen kann.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Februar 2015 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen
das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 29. September 2014 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Nach den
Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte „die letzten konkreten Hinweise zu Ostern 2013“ – 31. März/1.
April 2013 – gegeben (UA S. 11). Indes wurde er frühestens am 19. April 2013 (UA S. 72) Beschuldigter, als nach
einem Hinweis eines Informanten bekannt wurde, dass der Angeklagte mit Heroin im gegenständlichen Verfahren
Handel treiben könnte. Zu Recht hat das Landgericht bei dieser Sachlage das Vorliegen eines vertypten Strafmilderungsgrundes gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG verneint. Zwar regeln die genannten
Vorschriften nicht ausdrücklich den Beginn ihres Anwendungsbereichs. Da sie aber an das aktuelle Strafverfahren
gegen den Offenbarenden anknüpfen, stellt dessen Beginn den erstmöglichen Zeitpunkt dar, in dem dieser den Vor-
- 44 -
teil einer Strafmilderung erlangen kann (Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46b Rn. 19; Münch-KommMaier, 2. Aufl., 2012, § 46b StGB Rn. 43; Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 46b Rn. 23; vgl. Senatsbeschluss vom
11. Februar 2015 – 5 StR 597/14). Dies ist dann der Fall, wenn gegen den Offenbarenden erstmals als Beschuldigten
ermittelt wird (BGH, Urteil vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 439/13). Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich andernfalls ein Informant durch Hinweise an die Ermittlungsbehörden eine Art „Bonusheft“ anlegen könnte (UA S. 74). Das gilt umso mehr, als der Angeklagte seine eigenen Taten zu späteren Zeitpunkten begangen hat und deshalb noch nicht „Täter“ im Sinne des § 46b Abs. 1 Satz 1 StGB war.
StGB § 46b Kronzeuge Zusammenhang zwischen Taten
BGH, Beschl. v. 25.11.2014 - 5 StR 527/14 - wistra 2015, 99
Für die Anwendung des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des am 1. August 2013 in
Kraft getretenen 46. StrÄndG vom 10. Juni 2013 (BGBl. I S. 1497) muss zwischen der durch den
"Aufklärungshelfer" aufgedeckten Katalogtat und dessen eigener Straftat ein Zusammenhang gegeben sein. Eine jeweils spontane Verübung von Straftaten aus einem eher losen Zusammenschluss
von latent tatgeneigten Personen heraus kann dem - eng zu verstehenden - Zusammenhangserfordernis aber nicht genügen.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2014 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten
wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Mai 2014, soweit es diesen Angeklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4
StPO in den Einzelstrafaussprüchen zu den Fällen 1 bis 5, 7, 9 und 11 sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben;
jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in acht Fällen, wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen
und wegen Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die
allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der Angeklagte meist im Zusammenwirken mit Mittätern eine
Serie von – teils versuchten – Diebstahlstaten. Ferner setzte er mit einem Mittäter ein zuvor gestohlenes Kraftfahrzeug in Brand, um Spuren zu vernichten. Nach seiner Festnahme legte er im Zuge einer „Lebensbeichte“ ein umfassendes Geständnis ab und bezeichnete Mittäter (UA S. 20). Das Landgericht hat wegen der geleisteten Aufklärungshilfe hinsichtlich der Brandstiftung am Kraftfahrzeug (§ 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB) die Regelung des § 46b Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 StGB angewandt und die hierfür verhängte Einzelstrafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert (Einsatzstrafe von
einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe). Hingegen hat es in Bezug auf die Taten 1 bis 5, 7, 9 und 11 (jeweils
„besonders schwerer Diebstahl“ nach § 243 Abs. 1 StGB) eine Anwendung des § 46b StGB nicht erwogen.
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
a) Allerdings weist der Generalbundesanwalt mit Recht darauf hin, dass die Verfahrensweise des Landgerichts in
Einklang steht mit § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des am 1. August 2013 in Kraft getretenen 46.
StrÄndG vom 10. Juni 2013 (BGBl. I S. 1497). Seither muss – in wesentlicher Einengung der vormals geltenden
Regelung – zwischen der durch den „Aufklärungshelfer“ aufgedeckten Katalogtat (hier allein der Brandstiftung) und
dessen eigener Straftat ein Zusammenhang gegeben sein. Daran würde es hier fehlen. Die Voraussetzungen bandenmäßiger Begehung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Die vorliegend gegebene jeweils spontane Verübung von Straftaten aus einem eher losen Zusammenschluss von latent tatgeneigten Personen heraus kann dem –
eng zu verstehenden – Zusammenhangserfordernis aber nicht genügen (vgl. auch Regierungsentwurf eines 46.
StrÄndG in BT-Drucks. 17/9695, S. 8 f.).
b) Jedoch hat der Angeklagte sämtliche Taten vor dem 1. August 2013 begangen. Da ihm im Blick auf das in § 2
Abs. 3 StGB normierte „Meistbegünstigungsprinzip“ die Wohltaten des „alten“ Rechts erhalten bleiben müssen (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 18. März 2010 – 3 StR 65/10, NStZ 2010, 523, 524; vom 26. Oktober 2010 – 4 StR 495/10,
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BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 17), hätte das Landgericht entsprechend der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Strafmilderung ungeachtet eines Zusammenhangs hinsichtlich jeder der
aus einem Strafrahmen mit erhöhtem Mindestmaß entnommenen Einzelstrafe prüfen müssen (vgl. BGH, Beschluss
vom 19. Mai 2010 – 5 StR 182/10, BGHSt 55, 153, 156 f.; Urteil vom 20. März 2014 – 3 StR 429/13, StV 2014,
619, 620 Rn. 15, jeweils mwN). Das ist rechtsfehlerhaft nicht geschehen.
3. Trotz der durchgehend überaus milden Strafbemessung vermag der Senat nicht völlig auszuschließen, dass das
Landgericht in den relevanten Fällen zu dem Angeklagten noch günstigeren Einzelstrafen gelangt wäre, wenn es die
Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 Satz 1 StGB aF insoweit erwogen und bejaht hätte. Die betroffenen Einzelstrafaussprüche können daher keinen Bestand haben, was zugleich dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzieht.
4. Die Feststellungen werden durch den Wertungsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
StGB § 47 EGStGB Art. 12 Abs. 1 Wahlweise Androhung von Geld- neben Freiheitsstrafe
BGH, Urt. v. 17.03.2015 - 2 StR 379/14 - NJW 2015, 1769
LS: Wird durch Anwendung eines vertypten Strafmilderungsgrundes, der die Untergrenze des
Strafrahmens einer Strafnorm, welche nur Freiheitsstrafe mit erhöhter Mindeststrafe androht, auf
das gesetzliche Mindestmaß abgesenkt, ist wahlweise auch Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen möglich.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 4. März 2015 in der Sitzung am 17.
März 2015 für Recht erkannt: Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Erfurt vom 6. Juni 2014 werden verworfen. Die Angeklagten L. und M. haben jeweils die Kosten ihres
Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten der
Revision der Staatsanwaltschaft und die den Angeklagten T., L. und M. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten M. und T. jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung sowie die Angeklagte
L. wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt, den
Angeklagten T. unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung, den Angeklagten M. unter Einbeziehung einer Strafe
aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, die Angeklagte L. zu
einer Gesamtgeldstrafe von einhundertneunzig Tagessätzen zu je 30 Euro. Auslieferungshaft, die der Angeklagte T.
in R. erlitten hatte, hat das Landgericht im Verhältnis von zwei zu eins auf die gegen ihn verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Gegen dieses Urteil richten sich - jeweils mit der Sachrüge - die zuungunsten der Angeklagten
eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft sowie die Revisionen der Angeklagten L. und M.. Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
I.
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte M. am 1. Dezember 2012 dem Angeklagten
T. vor, einen "Dealer" in seiner Wohnung zu überfallen und dessen Drogen und Geld wegzunehmen. Der Angeklagte
M. erläuterte, es sei die einfachste Art zu erreichen, dass das Opfer die Wohnungstür öffne, wenn ein Mädchen vor
der Tür stehe. Daher zogen sie die Angeklagte L. hinzu und weihten sie in den Plan ein. Die Angeklagte L. klingelte
an der Wohnungstür des Nebenklägers, während sich die Angeklagten T. und M. daneben verborgen hielten. Der
Nebenkläger öffnete die Tür und sah zuerst nur die Angeklagte L., die sogleich einige Schritte zurücktrat, um den
Angeklagten T. und M. Platz zu machen. Diese stürmten auf den Nebenkläger zu und drängten ihn in die Wohnung
zurück. Es kam zu einem Handgemenge. Dann nahm der Angeklagte T. den Nebenkläger in den Schwitzkasten und
fragte: "Du Dealer, wo Geld?". Der Angeklagte M. trat den Nebenkläger. Dieser erklärte, dass er Polizeibeamter sei,
worauf er zwei Faustschläge erhielt. Er erläuterte, in der Küche hänge seine Jacke über einem Stuhl, in der sich sein
Ausweis befinde. Einer der Täter holte aus der Jackentasche eine Mappe herbei, in der sich eine Bank- und Kreditkarte sowie Bargeld befanden; ferner entnahm er einer anderen Jacke den Polizeiausweis des Nebenklägers. Nach
einem Wortwechsel der Angeklagten rief der Angeklagte T. den anderen Angeklagten zu: "Kein Messer!". Der Ne-
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benkläger erwiderte in Todesangst "Ihr seid doch verrückt, ich bin Polizeibeamter, das ist die Sache doch nicht
wert!". Darauf erklärte der Angeklagte T.: "Du bist der Verkehrte" und entließ den Nebenkläger aus dem Schwitzkasten. Die Angeklagten gaben ihren Tatplan auf und liefen davon. Bank- und Kreditkarte sowie Bargeld des Nebenklägers ließen sie im Flur der Wohnung zurück (Fall II.1. der Urteilsgründe).
b) Bei einer Durchsuchung der Wohnung der Angeklagten L. am 8. November 2013 war sie im Besitz von 0,14 g
Haschisch, 1,14 g Marihuana, 0,57 g Amphetamin und 0,29 g Cannabis (Fall II.2. der Urteilsgründe).
2. Das Landgericht hat die Tat der Angeklagten T. und M. vom 1. Dezember 2012 als gefährliche Körperverletzung
gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB und die Handlung der Angeklagten L. als Beihilfe dazu bewertet. Vom
Versuch des Raubes seien die Angeklagten T. und M. strafbefreiend zurückgetreten. Auf die Verwechslung des Nebenklägers mit einem Drogenhändler komme es nicht an. Die Wegnahme des Geldes sei den Tätern nach ihrer Vorstellung weiter möglich gewesen. Die Erkenntnis, dass es sich bei dem Opfer um einen Polizisten handele, habe nicht
dazu geführt, dass Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch des Raubes ausgeschlossen gewesen sei. Zwar könne
dadurch die Angst der Angeklagten vor Strafverfolgung vergrößert worden sein. Das Absehen von der Vollendung
der Wegnahme des Geldes habe eher auf einer moralischen Wirkung beruht. Die weitere Tat der Angeklagten L.
vom 8. November 2013 hat die Strafkammer als Besitz von Betäubungsmitteln abgeurteilt.
II. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Entgegen der Annahme der Revision des Angeklagten M. spricht nichts
für das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts im Sinne von § 24 Abs. 1 GVG. Angesichts der Vorstrafen der Angeklagten T. und M. und der Notwendigkeit einer Gesamtstrafenbildung lag die Prognose der Verhängung einer Strafe, die den Strafbann des Amtsgerichts gemäß § 24 Abs. 2 GVG überschreitet (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 GVG), nicht außerhalb des Vertretbaren.
III.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
a) Die Rüge, das Landgericht sei zu Unrecht von einem freiwilligen Rücktritt der Angeklagten vom Raubversuch im
Fall II.1. der Urteilsgründe ausgegangen, geht fehl.
aa) Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass der Irrtum der Haupttäter T. und M. bei der Annahme, dass sie
einen Drogenhändler überfielen, während der Nebenkläger in Wahrheit ein Polizeibeamter war, rechtlich unerheblich
ist. Der Raubversuch war unbeendet (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.).
Die Täter konnten ihren Plan, dem Opfer Geld wegzunehmen, auch nach Erkennen des Irrtums weiter durchführen,
sahen aber freiwillig davon ab. Nur wenn die Täter durch einen unvorhergesehenen Umstand psychisch daran gehindert gewesen wären weiter zu handeln, hätte keine Freiwilligkeit vorgelegen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1994 - 1
StR 19/94, NStZ 1994, 428, 429). Eine solche Lage bestand nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des
Landgerichts nicht. Entscheidend ist auch nicht, wie der Beweggrund für den Rücktritt sittlich zu bewerten ist, sondern nur, ob es sich für den Täter um ein zwingendes Hindernis für einen freien Willensentschluss gehandelt hat
(vgl. Senat, Beschluss vom 13. Januar 1988 - 2 StR 665/87, BGHSt 35, 184, 186). Das war hier nicht der Fall. Beim
unbeendeten Versuch beschränkt sich der Entschluss, die weitere Tatausführung aufzugeben, auf die gesetzlichen
Tatbestandsmerkmale. Auf außertatbestandliche Beweggründe kommt es nicht an (BGH aaO, BGHSt 39, 221, 230).
Daher ändert die Einlassung des Angeklagten T., er sei mit der Tatbegehung "nur einverstanden gewesen, weil es
sich um einen Drogendealer handeln sollte" und er habe sich auf den Tatplan nur eingelassen, weil er "etwas gegen
diese Personen habe", nichts an der Möglichkeit des späteren Rücktritts vom Raubversuch.
bb) Für die Angeklagte L. als Gehilfin gilt ebenfalls § 24 Abs. 2 StGB. Auch sie konnte mit strafbefreiender Wirkung von der Teilnahme am Raubversuch durch einvernehmliches Nichtweiterhandeln zurücktreten.
b) Die Entscheidung über die Anrechnung der in R. erlittenen Auslieferungshaft des Angeklagten T. im Verhältnis
von zwei zu eins, weil er nach seiner Darstellung "in einem verliesartigen Keller" untergebracht gewesen und vom
Anstaltspersonal besonders streng behandelt worden sei, ist entgegen der Annahme der Revision sachlich-rechtlich
nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat der Einlassung des Angeklagten T. unter anderem wegen erkennbarer
Betroffenheit insoweit Glauben geschenkt. Dass keine weiteren Maßnahmen zur Sachaufklärung ergriffen wurden,
ist aufgrund der alleine erhobenen Sachrüge nicht zu beanstanden.
c) Die Revision der Staatsanwaltschaft greift nach der Begründung des Rechtsmittels die Verurteilung der Angeklagten L. im Fall II.2. nicht an. Insoweit ist das Rechtsmittel beschränkt. Es umfasst aber ihre Verurteilung zu einer
Einzelgeldstrafe von 180 Tagessätzen wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und die Bildung einer Gesamtgeldstrafe von 190 Tagessätzen. Auch insoweit liegt jedoch kein Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten L.
vor.
- 47 -
aa) Allerdings benennt das Gesetz sowohl bei dem Normalstrafrahmen gemäß § 224 Abs. 1 StGB als auch bei dem
gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen jeweils nur Freiheitsstrafe als Strafart, nicht die
Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafe. Gleichwohl stand dem Tatgericht gemäß Art. 12 Abs. 1 EGStGB die
weitere Strafart zur Verfügung (vgl. SK/Horn/Wolters, StGB, 122. Lfg. 2010, § 47 Rn. 3). Auf § 47 Abs. 2 StGB
kommt es hier nicht an. Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des Art. 12 Abs. 1 EGStGB erreichen, dass neben
der Androhung einer Freiheitsstrafe ohne besonderes Mindestmaß stets die wahlweise Androhung von Geldstrafe
tritt. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, in allen diesen Fällen auch Geldstrafen zu verhängen, ohne auf § 47
Abs. 2 StGB zurückgreifen zu müssen (BT-Drucks. 7/550 S. 204). Art. 12 Abs. 1 EGStGB kommt deshalb immer
dann zur Anwendung, wenn ein Fall vorliegt, in dem das Gesetz keine erhöhte Mindeststrafe vorsieht. Nur für Fälle
der Anwendbarkeit eines Strafrahmens mit erhöhtem Mindestmaß bleibt alleine § 47 Abs. 2 StGB maßgeblich (vgl.
Horn NStZ 1990, 270, 271).
bb) Entscheidend ist hiernach, ob Art. 12 Abs. 1 EGStGB auch anzuwenden ist, wenn zwar der Normalstrafrahmen
des anzuwendenden Straftatbestands eine erhöhte Mindeststrafe vorsieht, dieser Strafrahmen im Einzelfall aber
durch einen vertypten Milderungsgrund so abgesenkt wird, dass er im Ergebnis bei der gesetzlichen Mindeststrafe
beginnt. Im vorliegenden Fall wird der Strafrahmen des § 224 Abs. 1 - 1. Alt. - StGB, der Freiheitsstrafe von sechs
Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht, gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB auf Freiheitsstrafe von einem
Monat bis zu sieben Jahren und sechs Monaten abgesenkt, wonach die Strafuntergrenze dem gesetzlichen Mindestmaß im Sinne von § 38 Abs. 2 StGB entspricht. Der Senat neigt zu der Ansicht, dass für die Frage, ob eine Strafandrohung ohne erhöhtes Mindestmaß vorliegt, ebenso wie bei § 47 Abs. 2 StGB (vgl. dazu Fischer, StGB, 62. Aufl., §
47 Rn. 12) stets der im konkreten Fall anzuwendende Strafrahmen maßgeblich ist (s.a. Horn aaO). Er bejaht diese
Frage jedenfalls für den Fall, dass ein vertypter Milderungsgrund eingreift, der zwingend zur Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB führt und danach kein erhöhtes Mindestmaß mehr aufweist. Ob dasselbe auch für einen
fakultativen Milderungsgrund oder einen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle gilt, muss hier nicht entschieden werden. Die Strafkammer hat das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne von § 224 Abs. 1 - 2. Alt. rechtsfehlerfrei verneint. Die Annahme, dass es auf den im Einzelfall anwendbaren Strafrahmen ankommt, entspricht
dem Prüfungsweg. Der Tatrichter hat bei der Rechtsfolgenentscheidung zuerst über den Strafrahmen, dann über
Strafart und Strafhöhe zu entscheiden. Im Anschluss an die Strafrahmenwahl steht fest, ob im konkreten Fall ein
Strafrahmen gilt, der eine erhöhte Mindeststrafe vorsieht oder nicht. Entspricht sodann die Untergrenze des anzuwendenden Strafrahmens dem gesetzlichen Mindestmaß im Sinne von § 38 Abs. 2 StGB, so ist nach Wortlaut und
Zweck des Art. 12 Abs. 1 EGStGB die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe anstelle von Freiheitsstrafe
eröffnet. Das Tatgericht hat dann eine Auswahl zu treffen, ohne dass dabei allerdings ein Vorrang von Geldstrafe vor
kurzer Freiheitsstrafe gilt, wie er in § 47 Abs. 2 StGB vorgesehen ist (SK/Horn/Wolters aaO § 47 Rn. 7c), oder von
Freiheitsstrafe, die nach dem Straftatbestand alleine zur Anwendung kommen soll, vor Geldstrafe, die Art. 12 Abs. 1
EGStGB alternativ zur Verfügung stellt. Die Entscheidung über die Strafart liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Wählt er in dieser Konstellation eine Geldstrafe, so besteht das Höchstmaß dieser Strafe
gemäß § 40 Abs. 1 StGB aus 360 Tagessätzen, nicht aus 179 Tagessätzen, wie es nach § 47 Abs. 2 Satz 2 StGB der
Fall wäre.
cc) Mit der Verhängung einer Einzelgeldstrafe von 180 Tagessätzen wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung gegen die Angeklagte L. hat das Landgericht daher nicht gegen die Bezeichnung der Strafart in § 224 StGB als
Freiheitsstrafe verstoßen. Einer näheren Begründung der Auswahl einer anderen Strafart im Urteil des Landgerichts
bedurfte es nicht. § 267 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO, der in Fällen des § 47 Abs. 2 StGB nur für die Abweichung
von der Regel der Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer kurzen Freiheitsstrafe eine Begründung verlangt, greift
auch bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 EGStGB nicht ein, der kein Regel- und Ausnahmeverhältnis der Strafarten vorsieht.
2. Die Revisionen der Angeklagten M. und L. sind unbegründet. Das gilt auch für die Annahme des Landgerichts,
die Angeklagte L. habe hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung mit Gehilfenvorsatz gehandelt. Dafür genügt
eine Vorstellung von der Haupttat, die im Vorstellungsbild des Gehilfen nur in ihren wesentlichen Grundzügen konkretisiert sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1996 - 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135, 137 f.). Die Strafkammer
hat jedenfalls der Sache nach angenommen, dass die Angeklagte L. mit der Möglichkeit einer Verletzung des Opfers
des gewaltsamen hinterlistigen Überfalls der beiden Haupttäter, den sie unterstützt hat, gerechnet und diesen billigend in Kauf genommen hat. Damit ist der Gehilfenvorsatz hinreichend belegt.
- 48 -
StGB § 51 Abs. 3 Satz 1 Härteausgleich
BGH, Urt. v. 05.11.2014 - 1 StR 299/14 - BeckRS 2014, 23680
1. Zu den Voraussetzungen eines Härteausgleichs bei Unanwendbarkeit des § 55 StGB.
2. Zur Anrechnungsfähigkeit von im Ausland erlittener Haft.
3. Zum Anrechnungsmaßstab bei im Ausland erlittener Haft: Anhaltspunkte für die Bewertung der
Relation der Hafterschwernis in ausländischen Vollzugsanstalten sind etwa die Einrichtung und
Ausgestaltung der Haftzellen, die Belegungssituation, die Vorhaltung ärztlicher Betreuung, das Personal, Beschäftigungs- und Kontaktmöglichkeiten, das Essen und vor allem auch die hygienischen
Verhältnisse.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 4. November 2014, in
der Sitzung am 5. November 2014 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 24. Januar 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
b) hinsichtlich Ziffer 3. (Anrechnungsentscheidung).
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht
Jahren verurteilt. Es hat zusätzlich ausgesprochen, dass die in Thailand verbüßte Strafhaft von drei
Jahren und vier Monaten und die in Thailand erlittene Abschiebehaft von drei Monaten und zwei
Wochen jeweils im Verhältnis 1 : 2 auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen sind. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen die Anrechnung der in Thailand erlittenen Haft auf die
Gesamtstrafe. Sie ist der Auffassung, stattdessen hätte alleine ein Härteausgleich vorgenommen werden dürfen. Der Generalbundesanwalt vertritt die Revision der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten mit dem Ziel, auf die unter Vornahme eines Härteausgleichs zu bildende Gesamtstrafe die
in Thailand erlittene Freiheitsentziehung letztlich im Verhältnis 1 : 3 zur Anrechnung zu bringen. Das
Rechtsmittel hat im Ergebnis Erfolg.
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist nicht auf die Überprüfung der Anrechnung der im Ausland
erlittenen Haft beschränkt; sie erfasst auch den Gesamtstrafenausspruch. Zwar kann sich grundsätzlich der Revisionsangriff auch auf die Frage der Anrechnung bereits vollstreckter Haft im Sinne von §
51 StGB beschränken; die Beschränkung ist indes nur dann wirksam, wenn die Strafhöhe selbst mit
der Anrechnung in keiner Wechselwirkung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 1955 – 3 StR
552/54, BGHSt 7, 214, 215 f.; allg. zur Teilanfechtung BGH, Beschluss vom 15. Mai 2001 – 4 StR
306/00, BGHSt 47, 32, 35). Ist hingegen ein Sachzusammenhang zwischen der Strafhöhe und der
Anrechnung bereits erlittener Haft gegeben, scheidet eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die
Frage der Anrechnung aus. Die Anrechnung der im Ausland erfolgten Freiheitsentziehung kann von
dem Revisionsangriff nicht ausgenommen sein, wenn sie mit der Strafhöhe selbst unmittelbar verbunden ist. So liegt es hier. Der Sachzusammenhang zwischen der Bemessung der Gesamtstrafe und
der Anrechnung ergibt sich schon aus der Begründung des Urteils, denn das Landgericht hat die Ab- 49 -
lehnung eines Härteausgleichs und damit einer Minderung der Strafhöhe auf die vorzunehmende Anrechnung der Auslandshaft gestützt. Ungeachtet einer möglichen Auslegung des Revisionsantrags der
Staatsanwaltschaft wäre eine etwaige Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anrechnungsentscheidung der Strafkammer deshalb unwirksam, denn die Gesamtstrafenbildung ist rechtlich selbständiger
Überprüfung in dieser Konstellation nicht zugänglich.
II. Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen: Der in Thailand lebende Angeklagte
hatte spätestens seit Mitte des Jahres 2006 begonnen, in Bangkok zur Finanzierung seines Lebensunterhalts Europäer anzuwerben, die bereit waren, als Kuriere hochwertiges „Nepal“-Haschisch im Kilogrammbereich von Asien nach Europa zu überführen. Zu diesem Zweck trat der Angeklagte in Absprache mit dem gesondert Verfolgten K. an den gesondert Verfolgten G. heran, der zu drei im Einzelnen nicht feststellbaren Zeitpunkten zwischen Anfang Juni und Ende Dezember 2006 jeweils mindestens acht Kilogramm Haschisch von Thailand über Indien nach Großbritannien verbrachte. Für
seine Tätigkeit, die neben dem Anwerben des Kuriers auch darin bestand, alle für den Betäubungsmitteltransport erforderlich werdenden Vorbereitungen zu treffen und als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, wurde der Angeklagte mit Beträgen von jeweils mindestens 2.500 EUR entlohnt. Bis
Anfang des Jahres 2008 erweiterten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte K. ihre Geschäfte
dergestalt, dass fortan neben dem Angeklagten auch der gesondert Verfolgte Gu. dem gesondert Verfolgten K. Betäubungsmittelkuriere europäischer Herkunft zuführen sollte. Der Angeklagte und der
gesondert Verfolgte Gu. sollten in arbeitsteiligem Zusammenwirken tatbereite Personen anwerben,
für diese Reiserouten erstellen, die erforderlichen Reiseunterlagen, Dokumente und Geldmittel bereitstellen und gegebenenfalls als Kontaktpersonen agieren. In Ausführung dieser Abrede warben der
Angeklagte und der gesondert Verfolgte Gu. in der Folgezeit Personen an, die im Zeitraum zwischen
dem 18. April 2008 und dem 1. November 2009 in sieben Fällen Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 10% in Mengen von 7,1 bis 43,9 Kilogramm nach jeweiliger Weisung zu
verschiedenen Zielorten in Europa transportierten. Am 26. Oktober 2009 wurde der Angeklagte in
Thailand von den dortigen Behörden vorläufig festgenommen und mit Urteil des Strafgerichtshofs
Bangkok/Thailand vom 16. November 2010, rechtskräftig seit dem 16. Dezember 2010, wegen Verstoßes gegen das thailändische Betäubungsmittelgesetz neben einer (vollständig bezahlten) Geldstrafe
zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Verurteilung lagen Vorwürfe aus dem Zeitraum
von April 2009 bis zum Tag der Festnahme im Zusammenhang mit Betäubungsmitteldelikten zugrunde. Nach Verbüßung der im Rahmen einer Amnestie auf drei Jahre und vier Monate gemilderten
Strafe in thailändischen Gefängnissen befand sich der Angeklagte drei Monate und zwei Wochen in
Abschiebehaft, bevor er am 11. März 2013 von Thailand nach Deutschland überstellt wurde. Zu den
Haftbedingungen hat das Landgericht festgestellt, die Strafhaft gegen den Angeklagten sei spätestens
seit Ende des Jahres 2009 in dem eigens für Betäubungsmitteldelinquenten eingerichteten Gefängnis
„Bombat“ in Bangkok vollstreckt worden. Der Angeklagte habe die Haft während der ersten vier
Monate in verschiedenen Zellen verbracht, die jeweils mit bis zu sechzig Häftlingen belegt und räumlich sehr beengt gewesen seien. Schlafplätze seien nur in geringer Anzahl vorhanden gewesen, der
Angeklagte habe mit einer Decke auf dem Betonboden schlafen müssen, regelmäßiger enger Körperkontakt zu Mitgefangenen sei dabei unvermeidbar gewesen. So habe sich der Angeklagte in einer der
Zellen etwa einen Schlafplatz von einem Meter Breite mit zwei weiteren Inhaftierten teilen müssen.
Nach einer Beschwerde über die Deutsche Botschaft sei der Angeklagte im März 2010 in den sogenannten Infirmary Hospital Block verlegt worden, in dem er bis mindestens November 2012 untergebracht gewesen sei. Um eine mit deutschen Verhältnissen vergleichbare Krankenstation habe es sich
dabei aber nicht gehandelt. Der Unterschied zu den sonstigen Zellen habe darin bestanden, dass eine
- 50 -
Zelle nur mit zwanzig bis vierzig Häftlingen belegt gewesen sei. Diese seien dafür jedoch zum Teil
an Tuberkulose oder an Parasiten erkrankt gewesen oder hätten an Verletzungen aus Auseinandersetzungen mit anderen Gefangenen gelitten. Im Hospital Block habe der Angeklagte einen Schlafplatz
für sich alleine in Form einer Bettrolle der Größe von etwa 80cm auf 180cm gehabt. Die hygienischen Bedingungen seien während der gesamten Haftzeit durchweg verheerend gewesen. So sei die
Abwasserversorgung in den thailändischen Gefängnissen unter Inkaufnahme der Emissionsfolgen
überwiegend oberirdisch geführt worden; sämtliche Zellen seien mit nur einer Toilette und nur einer
einfachen Waschgelegenheit für alle Gefangenen ausgestattet gewesen. Im Hospital
Bereich hätten zudem regelmäßig die Leichen verstorbener Mitgefangener in den Gängen gelegen.
Arbeits- oder Freizeitangebote habe es zu keiner Zeit gegeben. Die Haftbedingungen des Angeklagten während der Abschiebehaft seien denjenigen im Hospital Block ähnlich gewesen; allerdings habe
es dort keine kranken Mitgefangenen in den Zellen gegeben.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils mit den zugehörigen Feststellungen (und zur Zurückverweisung) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und über die Anrechnungsentscheidung. Diese war schon deshalb aufzuheben, weil die Berechnung des Zeitraums der
anzurechnenden Haft fehlerhaft erfolgt ist. Dieser Fehler hat sich auf die hiermit verknüpfte Gesamtstrafenbildung ausgewirkt.
1. Die von der Strafkammer bei der Bemessung der Gesamtstrafe (§ 54 StGB) angestellten Erwägungen zu der Frage, ob dem Angeklagten aufgrund der in Thailand erlittenen Haft ein Härteausgleich zu
gewähren ist, begegnen für sich betrachtet im Ansatz keinen sachlich-rechtlichen Bedenken. Die
Vornahme eines Härteausgleichs konnte nicht losgelöst von der gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB zu
treffenden Anrechnungsentscheidung beurteilt werden, denn das kompensationsbedürftige Ausmaß
einer unbilligen Härte ist damit unauflösbar verbunden. Die Strafe kann sich infolge der Anrechnung
– etwa bei einem gegebenenfalls erhöhten Maßstab – so stark reduzieren, dass ein weiterer Strafrabatt
bei der Bemessung der Gesamtstrafe eine ungerechtfertigte Doppelprivilegierung des Angeklagten
zur Folge hätte. Umgekehrt hat diese Wechselwirkung zur Folge, dass – wie hier – ein der Anrechnungsentscheidung anhaftender Rechtsfehler bereits auf die Bildung der Gesamtstrafe durchschlagen
kann.
a) Die Voraussetzungen für den Ausgleich der Härte, die sich für den Angeklagten aus der bereits in
Thailand vollstreckten Strafe ergab, lagen vor.
aa) Die Vornahme eines Härteausgleichs ist nach den allgemeinen Grundsätzen immer dann geboten,
wenn sich für den Angeklagten aus der Nichtberücksichtigung einer Vorverurteilung bei der Bemessung einer Gesamtstrafe eine unbillige Härte ergibt und die Summe der Strafen anderenfalls schuldunangemessen wäre. Ist nach § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung an sich möglich,
scheitert sie aber daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen
ist, oder wird durch die Zäsurwirkung einer früheren Strafe die Bildung einer Gesamtstrafe verhindert, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der
Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 12, 94, 95; 31, 102, 103; 33,
131, 132; 41, 310, 312; 43, 79, 80). Im Ergebnis das gleiche gilt im Falle der Verurteilung des Angeklagten durch ein ausländisches Gericht, soweit hypothetisch eine Aburteilung der Auslandstat auch
im Inland nach deutschem Recht möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1997 – 1
StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80; Beschluss vom 2. September 1997 – 1 StR 317/97, NStZ 1998, 134;
Beschluss vom 30. Oktober 1997 – 1 StR 659/97, NStZ-RR 1998, 204; Beschluss vom 15. Dezember
1999 – 5 StR 608/99, NStZ-RR 2000, 105; Urteil vom 26. September 2007 – 1 StR 276/07, NStZ
2008, 709, 710; Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677, 2678; Fischer
- 51 -
StGB, 61. Aufl., § 55 Rn. 21b mwN). Zwar sind im Ausland verhängte Strafen der nachträglichen
Gesamtstrafenbildung über § 55 StGB nicht zugänglich, weil eine Gesamtstrafe mit einer von einem
ausländischen Gericht verhängten Strafe schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 43, 79; BGH, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 16; Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677). Die Grundsätze des
Härteausgleichs greifen demgegenüber aber Platz. Dem liegen dieselben Erwägungen zugrunde, als
wenn nach Jugendrecht und Erwachsenenrecht getrennt abgeurteilte Straftaten an sich gesamtstrafenfähig wären; auch in diesem Fall ist die Härte auszugleichen, die darin liegt, dass die Bildung einer
Gesamtstrafe aus einer Jugendstrafe und einer Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts unzulässig
ist (vgl. BGHSt 14, 287, 288; 36, 270, 272; 43, 79, 80). Auch bei der Verurteilung eines Angeklagten
in zwei verschiedenen Staaten hängt die getrennte oder gemeinsame Verurteilung von Zufälligkeiten
wie insbesondere der Art der Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit dem betroffenen
ausländischen Staat auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und dem Bestehen bi- oder multinationaler
Übereinkommen ab.
bb) Die Aburteilung der dem thailändischen Strafurteil zugrunde liegenden Taten wäre vor einem
inländischen Gericht möglich gewesen. Die Geltung deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 6 Nr. 5
StGB, wonach das deutsche Strafrecht unabhängig von dem Recht des Tatorts für den unbefugten
Vertrieb von Betäubungsmitteln im Ausland, wie etwa die Organisation von Rauschgifttransporten,
Anwendung findet (vgl. BGHSt 27, 30; 34, 334 f.). Eine Inlandsberührung der Tat resultiert hier ungeachtet der Bestimmungsorte der verfahrensgegenständlichen Rauschgiftlieferungen jedenfalls aus
der Auslieferung des Angeklagten an die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGH, Urteil vom 8 April
1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 338).
b) Härteausgleich und Anrechnung bereits erlittener Freiheitsentziehung verfolgen dem Grunde nach
verschiedene Regelungsziele.
aa) Die Gewährung eines Härteausgleichs dient der Vermeidung eines schuldinadäquaten Gesamtstrafübels, weil eine bereits vollstreckte Strafe nicht mehr gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Gesamtstrafenbildung herangezogen werden kann (BGHSt 12, 94, 95; 31, 102, 103; 33, 131, 132; 41, 310,
312; 43, 79, 80). Ob der Tatrichter den Härteausgleich durch die Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe
unter Einbeziehung der erledigten Verurteilung, die dann um die vollstreckte Strafe zu mindern ist,
vornimmt, oder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe nicht mehr
möglich ist, unmittelbar bei der neuen Festsetzung der Strafhöhe berücksichtigt, steht in seinem freien
Ermessen (BGH, Urteil vom 30. April 1997 – 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80; Urteil vom 26. September 2007 – 1 StR 276/07, NStZ 2008, 709, 710).
bb) Bei der Anrechnung bereits vollstreckter Haft gemäß § 51 StGB handelt es sich demgegenüber
eher um eine Angelegenheit der Vollstreckung. Konstitutive Wirkung kommt alleine der in den Tenor
aufzunehmenden Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB zu
(vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, NJW 1994, 1484, 1485; Beschluss vom 6.
Februar 2002 – 2 StR 489/01, StV 2002, 540; Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ
2014, 418 [insow. nicht abgedr.]). Diese ermöglicht eine angemessene Berücksichtigung des Strafübels, das dem Angeklagten durch die im Ausland erlittene Freiheitsentziehung widerfahren ist, und
der Abwägung, wie viel dieses Übel von demjenigen bereits vorweg genommen hat, mit dem das
inländische Urteil ihn belasten will (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1981 – 1 StR 648/81,
BGHSt 30, 282, 283). In dem für ihn spürbaren Strafübel soll der Angeklagte vergleichsweise so stehen, als sei der gesamte Strafvollzug im Inland erfolgt.
c) Die Anrechnungsfähigkeit der in Thailand erlittenen Haft hat das Landgericht zutreffend bejaht.
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aa) Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB wird auf eine inländische Strafe die ausländische Strafe, soweit
sie vollstreckt ist, angerechnet, wenn der Angeklagte im Ausland wegen derselben Tat bestraft worden ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Anrechnung nicht nur dann zu erfolgen hat,
wenn das ausländische und das inländische Urteil dieselbe Tat i.S. des prozessualen Tatbegriffs gemäß § 264 StPO betreffen (BGH, Urteil vom 25. Juni 1953 – 4 StR 108/53, NJW 1953, 1522; BGHSt
29, 63, 64; BGH, Urteil vom 7. Februar 1990 – 2 StR 601/89, NStZ 1990, 231, 232). Sie ist ebenso
vorzunehmen, wenn die ausländische Strafvollstreckung eine selbständige prozessuale Tat betrifft,
die im inländischen Erkenntnis nicht mitabgeurteilt wird, die aber Gegenstand des inländischen Strafverfahrens gewesen ist (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 176).
Der Regelungsgedanke des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB, der verhindern will, dass der Täter durch eine
Doppelverurteilung, zu der es kommt, weil ein früher ergangenes Strafurteil im Ausland nicht zum
Strafklageverbrauch im Inland geführt hat, schlechter gestellt wird, als wäre er für die Tat (im prozessualen Sinne) nur einmal im inländischen Verfahren verurteilt worden, beansprucht in diesem Fall
gleichermaßen Geltung. Der Angeklagte soll durch die Anrechnung der ausländischen Strafvollstreckung andererseits aber auch nicht besser stehen, als wenn Verurteilung und Vollstreckung sämtlich
im Inland erfolgt wären (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1979 – 1 StR 261/79, BGHSt 29, 63, 65; Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 176). Die Erwägung, den Täter so zu
stellen, als sei die gesamte Vollstreckung in Deutschland erfolgt, hat die Auslegung des § 51 Abs. 3
Satz 1 StGB nach dem Vorbild des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Folge, der die Anrechnung früherer
im Inland erlittener Freiheitsentziehung regelt. Danach setzt die Anrechnung (nur) voraus, dass die
Freiheitsentziehung aus Anlass einer Tat vollstreckt worden ist, die Gegenstand des Verfahrens war
oder ist. Dieses Verständnis, wonach von einem einheitlichen – über § 264 StPO hinausgehenden –
Tatbegriff in § 51 Abs. 1 und Abs. 3 StGB auszugehen ist, liegt auch deshalb nahe, weil Absatz 3
Satz 2 auf Absatz 1 der Vorschrift verweist und für die Ungleichbehandlung im In- und Ausland erlittener Haft auch sonst kein sachlicher Grund besteht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1
StR 423/87, BGHSt 35, 172, 178; LK-StGB/Theune, 12. Aufl., § 51 Rn. 21; Fischer StGB, 61. Aufl.,
§ 51 Rn. 17).
bb) Die Voraussetzungen für die Anrechnung gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 StGB liegen nach
den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts hier vor. Die dem thailändischen
Straferkenntnis zugrunde liegende(n) Tat(en) ist (sind) Gegenstand des Verfahrens geworden, weil sie
Eingang in das Ermittlungsverfahren gefunden haben, das der vorliegenden Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegt. Für die Bestimmung des Gegenstands eines Ermittlungsverfahrens ist eine
formelle Sichtweise anzulegen. Ob die Aktenlage zu einem Verfolgungswillen der Ermittlungsbehörden führt und in welchem Umfang tatsächlich Ermittlungen stattfinden, spielt dafür keine Rolle. Es
reicht vielmehr bereits aus, dass das ausländische Verfahren aktenkundig geworden und durch die
faktische Befassung damit in das inländische Verfahren eingeflossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 7.
Februar 1990 – 2 StR 601/89, NJW 1990, 1428, 1429). Soweit die dem ausländischen Erkenntnis
zugrunde liegende Tat rechtlich auch in Gestalt der Prüfung des Härteausgleichs Eingang in das Verfahren gefunden hat, kommt dem daneben kein Gewicht zu. Die in Thailand erlittene Freiheitsentziehung war daher grundsätzlich auf die vorliegend verhängte Strafe anzurechnen. Anrechnungsfähig ist
dabei dem Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB und auch des § 450a StPO entsprechend
nicht nur die Strafhaft, sondern jede Art der justizförmigen Freiheitsentziehung, also etwa auch – hier
trotz langer Zeitdauer zwischen der Inhaftierung des Angeklagten und dem Erlass des Urteils in Thailand nicht festgestellter – Untersuchungs- und Auslieferungshaft (vgl. BayObLG NJW 1963, 2238;
LK-StGB/Theune, 12. Aufl., § 51 Rn. 24).
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d) Liegen die Voraussetzungen sowohl für die Gewährung eines Härteausgleichs als auch für die Anrechnung von Auslandshaft vor, darf dies im Ergebnis aber keine ungerechtfertigte Privilegierung des
Angeklagten zur Folge haben. Eine solche läge vor, wenn dem Angeklagten die im Ausland erlittenen
Haftbedingungen über die Vornahme eines Härteausgleichs einen Strafrabatt einbringen und bei der
Anrechnung der Auslandshaft abermals zu seinen Gunsten berücksichtigt würden. Der Angeklagte
soll im Ergebnis weder besser noch schlechter stehen, als wäre das gesamte Tatgeschehen im Inland
abgeurteilt worden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 423/87, BGHSt 35, 172, 177
mwN). Es bedarf aus diesem Grunde der Entscheidung, ob die Auswirkung der Anrechnungsentscheidung bereits bei der Prüfung des Härteausgleichs Berücksichtigung finden muss oder umgekehrt
zunächst dessen ungeachtet ein Strafrabatt (auch wegen entgangener Gesamtstrafenbildung) durch
den Härteausgleich zu gewähren und ein hierdurch eingetretener Vorteil danach über die Absenkung
des – anderenfalls anzusetzenden – Anrechnungsmaßstabs auszugleichen ist. Beide Ansätze verhindern im Ergebnis gleichermaßen, dass dem Angeklagten die ausländische Haft doppelt zu Gute
kommt, fügen sich in das Rechtsgefüge aber nicht friktionslos ein. Die Berücksichtigung der Anrechnungsentscheidung bereits bei der Entscheidung über die Gesamtstrafe hat zur Konsequenz, dass
formale Vollstreckungselemente wie materielle Strafzumessungsgründe wirken. Dem Rechtsgedanken des § 51 Abs. 3 StGB ist dies grundsätzlich fremd, denn er ist nicht auf eine Herabsetzung der
Strafe angelegt, sondern auf die rein formale Anrechnung erlittenen Vollzugs. Das Bestehen einer tatund schuldangemessenen Strafe setzt die Anrechnungsentscheidung gerade voraus. Nicht weniger
angreifbar erscheint demgegenüber die vorrangige Gewährung des Härteausgleichs ohne Berücksichtigung der Anrechnungsentscheidung. Würde der erlittene Vollzug nämlich im Ergebnis zu einer
nicht vertretbaren Aushöhlung der Gesamtstrafe führen, kann dem nur durch Herabsetzung des Anrechnungsmaßstabes angemessen entgegen gewirkt werden. Die Anrechnung als solche sieht das Gesetz in § 51 StGB aber zwingend vor, sie steht nicht im Ermessen des Tatgerichts. Dem Tatrichter
kann dies im Einzelfall abverlangen, einen komplizierten Anrechnungsmaßstab zu bestimmen, um
gerade bei langjährigen Strafen angemessene Ergebnisse zu erzielen, während die Bestimmung des
Härteausgleichs nach seinem Ermessen nicht beziffert werden muss. Zu unbefriedigenden Konsequenzen führte der Vorrang des Härteausgleichs vor allem aber bei innereuropäischen Vorverurteilungen, die regelmäßig mit einem Maßstab 1 : 1 auf die im Inland verhängte Strafe anzurechnen sind.
Wurde hier aufgrund des aus der Auslandshaft resultierenden Strafübels bereits eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt, ist die Entstehung eines ungerechtfertigten Privilegs unvermeidlich, denn eine
Anrechnung der Strafe 1 : 1 hat zwingend stattzufinden. Der Angeklagte würde in diesem Fall vergleichsweise besser gestellt, als wären alle Taten im Inland abgeurteilt worden. Aus all diesen Erwägungen und insbesondere unter dem Aspekt der Praktikabilität hält der Senat die zuerst genannte Lösung für vorzugswürdig. Das Tatgericht hat die später zu treffende Anrechnungsentscheidung bereits
bei Prüfung des Härteausgleichs in den Blick zu nehmen und die Bemessung der Gesamtstrafe daran
auszurichten (vgl. auch Senat, Urteil vom 30. April 1997 – 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 82). Rechtsfehler im Rahmen der Anrechnungsentscheidung können deshalb – wie hier (nachfolgend 2.) – zur
Folge haben, dass die Gesamtstrafenbildung insgesamt rechtsfehlerhaft ist.
e) Als rechtsfehlerhaft erweist sich die Prüfung des Härteausgleichs im Übrigen auch, weil das Landgericht die in dem thailändischen Straferkenntnis ebenfalls verhängte und von dem Angeklagten vollständig bezahlte Geldstrafe (UA S. 4) unberücksichtigt gelassen hat. Diese wäre – ebenso wie die
Freiheitsstrafe – im Sinne des § 55 StGB gesamtstrafenfähig gewesen. Anders als bei der vollstreckten Freiheitsstrafe besteht eine Wechselwirkung zu der Anrechnungsentscheidung nach § 51 Abs. 3
StGB mit der Folge des dargelegten Spannungsfelds hier nicht. Der Senat kann deshalb nicht aus- 54 -
schließen, dass bereits die Berücksichtigung der hierdurch eingetretenen Härte im Ergebnis zur Verhängung einer milderen Gesamtfreiheitsstrafe geführt hätte.
2. Die von der Strafkammer vorgenommene Anrechnung der in Thailand vollstreckten Haft weist
Rechtsfehler schon im Hinblick auf die Feststellung der anrechenbaren Haftzeiten auf. Ferner lässt
das Urteil die gebotene Differenzierung zwischen den verschiedenen Haftorten vermissen.
a) Der Zeitraum der angerechneten Haftdauer wird von den Feststellungen des Urteils nicht getragen.
Ausweislich der Urteilsgründe wurde der Angeklagte in Thailand am 26. Oktober 2009 festgenommen und am 11. März 2013 nach Deutschland abgeschoben. Er kann sich in Thailand demnach nicht
länger als drei Jahre, vier Monate und zwei Wochen in Haft befunden haben. Der Tenor des angegriffenen Urteils sieht indessen die Anrechnung thailändischer Haft von insgesamt drei Jahren, sieben
Monaten und zwei Wochen auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe vor. Die Anrechnung des nach
den Feststellungen zu der tatsächlich erlittenen Haft überschießenden Zeitfensters verstößt gegen § 51
Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB. Ob insoweit die tatsächlichen Haftzeiten fehlerhaft festgestellt oder aber –
was näher liegt – die rechnerische Verlängerung der Abschiebehaft nicht bei der Strafhaft in Abzug
gebracht wurde, lässt sich dem Urteil nicht sicher entnehmen.
b) Dessen ungeachtet fehlen auch Feststellungen dazu, wie lange sich der Angeklagte an welchem
Haftort aufgehalten hat. Fand eine Inhaftierung an verschiedenen Haftorten und demnach unter verschiedenen Bedingungen statt, hat die Anrechnungsentscheidung dies in den Blick zu nehmen und die
Bestimmung des jeweiligen Maßstabes an den konkret für diesen Zeitraum festgestellten Bedingungen auszurichten (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 51 Rn. 31; NK-StGB/Kett-Straub, 4. Aufl.,
§ 51 Rn. 38 mwN).
aa) Nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB hat der Tatrichter den für die Anrechnung der im Ausland erlittenen Haft anzulegenden Maßstab nach seinem Ermessen zu bestimmen. Er hat dafür das im Ausland
erlittene Strafübel zu schätzen und in ein dem inländischen Strafensystem zu entnehmendes Äquivalent umzusetzen (vgl. RGSt 35, 41; BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 1981 – 1 StR 648/81, BGHSt
30, 282, 283 und vom 28. Januar 1986 – 1 StR 652/85, NStZ 1986, 312 f.). Maßgeblich hierfür ist die
Bewertung, wie schwer das Übel wiegt, das dem Verurteilten durch die ausländischen Strafverfolgungsmaßnahmen widerfahren ist, und wieviel dieses Übel von demjenigen schon vorweggenommen
hat, mit dem das inländische Urteil den Angeklagten belasten will; dabei ist der Maßstab zu berücksichtigen, der sich aus dem Vergleich der ausländischen mit der inländischen Strafenordnung ergibt
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 1981 – 1 StR 648/81, BGHSt 30, 282, 283 und vom 28.
Januar 1986 – 1 StR 652/85, NStZ 1986, 312 f.). Grundsätzlich ist bei Freiheitsentziehungen im Ausland, jedenfalls in Staaten der Europäischen Union, von einem Anrechnungsmaßstab 1 : 1 auszugehen; besondere Belastungen bei der ausländischen Freiheitsentziehung durch erheblich erschwerte
Haftbedingungen können im Einzelfall aber dazu führen, dass der Maßstab unter Berücksichtigung
der besonderen Umstände in einem für den Angeklagten günstigeren Verhältnis zu wählen ist. Grundlage für die Vornahme dieser Bewertung sind die Haftbedingungen im Einzelfall, also in der konkreten Haftanstalt (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 51 Rn. 31; NK-StGB/Kett-Straub, 4. Aufl., §
51 Rn. 38). In einzelnen Ländern können die Haftbedingungen von Haftanstalt zu Haftanstalt unterschiedlich sein, so dass der Tatrichter im Einzelnen auch die konkrete Haftanstalt festzustellen hat, in
der der Angeklagte inhaftiert war. Ist der Angeklagte – wie hier – an verschiedenen Haftorten inhaftiert gewesen, so hat das Tatgericht nicht nur die einzelnen Haftanstalten zu benennen und die dort
vorherrschenden Haftbedingungen festzustellen; es hat auch die konkreten Zeiträume der jeweiligen
Inhaftierung darzulegen und in seine Würdigung miteinzustellen. Nur dann besteht eine für die
rechtsfehlerfreie Ermessensausübung tragfähige Tatsachengrundlage. Anhaltspunkte für die Bewer- 55 -
tung der Relation der Hafterschwernis in ausländischen Vollzugsanstalten sind etwa die Einrichtung
und Ausgestaltung der Haftzellen, die Belegungssituation, die Vorhaltung ärztlicher Betreuung, das
Personal, Beschäftigungs- und Kontaktmöglichkeiten, das Essen und vor allem auch die hygienischen
Verhältnisse (vgl. die Nachw. bei NK-StGB/Kett-Straub, 4. Aufl., § 51 Rn. 38). Auf dieser Tatsachengrundlage hat der Tatrichter in einem zweiten Schritt für jede Inhaftierung des Angeklagten an
einem anderen Haftort in eigenständiger Gesamtwürdigung der festgestellten Umstände einen angemessenen Anrechnungsmaßstab zu bestimmen. Erweisen sich die Haftbedingungen auch bei verschiedener Unterbringung in derselben Haftanstalt als unterschiedlich stark belastend, kann im Einzelfall die Bestimmung unterschiedlicher Anrechnungsmaßstäbe – für dann konkret darzulegende
Zeiträume – angezeigt sein.
bb) Diesem Maßstab genügt das angefochtene Urteil nicht. Nach den Feststellungen war der Angeklagte spätestens seit Ende des Jahres 2009 in dem Gefängnis „Bombat“ in Bangkok inhaftiert. Ob
der bereits am 26. Oktober 2009 festgenommene Angeklagte sich vorher in einem anderen Gefängnis
befand, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Er wurde dann auf ein Verlegungsgesuch unter Einschaltung der Deutschen Botschaft in den sogenannten Infirmary Hospital Block und schließlich nach Vollverbüßung der Strafhaft zur Vollstreckung von Abschiebehaft in eine weitere Haftanstalt verlegt. Die vorherrschenden Bedingungen an diesen drei Haftorten hat das Landgericht zwar
hinreichend festgestellt. Indes lässt das Urteil aber insoweit Feststellungen dazu vermissen, wie lange
sich der Angeklagte genau in welchem Gefängnis bzw. welcher Abteilung des Gefängnisses befunden
hat. Soweit das Landgericht im Anschluss zur Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs eine einheitliche Würdigung der Hafterschwernis vorgenommen hat und unterschiedslos zu der Bestimmung eines
Anrechnungsmaßstabs gelangt ist, lässt dies besorgen, dass das Landgericht die dargelegten Rechtsgrundsätze verkannt und von dem ihm in § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB eingeräumten Ermessen fehlerhaft
Gebrauch gemacht hat. Die getroffene Anrechnungsentscheidung kann bereits deshalb keinen Bestand haben.
3. Die vorbenannten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Gesamtstrafe und über die Anrechnung der in Thailand erlittenen Freiheitsentziehung; aufgrund des dargelegten Widerspruchs waren auch die zughörigen Feststellungen aufzuheben. Das neue Tatgericht wird
unter Beachtung der dargelegten Grundsätze die zu treffende Anrechnungsentscheidung bereits bei
der Bemessung der Gesamtstrafe in den Blick zu nehmen haben. Sollten im Hinblick auf die Zeiträume der Inhaftierung des Angeklagten in den einzelnen Gefängnissen präzisierende Feststellungen
nicht getroffen werden können, hätte das neue Tatgericht zugunsten des Angeklagten von der
höchstmöglichen Aufenthaltsdauer des Angeklagten in dem Gefängnis mit den schlechtesten Bedingungen auszugehen und diese so taggenau zu bestimmen. Im Hinblick auf die im Urteil geschilderten
Haftbedingungen weist der Senat darauf hin, dass der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit für die
Anrechnung in Thailand erlittener Haft auch schon einen vom Tatgericht angelegten Maßstab von 1 :
3 für rechtsfehlerfrei erachtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2011 – 4 StR 514/11). Die
Höhe des jeweiligen Anrechnungsmaßstabs für die verschiedenen Haftzeiten hat der neue Tatrichter
unter jeweils eigenständiger Gesamtwürdigung der festgestellten Haftbedingungen zu bestimmen.
Der für jeden Inhaftierungszeitraum neu festzulegende Anrechnungsmaßstab ist in die Urteilsformel
aufzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 1982 – 3 StR 56/82, NStZ 1982, 326; Beschluss
vom 26. Mai 1983 – 4 StR 265/83, NStZ 1983, 455; Urteil vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 423/87,
BGHSt 35, 172, 177). Im Übrigen wird der neue Tatrichter bei der Prüfung eines Härteausgleichs
auch die – im Urteil nicht bezifferte, aber vollständig bezahlte – Geldstrafe erkennbar zu bedenken
haben.
- 56 -
StGB § 52, § 53 Tateinheit bei Organisationsdelikten
BGH, Beschl. v. 14.10.2014 – 3 StR 365/14 - NStZ 2015, 334
Bei Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter im Rahmen einer Tatserie bestimmt sich die Zahl der
rechtlich selbständigen Handlungen im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB für jeden Täter grundsätzlich
nach der Anzahl seiner eigenen Handlungen zur Verwirklichung der Einzeldelikte. Wirkt ein Täter
an einzelnen Taten anderer Beteiligter selbst nicht unmittelbar mit, sondern erschöpfen sich seine
Tatbeiträge hierzu im Aufbau und in der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten
"Geschäftsbetriebes", sind diese Tathandlungen als - uneigentliches - Organisationsdelikt zu einer
einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Von dieser Handlungseinheit
sind nur die Fälle ausgenommen, in denen der Täter selbst einen individuellen Tatbeitrag erbringt.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Oktober 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 14. März 2014, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Betruges in acht Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 20 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen
und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344
Abs. 2 Satz 2 StPO). Die allgemein erhobene Sachbeschwerde hat zum Schuldspruch teilweise Erfolg; im Übrigen
ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte - zusammen mit den Mitangeklagten - an dem
Vertrieb eines "Finanzierungsmodells" beteiligt, bei dem Kunden gegen Vorleistung von "Zinsvorauszahlungen" und
"Aufwandsentschädigungen" versprochen wurde, nach einigen Monaten hohe zins- und tilgungsfreie Darlehen zu
erhalten. Tatsächlich kam es den Angeklagten allein darauf an, die Vorabzahlungen der Kunden zu vereinnahmen
und für sich zu verbrauchen; das "Finanzierungsmodell" diente nach der Vorstellung der Angeklagten der Täuschung
der Geschädigten und war - was allen Angeklagten klar war - von vornherein nicht zu realisieren. Der Angeklagte
war vor allem für die Kundengewinnung zuständig und setzte hierfür auch die für ihn bereits zuvor tätigen Vermittler
- unter anderem die nicht revidierenden Mitangeklagten M. und Me. - ein, die anfangs von dem Mitangeklagten H. in
das "Finanzierungmodell" eingewiesen worden waren. Zur Täuschung der Kunden entwarf der Angeklagte eine
Excel-Tabelle, die nach seiner Anweisung von den Vermittlern zur Erläuterung des "Finanzierungsmodells" verwendet wurde, um bei den Kunden mittels eines Zahlenwerkes den Eindruck zu erwecken, mit einer relativ geringen
Vorauszahlung sei eine sehr hohe Auszahlungssumme zu erreichen.
2. Soweit das Landgericht (auch) in den Einzelfällen einen jeweils rechtlich selbständigen Betrug des Angeklagten
gemäß § 53 Abs. 1 StGB angenommen hat, in denen er nicht selbst, sondern (allein) seine Vermittler gehandelt hatten (II. 3., Fälle 7, 9 bis 11, 13, 14, 16, 17, 19 bis 21, 24 und 25 der Urteilsgründe), kann der Schuldspruch nicht
bestehen bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich bei Zusammenarbeit mehrerer
Beteiligter im Rahmen einer Tatserie die Zahl der rechtlich selbständigen Handlungen im Sinne von § 53 Abs. 1
StGB für jeden Täter grundsätzlich nach der Anzahl seiner eigenen Handlungen zur Verwirklichung der Einzeldelikte. Wirkt ein Täter an einzelnen Taten anderer Beteiligter selbst nicht unmittelbar mit, sondern erschöpfen sich seine
Tatbeiträge hierzu im Aufbau und in der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten "Geschäftsbetriebes", sind diese Tathandlungen als - uneigentliches - Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52
Abs. 1 StGB zusammenzufassen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2009 - 2 StR 160/09, StV 2010, 363,
vom 14. November 2012 - 3 StR 403/12, StV 2013, 386 und vom 23. Mai 2013 - 2 StR 555/12, wistra 2013, 389).
Von dieser Handlungseinheit sind nur die Fälle ausgenommen, in denen der Täter selbst einen individuellen Tatbeitrag erbringt. Danach sind hier für den Angeklagten alle festgestellten Einzelfälle des Betruges, in denen allein seine
Vermittler tätig waren - abweichend von der konkurrenzrechtlichen Würdigung durch das Landgericht und entgegen
- 57 -
der Auffassung des Generalbundesanwalts - rechtlich als unselbständige Teile eines derartigen Organisationsdelikts
zu bewerten. Daraus folgt, dass sich der Angeklagte lediglich in insgesamt acht rechtlich selbständigen Fällen (zusätzlich zum Organisationsdelikt in den Fällen 2 bis 6, 22 und 23 der Urteilsgründe) des Betruges schuldig gemacht
hat. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab (§ 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 Abs. 1 StPO steht dem
nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 7, 9 bis 11, 13, 14, 16, 17, 19
bis 21, 24 und 25 der Urteilsgründe. Für das einheitliche Organisationsdelikt setzt der Senat die höchste der in den
vorgenannten Fällen durch das Landgericht verhängten Einzelstrafen (Fall 25 der Urteilsgründe), mithin eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren neu fest (§ 354 Abs. 1 StPO analog; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 354
Rn. 27 mwN). Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe hat gleichwohl Bestand. Angesichts der weiteren rechtsfehlerfrei zugemessenen und daher verbleibenden - Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren (Fall 23), einem Jahr
und neun Monaten (Fall 22), einem Jahr und sechs Monaten (Fall 3), einem Jahr und drei Monaten (Fall 2), zweimal
einem Jahr (Fälle 5 und 6) sowie von neun Monaten (Fall 4) kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei
zutreffender rechtlicher Würdigung eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe als die verhängte von zwei Jahren und neun
Monaten zugemessen hätte.
StGB § 55 Nachträgliche Gesamtstrafe auch bei falschem früheren Urteil
BGH, Beschl. v. 17.12.2014 - 4 StR 486/14 - NStZ 2015, 334
Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB knüpft allein an der Rechtskraft
der früheren Verurteilung an. Die (sachliche) Richtigkeit dieser Entscheidung hat das neu entscheidende Gericht grundsätzlich nicht zu prüfen.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 17. Dezember 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4, § 354 Abs. 1b StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 2. April 2014 im Ausspruch
über die gegen diesen Angeklagten verhängte Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche
gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe(n) nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO
zuständigen Gericht vorbehalten.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Beihilfe zum Betrug in vier Fällen unter Einbeziehung der durch das
Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. August 2012 verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.
Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Gesamtstrafausspruchs Erfolg.
1. Die Entscheidung des Landgerichts über die Bildung der (nachträglichen) Gesamtstrafe hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Strafkammer hat in die von ihr gebildete Gesamtfreiheitsstrafe die hier verhängten vier Einzelfreiheitsstrafen
von zwei Mal einem Jahr sowie elf und acht Monaten und – gemäß § 55 Abs. 1 StGB – die im Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. August 2012 wegen neun Fällen der Steuerhinterziehung verhängten Einzelfreiheitsstrafen von
sechs Monaten bis zu einem Jahr und vier Monaten einbezogen. Von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe unter
Einbeziehung der im Strafbefehl des Amtsgerichts Recklinghausen am 11. Januar 2012 wegen Betruges verhängten
Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 € hat es gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen, weil anhand der dort
„getroffenen Feststellungen Gehalt und Ausmaß der Schuld des Angeklagten … nicht zu bestimmen“ seien und die
„Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls schon die Verurteilung wegen Betruges nicht“ tragen (UA S. 76).
b) Mit dieser Begründung durfte das Landgericht von der Einbeziehung der in dem Strafbefehl verhängten Geldstrafe
nicht absehen. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB knüpft – soweit hier von Bedeutung
– allein an der Rechtskraft der früheren Verurteilung an. Die (sachliche) Richtigkeit dieser Entscheidung hat das neu
entscheidende Gericht grundsätzlich nicht zu prüfen (vgl. SSW-StGB/Eschelbach, 2. Aufl., § 55 Rn. 14 f.; Rissingvan Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 4 jeweils mwN; zur früheren Verurteilung trotz eines entgegenstehenden
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Verfahrenshindernisses auch: BGH, Urteil vom 11. November 1955 – 1 StR 409/55, BGHSt 8, 269, 271; Urteil vom
10. August 1982 – 5 StR 412/82, wistra 1982, 227, 228; anders bei einer auch der Gesamtstrafenbildung als solcher
entgegenstehenden Verfahrensvoraussetzung: BGH, Beschluss vom 12. August 1997 – 4 StR 345/97, NStZ-RR
1998, 6). Dieser Grundsatz kann – entgegen der Ansicht der Strafkammer – auch nicht im Rahmen der Entscheidung
gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB umgangen werden, zumal das dort eingeräumte Ermessen (allein) nach Strafzumessungsgesichtspunkten auszuüben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2002 – 1 StR 142/02, NStZ-RR 2002, 264;
SSW-StGB/Eschelbach, aaO, § 53 Rn. 14). Hinzu kommt, dass die Annahme des Landgerichts, die im Strafbefehl
vom 11. Januar 2012 getroffenen Feststellungen seien für die Bestimmung von „Gehalt und Ausmaß der Schuld des
Angeklagten“ nicht ausreichend, Zweifeln begegnet.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte durch die Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des
Amtsgerichts Essen vom 15. August 2012 beschwert ist. Denn die dort verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren war zur Bewährung ausgesetzt worden und es ist nicht von vorneherein – etwa aus Rechtsgründen – ausgeschlossen, dass im Fall der Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 11. Januar 2012 auch im vorliegenden Verfahren eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe verhängt wird.
2. Die Entscheidung über die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe kann gemäß § 354 Abs. 1b StPO im Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO erfolgen, da das Urteil im Übrigen keinen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler aufweist (§ 349 Abs. 2 StPO). Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf
es nicht; ergänzende Feststellungen können jedoch getroffen werden.
StGB § 56 Besondere Umstände, Sozialprognose
BGH, Beschl. v. 06.08.2014 – 2 StR 255/14 - BeckRS 2014, 17467
Es ist rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB zu verneinen,
ohne sich zuvor mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach §
56 Abs. 1 StGB zu stellen ist.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3. auf dessen
Antrag, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. August 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 17. Januar 2014 hinsichtlich
dieses Angeklagten aufgehoben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe
zur Bewährung auszusetzen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in
Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte
Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen
Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Verfahrensrüge bleibt aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg; die Sachrüge führt zur Aufhebung der Bewährungsentscheidung.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe habe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können, „da sie mehr als ein Jahr betrug und keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorlagen“. Dazu hat es auf die bei der Strafzumessungsentscheidung genannten Strafmilderungsgründe Bezug genommen
und angemerkt, diese ergäben weder einzeln noch in der Gesamtschau besondere Umstände in diesem Sinne.
2. Die Begründung der Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung trägt nicht. Das Landgericht hat die Prüfung
versäumt, ob zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach
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der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten
sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB). Dies ist stets vorrangig zu prüfen, denn zu den besonderen Umständen im Sinne des
§ 56 Abs. 2 Satz 1 StGB können auch solche gehören, die bereits für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB von Bedeutung sind, ferner solche Umstände, die erst nach der Tat eingetreten sind (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März
2014 - 2 StR 4/14, NStZ-RR 2014, 138 f.). Es ist rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2
Satz 1 StGB zu verneinen, ohne sich zuvor mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2012 - 3 StR 305/12, StV 2013,
85). Auf diesem Mangel kann die Entscheidung beruhen, weil nicht auszuschließen ist, dass das Tatgericht dem
erstmalig zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Angeklagten, dessen frühere, nicht einschlägige Straftaten nur zu Auflagen nach Jugendstrafrecht geführt haben und bereits mehrere Jahre zurückliegen, eine günstige Kriminalprognose
gestellt und - bei Würdigung dieses Gesichtspunkts im Rahmen des § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB - die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hätte. Über die Bewährungsfrage ist daher nochmals zu befinden. Einer Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Hierzu
nicht in Widerspruch stehende ergänzende Feststellungen sind zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 1 StR 343/12, StV 2013, 84, 85).
StGB § 56b / StPO § 257c, MRK Art. 6 Abs. 1 Hinweis auf Bewährungsauflagen
BGH, Beschl. V. 11.09.2014 – 4 StR 148/14 - NJW 2014, 3173 = NStZ 2014, 665
LS: Die Verhängung einer Bewährungsauflage gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB verstößt gegen den
Grundsatz des fairen Verfahrens und unterliegt im Beschwerdeverfahren der Aufhebung, wenn der
Angeklagte vor Vereinbarung einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, nicht auf konkret in Betracht
kommende Bewährungsauflagen hingewiesen worden ist (Fortführung von BGH, Beschluss vom 29.
Januar 2014 – 4 StR 254/13).
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 11. September 2014 gemäß §§ 305a, 349 Abs. 2, § 464 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 22. Oktober 2013 wird als unbegründet verworfen.
2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in dem vorbezeichneten
Urteil wird verworfen.
3. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Münster vom 22. Oktober 2013 aufgehoben, soweit dem Angeklagten mit diesem auferlegt worden ist, „150 Sozialstunden“ zu erbringen; die Anordnung
entfällt.
Die weiter gehende Beschwerde wird verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten der Revision (Ziff. 1) und der sofortigen Beschwerde (Ziff. 2) zu tragen. Die Kosten der Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. Oktober 2013 (Ziff. 3) und die dem Angeklagten in diesem Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 22. Oktober 2013 war als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Die sofortige Beschwerde gegen die in dem vorbezeichneten Urteil getroffene Kostenentscheidung ist unbegründet, weil diese Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht (§ 464 Abs. 3 StPO).
3. Die gemäß § 305a StPO zulässige Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss nach § 268a StPO ist überwiegend begründet.
a) Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 22. Oktober 2013 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
und drei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Im Anschluss an
die Urteilsverkündung hat es folgenden Beschluss verkündet:
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„ 1.) Die Bewährungszeit beträgt 4 Jahre.
2.) … (betrifft nicht den Angeklagten).
3.) Die Angeklagten K., Kr. und R. werden angewiesen Sozialstunden zu erbringen und zwar … R. : 150 Std.“
Dem Urteil liegt eine Verständigung zugrunde, nach deren Inhalt dem Angeklagten R. eine „Gesamtfreiheitsstrafe in
einem Rahmen von einem Jahr (Strafuntergrenze) und einem Jahr und sechs Monaten (Strafobergrenze)“ bei Strafaussetzung zur Bewährung in Aussicht gestellt worden ist. Die Angeklagten sollten der Wirtschaftsstrafkammer
„weiter für Fragen zur Verfügung stehen und die Taten, soweit nicht bereits geschehen, qualifiziert gestehen“. Mögliche Bewährungsauflagen waren nicht Gegenstand der Verständigungsgespräche. Nach Annahme der Verständigung
haben sich „alle Angeklagten … weiter geständig zur Sache eingelassen“ (UA S. 32). Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Januar 2014 hat der Angeklagte gegen den Bewährungsbeschluss Beschwerde eingelegt, mit der er
geltend macht, dass insbesondere die dem Angeklagten erteilte Anweisung, 150 Sozialstunden zu erbringen, gesetzwidrig sei. Da die Auflage nicht in die Verständigung einbezogen worden sei, verstoße das Vorgehen des Gerichts
gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Diese Beanstandung hat der Angeklagte nur im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erhoben. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
b) Die Anordnung der Dauer der Bewährungszeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 56a Abs. 1 StGB. Soweit die
Wirtschaftsstrafkammer dem Angeklagten auferlegt hat, 150 Sozialstunden zu erbringen, ist die Anordnung jedoch
gesetzwidrig im Sinne des § 305a Abs. 1 Satz 2 StPO.
aa) Die „Anweisung“ des Landgerichts stellt eine Auflage im Sinne des § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB dar, durch
deren Verhängung der Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6
Abs. 1 EMRK) verletzt worden ist. Die Gesetzwidrigkeit einer Anordnung im Sinne des § 305a StPO kann sich nicht
nur aus ihrem Inhalt, sondern – wie hier – auch aus der Art und Weise ihres Zustandekommens ergeben (OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239; SK-StPO/Frisch, 4. Aufl., § 305a Rn. 13). Aus der Gewährleistung eines fairen Verfahrens ergibt sich, dass der Angeklagte vor Vereinbarung einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, konkret auf in Betracht kommende
Bewährungsauflagen hingewiesen werden muss, die nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist (vgl. BGH,
Beschluss vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13, NJW 2014, 1831; OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239; OLG
Köln, NJW 1999, 373; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 257c Rn. 12; MüKoStGB/Groß, 2. Aufl., § 56b
Rn. 35; Hubrach in LK-StGB, 12. Aufl., § 56b Rn. 30; SK-StPO/Frisch, 4. Aufl., § 305a Rn. 13; aA OLG Dresden,
NStZ-RR 2007, 267; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 56b Rn. 28; Kaetzler, wistra 1999, 253,
255). Die Verständigung im Strafverfahren ist nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren,
wenn durch eine vorherige Belehrung sichergestellt ist, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist. Nur in diesem Fall ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er
von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt (BVerfG,
NJW 2013, 1058, 1071; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310, S. 14, 15). Diese Grundsätze erfordern es, dass das Gericht
vor Vereinbarung einer Verständigung offenlegt, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Denn nur wenn der Angeklagte über den gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung bei der Verständigung informiert ist, kann er autonom eine Entscheidung über seine Mitwirkung
treffen (OLG Saarbrücken, NJW 2014, 238, 239). Bewährungsauflagen sind Bestandteil dieser Rechtsfolgenerwartung. Sie dienen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht und stellen damit eine
strafähnliche Sanktion dar (Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, aaO, § 56b, Rn. 1, 2; Arloth, NStZ 1990, 148, 149).
Ebenso wie Geldauflagen können Arbeitsauflagen eine erhebliche Belastung für den Angeklagten darstellen, zumal
diese in Zahlungsauflagen umgewandelt werden können. Erst die Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter drohen, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer
hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen.
bb) Diesen Anforderungen hat die Wirtschaftsstrafkammer nicht entsprochen. Das Gericht hat im Rahmen der Verständigungsgespräche nicht darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Verhängung einer Arbeitsauflage
erforderlich ist. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Angeklagte sich schon vor Abschluss der Verständigung „weitgehend“ geständig eingelassen hatte. Das Landgericht hat sich in der Verständigung zusichern lassen,
- 61 -
dass der Angeklagte „weiter für Fragen zur Verfügung stehen und die Taten, soweit noch nicht geschehen, qualifiziert gestehen“ werde. Dies ist im Anschluss an die Verständigung auch geschehen (UA S. 32). Der Angeklagte
stand deshalb vor der Entscheidung, ob er sich auf diese Bedingung des Gerichts einlässt. Diese Entscheidung konnte
er nicht auf der Grundlage der Kenntnis der gesamten Rechtsfolgenerwartung treffen, weil die Wirtschaftsstrafkammer ihn nicht zuvor darauf hingewiesen hatte, dass Bewährungsauflagen in Betracht kommen. Maßstab für die Beschwerdeentscheidung ist allein, ob die getroffene Anordnung rechtswidrig ist; daher kommt es auf die Frage, ob
„eine Ursächlichkeit der fehlenden Belehrung über etwaige Bewährungsauflagen für das Geständnis ausgeschlossen
werden“ kann (vgl. die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Mai 2014, S. 7, unter Bezugnahme auf das
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. August 2013 – 5 StR 253/13, BGHR StPO § 257c Abs. 5 Belehrung 3), nicht
an.
cc) Die Auflage in Ziff. 3 des Bewährungsbeschlusses muss daher entfallen (§ 309 Abs. 2 StPO).
c) Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss beruht auf §
473 Abs. 4 StPO. Der Umstand, dass die Beschwerde zurückzuweisen war, soweit sie sich gegen die Anordnung der
Dauer der Bewährungszeit gerichtet hat, rechtfertigt keine Beteiligung an den Kosten des Rechtsmittels.
StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Besondere Schuldschwere
BGH, Urt. v. 18.06.2014 - 5 StR 60/14 - NStZ 2014, 511
Bei der Prüfung der besonderen Schuldschwere hat sich das Tatgericht an den für die Strafzumessungsschuld im Sinne von § 46 StGB geltenden Regeln zu orientieren. Dementsprechend kann nach
den hierfür von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auch das Nachtatverhalten bei der
Frage zu berücksichtigen sein, ob Umstände von Gewicht die Annahme besonderer Schuldschwere
indizieren, wenn ein innerer Zusammenhang mit dem Schuldvorwurf besteht und sichere Schlüsse
auf die Einstellung des Täters zur Tat möglich sind.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 5. August 2013 aufgehoben, soweit das Landgericht die besondere Schwere der Schuld verneint hat. Im Umfang der Aufhebung wird die
Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist durch Beschluss des Senats vom 12.
März 2014 verworfen worden. Gegen das Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, soweit das Landgericht die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten verneint hat (§ 57a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat Erfolg.
1. Das Landgericht ist im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen und Wertungen gekommen:
a) Der Angeklagte war mit seiner Ehefrau seit 1985 verheiratet und hatte mit ihr zehn Kinder. Nach seiner Rückkehr
von einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt war seine Frau nicht mehr zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft bereit. Der Angeklagte wollte sie aber unbedingt dazu bewegen, wieder mit ihm zusammenzuleben. Er verfiel
auf die Idee, sie in einen Zustand zu versetzen, in dem sie auf seine Unterstützung bei der Haushaltsführung und der
Erziehung der Kinder angewiesen sein würde. Zu diesem Zweck zerstieß er Tabletten eines hochwirksamen und
potentiell lebensgefährlichen Neuroleptikums in kleine Stücke. Das Pulver gab er seiner damals zwölfjährigen Tochter T. und täuschte vor, es handele sich um Zucker. Das Mädchen glaubte seinem Vater und mischte, dessen Weisungen folgend, das Medikament dem Tee der Mutter bei. Die unbemerkte Aufnahme des Medikaments führte bei
dieser im Oktober und Anfang November 2012 zu schwerwiegenden Ausfallerscheinungen, die eine ärztliche Behandlung notwendig machten. Das Mädchen ahnte, dass die Krankheit der Mutter mit den Beimischungen in Zusammenhang stehen könnte, und stellte diese ein. Der Gesundheitszustand der Mutter besserte sich. Nachdem der
Angeklagte am 16. November 2012 erfahren hatte, dass seine Ehefrau die Scheidung betrieb, beschloss er, sie zu
töten, falls sie nicht zu ihm zurückkehre. In der Kirche, in der sie als Küsterin arbeitete, versteckte er seine Vorderschaftrepetierflinte. Vermutlich nach einem gescheiterten letzten Versöhnungsversuch trat er von hinten an seine sich
- 62 -
keines Angriffs versehende Frau heran. Als sie gerade die Tür zur Sakristei absperrte, tötete er sie mit einem Schuss
in den Hinterkopf aus der herbeigeholten Waffe. Seine Tochter T. und sein damals 20-jähriger Sohn R. hatten vor der
Kirche gewartet. Sie hörten den Schuss, eilten in die Kirche und erblickten ihre blutüberströmt am Boden liegende
Mutter. Der Angeklagte forderte seine schockierten und völlig aufgelösten Kinder „mit einem energischen Ton“ auf,
ihm zu helfen, die Leiche wegzutragen und sauberzumachen (UA S. 22). Mit R. trug er die Leiche in den Keller der
Kirche. Auch T. half zunächst mit, weil die Leiche schwer war und R. aufgrund seines traumatisierten Zustands fast
zusammenbrach. Danach wischten alle drei beträchtliche Mengen Blut sowie Gewebeteile auf und spülten diese in
die Toilette. Anschließend flüchtete der Angeklagte mit beiden Kindern im Auto nach Österreich, kehrte jedoch zwei
Tage später nach Deutschland zurück und stellte sich der Polizei. Nach seiner Festnahme wurde der Angeklagte zur
Beobachtung im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. In deren Verlauf übergab er dem psychiatrischen
Sachverständigen einen mehrseitigen Brief, in dem er seinen Sohn bezichtigte, die Mutter getötet zu haben, weil
dieser sich von ihr schlecht behandelt gefühlt habe. Es sei in der Kirche zwischen ihm und R. zu einem Handgemenge gekommen, bei dem ihm R. die Waffe entrissen habe. R. sei zur Mutter gelaufen und habe sie erschossen. Zur
Beimischung des Medikaments bekundete er gegenüber dem Sachverständigen, er habe das Pulver von R. bekommen und es für Süßstoff gehalten. In diesem Glauben habe er es T. zur Weiterreichung an seine Ehefrau gegeben.
Die Tabletten müsse R. zerkleinert haben, möglicherweise als Anschlag auf seine Mutter.
b) Die Schwurgerichtskammer hat die Tötung der Ehefrau des Angeklagten als Heimtückemord gewertet. Das
Mordmerkmal des Handelns aus niedrigen Beweggründen hat sie verneint, weil sich der Angeklagte auch in Verzweiflung befunden habe. Die besondere Schuldschwere hat sie unter anderem im Blick auf eine bei ihm diagnostizierte narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung abgelehnt. Dass der Angeklagte seinen Sohn R. hinsichtlich beider
Taten der Täterschaft bezichtigt habe, sei zulässiges und deswegen nicht berücksichtigungsfähiges Verteidigungsverhalten. Zudem habe er in der Hauptverhandlung geschwiegen und daher die Vorwürfe nicht wiederholt. Die Mithilfe seiner Kinder bei der Spurenbeseitigung und dem Wegtragen der Leiche habe er nicht geplant und seine Kinder
auch nicht dazu gezwungen. Die gefährliche Körperverletzung und der Mord stünden nicht „in kriminologischem
Zusammenhang“ und seien von unterschiedlicher Zielrichtung geprägt. Auch bei einer zusammenfassenden Bewertung beider Taten sei die Annahme besonderer Schuldschwere deshalb nicht geboten.
2. Die Ablehnung der besonderen Schuldschwere im Sinne der § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 57b StGB hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Zwar ist dem Revisionsgericht dabei eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; jedoch ist auf die Sachrüge zu prüfen, ob das Tatgericht alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 370; Urteile vom
1. Juli 2004 – 3 StR 494/03, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 25; vom 9. Oktober 2008 – 4 StR 354/08,
NStZ 2009, 203, 204, und vom 27. Juni 2012 – 2 StR 103/12, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 27). Daran
fehlt es hier in mehrfacher Hinsicht.
a) Bei der Prüfung der besonderen Schuldschwere hat sich das Tatgericht an den für die Strafzumessungsschuld im
Sinne von § 46 StGB geltenden Regeln zu orientieren (vgl. LK/Hubrach, 12. Aufl., § 57a Rn. 16 mwN). Dementsprechend kann nach den hierfür von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. LK/Theune, 12. Aufl., § 46
Rn. 197 ff.) auch das Nachtatverhalten bei der Frage zu berücksichtigen sein, ob Umstände von Gewicht (vgl. BGH,
Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 2/94, aaO) die Annahme besonderer Schuldschwere indizieren, wenn ein
innerer Zusammenhang mit dem Schuldvorwurf besteht und sichere Schlüsse auf die Einstellung des Täters zur Tat
möglich sind. Nach diesen Maßstäben hat die Schwurgerichtskammer die von Seiten des Angeklagten erfolgte
Falschbezichtigung seines Sohnes auch eingedenk des dem Tatgericht in diesem Bereich zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 1995 – 1 StR 69/95, StV 1995, 633, 634; LK/Theune, aaO, § 46 Rn.
210 mwN) zu Unrecht als zulässiges Verteidigungsverhalten gewertet und daher nicht in seine Schuldschwereabwägung eingestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann dem Angeklagten ein Verhalten gegenüber Zeugen oder Mitangeklagten ausnahmsweise dann angelastet werden, wenn es eindeutig die Grenzen angemessener Verteidigung überschreitet und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Haltung zulässt; dies kann etwa
dann anzunehmen sein, wenn der Angeklagte einen völlig Unschuldigen der Tatbegehung bezichtigt (vgl. BGH,
Urteil vom 22. Januar 1974 – 1 StR 593/73, MDR bei Dallinger 1974, 721; Beschlüsse vom 21. April 1995 – 1 StR
69/95, aaO; vom 22. März 2007 – 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463; LK/Theune, aaO, § 46 Rn. 210 f.). So liegt der Fall
hinsichtlich beider Taten hier. Die besonders verwerfliche Einstellung des Angeklagten (vgl. dazu BGH, Urteil vom
14. November 1990 – 3 StR 160/90, NStZ 1991, 181, 182) kommt dabei augenfällig dadurch zum Ausdruck, dass
dieser seinen eigenen Sohn, der ihm ergeben (UA S. 8) und durch den Verlust der Mutter sowie die vom Angeklag-
- 63 -
ten „energisch“ befohlene Mitwirkung beim Wegtragen der Leiche und der Säuberung des Tatorts ohnehin traumatisiert war, als Alleinverantwortlichen für die Vergiftung und Tötung der Mutter bezeichnet hat. Zwar hat der in der
Hauptverhandlung schweigende Angeklagte seine Vorwürfe dort nicht dezidiert wiederholt. Dies lässt sein Verhalten
aber schon deswegen nicht in einem entscheidend milderen Licht erscheinen, weil sie dort – ihm zurechenbar – insbesondere im Zusammenhang mit der Vernehmung des psychiatrischen Sachverständigen zentraler Gegenstand der
Erörterung waren, was sich auch in breiten Ausführungen in den Urteilsgründen niedergeschlagen hat (UA S. 44 ff.,
58 ff.).
b) Die bewusste und energische Instrumentalisierung seiner Kinder bei der Spurenbeseitigung am Tatort und die –
von der Schwurgerichtskammer in diesem Zusammenhang trotz ihrer Wesentlichkeit überhaupt nicht erörterten –
auch dadurch verursachten psychischen Beeinträchtigungen seiner Tochter (UA S. 23, 49) und seines Sohns, die bei
diesem eine 17 Wochen dauernde stationäre Behandlung und eine anschließende ambulante Therapie erforderlich
machten, sind allein für sich genommen Umstände von besonderem Gewicht, die bei der Prüfung der § 57a Abs. 1
Nr. 2, § 57b StGB zu würdigen gewesen wären. Die Überlegungen der Schwurgerichtskammer zum Fehlen hypothetisch noch weiter schulderhöhend wirkender Umstände (Zwang, Einbindung der Kinder als Teil eines vorgefassten
Tötungsplans) vermögen in Bezug auf die festgestellten und den Angeklagten bereits für sich genommen außerordentlich schwer belastenden Strafzumessungstatsachen keine schuldmindernde Wirkung zu entfalten.
c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es schließlich, dass das angefochtene Urteil der vorhergehenden,
von der Schwurgerichtskammer mit einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren geahndeten Vergiftung des Opfers
mangels „unmittelbaren zeitlichen oder auch nur situativen Kontexts“ (UA S. 97) einen hinreichenden Zusammenhang mit dem später verübten Mord abspricht und sie deshalb gar nicht in Ansatz bringt. Die zeitlich nicht weit auseinanderliegenden Taten sind dadurch gekennzeichnet, dass der Angeklagte seine Interessen unter Verletzung von
Leib und Leben desselben Opfers und seine Kinder instrumentalisierend durchzusetzen bestrebt war. Dass es ihm
zunächst um die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft und nach Nichterreichen dieses Ziels um die Vernichtung des Lebens seiner Ehefrau gegangen ist, stellt den erforderlichen inneren („kriminologischen“) Zusammenhang (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. August 2001 – 3 StR 162/01) deshalb nicht in Frage.
d) Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die Schwurgerichtskammer bei der Prüfung der Schuldschwere nicht
berücksichtigt hat, dass der Angeklagte die Taten während laufender Bewährung aus seiner Verurteilung zu einem
Jahr Freiheitsstrafe wegen Misshandlung seiner schwerbehinderten Tochter E. L. begangen hat.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht auch in Anbetracht der Persönlichkeitsakzentuierung des
Angeklagten, die fraglos einen gewichtigen Milderungsgrund darstellt, gleichwohl zur Annahme der besonderen
Schwere der Schuld gelangt wäre, wenn es die genannten Umstände rechtsfehlerfrei gewürdigt und abgewogen hätte.
Da lediglich Wertungsfehler inmitten stehen, können die Feststellungen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
4. Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, dass das Tatgericht einen Ermessensspielraum hat, ob es
die besondere Schuldschwere schon bei der Würdigung des Mordes prüft sowie gegebenenfalls feststellt und dann in
einem zweiten Schritt hinsichtlich der Gesamtstrafe die gefährliche Körperverletzung als weiteren schulderhöhenden
Umstand bewertet (§ 57b StGB) oder ob es die besondere Schuldschwere in einer Gesamtwürdigung nur in Bezug
auf die Gesamtstrafe erörtert (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1996 – 3 StR 469/96, NJW 1997, 878 mwN;
siehe auch BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 4 StR 354/08, NStZ 2009, 203, 204).
StGB § 63 Anordnung gegenüber einem bereits Untergebrachten
BGH, Urt. v. 16.10.2014 - 3 StR 329/14 - StV 2015, 217
Die wiederholte Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB gegenüber einem bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der nochmalige
Maßregelausspruch setzt jedoch voraus, dass dieser in besonderer Weise mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit in Einklang steht. Hierbei geht es nicht um den Gesichtspunkt der Angemessenheit der Rechtsfolge, wie ihn § 62 StGB dahin umschreibt, dass der Maßregelausspruch nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten
sowie dem Grad seiner Gefährlichkeit stehen darf. Maßgeblich ist vielmehr, ob die erneute Unter- 64 -
bringungsanordnung zur Einreichung des Maßregelziels der Besserung und Sicherung geeignet und
erforderlich ist, weil von ihr Wirkungen ausgehen, die der erste Maßregelausspruch nach § 63 StGB
nicht zeitigt.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Oktober 2014 für Recht erkannt: Die Revision
der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 23. Januar 2014 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen
Beanstandungen. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Beschuldigte, der schon zuvor - überwiegend wegen Betrugs
- zu zahlreichen Freiheitsentziehungen verurteilt worden war, zwischen 1991 und 2006 neun schwere Raubstraftaten.
Sie waren sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass sich der Beschuldigte zuvor im Vollzug einer Freiheitsentziehung
in einer Phase wachsender innerer Unruhe befunden hatte und aus dem Strafvollzug entwichen war. Er überfiel sodann jeweils weibliches Verkaufspersonal in Ladengeschäften, bedrohte die Opfer zumeist mit einem Messer und
raubte oder erpresste auf diese Weise Geld. Wegen sieben der Taten wurde er vom Landgericht Bremen 1992, 1993
und 1998 jeweils zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Strafkammern konnten dabei jeweils nicht ausschließen, dass der Beschuldigte zu den Tatzeiten aufgrund einer dissozialen Persönlichkeitsstörung im Zusammenwirken mit dem Konsum von Alkohol und Medikamenten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war.
Wegen der letzten beiden Taten ordnete das Landgericht Stade im Jahr 2007 die Unterbringung des Beschuldigten in
einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) an. Diese Strafkammer war von der erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beschuldigten überzeugt und konnte darüber hinausgehend nicht ausschließen, dass die Steuerungsfähigkeit bei der Begehung der Taten aufgrund einer nunmehr diagnostizierten, chronisch verlaufenden endogenen
Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit Halluzinationen in Form imperativer Stimmen in Kombination
mit dem Konsum von Alkohol und Psychopharmaka jeweils aufgehoben war. In der Folgezeit befand sich der Beschuldigte in der Maßregelvollzugsklinik in Lüneburg. Im April 2010 wurde er in eine Wohneinrichtung des offenen
Vollzugs nach Nienburg verlegt. Unter dem Eindruck geänderter Vollzugsbedingungen - er durfte sich tagsüber frei
bewegen und musste nachts in der Einrichtung zurück sein - verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Nachdem
er weder auf seine Bitte gegenüber der Klinik in Lüneburg um eine erhöhte Medikamentengabe noch auf seine Anfrage bei der Polizei, ob er "eingesperrt werden könnte", eine befriedigende Reaktion erfahren hatte, verließ der Beschuldigte in der Nacht zum 28. Januar 2011 die Einrichtung. Am übernächsten Tag betrat er in Delmenhorst ein
Ladengeschäft und ließ sich von der Inhaberin einen Geschenkartikel zeigen. Plötzlich nahm er die Frau in den
"Schwitzkasten", hielt ihr mit der rechten Hand ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20 Zentimetern vor
den Bauch und drohte, sie "abzustechen". Die Verkäuferin geriet in Todesangst. Es gelang ihr, dem Beschuldigten
das Messer zu entwinden. Bei dem Gerangel zog sie sich Prellungen am Rücken und den Armen zu. Sie konnte aus
dem Ladengeschäft ins Freie gelangen, wo ihr Passanten zu Hilfe kamen. Der Beschuldigte verblieb danach vor dem
Laden, bis die alarmierte Polizei eintraf, ihn festnahm und am selben Tag in die Maßregelklinik nach Lüneburg zurückbrachte, wo die Unterbringung aus dem Urteil des Landgerichts Stade weiter vollstreckt wurde. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts hat in den Jahren 2011, 2012 und 2013 jeweils die Fortdauer der Unterbringung
wegen fortbestehender Gefährlichkeit des Beschuldigten angeordnet. Seit Oktober 2013 wird die Maßregel im Klinikum Bremen-Ost vollstreckt, wohin der Beschuldigte auf seinen Wunsch verlegt worden ist.
2. Das Landgericht hat, sachverständig beraten, festgestellt, dass der Beschuldigte, der an einer schweren Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus mit erhöhter Stressanfälligkeit, der Neigung zu psychoseähnlichen Symptomen
und geringer Frustrationstoleranz leidet, durch die autodestruktive Komponente seiner Persönlichkeitsstörung zur Tat
bestimmt wurde und sie deshalb krankhaft inszenierte, um seine Rückkehr in den Maßregelvollzug zu erreichen.
Danach führte die Persönlichkeitsstörung zu einer deutlichen Einschränkung der Handlungskontrolle und begründete
eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit. Die Strafkammer hat nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit wegen der hinzutretenden Alkoholisierung (BAK von 2,22 Promille zur Tatzeit) ganz aufgehoben
war. Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen hat sie sich davon überzeugt, dass der Beschuldigte
infolge seiner von Jugend an bestehenden, inzwischen durch einen fast durchgängigen Aufenthalt in Strafhaft oder
Maßregelvollzug während der letzten 40 Jahre verfestigten Persönlichkeitsstörung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
- 65 -
zukünftig weitere gleichartige Taten immer dann begehen wird, wenn er sich von Veränderungen im Lebensumfeld
überfordert fühlt. Diese Taten stellen nach Ansicht des Landgerichts eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit
dar, was auch an den erheblichen psychischen Folgen für das Opfer hiesiger Anlasstat - die Geschädigte leidet noch
heute an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer schweren depressiven Episode, die zu mehrmaligem
Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und zur Aufgabe des Ladengeschäfts geführt hatten - deutlich werde. Die
Strafkammer hat gleichwohl davon abgesehen, den Beschuldigten erneut nach § 63 StGB unterzubringen. Die erneute Anordnung sei nicht verhältnismäßig, weil sie angesichts der bereits bestehenden Anordnung zur besseren Erreichung des Maßregelzieles weder geeignet noch erforderlich sei. Insbesondere werde der Ablauf des derzeitigen Maßregelvollzugs nicht von einer erneuten Verhängung der Maßregel beeinflusst werden. Die Notwendigkeit einer engmaschigen Betreuung des Beschuldigten unter Einsatz hoher fachlicher und personeller Ressourcen sei ohnehin
erkannt und die Notwendigkeit der Fortdauer der Unterbringung unabhängig von einer erneuten Einweisung seitens
der Strafvollstreckungskammer bejaht worden. Nach den Darlegungen des behandelnden Arztes habe der Ausgang
des neuerlichen Verfahrens keinen Einfluss auf die weitere Vollzugsgestaltung.
3. Die Entscheidung des Landgerichts lässt durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen.
a) Die Strafkammer ist zutreffend davon ausgegangen, dass die wiederholte Anordnung der Maßregel nach § 63
StGB gegenüber einem bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, der nochmalige Maßregelausspruch jedoch voraussetzt, dass dieser in besonderer Weise mit dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht. Hierbei geht es nicht um den Gesichtspunkt der Angemessenheit der Rechtsfolge, wie ihn § 62 StGB dahin umschreibt, dass der Maßregelausspruch nicht außer Verhältnis zur
Bedeutung der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten sowie dem Grad seiner Gefährlichkeit
stehen darf. Maßgeblich ist vielmehr, ob die erneute Unterbringungsanordnung zur Erreichung des Maßregelziels der
Besserung und Sicherung geeignet und erforderlich ist, weil von ihr Wirkungen ausgehen, die der erste Maßregelausspruch nach § 63 StGB nicht zeitigt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn das neue Urteil erhebliche
Auswirkungen auf Dauer und Ausgestaltung des Maßregelvollzugs haben kann und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue Symptomtat sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen
und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2005 - 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199; vom 9. Mai 2006 - 3 StR 111/06, NStZRR 2007, 8; Urteil vom 17. September 2009 - 4 StR 325/09, juris Rn. 8; OLG Celle, Beschluss vom 10. November
2011 - 2 Ws 281/11, RuP 2012, 227 (nur Ls)).
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Landgerichts frei von Rechtsfehlern.
aa) Erhebliche Auswirkungen auf die Dauer und die Ausgestaltung des Maßregelvollzugs sind von einer erneuten
Anordnung nicht zu erwarten. Zum einen ist die jetzige Straftat auf dieselbe Motivation des Beschuldigten zurückzuführen, zum anderen hat sich auch die Tatmodalität wiederholt. Dabei ist es lediglich zu einer - allerdings nur geringfügigen - Abschwächung der Tatbegehung gekommen: Der Beschuldigte hat sein Opfer nur noch bedroht und an der
Gesundheit beschädigt, es aber unterlassen, die Herausgabe von Geld zu fordern. Sein eingeschliffenes Verhalten ist
bereits im Vorfeld des vorliegenden Verfahrens in die Beurteilung seiner Gefährlichkeit durch die Maßregelvollzugsklinik und die Strafvollstreckungskammer eingegangen. Eine erneute Anordnung würde den Vollzugsverlauf
nicht beeinflussen.
bb) Eine wiederholte Anordnung ist auch nicht allein deshalb geboten, weil die Staatsanwaltschaft die Durchführung
des Sicherungsverfahrens beantragt und das Landgericht am Ende der Hauptverhandlung die fortbestehende Gefährlichkeit des Beschuldigten festgestellt hat. Die Durchführung eines bloßen "Feststellungsverfahrens", welches der
Strafprozessordnung fremd ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 - 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199, 205), kann
darin nicht gesehen werden. Die Strafkammer hat sich nicht auf diese Feststellung beschränkt, sondern die möglichen Auswirkungen einer weiteren Unterbringungsentscheidung aufgeklärt und ist dabei - sachverständig beraten aufgrund der Hauptverhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass Ausgestaltung und Dauer des künftigen Vollzugs
der Maßregel von einer solchen weiteren Anordnung nicht beeinflusst werden würden.
cc) Einer Anordnung bedarf es auch nicht im Hinblick auf die weiteren Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer nach § 67d Abs. 2 StGB. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils zu der neuerlichen Tat des Beschuldigten verlieren ihre Bedeutung für die Überzeugungsbildung der Strafvollstreckungskammer vom Vorliegen bestimmter Tatsachen (vgl. hierzu LR/Kühne, StPO, 26. Aufl., Einl. Abschn. K Rn. 95) nicht dadurch, dass der Tenor
der Entscheidung auf "Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft" oder auf "Absehen von der Unterbringung"
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lautet. Unzutreffend ist deshalb die Argumentation der Beschwerdeführerin, die Vorteile des Erkenntnisverfahrens
für die Aufklärung des Sachverhalts könnten nur gewonnen oder erhalten werden, wenn eine erneute Anordnung der
Unterbringung erfolgt. Diesem Rechtsirrtum ist möglicherweise auch die Strafkammer unterlegen, wenn sie darlegt,
dass eine erneute Unterbringung "lediglich den Vorteil" hätte, "dass die Tat als solche im Rahmen des Erkenntnisverfahrens rechtskräftig festgestellt werden könnte" (UA S. 31). Auf dieser Fehleinschätzung könnte indes das Urteil
nicht beruhen.
dd) Auch unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Anrechnung des Maßregelvollzugs auf eine Begleitstrafe (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 23. November 2010 - 5 StR 466/10, juris s. Rn. 4 ff.; vom 17. Juli 2012 - 4 StR 179/12, StraFo 2012, 369) ist die erneute Anordnung nicht geboten, da eine solche Strafe hier nicht verhängt worden ist.
StGB § 63, § 306 f Herbeiführung einer Waldbrandgefahr in Schizophrenie
BGH, Beschl. v. 24.06.2014 - 3 StR 223/14 - BeckRS 2014, 14635
Voraussetzung für die Strafbarkeit gemäß § 306f Abs. 1 Nr. 3 StGB ist die konkrete Gefährdung
des fremden Objekts. Es muss allein vom Zufall abhängen, ob an ihm ein Schaden eintritt.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - am 24. Juni 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 6. Februar 2014 aufgehoben,
jedoch bleiben die Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zur konkreten Entwicklung des Feuers aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision der Beschuldigten hat weitgehend Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entzündete die Beschuldigte auf ihrem Grundstück Zeitschriften, Papiere und Kleidungsstücke, die sie zuvor auf einer Fläche von ca. 50 cm Breite und 25 cm Höhe aufgeschichtet hatte.
Die Brandstelle lag ca. einen Meter neben einem Baum. Dieser war Teil einer Baumgruppe auf dem Grundstück der
Beschuldigten, die wiederum unmittelbar in einen zusammenhängenden, dichten Baumbewuchs auf dem Gelände
der Gemeinde überging. Ein Nachbar bemerkte die Brandentwicklung, schätzte die Situation als gefährlich ein und
stellte sich mit einem Feuerlöscher ausgerüstet neben die Brandstelle. Unter Aufsicht der alarmierten Polizei glimmte
die Brandstelle im Weiteren aus, ohne dass Löscharbeiten notwendig gewesen wären. Das Landgericht hat - dem
Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten zur Tatzeit aufgrund einer bei ihr bestehenden vollausgeprägten, chronifizierten Psychose aus dem Formenkreis
der Schizophrenie aufgehoben war und von der Beschuldigten infolge dieses Zustands erhebliche rechtswidrige
Taten zu erwarten seien.
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Primäre Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine - im Zustand
zumindest gesichert verminderter Schuldfähigkeit begangene - rechtswidrige Tat. Eine solche Anlasstat ist vorliegend nicht festgestellt. Das Landgericht hat angenommen, die Beschuldigte habe eine Brandgefahr herbeigeführt,
indem sie mit natürlichem Vorsatz fremde Wälder durch offenes Feuer in Brandgefahr brachte (§ 306f Abs. 1 Nr. 3
StGB). Vorausgesetzt ist hierfür aber die konkrete Gefährdung des fremden Objekts. Es muss allein vom Zufall abhängen, ob an ihm ein Schaden eintritt (vgl. S/S-Heine/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 306f Rn. 8). Von diesem Grundsatz
ist zwar auch das Landgericht ausgegangen, indem es ausgeführt hat, es sei "letztlich nur dem Zufall geschuldet",
dass das Feuer nicht auf den Baumbestand der Gemeinde übergegriffen habe (UA S. 13). Indes lässt sich den Feststellungen des Landgerichts nichts Entscheidendes zum Beleg dieser Einschätzung entnehmen. Danach war die
Brandstelle, als der Nachbar an sie herantrat, von einer Blechplatte bedeckt und nur noch am Glimmen und Qualmen. Der Nachbar "schätzte die Situation als gefährlich ein" und stellte sich deshalb mit einem Feuerlöscher daneben, sah aber keine Veranlassung, den Feuerlöscher zu betätigen. Angaben zur Höhe des Feuers, zu einem tatsächlichen Funkenflug und zu den sonstigen für ein Entzünden von Wäldern wesentlichen Umständen (Unterholz, in das
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Funken hätten hineinfallen können; Trockenheit des Bodens) fehlen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich
solche weitergehenden, eine konkrete Brandgefahr belegenden Umstände noch feststellen lassen, und verweist die
Sache deshalb unter Aufhebung allein der Feststellungen zu der konkreten Entwicklung des Feuers zurück.
3. Die übrigen Feststellungen (so auch die zur Urheberschaft der Beschuldigten am Brand, zum Zustand der Beschuldigten und der von ihr ausgehenden Gefahr) sind rechtsfehlerfrei getroffen und können bestehen bleiben. Insoweit war die Revision der Beschuldigten zu verwerfen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
StGB § 66 – Sicherungsverwahrung - Hang
BGH, Urt. v. 28.04.2015 - 1 StR 594/14 - BeckRS 2015, 10528
Zu den Voraussetzungen für einen „Hang“
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. April 2015 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2014 mit den
zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist.
2. Der Strafausspruch des vorgenannten Urteils wird klarstellend dahingehend gefasst, dass der Angeklagte zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in
Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen eines weiteren Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht – dem Wortlaut des Tenors nach – zu einer Freiheitsstrafe von
zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es
abgelehnt. Auch die Anordnung einer weiteren Führungsaufsicht hat der Tatrichter nicht für veranlasst gehalten.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf das
Unterbleiben der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf die Sachrüge
gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Bei dem Angeklagten besteht eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie (ICD-10 F65.4), die
nach der Wertung der sachverständig beratenen Strafkammer aber nicht als „fixierte pädosexuelle Deviation“ zu
begreifen sei (UA S. 33). Er ist seit 1994 mehrfach wegen Sexualstraftaten zu Lasten von Kindern, vor allem Jungen,
verurteilt worden. Im Einzelnen ist dazu Folgendes festgestellt:
a) Im Dezember 1994 wurde der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem
Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bei Aussetzung der Vollstreckung zur
Bewährung, verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte vor zwei sechs und sieben Jahre alten Mädchen, die
er zu beaufsichtigen übernommen hatte, sich am Unterkörper vollständig entkleidete, Onanierbewegungen ausführte
und die Mädchen dazu veranlasste, seinen Penis anzufassen. Straferlass war im März 1998 eingetreten.
b) Die zweite Verurteilung erfolgte im Dezember 2000 wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern, drei rechtlich
zusammentreffenden Fällen des Missbrauchs von Kindern in drei tatmehrheitlichen Fällen und schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern“. Gegen den Angeklagten wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt.
Dieser Gesamtstrafe lag u.a. eine Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie eine weitere von einem Jahr
Freiheitsstrafe zugrunde. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Nach
mehrfacher Verlängerung der Bewährungszeit trat Straferlass im Mai 2006 ein. Der Verurteilung lagen sexuelle
Übergriffe auf mehrere Jungen im Alter von zwölf und dreizehn Jahren zugrunde, vor allem auf den im Tatzeitraum
zwölfjährigen A.. In einem der verfahrensgegenständlichen Fälle versuchte der Angeklagte dem Jungen einen Zungenkuss zu geben. Dies blieb jedoch erfolglos. Anschließend zog der Angeklagte dem Jungen Hose und Unterhose
herunter, umfasste dessen Geschlechtsteil und masturbierte daran. An einem anderen Tag entblößte der Angeklagte
wiederum den Unterkörper des Jungen, führte Onanierbewegungen an dessen Penis aus und sodann den Oralverkehr
an dem Jungen durch, indem er dessen Geschlechtsteil solange in den Mund nahm, bis der Junge zum Samenerguss
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kam. Bei anderer Gelegenheit zog der Angeklagte zwei Jungen deren Hosen und Unterhosen aus, um im Anschluss
daran vor den Augen des ebenfalls anwesenden A. an deren Geschlechtsteilen zu manipulieren. Das Unterfangen,
einem der Jungen einen Zungenkuss zu geben, scheiterte an dessen Gegenwehr. Alle Taten ereigneten sich in der
Wohnung des Angeklagten. Die später geschädigten Jungen kamen dorthin, weil sie bei dem Angeklagten Computerspiele ausführen durften und er ihnen Geld und Süßigkeiten schenkte.
c) Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte den Angeklagten im April 2006 wegen schweren sexuellen Missbrauchs
von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von
zwei Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Eine der zugrunde liegenden Einzelfreiheitsstrafen betrug ein Jahr und sechs Monate, eine weitere ein Jahr. Bei den durch die Straftaten Geschädigten
handelte es sich jeweils um Jungen im Alter zwischen neun und dreizehn Jahren. In einem der dort verfahrensgegenständlichen Fälle hatte der Angeklagte den damals neunjährigen Geschädigten, mit dem er „seit ca. zwei Jahren …
befreundet“ war (UA S. 10), in den Swimmingpool des Hauses eines Bekannten mitgenommen. Während eines gemeinsamen Nacktbadens hatte der Angeklagte mehrfach an den Penis des Jungen gefasst. Später hatte er sich mit
geöffneter Hose auf die Beine des bekleidet auf einem Sofa liegenden Geschädigten gesetzt, dessen Hose und Unterhose nach unten gezogen, das Geschlechtsteil des Jungen angefasst und dieses geküsst. Die übrigen Taten hatten sich
in der Wohnung des Angeklagten ereignet. Dem Angeklagten war es gelungen, die Geschädigten dazu zu veranlassen, den Handverkehr an ihm zu vollziehen oder von dem Angeklagten an ihnen vornehmen zu lassen. In einem Fall
war es zu wechselseitigem Handverkehr zwischen dem Angeklagten und zwei zehn- bzw. dreizehnjährigen Jungen
gekommen. Nach Vollverbüßung der genannten Gesamtfreiheitsstrafe trat Führungsaufsicht ein. Mit Beschluss vom
4. Dezember 2007 setzte die zuständige Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre
fest. Zudem erteilte sie u.a. folgende Weisungen: „4. Dem Verurteilten wird verboten, Kontakt zu Kindern oder
Jugendlichen aufzunehmen, insbesondere nicht mit ihnen zu verkehren, sie zu beschäftigen, sie auszubilden oder sie
zu beherbergen.
5. Dem Verurteilten wird verboten, sich mit Kindern oder Jugendlichen alleine – ohne Beisein von Vertrauenspersonen der Kinder und Jugendlichen – in abgeschlossenen Räumlichkeiten oder an wenig frequentierten Örtlichkeiten
aufzuhalten.“
d) Im September 2011 verurteilte das Landgericht München I den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen
während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde für die
Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Führungsaufsicht verlängerte sich dadurch bis zum
20. September 2015. Der Verurteilung lag eine durch den Angeklagten betriebene Kontaktaufnahme mit einem
13jährigen Jungen zugrunde. Dieser hatte angesichts eines geöffneten Fensters der im Hochparterre gelegenen Wohnung des Angeklagten bemerkt, dass er mit seiner Spielkonsole spielte. Der Angeklagte übergab dem Jungen den
zugehörigen Joystick und ließ ihn vom Fensterbrett aus spielen. Das Angebot, in die Wohnung zu kommen, lehnte
der Junge ab.
2. Zu den hier verfahrensgegenständlichen Taten hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte am Vormittag
des 16. August 2013 den damals knapp zehn Jahre alten L. an einem in der Nähe der Wohnung des Angeklagten
gelegenen Teich traf. Beide waren sich dort bereits zuvor begegnet und ins Gespräch gekommen. Im Keller der
Wohnung des Angeklagten fielen L. zahlreiche dort gelagerte Spiele sowie ein noch verpackter „Rennfahrersitz“ für
eine Spielkonsole auf. L. und der Angeklagte verabredeten, den Sitz in dessen Wohnung aufzubauen. Während des
Aufbaus zog der Angeklagte wegen der hohen Temperaturen sein Hemd aus. Der an den Jungen gerichteten Aufforderung, sein T-Shirt ebenfalls auszuziehen, kam dieser nicht nach. Vor Abschluss der Aufbauarbeiten erhielt L. um
die Mittagszeit einen Anruf von seiner Familie, zum Essen nach Hause zu kommen. Bei der Verabschiedung ergriff
der Angeklagte den Jungen unter den Achseln und hob ihn auf seine Augenhöhe hoch. Anschließend gab er L. „einen einige Sekunden dauernden Kuss auf den Mund, bei dem sich jeweils nur ihre Lippen berührten“ (UA S. 14).
Zuvor, noch während der Arbeiten an dem Sitz, hatte der Angeklagte, bereits mit freiem Oberkörper, bei gleichzeitiger Umarmung L. auf den Mund geküsst. Die Dauer dieses Kusses war etwas kürzer als bei der Verabschiedung
gewesen. L. empfand die Küsse als merkwürdig. Merkliche psychische Beeinträchtigungen bei ihm hat das Landgericht nicht feststellen können. Beide vereinbarten, dass L. nach dem Mittagessen wieder zurückkehren sollte, um den
Aufbau des Sitzes abzuschließen. Dazu zeigte der Angeklagte dem Jungen die Wohnungsklingel und riet ihm, zu
Hause nicht von ihm, dem Angeklagten, zu erzählen. Eine halbe Stunde später kehrte L. in dessen Wohnung zurück
und hielt sich dort für rund eine bis eineinhalb Stunden auf. Zu weiteren sexuell motivierten Berührungen kam es
nicht. Entweder während dieses Besuchs oder früherer Besuche von L. hatte der Angeklagte vorgeschlagen, sie
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könnten gemeinsam zum Poinger See zum Baden gehen. Er plane, ein Schiff mit Fernsteuerung zu kaufen, mit dem
dann auch L. spielen könne. Eine Umsetzung des Plans erfolgte nicht mehr.
3. Das Landgericht hat das Verhalten des in seiner Schuldfähigkeit nicht eingeschränkten Angeklagten als sexuellen
Missbrauch in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie einem weiteren
Fall eines solchen Verstoßes gewürdigt. Die nicht nur flüchtigen, mit einer Umarmung bzw. dem Hochheben verbundenen Küsse seien angesichts des Fehlens einer engen und vertrauten emotionalen Beziehung zu dem Kind oberhalb der Erheblichkeitsschwelle liegende sexuelle Handlungen im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB. Durch die jeweils
auf einem gesonderten Tatentschluss beruhende unbegleitete Mitnahme von L. in die Wohnung des Angeklagten
habe dieser in zwei Fällen gegen die Weisung gemäß Ziffer 5 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom
4. Dezember 2007 verstoßen. Die vor dem ersten Verlassen zur Mittagszeit erfolgten sexuellen Handlungen in Gestalt der Küsse auf den Mund stellten sich als einheitlicher Lebenssachverhalt dar, mit dem der Weisungsverstoß in
zeitlicher Hinsicht teilidentisch sei. Die erneute Aufnahme des Jungen in die Wohnung nach dem Mittagessen hat
das Landgericht als auf einem neuen Tatentschluss beruhend und deshalb als materiell-rechtlich eigenständige Tat
gewertet. Ungeachtet der bereits verabredeten Rückkehr habe die zwischenzeitliche Abwesenheit von L. eine Zäsur
bedeutet, die dem Angeklagten Anlass gegeben habe, die von ihm geschaffene Situation erneut zu bedenken. Für die
Tat gemäß § 176 Abs. 1 in Tateinheit mit § 145a Satz 1 StGB hat es eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, für den weiteren Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht eine solche von einem Jahr. Daraus
hat das Landgericht der Sache nach (unten III. Rn. 46) eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten
gebildet.
4. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hat es trotz des Vorliegens der formellen
Voraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. Nr. 1c StGB aus materiellen Gründen abgelehnt. Der Angeklagte
weise „unter Gesamtwürdigung seiner Person und seiner Taten gegenwärtig keinen Hang zu erheblichen Straftaten
auf, d.h. solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (UA S. 39). Gestützt
auf eingeholte Sachverständigengutachten geht das Landgericht davon aus, es bestehe eine mittlere Wahrscheinlichkeit (etwa 50 %) für die zukünftige Begehung von Verstößen gegen das Kontaktaufnahmeverbot sowie von Straftaten wie der verfahrensgegenständlichen (UA S. 40, 44). Diese stellten aber ebenso wie der durch das Landgericht
München I 2011 abgeurteilte Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht keine erheblichen Straftaten
im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (UA S. 44). Die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten mit dem Intensitätsgrad der den Verurteilungen „1999, 2000 und 2005“ zugrundeliegenden Taten liege lediglich bei etwa 25 %.
II. Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Sicherungsverwahrung ist wirksam.
a) Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch weisen keine so enge Verbindung auf, dass – ausnahmsweise (näher
Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 318 Rn. 7a mwN) – eine getrennte Überprüfung des angefochtenen Teils nicht möglich wäre. Die getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß § 145a StGB belegen die durch
die Weisungsverstöße begründete konkrete Gefährdung des Maßregelzwecks. Einer ausdrücklichen Erwähnung
dieser Gefährdung bedurfte es nicht, lag doch in einem der beiden Weisungsverstöße zugleich die Begehung einer
neuen Sexualstraftat zu Lasten eines Kindes.
b) Innerhalb des Ausspruchs über die Rechtsfolgen besteht zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine der Beschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (BGH, Urteile
vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010,
239; vom 24. November 2011 – 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156 f.). Ein Ausnahmefall, bei dem auf Grund des
Inhalts der Urteilsgründe im konkreten Fall ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der
Maßregel nicht auszuschließen ist (siehe dazu BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280,
281), liegt nicht vor. Aus dem Urteil ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tatgericht die Höhe der
Einzelstrafen und der Gesamtstrafe in Abhängigkeit zu der unterbliebenen Maßregelanordnung gebracht hat. Ebenso
wenig hat das Landgericht zwischen den Gründen der Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung einerseits und den Erwägungen für das Absehen von der Anordnung einer weiteren Führungsaufsicht (UA S. 45) eine
Verknüpfung hergestellt.
c) Da die Teilrücknahme des Rechtsmittels, das ursprünglich auch den (Teil-)Freispruch des Angeklagten erfasste,
vor Beginn der Revisionshauptverhandlung erklärt worden ist, hing die Wirksamkeit der (weiteren) Beschränkung
nicht von der Zustimmung des Angeklagten ab (§ 303 Satz 1 StPO).
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2. Das Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hält sachlich-rechtlicher
Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat bereits die Bedeutung des „Hanges“ im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB
nicht zutreffend erkannt. Zudem mangelt es an der umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände für die Beurteilung, ob von dem Angeklagten zukünftig erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch die Opfer körperlich oder
seelisch schwer geschädigt werden (Gefährlichkeitsprognose).
a) Die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hat das Landgericht im Hinblick auf die früheren Verurteilungen des Angeklagten und die Vollstreckung der dort verhängten Strafen rechtsfehlerfrei festgestellt.
b) Die Begründung, mit der es einen Hang des Angeklagten abgelehnt hat, trägt allerdings nicht.
aa) Wie das Landgericht zunächst im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, verlangt das Merkmal „Hang“
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der
ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist
oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie
derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (etwa BGH,
Urteile vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05,
BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f. mwN). Der Hang als
eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten
gegenwärtigen Zustand (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschlüsse vom 30.
März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; siehe auch
BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 399/09; zu den für den Hang bedeutsamen Kriterien näher Rissing-van
Saan/Peglau in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 3, § 66 Rn. 126 ff.). Von dem Hang bzw. der
Hangtätereigenschaft ist die durch § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ebenfalls geforderte Prognose über die zukünftige Gefährlichkeit des Täters zu trennen; die Merkmale sind nicht identisch (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05,
BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203 f.; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 2, § 66 Rn. 99 mwN; siehe auch
BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5. August 2009 – 2 BvR 2098/08 u.a. Rn. 20). Vielmehr
bildet der Hang ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1
StR 275/12, NStZ-RR 2014, 13; vgl. auch BVerfGK 9, 108, 114; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5. August 2009 – 2 BvR 2098/08 u.a., Rn. 20). Diese schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich
der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH jeweils aaO). Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beeinflusst dabei der Grad der „Eingeschliffenheit“ der Verhaltensweisen des Täters die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung von Straftaten. Wird die Hangtätereigenschaft festgestellt, ist regelmäßig auch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben; zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 1989 – 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 8.
Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; siehe auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06, NStZ
2007, 464 Rn. 5).
bb) Diese Grundsätze hat das Landgericht verkannt und damit bereits einen rechtsfehlerhaften Maßstab für die Beurteilung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB herangezogen. Es hat die Unterschiede zwischen der Hangtätereigenschaft und der ihr zugrundeliegenden Umstände einerseits sowie die Gefährlichkeitsprognose und der für sie maßgeblichen Gesichtspunkte andererseits nicht bedacht. Bei den zur Ablehnung
des Hanges des Angeklagten vom Tatgericht herangezogenen Kriterien (Gliederungsziffern F.III.2.-4. der Urteilsgründe, UA S. 40-45 oben) handelt es sich sämtlich um solche, denen für die Prognose über die Wahrscheinlichkeit
zukünftiger Straftatbegehung des Angeklagten und den Schweregrad („erhebliche Straftaten“) der drohenden Straftaten Bedeutung zukommt. Für die anhand einer vergangenheitsbezogenen Betrachtung vorzunehmende Beurteilung
der Hangtätereigenschaft sind sie nicht unmittelbar relevant. Wegen des fehlerhaften Maßstabs mangelt es an tragfähigen Erwägungen, mit denen das Verneinen der Hangtäterschaft des Angeklagten hätte begründet werden können.
Damit fehlt zugleich ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose (siehe oben Rn. 30).
c) Das Urteil beruht insoweit auch auf dem Rechtsfehler. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das
Tatgericht die nicht im Ermessen stehende Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet hätte, wenn
es die Hangtätereigenschaft anhand eines zutreffenden Maßstabs gewürdigt und das Ergebnis dieser Würdigung in
die Gefährlichkeitsprognose einbezogen hätte.
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aa) Da das Landgericht die angesichts des strafrechtlich relevanten Vorlebens (mindestens mögliche) Hangtätereigenschaft des Angeklagten gar nicht in die Prognose über das zukünftig zu erwartende Legalverhalten einbezogen
hat, tragen die sonst in die Prognose eingestellten Erwägungen über die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer
Straftaten des Angeklagten die Verneinung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen nicht. Wie bereits aufgezeigt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der Annahme der Hangtätereigenschaft – wegen der
Bedeutung für die Prognose zukünftiger Gefährlichkeit – regelmäßig auch die Wahrscheinlichkeit der Begehung
weiterer Straftaten durch den Angeklagten gegeben (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 1989 – 3 StR 150/89,
BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6;
vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465).
Anderes kann gelten, wenn nach der letzten hangbedingten Tat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger (erheblicher) Straftaten entfallen lassen (BGH, Urteile
vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06,
NStZ 2007, 464, 465). Solche Umstände sind dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen.
bb) Es sind auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, die eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66
Abs. 1 StGB als sicher ausgeschlossen erscheinen lassen. Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit selbst ungeachtet des zur Verkürzung der
Prognosegrundlage führenden Wertungsfehlers nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
(1) Soweit das Landgericht die fehlende Gefährlichkeit des Angeklagten (auch) mit zu erwartenden Erfolgen bei der
Therapie des Angeklagten für den Fall der Umstellung auf eine Verhaltenstherapie begründet (siehe UA S. 39, 40, 43
f.), legt es wiederum einen nicht zutreffenden Maßstab zugrunde. Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB kommt es für die
Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung an (näher Senat, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 1 StR
210/13, NStZ-RR 2014, 273; BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209). Angesichts dessen können während des Strafvollzugs denkbare Änderungen im Verhalten des Verurteilten oder sonstiger
für seine zukünftige Gefährlichkeit bedeutsamer Umstände nur herangezogen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe dargelegt sind (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 275/12 Rn. 35; siehe auch
Senat, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 1 StR 210/13, NStZ-RR 2014, 273 sowie BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2
StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209 f.). Im Übrigen sind solche möglichen Veränderungen erst im Rahmen der
obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen. Diesen Maßstäben wird das Tatgericht nicht gerecht, wenn es unter Berufung auf die zu Rate gezogenen
Sachverständigen die den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht genügende zukünftige Gefährlichkeit
auch mit Erwägungen zu einer empfehlenswerten Verhaltenstherapie anstelle der bislang über lange Zeiträume in
Anspruch genommenen psychoanalytisch ausgerichteten Therapie begründet (UA S. 39, 40, 43 f.). Angesichts der
sonstigen Feststellungen über bisherige Therapien des Angeklagten lässt das Urteil nicht erkennen, aus welchen
Gründen nunmehr bereits im Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftig nachhaltige Verhaltensänderung bestehen. Ausweislich der Feststellungen zur Person hat der Angeklagte bereits nach der
Verurteilung im Dezember 2000 über einen Zeitraum von zwei Jahren an etwa 34 Therapiesitzungen bei einem Diplompsychologen teilgenommen. Weiterhin befand er sich nach der Verurteilung aus dem April 2006 für zwei Jahre
in der sozialtherapeutischen Anstalt einer Justizvollzugsanstalt und nahm regelmäßig an den dortigen Therapiesitzungen teil (UA S. 7 f.). Ab 2009 erfolgte dann die bereits angesprochene psychoanalytisch ausgerichtete Therapie.
Nachhaltige Verhaltensänderungen über eine von dem Tatgericht angenommene rückläufige Intensität der pädosexuellen Delinquenz hinaus sind nicht dargelegt. Da zudem die in den ab 2000 und 2006 durchgeführten, jeweils mehrjährigen Therapien in ihrer Ausrichtung nicht festgestellt sind, hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, warum
die nunmehr seitens der im Erkenntnisverfahren gehörten Sachverständigen empfohlene behavioristische Therapie
aktuelle konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftige Verhaltensänderung soll begründen können.
(2) Die mit näher bezifferten Wahrscheinlichkeiten von dem Angeklagten zukünftig drohenden Straftaten können
grundsätzlich auch im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB erhebliche Straftaten sein, durch die Opfer körperlich oder
seelisch schwer geschädigt werden. Wie vom Tatgericht im Ansatz nicht verkannt, können sich nach der Rechtsprechung des Senats auch Straftaten gemäß § 176 Abs. 1 StGB als erhebliche Straftaten erweisen; maßgeblich sind die
Umstände des konkreten Einzelfalls (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 465/12, NStZ-RR 2013, 204, 206
mwN). Auf das Erfordernis einer „schweren Sexualstraftat“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326, 404 ff.) kommt es nicht an, weil die hier
verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Ab-
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standsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2425) am 1. Juni 2013 begangen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14 Rn. 16, NStZ 2015, 208, 209; siehe auch
Beschluss vom 15. Januar 2015 – 5 StR 473/14 Rn. 2, NStZ 2015, 210). Die maßgebliche umfassende Würdigung
der konkreten Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Erheblichkeit der zukünftig drohenden Taten lässt das Urteil
allerdings vermissen. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufzeigt, hat das Landgericht
nicht ausreichend in den Blick genommen, dass bei den früheren, unzweifelhaft erheblichen Straftaten des Angeklagten, dieser vor allem durch das Eröffnen von Spielmöglichkeiten (Computerspiele) die später Geschädigten zu einem
Aufsuchen seiner Wohnung zu bringen vermochte. In den Räumlichkeiten ist es dann gegenüber Jungen, die ihn
öfter besuchten, zu sexuellen Übergriffen gekommen. Sowohl bei der der Verurteilung durch das Landgericht München I aus dem Jahr 2011 zugrundeliegenden als auch bei den hier vorliegenden Taten sind Verhaltensweisen festgestellt, die auf ein Locken der Geschädigten in die Wohnung des Angeklagten und bezüglich L. zudem auf den Aufbau eines längerfristigen Kontakts abzielten. Die Bewertung des Landgerichts, es sei „reine Spekulation ohne entsprechende Tatsachengrundlage“ (UA S. 44) anzunehmen, der Angeklagte habe damit lediglich die Gelegenheit für
weitere sexuelle Übergriffe schaffen wollen, lässt befürchten, dass es angesichts der früheren Verhaltensweisen des
Angeklagten selbst überhöhte Anforderungen an die Überzeugungsbildung hinsichtlich der in eine Gesamtwürdigung
einzubeziehenden prognoserelevanten Umstände gestellt hat.
(3) Darüber hinaus hat das Landgericht in der Gefährlichkeitsprognose nicht erkennbar berücksichtigt, dass nach den
Ergebnissen des Sachverständigengutachtens, die das Tatgericht „aufgrund eigener Überzeugungsbildung zugrunde
legte“ (UA S. 43), eine Wahrscheinlichkeit von „ungefähr 25 % oder mäßig darüber“ für die zukünftige Begehung
von Straftaten mit einem seinen „Verurteilungen 1999, 2000 oder 2005“ entsprechenden Schweregrad besteht (UA
S. 40). Ausweislich der Feststellungen zur Person war der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2006 jeweils auch
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden (UA S. 9-12). Diesen Verurteilungen lagen
u.a. Fälle des Oral- und des Handverkehrs zugrunde. Für die Annahme der zukünftigen Gefährlichkeit kommt es
lediglich darauf an, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06,
NStZ 2007, 464, 465; Beschluss vom 31. Juli 2012 – 3 StR 148/12 Rn. 5). Angesichts der – wenn auch allein für die
Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichenden (BGH aaO) – statistischen Wahrscheinlichkeit für die zukünftige Begehung von sich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern erweisender Straftaten kann nicht von vornherein
ausgeschlossen werden, von dem Angeklagten seien keine erheblichen Straftaten ernsthaft zu erwarten. Soweit während der Dauer der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (oben Rn. 39) zwischenzeitlich auch an
die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten strengere Anforderungen zu stellen waren
(BGH, Beschluss vom 31. Juli 2012 – 3 StR 148/12 Rn. 7), kommt es darauf nicht mehr an. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose wird eine statistisch mit 25 % bewertete Wahrscheinlichkeit regelmäßig auf eine „bestimmte Wahrscheinlichkeit“ ernsthaft zu erwartender erheblicher Taten hindeuten.
cc) Angesichts des vorstehend Ausgeführten steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht von vornherein entgegen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 StGB unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von der obligatorischen
Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen werden kann (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 9. Januar 2013 – 1
StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256 sowie Urteil vom 22. Oktober 2013 – 1 StR 210/13, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Verhältnismäßigkeit 1 jeweils mwN). Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt allerdings bei der Auslegung und Anwendung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB angesichts der mit der Sicherungsverwahrung verbundenen Intensität des Eingriffs in das Freiheitsrecht des Angeklagten erhebliche Bedeutung zu.
3. Bereits der aufgezeigte Wertungsfehler (oben Rn. 28 f.) führt zur Aufhebung hinsichtlich der unterbliebenen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Der Senat hebt die zugrundeliegenden Feststellungen ebenfalls auf (§ 353 Abs.
2 StPO), um dem neuen Tatrichter umfassende und widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen für die Bewertung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB bedeutsamen Umständen zu ermöglichen.
III. Soweit der Strafausspruch auf die Verurteilung zu einer „Freiheitsstrafe“ von zwei Jahren und drei Monaten
lautet, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 38) hat das
Tatgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe in der genannten Höhe verhängt. Wie sich aus der Sitzungsniederschrift der
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Hauptverhandlung vom 16. Juni 2014 ergibt, ist auch eine solche Gesamtfreiheitsstrafe verkündet worden. Der Senat
hat daher den Tenor des schriftlichen Urteils entsprechend klarstellend gefasst.
StGB § 66 Sicherunsverwahrung, Hang
BGH, Beschl. v. 06.05.2014 - 3 StR 382/13 - NStZ-RR 2014, 271
Das Ergebnis statistischer Bewertung der Gefährlichkeit des Täters bedarf gerade dann, wenn es
auch zum Beleg seines Hanges zur Begehung von Straftaten herangezogen werden soll, stets des
konkreten Abgleichs mit dem individuell zu beurteilenden Angeklagten und seinen früheren Taten.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - am 6. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 15. März 2013, soweit es ihn
betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die
Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren
und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen
der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus
der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Nach
den Feststellungen griff der Angeklagte, der als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt W. einsaß, zusammen
mit dem Mitangeklagten S. einen Mitgefangenen an. Er stieß ihm ein Messer in den Rücken und verletzte ihn bei
dem Versuch, nochmals zuzustechen, am Arm. Anschließend trat er zusammen mit dem Mitangeklagten mehrfach
auf den am Boden liegenden Geschädigten ein. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB festgestellt und die im vorliegenden Fall fortgeltenden erhöhten
Anforderungen an die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) gesehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. März
2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316; Beschluss vom 17. April 2014 - 3 StR 355/13, juris). Hingegen hat das
Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
StGB nicht tragfähig begründet. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen
inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die
Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu
widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender
Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Sein Vorliegen hat der Tatrichter - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und
seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen
(vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, juris; Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94,
BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1
StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, juris Rn. 5). Diesen Maßstäben wird das
angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Es teilt im Anschluss an den gehörten Sachverständigen mit,
der Angeklagte entspreche auf der Grundlage der Kriteriensammlung von Habermeyer/Saß (Nervenarzt 2004, 1061,
1066 f.) bei einer Gesamtschau "keiner ganz typisch psychiatrisch zu identifizierenden Fallkonstellation eines Hangtäters", er erfülle einen Großteil ("zehn von elf", keine Psychopathie; UA S. 76), aber nicht alle Merkmale, die aus
psychiatrischer Sicht für einen Hangtäter typisch seien (UA S. 72). Zwar befasst sich das Landgericht im Folgenden
mit einzelnen der in dem besagten Katalog genannten Kriterien und gleicht sie mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Straftaten ab; indes bleibt offen, worin genau sich die Persönlichkeit des Angeklagten auf-
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grund der fehlenden Psychopathie von derjenigen eines "typischen Hangtäters" unterscheidet und warum trotz dieser
Unterschiede ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu bejahen ist. Dieser Mangel
wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass sich das Landgericht zur Begründung des Hanges auf die vom Sachverständigen referierten Ergebnisse der Anwendung mehrerer statistischer Prognoseinstrumente auf den Angeklagten
stützt, ohne dabei allerdings in den Blick zu nehmen, dass diese Prognoseinstrumente maßgeblich nicht der Beurteilung des Hangs des Täters zur Begehung von Straftaten, sondern der Einschätzung seiner künftigen Gefährlichkeit
für die Allgemeinheit dienen sollen (zur Differenzierung zwischen diesen beiden Anordnungsvoraussetzungen des §
66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Insoweit
braucht sich der Senat auch hier nicht näher mit der Frage zu befassen, ob es grundsätzlich zulässig ist, aus einer
Gefährlichkeitsprognose auf den Hang des Täters zur Begehung von Straftaten rückzuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07, StV 2008, 301, 302; vgl. demgegenüber etwa BGH, Urteil vom 11.
Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 132: naheliegend, dass die Feststellung der Gefährlichkeitsprognose im
Regelfall auf das Vorliegen eines Hangs hindeutet; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, juris Rn. 8:
Bejahung der Gefährlichkeitsprognose unvereinbar mit dem Schluss, bei dem Täter liege kein "Hang" zur Begehung
von Straftaten vor). Denn selbst wenn dieser Schluss regelmäßig gerechtfertigt sein sollte, so bedarf das Ergebnis
statistischer Bewertung der Gefährlichkeit des Täters gerade dann, wenn es auch zum Beleg seines Hanges zur Begehung von Straftaten herangezogen werden soll, stets des konkreten Abgleichs mit dem individuell zu beurteilenden
Angeklagten und seinen früheren Taten. Dies bleibt aus den schon aufgezeigten Gründen in dem angefochtenen
Urteil lückenhaft, denn gerade wenn es sich bei dem Angeklagten um einen untypischen Fall handelt, bedarf die
Aussagekraft rein statistischer Prognoseinstrumente schon für sich besonders gründlicher Prüfung, insbesondere aber
der kritischen Gegenüberstellung mit der konkreten Analyse der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren
Taten. Daran mangelt es; denn auch nach der Darstellung der einzelnen Prognoseinstrumente bleibt für das Landgericht das Fazit, dass der Angeklagte kein ganz typischer Hangtäter sei (UA S. 76). Eine Erläuterung der Unterschiede
zum "typischen Hangtäter" und deren Unerheblichkeit für das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz
1 Nr. 4 StGB unterbleibt auch hier. Über den Maßregelausspruch ist deshalb nochmals zu verhandeln und zu entscheiden.
StGB § 73 Verfall Wertersatz, Fiskus als Verletzter
BGH, Beschl. v. 12.03.2015 - 2 StR 322/14 - NStZ-RR 2015, 171
Auch der Fiskus kann Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein. Die Anwendung der
Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass hier das geschädigte
Land zugleich Gläubiger des aufgrund einer Anordnung nach § 73a StGB entstehenden staatlichen
Zahlungsanspruchs gegen den Angeklagten wäre.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. März 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. April 2014 im Ausspruch nach
§ 111i Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu
neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 185 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren
und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es festgestellt, dass "der Verfall eines bestimmten Gegenstandes aufgrund
der Beschaffenheit des durch die Taten Erlangten nicht möglich ist und dass der Wert des durch die Taten Erlangten
einem Geldbetrag von 190.187,63 € entspricht"; des Weiteren hat es festgestellt, dass lediglich deshalb nicht auf
Verfall von Wertersatz zu erkennen ist, "weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB
entgegenstehen". Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts
gestützten Revision; das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 75 -
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit 1974 im Justizdienst des Landes N. tätig und
zuletzt als Justizamtsinspektor bei dem Amtsgericht B. mit der Funktion eines Zahlstellenverwalters betraut. Um sich
eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen, bewirkte der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindliche Angeklagte im Zeitraum von September 2010 bis Oktober 2012 zu seinen Gunsten Überweisungen aus der Landeskasse in
Höhe von 190.187,63 €. Die Gelder verbrauchte er in der Folgezeit. Am 10. Januar 2013 hat der Angeklagte ein
notarielles Schuldanerkenntnis nebst Zwangsvollstreckungsunterwerfung wegen zum Nachteil des Landes N. begangener unerlaubter Handlungen abgegeben. Mit Beschluss vom 18. Februar 2014 hat das Amtsgericht K. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Angeklagten eröffnet.
II.
1. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dagegen hält die von dem Landgericht getroffene Feststellung nach § 111i Abs. 2
StPO revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend von der Anwendbarkeit des § 111i Abs. 2 StPO ausgegangen,
weil der Angeklagte einen Geldbetrag in Höhe von 190.187,63 € aus den Taten erlangt hat und der Anordnung des
Verfalls von Wertersatz (§ 73a StGB) Schadensersatzansprüche des Landes N. gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §
266 StGB in einer dem Wert des Erlangten entsprechenden Höhe entgegenstehen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB). Auch
der Fiskus kann Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein (BGH, Beschluss vom 28. November 2000 - 5
StR 371/00, NStZ 2001, 155, 156). Die Anwendung der Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB wird nicht dadurch
ausgeschlossen, dass hier das geschädigte Land zugleich Gläubiger des aufgrund einer Anordnung nach § 73a StGB
entstehenden staatlichen Zahlungsanspruchs (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 73a Rn. 8) gegen den Angeklagten
wäre. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verfolgt den Zweck, den Angeklagten vor einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen und ihm die Mittel zu belassen, die er zur Erfüllung der Ansprüche des Verletzten benötigt (vgl. BGH, Beschluss
vom 10. November 2009 - 4 StR 443/09, NStZ 2010, 693 f.). Die zumindest abstrakte Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme besteht auch dann, wenn der Täter etwas aufgrund einer Tat zum Nachteil des Landes erlangt und diesem infolgedessen ein Anspruch gegen den Täter auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des dem Erlangten
entsprechenden Geldwerts zusteht. Denn eine im Urteil getroffene Anordnung von Wertersatzverfall ließe zunächst
die Möglichkeit des Verletzten unberührt, seine aus der Tat erwachsenen Ansprüche außerhalb des Strafverfahrens hier zum Beispiel durch Vollstreckung des notariellen Schuldanerkenntnisses - durchzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom
11. Mai 2006 - 3 StR 41/06, NStZ 2006, 621, 622). Daran ändert auch nichts, dass sich der Täter gegen eine doppelte
Inanspruchnahme durch das Land erfolgreich zur Wehr setzen könnte.
b) Das Landgericht hat indes nicht geprüft, ob die Vorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB der Feststellung gemäß §
111i Abs. 2 StPO entgegensteht, obwohl für eine solche Prüfung bei dem vermögenslosen Angeklagten Anlass bestand (zur Prüfungsreihenfolge im Rahmen des § 73c StGB vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 StR
336/13). Dies führt zur Aufhebung des Ausspruchs nach § 111i Abs. 2 StPO.
2. Sollte das neue Tatgericht abermals eine Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO treffen (zur Fassung des Urteilstenors vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 51 f.; BGH, Beschluss vom 5. September 2013 - 1 StR 162/13, NStZ 2014, 149, 154), wird es gegebenenfalls die Vorschrift des § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO
zu beachten haben. Danach soll das Gericht den Rahmen des späteren Auffangrechtserwerbs vorgeben, indem es den
Umfang der erlangten Vermögenswerte unter Berücksichtigung einer zwischenzeitlich durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingetretenen Restitution bestimmt (BT-Drucks. 16/700, S. 15). Der Umstand, dass über das
Vermögen des Angeklagten das Insolvenzverfahren eröffnet ist, steht einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO
nicht entgegen (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 - 4 StR 60/14, NJW 2015, 713, 715).
StGB § 73c Verfall Wertersatz – was ist vom Erlangten noch da?
BGH, Beschl. v. 27.01.2015 - 1 StR 142/14 - wistra 2015, 235
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich aus dem systematischen Verhältnis
zwischen der bei „unbilliger Härte“ zwingend zum Ausschluss der Verfallsanordnung führenden
Regelung in § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB einerseits und der Ermessensvorschrift in § 73c Abs. 1 Satz 2
StGB andererseits, dass regelmäßig zunächst auf der Grundlage letztgenannter Vorschrift zu prü- 76 -
fen ist, ob von einer Anordnung des Verfalls oder Verfalls von Wertersatz abgesehen werden kann.
Denn gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB kann eine Verfallsanordnung unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der jeweilige Angeklagte für die Tat oder aus ihr erlangt hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 9. Juli 2013 aufgehoben
a) in den Strafaussprüchen und
b) in den Aussprüchen über den Verfall von Wertersatz.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen 69 Fällen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten K. deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, den Angeklagten D. zu
einer solchen von drei Jahren und den Angeklagten S. zu einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
Die Vollstreckung der gegen die Angeklagten K. und S. verhängten Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht zur
Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es gegen die Angeklagten den Verfall von Wertersatz angeordnet, gegen den
Angeklagten K. in Höhe von 60.000 Euro, gegen den Angeklagten D. in Höhe von 30.000 Euro und gegen den Angeklagten S. in Höhe von 7.500 Euro. Die Angeklagten wenden sich gegen ihre Verurteilung mit auf die Beanstandung der Verletzung materiellen und (ohne dies näher auszuführen) formellen Rechts gestützten Revisionen. Die
Rechtsmittel haben lediglich zum Strafausspruch und zum Ausspruch über den Verfall von Wertersatz mit der
Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I. Zu den Schuldsprüchen sind die Revisionen der Angeklagten aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Nachprüfung des Urteils auf die Revisionsrechtfertigungen der Angeklagten hat insoweit keinen sie beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
II. Die Strafaussprüche haben insgesamt keinen Bestand.
1. In den Fällen 1 bis 24 der Urteilsgründe hat das Landgericht bei allen drei Angeklagten besonders schwere Fälle
der Beihilfe zur Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO, § 27 Abs. 1 StGB) angenommen, weil die Angeklagten jeweils das Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Tatbegehung als Mitglied einer Bande (§ 370 Abs.
3 Satz 2 Nr. 5 AO) erfüllt haben und zum Teil auch noch das Regelbeispiel einer Steuerverkürzung in großem Ausmaß (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) verwirklicht ist. Bereits die Strafrahmenwahl in diesen Fällen hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Die Ausführungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, dass dem Landgericht die Notwendigkeit einer eigenen Gesamtwürdigung der jeweiligen Beihilfehandlung als solcher bewusst war. Entscheidend
ist nicht, dass sich die Tat des Haupttäters, zu der Beihilfe geleistet wird, als besonders schwerer Fall erweist; zu
prüfen ist vielmehr, ob das Gewicht der Beihilfehandlung selbst die Annahme eines besonders schweren Falles rechtfertigt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2000 - 3 StR 225/00, wistra 2001, 105). Dies gilt nicht nur in Fällen
unbenannter besonders schwerer Fälle, sondern auch dann, wenn im Wege einer Gesamtwürdigung zu klären ist, ob
die Indizwirkung eines oder mehrerer Regelbeispiele für besonders schwere Fälle widerlegt ist. Das Landgericht hat
rechtsfehlerhaft auch nicht bedacht, dass das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes Beihilfe Anlass sein kann,
einen besonders schweren Fall zu verneinen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen auf diesen
Rechtsfehlern beruhen.
2. Der Senat hebt die Einzelstrafen insgesamt auf, weil nicht auszuschließen ist, dass die in den Fällen 1 bis 24 der
Urteilsgründe verhängten Strafen (darunter die Einsatzstrafen) die übrigen Einzelstrafen beeinflusst haben. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafen nach sich.
III. Auch die Aussprüche über den Verfall von Wertersatz haben keinen Bestand. Das Landgericht hat nach der Feststellung des von den Angeklagten aus den Taten Erlangten den Verfallsbetrag gemäß § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB bei
dem Angeklagten K. auf 60.000 Euro, bei dem Angeklagten D. auf 30.000 Euro und bei dem Angeklagten S. auf
7.500 Euro beschränkt, weil eine Verfallsanordnung in voller Höhe der erlangten Beträge eine unbillige Härte dar-
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stellen würde (UA S. 47). Dabei hat es die Härtefallregelung des § 73c StGB nicht ausschließbar zum Nachteil der
Angeklagten rechtsfehlerhaft angewendet.
a) Die Annahme einer „unbilligen Härte“ im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung eine Situation voraus, nach der die Anordnung des Verfalls das Übermaßverbot verletzen würde, also
schlechthin „ungerecht“ wäre. Die Auswirkungen müssen im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom
Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen; es müssen besondere Umstände vorliegen, auf Grund
derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden
wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann
(BGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 - 4 StR 153/08, wistra 2009, 23).
b) Die Aussprüche über den Verfall von Wertersatz können hier schon deshalb keinen Bestand haben, weil das
Landgericht die gebotene Prüfungsreihenfolge nicht beachtet hat. Dies kann die Angeklagten beschweren. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich aus dem systematischen Verhältnis zwischen der bei „unbilliger
Härte“ zwingend zum Ausschluss der Verfallsanordnung führenden Regelung in § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB einerseits
und der Ermessensvorschrift in § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB andererseits, dass regelmäßig zunächst auf der Grundlage
letztgenannter Vorschrift zu prüfen ist, ob von einer Anordnung des Verfalls oder Verfalls von Wertersatz abgesehen
werden kann. Denn gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB kann eine Verfallsanordnung unterbleiben, soweit das Erlangte
oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der jeweilige Angeklagte für die Tat oder aus ihr erlangt hat,
sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen. Diesen Anforderungen
wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat zunächst die Beträge festgestellt, welche die Angeklagten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB für die von ihnen begangenen Taten erhalten haben. Es hat sodann
den Verfall von Wertersatz (§ 73a StGB) jeweils auf einen niedrigeren Betrag beschränkt. Als Begründung hierfür
hat es lediglich angeführt, dass in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten und des Umstands,
dass sie mit einer Inanspruchnahme für die Steuerschulden der Firma Sy. aus § 71 AO zu rechnen haben, eine Verfallsanordnung in voller Höhe der erlangten Beträge eine unbillige Härte darstellen würde. Ohne nähere Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen kann der Senat jedoch nicht prüfen, ob das Erlangte jeweils noch im Vermögen der Angeklagten vorhanden war und ob sogar ein gänzliches Absehen von einer Verfallsanordnung gemäß §
73c Abs. 1 Satz 2 StGB in Betracht kam.
c) Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da sie von den Rechtsfehlern, die zur Teilaufhebung des
Urteils geführt haben, nicht betroffen sind. Das neue Tatgericht wird jedenfalls zu den wirtschaftlichen Verhältnissen
der Angeklagten ergänzende, mit den bisherigen nicht im Widerspruch stehende weitere Feststellungen zu treffen
haben.
IV. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat zur Möglichkeit der Verhängung kurzer (Einzel)Freiheitsstrafen: Im Rahmen der Anwendung des § 47 Abs. 1 StGB dürfen auch general-präventive Erwägungen
vorgenommen werden. Nach dieser Vorschrift ist es ausreichend, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der
Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe entweder zur Einwirkung auf den Täter
oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Damit genügt es, dass die Verhängung einer kurzen
Freiheitsstrafe aus generalpräventiven Gründen unerlässlich ist (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 47 Rn. 7, 10).
StGB § 73c, § 111i Abs. 2 StPO Absehen von Wertersatzverfall
BGH, Urt. v. 26.03.2015 - 4 StR 463/14 - NStZ-RR 2015, 176
Zum Regelungsgehalt des § 73c StGB.
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 17. März 2014 aufgehoben, soweit das Landgericht eine Entscheidung gemäß § 111i Abs. 2 StPO unterlassen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in 23 Fällen, gewerbsmäßigen Bandendiebstahls in zwei Fällen, Betruges in vier Fällen, Diebstahls in zwei Fällen, gewerbsmäßiger Hehlerei und we-
- 78 -
gen versuchten Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Gegen das Urteil richtet sich die wirksam auf das Unterlassen einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I. 1. Soweit infolge der Beschränkung der Revision von Bedeutung hat das Landgericht im Wesentlichen folgende
Feststellungen getroffen: Der Angeklagte erlangte – in sechs Fällen als Alleintäter, im Übrigen als Mittäter mit nicht
bzw. erfolglos revidierenden Mitangeklagten – durch die abgeurteilten Betrugs-, Diebstahls- und Hehlereitaten Gegenstände, insbesondere Lastkraftwagen, Pkws und Baumaschinen, im Wert von fast einer Million Euro. Noch während des erstinstanzlichen Verfahrens ordnete das Landgericht im Dezember 2013 zur Sicherung der den Verletzten
aus den Taten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche den dinglichen Arrest in das Vermögen des Angeklagten in
Höhe von 921.803 € an. Daraufhin wurden beim Angeklagten 2.580 € Bargeld sowie eine Armbanduhr im Wert von
1.500 € gepfändet. Nach den zu seinen persönlichen Verhältnissen getroffenen Feststellungen scheiterte der Angeklagte im Jahr 2010 mit dem Versuch, sein vor der Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe in der Mobilfunkbranche betriebenes Unternehmen wieder aufzubauen. Seitdem ging er keiner beruflichen Tätigkeit mehr nach und
bestritt seinen Lebensunterhalt „zumeist“ von Sozialleistungen. Der Angeklagte ist „hoch verschuldet“ und hat 2010
den „Offenbarungseid“ (UA S. 99) abgeleistet. Er ist verheiratet, aber mit einer anderen Frau liiert, und verfügt –
über das gepfändete Geld sowie die Armbanduhr hinaus – über keine weiteren Vermögensgegenstände. Die aus den
„Taten erhaltenen Erlöse von … mindestens 30.000 €“ – gemeint sind damit ersichtlich die Gelder, die durch den
Verkauf der durch die Taten erlangten Gegenstände vereinnahmt wurden – hat der Angeklagte bis zu seiner Festnahme vollständig ausgegeben, um die Kosten seines Lebensunterhalts zu decken bzw. seinen Lebensstandard zu
verbessern.
2. Das Landgericht hat von der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO abgesehen, weil diese „eine unbillige Härte
im Sinne des § 73c Abs. 1 S. 1 StGB darstellen“ würde. Denn sie würde die „Resozialisierung des Angeklagten gefährden und gegen das Übermaßverbot verstoßen“. Dem gepfändeten Geld sowie dem Wert der Armbanduhr stünden
Verbindlichkeiten „in weitaus größerer Höhe gegenüber“; ein titulierter Anspruch gegen ihn über knapp eine Million
Euro würde zu einer weiteren Verschlechterung seiner Situation und insbesondere dazu führen, dass er in absehbarer
Zeit keinerlei Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenze für sich behalten dürfte. Dies würde ihm jede Motivation nehmen, nach seiner Inhaftierung in das legale Erwerbsleben zurückzukehren. Unverhältnismäßig wäre die Anordnung, weil nicht zu erwarten sei, dass der Angeklagte jemals in der Lage sein werde, eine Forderung von knapp
einer Million Euro zu bedienen.
3. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass Umstände, die die Anwendung von § 73c StGB rechtfertigen könnten,
im Urteil nicht festgestellt seien. Jedenfalls seien hinsichtlich des vorhandenen – nunmehr gepfändeten – Vermögens
die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben, so dass mindestens hinsichtlich dieses Betrages eine Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO hätte getroffen werden müssen.
II. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Ob der Tatrichter eine Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO trifft, steht zwar in seinem Ermessen („kann“; vgl.
auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 111i Rn. 8 mwN) und unterliegt daher nur der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung (BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 – 5 StR 306/12, BGHSt 58, 152). Auch die nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung gebotene
Berücksichtigung des § 73c Abs. 1 StGB (dazu BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39;
Beschlüsse vom 1. März 2011 – 4 StR 30/11; vom 8. August 2013 – 3 StR 179/13, NStZ-RR 2014, 44) ist Sache des
Tatrichters. Daraus folgt aber nicht, dass Auslegung und Anwendung (bzw. Nichtanwendung) dieser Vorschriften
jeglicher Kontrolle durch das Revisionsgericht entzogen wären; sie unterliegen vielmehr – wie jede andere Gesetzesanwendung auch – der Überprüfung auf Rechtsfehler hin (§ 337 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar
2014 – 1 StR 336/13).
2. Auf dieser Grundlage kann das Absehen von einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO durch die Strafkammer
keinen Bestand haben, da das Landgericht den Regelungsgehalt des § 73c StGB rechtsfehlerhaft nicht hinreichend
beachtet hat.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich aus dem systematischen Verhältnis zwischen der bei
„unbilliger Härte“ zwingend zum Ausschluss der Verfallsanordnung führenden Regelung in § 73c Abs. 1 Satz 1
StGB einerseits und der Ermessensvorschrift in § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB andererseits, dass regelmäßig zunächst auf
der Grundlage letztgenannter Vorschrift zu prüfen ist, ob von einer Anordnung des Verfalls oder Wertersatzverfalls
abgesehen werden kann; denn die tatbestandlichen Voraussetzungen, welche nach Satz 2 der Vorschrift ein Absehen
- 79 -
vom Verfall nach pflichtgemäßem Ermessen ermöglichen, können nicht zugleich einen zwingenden Ausschlussgrund nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB bilden. Daher kann das Nichtmehrvorhandensein des Wertes des Erlangten im
Vermögen des Betroffenen jedenfalls für sich genommen keine unbillige Härte darstellen, sondern unterfällt dem
Anwendungsbereich des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB. Nach dieser Vorschrift kann eine Verfallsanordnung unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der Angeklagte aus der Tat „erlangt“
hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen. Wenn hiernach
auch ein Gegenwert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist, kann der Tatrichter von
einer Verfallsanordnung absehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13; vom 26. Juni 2014 –
3 StR 83/14; Urteil vom 26. März 2009 – 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Oktober
2011 – 5 StR 14/11, NJW 2012, 92). Maßgebend für die Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ist
neben der Gesamthöhe des Erlangten und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere der
Grund, aus welchem das Erlangte bzw. dessen Wert sich nicht mehr im Vermögen des Angeklagten befindet. Hierbei
können etwa das „Verprassen“ der erlangten Mittel oder ihre Verwendung für Luxus und zum Vergnügen gegen die
Anwendung der Härtevorschrift sprechen; andererseits kann ihr Verbrauch in einer Notlage oder zum notwendigen
Lebensunterhalt des Betroffenen und seiner Familie als Argument für eine positive Ermessensentscheidung dienen
(BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 2 StR 134/14; Urteil vom 18. September 2013 – 5 StR 237/13). Ferner
darf bei dieser Entscheidung das Resozialisierungsinteresse nach der Haftentlassung des Angeklagten Berücksichtigung finden (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2002 – 4 StR 233/02, BGHSt 48, 40, 41; vom 18. September 2013
– 5 StR 237/13, wistra 2013, 462, 463). Die Annahme einer „unbilligen Härte“ im Sinn des § 73c Abs. 1 Satz 1
StGB setzt dagegen nach ständiger Rechtsprechung eine Situation voraus, nach der die Anordnung des Verfalls das
Übermaßverbot verletzen würde, also schlechthin „ungerecht“ wäre. Die Auswirkungen müssen im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen. Es müssen daher
besondere Umstände vorliegen, auf Grund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine zusätzliche Härte verbunden
wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann
(BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 2 StR 134/14). Dabei kann – wie ausgeführt – das Nichtvorhandensein
des Erlangten bzw. eines Gegenwertes im Vermögen des von der Verfallsanordnung Betroffenen nach der inneren
Systematik des § 73c Abs. 1 StGB für sich genommen regelmäßig keine unbillige Härte begründen (BGH, Beschluss
vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13). Auch kann allein das Resozialisierungsinteresse bei tatsächlich vorhandenen
Vermögenswerten ein völliges Absehen von der Verfallsanordnung oder der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO
regelmäßig nicht rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2009 – 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86).
b) Daran gemessen begegnet die Entscheidung des Landgerichts, von einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO
abzusehen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Denn die Strafkammer hat es unterlassen, wie geboten, zunächst die Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2
StGB zu prüfen sowie – falls es diese als gegeben erachtet – die Ermessensentscheidung nach dieser Vorschrift zu
treffen. Sie hat vielmehr sogleich rechtsfehlerhaft auf die nachgeordnete Frage des Vorliegens einer unbilligen Härte
im Sinn des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB abgestellt und das Absehen von der Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO
ausdrücklich (nur) darauf gestützt, dass die Anordnung „eine unbillige Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 S. 1 StGB
darstellen“ würde (UA S. 99).
bb) Hinzu kommt das Folgende:
(1) Das Landgericht hat nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte aus den Straftaten tatsächlich Gegenstände im
Wert von fast einer Million Euro erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert aus der Tat erlangt im Sinn des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus
der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen ist, er an ihm also unmittelbar
aus der Tat (tatsächliche, aber nicht notwendig rechtliche) Verfügungsmacht gewonnen und dadurch einen Vermögenszuwachs erzielt hat. Bei mehreren Tätern und/oder Teilnehmern genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt hatten (BGH, Urteil vom 28.
Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39; vgl. ferner Beschlüsse vom 1. März 2011 – 4 StR 30/11; vom 9. Februar 2010 – 3 StR 17/10, NStZ 2010, 390). Hierzu stellt die Strafkammer zwar fest, dass der Angeklagte sechs der
Taten als Alleintäter begangen hat, bei 28 der bei ihm insgesamt abgeurteilten 34 Taten hat es dagegen Mittäterschaft
angenommen. Ob der Angeklagte in jedem dieser Fälle Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand und
- 80 -
damit tatsächlich Gegenstände „im Wert von fast einer Million Euro erlangt hat“ (UA S. 99), hat es dagegen nicht
erörtert und liegt nach den getroffenen Feststellungen auch nicht ausnahmslos auf der Hand.
(2) Soweit das danach Erlangte im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist (vgl. zu dieser Feststellung
BGH, Urteil vom 26. März 2009 – 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86, 87), ist in die Ermessensentscheidung gemäß § 73c
Abs. 1 Satz 2 StGB einzubeziehen, dass es bei einer innerhalb etwa eines Jahres erlangten Tatbeute „im Wert von
fast einer Million Euro“ nicht naheliegt, dass diese nur zum notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen verwendet
wurde. Dies gilt selbst dann, wenn berücksichtigt wird, dass der von seiner Ehefrau getrennt lebende, kinderlose
Angeklagte und/oder seine Mittäter die erlangten Gegenstände weit unter Wert veräußert haben und ihm in diesem
etwa einem Jahr letztlich nur „mindestens 30.000 EUR“ verblieben (UA S. 68).
(3) Insbesondere hinsichtlich des – nach Ansicht der Strafkammer zwar nur „allenfalls“ – noch im Vermögen des
Angeklagten vorhandenen Wertes des Erlangten, also des gepfändeten Bargeldes und der Armbanduhr, ist es selbst
angesichts der Ausführungen des Landgerichts nicht naheliegend, dass eine unbillige Härte im Sinn des § 73c Abs. 1
Satz 1 StGB gegeben ist, dass also auch insofern die Auswirkungen einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO
außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen und besondere Umstände
vorliegen, auf Grund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann.
3. Dem Senat ist es verwehrt, die gebotene Entscheidung gemäß § 111i Abs. 2 StPO selbst zu treffen. Selbst wenn –
wie hier – naheliegt, dass diese Feststellung zumindest die sichergestellten Vermögenswerte betrifft, darf das Revisionsgericht insbesondere die gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB dem Tatrichter überantwortete Ausübung des Ermessens nicht durch eigenes Ermessen ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2013 – 1 StR 548/13). Einer
Aufhebung der vom Landgericht getroffenen Feststellungen bedarf es nicht; ergänzende – den bisherigen nicht widersprechende – Feststellungen können getroffen werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 353 Rn. 12, 21).
StGB Besonderer Teil
StGB § 86a, § 9 Verfassungswidriges Kennzeichen, Auslandstat im Internet
BGH, Beschl. v. 19.08.2014 - 3 StR 88/14 - NStZ 2015, 81(Anm. Becker)
Zur Strafbarkeit der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Ausland - Einrichtung einer Internetseite mit Hakenkreuzen in Tschechien.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 3. auf dessen Antrag - am 19. August 2014 gemäß §§ 44, 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 25. Oktober 2013 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten
der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Fall B. III. der Urteilsgründe aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen; in diesem Umfang fallen die
Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) in den Fällen B. IV. 1. bis 4., 6., 8. und 9. der Urteilsgründe sowie im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben; im Umfang dieser Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in
22 Fällen, davon in 19 Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, in einem dieser Fälle zusätzlich in Tateinheit mit
Volksverhetzung, wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Munition und wegen Sachbeschädigung unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Kronach vom 30. September 2011 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren
- 81 -
und sechs Monaten verurteilt und die im einbezogenen Urteil ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis sowie
die festgesetzte Sperrfrist aufrechterhalten. Gegen diese Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung
sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat - nach antragsgemäß zu gewährender
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
I. Soweit für vorliegende Entscheidung von Bedeutung hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen: Im
April 2011 gründete der Angeklagte von einem Computer in Tschechien aus auf dem Internet-Videoportal YouTube
eine Plattform mit der Bezeichnung "Arische Musikfraktion". Auf diese lud er u.a. Abbildungen von Hakenkreuzen
hoch. Während der Betriebsdauer von mindestens drei Monaten, während der der Angeklagte als Betreiber eine
ständige Zugriffsmöglichkeit auf die Plattform hatte, wurden durch mindestens zwei Personen von Deutschland aus
deren Inhalte abgerufen (B. III. der Urteilsgründe). Im Mai 2012 spannte der Angeklagte mindestens drei Tage lang
für Außenstehende sichtbar über die Innenfläche eines Fensters seiner Wohnung eine Fahne, die eine schwarze,
eckig gestaltete Triskele (Dreifuß) in weißem Kreis auf rotem Grund zeigte. Dabei war ihm bewusst und von ihm
beabsichtigt, dass die Fahne aufgrund ihrer Aufmachung und ihrer Farbgestaltung zum einem der Hakenkreuzfahne,
zum anderen dem Banner der verbotenen Jugendorganisation "White Youth" der "Blood and Honour Divison
Deutschland", dessen Triskelenschenkel lediglich in die andere Richtung zeigen, zum Verwechseln ähnlich sah (Fall
B. I. der Urteilsgründe). Im selben Monat ließen sich der Angeklagte und sein Bekannter S. von einem Dritten fotografieren, wobei beide die rechte Hand zum Hitlergruß ausstreckten und der Angeklagte in der linken Hand eine der
vorbeschriebenen entsprechende Fahne hielt. Das Foto stellte der Angeklagte am selben Abend in sein FacebookProfil sowie das des S. ein, wo es für mindestens eine Stunde für alle Nutzer sichtbar war, die mit zumindest einem
der beiden als Freunde verlinkt waren. Dies waren beim Angeklagten mindestens 40, bei S. 844 Personen (B. II. 1.
der Urteilsgründe). Schließlich malte der Angeklagte zwischen März und April 2012 in Kronach (Fälle B. IV. 1. bis
11.) an fremde Gebäude und Verkehrsschilder mit roter und schwarzer Farbe Zeichen, insbesondere Hakenkreuze,
sowie Schriftzüge, vornehmlich "NS", wobei er den Buchstaben "S" mit Ausnahme eines Falles jeweils als Sigrune,
mithin mit drei geraden Strichen darstellte.
II. Der Schuldspruch kann teilweise keinen Bestand haben. Nach den zu Fall B. III. getroffenen Feststellungen hat
sich der Angeklagte nicht wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar gemacht; insoweit ist er freizusprechen. In den Fällen B. IV. 1. bis 4., 6., 8. und. 9. beruht die Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten auf einer rechtsfehlerhaften, da widersprüchlichen Beweiswürdigung;
insoweit ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Im Einzelnen:
1. Durch das Einfügen von Hakenkreuzen in die von ihm eingerichtete Internetplattform "Arische Musikfraktion" im
Fall B. III. der Urteilsgründe verwendete der Angeklagte Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (vgl.
BGH, Urteil vom 25. Juli 1979 - 3 StR 182/79, BGHSt 29, 73, 83 f.) zwar öffentlich (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Da
er dies in Tschechien tat, fehlt es jedoch an dem Tatbestandsmerkmal der Inlandstat im Sinne dieser Vorschrift. Dessen Auslegung bestimmt sich nach §§ 3, 9 StGB. Danach muss im Inland entweder die Tathandlung begangen bzw.
unterlassen worden oder ein zum Tatbestand gehörender Erfolg eingetreten bzw. beabsichtigt gewesen sein (§ 9 Abs.
1 StGB).
a) Das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 86a StGB (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 1970 - 3 StR 2/70, BGHSt 23,
267, 268) umschreibt keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg, so dass eine Inlandstat über § 9 Abs. 1 Var. 3 oder
4 StGB nicht begründet werden kann. Selbst wenn man der Ansicht zustimmen wollte, dass die Frage nach dem
Erfolgsort im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB normspezifisch am Schutzzweck der jeweiligen Strafvorschrift ausgerichtet
werden muss (so BGH, Urteil vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242 zur objektiven Bedingung
der Strafbarkeit des abstrakten Gefährdungsdelikts des § 323a StGB), die Regelung mithin nicht nur auf Erfolgsdelikte im Sinne der allgemeinen Deliktslehre abstellt, ist jedenfalls an dem Ort, an dem die hervorgerufene abstrakte
Gefahr in eine konkrete umgeschlagen ist oder gar nur umschlagen kann, kein zum Tatbestand gehörender Erfolg
eingetreten (ebenso S/S-Eser, StGB, 29. Aufl., § 9 Rn. 6a; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl., § 9 Rn. 2; Satzger,
NStZ 1998, 112, 114 f.; offengelassen für den Fall, dass sich die abstrakte Gefahr realisiert hat, von BGH, Urteil
vom 12. Dezember 2000 - 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212, 221). Dieser muss vielmehr in einer von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbaren Außenweltsveränderung bestehen (Hilgendorf, NJW
1997, 1873, 1876). Das Argument, diese Auffassung konterkariere die Bemühung, den Schutz bestimmter Rechtsgüter durch die Schaffung von abstrakten Gefährdungsdelikten zu erhöhen (so Heinrich, GA 1999, 72, 81), vermag
- 82 -
nicht zu überzeugen. Gerade die diesen Schutz ausmachende Vorverlagerung der Strafbarkeit kann Anlass sein, diese
- schon mit Blick auf völkerrechtliche Fragen (vgl. hierzu Roegele, Deutscher Strafrechtsimperialismus, 2014, 53 ff.,
132 ff.) - nicht ausnahmslos auf Sachverhalte mit internationalem Bezug zu erstrecken. Auch soweit die Gegenmeinung betont, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 9 StGB durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli
1969 (BGBl. I, S. 717) keine Einschränkung der bis dahin zu § 3 Abs. 3 StGB aF herrschenden Auffassung zum
Begehungsort abstrakter Gefährdungsdelikte habe erreichen wollen (so LK/Werle/Jeßberger, StGB, 12. Aufl., § 9
Rn. 33 mwN), steht dieser etwaige Gesetzgeberwille im diametralen Widerspruch zu der mit der Neufassung eingefügten Voraussetzung, dass der Erfolg zum Tatbestand der Strafnorm gehören muss (ebenso Satzger aaO, S. 115 f.).
b) Der Angeklagte hat auch allein im Ausland gehandelt (§ 9 Abs. 1 Var. 1 StGB). Der Handlungsort wird bei aktivem Tun durch den Aufenthaltsort des Täters bestimmt (MüKoStGB/Ambos, 2. Aufl., § 9 Rn. 8 mwN). Schon deshalb vermag die Ansicht nicht zu überzeugen, nach der ein Handlungsort auch dort gegeben sein soll, wo die durch
mediale Übertragung transportierte Handlung ihre Wirkung entfaltet (so aber KG, Urteil vom 16. März 1999 - 1 Ss
7/98, NJW 1999, 3500, 3502; zustimmend S/S-Eser aaO, § 9 Rn. 4). Der Radius der Wahrnehmbarkeit einer Handlung ist nicht Teil ihrer selbst (ebenso Heinrich, NStZ 2000, 533, 534; ablehnend auch MüKoStGB/Steinmetz aaO, §
86 Rn. 8 f.). Aus denselben Erwägungen kommt es auch nicht in Betracht, den Standort des vom Täter angewählten
Servers für ausschlaggebend zu erachten (so aber S/S-Eser aaO, § 9 Rn. 7b). Ebenfalls eine Frage der Wirkung der
tatbestandlichen Handlung wäre es, wenn man in dem Abruf der vom Angeklagten bereitgestellten Inhalte von
Deutschland aus den Abschluss des Verwendens durch Verbreiten von Schriften sehen würde. Denn anders als bei
der Beförderung durch andere Personen fehlt es bei der rein technischen Übertragung im Internet an der Möglichkeit,
Handeln Dritter und damit deren Handlungsort selbst dem Täter gemäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 bzw. § 25 Abs. 2 StGB
zuzurechnen (vgl. hierzu MüKoStGB/Steinmetz aaO, § 86 Rn. 7). Der Senat kann daher offenlassen, ob der zu der
Vorgängerregelung des heutigen § 176a Abs. 3 StGB ergangenen Entscheidung (BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 - 1
StR 66/01, BGHSt 47, 55, 58 ff.), die sich für das Internet von dem herkömmlichen Verständnis des Verbreitens von
Schriften als einem Akt deren körperlicher Übergabe löst und die gespeicherten Daten mit dem Datenspeicher
gleichsetzt (kritisch hierzu Kudlich, JZ 2002, 310, 311; SK-StGB/Rudolphi/Stein, 40. Lfg., § 11 Rn. 61 f.), zu folgen
wäre, zumal angesichts der weiteren Tathandlungsvariante des öffentlichen Verwendens im Rahmen des § 86a Abs.
1 Nr. 1 StGB hierzu ein Bedürfnis nicht besteht.
c) Der Angeklagte hat sich dadurch, dass er als Betreiber der Plattform es im Inland unterlassen hat, die von ihm
eingestellten Kennzeichen wieder zu entfernen, auch nicht gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, § 13 StGB strafbar gemacht.
Unabhängig von den Fragen, ob § 13 StGB überhaupt auf abstrakte Gefährdungsdelikte Anwendung findet und ob
eine Pflicht zur Abwehr von Gefahren bestehen kann, die durch eigenes vorsätzliches Verhalten hervorgerufen wurden (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 1 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 131), fehlt es angesichts der bereits
objektiven Tatbestandslosigkeit des Vorverhaltens jedenfalls an der eine Garantenstellung begründenden Pflichtwidrigkeit.
d) Da die diesem Fall zugrundeliegenden Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen wurden und weitere Feststellungen, die eine Verurteilung des Angeklagten rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind, spricht der Senat den Angeklagten insoweit frei (§ 354 Abs. 1 StPO). Er verkennt nicht, dass seine Auffassung dazu führen kann, dass Personen - wie vorliegend der Angeklagte - gezielt die Grenze überqueren werden, um Kennzeichen in das Internet einzustellen, deren Verwendung im Inland mit Strafe bedroht wäre. Es ist jedoch Aufgabe des Gesetzgebers, diese Strafbarkeitslücke zu schließen, falls er dies für erforderlich erachtet.
2. Nicht bestehen bleiben kann auch die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen B. IV. 1. bis 4., 6., 8. und 9. der
Urteilsgründe. Das Landgericht hat für seine Überzeugung von der Täterschaft des insoweit nicht geständigen Angeklagten neben dem Fund roter und schwarzer Farbe in einer vom Angeklagten genutzten Garage im Wesentlichen
auf inhaltliche und gestalterische Übereinstimmungen abgestellt, insbesondere den Umstand, dass das mehrfach
verwendete und einmal als von ihm stammend eingeräumte Kürzel "KC" Ausdruck der Fantasie des Angeklagten
von einem tatsächlich nicht existierenden Zusammenschluss nationalsozialistischer Kräfte in K. sei. Dass Dritte
dieselben Kürzel und Parolen verwendet haben könnten, erschiene lebensfremd. Diese für sich betrachtet nicht zu
beanstandende Würdigung steht jedoch in einem unauflösbaren Widerspruch zu der Begründung des Freispruchs von
weiteren zur selben Zeit in Kronach verübten Schmierereien. Diese geht dahin, dass die insoweit verwendete blaue
Farbe in der Garage nicht aufgefunden worden sei. Da aber auch in diesen Fällen die Kürzel "NS" und "KC" angebracht wurden, hat es das Landgericht offenbar doch für möglich und demnach nicht für lebensfremd gehalten, dass
im selben Zeitraum andere Täter dieselben Kürzel verwendet haben. Danach hat es seine eigene Überzeugungsbil-
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dung zu den abgeurteilten Fällen in Zweifel gezogen und damit entkräftet. Denn allein auf den verbleibenden Umstand des Fundes roter und schwarzer, nicht aber blauer Farbe hat das Landgericht seine Überzeugung gerade nicht
gestützt. Auf diesem Fehler beruht das Urteil.
III. Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge keinen Rechtsfehler ergeben. Der
näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Die Verurteilung nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB im Fall B. I. der Urteilsgründe ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat die vom Angeklagten genutzte Fahne und deren Unterschiede zu dem Banner der unanfechtbar verbotenen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2001 - 6 A 1/01, NVwZ 2002, 80) Organisation "White
Youth" präzise genug beschrieben, um dem Senat - auch ohne die an sich sachgerechte ergänzende Bezugnahme auf
Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO - die Überprüfung zu ermöglichen, ob die Annahme zutrifft, das vom
Angeklagten verwendete Kennzeichen sei dem der "White Youth" zum Verwechseln ähnlich (§ 86a Abs. 2 Satz 2
StGB). Diese Überprüfung ergibt, dass die Auffassung des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden ist. Dem
Schuldspruch steht insoweit auch nicht entgegen, dass das fragliche Kennzeichen der "White Youth" in der Öffentlichkeit möglicherweise nicht weiter bekannt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 3 StR 495/01, BGHSt 47,
354; aA Reuter, Verbotene Symbole, 2005, 127 ff.). Danach ist es für den Schuldspruch ohne Belang, dass die Ansicht des Landgerichts nicht zutrifft, die Fahne des Angeklagten sei auch der Hakenkreuzfahne der Nationalsozialisten zum Verwechseln ähnlich gewesen. Von einer derartigen Ähnlichkeit ist nicht schon dann auszugehen, wenn das
verwendete Kennzeichen lediglich Assoziationen zu dem Kennzeichen einer in § 86 Nr. 1, 2 oder 4 StGB genannten
Organisation erweckt. Erforderlich ist vielmehr, dass aus der Sicht eines nicht besonders sachkundigen und nicht
genau prüfenden Betrachters das verwendete Kennzeichen die typischen Merkmale aufweist, welche das äußere
Erscheinungsbild des Originals prägen, und dadurch dessen Symbolgehalt vermittelt (BGH aaO, BGHSt 47, 354,
357). Normativer Maßstab ist dabei die Übereinstimmung in den wesentlichen wahrnehmbaren Merkmalen. Entscheidend ist, ob trotz der Änderungen das Originalkennzeichen und dessen Symbolgehalt hervortreten, mithin Aussage und Erscheinungsbild prägen (BGH, Urteil vom 13. August 2009 - 3 StR 228/09, BGHSt 54, 61, 63 f.;
MüKoStGB/Steinmetz, 2. Aufl., § 86a Rn. 17 f.). Hiervon kann bei der Gestaltung mit drei anstelle von vier Haken,
deren Zusammenspiel ein völlig anderes geometrisches Gebilde schaffen, nicht mehr ausgegangen werden. Allein
die Übereinstimmung in der farblichen Gestaltung genügt insoweit nicht.
2. Auch die Verurteilung im Fall B. II. 1. der Urteilsgründe hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Die
Fahne sowie das Kennzeichen des Hitlergrußes (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972 - 3 StR 1/71, BGHSt 25,
30) verwendete der Angeklagte öffentlich, indem er das ihn und S. in entsprechender Pose zeigende Foto in ihre
Facebook-Profile einstellte. Unter Verwenden ist jeder Gebrauch zu verstehen, der das Kennzeichen optisch oder
akustisch wahrnehmbar macht (BGH, Urteil vom 29. Mai 1970 - 3 StR 2/70, BGHSt 23, 267, 268 f.). Dies geschieht
öffentlich, wenn das Kennzeichen durch die Art seiner Verwendung für einen größeren, nicht durch persönliche
Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrnehmbar ist (OLG Celle, Urteil vom 10. Mai 1994 - 1 Ss
71/94, NStZ 1994, 440; MüKoStGB/Steinmetz aaO, Rn. 26). Zwar besteht zwischen den als "Freunden" gespeicherten Nutzern und dem Inhaber eines Facebook-Profils jeweils eine Beziehung derart, dass die entsprechende Anfrage
des einen zur Aufnahme in den Kreis der "Freunde" durch den anderen bestätigt werden muss, die Verlinkung mithin
auf einer kongruenten Willensbildung beruht. Damit ist über die persönliche Ebene dieser Beziehung jedoch noch
nichts Hinreichendes ausgesagt. Das Landgericht hat keine weiteren Feststellungen dazu getroffen, welcher Art die
Beziehungen des Angeklagten bzw. des S. zu den mit ihnen verlinkten Personen war. Dies gefährdet den Schuldspruch hier indessen nicht, denn bei 844 sogenannten Freunden des S. kann der Senat ausschließen, dass zu mehr als
einem Bruchteil von diesen eine Verbindung bestand, die über eine zufällige, mitunter sogar nur virtuelle Bekanntschaft hinausging.
IV. Der Wegfall eines Teils des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Für das
weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass bei Einbeziehung eines früheren Urteils in die neue Verurteilung
(§ 105 Abs. 1, § 31 Abs. 2 JGG) die in dem ersten Erkenntnis festgesetzten Maßregeln der Besserung und Sicherung
nicht gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB aufrechtzuerhalten, sondern deren Voraussetzungen vielmehr erneut zu prüfen
und sie gegebenenfalls neu anzuordnen sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1993 - 3 StR 432/93, juris Rn. 3 f.;
Beschluss vom 17. März 2011 - 4 StR 49/11, StraFo 2011, 240). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer
wird auch die versehentlich unterbliebene Tenorierung des Teilfreispruchs hinsichtlich der weiteren Graffiti-Fälle
(G. der Urteilsgründe) nachzuholen haben.
- 84 -
StGB § 89a Bestimmtheitsgrundsatz einengende Auslegung
BGH, Urt. v. 08.05.2014 - 3 StR 243/13 NJW 2014, 3459 = NStZ 2014, 703
LS: 1. § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103
Abs. 2 GG.
2. § 89a StGB entspricht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; dieser
gebietet es jedoch, die Vorschrift dahin einschränkend auszulegen, dass der Täter bei der Vornahme der in § 89a Abs. 2 StGB normierten Vorbereitungshandlungen zur Begehung der schweren
staatsgefährdenden Gewalttat bereits fest entschlossen sein muss.
3. Zur Auslegung des Begriffs der schweren staatsgefährdenden Gewalttat im Sinne des § 89a Abs.
1 Satz 2 StGB.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 27. März 2014 in der Sitzung am
8. Mai 2014 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2013 mit
den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten. Im
Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-verwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs.
1, Abs. 2 Nr. 3 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 und 6
StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Dieser
ist der Auffassung, § 89a StGB sei verfassungswidrig; außerdem beanstandet er die Verletzung formellen sowie
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet. Nach den Feststellungen des Landgerichts informierte sich der Angeklagte etwa seit dem Jahre 2009 näher über den Islam und entwickelte zunehmend Hass- und Rachegefühle gegen
die westliche Welt, da diese aus seiner Sicht die islamische Bevölkerung und ihre Religion bekämpfe und unterdrücke. Er radikalisierte sich und lud aus dem Internet eine Vielzahl von islamistisch- jihadistischen Audio- und Textdateien - insgesamt etwa 100 Dokumente mit einem Umfang von etwa 10.000 Seiten - herunter. Bei diesen handelte es
sich zu einem großen Teil um Propagandamaterial, in dem zur Teilnahme am bewaffneten Kampf gegen die vermeintlichen Feinde des Islam aufgerufen und dieser legitimiert wird. Der Angeklagte speicherte unter anderem einige Online-Ausgaben eines von der Organisation „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel“ produzierten und verbreiteten Jihad-Propagandamagazins. Eine dieser Ausgaben enthielt eine Anleitung zum Bau einer Sprengvorrichtung
unter Verwendung eines Rohrkörpers, die nach den dortigen Angaben mindestens zehn Menschen töten könne
(„Make a bomb in the kitchen of your Mom“). Der Angeklagte entschloss sich spätestens Anfang des Jahres 2011,
nach den Vorgaben dieser Anleitung eine Sprengvorrichtung herzustellen. In erster Linie zu diesem Zweck mietete
er ab Januar 2011 einen Raum in einem Lernzentrum in Frankfurt am Main und begann, die Bauteile für den
Sprengkörper zusammenzutragen. Unter anderem rieb er mit einem Messer die Köpfe von 7.000 bis 8.000 Zündhölzern ab, sammelte das so entstandene Pulver und baute aus Feuerwerksraketen die Treibladungen aus. Zuletzt bewahrte er insgesamt 226,3 Gramm eines Gemisches auf der Basis von Schwarzpulver und Material von Zündholzköpfen in einem Gurkenglas und einer Kunststofftüte auf. Diese Menge war ausreichend, um mehrere Rohrbomben
zu befüllen und zur Explosion zu bringen. Der Angeklagte erwarb außerdem diverse weitere Gegenstände - z.B. drei
Rohrbögen aus Metall -, und präparierte diese anweisungsgemäß. So brachte er etwa an einem der Rohrbögen mittels
einer eigens hierfür erworbenen Bohrmaschine eine 4 mm breite Bohrung an. Daneben zerlegte er zwei Wecker und
bohrte eine Öffnung in die Verschalung eines Mobiltelefons, um die Nutzung der Geräte als Zündauslöser vorzubereiten. Schließlich standen ihm alle für den Bau einer unkonventionellen Sprengvorrichtung nach der von ihm befolgten Anleitung erforderlichen Bestandteile zur Verfügung. Eine solche Sprengvorrichtung wäre im Falle ihres
Einsatzes in der Lage gewesen, energiereiche Splitter zu erzeugen, die eine tödliche Wirkung auf Menschen in einem
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Abstand von jedenfalls bis zu neun Metern vom Explosionsort hätte erzielen können. Der Angeklagte hatte einen
konkreten Einsatzzeitpunkt und -ort noch nicht bestimmt; er nahm - so die Formulierung in den Feststellungen des
angefochtenen Urteils - „zumindest billigend in Kauf, die Vorrichtung nach der Herstellung auch in der Öffentlichkeit zum Einsatz zu bringen, dadurch eine unbestimmte Anzahl von Menschen zu töten und somit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sowie ihr Vertrauen in staatlichen Schutz erheblich zu beeinträchtigen“. Als der Angeklagte in
Ausführung seiner Pläne am Nachmittag des 13. Februar 2011 Leuchtkugeln aus Feuerwerkskörpern in einem Küchenmixer zerkleinerte und mit weiteren Substanzen vermischte, kam es zu einer Explosion, bei der die Zwischendecke des angemieteten Zimmers um sechs Zentimeter angehoben wurde. Es entstanden Einbrennungen und Rußanhaftungen am Teppichboden sowie im Wand- und Deckenbereich. Die Schäden verursachten Renovierungskosten von
mindestens 1.000 €. Der Angeklagte erlitt Verbrennungen im Gesicht und an den Unterarmen.
I. Die erhobene Verfahrensrüge ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegten
Erwägungen, auf die der Senat Bezug nimmt, unbegründet.
II. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Prüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung und
zur Zurückverweisung der Sache. Zwar ist - entgegen der Auffassung der Revision - § 89a StGB bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar, so dass kein Anlass besteht, ein Normenkontrollverfahren gemäß
Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG einzuleiten. Auch hat der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen die objektiven
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt. Indes wird die subjektive Tatseite
nicht in allen Punkten durch die Urteilsgründe hinreichend belegt. Im Einzelnen:
1. § 89a StGB steht bei verfassungskonformer Auslegung der Norm mit dem Grundgesetz in Einklang (im Ergebnis
ebenso die bisherige obergerichtliche Rspr.; vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Februar 2014 - 4 Ws 16/14; OLG
Karlsruhe, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 2 Ws 157/11, StV 2012, 348, 349 f.; KG, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 4 WS 92/11 u.a., StV 2012, 345, 346 ff.; aus der Literatur vgl. etwa Matt/Renzikowski/Becker/Steinmetz,
StGB, § 89a Rn. 4; Bader NJW 2009, 2853, 2854 ff.; Griesbaum/Walenta NStZ 2013, 369, 372; Wasser/Piaszek
DRiZ 2008, 315, 319; Hungerhoff, Vorfeld-strafbarkeit und Verfassung, 2013, S. 37 ff.; Kauffmann, Das Gesetz zur
Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten, 2011, 147 ff.). Die von der Verteidigung
insoweit in Übereinstimmung mit großen Teilen des Schrifttums (vgl. etwa AnwK-StGB/Gazeas, § 89a Rn. 6 ff.;
SK-StGB/ Zöller, 132. Lfg., § 89a Rn. 4 ff.; Backes StV 2008, 654; Beck in Festschrift für Paulus, 2009, S. 15, 21
ff.; Deckers/Heusel ZRP 2008, 169; Gazeas/Große-Wilde/Kießling NStZ 2009, 593; Gierhake ZIS 2008, 397; Mitsch
NJW 2008, 2295, 2298; Radtke/Steinsiek ZIS 2008, 383; dies. JR 2010, 107; Sieber NStZ 2009, 353; Steinsiek,
Terrorabwehr durch Strafrecht?, 2012, S. 311 ff.; Weißer ZStW 121, (2009), 131; Zöller GA 2010, 607, 614 ff.; ders.
StV 2012, 364, 370 ff.) erhobenen Einwände insbesondere dahin, die Vorschrift verletze den Bestimmtheitsgrundsatz, widerspreche dem Schuldprinzip, überschreite die Grenze zum Gesinnungsstrafrecht und missachte das Übermaßverbot, greifen im Ergebnis vor allem mit Blick auf den weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers bei der
Normierung strafbaren Unrechts nicht durch.
a) § 89a StGB genügt dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.
aa) Dieses enthält für den Gesetzgeber die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit
im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so
konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich
durch Auslegung ermitteln lassen. Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich
der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und dass er Rechtsvorschriften so genau
fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Norm-zweck
möglich ist, gelten für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt daher, Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand
deren Wortlauts voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht, und in Grenzfällen wenigstens das
Risiko einer Bestrafung erkennbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 2007 - 2 BvR 2273/06, NJW 2007,
1666). Allerdings muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens
Herr zu werden. Hätte er stets jeden Straftatbestand bis ins Letzte auszuführen, anstatt sich auf die wesentlichen und
dauerhaften Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr,
dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Wegen der gebotenen Allgemeinheit und der damit zwangsläufig verbundenen Abstraktheit von Strafnormen ist es unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Das Bestimmtheitsgebot bedeutet deshalb nicht, dass
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der Gesetzgeber gezwungen wäre, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit unmittelbar in ihrer Bedeutung für
jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben. Es schließt somit die Verwendung
wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht von vornherein aus. Zulässig ist es auch, zur
Auslegung einer Norm gegebenenfalls auf die Rechtsprechung zu einem anderen Rechtsgebiet zurückzugreifen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08 u.a., BVerfGE 129, 208, 255 mwN). Welchen Grad an
gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, lässt sich nach alledem nicht allgemein sagen.
Deshalb ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen
zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus Art. 103 Abs. 2 GG im Einzelfall nachgekommen ist.
Zu prüfen sind die Besonderheiten des jeweiligen Straftatbestands einschließlich der Umstände, die zu der gesetzlichen Regelung führen, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser
bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten ist von Bedeutung (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 196).
bb) Nach diesem Maßstab bestehen gegen § 89a StGB keine durchgreifenden Bedenken (im Ergebnis ebenso Kauffmann, aaO, S. 249 ff.; aA zumindest bei Teilen der Vorschrift SK-StGB/Zöller, 132. Lfg., § 89a Rn. 6; Hellfeld,
Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, 2011, S. 220 ff.; Hungerhoff, aaO, S. 136; Mertens, Das
Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG) vom 30. Juli 2009,
2012, S. 199 ff.). Die Vorschrift erlaubt trotz einer Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen, die der Ausfüllung bedürfen, dem Normadressaten insgesamt noch eine ausreichende Prognose dahin, ob ein bestimmtes Verhalten strafbar
ist. Soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, gilt:
(1) Die Legaldefinition des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB umschreibt die schwere staatsgefährdende Gewalttat dahin,
dass die vorbereitete Tat nach den Umständen bestimmt und geeignet sein muss, den Bestand oder die Sicherheit
eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. Sie enthält damit zwar eine Vielzahl
ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe. Jedoch hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien ausdrücklich
den Wortlaut des § 120 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) und b) GVG unter Hinweis auf die hierzu ergangene Rechtsprechung
(vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238 ff.; Beschluss vom 24.
November 2009 - 3 StR 327/09, NStZ 2010, 468) aufgegriffen und zutreffend ausgeführt, dass die tatbestandlichen
Elemente durch höchstrichterliche Entscheidungen der Fachgerichte bereits eine Konturierung erfahren hätten und
daneben auf die in § 92 StGB enthaltenen Begriffsbestimmungen zurückgegriffen werden könne (vgl. BT-Drucks.
16/12428 S. 14). Damit gewährleistet der Gesetzeswortlaut eine Auslegung der Vorschrift, die dem Normunterworfenen deren Inhalt hinreichend erkennbar macht.
(2) Die in § 89a Abs. 1 Satz 1 StGB nur unspezifisch als Vorbereiten umschriebene Tathandlung (sich hierauf beschränkend etwa §§ 80, 83, 234a Abs. 3 StGB) wird in § 89a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 StGB durch die abschließende Aufzählung einzelner Tatvarianten näher eingegrenzt. Dies trägt wesentlich da-zu bei, dass die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten erkannt werden kann.
(3) Die Regelungen des § 89a Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 1 StGB, auf die das Landgericht die Verurteilung gestützt hat,
sind ebenfalls hinreichend konkret gefasst. Auch insoweit hat der Gesetzgeber sich an bereits bestehende Strafrechtsnormen, namentlich § 310 Abs. 1 StGB, angelehnt (vgl. BT-Drucks. 16/12428, S. 15). Ein Teil der einzelnen
Begriffe erschließt sich näher bei Berücksichtigung der §§ 1 ff. SprengG. Zu dem Tatbestandsmerkmal der zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtung gibt die Gesetzesbegründung (BT-Drucks., aaO) einen Auslegungshinweis dahin, zur Ausführung der Tat erforderliche besondere Vorrichtungen seien vor allem technische
Apparaturen und Instrumente, Zünder und sonstiges technisches Zubehör für die Durchführung der Tat. Im Übrigen
ist auch bei diesem - in § 310 StGB ähnlich verwendeten Begriff - eine nähere Eingrenzung nach den juristischen
Auslegungsmethoden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08 u.a., BVerfGE 129, 208,
255) gerade wegen des Zusammenhangs mit den weiteren aufgeführten Gegenständen und Stoffen sowie der Erforderlichkeit zur Tatausführung möglich (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 2 Ws 157/11,
NStZ 2012, 390, 391). Den Erwägungen des Gesetzgebers ist für die Auslegung des Begriffs der wesentlichen Gegenstände in § 89a Abs. 2 Nr. 3 StGB ein Anhaltspunkt dahin zu entnehmen, dass einzelne Alltagsgegenstände nicht
vom Tatbestand erfasst wer-den sollen (BT-Drucks. 16/12428, S. 15; ähnlich bereits zu § 311a StGB aF [vgl. jetzt §
310 StGB] BT-Drucks. IV/2186, S. 3).
b) Die Norm verstößt auch im Übrigen bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen das Grundgesetz.
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aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit § 89a StGB einen verfassungsrechtlich zulässigen Zweck. Die Vorschrift ist ein
wesentlicher Teil des Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom
30. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2437), mit dem daneben auch die §§ 89b und 91 StGB in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden sind. Mit diesen Regelungen wollte der Gesetzgeber vor allem auf die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus reagieren. Ziel war es, eine möglichst effektive strafrechtliche Verfolgung auch von organisatorisch nicht gebundenen (Einzel-)Tätern zu ermöglichen, die besonders gewichtige, staatsgefährdende Gewalttaten
vorbereiten (BT-Drucks. 16/12428, S. 2, 12). Der Gesetzgeber sah vor dem Hintergrund der zunehmenden Dezentralisierung organisatorischer Strukturen vor allem im militant-islamistischen Bereich und der damit einhergehenden
nur losen Einbindung der Täter in gefestigte Verbände das Bedürfnis für ein möglichst frühzeitiges Eingreifen des
Strafrechts (BT-Drucks. 16/12428, S. 1 f., 12). Nach zuvor geltendem Recht waren Handlungen im Stadium der
Vorbereitung auch schwerster Gewalttaten, welche die Schwelle zum Versuch noch nicht überschritten, nur unter
den Voraussetzungen des § 30 StGB oder der §§ 129, 129a, 129b StGB strafrechtlich erfassbar. Mit § 89a StGB
sollen deshalb vor allem Fälle erfasst werden, in denen Handlungen zur Vorbereitung schwerster Straftaten wie
Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub oder Geiselnahme, die auch in dem Katalog des § 129a Abs. 1 StGB
enthalten sind, mangels Bestehens oder Nachweisbarkeit einer Vereinigung nicht gemäß den §§ 129 ff. StGB verfolgt werden können. Nimmt man in den Blick, dass Strafnormen von Verfassungs wegen keinen über die Einhaltung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit hinaus-gehenden, strengeren Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen
verfolgten Zwecke unterliegen, solche sich insbesondere nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten lassen (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 241), so ist nicht ersichtlich,
inwieweit diese Zwecke - die Verfolgung der Vorbereitung schwerwiegender Straftaten und damit deren Verhinderung - im Widerspruch zum Grundgesetz stehen könnten.
bb) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.
(1) Droht ein Gesetz - wie hier § 89a StGB - für ein bestimmtes Verhalten Freiheitsstrafe an, so beschränkt es nicht
nur die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern ermöglicht auch einen Eingriff in das durch Art.
2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Recht der Freiheit der Person. Dabei ist das strafbewehrte Verbot des in der Norm
umschriebenen Verhaltens an Art. 2 Abs. 1 GG, die angedrohte Freiheitsentziehung an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zu
messen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 171 f. zu § 29 BtMG).
Zwar gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG jede Form menschlichen Handelns, jedoch steht diese Gewährleistung - vom
hier ersichtlich nicht betroffenen Kernbereich privater Lebensgestaltung abgesehen - unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der alle formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehenden Rechtsnormen
zählen. Auch die Freiheit der Person ist nicht schrankenlos garantiert, sondern steht unter dem Gesetzesvorbehalt des
Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG. Letztlich sind die Grundrechtseinschränkungen daher vor allem am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 171 f.; s. im
Einzelnen auch Hellfeld, aaO, S. 201 ff.; Hungerhoff, aaO, S. 37 ff.; Kauffmann, aaO, S. 179 ff.). Danach muss eine
Strafnorm geeignet und erforderlich sein, um den er-strebten Zweck zu erreichen. Sie ist geeignet, wenn mit ihrer
Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; sie ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich
wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können. Schließlich
muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der
ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein. Die Maßnahme darf sie mithin nicht übermäßig belasten (Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Im
Bereich des staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip, das seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 GG findet, und
aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der
Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung darf nach Art und Maß dem unter Strafe
stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen vielmehr sachgerecht
aufeinander abgestimmt sein (BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 173
mwN). Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten
Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder
der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher gerichtlich je
nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu
bilden, und der Rechtsgüter, deren Schutz der Straftatbestand nach dem Willen des Gesetzgebers dienen soll, nur in
begrenztem Umfang überprüft werden kann (BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90,
145, 173 mwN). Nicht zu beurteilen ist deshalb, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerech-
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teste Regelung getroffen hat. Die von ihm gefundene Lösung ist vielmehr hinzunehmen, wenn sie materiell im Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspricht. Der Gesetzgeber hat den Bereich strafbaren Handelns verbindlich
festzulegen (s. BVerfG, Beschlüsse vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 173; vom 26. Februar
2008 - 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 241) und damit zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts
verteidigen will. Bewegt er sich dabei innerhalb der aufgezeigten Grenzen, so ist es den Gerichten verwehrt, seine
Entscheidung zu korrigieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 173;
s. auch Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 197). Erforderlichenfalls ist die
Strafnorm verfassungskonform auszulegen, wenn allein dadurch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03, NJW 2005, 349, 350).
(2) An diesen Maßstäben gemessen ist § 89a StGB zunächst die Geeignetheit und die Erforderlichkeit nicht abzusprechen. Es steht außer Frage, dass mit Hilfe der Norm der vom Gesetzgeber erstrebte Erfolg - die Verfolgung der
Vorbereitung schwerer Straftaten und damit deren Verhinderung - gefördert werden kann. Zu der Frage, ob der
Normzweck auch mit milderen Mitteln erreicht werden kann, die weniger in die Grundrechte des Normunterworfenen eingreifen, mögen unterschiedliche Meinungen vertretbar sein. Entscheidend ist aber, dass dem Gesetzgeber
insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Es ist nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit der
Schaffung von § 89a StGB die Grenzen dieses Spielraums überschritten hat.
(3) Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist - allerdings nur bei verfassungskonformer, einengender Auslegung der Vorschrift zur subjektiven Tatseite - gewahrt; denn unter dieser einschränkenden Voraussetzung führt die
insoweit erforderliche Gesamtabwägung nicht dazu, dass § 89a StGB als unangemessen zu bewerten ist. Im Einzelnen:
(aa) Zunächst steht der Schwere des Eingriffs durch die angedrohte Strafe das große Gewicht der bedrohten Rechtsgüter (Bestand/Sicherheit des Staates; hochrangige Individualrechtsgüter Leben, persönliche Freiheit; vgl. S/SSternberg-Lieben, 29. Aufl. § 89a Rn. 1g; Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling NStZ 2009, 593, 594; Kauffmann, aaO, S.
45 ff.) gegenüber. Soweit § 89a StGB Handlungen erfasst, die erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Art und das
Maß der Gefährdung dieser Rechtsgüter und auf den individuellen Unrechts- sowie Schuldgehalt aufweisen, kann
dem bei der Zumessung der Rechtsfolgen angemessen Rechnung getragen werden (s. entsprechend zu § 29 BtMG
BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 187 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschluss
vom 30. September 2005 - 2 BvR 1656/03, NVwZ 2006, 583, 584). § 89a Abs. 1 Satz 1 StGB sieht einen weiten
Regelstrafrahmen vor, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren umfasst. § 89a Abs. 5 StGB normiert einen minder schweren Fall und eröffnet für diesen einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren
Freiheitsstrafe. Nach § 89a Abs. 7 StGB kann das Gericht in bestimmten Fällen tätiger Reue die Strafe nach seinem
Ermessen gemäß § 49 Abs. 2 StGB mildern oder sogar von einer Bestrafung des Täters vollständig absehen. Dass die
Höchststrafe von zehn Jahren in allen denkbaren Fällen unangemessen wäre, ist angesichts der geschützten Rechtsgüter sowie des möglichen Gewichts der Tathandlungen und der ins Auge gefassten schweren staatsgefährdenden
Gewalttat - bis hin zu einem denkbaren Einsatz von Massenvernichtungsmitteln - ebenfalls nicht ersichtlich, zumal
der Übergang in einer Konstellation wie der hiesigen zu einem - ebenfalls mit einer Höchststrafe von zehn Jahren
geahndeten - Verbrechen nach § 310 Abs. 1 StGB fließend sein kann und im Wesentlichen nur von der Konkretisierung der Anschlagsplanung abhängt (im Ergebnis wie hier Hungerhoff, aaO S. 57 ff.; aA Hellfeld, aaO S. 214 ff.;
Steinsiek, aaO S. 360 ff.). Hinzu kommt die Möglichkeit, das Strafverfahren unter Opportunitätsgesichtspunkten
gemäß §§ 153, 153a StPO einzustellen.
(bb) Die Norm verstößt auch nicht deshalb gegen das Übermaßverbot, weil sie nicht erst die Verletzung hochrangiger Rechtsgüter, sondern bereits im Vorfeld deren Gefährdung im frühen Stadium der Tatvorbereitung unter Strafe
stellt (vgl. hierzu etwa Gierhake, ZIS 2008, 397, 400 ff.; SK-StGB/Zöller, 132. Lfg. § 89a Rn. 5). Die Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Stadium der Deliktsvorbereitung ist dem deutschen materiellen Strafrecht auch sonst
nicht fremd (vgl. etwa Haverkamp in Festschrift für Schöch, 2010, S. 381, 384). Das Strafgesetzbuch enthält in seinem Besonderen Teil zahlreiche abstrakte Gefährdungsdelikte sowie eine ganze Reihe von Normen, die - teilweise
nicht näher spezifizierte und deshalb ebenso wie § 89a StGB auch Alltagshandlungen umfassende - Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellen, so etwa die §§ 80, 83, 87, 149, 202c, 234a Abs. 3, § 263a Abs. 3, §§ 275, 310, 316c
Abs. 4 StGB. Auch im Nebenstrafrecht finden sich entsprechende Tatbestände. So stellt etwa § 19 GÜG eine solche
ins Vorfeld reichende Norm dar, welche hinsichtlich der Tathandlungen (u.a. Besitz von Ausgangsstoffen für Betäu-
- 89 -
bungsmittel oder Sprengstoffe) zudem inhaltliche Ähnlichkeiten zu § 89a Abs. 2 Nr. 3 StGB aufweist. Nicht zu verkennen ist insgesamt, dass insbesondere in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen, etwa denen des Umwelt-,
Wirtschafts-, Betäubungsmittel-, Steuer-, und Computerstrafrechts der Bereich der strafrechtlichen Verfolgung von
„Vorfeldkriminalität“ durch die Einführung entsprechender Tatbestände stetig ausgeweitet worden ist. Durch diese
Vorfeldkriminalisierung hat sich die Strafverfolgung zunehmend mit Sachverhalten zu befassen, die traditionell dem
Gebiet der Gefahrenabwehr zuzurechnen sind (krit. hierzu Becker Kriminalistik 2010, 568; vgl. auch Landau ZStW
2009, 965, 966 f.). Teilweise werden auch von der Rechtsprechung Tathandlungen „klassischer“ Straftatbestände so
weit gefasst, dass sie deutlich in das Vorfeld eigentlicher Rechtsgutsverletzungen hineinreichen. Dies gilt zum Beispiel für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, dessen Voraussetzungen schon bei jedem eigennützigen Bemühen als erfüllt angesehen werden, das darauf gerichtet ist, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder
zu fördern. Hierfür reicht es etwa aus, dass der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden
Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit einem potentiellen Verkäufer eintritt
(BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252). Diese Vorverlagerung des Strafrechts in den
Bereich der Vorbereitung von Rechtsgutsverletzungen ist indes nicht - jedenfalls nicht ohne Weiteres - mit dem
Grundgesetz unvereinbar. Dies belegt schon die Strafbarkeit der Vorbereitung eines Angriffskrieges nach § 80 StGB
- der ersten Vorschrift des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs -, die dem verfassungsrechtlichen Normbefehl des
Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG Folge leistet, der ausdrücklich die Strafbarkeit von (Vorfeld-)Handlungen verlangt, die
geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten (dazu etwa Heintzen, BT-RA Protokoll Nr. 16/137, S. 8).
Auch wenn dies eine besondere, mit dem Regelungsbereich des § 89a StGB nicht unmittelbar vergleichbare Konstellation betrifft, lässt sich dieser Regelung entnehmen, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts Grundlegendes
dagegen spricht, Handlungen im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung unter Strafe zu stellen. Dies entspricht auch der
gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das etwa bereits im Jahre 1970 zu § 100e StGB aF (Verräterische Beziehungen) ausgeführt hat, dieser erfasse Handlungen, die zwar noch nicht einen Verrat oder eine Ausspähung, wohl aber eine Gefährdung von Staatsgeheimnissen darstellten. Wer Beziehungen der in § 100e StGB aF
bezeichneten Art aufnehme, laufe Gefahr, in eine Verstrickung zu geraten, aus der er sich, je länger sie andauere,
desto schwerer befreien könne und die ihn schließlich zwinge, allen Forderungen des Partners zu entsprechen. Es sei
verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber dieser Gefährdung der Staatssicherheit entgegenwirke,
indem er durch strafrechtliche Sanktionen derartige Verbindungen im frühest möglichen Stadium zu unterbinden
suche. Die Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen der in der Norm bezeichneten Art hätten eine Gefahrenlage zur Folge, die wegen der ihr innewohnenden Entwicklungsmöglichkeiten eine möglichst früh-zeitige Unterbindung durch strafrechtliche Repression geboten erscheinen lasse (BVerfG, Beschluss vom 15. April 1970 - 2 BvR
396/69, BVerfGE 28, 175, 186, 188 f.). Neuere Entscheidungen zeigen ebenfalls auf, dass bereits die Gefährdung
eines Rechtsguts eine Strafnorm legitimieren kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. September 1992 - 2 BvR
869/92, NJW 1993, 1911 aE zu § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB aF; vom 30. September 2005 - 2 BvR 1656/03, NVwZ
2006, 583, 584 zu § 316b StGB). Auch in der Strafrechtslehre ist weitgehend anerkannt, dass das Strafrecht neben
repressiven auch präventive Zwecke verfolgen, mithin auch die Verhinderung zukünftiger Straftaten einen legitimen
Strafzweck darstellen kann (vgl. etwa SK-StGB/Zöller, 132. Lfg. § 89a Rn. 5; Backes StV 2008, 654, 659; Sieber
NStZ 2009, 353, 356 ff.; ders., Legitimation und Grenzen von Gefährdungsdelikten im Vorfeld terroristischer Gewalt, Stellungnahme für die Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundes-tages am 22. April 2009 in
Berlin, S. 11 ff.). § 89a StGB fördert, gerade indem er frühe Vorbereitungsphasen pönalisiert, den Schutz der hochrangigen Individual- und Allgemeinrechtsgüter, sei es durch Abhaltung potentieller Täter von ihrem Tun, sei es
durch die Ahndung begangener Taten, sei es schließlich - auch mit Hilfe des zur Verfügung stehenden strafrechtlichen Ermittlungsinstrumentariums - durch Verhinderung der von den Tätern geplanten Anschläge. Zwar ist in diesem Zusammenhang nicht zu verkennen, dass im Hinblick auf die Bandbreite der von der Vorschrift potentiell erfassten Tathandlungen das Maß dieser Gefahr höchst unterschiedlich, daher gegebenenfalls auch als eher gering
einzustufen und damit der objektive Unrechtsgehalt der Tat im Einzelfall als mäßig zu bewerten ist. Dem trägt die
Vorschrift indes insbesondere durch die unter (aa) dargestellten abgestuften Reaktionsmöglichkeiten hinreichend
Rechnung.
(cc) § 89a StGB enthält entgegen der Auffassung der Revision kein singuläres Sonderstrafrecht, das nicht gefährliche
Handlungen, sondern präsumtiv gefährliche Täter erfasst und damit letztlich allein deren Gesinnung bestraft. Zunächst ist es den vom Gesetzgeber unter Strafe gestellten Vorbereitungsdelikten dem Grunde nach gemein, dass
- 90 -
objektive, äußere -unter Umständen für sich genommen neutrale - Handlungen erst im Zusammenhang mit dem
subjektiven Kontext, den Plänen und Absichten des Täters, strafbares Unrecht begründen. Ähnliches gilt auch, wenn
die Tat das Vorbereitungsstadium verlässt und den Bereich des strafbaren Versuchs erreicht. Der dort erforderliche
Tatentschluss geht notwendigerweise über den Vorsatz hinaus, unmittelbar zur Tat anzusetzen. Schließlich enthält
das deutsche materielle Strafrecht zahlreiche Delikte wie etwa den Diebstahl oder den Betrug, die auch im Falle ihrer
Vollendung eine überschießende Innentendenz aufweisen, indem sie zum Beispiel eine bestimmte Absicht des Täters
voraussetzen, die sich im objektiven Tatbestand nicht widerspiegeln muss. Maßgebend kommt hinzu, dass die Strafandrohung im Falle des § 89a StGB an ausreichend konkret umschriebene Tathandlungen anknüpft, die in Verbindung mit den tatbestandlich vorausgesetzten Beweggründen, die dem Tun des Täters zugrunde liegen, bereits eine mehr oder weniger große - Gefahr für die genannten Rechtsgüter begründen. In diesen objektiven Handlungen manifestiert sich der auf die Begehung eines besonders schwerwiegen-den Delikts gerichtete Entschluss des Täters, der
seinerseits durch objektiv erkennbar werdende Beweisumstände belegt werden muss (vgl. KG Berlin, Beschluss vom
26. Oktober 2011 - 4 Ws 92/11 u.a., StV 2012, 345, 347). § 89a StGB begründet weder eine Strafbarkeit für Personen, die ausschließlich eine der dort genannten objektiven Tathandlungen vornehmen, ohne dass diese auf die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gerichtet ist, noch für jemanden, der allein diese subjektive Vorstellung hat, ohne sie durch eine der abschließend aufgeführten objektiven Tathandlungen nach außen zu manifestieren. Unter Strafe gestellt sind somit nicht bestimmte Gedanken, sondern deren rechtsgutsgefährdende Betätigung
(vgl. Matt/Renzikowski/Becker/ Steinmetz, StGB, § 89a Rn. 4). Schließlich spielt es für die Strafbarkeit wegen der
Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat keine Rolle, welchem konkreten Gedankengut der Täter
verhaftet ist. Die Vorschrift erfasst nicht nur eine Tätergruppe mit einer bestimmten Motivation; sie stellt vielmehr
beispielsweise Vorbereitungshandlungen mit militant-religiösem Hintergrund ebenso unter Strafe wie solche, bei
denen der Täter aus politisch extremistischen Motiven heraus handelt (BT-Drucks. 16/12428 S. 2; Bader NJW 2009,
2853, 2855).
(dd) Für sich gesehen begründet auch der durch die Staatsschutzklausel des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB eröffnete Anwendungsbereich der Norm keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit
der Vorschrift. Nach der dortigen Legaldefinition ist eine schwere staatsgefährdende Gewalttat gesetzlich umschrieben als eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in
den Fällen des § 239a oder des § 239b StGB, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder
die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze
der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. In die gesetzliche Definition einbezogen ist somit der Staatsschutzbezug der vorbereiteten Taten. Hinsichtlich der entsprechenden Eignung
und Bestimmung ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Da die schwere staatsgefährdende Gewalttat tatsächlich noch nicht begangen wurde, kommt es - auch nach Gesetzeswortlaut und -systematik - nicht auf
die bereits vorgenommenen Vorbereitungshandlungen, sondern auf die vorbereitete (künftige) Tat an (so auch die
einhellige Literatur, vgl. etwa AnwK-StGB/ Gazeas, § 89a Rn. 12; SK-StGB/Zöller, 132. Lfg., § 89a Rn. 13; S/SSternberg-Lieben, 29. Aufl. § 89a Rn. 8; s. auch BR-Drucks. 69/1/09, S. 2). Die Staatsschutzklausel ist dem § 120
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) GVG nachgebildet. Der Gesetzgeber stellt insoweit auf ein Verständnis dieser
Klausel ab, wie es in der Rechtsprechung des Senats zu dieser Vorschrift (vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 22.
Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238 ff.) formuliert worden ist (BT-Drucks. 16/12428, S. 14), ohne allerdings den Unterschied zu thematisieren, dass die Staatsschutzklausel dort der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bundes- und Landesjustiz, hier aber der Begründung der Strafbarkeit dient. Danach reicht es zur Begründung
der Gerichtsbarkeit des Bundes gegebenenfalls zwar aus, wenn die Tat unter dem Aspekt der inneren Sicherheit
„nur“ geeignet und bestimmt ist, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Aber auch, wenn diese
Bestimmung und Eignung der Tat - entsprechend dem Willen des Gesetzgebers - in gleicher Weise unter das tatbestandliche Element der „Sicherheit eines Staates“ in § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB subsumiert wird, liegt darin noch
keine aus verfassungsrechtlicher Sicht unzulässige Überdehnung der Strafbarkeit. Im Einzelnen: Der Begriff der
Sicherheit eines Staates umfasst dessen innere und äußere Sicherheit. Die innere Sicherheit ist der Zustand relativer
Ungefährdetheit von dessen Bestand und Verfassung gegenüber gewaltsamen Aktionen innerstaatlicher Kräfte, wobei insoweit die Fähigkeit eines Staates im Zentrum steht, sich nach innen gegen Störungen zur Wehr zu setzen. Sie
wird in der Regel beeinträchtigt sein, wenn die vorbereitete Tat, so wie der Täter sie sich vorstellt, nach den Umständen geeignet wäre, das innere Gefüge eines Staates zu beeinträchtigen. Dabei reicht es jedoch aus, wenn durch die
Tat zwar nicht die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen wird, aber die
- 91 -
Tat durch den ihr innewohnenden Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze ihren besonderen Charakter gewinnt. Dies
kann grundsätzlich auch der Fall sein, wenn das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert wird, vor gewaltsamen Einwirkungen in ihrem Staat geschützt zu sein. Die erforderliche Eignung ist objektiv anhand der (gleichsam fiktiven)
Umstände der vorbereiteten Tat festzustellen. In subjektiver Hinsicht („bestimmt“) ist Voraussetzung, dass der Täter
die möglichen Folgen der vorbereiteten Tat in seinen Willen aufgenommen hat. Dazu reicht es aus, dass er die tatsächlichen Umstände, welche die Eignung zur Beeinträchtigung des Schutzguts ergeben, erkannt und in seinen Willen einbezogen hat (vgl. auch KK-Hannich, 7. Aufl., § 120 GVG Rn. 4c). Im Einzelfall kann es für die Frage der
Staatsgefährdung auf Einzelheiten wie etwa die Prominenz der Opfer, die Öffentlichkeit oder Symbolträchtigkeit des
Ortes und die Umstände der Tathandlung ankommen (vgl. KG, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 4 Ws 92/11 u.a.,
StV 2012, 345, 347 f.). Ein zielgerichtetes Handeln zur Beeinträchtigung der inneren Sicherheit im Sinne einer Absicht ist dagegen nicht erforderlich (st. Rspr., vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00,
BGHSt 46, 238, 252). Soweit in der Literatur hinsichtlich der Staatsgefährdung teilweise direkter Vor-satz (dolus
directus 2. Grades) gefordert wird (etwa Gazeas/Große-Wilde/ Kießling, NStZ 2009, 593, 596;
Matt/Renzikowski/Becker/Steinmetz, StGB, 2013, § 89a Rn. 20; NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 89a Rn. 25; S/SSternberg-Lieben, 28. Aufl., § 89a Rn. 17; Haverkamp in Festschrift für Schöch, 2010, S. 381, 395; Hellfeld, aaO, S.
266 ff.; Hungerhoff, aaO, S. 144 ff.; kritisch bezüglich des Gesetzeswortlauts auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 89a
Rn. 22), ist dem nicht zu folgen. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten gefestigten Rechtsprechung bringen die
Gesetzesformulierung sowie die Erläuterungen in den Materialien gerade zum Ausdruck, dass das voluntative Element des Bestimmens auch bei § 89a StGB nicht im Sinne einer Absicht zu verstehen ist, sondern dahin, dass der
Täter die zur Eignung führenden Gesichtspunkte kennt und billigt. Auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift kann
Weiteres nicht entnommen werden. Der Senat sieht allerdings - auch vor dem Hintergrund der großen Praxisrelevanz
der Fälle, in denen es entscheidend auf die Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung ankommt, Anlass, erneut klarzustellen, dass insoweit nicht irgendeine negative Beeinflussung des allgemeinen Sicherheitsgefühls genügt. Ein derartiger Effekt kann durch Straftaten unterschiedlichster Art - gegebenenfalls befördert durch
eine entsprechende mediale Berichterstattung - eintreten und ist daher für sich allein nicht geeignet, die Voraussetzungen der Staatsschutzklausel zu erfüllen. Erforderlich ist vielmehr, dass die Belange des Staates auf dem Gebiet
der inneren Sicherheit in vergleichbar schwerer Weise berührt werden, wie dies bei den weiteren Alternativen des §
120 Abs. 2 Satz 1 GVG der Fall ist. Deren Voraussetzungen liegen - wie dargelegt - namentlich dann vor, wenn die
Tat nach den konkreten Um-ständen geeignet ist, das innere Gefüge des Gesamtstaates zu beeinträchtigen oder sich
gegen Verfassungsgrundsätze richtet. Der spezifisch staatsgefährdende Charakter des vorbereiteten Delikts ist insbesondere dann zu bejahen, wenn die Tat der Feindschaft des Täters gegen das freiheitlich-demokratische Staats- und
Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland entspringt und er seine potentiellen Opfer nur deshalb auswählt, weil sie dieses System als Amtsträger oder in sonstiger Weise repräsentieren, oder ohne jeden persönlichen
Bezug lediglich deshalb angreift, weil sie Bürger oder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland sind oder sich im
Bundesgebiet aufhalten (BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 3 StR 327/09, NStZ 2010, 468). Eingedenk
dieser Maßgaben wird bei einem mit der Auslegung des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) GVG übereinstimmenden Verständnis der Norm vor dem Hintergrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers das
Übermaßverbot noch nicht verletzt.
(ee) Die Unverhältnismäßigkeit der Vorschrift folgt auch nicht daraus, dass die vom Täter ins Auge gefasste, vorbereitete Tat im Sinne des § 89a Abs. 1 StGB in seinen Vorstellungen noch nicht im Einzelnen konkretisiert sein muss.
Nach dem Willen des Gesetzgebers setzt § 89a Abs. 1 StGB nicht vor-aus, dass der Täter ein schon im Detail geplantes Verbrechen vorbereitet. Danach brauchen weder die konkrete Art der Ausführung noch Zeit und Ort sowie potentielle Opfer festgelegt zu sein. Vielmehr soll es genügen, dass der Delikts-typ der vorbereiteten Tat hinreichend bestimmt ist, es sich mithin nach der Vorstellung des Täters um eine Tat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder
§ 212 StGB oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b StGB handeln soll. § 89a
StGB soll in dieser Hinsicht weiter reichen als etwa die Strafausdehnungsvorschrift des § 30 StGB (BT-Drucks.
16/12428) S. 14). Der Senat muss nicht entscheiden, ob die Anknüpfung der Strafbarkeit allein an eine derart vage
Vorstellung von der vorbereiteten Tat dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch genügen könnte. Denn die entsprechenden Erwägungen des Gesetzgebers können schon aus einfachrechtlichen Gründen in der praktischen Rechtsanwendung nicht vollständig umgesetzt werden. Bereits die Gesetzessystematik schließt aus, es für die Begründung der
Strafbarkeit genügen zu lassen, dass der Täter in sein Vorstellungsbild lediglich den allgemeinen Deliktstypus der
von ihm vorbereiteten Tat aufnimmt. Die Vorbereitungshandlungen des Täters müssen auf die Begehung einer
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schweren staats-gefährdenden Gewalttat im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB gerichtet sein. Systematisch unabdingbar ist es deshalb, dass die geplante Tat jedenfalls be-reits so weit konkretisiert ist, dass überprüft werden kann,
ob sie die Voraussetzungen der Staatsschutzklausel erfüllt. Hieraus folgt, dass es Feststellungen bedarf, die ausreichen, um daraus entnehmen zu können, dass die ins Auge gefasste Tat neben den in § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB aufgeführten Deliktstypen auch die dort genannten weiteren Voraussetzungen der Norm erfüllt (vgl. auch OLG Karlsruhe,
Beschluss vom 19. Dezember 2011 - 2 Ws 157/11, StV 2012, 348, 350). Weitergehende, über das dargelegte Maß
hinausgehende Anforderungen an die Konkretisierung der künftigen Tat - etwa mit Blick auf Tatort, Tatzeit und
Tatopfer - ergeben sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch nach dem Gesetzeszweck; sie sind auch von Verfassungs wegen nicht zu fordern (im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart, Beschluss vom 4. Februar 2014 - 4 Ws 16/14;
Matt/Renzikowski/Becker/Steinmetz, StGB, 2013, § 89a Rn. 20; SK-StGB/ Zöller, 132. Lfg. § 89a Rn. 11; S/SSternberg-Lieben, 29. Aufl., § 89a Rn. 17). Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit darf insoweit neben dem
dargelegten, über die Vorstellungen des Gesetzgebers hinausgehenden Maß der Konkretisierung nicht aus dem Blick
geraten, dass der objektive Tatbestand des § 89a StGB eine konkrete objektive Vorbereitungshandlung erfordert, in
der sich das Vorhaben des Täters manifestiert, während sich im Unterschied hierzu etwa die Vorbereitung eines
Verbrechens in den Fällen des § 30 StGB im Geistig-Verbalen erschöpfen kann. Insoweit besteht eine gewisse Parallele zwischen § 89a StGB und § 87 StGB. Dieser stellt das Befolgen eines Auftrags zur Vorbereitung von Sabotagehandlungen durch in § 87 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 StGB abschließend aufgeführte Verhaltensweisen unter Strafe. Auch
dort muss die vorbereitete Tat nicht hinsichtlich eines Tatobjekts, der Zeit und der genauen Tatausführung konkretisiert sein (S/S-Sternberg-Lieben, 29. Aufl., § 87 Rn. 4).
(ff) Betrachtet man das unter (aa) bis (ee) Gesagte in der erforderlichen Gesamtschau, so ist allerdings nicht zu verkennen, dass § 89a StGB auch Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die von einer Verletzung oder auch nur konkreten Gefährdung der vom Gesetzgeber durch die Norm unter Schutz gestellten Rechtsgüter derart weit entfernt sind,
dass ihre Pönalisierung - auch unter Berücksichtigung des Gewichts der Schutzgüter - die Grenze dessen erreicht,
was unter verfassungsrechtlichen Aspekten noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Die Strafbarkeit kann an objektive Tathandlungen anknüpfen, die per se keinen eigenen Unrechtsgehalt aufweisen. Die Norm beschreibt in Teilen
vielmehr eher neutrale objektive Verhaltensweisen, die für sich genommen unverdächtig sowie sozialadäquat sind
und sich allein wegen der mit ihnen verbundenen, auf irgendeine Weise manifest gewordenen Intention des Täters
als tat-bestandsmäßig erweisen. Zudem verlagert der hier in Rede stehende § 89a Abs. 2 Nr. 3 StGB, auf den das
Landgericht die Verurteilung gestützt hat, die Strafbarkeit besonders weit ins Vorfeld; denn er pönalisiert das Sichverschaffen und Verwahren von Gegenständen, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der
in Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Art wesentlich sind und stellt deshalb letztlich in der Sache ein Vorbereitungsdelikt zu
dem weiteren Vorbereitungsdelikt des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar (AnwK-StGB/Gazeas, § 89a Rn. 45;
MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 89a Rn. 45; SK-StGB/Zöller, 132. Lfg., § 89a Rn. 25). Hinzu kommt, dass an die
Konkretisierung der ins Auge gefassten schweren staatsgefährdenden Gewalttat eher geringe Anforderungen zu
stellen sind. Schließlich kann der vorbereiteten Tat die von § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB vorausgesetzte Bestimmung
und Eignung nicht erst dann zukommen, wenn sie die innere Sicherheit des Staates durch eine objektive Schwächung
der Leistungsfähigkeit der Sicherheitsorgane beeinträchtigen, sondern schon dann, wenn sie lediglich das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nachhaltig erschüttern würde. Zwar führt all dies auch in einer Zusammenschau noch
nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Indes sähe der Senat - auch unter Berücksichtigung der durch § 89a StGB
eröffneten, weit gespannten Reaktionsmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite - die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit vor diesem Hintergrund als überschritten an, wenn es zur Begründung der Strafbarkeit auf der subjektiven Tatseite lediglich erforderlich wäre, dass es der Täter nur für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, das von ihm ins
Auge gefasste Vorhaben auch umzusetzen. Dem kann indes durch eine verfassungskonforme Restriktion des subjektiven Tatbestands Rechnung getragen werden. Aus den genannten Gründen ist es zur Wahrung der Grundsätze des
Tatstrafrechts sowie des Schuldprinzips und damit elementarer Garantien des Grundgesetzes erforderlich, dass der
Täter bei der Vornahme der in § 89a Abs. 2 StGB normierten Vorbereitungshandlungen zur Begehung der schweren
staatsgefährdenden Gewalttat bereits fest entschlossen ist. Bezüglich des „Ob“ der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat genügt somit bedingter Vorsatz nicht (so auch NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 89a Rn. 22 f.).
Bei einem derartigen Verständnis werden die unter Umständen sozialneutralen objektiven Tathandlungen durch den
manifest gewordenen, unbedingten Willen des Täters zur Durchführung der - wenn auch nur in Umrissen konkretisierten - geplanten schweren staatsgefährdenden Gewalttat derart verknüpft, dass noch eine abstrakte Gefährdung der
durch § 89a StGB geschützten gewichtigen Rechtsgüter in einem Maße erkennbar wird, das eine Strafverfolgung des
- 93 -
Täters zu legitimieren geeignet ist. Dieser Auslegung des § 89a StGB steht dessen Wortlaut nicht entgegen; denn er
schließt jedenfalls ein Verständnis dahin nicht aus, dass der Täter zur Ausführung der von ihm vorbereiteten Tat fest
entschlossen sein muss. Aller-dings findet sich in den Gesetzesmaterialien zu § 89a Abs. 2 Nr. 4 StGB, der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durch deren Finanzierung unter Strafe stellt, ein Hinweis, der
dahin verstanden werden kann, insoweit genüge der bedingte Vorsatz des Täters, dass der Dritte, dem er die erheblichen Vermögenswerte zur Verfügung stellt, die damit vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat begeht (BTDrucks. 16/12428 S. 15). Ähnlich wird im Schrifttum teilweise danach unterschieden, ob die vorbereitete Tat durch
den Vorbereitungstäter selbst oder durch einen Dritten begangen werden soll; in letztgenanntem Fall reiche der bedingte Vorsatz des „Vorbereitungstäters“ aus, dass der Dritte die vorbereitete Tat ausführe (s. etwa S/S-SternbergLieben, 29. Aufl., § 89a Rn. 17 mwN). Dies betrifft indes jeweils nicht den hier zu entscheidenden Sachverhalt. Der
Senat kann daher offen lassen, ob er dem vor dem Hintergrund der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Problematik
folgen könnte.
2. Nach diesen Maßstäben kann der Schuldspruch keinen Bestand haben.
a) Allerdings sind die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands des § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 1 StGB
durch die Feststellungen dargetan. Der ausdrücklichen Erörterung bedürfen insoweit nur die folgenden Gesichtspunkte:
aa) Die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte eine der in § 89a Abs. 2 StGB bezeichneten Tathandlungen
beging, indem er sich Gegenstände und Stoffe verschaffte, die für die Herstellung einer Vorrichtung der in Abs. 2
Nr. 1 bezeichneten Art, nämlich von Rohrbomben als Sprengvorrichtungen, wesentlich sind (§ 89a Abs. 2 Nr. 3
StGB). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Wesentlichkeit im Rahmen einer wertenden Gesamtschau im
Einzelfall zu beurteilen und dann zu bejahen sein, wenn die Gegenstände oder Stoffe im Falle ihrer Zusammenfügung oder technischen Manipulation ein taugliches Kampfmittel oder eine taugliche Vorrichtung im Sinne des § 89a
Abs. 2 Nr. 1 StGB ergeben; das Fehlen von Kleinteilen von untergeordneter Bedeutung wie einer oder mehrerer
Schrauben oder Drähte soll die „Vollendung“ des Tatbestands nicht hindern (BT-Ducks. 16/12428 S. 15). Danach
besteht jedenfalls hier an der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des Angeklagten kein Zweifel. Er hatte sich bereits alle für den Bau der Sprengvorrichtung erforderlichen Einzelteile beschafft und schon mit deren Bau begonnen.
bb) Die von dem Angeklagten ins Auge gefasste Tat war bereits ausreichend konkretisiert. Nach dem aufgezeigten
Maßstab genügen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten von der
vorbereiteten Tat, um deren Eignung und Bestimmung im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB beurteilen zu können.
Der Angeklagte plante nicht nur allgemein ein Tötungsdelikt im Sinne von § 211 oder § 212 StGB. Vielmehr war
sein Tun darauf gerichtet, aus Hass auf die westliche Welt eine Sprengvorrichtung herzustellen und diese in einer
Menschenmenge zur Explosion zu bringen, um eine unbestimmte Anzahl von Personen zu töten. Damit standen
Tatwerkzeug, Art der Tatausführung und die groben Umrisse der Tatumstände sowie die Tatmotivation fest. Dies
genügt zur Prüfung, ob die Tat die Anforderungen des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllt. Ohne Bedeutung ist demgegenüber, dass weder die genaue Tatzeit und der genaue Tatort bestimmt noch die möglichen Opfer individualisiert
waren; insbesondere der letztgenannte Umstand ist bei einem Anschlag auf willkürlich ausgewählte Personen für die
Tat gerade nicht von Belang (vgl. zu § 49a Abs. 1 StGB aF BGH, Urteil vom 4. Januar 1961 - 2 StR 534/60, BGHSt
15, 276, 277).
cc) Die Vorbereitungshandlungen des Angeklagten richteten sich auf eine schwere staatsgefährdende Gewalttat. Sie
war bestimmt und geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch eine nachhaltige Erschütterung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Die Tätigkeiten des Angeklagten waren auf die
Begehung eines Sprengstoffanschlags in einer Menschenmenge gerichtet. Anlass war der Hass des radikalislamistisch eingestellten Angeklagten wegen der von ihm als beleidigend wahrgenommenen Behandlung von Muslimen in der westlichen Welt. Die potentiellen, zufälligen Opfer repräsentierten lediglich die westliche Welt als solche, ein persönlicher Konflikt mit oder ein Kontakt zu ihnen bestand von Seiten des Angeklagten nicht. Aufgrund
eines derartigen Attentats wären in der Bevölkerung Zweifel entstanden, ob die Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland in der Lage sind, solche Verbrechen zu verhindern. Im Ergebnis gilt deshalb nichts anderes, als
bei der Fallgestaltung, die der Entscheidung des Senats vom 22. Dezember 2000 zugrunde lag (3 StR 378/00, BGHSt
46, 238; eher für eine Differenzierung zwischen Minderheiten und der Gesamtbevölkerung KG, Beschluss vom 26.
Oktober 2011 - 4 Ws 92/11 u.a., StV 2012, 345, 347): Während dort aufgrund des tiefen Ausländerhasses zufällig
ausgewählte Ausländer Opfer der Tat waren, wären hier unbestimmte Menschen infolge der Hass- und Rachegefühle
gegen die westliche Welt die Geschädigten gewesen. Beiden Fallgestaltungen ist gemeinsam, dass das Leben der
- 94 -
Mitglieder einer anderen Gruppe in den Augen der Täter keinen Wert hatte und beide Taten über den engeren örtlichen Bereich der (möglichen) Tat-begehung hinaus in der gesamten Bundesrepublik ein allgemeines Klima der
Angst vor willkürlichen, grundlosen tätlichen Angriffen und eine Unsicherheit darüber auslösen konnten, ob das
Leben in diesem Staat noch sicher ist (vgl. im Einzelnen zu diesen Gesichtspunkten BGH, Urteil vom 22. Dezember
2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 251 f.).
b) Jedoch belegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite den Schuldspruch nur teilweise. Sie reichen zwar bezüglich der inhaltlichen Voraussetzungen der schweren staatsgefährdenden Gewalttat und der konkreten Tathandlung
aus; denn insoweit genügt jeweils bedingter Vorsatz (vgl. AnwK-StGB/Gazeas, § 89a Rn. 59;
Matt/Renzikowski/Becker/Steinmetz, StGB, § 89a Rn. 20; MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 89a Rn. 57 ff.; SKStGB/Zöller, 132. Lfg., § 89a Rn. 30; wohl auch Sieber, NStZ 2009, 353, 359, 362; zur Auslegung des Merkmals
„bestimmt“ in § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB s. o. II. 1. b) bb) (3) (dd)). Den Urteilsgründen lässt sich jedoch nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass der Angeklagte - wie erforderlich - zur Ausführung der von ihm vorbereiteten Tat
fest entschlossen war. Die Strafkammer hat zunächst festgestellt, der Angeklagte habe es „zumindest billigend in
Kauf genommen“, die Sprengvorrichtung nach der Herstellung auch in der Öffentlichkeit zum Einsatz zu bringen
(UA S. 8). Im Rahmen der Beweiswürdigung heißt es, es bestehe kein Zweifel daran, dass der Angeklagte sich in
einem Umfang radikalisiert habe, der ihn „dazu veranlasst habe“, sich alle notwendigen Bestandteile zur Herstellung
von Rohrbomben zu verschaffen und zumindest eine dieser Sprengvorrichtungen im öffentlichen Raum zur Explosion zu bringen (UA S. 12). Sodann hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe „billigend damit gerechnet“,
die herzustellenden Rohrbomben später in der Öffentlichkeit zum Einsatz zu bringen (UA S. 14). Schließlich hat es
formuliert, der Angeklagte habe „in sein Bewusstsein aufgenommen“, mittels der Rohrbomben mindestens einen
Sprengstoffanschlag in der Öffentlichkeit durchzuführen (UA S. 29). Er habe „das Ziel verfolgt“, seiner Kritik Ausdruck zu verleihen, und „zur Umsetzung dieses Ziels“ den Tod von mehreren Menschen in Kauf genommen. Diese nicht deckungsgleichen - Ausführungen belegen auch in ihrer Gesamtheit nicht den festen Entschluss des Angeklagten, die Sprengvorrichtung in einer Menschenmenge zur Explosion zu bringen. Es ist allerdings nicht auszuschließen,
dass ein neues Tatgericht in rechtsfehlerfreier Weise entsprechende Feststellungen treffen kann. Die Sache bedarf
deshalb insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
III. Aufgrund der Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
nach § 89a StGB kann auch die - für sich genommen rechtsfehlerfreie - Verurteilung wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion keinen Bestand haben.
IV. Die auf einer nach revisionsrechtlichem Überprüfungsmaßstab (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04,
NJW 2005, 2322, 2326) rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind durch den aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2
StPO).
V. Der Senat sieht Anlass für den Hinweis, dass das neue Tatgericht gegebenenfalls wird erwägen können, ob der
Angeklagte den objektiven Tatbestand des § 89a Abs. 2 Nr. 2 StGB erfüllt hat, indem er sich insbesondere etwa
Sprengstoff verschaffte. Insoweit kann das Landgericht auch ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch treten. Soweit die Strafbarkeit nach § 89a Abs. 2 Nr. 2 StGB reicht, dürfte dies der Anwendbarkeit des § 89a Abs. 2 Nr. 3 StGB vorgehen.
StGB § 99 Abs. 1 Nr. 1 Agententätigkeit bei Ausforschung von ausl. Terroristen
BGH, Beschl. v. 20.01.2015 - 3 StR 551/14 - BeckRS 2015, 10171
LS: Eine geheimdienstliche Agententätigkeit wird nicht ohne Weiteres im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr.
1 StGB "gegen die Bundesrepublik Deutschland" ausgeübt, wenn die Ausforschungsbemühungen
sich gegen Mitglieder oder Unterstützer einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen
terroristischen Vereinigung richten, insbesondere gegen Führungsmitglieder, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag - am 20. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
- 95 -
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Juli 2014 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen
Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von
neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat zum Strafausspruch
Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet. Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen verübten seit
Beginn der 1980er Jahre extremistische Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Sikhs terroristische Anschläge
gegen indische Einrichtungen und deren Repräsentanten mit dem Ziel, durch den Einsatz gewalttätiger Mittel einen
unabhängigen Staat namens "Khalistan" ("Land der Reinen") zu bilden. Die Anhänger der militanten "KhalistanBewegung" sind in mehreren Gruppierungen organisiert, darunter die "Babbar Khalsa" (im Folgenden: BK), deren
Auslandsorganisation "Babbar Khalsa International" (im Folgenden: BKI) sowie die "International Sikh Youth Federation" (im Folgenden: ISYF). Die BKI und die ISYF sind von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelistet. Der Angeklagte stand von November 2012 bis März 2013 in Kontakt mit einem inoffiziell in Deutschland operierenden Führungsoffizier des indischen Inlandsgeheimdienstes "Intelligence Bureau" (im Folgenden: IB).
Er erklärte sich bereit, für den IB als nachrichtendienstlicher Informant tätig zu werden und berichtete dem Führungsoffizier in mehreren Telefonaten über auch in Deutschland aufenthältige indische Staatsangehörige oder Personen indischer Herkunft und gegebenenfalls über deren Zugehörigkeit zu Organisationen, vorrangig aus dem Bereich
der extremistischen Sikhs. Der Führungsoffizier beauftragte den Angeklagten insbesondere, Informationen über eine
namentlich benannte Person einzuholen, die von den indischen Sicherheitsbehörden wegen terroristischer und krimineller Delikte mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Diese Person soll sich einer Waffenausbildung
unterzogen haben und zum Führungskader der BK gehören. Seine Ehefrau soll sich mit zwei gemeinsamen Kindern
seit Dezember 2012 in Deutschland aufhalten. In Erfüllung dieses Auftrags beschaffte der Angeklagte Informationen
über die genannte Person sowie deren Familienmitglieder und gab die gewonnenen Erkenntnisse in zwei Telefongesprächen an den Führungsoffizier weiter. Das Oberlandesgericht hat die Tätigkeit des Angeklagten ohne Einschränkung als geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der Angeklagte sei funktionell in
die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes einer fremden Macht eingegliedert und seine Tätigkeit insgesamt gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet gewesen. Auch wenn einige der von dem Führungsoffizier
benannten und von dem Angeklagten ausgeforschten Organisationen in der Europäischen Union als terroristische
Vereinigungen gelistet seien und ein Teil der Personen, denen der Angeklagte nachgeforscht habe, diesen Vereinigungen zuzurechnen sei, bestehe ein Interesse der Bundesrepublik Deutschland, von derartigen Personen und Organisationen ausgehende Gefahren unter Ausübung eigener Staatsgewalt abzuwehren. Demgegenüber habe der Angeklagte die Informationen unter Umgehung der in Deutschland geltenden Rechtshilferegeln weiter gegeben. Im Rahmen der Strafzumessung hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tätigkeit des Angeklagten auch
Organisationen und Personen in Deutschland betroffen habe, an deren Aufklärung der indische Staat auch nach europäischer Rechtslage ein anerkennenswertes Interesse besitze und der Schaden für die Integrität der Bundesrepublik
Deutschland vor diesem Hintergrund nicht als hoch zu veranschlagen sei.
1. Der Schuldspruch hält im Ergebnis sachlichrechtlicher Prüfung stand. Die Tätigkeit des Angeklagten war allerdings nicht im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet und somit nicht
tatbestandsmäßig, soweit sie die Mitglieder der von der Europäischen Union als terroristisch gelisteten Organisationen, insbesondere das mit internationalem Haftbefehl gesuchte, namentlich benannte Führungsmitglied der BK betraf; denn im Rahmen der bei der Prüfung des genannten Tatbestandsmerkmals anzustellenden Gesamtbetrachtung
erlangt auch der Gesichtspunkt Bedeutung, ob die Ausforschung des Betroffenen gerade vor dem Hintergrund seines
eigenen Verhaltens den Interessen der Bundesrepublik Deutschland widerspricht. Aufgrund des demnach geringeren
Unrechts- und Schuldgehalts der Tat kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Im Einzelnen:
a) Der Senat hält im Grundsatz an seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung fest, wonach das Tatbestandsmerkmal
"gegen die Bundesrepublik Deutschland" nicht eng im Sinne eines unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen ihre staatlichen Institutionen gerichteten Handelns zu verstehen ist; vielmehr genügt eine Tätigkeit
gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Es reicht aus, wenn staatliche Belange zumindest mittelbar
berührt sind und die Bundesrepublik Deutschland in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen ist.
- 96 -
Dies ist in der Regel auch dann der Fall, wenn die Spionagetätigkeit sich gegen Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst gegen hier lebende Ausländer richtet (st. Rspr. seit BGH, Beschluss vom 22.
September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325; vgl. auch KG, Urteil vom 8. Mai 2008 - (1) 3 StE 1/08 - 2 (4/08), juris
Rn. 35 ff.; KG, Urteil vom 12. Januar 2011 - (1) 3 StE 5/10-2 (7/10); OLG Celle, Urteil vom 20. April 2011 - 3 StE
1/11). Tatbestandsmäßig sind deshalb regelmäßig Ausforschungen, von denen Personen betroffen werden, denen ein
Asylrecht zusteht, oder die sich gegen Exilanten oder deren Organisationen richten, die sich unter dem Schutz des
Art. 5 GG in Deutschland in legaler Weise politisch betätigen, ohne dass es darauf ankommt, ob die ausgespähten
Personen "im Lager" der Bundesrepublik Deutschland stehen (KG, Urteil vom 8. November 2007 - (1) 3 StE 2/07 (5/07), NStZ 2008, 573; aA noch KG, Urteil vom 29. September 2003 - (2) 3 StE 1/03-1 (3/03), NStZ 2004, 209).
Denn solche Ausforschungen sind in der Regel dazu geeignet, bei den Betroffenen Angst vor Repressionen auszulösen und so den ihnen zustehenden Freiraum für politisches und gesellschaftliches Engagement einzuengen [KG,
Urteil vom 12. Januar 2011 - (1) 3 StE 5/10-2 (7/10)]. Dies läuft den Interessen der Bundesrepublik Deutschland
zuwider, die gehalten ist, den hier unter dem Schutz des Grundgesetzes lebenden und sich betätigenden Ausländern
diesen Schutz auch zu gewähren.
b) Die bisherige Rechtsprechung bedarf allerdings der einschränkenden Präzisierung dahin, dass eine geheimdienstliche Agententätigkeit nicht - jedenfalls nicht ohne Weiteres - im Sinne des § 99 Abs. 1 StGB gegen die Interessen
der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, wenn sie Mitglieder oder Unterstützer von durch die Europäische
Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigungen, insbesondere mit internationalem Haftbefehl gesuchte
Führungsmitglieder, betrifft. Dies folgt aus dem am Wortsinn, an Sinn und Zweck sowie der Historie der Vorschrift
ausgerichteten Verständnis des Tatbestandsmerkmals. Hierzu gilt:
aa) Bereits der Wortsinn des Tatbestandsmerkmals "gegen die Bundesrepublik Deutschland" lässt eine Auslegung
nicht zu, die auf einen inhaltlichen Antagonismus der Spionagetätigkeit zu den staatlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland verzichtet. Das Tatbestandsmerkmal "gegen" kennzeichnet - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - nach seinem Wortsinn die Ausrichtung, die Hinwendung oder die Zielrichtung und dient
dazu, einen Gegensatz, einen Widerstand oder eine Abneigung zu bezeichnen (Duden, Das Bedeutungswörterbuch,
4. Aufl., 2010). Auch wenn die Interpretation der Norm nicht an diesem engen Wortsinn haften bleiben darf, sondern
daneben die Historie sowie Sinn und Zweck der Vorschrift in den Blick zu nehmen hat, so markiert im Bereich des
materiellen Strafrechts der grundsätzlich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Gegenwart zu bestimmende
mögliche Wortsinn des Gesetzes doch die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung (st. Rspr.; vgl. etwa
BVerfG, Beschluss vom 18. September 2006 - 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BGH, Beschluss vom 25. Oktober
2006 - 1 StR 384/06, NJW 2007, 524, 525). Diese Grenze wäre jedenfalls bei einem Verständnis der Norm überschritten, bei dem letztlich allein maßgebend wäre, dass die Spionagetätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland
ausgeübt wurde, mithin der räumliche Bezug zu deren Staatsgebiet ausreichen würde.
bb) Der Wille des Gesetzgebers spricht ebenfalls nicht für eine ausnahmslose Erfassung aller geheimdienstlichen
Aktivitäten gegen Ausländer auf deutschem Boden. Die heutige Fassung der Norm beruht in dem hier relevanten
Bereich auf der Neugestaltung der Vorschrift durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl.
I S. 741). Durch dieses wurde die zuvor auf Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland aus bestimmten Sachbereichen ausgerichtete Beschränkung des Tatbestands aufgegeben und durch das Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" ersetzt. Der Gesetzgeber wollte damit einen zentralen, bewusst weit gefassten Spionagetatbestand
als wirksames Instrument zur Abwehr fremder Agententätigkeiten schaffen, der nicht mehr an den Begriff des
Staatsgeheimnisses anknüpft, sondern im Ausgangspunkt darauf abzielt, die gesamte Spionagetätigkeit fremder Geheimdienste zu erfassen, ohne zunächst auf die Natur der Informationen abzustellen, auf die die Spionagetätigkeit
gerichtet ist. Die Vorschrift wurde vom Gesetzgeber bewusst weit gefasst, um alle nachrichtendienstlichen Bestrebungen zu erfassen, gleichgültig, ob sie unmittelbar oder mittelbar deutsche Interessen gefährden, ob sie auf die
Abklärung politischer, wirtschaftlicher oder technischer Verhältnisse abzielen (BGH, Urteil vom 21. April 1983 - 3
StR 80/83, BGHSt 31, 317, 322 f.; Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 3 BGs 191/04 - 3 BJs 29/03-4, NStZ 2006,
160). Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte das Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" allerdings
eine gewichtige Begrenzung dieses so erweiterten Tatbestands darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2012 AK 10 und 11/12, juris Rn. 13). Dieser umfasst nicht schrankenlos das allgemeine Interesse der Bundesrepublik
Deutschland am Unterbleiben jeglicher Operationen fremder Geheimdienste auf ihrem Gebiet (LK/Schmidt, StGB,
12. Aufl., § 99 Rn. 8). Vielmehr sollten nur die geheimdienstlichen Operationen fremder Mächte erfasst sein, die sich
gegen die Bundesrepublik Deutschland als Zielland richten und ihre Interessen beeinträchtigen. Nach den Gesetzes-
- 97 -
materialien ist dies in der Regel nicht der Fall, wenn ein fremder Geheimdienst nur gegen Angehörige des eigenen
Landes oder gegen dritte Länder tätig werde (BT-Drucks. V/2860, S. 23). Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere nicht jegliches Interesse, das die Bundesrepublik Deutschland auch an Angelegenheiten fremder
Staaten hat, als Schutzobjekt des § 99 StGB in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1983 - 3 StR
312/83, BGHSt 32, 104, 107). Auch genügt es nicht allein, dass der fremde Nachrichtendienst ohne Kooperation mit
den bzw. Abdeckung der zuständigen deutschen Stellen operiert (Lampe NStZ 2004, 210, 211;
MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18); denn dies würde dazu führen, dass letztlich jede Agententätigkeit eines fremden Geheimdienstes, die nicht mit den deutschen Diensten koordiniert wäre, von der Strafvorschrift
erfasst wäre. Damit würde dem Merkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" wider der gesetzgeberischen
Intention der wesentliche, Schranken setzende Sinngehalt genommen. Der Senat hat allerdings in der Folgezeit in
praktischer Umkehrung dieses vom Gesetzgeber intendierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses dahin erkannt, dass der
Tatbestand des § 99 Abs. 1 StGB von denkbaren seltenen Ausnahmefällen abgesehen auch dann erfüllt sei, wenn die
geheimdienstliche Agententätigkeit sich gegen Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder
sonst gegen hier lebende Ausländer richte (BGH, Beschluss vom 22. September 1980 - StB 25/80, BGHSt 29, 325,
327 ff.). Danach sollte genügen, dass das allgemeine Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Abwehr der
Spionagetätigkeit fremder Geheimdienste berührt wurde, soweit diese auf die umfassende Ausforschung aller in den
Bereich der Bundesrepublik Deutschland einbezogenen Angelegenheiten ausgerichtet war (BGH aaO, BGHSt 29,
325, 331). Gerade vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dieser, vom Bundesverfassungsgericht als mit dem
Grundgesetz vereinbar angesehenen (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81, BVerfGE 57, 250, 267
ff.) Würdigung - jedenfalls auch - die Bewertung der spezifischen, durch die politische Zweiteilung der Welt in Europa geprägten Verhältnisse und die damit einhergehende Erkenntnis zugrunde lag, dass die Ausspähung ausländischer Gruppierungen regelmäßig Teil eines operativen Gesamtkonzepts vor allem der Nachrichtendienste der osteuropäischen Länder war, das darauf gerichtet war, das gesamte Potential des Ziellands Bundesrepublik Deutschland
zu erfassen (BGH aaO, 328 f.; Lampe, NStZ 2004, 210, 211; LK/Schmidt, StGB, 12. Aufl., Vor § 93 Rn. 3;
MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18). Sie kann deshalb nicht ohne Weiteres in vollem Umfang auf
die heutigen Verhältnisse übertragen werden. Diese sind im hier interessierenden Bereich unter anderem wesentlich
dadurch geprägt, dass in der Bundesrepublik Deutschland ausländische Organisationen tätig sind, die terroristische
Ziele verfolgen, welche den Interessen der Bundesrepublik Deutschland eindeutig widerstreiten. Mit der Einführung
des § 129b StGB hat der Gesetzgeber zudem eine Wertentscheidung getroffen und deutlich gemacht, dass Tätigkeiten zu Gunsten einer solchen Gruppierung, welche die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt, sei es in der Form
des Gründens, der Beteiligung als Mitglied, des Unterstützens oder des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer,
nach den hier geltenden Wertmaßstäben im materiellen Sinne strafbares Unrecht darstellen. Hiermit ist es nicht vereinbar, wenn die geheimdienstliche Tätigkeit eines Agenten, der eine solche Vereinigung in der Bundesrepublik
Deutschland ausspäht, ohne Weiteres regelmäßig als gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet
bewertet wird (vgl. KG, Urteil vom 29. September 2003 - (2) 3 StE 1/03-1 (3/03), NStZ 2004, 209, 210).
cc) Eine solche Betrachtungsweise stünde auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht im Einklang. Diese gehen
dahin, dazu beizutragen, der Bundesrepublik Deutschland den Freiraum zu sichern, den sie benötigt, um sich in den
Gegenläufigkeiten der internationalen Politik möglichst ungehindert und wirksam bewegen zu können, ihre eigenen
politischen Vorstellungen zum Tragen zu bringen und so die Grundlage zu gewährleisten, auf der sich freiheitliche
Demokratie mit ihren Grundrechtsgarantien verwirklichen und weiterentwickeln lässt (BVerfG aaO, BVerfGE 57,
250, 268 f.; Beschluss vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 317 f.). Diese Zwecksetzung ist
zwar einerseits weit gefasst, steht aber andererseits doch einer pauschalisierenden Auslegung entgegen, die sich auch
im Grenzbereich des Wortlauts der Norm in einem theoretisch-abstrahierenden Verständnis erschöpft, ohne die Besonderheiten des Einzelfalles in wertender Betrachtung in die Beurteilung mit einzubeziehen. Für die hier in Rede
stehende Ausforschung von Ausländern oder ihrer Organisationen in Deutschland kann daher nicht davon abgesehen
werden, auch die konkreten Hintergründe und Ziele der Ausspähungsbemühungen in den Blick zu nehmen und diesen auch darauf zu richten, ob sich das Vorgehen des Agenten in der spezifischen konspirativen Vorgehensweise
einer geheimdienstlichen Tätigkeit erschöpft oder ob er darüber hinaus zu Mitteln greift, die sich auch unabhängig
von der nachrichtendienstlichen Betätigung als Verstoß gegen die deutsche Rechtsordnung, insbesondere als strafbar
erweisen. Richtet sich die Ausforschung gegen eine ausländische terroristische Vereinigung oder eines ihrer Mitglieder oder Unterstützer, so darf darüber hinaus nicht unberücksichtigt bleiben, dass hiermit gerade ein Zweck verfolgt
wird, dessen Erfüllung auch der Bundesrepublik Deutschland durch internationale, insbesondere europarechtliche
- 98 -
Vorgaben (vgl. aus neuerer Zeit etwa den Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008, ABl.
EU 2008 Nr. L 330 S. 21) obliegt.
dd) Danach handelte der Angeklagte zwar gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, soweit seine Ausforschungsbemühungen bloße Sympathisanten der gelisteten Organisationen, Familienangehörige des mit Haftbefehl
gesuchten Führungsmitglieds der BK sowie gänzlich unbeteiligte Dritte betrafen. Demgegenüber erfüllte die Tätigkeit des Angeklagten jedoch nicht die Voraussetzungen des § 99 StGB, soweit sie darin bestand, Informationen über
die gelisteten Organisationen, deren Mitglieder und Unterstützer sowie insbesondere das mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglied der BK zu beschaffen und weiterzuleiten; insoweit belegen die Feststellungen ein
Handeln gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht.
ee) Im vorliegenden Fall bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob das Tatbestandsmerkmal "gegen die Bundesrepublik Deutschland" auch bei Ausforschungen von Mitgliedern oder Unterstützern ausländischer terroristischer Vereinigungen erfüllt sein kann, etwa wenn die deutsche Souveränität in gravierender Weise missachtet wird (Lampe
NStZ 2004, 210, 212), operative Methoden praktiziert werden, die mit den Grundwerten der Verfassung kollidieren
(MüKoStGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 18), oder eine zumindest abstrakte Gefahr dafür besteht, dass die
gewonnenen Erkenntnisse in einer Weise genutzt werden, die den Kern- und Wesensgehalt der nach den Maßgaben
des Grundgesetzes schutzwürdigen Belange der Betroffenen beeinträchtigen. Soweit das Oberlandesgericht in den
Erwägungen zur rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, der Zweck der Informationsweitergabe sei unklar und nicht
ausschließbar allein auf die Abwehr verbrecherischer Bestrebungen gerichtet gewesen, bieten die getroffenen Feststellungen hierfür keinen näheren Anhaltspunkt.
c) Somit kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben; denn das Oberlandesgericht ist von einem zu hohen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat ausgegangen. Es hat auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung zwar strafmildernd berücksichtigt, dass die Tätigkeit des Angeklagten auch Organisationen und Personen in Deutschland betroffen habe, an deren Aufklärung der indische Staat auch nach europäischer Rechtslage ein anerkennenswertes Interesse
besitze, so dass der Schaden für die Integrität der Bundesrepublik Deutschland vor diesem Hintergrund nicht als
hoch zu veranschlagen sei. Nach den dargelegten Maßstäben hätte das Tatgericht indes bei der Ermittlung des Unrechts- und Schuldumfangs die Aufklärungsbemühungen des Angeklagten gegen die terroristische Vereinigung bzw.
den mit Haftbefehl Gesuchten außer Betracht lassen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht
in diesem Fall auf eine geringere Strafe erkannt hätte.
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können
deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
StGB § 130, § 111 Zugänglichmachen fremder Erklärung nicht notwendig eigene Äußerung
BGH, Beschl. v. 14.04.2015 - 3 StR 602/14 -BeckRS 2015, 09407
1. Zur Abgrenzung von § 130 Abs. 1 und Abs. 2 StGB: In dem Verbreiten oder Zugänglichmachen
einer fremden Erklärung liegt nur dann eine eigene Äußerung des Verbreitenden, wenn dieser sich
den Inhalt erkennbar zu Eigen macht.
2. § 111 StGB ist ein Äußerungsdelikt. Aufgrund dessen ist - wie auch im Fall des § 130 Abs. 1 StGB
- bei der Veröffentlichung einer fremden Erklärung zu fordern, dass der Veröffentlichende diese
unmissverständlich zu seiner eigenen machen will. In dem bloßen Abspielen eines Liedes ist ein derartiges zu Eigen machen noch nicht zu sehen.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts zu 2. auf dessen Antrag - am 14. April 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. September 2013 dahin geändert, dass
a) die Angeklagte M. schuldig ist der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und mit Volksverhetzung in zwei Fällen;
b) die Verurteilung des Angeklagten H. wegen Beihilfe zur öffentlichen Aufforderung zu Straftaten entfällt.
- 99 -
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Die Angeklagten haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte M. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit
Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und mit Volksverhetzung in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und
zwei Monaten unter Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung verurteilt. Den Angeklagten H. hat es der
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Beihilfe zum Verbreiten von Propagandamitteln
verfassungswidriger Organisationen, zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, zur
öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, zur Volksverhetzung und zur Gewaltdarstellung schuldig gesprochen und
gegen ihn eine Bewährungsstrafe von fünf Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I. Nach den Feststellungen betrieben die Angeklagten zusammen mit mehreren nicht revidierenden Mitangeklagten
seit Anfang des Jahres 2011 das Internetradio "I.", dessen Zweck in der Verbreitung von rechtsextremen Liedern
bestand. Deren Inhalte überschritten - was dem gemeinsamen Willen der Gruppe entsprach - in einer nicht unerheblichen Zahl an Fällen die Schwelle zur Strafbarkeit, etwa weil sie volksverhetzenden oder Gewalt verherrlichenden
Charakter hatten. Das Programm des Radios bestand vor allem aus moderierten Sendungen, in denen die Moderatoren auch Zuhörerwünsche berücksichtigten, sowie aus einer sogenannten Dauerschleife. Unter den Mitgliedern von
Radio "I." bestand die allseits akzeptierte Absprache, dass die Kommentare der Moderatoren selbst eher zurückhaltend sein und keine strafbaren Inhalte haben sollten. Die Angeklagte M. nahm in der Gruppierung zusammen mit
einer Mitangeklagten die führende Rolle ein und moderierte auch selbst eigene Sendungen, in der sie inkriminierte
Lieder abspielte. Der Angeklagte H. war für die Finanzen des Radios zuständig und moderierte selbst nicht.
II. Die Revision der Angeklagten M.
Der Schuldspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit das Landgericht die Angeklagte M. tateinheitlich zur Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen verurteilt hat; daneben tragen die Urteilsgründe in einem Fall nicht die Verurteilung wegen
Volksverhetzung. Im Einzelnen:
1. Die Verurteilung wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 Abs. 1
StGB) hat die Strafkammer auf das Abspielen des Titels "Blut und Ehre" der Gruppe Schwarze Division Sachsen in
der von der Angeklagten M. am 11. Mai 2011 moderierten Sendung gestützt. Der Inhalt des Textes wird lediglich
insoweit mitgeteilt, als deutlich hörbar die Parole "Deutschland Heil dir, Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil" (UA S. 42)
sowie "Blut und Ehre" (UA S. 69) gesungen werde. Diese Feststellungen belegen nicht, dass es sich bei dem Lied
um ein Propagandamittel im Sinne von § 86 StGB handelte. Hierunter fallen nur solche Schriften (§ 11 Abs. 3
StGB), deren Inhalte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen (§ 86 Abs. 2 StGB) und die
aufgrund dessen eine aktiv kämpferische, aggressive Tendenz in diese Richtung erkennen lassen (BGH, Urteile vom
23. Juli 1969 - 3 StR 326/68, BGHSt 23, 64, 72; vom 13. August 2009 - 3 StR 228/09, NJW 2010, 163, 165). Kritik,
Ablehnung und politisches Wunschdenken reichen ebenso wenig wie wissenschaftliche Abhandlungen, Dokumentationen oder belletristische Darstellungen, wenn und soweit ihnen der werbende, aufwieglerische Charakter fehlt,
welcher der Propaganda eignet. Die verfassungsfeindliche Zielsetzung muss in der Schrift selbst verkörpert sein,
wobei auf den verständigen Durchschnittsleser(-hörer) abzustellen ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 1969 - 3 StR
326/68, BGHSt 23, 64, 73; MüKoStGB/Steinmetz, 2. Aufl., § 86 Rn. 13).
Die in den Urteilsgründen dargestellten Textfragmente erschöpfen sich in der Wiedergabe von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen ("Sieg Heil", "Blut und Ehre"). Deren Verwendung alleine hebt eine Schrift noch
nicht zum Propagandamittel und macht nähere Ausführungen zu dem propagandistischen Zusammenhang nicht entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 - 3 StR 228/09, NJW 2010, 163, 165). Das erforderliche aggressivkämpferische Element lässt sich den Urteilsgründen indes nicht entnehmen. Soweit das Landgericht im Rahmen der
rechtlichen Würdigung interpretierend ausführt, der Liedtext knüpfe an die Rassenideologie ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen an, die "als nachahmenswert dargestellt" werde, belegt auch dies den in Abgrenzung zum
bloßen Wunschdenken erforderlichen aufwieglerischen Charakter nicht.
2. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) in drei Fällen gilt:
- 100 -
a) Im Fall des Abspielens des Liedes "Ausländerhure" der Gruppe "Kraftschlag" in der von der Angeklagten am 29.
April 2011 moderierten Sendung tragen die Feststellungen nicht die Verurteilung wegen Volksverhetzung. § 130
StGB setzt sowohl im Äußerungstatbestand nach Abs. 1 als auch im Rahmen des Verbreitungstatbestandes (Abs. 2)
voraus, dass sich der Inhalt der Schrift gegen einen Teil der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe richtet. Als - vorliegend allein in Betracht kommend - Teil der Bevölkerung ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer,
nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger
Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 3). Nicht ausreichend ist es, wenn bei der Verwendung von Sammelbegriffen der Personenkreis so
groß und unüberschaubar ist und mehrere, sich teilweise deutlich unterscheidende Einstellungen oder politische
Richtungen umfasst, dass eine Abgrenzung von der Gesamtbevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale nicht möglich ist (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 3 mwN;
MüKoStGB/Schäfer aaO § 130 Rn. 30, 34 f. mwN). So liegt es hier. Die in dem Lied verwendete Gruppenbezeichnung "Ausländerhuren" ist für sich betrachtet vage. Welche abgrenzbare Gruppe von Frauen konkret angesprochen
ist, lässt sich weder aus dem im Urteil auszugsweise wiedergegebenen Liedtext noch im Gesamtzusammenhang des
Urteils eindeutig herleiten. Dahinstehen kann, ob der in dem Lied verwendete Begriff "Ausländerbanden" ausreichend bestimmt im Sinne der vorstehenden Maßstäbe ist. Bezüglich dieser Gruppe belegen die Urteilsgründe jedenfalls weder ein Aufstacheln zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen noch einen Angriff auf die Menschenwürde mittels
Beschimpfens, böswilligen Verächtlichmachens oder Verleumdung.
b) Nicht zu beanstanden ist die Verurteilung nach § 130 Abs. 2 StGB wegen der in den Sendungen vom 8. April und
8. Mai 2011 abgespielten Lieder. Zwar belegen die Feststellungen entgegen der Auffassung des Landgerichts hinsichtlich des in der Sendung vom 8. April 2011 abgespielten Stückes "Negeraufstand in Kuba" keinen volksverhetzenden Inhalt im Sinne des Straftatbestandes. Allerdings tragen die Feststellungen zu den in dieser Sendung abgespielten Stücken der Gruppe "Landser" ("Afrika Lied", "Xenophobia") den Schuldspruch. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe neben § 130 Abs. 2 StGB auch den Tatbestand des Abs. 1
verwirklicht. In Abgrenzung zu dem Verbreitungsdelikt des Abs. 2 (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR
394/07, juris Rn. 8), handelt es sich hierbei um ein persönliches Äußerungsdelikt (BGH, Urteil vom 12. Dezember
2000 - 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212, 224; MüKoStGB/Schäfer aaO, § 130 Rn. 9). In dem Verbreiten oder Zugänglichmachen einer fremden Erklärung liegt nur dann eine eigene Äußerung des Verbreitenden, wenn dieser sich den
Inhalt erkennbar zu Eigen macht (Hörnle, NStZ 2002, 113, 116; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 37; SKStGB/Stein/Rudolphi, 148. Lfg., § 130 Rn. 4; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 130 Rn. 5; vgl. auch BGH,
Beschluss vom 20. Februar 1990 - 3 StR 278/89, NJW 1990, 2828, 2831). Die Beurteilung, ob in der Verbreitung
oder dem Zugänglichmachen einer fremden Äußerung zugleich eine eigene Äußerung zu sehen ist, das Handeln also
als Ausdruck eigener Missachtung und Feindseligkeit erscheint, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Besonderheiten des Einzelfalles kennzeichnenden Umstände zu treffen (BGH, Urteil vom 14. Januar 1981 - 3 StR
440/80, NStZ 1981, 258; LK/Kraus aaO, § 130 Rn. 37). Derartige Umstände belegen die Urteilsgründe nicht. Dass
das Radio rechtsextrem ausgerichtet und die Angeklagte M. im Tatzeitraum entsprechend politisch eingestellt war,
vermag die erforderliche nach außen erkennbare innere Übernahme der Liedinhalte noch nicht herzustellen. Überdies
ist nach den Urteilsgründen auch nicht auszuschließen, dass es sich bei den inkriminierten Stücken um als solche
auch in der Anmoderation kenntlich gemachte Hörerwünsche gehandelt hatte.
3. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend neu gefasst, da auch zum Ausdruck zu bringen war, dass die Angeklagte M. - wie vom Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen - als Rädelsführerin (§ 129 Abs. 4 StGB) in der kriminellen Vereinigung gehandelt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, juris Rn. 59 mwN).
4. Einer Aufhebung des Strafausspruches bedarf es nicht. Auf die Wahl des Strafrahmens, den das Landgericht zutreffend § 129 Abs. 4 StGB entnommen hat, haben die dargestellten Rechtsfehler keinen Einfluss. Der Senat kann
auch ausschließen, dass sie sich im Rahmen der konkreten Strafzumessung für die Angeklagte nachteilig ausgewirkt
haben. Die Strafkammer hat lediglich allgemein strafschärfend berücksichtigt, dass die Angeklagte tateinheitlich
zum Verstoß gegen § 129 StGB weitere Delikte verwirklicht hat. Diese Erwägung trägt auch nach Wegfall der Verurteilung gemäß § 86 StGB und der Volksverhetzung (§ 130 StGB) in einem Fall. Eine wesentliche Verringerung
des Schuldumfangs ist hierdurch nicht eingetreten, zumal die Angeklagte durch das Abspielen des Liedes "Blut und
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Ehre" zwar nicht gegen § 86 StGB verstoßen, aber - wie vom Landgericht zutreffend angenommen - vorsätzlich
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet hat (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
III. Die Revision des Angeklagten H.
Hinsichtlich des Angeklagten H. hält der Schuldspruch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit dieser
tateinheitlich zu seiner Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung nach den Grundsätzen zum uneigentlichen
Organisationsdelikts auch wegen Beihilfe zur öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§§ 111, 27 StGB) und Beihilfe zur Volksverhetzung in Form des § 130 Abs. 1 StGB verurteilt worden ist. Hierzu gilt:
1. Die Feststellungen tragen nicht den Schluss, dass der Angeklagte seine Förderhandlungen vorsätzlich in Bezug auf
eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) erbracht hat. § 111 StGB ist ein Äußerungsdelikt (Fischer,
StGB, 62. Aufl., § 111 Rn. 2; LK/Rosenau, § 111 Rn. 14). Aufgrund dessen ist - wie auch im Fall des § 130 Abs. 1
StGB - bei der Veröffentlichung einer fremden Erklärung zu fordern, dass der Veröffentlichende diese unmissverständlich zu seiner eigenen machen will (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 1990 - 3 StR 278/89, NJW 1990,
2828, 2831; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 3 Ss 317/02, NStZ-RR 2003, 327, 328; Fischer aaO, §
111 Rn. 2a). In dem bloßen Abspielen eines Liedes ist ein derartiges zu Eigen machen noch nicht zu sehen. Dahingestellt bleiben kann, ob der im Urteil wiedergegebene Kommentar der Mitangeklagten N., den diese während der
Moderation zu dem von ihr in der Sendung vom 16. April 2011 abgespielten Lied "Tret´ einfach rein" der Gruppe
"Reichssturm" abgab, im Rahmen einer Gesamtwürdigung den Schluss auf ein zu Eigen machen rechtfertigen würde.
Dass der Angeklagte mit einem derartigen Kommentar rechnete oder einen solchen zumindest für möglich hielt und
billigte, belegen die Urteilsgründe nicht; hiergegen spricht zudem, dass es der gemeinsamen, von allen Mitgliedern
akzeptierten Absprache entsprach, die Äußerungen der Moderatoren während der Sendungen strafrechtlich unverfänglich zu halten.
2. Soweit die Strafkammer eine strafbare Beihilfe zur Volksverhetzung angenommen hat, ist dies hinsichtlich § 130
Abs. 2 StGB ohne Rechtsfehler. Für eine Beihilfe zum Äußerungsdelikt des § 130 Abs. 1 StGB fehlt es entsprechend
obiger Ausführungen allerdings am Gehilfenvorsatz des Angeklagten.
3. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Angesichts der auch hier vom Landgericht nur allgemein angestellten
und von den Urteilsgründen getragenen Erwägung, dass sich zu Lasten des Angeklagten dessen tateinheitliche Beihilfe zu den von den Moderatoren verwirklichten Delikten ausgewirkt hat, schließt der Senat aus, dass sich die dargestellten Rechtsfehler im Rahmen der konkreten Strafzumessung für den Angeklagten nachteilig ausgewirkt haben.
IV. Der jeweils nur geringfügige Erfolg der Rechtsmittel gibt keinen Anlass, die Angeklagten von den Kosten des
Verfahrens und ihrer Auslagen teilweise zu entlasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
StGB § 164 Abs. 1 Falsche Verdächtigung durch Einlassung
BGH, Urt. v. 10.02.2015 - 1 StR 488/14 - NJW 2015, 1705
LS: Falsche Verdächtigung durch den Beschuldigten in einem Strafverfahren bei bewusst wahrheitswidriger Bezichtigung einer bis dahin unverdächtigen Person.
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 27. Mai 2014 mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Beihilfe
zur versuchten Nötigung verurteilt worden ist [Fälle II.2.a), c) und d) der Urteilsgründe],
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Auf die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird der Tagessatz der in den Fällen II.2.b)
und e) der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen jeweils auf einen Euro festgesetzt.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit
mit Beihilfe zur versuchten Nötigung sowie wegen unerlaubten Besitzes erlaubnispflichtiger Munition und wegen
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falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Gegen dieses
Urteil wenden sich jeweils mit näher ausgeführten Sachrügen sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft
mit einer zu seinen Ungunsten eingelegten Revision. Das Rechtsmittel des Angeklagten bleibt weitgehend erfolglos.
Die Revision der Staatsanwaltschaft erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
A. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
I. 1. Dem gesondert Verfolgten C. H. wird vorgeworfen, durch ein betrügerisches Anlagemodell mehrere tausend
Anleger um insgesamt ca. 135 Mio. Euro betrogen zu haben. In die C. H. vorgeworfenen Taten sollen auch die beiden Geschäftsführer einer A. GmbH (A.), M. K. und D., involviert gewesen sein. Aus dem Kreis der Anleger des von
C. H. betriebenen Anlagemodells hatten sich mehrere Gruppierungen gebildet, die ihr eingebrachtes Geld zurückerlangen wollten. Zu einer dieser Anlegergruppen gehörte auch der ebenfalls gesondert verfolgte Au. . Dieser konnte
ab etwa Jahresende 2011 den Angeklagten dazu bestimmen, der Anlegergruppe um Au. dabei behilflich zu sein, den
Aufenthaltsort des zwischenzeitlich untergetauchten C. H. ausfindig zu machen und diesen zu veranlassen, sich bei
der Anlegergruppe zu melden. Aus Sicht von Au. sollte es darum gehen, in das betrügerische Anlagemodell „investierte“ und bislang nicht zurückerhaltene Gelder von C. H. zurückzuerlangen. Das Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht, dass außer dieser Anlegervereinigung noch weitere Personen bzw. Personengruppen versuchten, C. H.
dazu zu veranlassen, sich seinen Anlegern zu stellen, und ggf. Geld von diesem zu erhalten.
2. Au. beauftragte den Angeklagten gegen Zahlung von 3.000 Euro damit, jeweils Sprengkörper in unmittelbarer
Nähe der Anwesen von M. K. und von P., dem Bruder von C. H., zu zünden, um Angst zu verbreiten und mittelbar
auf C. H. einzuwirken. Dies sollte geschehen, „indem man dessen Angehörige und Geschäftsfreunde ihrerseits bedrohte“ (UA S. 6). Zur Umsetzung dieses Vorhabens übergab Au. dem Angeklagten drei im Inland nicht zugelassene, aber in der Tschechischen Republik frei verkäufliche Feuerwerkskörper mit jeweils etwas mehr als 100 g
Schwarzpulver. Im Rahmen der Au. zugesagten Unterstützung kam es nach den Feststellungen des Landgerichts zu
folgenden Verhaltensweisen des Angeklagten:
a) Am 27. Dezember 2012 versandte der Angeklagte zwei Briefbombenattrappen. Die jeweiligen Briefe waren an
den Geschäftsführer der A., D., sowie an die Schwiegermutter von C. H. gerichtet. In die Briefumschläge hatte der
Angeklagte jeweils ein Feuerzeug, eine Batterie und einen Kupferdraht gelegt, um den Eindruck von Briefbomben zu
erwecken. Damit sollten die beiden Empfänger unter Druck gesetzt werden und auf C. H. eingewirkt werden, damit
dieser sich mit den Anlegern in Verbindung setze [Fall II.2.d) der Urteilsgründe].
b) Am 15. Januar 2013 zündete der Angeklagte einen der von Au. übergebenen Feuerwerkskörper im Garten des
(früheren) Wohnanwesens des anderen Geschäftsführers der A., M. K.. Dabei warf der Angeklagte diesen Gegenstand in den Garten und verließ eilends das Grundstück. Der Feuerwerkskörper explodierte rund 2,60 m von der
Hauswand entfernt. An der Explosionsstelle entstand eine Vertiefung in einer Größe von ca. 15 cm. Die Hauswand
wies aufgrund der Wirkungen des gezündeten Feuerwerkskörpers an drei Stellen Verfärbungen bzw. eingebrannte
Stellen auf [Fall II.2.a) der Urteilsgründe].
c) Nachdem im Rahmen einer noch am Tatabend erfolgten Polizeikontrolle auf der A8 die beiden bei dem Angeklagten verbliebenen Feuerwerkskörper wegen der fehlenden inländischen Zulassung sichergestellt worden waren, verschaffte dieser sich in der Tschechischen Republik einen anderen Sprengsatz, einen sog. Blitzknallsatz. Dabei handelt es sich um einen dort freiverkäuflichen, in Deutschland aber verbotenen Artikel mit 50 g aus Kaliumperchlorat
und Aluminium bestehender Explosivmasse. Diesen Sprengsatz warf der Angeklagte am 28. März 2013 auf dem
Garagenvorplatz vor dem Wohnanwesen von P. aus dem geöffneten Fenster seines Fahrzeugs. Der Sprengkörper
geriet unter den hinteren Teil eines dort abgestellten Pkw. Dort explodierte der Sprengsatz. Aufgrund der Sprengwirkung wurde u.a. das Bodenblech des Fahrzeugs durchschlagen, die Karosserie beschädigt und die Scheiben zerstört.
Es entstand ein Schaden von rund 12.000 Euro. Durch die Detonation wurde zudem das Garagentor am Anwesen
von P. verzogen und der Gartenzaun beschädigt. Dies führte weitere Schäden in Höhe von über 7.000 Euro herbei.
Angesichts des ungezielten Hinauswerfens des Sprengsatzes aus seinem Wagen konnte der Angeklagte damit rechnen, dass die Explosion in der Nähe des abgestellten Fahrzeugs erfolgen würde und dadurch erhebliche Schäden
entstünden. Das Landgericht hat nicht aufzuklären vermocht, von wem eine rund eine Woche nach der Tat an C. H.
gesandte und auch seinem Bruder P. zugeleitete E-Mail, in der die Zahlung von 2,4 Millionen Euro gefordert und auf
den Anschlag Bezug genommen wurde, stammte. Kenntnis des Angeklagten von dieser Mail ließ sich nicht feststellen [Fall II.2.c) der Urteilsgründe].
3. a) Darüber hinaus hat das Tatgericht festgestellt, dass im Anschluss an die polizeiliche Sicherstellung der zwei
nach dem Anschlag auf das frühere Wohnanwesen von M. K. bei dem Angeklagten verbliebenen Feuerwerkskörper
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[oben A.I.2.c)] gegen diesen ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz eingeleitet worden
war. In diesem Verfahren behauptete der Angeklagte bewusst wahrheitswidrig, die beiden Gegenstände gehörten
nicht ihm, sondern seinem Sohn. Dies wiederholte er in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht, das ihn daraufhin freisprach. Wie von dem Angeklagten billigend in Kauf genommen, wurde nunmehr ein Ermittlungsverfahren
gegen seinen Sohn eingeleitet [Fall II.2.b) der Urteilsgründe].
b) Anlässlich einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten in E. wurden zwei Patronen des Kalibers 38 Spezial gefunden. Wie der Angeklagte wusste, verfügte er nicht über die für den Besitz erforderliche waffenrechtliche
Erlaubnis [Fall II.2.e) der Urteilsgründe].
II. Das Versenden der Briefbombenattrappen und die beiden Anschläge mit den Sprengkörpern hat das Landgericht
als einheitlichen Versuch der Nötigung (in Tateinheit mit vorsätzlichem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion) zu
Lasten von C. H. gewertet. Zwar habe sich die Tat unmittelbar gegen verschiedene Nötigungsopfer gewendet. Im
Ergebnis sei aber auf einen „einzigen und gleichartigen Nötigungserfolg“ (UA S. 21) abgezielt worden, C. H. zu
einer Handlung zu veranlassen. Die verschiedenen Verhaltensweisen des Angeklagten hat das Landgericht mit entsprechenden Erwägungen als eine einheitliche Beihilfe gewertet. Mehrere Hilfeleistungen zu einer Haupttat bildeten
wegen des akzessorischen Rechtsgutsangriffs im Regelfall nur eine Beihilfe. Hier seien sämtliche Handlungen darauf
gerichtet gewesen, C. H. zu veranlassen, seinen Aufenthaltsort bekannt zu geben. Der ausgeübte Druck auf dessen
Angehörige und Geschäftspartner war auf dieses eigentliche Ziel gerichtet. Dies gestatte, die einzelnen Handlungen
des Angeklagten als einheitliche Handlung anzusehen.
B. Das Rechtsmittel des Angeklagten führt jeweils lediglich zur Nachholung der vom Tatgericht versäumten Festsetzung der Höhe des Tagessatzes bezüglich der in den Fällen II.2.b) und e) der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen. Im Übrigen weist das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf.
I. Hinsichtlich des mittels eines im Inland nicht zugelassenen Feuerwerkskörpers am 15. Januar 2013 ausgeführten
Anschlags auf das frühere Wohnanwesen von M. K. [Fall II.2.a) der Urteilsgründe] besteht kein Verfahrenshindernis. Das den Angeklagten vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz freisprechende Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 23. Mai 2013 (4 2 Cs) hat keinen Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 StPO)
hinsichtlich der Verwendung der dem Angeklagten von Au. überlassenen Feuerwerkskörper herbeigeführt. Dem
Angeklagten war in dem Verfahren 21 Js der Staatsanwaltschaft München II die entgegen § 27 Abs. 1 SprengG und
damit unerlaubt erfolgende Einfuhr sowie der unerlaubte Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen, zu denen
gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SprengG auch pyrotechnische Gegenstände gehören (vgl. näher B. Heinrich in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 8, SprengG, § 40 Rn. 20), und damit ein Vergehen nach § 40 Abs. 1
Nr. 3 SprengG vorgeworfen worden. Selbst wenn der durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Miesbach vom 4. März
2013 festgelegte Verfahrensgegenstand (§§ 155, 264 StPO) auch die Einfuhr des und den Umgang mit dem nicht
zugelassenen (§ 5 SprengG; § 6 SprengG i.V.m. Anlage 3 zur Ersten Verordnung zum SprengG), bei dem genannten
Anschlag verwendeten Feuerwerkskörper umfasste, hat das freisprechende Urteil die Strafklage im Hinblick auf die
Begehung des Verbrechens des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion gemäß § 308 Abs. 1 StGB nicht verbraucht. Wie der Bundesgerichtshof bereits zu Verstößen gegen das Waffengesetz durch den unerlaubten Besitz und
das unerlaubte Führen einer Waffe entschieden hat, steht die rechtskräftige Aburteilung der Dauerstraftat des Besitzes der Waffe einer Strafverfolgung wegen eines mit dieser Waffe begangenen Verbrechens nicht entgegen (BGH,
Urteil vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 153 f.; siehe auch Urteil vom 1. Oktober 1997 - 2 StR
520/96, BGHSt 43, 252, 256 sowie Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 289 ff. bzgl. Organisationsdelikten). Für das Dauerdelikt des (unerlaubten) Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen gemäß § 40 Abs. 1
Nr. 3 SprengG gilt nichts anderes. Auf das kontrovers beurteilte materiell-rechtliche Konkurrenzverhältnis zwischen
diesem Tatbestand und § 308 StGB (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 308 Rn. 13 aE; B. Heinrich aaO § 40 Rn. 106;
Steindorf in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, SprengG, § 40 Rn. 27 mwN) kommt es für die Beurteilung des Strafklageverbrauchs nicht an.
II. 1. Das Landgericht hat bezüglich der für die Fälle II.2.b) und e) der Urteilsgründe verhängten Geldstrafen von 60
bzw. 30 Tagessätzen jeweils die Höhe des Tagessatzes nicht festgesetzt. Einer solchen Festsetzung bedarf es aber
auch dann, wenn die Einzelgeldstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB in eine Gesamt(freiheits)strafe einbezogen
wird (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96; vom 8. April 2014
- 1 StR 126/14, NStZ-RR 2014, 208, 209). Dies zieht zwar regelmäßig die Zurückverweisung zum Zwecke der
Nachholung der Bestimmung der Tagessatzhöhe nach sich (BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80,
BGHSt 30, 93, 97). Allerdings ist dem Revisionsgericht in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die
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Möglichkeit eröffnet, in geeigneten Fällen die Festsetzung selbst vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 8. April 2014 1 StR 126/14, NStZ-RR 2014, 208, 209 mwN) und etwa die Tagessatzhöhe auf das gesetzliche Mindestmaß festzusetzen (BGH aaO; BGH, Urteil vom 27. August 2010 - 2 StR 111/09, WM 2010, 1957, 1964). Davon macht der
Senat auf den vom Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung gestellten entsprechenden Antrag Gebrauch.
2. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten weist das angefochtene Urteil im Übrigen nicht auf.
a) Das Landgericht hat im Fall II.2.c) rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des vorsätzlichen Herbeiführens einer
Sprengstoffexplosion gemäß § 308 Abs. 1 StGB bejaht.
aa) Mit dem Zünden des verwendeten Feuerwerkskörpers hat der Angeklagte eine Explosion herbeigeführt. Explosion ist die plötzliche Auslösung von Druckwellen außergewöhnlicher Beschleunigung (Wolff in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 11, § 308 Rn. 4; Krack in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 5, § 308
Rn. 3 jeweils mwN). Unmittelbar durch die mittels des aus Kaliumperchlorat und Aluminium bestehenden Sprengstoffs ausgelöste Explosion sind erhebliche Schäden an fremden Gegenständen, dem Kraftfahrzeug der Tochter von
P. sowie u.a. an der Garage von dessen Hausgrundstück, verursacht worden.
bb) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht bei dem hinsichtlich der Explosion selbst mit direktem Vorsatz handelnden Angeklagten einen auf das Verursachen einer konkreten Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert bezogenen bedingten Vorsatz angenommen. Es stützt sich zur Begründung auf eine - teils im Rahmen der rechtlichen
Würdigung erfolgende - Gesamtwürdigung aller relevanten objektiven und subjektiven Umstände des Zündens des
Feuerwerkskörpers. Dabei hat das Landgericht vor allem auf die für die Durchführbarkeit des Nötigungsvorhabens
erforderliche Nachhaltigkeit der Explosion als Drohmittel abgestellt. Die Hinweise der Revision auf die Freiverkäuflichkeit des verwendeten Feuerwerkskörpers in der Tschechischen Republik zeigen Lücken in der Beweiswürdigung
des Tatgerichts nicht auf. Dieses hat sich erkennbar von dem Gedanken leiten lassen, dass der Angeklagte nach der
Sicherstellung von zwei der ihm seitens Au. übergebenen, ebenfalls aus Tschechien stammenden Feuerwerkskörpern
und der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das
Sprengstoffgesetz aufgrund des Mitsichführens der entsprechenden Gegenstände Kenntnis von deren fehlender Zulassung im Inland hatte. Da er anschließend zur Vorbereitung des Anschlags gegen das Wohnanwesen von P. in die
Tschechische Republik gefahren ist, um einen wegen der hohen Sprengkraft wiederum im Inland nicht zugelassenen
Feuerwerkskörper zu erwerben, konnte das Landgericht unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände auf einen
wenigstens bedingten Gefahrvorsatz schließen.
cc) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob bei Verursachung tatbestandsmäßiger Gefahrerfolge hinsichtlich von
§ 308 Abs. 1 StGB erfasster Rechtsgüter durch Explosion mittels Feuerwerkskörper eine einschränkende Auslegung
des Tatbestandes oder gar ein Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit in Betracht zu ziehen
ist (zu dem entsprechenden Diskussionsstand vgl. Krack aaO § 308 Rn. 4 f.; siehe auch Wolff aaO § 308 Rn. 13;
Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 308 Rn. 5-6). Jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation
der vorsätzlichen Verwendung eines im Inland nicht zugelassenen, in seiner Explosivwirkung über das inländisch
Zugelassene deutlich hinausgehenden Feuerwerkskörpers kommt vor dem Hintergrund der geschützten Individualrechtsgüter (zu diesen Fischer aaO § 308 Rn. 1) eine Restriktion des Tatbestandes, erst recht ein Tatbestands- oder
Rechtswidrigkeitsausschluss nicht in Betracht.
b) Im Fall II.2.b) der Urteilsgründe tragen die getroffenen, allerdings knappen Feststellungen die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1 StGB.
aa) Indem der Angeklagte im Rahmen des gegen ihn wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz geführten Strafverfahrens bewusst wahrheitswidrig angegeben hatte, die in dem von ihm geführten Pkw aufgefundenen Feuerwerkskörper gehörten seinem Sohn, hat er diesen vorsätzlich der Begehung
einer rechtswidrigen Tat, nämlich einer Straftat gemäß § 40 Abs. 1 SprengG, verdächtigt. Nach ganz überwiegendem Verständnis ist Verdächtigen das Hervorrufen, Umlenken oder Verstärken eines Verdachts (vgl.
BGH, Urteil vom 13. April 1960 - 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240, 246; Ruß in Leipziger Kommentar zum StGB,
12. Aufl., § 164 Rn. 5; Zopfs in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 2. Aufl., § 164 Rn. 20 jeweils
mwN; siehe auch Langer, Gedächtnisschrift für Schlüchter, 2002, S. 361, 366 f.). Die Tathandlung kann jedenfalls durch das Behaupten von Tatsachen verwirklicht werden, die geeignet sind (§ 152 Abs. 2 StPO), den Verdächtigten einem behördlichen Verfahren auszusetzen (Fischer aaO § 164 Rn. 3; Jeßberger in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 164 Rn. 6; näher Zopfs aaO § 164 Rn. 23 mwN). Diese Voraussetzungen sind angesichts der konkreten Bezichtigung des Sohns, Eigentümer der im Inland nicht zugelassenen pyrotechnischen Gegenstände zu sein, erfüllt. Da der Angeklagte die bereits während des strafrechtlichen Ermittlungsverfah-
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rens gegen ihn erfolgte Falschbezichtigung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht wiederholt hat, handelt es
sich bei den beiden wahrheitswidrigen Verdächtigungen lediglich um eine Tat im Rechtssinne (BGH, Beschluss vom
21. November 2012 - 4 StR 427/12, BGHR StGB § 164 Konkurrenzen 2; siehe auch OLG Koblenz, Beschluss vom
6. Dezember 2010 - 2 Ws 480/10 Rn. 20).
bb) Eine auf zulässiges Verteidigungsverhalten eines Beschuldigten im Strafverfahren oder dessen Selbstbelastungsfreiheit gestützte Einschränkung des Tatbestandes der falschen Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1
StGB kommt in der vorliegenden Konstellation nicht in Betracht.
(1) Ob eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung (etwa BayObLG NJW 1986, 441, 442; OLG Frankfurt DAR
1999, 225; OLG Düsseldorf MDR 1992, 286 f.) und von Teilen der Strafrechtswissenschaft (siehe nur Ruß aaO §
164 Rn. 6 mwN; Jeßberger aaO § 164 Rn. 10) befürwortete Tatbestandseinschränkung für Fallgestaltungen, in denen
der Täter wahrheitswidrig eine allein als alternativer Täter in Frage kommende Person ausdrücklich als solchen bezeichnet (gegen Einschränkungen in solchen Fällen etwa Langer aaO S. 367-369; Schneider, NZV 1992, 471, 472 ff.
jeweils mwN; Fischer aaO § 164 Rn. 3a; näher auch Deutscher, Grundfragen der falschen Straftatverdächtigung [§
164 Abs. 1 StGB], 1995, S. 127 ff.), angenommen werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls dann, wenn wie vorliegend - eine Person konkret verdächtigt wird, für deren Tatbegehung bzw. Tatbeteiligung bis dahin keine
Anhaltspunkte bestanden, kommt im Hinblick auf das durch § 164 StGB auch gewährleistete Rechtsgut des Schutzes
der innerstaatlichen Strafrechtspflege vor unberechtigter Inanspruchnahme (siehe nur BGH, Beschluss vom 21. November 2012 - 4 StR 427/12, StraFo 2013, 79) eine Tatbestandseinschränkung nicht in Betracht (vgl. Zopfs aaO §
164 Rn. 25 f.; siehe auch Aselmann, Die Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit, 2004, S. 267 f.). Anders als in
Fallgestaltungen, in denen außer dem falsch Verdächtigenden überhaupt nur eine weitere Person als Täter der fraglichen rechtswidrigen Tat in Betracht kommt, wird in der hier vorliegenden Konstellation erstmals eine andere Person
als vermeintlicher Täter bezichtigt. Erst dadurch werden die Ermittlungsbehörden zu einer auf eine materiell unschuldige und bis zur Falschbezichtigung unverdächtige Person bezogenen Ermittlungstätigkeit veranlasst.
(2) Eine Einschränkung des Tatbestandes von § 164 Abs. 1 StGB in Anwendung auf einen sich durch Falschverdächtigung Dritter verteidigenden Beschuldigten oder Angeklagten lässt in der hier vorliegenden Fallgestaltung auch
nicht mit Erwägungen aus der Rechtsprechung zu zulässigem Verteidigungsverhalten im Rahmen der Strafzumessung begründen (siehe aber OLG Düsseldorf MDR 1992, 286; krit. Schneider, NZV 1992, 471, 473 f.). Zwar ist nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs strafzumessungsrechtlich die Grenze zulässigen und damit nicht strafschärfend berücksichtigungsfähigen Verteidigungsverhaltens selbst bei unberechtigten Anschuldigungen gegen Dritte noch nicht überschritten (etwa BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 5 StR 453/12 Rn. 2 bzgl. Alternativtäterschaft); dies sei vielmehr erst dann der Fall, wenn sich dieses Verhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung erweise (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2013 - 4 StR 532/12, NStZ-RR 2013, 170 f. mwN sowie
vom 6. Juli 2010 - 3 StR 219/10, NStZ 2010, 692). Diese für die Strafzumessung im Rahmen von § 46 Abs. 2 StGB
geltenden Erwägungen können jedoch nicht die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 164 StGB in einer Weise
beeinflussen, die mit den Schutzzwecken dieses Tatbestandes nicht mehr vereinbar wäre.
(3) Die Auslegung von § 164 StGB nach dem Wortlaut, der Systematik - der Gesetzgeber hat für die falsche Verdächtigung anders als in § 258 Abs. 1 und Abs. 5 StGB kein Selbstbegünstigungsprivileg vorgesehen - und dem
Schutzzweck spricht gegen eine Einschränkung des Tatbestandes in Konstellationen wie der hier vorliegenden. Mit
der durch das 43. Strafrechtsänderungsgesetz (43. StrÄndG) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2288) erfolgten Einführung von § 164 Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber möglichen Missbräuchen der in § 46b StGB und § 31 BtMG enthaltenen Strafmilderungsmöglichkeiten bei Aufklärungshilfe durch in einem Strafverfahren Beschuldigte entgegen
wirken wollen (BT-Drucks. 16/6268 S. 15 re. Sp.). Dabei hat er zugrunde gelegt, dass vielfach Falschangaben durch
einen Beschuldigten in dem gegen ihn gerichteten Verfahren zum Zwecke der Erlangung von Strafmilderung den
Tatbeständen aus § 164 StGB und § 145d StGB unterfallen, deren Strafandrohungen gravierende Fälle aber nur unzureichend erfassen (BT-Drucks. aaO). Die Entstehungsgeschichte von § 164 Abs. 3 StGB spricht damit ebenfalls
gegen eine Einschränkung des Tatbestandes der falschen Verdächtigung bei Falschbezichtigung Dritter durch Beschuldigte oder Angeklagte in gegen sie geführten Strafverfahren.
(4) Die Restriktion könnte sich angesichts dessen lediglich aus übergeordneten verfassungsrechtlichen oder menschenrechtlichen Grundsätzen ergeben, aus denen sich für Beschuldigte bzw. Angeklagte im Strafverfahren ein
Recht auf Lüge ableiten ließe (vgl. insoweit Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 403 f.). Solche Grundsätze
bestehen jedoch nicht. Die Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) gewährleistet verfassungsrechtlich dem Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren ein umfassendes Recht zu schweigen, um nicht zu sei-
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ner Überführung beitragen zu müssen; der Beschuldigte ist durch die Selbstbelastungsfreiheit mithin davor geschützt, auf ihn selbst bezogene Informationen zu generieren (siehe BVerfGE 56, 37, 49; BVerfGE 109, 279, 324;
BVerfGE 133, 168, 201 Rn. 60; näher Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 261-264). Wie
der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, lässt sich aus der einfachgesetzlichen Gewährleistung des Schweigerechts des Angeklagten in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO als Ausprägung der Selbstbelastungsfreiheit zwar keine Wahrheitspflicht aber auch kein „Recht zur Lüge" ableiten (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - 5 StR 328/04, NStZ
2005, 517, 518 Rn. 10; siehe auch OLG Koblenz, Beschluss vom 6. Dezember 2012 - 2 Ws 480/10 Rn. 13, NStZ-RR
2011, 178 [nur Leitsätze]; zum Meinungsstand bzgl. des „Rechts auf Lüge“ Kölbel aaO S. 25 f.). Für eine einschränkende Anwendung des § 164 StGB jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation der bewusst wahrheitswidrigen
Verdächtigung besteht daher kein tragfähiger Grund (vgl. insoweit auch Kölbel aaO S. 404, siehe aber auch ders.
aaO S. 493).
3. Bezüglich der Verurteilung des Angeklagten im Fall II.2.e) der Urteilsgründe kann der Senat dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnehmen, dass der unerlaubte Besitz erlaubnispflichtiger Munition sich auf die am Tag der
vorläufigen Festnahme des Angeklagten, dem 19. November 2013 (UA S. 4 unten), in dessen Wohnung aufgefundene Munition bezieht.
4. Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte durch die im Rahmen der Revision der Staatsanwaltschaft aufgezeigten Rechtsfehler beschwert ist.
III. Angesichts des nur sehr geringen Erfolgs des Rechtsmittels des Angeklagten ist es nicht unbillig, diesen insgesamt mit dadurch entstandenen Kosten zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
C. Die Revision der Staatsanwalt führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang.
I. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 28. Oktober 2014 zutreffend aufgezeigt hat, ist das
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft beschränkt. Die Verurteilungen in den Fällen II.2.b) und e) der Urteilsgründe
werden ungeachtet des Fehlens einer ausdrücklichen Beschränkung ersichtlich nicht angegriffen. Die Beschränkung
ist wirksam. Dass die für die vorgenannten Fälle verhängten Einzelgeldstrafen wegen der beim Tatrichter unterbliebenen Festsetzung der Tagessatzhöhe (oben B.II.1.) isoliert nicht vollstreckt werden könnten, steht nicht entgegen
(vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1998 - 4 StR 348/98, BGHR StGB § 40 Abs. 2 Satz 1 Bestimmung, unterlassene 2; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 122/10).
II. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.2.a), c) und d) der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit lediglich einer (einheitlichen) Beihilfe zu einer (gleichfalls
einheitlichen) versuchten Nötigung zu Lasten von C. H. als Haupttat hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Bereits der von dem Landgericht für das Vorliegen einer einzigen Haupttat herangezogene Grund eines „einzigen
und gleichartigen Nötigungserfolgs“ (UA S. 21) trägt nicht.
1. Das Landgericht hat nicht ausreichend in den Blick genommen, dass als Tat bzw. als Taten auch Nötigung(en) in
Bezug auf die von den Sprengstoffanschlägen bzw. Briefbombenattrappen unmittelbar bedrohten Angehörigen (Bruder, Schwiegermutter) bzw. Geschäftspartner (Geschäftsführer der A.) von C. H. in Betracht kamen. Ausweislich der
Urteilgründe sollte durch die von dem Angeklagten verübten Anschläge bzw. das Versenden der Briefbombenattrappen auf die betroffenen Angehörigen und Geschäftspartner von C. H. „Druck dahingehend ausgeübt werden, dass
diese sich an H. wenden und ihn veranlassen, sich mit seinen Gläubigern in Verbindung zu setzen, damit diese in der
Folge ihre behaupteten Ansprüche gegen H. geltend machen können“ (UA S. 21). Waren aber die Handlungen des
Angeklagten darauf gerichtet, die direkt davon Betroffenen selbst wenigstens zu einer Kontaktaufnahme mit C. H. zu
bewegen, sollten diese aufgrund nötigenden Drucks zu einem eigenen Handeln veranlasst werden. Dementsprechend
sollte vorsätzlich eine Beeinträchtigung ihrer durch § 240 StGB geschützten Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit (BVerfGE 92, 1, 13 f.; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 21. März 1991 - 1 StR 3/90, BGHSt 37,
350, 353; vom 24. Februar 2005 - 1 StR 33/05, NStZ 2005, 387; Schluckebier in Satzger/Schluckebier/Widmaier,
StGB, 2. Aufl., § 240 Rn. 1) herbeigeführt werden. Mit diesen Taten würde eine bzw. würden mehrere versuchte
Nötigung(en) zu Lasten von C. H. - die gegen Angehörige und Geschäftspartner gerichteten (konkludenten) Drohungen sollten von diesem als eigenes Übel empfunden werden (siehe dazu Fischer, StGB, 62. Aufl., § 240 Rn. 37;
Altvater in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 7/2, § 240 Rn. 83 jeweils mwN) - jeweils in gleichartiger Tateinheit stehen, weil mittels derselben Nötigungshandlung, den jeweiligen Anschlägen als konkludente Drohungen mit weiteren solcher Angriffe, von je zwei verschiedenen Nötigungsopfern unter Beeinträchtigung ihrer
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Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit Verhaltensweisen erzwungen wurden bzw. erzwungen werden sollten (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 4 StR 220/07 Rn. 3; Schluckebier aaO Rn. 28).
2. Unter Berücksichtigung des Vorgenannten und der insgesamt festgestellten vier Handlungen des Angeklagten
(Versenden von zwei Briefbombenattrappen an zwei unterschiedliche Empfänger, zwei Anschläge mit Feuerwerkskörpern gegen zwei verschiedene Opfer) lässt sich das Vorliegen lediglich einer einheitlichen Nötigungstat zu Lasten
von C. H. auch nicht auf die Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit stützen.
a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nimmt eine natürliche Handlungseinheit, die mehrere Handlungen im
natürlichen Sinne zu einer Einheit im Rechtsinne verbinden kann, an, wenn zwischen einer Mehrheit gleichartiger
strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges
Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander
verbunden sind (BGH, Urteile vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368; vom 19. November 2009 3 StR 87/09 Rn. 16 [in NStZ-RR 2010, 140 f. nur LS], vom 8. Februar 2012 - 1 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 241,
242 f.; Fischer aaO Vor § 52 Rn. 3 mwN). Richten sich die Handlungen des Täters bzw. Tatbeteiligten - wie hier gegen höchstpersönliche Rechtsgüter der Opfer, ist die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit zwar nicht
grundsätzlich ausgeschlossen, sie liegt aber regelmäßig nicht nahe (BGH, Urteil vom 19. November 2009 - 3 StR
87/09 Rn. 16). In solchen Konstellationen können unterschiedliche Handlungen regelmäßig weder durch ihre Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Plan oder Vorsatz zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen
wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges willkürlich oder gekünstelt erschiene (BGH aaO mwN).
b) Nach diesen Maßstäben können die einzelnen Handlungen des Angeklagten, die sich als konkludente Drohungen
gegenüber den verschiedenen von den Anschlägen betroffenen Personen erweisen, nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden. Dem steht bereits die Tatbegehung zu Lasten des höchstpersönlichen Rechtsguts Willensfreiheit unterschiedlicher Rechtsgutsinhaber entgegen. Das Landgericht hat, wie bereits aufgezeigt, bei
der Annahme natürlicher Handlungseinheit nicht ausreichend im Blick behalten, dass mit den Anschlägen die unmittelbar dadurch Bedrohten veranlasst werden sollten, sich an C. H. zu wenden. Die Voraussetzungen dafür, mehrere
Handlungen des Täters gegen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedenen Inhaber ausnahmsweise als natürliche
Handlungseinheit zu bewerten, liegen ersichtlich nicht vor. Zwischen dem Versenden der Briefbombenattrappen und
den beiden Anschlägen mit Feuerwerkskörpern sowie zwischen den letztgenannten Handlungen untereinander besteht kein außergewöhnlich enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang.
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.2.a), c) und d) der Urteilsgründe und des
Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Obwohl die Aufhebung aufgrund eines Wertungsfehlers des Tatgerichts erfolgt,
hebt der Senat die zugrunde liegenden Feststellungen ebenfalls auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Das angefochtene Urteil
erweist sich nicht als widerspruchsfrei. So führt das Landgericht - im Rahmen der rechtlichen Würdigung - einerseits
aus, es habe sich nicht feststellen lassen, dass einer der von den Anschlägen des Angeklagten unmittelbar Betroffenen sich bei C. H. dafür eingesetzt habe, dass dieser sich bei den Anlegern melde (UA S. 22), was jedenfalls eine
vollendete Nötigung zum Nachteil der Opfer der Anschläge ausschließen würde. Da sich aber andererseits aus der
Darstellung der Aussage des Zeugen C. H. ergibt, diesem sei durch seinen Bruder P., dem Opfer des Anschlags vom
28. März 2013, über den Sprengstoffanschlag berichtet worden (UA S. 18), findet die Annahme ausgebliebener Reaktionen der unmittelbar bedrohten Nötigungsopfer keine ausreichende Stütze in der Beweiswürdigung. Um dem
neuen Tatrichter in sich widerspruchsfreie Feststellungen auch zu den Reaktionen der Anschlagsopfer zu ermöglichen, erfolgt die Aufhebung auch der Feststellungen.
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Sollte auch der neue Tatrichter feststellen, dass nach dem Tatplan des Angeklagten und ggf. seiner Auftraggeber
durch die Briefbombenattrappen sowie die Explosionen die von den Anschlägen unmittelbar Betroffenen dazu veranlasst werden sollten, sich ihrerseits an C. H. zu wenden, wird aufzuklären sein, ob und wie sich die Bedrohten nach
den gegen sie gerichteten Handlungen verhalten haben. Die Vollendung einer ihnen gegenüber begangenen Nötigung
wäre bereits dann eingetreten, wenn sie als Nötigungsopfer unter der Einwirkung des Nötigungsmittels mit der von
dem Täter geforderten Handlung begonnen hätten (BGH, Urteil vom 26. August 1986 - 1 StR 365/86, NStZ 1987, 70
f.; BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 421/03, BGHR StGB § 240 Abs. 1 Nötigungserfolg 3; siehe
auch BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 4 StR 139/12, NStZ 2013, 36 f.; Altvater aaO § 240 Rn. 90 mwN). Dass
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es dem Angeklagten als Endziel darauf ankam, auf C. H. einzuwirken, stünde vollendeten Nötigungen zu Lasten der
unmittelbar Bedrohten nicht entgegen. Selbst bei Nötigungen gegenüber demselben Opfer kann ein Teilerfolg, der
mit Blick auf ein weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, für die Annahme einer vollendeten Nötigung
ausreichen, wenn die abgenötigte Handlung des Opfers nach den Vorstellungen des Täters eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 - 4 StR 139/12, NStZ
2013, 36 f.; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 421/03, BGHR StGB § 240 Abs. 1 Nötigungserfolg 3; Urteile vom 14.
Januar 1997 - 1 StR 507/96, NJW 1997, 1082; vom 20. Juni 2007 - 1 StR 157/07, StV 2008, 249). Das gilt erst recht,
wenn ein „Teilerfolg“ gegenüber anderen Personen als dem vom Täter als Endziel ins Auge gefassten Nötigungsopfer eintreten soll. Vollendete oder versuchte Nötigungen zu Lasten der von den Anschlägen des Angeklagten unmittelbar Betroffenen stünden mit der Nötigungstat oder den Nötigungstaten zu Lasten von C. H. jeweils in gleichartiger
Tateinheit (oben C.II.1.).
2. Der neue Tatrichter wird auch die durch den Angeklagten verwirklichte Beteiligungsform näher zu prüfen haben.
Das Landgericht hatte in Bezug auf die Nötigungstaten die Möglichkeit einer unmittelbaren Täterschaft im Sinne von
§ 25 Abs. 1 Var. 1 StGB nicht in den Blick genommen. Nach dieser Vorschrift ist Täter, wer vorsätzlich handelnd
sämtliche Tatbestandsmerkmale der Straftat in eigener Person verwirklicht (BGH, Urteil vom 17. August 1993 - 1
StR 266/93, BGHR StGB § 25 Abs. 1 Begehung, eigenhändige 3; siehe auch BGH, Urteile vom 22. Juli 1992 - 3 StR
35/92, BGHSt 38, 315, 317 mwN; vom 12. August 1998 - 3 StR 160/98, NStZ-RR 2000, 22 [nur LS]; Schünemann
in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Bd. 1, § 25 Rn. 53 f.). Fehlender Täterwille oder das Berufen darauf,
lediglich einem anderen behilflich sein zu wollen, schließt bei Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen die
(unmittelbare) Täterschaft nicht aus (BGH, Urteil vom 17. August 1993 - 1 StR 266/93, BGHR StGB § 25 Abs. 1
Begehung, eigenhändige 3). Bei der Beurteilung, ob angesichts der Ausführung der Nötigungshandlungen seitens des
Angeklagten Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB in Betracht kommt, wird auch zu bedenken sein, wie und
durch wen die Anschlagsopfer erfahren haben oder sollten, welches Verhalten von ihnen erwartet wurde.
3. Im Fall II.2.a) der Urteilsgründe wird eine Strafbarkeit wegen versuchter oder vollendeter Herbeiführung einer
Sprengstoffexplosion näher zu prüfen sein. § 308 StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt (vgl. BGH, Urteil vom
21. September 1995 - 5 StR 366/95, NStZ-RR 1996, 132 f. mwN zu § 311 StGB aF). Vollendung tritt mit dem Herbeiführen einer konkreten Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert ein. Maßgeblich ist dafür die Höhe des
dem betroffenen fremden Eigentum konkret drohenden Schadens (Wolff aaO § 308 Rn. 8; Krack aaO § 308 Rn. 9
mwN). Um diese zu bestimmen, bedarf es regelmäßig eines zweistufigen Vorgehens, indem zunächst der Wert der
Sache selbst und anschließend der ihr drohende (bedeutende) Schaden zu ermitteln sind (st. Rspr. zu § 315c StGB;
vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - 4 StR 22/11, DAR 2011, 398 f. mwN). Der Bundesgerichtshof hat soweit ersichtlich - bislang weder zu § 308 StGB noch zu der Vorgängerregelung § 311 StGB aF entschieden, ab
welcher Untergrenze von einem bedeutenden Wert ausgegangen werden kann. Für die bezüglich des konkreten Gefahrerfolgs im Wortlaut identisch gefassten §§ 315b, c StGB legt der Bundesgerichtshof eine solche von 750 Euro
zugrunde (BGH, Beschluss vom 18. Juni 2013 - 4 StR 145/13 Rn. 7 mwN). Der Senat neigt für § 308 StGB im Hinblick auf die auf der Ebene der Tathandlung auch erfassten Explosionen durch Sprengkörper mit geringer Sprengkraft [oben B.II.2.a)] allerdings zu einem etwas höheren Grenzwert, der bei 1.500 Euro liegen könnte. In der Strafrechtswissenschaft geforderte, deutlich höhere Untergrenzen (Wolff aaO § 308 Rn. 8 „2.500 Euro“; Krack aaO § 308
Rn. 9 „ca. 5.000 Euro“; Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 308 Rn. 7 „3.000 Euro“) sind weder
aus teleologischen Gründen noch durch das verfassungsrechtliche Schuldprinzip veranlasst. Sollte nach diesen Maßstäben dem auf dem Grundstück befindlichen Wohnhaus ein solcher Gefahrerfolg nicht gedroht haben, wird die
Frage eines darauf gerichteten Gefahrvorsatzes des Angeklagten und damit eine Versuchsstrafbarkeit näher zu prüfen
sein.
StGB § 174 I Nr. 1 - sexueller Missbrauch Schutzbefohlener, Lehrer
BGH, Beschl. v. 06.05.2014 - 4 StR 503/13 StV 2014, 730
Die für das Anvertrautsein erforderliche Obhutsbeziehung im Lehrer-Schüler-Verhältnis ist nicht
auf die Erteilung von (verbindlichem) Regelunterricht etwa durch den Klassen- oder Fachlehrer
beschränkt, mag sie sich in diesem Falle auch von selbst verstehen und keiner weiteren Darlegung
- 109 -
bedürfen. Sie kann auch unabhängig davon zu bejahen sein, etwa bei Aufsichtstätigkeiten oder im
Rahmen besonderer Veranstaltungen der Schule, zu denen auch die Durchführung einer von den
Schulbehörden genehmigten, nicht zum regulären Unterricht zählenden Arbeitsgemeinschaft gehören kann.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Bochum vom 31. Mai 2013 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die
Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen
in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zu den einzelnen sexuellen Handlungen zum Nachteil der Nebenklägerin – aufgehoben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat den
Angeklagten nunmehr wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sein Rechtsmittel bleibt erfolglos.
I. Die Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Fall 3 StPO) ist jedenfalls unbegründet.
Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom
9. Dezember 2013.
II. Auch die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der vom Beschwerdeführer erhobenen Sachrüge hat
keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht angenommen hat, die Nebenklägerin sei dem Angeklagten im Tatzeitraum in seiner Eigenschaft als Lehrer zur
Erziehung und zur Ausbildung im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB anvertraut gewesen. Dazu hat das Landgericht
Folgendes festgestellt:
1. Der Angeklagte war von 2000 bis zu seiner Suspendierung vom Dienst am 11. März 2011 an einer Realschule in
Nordrhein-Westfalen als Sport- und Erdkundelehrer tätig. Seit dem Jahr 2002 bildete er im Rahmen eines zusätzlichen, von ihm im Einvernehmen mit der Schulleitung eingerichteten freiwilligen Schulsanitätsdienstes Schüler und
Schülerinnen ab der Klassenstufe 7 zu Schulsanitätern aus. Dabei handelte es sich um ein Angebot der Schule außerhalb des Regelunterrichts in Form einer Arbeitsgemeinschaft. Die freiwillige Teilnahme daran wurde u.a. im Zeugnis
unter der Rubrik „Angaben zum außerunterrichtlichen Engagement“ vermerkt. Auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses der Schulkonferenz stellte die Schule für die Durchführung des Schulsanitätsdienstes einen
Raum im Schulgebäude zur Verfügung, der mit einer Liege sowie einem Ersten-Hilfe-Schrank mit entsprechenden
Materialien ausgestattet war. Im Schulsekretariat wurde über den Schulsanitätsdienst eine Akte geführt. Der Angeklagte war als Leiter des Schulsanitätsdienstes für die Beschaffung der Erste-Hilfe-Materialien zuständig, rechnete
angefallene Kosten gegenüber der Schule ab, kümmerte sich allgemein um die Sachausstattung und warb um
Sponsoren. Ferner war er Ansprechpartner für die Schulleitung in allen Angelegenheiten des Schulsanitätsdienstes
und steuerte in Zusammenarbeit mit der Schulleiterin dessen personelle Zusammensetzung, indem er beispielsweise
einen bestimmten Schüler zur Verbesserung des Sozialverhaltens in den Sanitätsdienst aufnahm. Als Ausgleich für
die Leitung des Sanitätsdienstes erhielt der Angeklagte Ermäßigungsstunden.
2. Voraussetzung für die Aufnahme in den Schulsanitätsdienst war die Absolvierung eines Erste-Hilfe-Kurses mit
anschließendem Wissenstest, der vom Angeklagten in gewissen zeitlichen Abständen veranstaltet wurde. An jedem
Schultag waren zwei Schüler zum Schulsanitätsdienst eingeteilt und wurden im Bedarfsfall über schuleigene Funksprechgeräte zum Einsatzort gerufen. Auch die Durchführung des täglichen Sanitätsdienstes lag in der Verantwortung des Angeklagten. Der ihm zugeteilte Klassenraum für seine regulären Unterrichtsstunden lag unmittelbar gegenüber dem Schulsanitätsraum. So konnten die eingesetzten Schulsanitäter bei Unsicherheiten in der Behandlung
eines Falles oder bei Uneinigkeit untereinander mit ihm Rücksprache halten und taten dies auch. Über jeden Einsatz
hatten die eingesetzten Schulsanitäter ein Protokoll zu verfassen, das der Angeklagte mit ihnen regelmäßig besprach.
- 110 -
Stichprobenartig überwachte der Angeklagte auch die Berechtigung der im Schulsanitätsraum anwesenden Schülerinnen und Schüler in den Pausen.
3. Die im Tatzeitraum (22. Oktober 2010 bis 4. März 2011) überwiegend 14 und zuletzt 15 Jahre alte Nebenklägerin
besuchte die Realschule, wurde indes vom Angeklagten weder als Klassen- noch als Fachlehrer unterrichtet, auch
nicht vertretungsweise. Sie absolvierte bei dem Angeklagten erstmals von April bis Juli 2009 einen Erste-Hilfe-Kurs
und wurde danach in den Schulsanitätsdienst aufgenommen. Weil ihr diese Tätigkeit gut gefiel und sie ihre Kenntnisse verbessern wollte, wiederholte sie den Kurs – ebenfalls beim Angeklagten – im Zeitraum zwischen Februar und
April 2010. Bei einem weiteren vom Angeklagten veranstalteten Erste-Hilfe-Kurs von September 2010 bis Februar
2011 assistierte sie dem Angeklagten auf freiwilliger Basis. Daneben war die Nebenklägerin auch im Tatzeitraum
regelmäßig als Schulsanitäterin tätig. Während ihrer Einsätze nahm sie die Möglichkeit der Rücksprache mit dem
Angeklagten öfters wahr, da sie meinte, er könne medizinisch problematische Situationen aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung gut einschätzen. In einem Fall, in dem eine Schülerin oft Bauchweh zu haben vorgab und bei der
der Verdacht bestand, sie simuliere, nahm sie regelmäßig Kontakt zum Angeklagten auf, ebenso bei Meinungsverschiedenheiten mit den anderen Schulsanitätern. Auf Bitten des Angeklagten übernahm sie einige Zeit nach ihrer
Aufnahme in den Schulsanitätsdienst zusätzlich die Erstellung der Dienstpläne hinsichtlich der einzusetzenden Schülerinnen und Schüler, wobei der Angeklagte ihr vor allem zu Beginn dieser Tätigkeit Ratschläge für die Zusammensetzung der einzelnen Teams erteilte.
4. Infolge der Trennung ihrer Mutter von ihrem Stiefvater, mit dem sie ein sehr enges Vertrauensverhältnis verbunden hatte, entwickelte die Nebenklägerin seit Februar 2009 eine massive Essstörung und magerte erheblich ab. Im
Sommer 2010 aß sie fast nichts mehr und begann, sich durch Ritzen selbst zu verletzen. Zwischen dem Angeklagten,
der ihre schlechte Verfassung bemerkt und ihr seine Hilfe angeboten hatte, und der Nebenklägerin, die sich daraufhin
dem Angeklagten zuwandte und ihm rückhaltlos von ihren privaten Problemen berichtete, entstand in der Folgezeit
eine enge persönliche Beziehung, in der es nach dem Austausch bloßer Zärtlichkeiten in der Zeit vom 22. Oktober
2010 bis zum 4. März 2011 zu den hier abgeurteilten sexuellen Handlungen kam. Der Angeklagte gab der Nebenklägerin in einem Fall einen Zungenkuss, veranlasste sie in drei Fällen dazu, bei ihm den Oralverkehr auszuführen und
führte in acht Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durch, in einem Fall zusätzlich den Analverkehr.
III.
1. Die Annahme eines Obhutsverhältnisses zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin im Sinne des § 174
Abs. 1 Nr. 1 StGB wird durch die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen hinreichend belegt.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert ein solches Obhutsverhältnis eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, aus der sich für den Täter das Recht und die Pflicht ergibt, Erziehung, Ausbildung
oder Lebensführung des Schutzbefohlenen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu
leiten, wobei sich die Begriffe der Erziehung, der Ausbildung und der Betreuung in der Lebensführung in ihrem
Bedeutungsgehalt überschneiden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 31. Januar 1967 – 1 StR 595/65, BGHSt 21, 196,
199 ff.; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 – 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661). Ein die Anforderungen der Vorschrift
erfüllendes Anvertrautsein setzt ein den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfassendes Abhängigkeitsverhältnis des Jugendlichen zu dem jeweiligen Betreuer im Sinne einer Unter- und Überordnung voraus (BGH, Beschluss vom 21. April 1995 – 3 StR 526/94, BGHSt 41, 137, 139). Ob ein solches Verhältnis besteht und welchen
Umfang es hat, ist regelmäßig nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen (BGH, Urteil vom
5. November 1985 – 1 StR 491/85, BGHSt 33, 340, 344; Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 180/08, BGHR StGB §
174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 11). Der konkreten Feststellung eines Missbrauchs des Obhutsverhältnisses bedarf es
dabei nicht; im Hinblick auf dessen soziale Funktion wird die Missbräuchlichkeit vielmehr unwiderlegbar vermutet
(BT-Drucks. 6/3521, S. 21; vgl. dazu SSW-StGB/ Wolters, 2. Aufl., § 174 Rn. 5).
b) Schon mit Blick darauf, dass dieses Abhängigkeitsverhältnis den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich
umfassen muss, wird es im Verhältnis eines Lehrers zu seinen Schülern, insbesondere an größeren Schulen mit nur
schwer überschaubarem Lehrerkollegium, nicht schon durch die bloße Zugehörigkeit zu derselben Schule konstituiert, sondern regelmäßig erst mit der Zuweisung eines Schülers zu einem bestimmten Lehrer, der dadurch die in §
174 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Pflichten übernimmt (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1963 – 2 StR 357/63, BGHSt
19, 163, 166; anders noch für den Leiter einer Schule: BGH, Urteil vom 24. November 1959 – 5 StR 518/59, BGHSt
13, 352, 355). Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 25. April 2012 (NStZ 2012, 690) ausgeführt hat, ist
die für das Anvertrautsein erforderliche Obhutsbeziehung im Lehrer-Schüler-Verhältnis aber nicht auf die Erteilung
von (verbindlichem) Regelunterricht etwa durch den Klassen- oder Fachlehrer beschränkt, mag sie sich in diesem
- 111 -
Falle auch von selbst verstehen und keiner weiteren Darlegung bedürfen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 – 4
StR 159/03, NStZ 2003, 661). Sie kann auch unabhängig davon zu bejahen sein, etwa bei Aufsichtstätigkeiten oder
im Rahmen besonderer Veranstaltungen der Schule, zu denen auch die Durchführung einer von den Schulbehörden
genehmigten, nicht zum regulären Unterricht zählenden Arbeitsgemeinschaft gehören kann. Ob ergänzende Lehrleistungen außerhalb des Regelunterrichts die Annahme eines Obhutsverhältnisses im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 1
StGB rechtfertigen, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, in die alle für die
rechtliche Bewertung bedeutsamen Umstände einzubeziehen sind. Es muss sich dabei am Schutzzweck der Vorschrift orientieren, wonach Minderjährige und daher regelmäßig noch nicht ausgereifte Menschen vor sexuellen
Übergriffen durch Autoritätspersonen bewahrt werden sollen, denen sie durch einen Vertrauensbeweis überantwortet
und damit gewissermaßen in die Hand gegeben sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1985 – 1 StR 491/85,
BGHSt 33, 340, 344).
2. Gemessen daran war die Nebenklägerin dem Angeklagten im Tatzeitraum im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB
anvertraut. Zwischen ihm und der Nebenklägerin bestand ein über das bloße öffentlich-rechtliche Schulverhältnis,
das gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW bereits durch die Aufnahme des Schülers in eine Schule zustande
kommt, hinausgehendes Abhängigkeitsverhältnis.
a) Bei dem vom Angeklagten geleiteten Schulsanitätsdienst, an dem die Nebenklägerin im Tatzeitraum regelmäßig
teilnahm, handelte es sich um eine von der Schulkonferenz genehmigte und in Letztverantwortung der Schule durchgeführte Veranstaltung in Ergänzung zum verpflichtenden Regelunterricht. Nach der im Tatzeitraum für die allgemeinbildenden Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen bestehenden (und noch fortgeltenden) Rechtslage gehörte
es zu den pädagogischen Aufgaben der Lehrkräfte, das Sicherheitsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler zu
wecken und zu fördern (RdErl. d. Kultusministeriums NRW vom 29. Dezember 1983 zu Unfallverhütung u.a., Ziff.
1, GABl. 1984, S. 70). Die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten für das Handeln in Notfällen diente „im
Rahmen einer kontinuierlichen Gesamterziehung“ (Präambel RdErl. d. Kultusministeriums NRW vom 24. Mai 1976
zur Grundausbildung in Erster Hilfe, GABl. NW S. 278) der Befähigung zu selbständigem Handeln (RdErl. vom 24.
Mai 1976 aaO, Ziff. 1.3). Damit bezweckte der vom Angeklagten ins Leben gerufene und verantwortlich geleitete
Sanitätsdienst nicht nur die Sicherung eines möglichst störungsfreien Unterrichtsbetriebs in medizinischen Notfällen.
Er stand auch unmittelbar im Dienste des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule, der nicht nur die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten umfasste, sondern auch die Aufgabe beinhaltete, den Schülerinnen und Schülern Werthaltungen nahezubringen und ihre Bereitschaft zu sozialem und verantwortungsbewusstem Handeln zu
wecken (§ 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 SchulG NRW). Dass der Schulsanitätsdienst nicht in Form einer regelmäßig wiederkehrenden Unterweisung der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler im Klassenverband oder in einem
Kurs erfolgte, steht der Annahme eines Obhutsverhältnisses zwischen dem Angeklagten und den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern dieses Dienstes – somit auch der Nebenklägerin – hier nicht entgegen. Der Aufgabenbereich des
Angeklagten erschöpfte sich auch nicht in rein organisatorischen Tätigkeiten für den Schulsanitätsdienst. Vielmehr
war schon die Aufnahme in diesen Dienst von der erfolgreichen Absolvierung eines Erste-Hilfe-Kurses abhängig,
der vom Angeklagten mehrmals im Schuljahr jeweils in einem Zeitraum von mehreren Wochen veranstaltet wurde.
Ferner ermöglichte ihm die Schulleitung die notwendigen Einwirkungs- und Überwachungsmöglichkeiten in Bezug
auf die täglich als Sanitäter eingesetzten Schülerinnen und Schüler, indem ihm u.a. ein Klassenraum unmittelbar
gegenüber dem Sanitätsraum für seine regulären Unterrichtsstunden zur Verfügung stand. Auf diese Weise war seine
Erreichbarkeit für die Schulsanitäter vor allem in Notfällen gewährleistet und der Angeklagte war in der Lage, ihnen
die im Einzelfall erforderliche Anleitung und Unterstützung zu geben. Daneben war er so auch in der Lage, die Berechtigung der Personen zu überprüfen, die sich – vor allem in den Pausen – im Sanitätsraum aufhielten.
b) Nach den Feststellungen bestand das Obhutsverhältnis auch gerade im Verhältnis zwischen dem Angeklagten und
der Nebenklägerin. Bereits vor dem hier in Rede stehenden Tatzeitraum hatte sie den Erste-Hilfe-Kurs beim Angeklagten zweimal erfolgreich absolviert. Im Tatzeitraum war sie als seine freiwillige Helferin bei einem erneuten
Erste-Hilfe-Kurs und als regelmäßige Teilnehmerin des täglich durchgeführten Sanitätsdienstes nicht nur in die routinemäßigen Abläufe und den daraus entstehenden Kontakt mit dem Angeklagten eingebunden, etwa bei der Besprechung der von ihr gefertigten Einsatzprotokolle. Sie hielt während des Dienstes vielmehr häufig Rücksprache mit
dem Angeklagten, um von seiner Erfahrung bei der Einschätzung problematischer Situationen zu profitieren. Daher
zog sie ihn auch bei einer bestimmten Schülerin, die die Schulsanitäter häufig in Anspruch nahm und im Verdacht
stand zu simulieren, regelmäßig zu Rate. Ferner wandte sie sich an ihn bei Meinungsverschiedenheiten zwischen
Schulsanitätern. Auf Bitten des Angeklagten übernahm sie nach einiger Zeit zusätzlich die Erstellung der Dienstplä-
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ne für die Tageseinteilung, wobei sie zu Beginn dieser Tätigkeit Hilfestellung des Angeklagten bei der Zusammensetzung der einzelnen Teams erhielt. Diese Umstände belegen nicht nur, dass die Nebenklägerin auch während des
Tatzeitraums eng in den vom Angeklagten geleiteten Schulsanitätsdienst eingebunden war, sondern verdeutlichen
auch, dass sie den Angeklagten in diesem Zusammenhang als Autoritätsperson wahrnahm und sich dessen Ratschlägen und Weisungen unterordnete.
StGB § 174a Abs. 1 – Begriff der Verwahrung auf behördliche Anordnung
BGH, Beschl. v. 28.04.2015 - 3 StR 532/14 - BeckRS 2015, 13227
LS: Ein Minderjähriger wird grundsätzlich nicht im Sinne des § 174a Abs. 1 StGB auf behördliche
Anordnung verwahrt, wenn er sich in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung befindet, wie sie §
34 SGB VIII vorsieht.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu 2. auf dessen Antrag -am 28. April 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 (analog) StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 2.Juli 2014
a) im Schuldspruch
aa) in den Fällen II. 2. Taten 2 und 3 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte insoweit des sexuellen
Missbrauchs eines Schutzbefohlenen in zwei Fällen schuldig ist;
bb) in den Fällen II. 3. Taten 27, 28, 30 bis 53 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte insoweit des
sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Schutzbefohlenen in 26 Fällen
schuldig ist;
b) im Übrigen aufgehoben
aa) und der Angeklagte freigesprochen, soweit er in den Fällen II. 2. Taten 4 bis 26 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit fallen die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten
der Staatskasse zur Last;
bb) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte im Fall II. 3. Tat 29 der Urteilsgründe verurteilt worden ist sowie im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Schutzbefohlenen und in weiterer Tateinheit mit sexuellem Missbrauch
eines behördlich Verwahrten in 26 Fällen, wegen versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit
versuchtem sexuellen Missbrauch eines Schutzbefohlenen und in weiterer Tateinheit mit versuchtem sexuellen
Missbrauch eines behördlich Verwahrten in einem Fall, wegen sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines behördlich Verwahrten in zwei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs
eines behördlich Verwahrten in 23 Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen in einem Fall
zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
1. Die rechtliche Bewertung erweist sich als fehlerhaft, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen sexuellen
Missbrauchs eines behördlich Verwahrten verurteilt hat.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war der Angeklagte als Erzieher in stationären Jugendhilfeeinrichtungen (Heimen) tätig und für die Betreuung und Erziehung der ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen
verantwortlich. Im Zeitraum von Juni 2005 bis Juli 2011 kam es in insgesamt 52 Fällen zu sexuellen Handlungen mit
Kindern bzw. Jugendlichen, insbesondere zu Manipulationen am Geschlechtsteil der Jungen. Teilweise veranlasste
der Angeklagte diese auch dazu, an ihm den Handverkehr auszuüben. Dabei war der Geschädigte im Fall II. 1. Tat 1
der Urteilsgründe 14 Jahre alt. Der Geschädigte der unter II. 2. festgestellten Taten war zu Beginn der Übergriffe 14
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oder 15 (Taten 2 und 3), bei den Taten 4 bis 26 allerdings bereits 16 oder 17 Jahre alt. Der durch die unter II. 3. festgestellten Taten Geschädigte (Taten 27 bis 53) befand sich im Alter zwischen 11 und 13 Jahren.
b) Während in den Fällen II.1. Tat 1, II. 2. Taten 2 und 3 sowie II. 3. Taten 27, 28, 30 bis 53 die Verurteilung wegen
sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, teilweise in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, keiner
rechtlichen Beanstandung unterliegt, tragen die Feststellungen die weitere Verurteilung wegen tateinheitlichen sexuellen Missbrauchs eines behördlich Verwahrten nicht. Dies gilt auch, soweit das Landgericht in den Fällen II. 2.
Taten 4 bis 26 den Angeklagten ausschließlich wegen sexuellen Missbrauchs eines behördlich Verwahrten verurteilt
hat.
aa) Nach § 174a Abs. 1 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer sexuelle Handlungen an einer auf behördliche
Anordnung verwahrten Person, die ihm zur Erziehung anvertraut ist, unter Missbrauch seiner Stellung vornimmt
oder sexuelle Handlungen von einer solchen Person an sich vornehmen lässt. Auf behördliche Anordnung verwahrt
ist, wer sich aufgrund hoheitlicher Gewalt in staatlichem Gewahrsam befindet (MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., §
174a Rn. 11). Der Begriff ist wie in § 120 Abs. 4 StGB auszulegen (S/S-Eisele, StGB, 29. Aufl., § 174a Rn. 4;
MüKoStGB/Renzikowski aaO; aA LK/Hörnle, StGB, 12.Aufl., § 174a Rn. 12). Danach sind Kinder und Jugendliche, die sich in Jugendhilfeeinrichtungen aufhalten, wie sie § 34 SGB VIII vorsieht, nicht auf behördliche Anordnung verwahrt. Grundlage der Heimunterbringung ist die Entscheidung des Inhabers der Personensorge. Eine behördliche oder gerichtliche Befugnis, die Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer stationären Einrichtung anzuordnen, ist - von wenigen, hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen (vgl. § 9 Nr. 2, § 12 Nr. 1, 2
JGG; dazu LK/Rosenau aaO, § 120 Rn. 20) - gesetzlich nicht vorgesehen.
Im Einzelnen: § 34 SGB VIII sieht die sog. Hilfe zur Erziehung "in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform" vor. Die Heimerziehung stellt eine der nach §§ 27 ff. SGB
VIII gewährten Erziehungshilfen dar (Nellissen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 34 Rn. 1; vgl. auch Staudinger/Salgo, BGB (2015), § 1631b Rn. 16, 2), auf die unter bestimmten Umständen ein Anspruch besteht (Nellissen
in Schlegel/Voelzke aaO,Rn. 8). Eine gesetzliche Grundlage für die Unterbringung Minderjähriger in einem solchen
Heim enthält § 34 SGB VIII dagegen nicht. Die Entscheidung, eine stationäre Jugendhilfemaßnahme für das Kind
oder den Jugendlichen in Anspruch zu nehmen, obliegt vielmehr allein dem Sorgeberechtigten, vorrangig den Eltern.
Aber auch dann, wenn den Eltern das Sorgerecht entzogen (§ 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 6 BGB) und durch das Familiengericht nach §§ 1773 ff. BGB eine Vormundschaft angeordnet wurde, gilt insoweit nichts anderes. In diesen Fällen
obliegt die Personensorge dem bestellten Vormund, der in seiner Tätigkeit vom Familiengericht überwacht wird,
aber weder diesem noch dem Jugendamt weisungsunterworfen ist. Seine Entscheidung, eine Heimerziehung in Anspruch zu nehmen, stellt deshalb ebenfalls keine behördliche Anordnung einer Unterbringung dar (so auch bei sonstigen Unterbringungen durch einen Betreuer oder Vormund MüKoStGB/Renzikowski aaO; Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, 2005, § 4 Rn. 58; Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten, 2012, Rn. 393). Ebenso liegt es schließlich im
Falle der sogenannten Amtsvormundschaft, die familiengerichtlich angeordnet wird, wenn ausnahmsweise eine als
Vormund geeignete Person nicht vorhanden ist (vgl. Hamdan in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth, jurisPK-BGB,
7. Aufl., § 1791b Rn. 10). In diesen Fällen geht zwar die Personensorge auf das Jugendamt als Träger der Jugendhilfe über. Diesem obliegt damit auch die Entscheidung, den Jugendlichen in einer stationären Einrichtung unterzubringen. Selbst wenn das Jugendamt nach § 55 Abs. 2 SGB VIII die Ausübung der Aufgaben des Amtsvormunds einem
Beamten oder Angestellten übertragen muss, der Anträge auf Hilfe zur Erziehung dann in eigenem Namen stellt,
ändert dies an der Stellung des Jugendamtes als Amtsvormund nichts (Fröschle in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB
VIII, § 55 Rn. 40;Hamdan in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth aaO, Rn. 13). Doch nimmt auch dieses dabei lediglich als Sorgeberechtigter eine nach den §§ 27 ff. SGB VIII gewährte Hilfe zur Erziehung in Anspruch. Eine
behördliche Anordnung ist auch in diesen Fällen nicht gegeben. Ebenso wenig sieht das Gesetz eine gerichtliche
Anordnung vor (vgl. §11 Abs. 1 Nr. 7 StGB), den Jugendlichen in einer stationären Einrichtung unterzubringen.
Zwar bedarf die Entscheidung des Personensorgeberechtigten für eine Heimerziehung nach § 1631b BGB dann der
Genehmigung durch das Familiengericht, wenn die Erziehungshilfe - ausnahmsweise (vgl. die Zahlen bei Staudinger/Salgo aaO,Rn. 2) - in einer geschlossenen Einrichtung geleistet werden soll, in der die Fortbewegungsfreiheit
aufgehoben ist (Nellissen in Schlegel/Voelzke aaO,Rn. 24; Erman/Döll, BGB, 14. Aufl., § 1631b Rn. 3). Denn da bei
der geschlossenen Unterbringung Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG berührt wird, dessen Einschränkung nach Art. 104 Abs. 2
GG richterlicher Kontrolle unterliegen muss, schränkt § 1631b BGB insoweit das Personensorgerecht ein (Staudinger/Salgo aaO, Rn. 1). Das Familiengericht kann jedoch nicht von Amts wegen, sondern allein auf Antrag des Sorgeberechtigten tätig werden; der Jugendhilfeträger besitzt - soweit er nicht seinerseits die Personensorge wahrnimmt
- 114 -
- kein Antragsrecht (Nellissen in Schlegel/Voelzke aaO, Rn. 29; Staudinger/Salgo aaO,Rn. 4; Erman/Döll aaO, Rn.
8). Die Genehmigung wird erteilt, wenn das Kindeswohl die geschlossene Unterbringung rechtfertigt und diese verhältnismäßig ist. Eine behördliche Anordnung stellt die Genehmigung durch das Familiengericht indes nicht dar.
Auch bei Vorliegen einer Genehmigung ist der Sorgeberechtigte nicht zur Unterbringung verpflichtet (Staudinger/Salgo aaO,Rn. 4, 41). Nach alledem ist ein Minderjähriger, der sich in einer Einrichtung nach §34 Abs. 1 SGB
VIII aufhält, nicht im Sinne des § 174a Abs. 1 StGB aufgrund behördlicher Anordnung verwahrt (aA LK/Hörnle
aaO, § 174a Rn. 12; MüKoStGB/Renzikowski aaO; Fischer, StGB, 62.Aufl., § 174a Rn. 4; Laubenthal, Handbuch
Sexualstraftaten, 2012, Rn. 393; wie hier S/S-Eisele aaO,§ 174a Rn. 4; S/S-Eser aaO, § 120 Rn. 4). Soweit im
Schrifttum zur Begründung der gegenteiligen Auffassung auf das Schutzbedürfnis der in Heimen untergebrachten
Kinder und Jugendlichen verwiesen wird, deren Situation unter anderem durch eingeschränkte Fortbewegungsmöglichkeit und existenzielle Abhängigkeit vom Personal gekennzeichnet sei, wird damit lediglich ein (vermeintliches)
Strafbedürfnis artikuliert, auf das der Tatbestand des § 174a Abs. 1 StGB gerade nicht erstreckt worden ist. Vielmehr
hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik ausdrücklich darauf verzichtet, die Einrichtungen der freiwilligen
Erziehungshilfe in den Schutzbereich des § 174a Abs. 1 StGB einzubeziehen (BT-Drucks. VI/3521, S. 26 f.).
bb) Damit hat sich der Angeklagte vorliegend in keinem der abgeurteilten Fälle nach § 174a Abs. 1 StGB strafbar
gemacht. Die Grundlage der Heimunterbringung ist die Entscheidung des Sorgeberechtigten. Der in den unter II. 3.
der Urteilsgründe festgestellten Fällen Geschädigte befand sich "mit Zustimmung" (also aufgrund der Entscheidung)
seines allein sorgeberechtigten Vaters in der Einrichtung. Bei dem in den Fällen II. 2. der Urteilsgründe Geschädigten hatte der "vom Jugendamt eingesetzte" Vormund "einen Antrag auf stationäre Unterbringung" gestellt. Beide
Geschädigte waren damit nicht aufgrund behördlicher Anordnung verwahrt. Deshalb war in den Fällen II. 2. Taten 2
und 3, sowie II. 3. Taten 27, 28, 30 bis 53, in denen der Angeklagte jeweils auch wegen tateinheitlichen sexuellen
Missbrauchs eines behördlich Verwahrten verurteilt worden ist, der Schuldspruch entsprechend abzuändern(§354
Abs.1 analog StPO). In den Fällen II. 2. Taten 4 bis 26, in denen der Angeklagte ausschließlich nach § 174a Abs. 1
StGB schuldig gesprochen worden ist, war er demgegenüber unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils
freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO); denn eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 182 StGB
hat das Landgericht insoweit rechtsfehlerfrei verneint. Der Senat schließt es aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die eine Strafbarkeit der Handlungen des Angeklagten nach diesen
oder anderen Strafvorschriften begründen könnten.
2. Im Fall II. 3. Tat 29 tragen die Feststellungen auch die Verurteilung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von
Schutzbefohlenen in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern nicht. Nach den Feststellungen
lehnte der Geschädigte das Ansinnen des Angeklagten ab, diesen mit der Hand zu befriedigen. Daraufhin ließ der
Angeklagte ihn für einen Moment in seinem Betreuerzimmer zurück und begab sich zu zwei anderen Jugendlichen
der Wohngruppe, die er aufforderte, sich um den Geschädigten "zu kümmern". Dann brachte er den Geschädigten zu
den beiden Jugendlichen, die diesen schlugen. In der Folge kam der Junge einer erneuten Aufforderung des Angeklagten zum Handverkehr nach (II. 3. Tat 30 der Urteilsgründe). Dass dies etwa auf die vorangegangenen Schläge
zurückzuführen war, hat das Landgericht nicht festgestellt. Es hat einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten
von der versuchten Tat verneint; denn es liege ein "gescheiterter Versuch" vor. Das ist rechtsfehlerhaft, da die Feststellungen die Voraussetzungen eines fehlgeschlagenen Versuchs nicht erkennen lassen. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt, dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann,
ohne dass er eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzt (s. etwa nur BGH, Urteile vom 30. November 1995
- 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369; vom 19. Mai 2010 - 2 StR 278/09, NStZ 2010, 690, 691 mwN). Nach diesen
Maßstäben belegen die Urteilsgründe einen fehlgeschlagenen Versuch nicht. Sie beschränken sich darauf, das objektive Geschehen darzulegen, ohne Feststellungen zu den maßgeblichen Vorstellungen des Angeklagten zu treffen.
Dass der Angeklagte nach der schlichten Weigerung des Jungen, den Handverkehr auszuüben, keine Möglichkeit
mehr sah, etwa durch verbale Einwirkung auf das Kind ohne Ingangsetzung einer neuen Handlungskette sein Ziel
noch zu erreichen, ergeben die Urteilsgründe nicht. Insbesondere hat das Landgericht nicht festgestellt, dass der
Angeklagte annahm, allein durch die Übergabe des Geschädigten an die beiden anderen Bewohner der Wohngruppe
zur körperlichen Züchtigung erreichen zu können, dass der Geschädigte seinen Wünschen noch nachkam. Grund und
Zweck dieser Maßnahmen blieben vielmehr offen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte durch freiwilliges Unterlassen weiterer auf den Taterfolg abzielender Handlungen strafbefreiend vom Versuch zurücktreten
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konnte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB). Es bedarf deshalb über das objektive Geschehen hinaus weiterer Feststellungen zu den Vorstellungen und Zielen des Angeklagten.
3. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand. Mit dem Teilfreispruch sowie der Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 3. Tat 29 entfallen die entsprechenden Einzelstrafen nebst der Gesamtstrafe. Aber auch die Einzelstrafen der Fälle, in denen der Senat den Schuldspruch abgeändert hat, unterliegen der Aufhebung; denn das
Landgericht hat bei deren Bemessung jeweils zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er tateinheitlich zwei
beziehungsweise drei Straftatbestände verwirklicht hat. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass es bei Nichtannahme des §174a Abs. 1 StGB zu geringeren Strafen gelangt wäre. Um dem neuen Tatrichter eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen, hat der Senat auch die für sich betrachtet nicht zu beanstandende Einzelstrafe im
Fall II. 1. der Urteilsgründe aufgehoben.
StGB § 176 - sexuelle Handlung vor Kind: akustische Wahrnehmung obszöner Anruf
BGH, Beschl. vom 21.10.2014 - 1 StR 79/14 - NStZ 2015, 27 m. Anm. Krehl
LS: Es ist zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausreichend, dass
die sexuelle Handlung von dem Kind zeitgleich akustisch wahrgenommen wird.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Oktober 2014 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22. Oktober 2013
wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in
23 Fällen unter Einbeziehung anderer rechtskräftiger Einzelstrafen zu einer Gesamtstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es weitere Vorwürfe wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die
Sachrüge gestützten Revision, die jedoch keinen Erfolg hat.
I.
2
1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte stand nach einer früheren Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern und anschließender Strafverbüßung seit 2008 unter Führungsaufsicht. Am 13. August
2010 wurde ihm die Weisung erteilt, telefonischen Kontakt zu Personen unter 18 Jahren zu unterlassen. Dieser Beschluss ist dem Angeklagten am 18. August 2010 mit einer Belehrung über die
Strafbarkeit von Verstößen gegen die Weisung bekanntgegeben worden.
4
Der Angeklagte hielt gezielt nach Zeitungsinseraten Ausschau, aus denen sich ergab, in
welchem Haushalt Mädchen unter 14 Jahren lebten. Dabei stieß er im November 2010 auf die
von der Mutter der späteren Geschädigten E. S. in Auftrag gegebene Anzeige zum Verkauf von
Mädchenkleidung. Noch im November 2010 wählte er erstmals die in der Anzeige genannte
Festnetznummer der Familie S.. Wie von ihm erhofft, nahm die Tochter E. S. das Telefonat entgegen. Der Angeklagte begann geräuschvoll zu onanieren und fragte das Mädchen, ob sie es auch
hören könne und es ihr gefalle. Tatsächlich nahm das Mädchen die Geräusche wahr. Der Ablauf
des Telefonats diente seiner sexuellen Befriedigung, die er durch das Zuhören einer weiblichen
Person am Telefon erlangte.
- 116 -
5
Solche Anrufe bei Familie S. wiederholte der Angeklagte bei 23 Gelegenheiten bis Ende
Januar. Legte E. auf, bevor der Angeklagte zu seiner sexuellen Befriedigung gelangt war, rief er
sofort wieder an, gegebenenfalls auch mehrmals hintereinander. Das Mädchen E. nahm auf diese
Weise 40 Telefonate entgegen.
6
Dabei ging der Angeklagte davon aus, dass das Mädchen noch ein Kind sei. Das Gespräch
mit kindlichen Mädchen war ihm auch deswegen lieber, da sie nach seiner Erfahrung länger am
Apparat blieben als reifere Mädchen oder Frauen und er sich so größere Chancen ausrechnete,
noch während des Telefonats einen Orgasmus zu erleben. E. S. war tatsächlich 14 Jahre alt.
7
Der Angeklagte war während der Taten aufgrund einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne einer überdauernden Störung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert.
8
2. Das Landgericht hat den die Taten umfassend einräumenden Angeklagten wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 6, §§ 22, 23 Abs. 1
StGB jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht
gemäß § 145a StGB verurteilt. Es hat für jede der 23 Taten auf Einzelstrafen von drei Monaten
erkannt und anderweitig rechtskräftig gewordene Einzelstrafen von viermal zwei Monaten und
elfmal einen Monat Freiheitsstrafe in die Bildung der Gesamtstrafe einbezogen. Wegen der zahlreichen einschlägigen Vorverurteilungen hat es dem Angeklagten schon keine günstige Kriminalprognose gestellt und eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt. Von der Anordnung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es wegen der mangelnden Erheblichkeit zukünftig zu erwartender Taten abgesehen.
II.
9
Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Prüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen die Taten zu Recht als versuchten
sexuellen Missbrauch von Kindern durch Vornahme sexueller Handlungen vor einem Kind nach
§ 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB gewürdigt, für den das Gesetz in § 176 Abs. 6 StGB die Versuchsstrafbarkeit vorsieht.
10
1. Sein Vorsatz war darauf gerichtet, sexuelle Handlungen vor einem Kind vorzunehmen,
das den Vorgang wahrnimmt.
11
a) Durch die Telefonanrufe hat E. S. die Handlungen des Angeklagten wahrgenommen.
12
aa) Auf eine körperliche Nähe zwischen dem Täter und dem wahrnehmenden Kind
kommt es dabei nicht an (BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09, BGHSt 53, 283,
286; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 176 Rn. 9; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 176
Rn. 12; ders. aaO § 184g Rn. 20; Hörnle in LK, 12. Aufl., § 176 Rn. 74; Renzikowski in MüKoStGB, 2. Aufl., § 176 Rn. 32; Wolters in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., § 176 Rn. 16).
Die Strafbarkeit von sexuellen Handlungen "vor" einem anderen ist gemäß § 184g Nr. 2 StGB
auf solche Handlungen beschränkt, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Täter und Opfer bei der Tatbegehung
zwangsläufig in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befinden müssen. Für die Verwirklichung des Straftatbestandes ist nicht die räumliche Gegenwart des Opfers bei Vornahme der sexuellen Handlungen ausschlaggebend, sondern dessen Wahrnehmung von dem äußeren Vorgang
der sexuellen Handlung, die angesichts moderner Übermittlungsformen von der bloßen Gegenwart des Betrachters nicht abhängig ist. Allein dieses soll durch das Erfordernis des Handelns
- 117 -
"vor" einem anderen zum Ausdruck gebracht werden. Dem entspricht es auch, dass der Gesetzgeber stets davon ausgegangen ist, dass solche Handlungen erfasst werden, die ohne unmittelbaren Körperkontakt erfolgen (BT-Drucks. VI/3521 S. 37; BT-Drucks. 13/9064 S. 10) und sich
bewusst in Ansehung der Möglichkeit, dass auch exhibitionistische Handlungen mit einer gewissen Distanz zwischen Täter und Betrachter unter die Norm fallen, gegen die Einfügung des Wortes "unmittelbar" vor dem Wort "vor" in § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB aF (heute § 176 Abs. 4 Nr. 1
StGB nF) entschieden hat (BT-Drucks. VI/3521 S. 37; vgl. auch Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl.,
§ 184g Rn. 14 unter Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm im Jahre
1973 das Problem medial vermittelter Kontakte noch nicht gesehen hat).
13
Dass es bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB maßgeblich auf die Wahrnehmung des Kindes ankommt und nicht auf eine unmittelbare räumliche Nähe
zwischen Täter und Opfer, wird auch bei einem Vergleich mit den übrigen in § 176 Abs. 4 StGB
enthaltenen Tatbestandsvarianten deutlich. Keine der in § 176 Abs. 4 Nr. 2 bis 4 StGB genannten
sexualbezogenen Einwirkungen auf ein Kind erfordert eine unmittelbare räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer. Selbst Tathandlungen, die wie in § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB von wesentlich geringerer Intensität sind als die von § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfassten und dennoch
dieselbe Strafandrohung aufweisen, setzen eine unmittelbare räumliche Beziehung nicht voraus.
Vielmehr stellen auch diese Varianten, die für die Tatbestandsverwirklichung ein Einwirken auf
ein Kind mittels bloßer Gedankenäußerung, etwa durch Schriften im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB
(§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) oder durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch Reden mit entsprechendem Inhalt (§ 176
Abs. 4 Nr. 4 StGB), ausreichen lassen, wesentlich auf die Wahrnehmung solcher Gedankenäußerungen durch das Kind ab. Nichts anderes gilt deshalb für die von § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfassten sexuellen Handlungen (so schon BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09,
BGHSt 53, 283).
14
bb) Auch das von der Revision für eine gegenteilige Sicht angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1995 (1 StR 527/95, BGHSt 41, 285, die Berufung auf BT-Drucks.
VI/3521 S. 37 lässt freilich außer Acht, dass der historische Gesetzgeber sehr wohl in Kauf genommen hat, auch Fälle mit einer "gewissen Distanz" von der Norm zu erfassen, es war ihm nur
wichtig, dass für Täter nach § 176 Abs. 5 StGB aF die "gleiche Behandlung" wie für Täter nach §
183 StGB möglich sein müsse) führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar verneinte der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB aF ("ein Kind
dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vor ihm oder einem Dritten vornimmt") in der bis
zum 31. März 1998 geltenden Fassung in einem Fall, in dem der Täter nur über eine Telefonverbindung ein Kind zu sexuellen Handlungen "vor ihm" bestimmen wollte, weil es an einer räumlichen Nähe zwischen Täter und Opfer fehlte (in diesem Sinne auch BGH, Urteil vom 20. Juni
1979 - 3 StR 143/79, BGHSt 29, 29, 31 in Abgrenzung zu der Begehungsvariante der Nr. 3, nicht
tragend und ohne Begründung). Danach - ersichtlich auch mit Blick auf die Entscheidung vom
31. Oktober 1995 - änderte der Gesetzgeber die Fassung der Vorschrift dahin, dass es ausreicht,
dass das Kind sexuelle Handlungen "an sich" vornimmt (§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Kraft seit
dem 1. April 1998). Mit dieser erweiterten Fassung wollte der Gesetzgeber gerade auch den Fall
erfassen, "dass sogenannte Verbalerotiker Kinder durch Telefonanrufe" zu sexuellen Manipulationen veranlassen (BT-Drucks. 13/9064 S. 11). Die abweichenden Entscheidungen erfolgten da- 118 -
mit zum alten Recht und sind hinfällig (so schon BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR
105/09, BGHSt 53, 283).
15
cc) Es ist zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausreichend, dass die sexuelle Handlung von dem Kind zeitgleich akustisch wahrgenommen wird
(Hörnle in LK, 12. Aufl., § 176 Rn. 74; Renzikowski in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 176 Rn. 32; vgl.
auch Laufhütte/Roggenbuck in LK, 12. Aufl., § 184g Rn. 18; Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl., §
184g Rn. 13 f.; Wolters in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., § 176 Rn. 16, der allgemein
das Zurückgreifen auf Hilfsmittel für die Wahrnehmung genügen lässt).
16
Anhaltspunkte dafür, die tatbestandsmäßige Wahrnehmung auf eine optische zu beschränken, ergeben sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch lassen sie sich aus einer
teleologischen Auslegung gewinnen. Der Gesetzgeber hat zudem deutlich zum Ausdruck gebracht, dass auch Telefonanrufe, mithin akustische Vermittlungen ausreichen können (BTDrucks. 13/9064 S. 11 zu § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF, heute § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB). Bereits
bei der Schaffung der Vorschrift durch das 4. StrRG (BGBl. I 1973 S. 1727) hat er zur Ausfüllung des Begriffs der Vornahme einer sexuellen Handlung vor einem anderen ausgeführt, dass
die Wahrnehmung derselben nicht notwendig auf das Visuelle beschränkt ist (BT-Drucks.
VI/3521 S. 25 zu § 174 Abs. 2 StGB).
17
Gesetzeswortlaut, Materialien und Sinn und Zweck der Vorschrift lassen aber deutlich
werden, dass in Abgrenzung zu den Begehungsvarianten des § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB nur
eine zeitgleiche Wahrnehmung genügen kann (so schon BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1
StR 105/09, BGHSt 53, 283: unmittelbare Wahrnehmung im Sinne einer simultanen Übertragung). Das Abspielen von Aufzeichnungen fällt danach nicht unter § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB
(Renzikowski in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 176 Rn. 33, der auf die Wahrnehmung in Echtzeit abstellt; Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 184g Rn. 14, auf die Gleichzeitigkeit von Handlung und
Wahrnehmung abstellend; Wolters in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., § 176 Rn. 16:
zeitgleiche, simultane Übertragung, "Live").
18
b) Der Angeklagte rechnete damit, dass das angerufene Mädchen unter 14 Jahre alt und
damit ein Kind sein könnte und nahm dies billigend in Kauf.
19
c) Es kam ihm bei seinen Taten gerade darauf an, das Kind in das sexuelle Geschehen
miteinzubeziehen (vgl. zu diesem, den Wortlaut des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB einschränkenden
Erfordernis BGH, Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 255/04, BGHSt 49, 376). Die Wahrnehmung seiner sexuellen Handlung durch das Mädchen war für ihn von handlungsbestimmender
Bedeutung, erst durch deren Zuhören konnte er seine sexuelle Befriedigung erlangen. Dies war
auch der Grund, wieso der Angeklagte mehrmals kurz hintereinander anrief, wenn das Mädchen
auflegte, bevor er noch seine Befriedigung erlangt hatte. Denn ihm kam es auf das Zuhören durch
das Mädchen an. Ob das Kind den sexuellen Charakter der Handlung erkannt hat, ist hingegen
unerheblich (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 255/04, BGHSt 49, 376 mwN).
20
2. Der Angeklagte nahm durch das Onanieren und die dabei abgesonderten Geräusche
eine sexuelle Handlung an sich selbst vor. Diese war im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut der Schutz von Kindern vor einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung durch das Erleben
von exhibitionistischen Handlungen (vgl. BT-Drucks. VI/1552 S. 17) - auch von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB (vgl. zur Masturbation Hörnle in LK, 12. Aufl., § 176
Rn. 74). Er setzte damit nach seiner Vorstellung jeweils unmittelbar zur Verwirklichung des Tat- 119 -
bestands des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB an. Zur Tatvollendung kam es nur deswegen nicht, weil E.
schon 14 Jahre alt war.
III.
21
Auch der Strafausspruch ist rechtsfehlerfrei.
StGB § 176a Abs. 5 / § 177 Abs. 4 Nr. 2 a Anale Penetration schwere Misshandlung
BGH, Urt. v. 09.12.2014 – 5 StR 422/14- NStZ 2015, 152
LS: Schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kindern können eine körperlich
schwere Misshandlung (§ 176a Abs. 5, § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) darstellen.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Mai 2014 im Schuldspruch
dahin abgeändert und klargestellt, dass der Angeklagte des besonders schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes
in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, der schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines
Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit
schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen (Fall 4) und in
einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung (Fall 8), wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines
Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in vier Fällen (Fälle 1, 2, 3 und 5) und wegen
sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen
(Fälle 6 und 7) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt; im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten führt im Fall 3 zu einer Schuldspruchänderung zu seinen Gunsten; im Übrigen bleibt sein Rechtsmittel ohne Erfolg. Im Fall 4 verschärft der Senat den
Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte die am 22. Oktober 1999 geborene Nebenklägerin, für die er Erziehungsaufgaben übernommen hatte, ab ihrem 11. Lebensjahr in acht Fällen, davon in
einem Fall nach Vollendung ihres 14. Lebensjahres. Fall 3 liegt zugrunde, dass er an der unbedeckten Scheide der
Nebenklägerin leckte (Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen). Im Fall 4 ergriff er die Nebenklägerin an den Unterarmen, warf sie aufs Bett und hielt sie fest. Er rieb ihren After mit einem Gel ein und vollzog gewaltsam den Analverkehr bis zum Samenerguss, obwohl die Nebenklägerin vor Schmerzen schrie. Um die
„Geräusche“ zu ersticken, drückte er ihren Kopf in ein Kissen (Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen).
2. Die Schuldsprüche begegnen in den genannten Fällen durchgreifenden Bedenken.
a) Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall 3 zu Unrecht auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines
Kindes verurteilt. Denn es ist nicht festgestellt, dass er beim Oralverkehr in den Körper der Nebenklägerin eindrang.
Mithin ist ein Fall des nicht qualifizierten sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit
mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen gegeben. Der Senat ändert den Schuldspruch zugunsten des Angeklagten entsprechend ab. Die Schuldspruchänderung führt entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts nicht
zur Herabsetzung der insoweit verhängten Einzelstrafe (§ 354 Abs. 1 StPO). Denn der Senat kann ein Beruhen des
Einzelstrafausspruchs auf dem aufgezeigten Rechtsfehler ausschließen. Das Landgericht hat in den Urteilsgründen
ausgeführt, dass ihm ein Tenorierungsversehen unterlaufen sei (UA S. 12) und dass es die Einzelfreiheitsstrafe dem
Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB entnommen habe (UA S. 42). Hieran zu zweifeln besteht kein Anlass. Die Be-
- 120 -
gründung, mit der die Jugendkammer die Tat trotz des milderen Strafrahmens im Verhältnis zu zwei Fällen des
durch die Nebenklägerin am Angeklagten ausgeführten Oralverkehrs als gleichgewichtig angesehen hat, ist frei von
Rechtsfehlern.
b) Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Einzelfreiheitsstrafe in Fall 4 auf das in § 176a Abs. 2, § 177 Abs. 2
Satz 1 StGB vorgesehene Mindestmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe festzusetzen (§ 354 Abs. 1 StPO), weil das
Landgericht rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB als verwirklicht angesehen habe.
Dem folgt der Senat nicht. Zwar vermochte die Jugendkammer in Abweichung von den Anklagevorwürfen eine
Fesselung der Nebenklägerin nicht festzustellen. Das Urteil weist jedoch zugleich einen Rechtsfehler zu Gunsten des
Angeklagten auf. Denn das Landgericht hat nicht erwogen, dass die Qualifikationstatbestände der schweren körperlichen Misshandlung nach § 176a Abs. 5 und § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB verwirklicht sind. Der Senat kann
deswegen offen lassen, ob der Angeklagte wegen Verwendung eines gefährliches Werkzeugs (auch) den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt hat, indem er den Kopf der Nebenklägerin in ein Kissen drückte,
um deren Schreie zu unterbinden.
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt das Merkmal der schweren körperlichen Misshandlung einerseits nicht den Eintritt der in § 226 Abs. 1 StGB (schwere Körperverletzung) bezeichneten gravierenden Folgen; andererseits genügt eine „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung“ der körperlichen Unversehrtheit
nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1993 – 4 StR 717/93, bei Miebach NStZ 1994, 223). Erforderlich,
aber auch ausreichend ist es, dass die körperliche Integrität des Opfers in einer Weise verletzt wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR 216/98, NStZ 1998, 461; BGH,
Urteile vom 13. September 2000 – 3 StR 347/00, BGHR StGB § 177 Abs. 4 Misshandlung 1; vom 13. Februar 2007
– 1 StR 574/06; vom 15. September 2010 – 2 StR 395/10, NStZ-RR 2011, 337, 338; vgl. zu § 176a Abs. 3 Nr. 2
StGB aF BGH, Urteil vom 11. August 1993 – 3 StR 325/93). Dabei schadet es nicht, wenn die Misshandlung nicht
gerade als Nötigungsmittel eingesetzt wird, sondern im Zuge der sexuellen Handlungen erfolgt (vgl. BGH, Beschluss
vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 229).
b) Daran gemessen ist das Merkmal hier gegeben. Der Angeklagte erzwang an der zur Tatzeit allenfalls zwölfjährigen Nebenklägerin den (erstmaligen) Analverkehr bis zum Samenerguss. Hierdurch fügte er ihr derart gravierende
Schmerzen zu, dass er sich veranlasst sah, ihre lauten Schreie (vgl. auch UA S. 23: „… dass sie vor Schmerzen gebrüllt habe“) zu ersticken, indem er ihren Kopf in ein Kissen drückte. Den Ausführungen der Jugendkammer ist zu
entnehmen, dass sich die Misshandlung über geraume Zeit erstreckte.
aa) Der Senat verkennt nicht, dass namentlich anale Penetrationen bei Kindern auf dieser Basis nicht selten den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 5 StGB (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) erfüllen werden. Er sieht jedoch
keinen Grund, solche schwerwiegenden Taten nicht der verschärften Strafdrohung zu unterwerfen. Dem lässt sich
nicht überzeugend entgegenhalten, dass mit dem Eindringen in den Körper von Kindern typischerweise Schmerzen
verbunden sein werden, der Gesetzgeber für derartige Taten in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr.
1 StGB) aber einen günstigeren Strafrahmen vorgesehen hat (vgl. dazu SK-Wolters, StGB, § 177 Rn. 33; LK-Hörnle,
StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 84; Kudlich, JR 2001, 378, 380). Denn es existieren – wie auch die Tatserie des Angeklagten erweist – Vorgänge des Eindringens, die nicht schmerzhaft sind oder insoweit jedenfalls nicht den erforderlichen Erheblichkeitsgrad erreichen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Verursachung beträchtlicher
Schmerzen regelmäßige und damit vom Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1
StGB) abschließend umfasste Begleiterscheinung der darin bezeichneten Tathandlungen ist. Dass eine Privilegierung
schon für sich genommen äußerst schmerzhafter Sexualhandlungen gegenüber sonstigen körperlichen Misshandlungen wie etwa heftigen und mit Schmerzen verbundenen Schlägen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR
216/98, aaO) vom Gesetzgeber intendiert gewesen sein könnte, liegt nicht nahe (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12.
Dezember 2000 – 4 StR 464/00, aaO). Genauso wenig lässt sich aus dem in der Vorschrift weiter aufgeführten Qualifikationsmerkmal der Verursachung einer Todesgefahr ein plausibler Grund für eine Ausgrenzung von (höchst
schmerzhaften) „Penetrationshandlungen“ gewinnen (sowohl MüKo/Renzikowski, 2. Aufl., § 176a Rn. 34). Denn es
handelt sich um qualitativ unterschiedliche Merkmale mit divergierender Schutzrichtung.
bb) Allerdings bedarf es für die Annahme einer schweren körperlichen Misshandlung hinreichender Feststellungen
zu Ausmaß und Dauer der Schmerzen. Anders als bei den weiteren ausgeurteilten Fällen (analer) Vergewaltigungen
bzw. deren Versuch zum Nachteil der Nebenklägerin genügen die Urteilsgründe diesem Erfordernis im Fall 4.
cc) Der Senat ändert daher den Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten ab; das Verschlechterungsgebot steht dem
nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2013 – 5 StR 365/13 mwN; vom 22. April 2014 – 5 StR
- 121 -
123/14, vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14). Ferner ist § 265 StPO nicht verletzt, weil nicht ersichtlich ist, dass der in
der Hauptverhandlung schweigende und im Ermittlungsverfahren bestreitende Angeklagte sich anders als geschehen
hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 5 StR 365/13).
3. Im Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die weitergehende Revision ist
daher aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet. Es beschwert den
Angeklagten nicht, dass das Landgericht im Fall 6 unter Verkennung des Gewaltbegriffs in der Ausformung durch
die Rechtsprechung (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 177 Rn. 5 mit zahlreichen Nachweisen)
mangels „Gegenwehr“ des Opfers nicht auch eine sexuelle Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB angenommen hat.
Entsprechendes gilt für den Umstand, dass sich die Jugendkammer im Fall 8 hinsichtlich der durch das verabreichte
Potenzmittel hervorgerufenen Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Übelkeit der Nebenklägerin) nicht von einem zumindest bedingten Vorsatz des Angeklagten und damit vom Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung nach §
224 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu überzeugen vermochte (vgl. UA S. 19). Jedoch stellt der Senat die Urteilsformel mit Blick
auf die bereits vom Landgericht angenommene Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 3 Nr.
2 StGB insoweit dahingehend klar, dass der Angeklagte in diesem Fall der schweren Vergewaltigung schuldig ist.
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1 Gefährliches Werkzeug - Einsatzzweck
BGH, Beschl. V. 15.04.2014 - 2 StR 545/13 - NJW 2014, 2134 = StV 2014, 734 (Anm. Kudlich)
LS: Zur Verwirklichung des Tatbestands des Verwendens eines gefährlichen Werkzeugs bei einer
sexuellen Nötigung reicht es aus, wenn der Täter das Werkzeug ohne Nötigungskomponente, sondern allein zur eigenen Luststeigerung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem sexuellen Geschehen gegen das Tatopfer einsetzt.
Der 2. Strafsenat hat nach Anhörung … gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Mai 2013 im Strafausspruch
aufgehoben; jedoch bleiben die hierzu getroffenen Feststellungen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung und Vergewaltigung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des
Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist
es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit das Landgericht bei der Tat vom 12.
Juli 2012 von einem Fall des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausgegangen ist. Dabei holte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts ein Jagdmesser aus der Schreibtischschublade, demonstrierte der bereits früher wiederholt ohne Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs zum Oralverkehr genötigten Geschädigten dessen Schärfe durch
Zerschneiden eines Stücks Papier. Dann zog er die Messerspitze von der rechten Kopfseite aus über ihren Hals bis
zur Brust über ihre Haut, ohne sie zu verletzen. Er wollte dadurch bei ihr Todesangst hervorrufen und für sich ein
Lustgefühl erzeugen, bevor er die Geschädigte erneut durch Ergreifen mit der Hand zum Oralverkehr nötigte. Die
rechtliche Würdigung dieser Handlung als besonders schwere Vergewaltigung unter Verwendung eines gefährlichen
Werkzeugs ist rechtsfehlerfrei. Dabei kommt es nicht notwendigerweise darauf an, ob die generell verängstigte Geschädigte den Oralverkehr mit dem Angeklagten, wie in früheren Fällen, auch ohne den Einsatz des Messers gegen
ihren Willen vorgenommen hätte. Das gefährliche Werkzeug muss zur Erfüllung des Qualifikationstatbestands nicht
zwingend als Nötigungsmittel, sondern nur „bei der Tat“ verwendet werden, also entweder als Nötigungsmittel oder
als Werkzeug bei der sexuellen Handlung (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, BGHSt 46,
225, 228 f.; Beschluss vom 8. Februar 2006 - 2 StR 575/05, StV 2006, 416, 417). Dafür genügt es auch, wenn ein
„einheitlicher Vorgang mit Sexualbezug“ vorliegt (BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 - 1 StR 506/01 - unter IV.,
insoweit in StV 2002, 350 nicht abgedruckt). Ein solcher Vorgang ist nach den Feststellungen des Landgerichts erfolgt, da der Angeklagte den Messereinsatz auch zur Luststeigerung vornahm. Die Gefährlichkeit des Werkzeugs ist
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auch unter diesem Blickwinkel - unbeschadet des Messereinsatzes gegenüber der Geschädigten „ohne Druck und
ohne sie dabei zu verletzen“ - anzunehmen. Die zur Erfüllung des Qualifikationstatbestands genügende abstrakte
Gefahr erheblicher Verletzungen war auch bei einem zurückhaltenden Einsatz unmittelbar an Kopf, Hals und Brust
der Geschädigten gegeben.
2. Der Strafausspruch begegnet sowohl bei den Einzelstrafen als auch bei der Gesamtstrafe rechtlichen Bedenken,
soweit das Landgericht den Stand der Vollstreckung der Geldstrafe aus einer Entscheidung des Amtsgerichts Grevenbroich vom 18. Juli 2012 - Cs 401 Js 1184/11 - „nicht festgestellt“ hat. Das war geboten, um zu prüfen, ob entweder die Bildung einer Gesamtstrafe hiermit, oder im Fall der vollständigen Vollstreckung ein Härteausgleich wegen Unmöglichkeit der Gesamtstrafenbildung angezeigt wäre. Mit Blick auf die Alternativen kann der Senat nicht,
wie vom Generalbundesanwalt beantragt, die Sache in ein Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zurückverweisen, sondern nur zur neuen Verhandlung und Entscheidung über die Strafbemessung. Die hierzu bisher getroffenen Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben.
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1 Gefährliches Werkzeug Kopfkissen
BGH, Beschl. v. 05.11.2014 - 1 StR 503/14 - NStZ 2015, 213
Kopfkissen kann ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB sein.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2014 beschlossen: Die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Mai 2014 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Der Schuldspruch der besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1
StGB ist rechtsfehlerfrei. Indem der Angeklagte der 86 Jahre alten Geschädigten ein 80 x 80 cm großes Kopfkissen
über mindestens eine Minute lang derart auf das Gesicht drückte, dass diese unter starker, quälender Atemnot und
Todesangst litt, kurz vor der Bewusstlosigkeit stand und infolge der Atemnot Einblutungen im gesamten Gesichtsbereich (u.a. den Lidinnen- und Bindehäuten und im Augenweiß) eintraten, hat er ein gefährliches Werkzeug im Sinne
von § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwendet. Ein gefährliches Werkzeug in diesem Sinne wird nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern
auch, wenn sich die objektive Gefährlichkeit des eingesetzten Gegenstandes erst aus der konkreten Art seiner Verwendung ergibt, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Werkzeug ist dabei jeder bewegliche
Gegenstand, mit dem gleich auf welche Weise auf den Körper des Opfers eingewirkt werden kann. Die Gefährlichkeit des Tatmittels kann sich gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand bestimmungswidrig gebraucht wird. Damit
ist gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB ein beliebiger Gegenstand immer schon dann,
wenn er – wie hier – seine objektive Gefährlichkeit durch die konkrete Art und Weise seiner (zweckwidrigen) Verwendung erhält (st. Rspr.; vgl. ausführlich dazu BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011,
275, 276 mwN). Zu Recht ist das Landgericht zudem im vorliegenden Fall von Tateinheit zwischen einer besonders
schweren Vergewaltigung nach § 177 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 2a StGB und einer gefährlichen Körperverletzung mittels
einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ausgegangen (vgl. Hörnle, in: LK-StGB,
12. Aufl. 2009, § 177 Rn. 323). Der Unrechtsgehalt des potentiellen Gefährdungsdelikts in § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
geht nicht in dem Unrechtsgehalt von § 177 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 2a StGB auf, so dass die Klarstellungsfunktion der
Idealkonkurrenz (vgl. Sternberg-Lieben/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 52 Rn. 2) für die
Annahme von Tateinheit spricht (vgl. auch zum Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu § 250 Abs. 2 Nr. 3
StGB; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 170/04, StraFo 2004, 396, und vom 12. August 2005 – 2 StR
317/05, NStZ 2006, 449).
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StGB § 177 Ans. 1 Nr. 3 Klima der Bedrohung und Einschüchterung keine Gewalt
BGH, Beschl. v. 07.01.2015 - 2 StR 463/14 - NStZ 2015, 211 (Anm. Piel)
Ein allgemeines "Klima der Bedrohung und Einschüchterung" reicht für die Annahme fortwirkender Gewalt als solcher nicht aus und kann lediglich Grundlage für die Annahme von § 177 Abs. 1
Nr. 3 StGB sein.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 7. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 13. August 2014 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer
- Jugendkammer als Jugendschutzkammer - zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 66 Fällen, davon in 40 Fällen in Tateinheit mit
schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und ihn im
Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2
StPO).
I. Das Landgericht hat zu Lasten des Angeklagten in allen 66 Fällen der Vergewaltigung berücksichtigt, dass er zwei
Tatbestandsvarianten des § 177 StGB verwirklicht hat. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil es von den getroffenen Feststellungen nicht getragen wird.
1. Die Strafkammer ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei Durchführung des ersten
Geschlechtsverkehrs mit seiner Tochter Gewalt aufgewendet hat, um ihren Widerstand gegen den sexuellen Übergriff zu brechen. Dass er sie in diesem Fall aber auch unter Ausnutzung einer Lage, in der sie seiner Einwirkung
schutzlos ausgeliefert war, zur Duldung des Geschlechtsverkehrs genötigt hat (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), ist nicht
dargetan. Das insoweit vom Landgericht der Verurteilung zugrunde gelegte Tatgeschehen ist ersichtlich allein von
der Gewaltanwendung des Angeklagten gegenüber seiner Tochter geprägt.
2. Soweit das Landgericht in den folgenden Fällen - vor allem auch mit Blick auf die Drohung des Angeklagten
unmittelbar nach dem ersten Vorfall, nichts weiter zu erzählen, ansonsten werde er sie, ihren Bruder und die Mutter
umbringen, aber auch im Hinblick auf das kindliche bzw. jugendliche Alter des Opfers und die Tatsache, dass ihr
keinerlei Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung standen - die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB angenommen hat, ist hiergegen grundsätzlich nichts zu erinnern. Dies gilt freilich nicht für die Taten, in denen der Angeklagte
zur Erreichung seines Ziels wiederum Gewalt anwenden musste; denn dies tat er nur dann, wenn sich seine Tochter
widersetze (vgl. UA S. 31), die Durchführung des angestrebten Geschlechtsverkehrs also "unter Ausnutzung einer
schutzlosen Lage" nicht erfolgversprechend erschien. Die weitere Annahme der Strafkammer, die Gewalteinwirkung
des Angeklagten bei der ersten Tat habe in allen weiteren Fällen fortgewirkt, erweist sich schon im Hinblick auf den
langen Tatzeitraum von 1998 bis 2002 und fehlende Feststellungen zur konkreten Anwendung von Gewalt in weiteren Fällen, die die ursprüngliche Wirkung der ersten Gewalthandlungen verstärkt und erneuert haben sollen, als
rechtsfehlerhaft. Sie stößt aber auch insoweit auf Bedenken, als sie letztlich lediglich ein allgemeines "Klima der
Bedrohung und Einschüchterung" (vgl. UA S. 31) beschreibt, das für die Annahme fortwirkender Gewalt als solcher
gerade nicht ausreicht und lediglich Grundlage für die Annahme von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB sein kann.
II. Die aufgezeigten Rechtsfehler berühren nicht den Schuldspruch, da nach den getroffenen Feststellungen in allen
Fällen jedenfalls ein Merkmal des § 177 Abs. 1 StGB gegeben ist. Betroffen ist deshalb allein der Strafausspruch, bei
dem die Verwirklichung zweier Alternativen zugrunde gelegt ist, obwohl entsprechend den oben gemachten Ausführungen bisher lediglich eine Alternative in jedem Fall verwirklicht ist. Der Senat hebt aus diesem Grund den Strafausspruch auf, weil er mit Blick auf die Höhe der Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs nicht ausschließen
kann, dass diese ohne die rechtsfehlerhaften Erwägungen niedriger ausgefallen wären. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich bei den aufgezeigten Rechtsfehlern lediglich um eine unzutreffende Wertung der
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Strafkammer handelt, die irrigerweise davon ausgegangen ist, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen seien
zwei Varianten des § 177 Abs. 1 StGB verwirklicht. Das Landgericht ist nicht gehindert, weitere Feststellungen zu
treffen, die zur Verwirklichung einer zweiten Variante des § 177 Abs. 1 StGB führen, sofern diese nicht im Widerspruch zu den bisher getroffenen stehen.
StGB § 182 Abs. 3 Ausnutzen
BGH, Beschl. v. 24.07.2014 - 3 StR 286/14 - NStZ 2014, 573
Ein "Ausnutzen" im Sinne von § 182 Abs. 3 StGB ist nicht nur dann gegeben, wenn der Jugendliche
infolge seiner fehlenden Selbstbestimmungsfähigkeit keinen der sexuellen Handlung entgegenstehenden Willen entwickeln kann, sondern auch dann, wenn das jugendliche Opfer seinen noch unterentwickelten und deshalb nur bedingt vorhandenen entgegenstehenden Willen nicht verwirklichen, etwa aufgrund der Dominanz des Täters bzw. seines bestehenden "Machtgefälles" nicht
durchsetzen kann.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Juli 2014 einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Krefeld vom 12. Februar 2014 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: Die tateinheitliche Verurteilung wegen
sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gemäß § 182 Abs. 3 StGB begegnet keinen Bedenken; insbesondere steht
nicht entgegen, dass die Nebenklägerin sich gegen die sexuellen Übergriffe des Angeklagten sträubte und ihn mehrfach bat, damit aufzuhören. Zwar wird in der Literatur und in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - allerdings nur in nicht tragenden Erwägungen - vereinzelt vertreten, nur einverständlich vorgenommene sexuelle Handlungen könnten den Tatbestand des § 182 Abs. 3 StGB erfüllen (Fischer, StGB, 61. Aufl., § 182 Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom 18. April 2007 - 2 StR 589/06 und vom 20. Juli 2010 - 4 StR 304/10). Dieser Auffassung vermag der
Senat jedoch nicht zu folgen: Eine solche einschränkende Auslegung ist nicht durch den Wortlaut der Vorschrift
veranlasst, denn ein "Ausnutzen" ist nicht nur dann gegeben, wenn der Jugendliche infolge seiner fehlenden Selbstbestimmungsfähigkeit keinen der sexuellen Handlung entgegenstehenden Willen entwickeln kann, sondern auch
dann, wenn das jugendliche Opfer seinen noch unterentwickelten und deshalb nur bedingt vorhanden entgegenstehenden Willen nicht verwirklichen, etwa aufgrund der Dominanz des Täters bzw. eines bestehenden "Machtgefälles"
nicht durchsetzen kann (S/S-Eisele, StGB, 29. Aufl., § 182 Rn. 14; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 182 Rn. 65; SSWStGB/Wolters, 2. Aufl., § 182 Rn. 22); allein diese Auffassung entspricht im Übrigen derjenigen des Gesetzgebers
(BT-Drucks. 12/4584, S. 8). Auch das "Überspielen" bzw. die Missachtung des zwar gebildeten, aber infolge der
Reifemängel nicht durchsetzbaren entgegenstehenden Willens des Opfers stellt eine in den Schutzbereich der Norm
fallende Fremdbestimmung dar. Auch der Jugendliche, bei dem die nicht abgeschlossene Entwicklung der sexuellen
Selbstbestimmungsfähigkeit dazu führt, dass er einen entgegenstehenden Willen nicht verwirklichen kann, erweist
sich nicht als "eigenverantwortlich" (vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. August 2013 - 3 StR 222/13, NStZ-RR
2014, 10, 11).
StGB § 183 Begriff der exhibitionistischen Handlung
BGH, Urt. v. 29.01.2015 - 4 StR 424/14 - NStZ 2015, 337
Eine exhibitionistische Handlung nach § 183 StGB ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter einem anderen ohne dessen Einverständnis sein entblößtes Glied vorweist, um sich dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der anderen Person oder durch Masturbieren sexuell zu
erregen, seine Erregung zu steigern oder zu befriedigen. Die Tathandlung liegt in dem Vorzeigen
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des entblößten Gliedes mit dem Ziel des hierdurch bewirkten sexuellen Lustgewinns. Dass der Täter
sein Geschlechtsteil bereits zu diesem Zweck entblößt hat, setzt die Vorschrift hingegen nicht voraus. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien kann eine solche Einschränkung hergeleitet werden. Vielmehr kann auch ein Täter, der sein Glied zuvor etwa zum Zwecke des Urinierens frei gemacht hat oder der aus sonstigen Gründen nackt herumläuft, die Tathandlung begehen, wenn er sich in bereits entblößtem Zustand entschließt, einem anderen ohne
dessen Einverständnis sein Glied zum Zwecke des sexuellen Lustgewinns zu präsentieren.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Januar 2015 für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Siegen vom 17. März 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht Siegen
- Strafrichter - zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer exhibitionistischen Handlung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Gegen die Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die auf die allgemeine Sachrüge gestützt ist. Die Staatsanwaltschaft, die sich gegen den
Freispruch wendet, rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, dasjenige des Angeklagten bleibt hingegen erfolglos.
I. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte als Angestellter der Bundesagentur für
Arbeit in der Außenstelle der ARGE im Rathaus in H. als Fallmanager im Bereich Stellenvermittlung für die unter
25-jährigen Arbeitssuchenden zuständig. Er betreute im Tatzeitraum 2009/2010 die beiden Söhne der Frau C. R. und
die zum Urteilszeitpunkt 27-jährige Nebenklägerin W..
1. An einem Tag Ende April/Anfang Mai 2009 suchte Frau C. R. den Angeklagten in seinem Büro auf, weil die Ausbildungsstelle ihres älteren Sohnes in Gefahr war. Als sie weinend an dem Besuchertisch saß, den Kopf auf die
Tischplatte gelegt, öffnete der Angeklagte den Reißverschluss seiner Hose, entblößte seinen erigierten Penis und
schob seinen Schreibtischstuhl neben Frau C. R.. Um ihre Aufmerksamkeit zu erwecken, erklärte er ihr, sie brauche
nicht mehr zu weinen. Damit - gemeint war sein Penis - könne sie glücklich sein. Dabei erhoffte er sich nicht den
Geschlechtsverkehr mit der Zeugin, sondern durch die Reaktion der Frau eine Steigerung seiner sexuellen Befriedigung. Frau C. R. blickte auf, sah den erigierten Penis und war überrascht und geschockt.
2. Die sehr sensible und wenig durchsetzungsfähige Nebenklägerin W. bestellte der Angeklagte an einem Tag zwischen Ende November 2009 und Februar 2010 in sein Büro. Er fragte sie, ob sie einen Freund habe und machte ihr
Komplimente. Der Angeklagte war sexuell erregt und forderte die Nebenklägerin auf, "komm, lass uns küssen". In
der Hoffnung, dann gehen zu können, wehrte sich die Nebenklägerin nicht, als er ihr einen Zungenkuss gab. Der
Angeklagte fragte nun aber, "ob sie es ihm mit dem Mund machen würde". Obwohl die Nebenklägerin die Frage
verneinte, entblößte er sein erigiertes Geschlechtsteil und führte es ihr, ohne dass sie Widerstand leistete, in den
Mund. Er machte eine oder mehrere Vor- und Rückbewegungen, kam aber nicht zum Samenerguss. Der Angeklagte
zog nach kurzer Zeit seinen Penis aus dem Mund der Nebenklägerin, stellte sich hinter sie und befriedigte sich selbst.
Dabei hielt er wiederholt den Penis an ihren Hinterkopf. Auch stellte er sich wiederholt neben die Nebenklägerin,
damit diese ihm zuschaue. Gleichzeitig forderte er sie auf, doch zu schauen, was er mache. Die Nebenklägerin wandte ihren Kopf immer wieder vom Angeklagten weg, der schließlich in seine Hand ejakulierte. Die Nebenklägerin war
schockiert.
3. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer exhibitionistischen Handlung zum Nachteil von Frau C. R.
verurteilt. Hinsichtlich der Nebenklägerin hat es ein strafbares Verhalten verneint: Das Handeln des Angeklagten
stelle weder eine sexuelle Nötigung/Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB noch eine Nötigung nach § 240
StGB dar. Der Angeklagte habe weder Gewalt angewendet noch mit Gefahr für Leib oder Leben gedroht noch habe
sich die Nebenklägerin in einer schutzlosen Lage befunden. Der Angeklagte habe auch nicht mit der Ausnutzung
seiner "Machtposition" gedroht. Eine exhibitionistische Handlung nach § 183 StGB liege nicht vor, weil sich der
Angeklagte nicht entblößt habe, um sich durch die Reaktion der Nebenklägerin zu erregen, sondern weil er sich
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erhofft habe, mit ihr den Oralverkehr ausüben zu können. Dass er sich ihr später noch einmal gezeigt habe, hat das
Landgericht nicht als neuen Tatentschluss gewertet, denn entblößt habe sich der Angeklagte zur Durchführung des
Sexualverkehrs.
II. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des Urteils
hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte freigesprochen
worden ist.
1. Die Ausführungen der Strafkammer lassen besorgen, dass sie von einem zu engen Begriff der exhibitionistischen
Handlung ausgegangen ist. Eine exhibitionistische Handlung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter einem anderen ohne dessen Einverständnis sein entblößtes Glied vorweist, um sich dadurch oder zusätzlich durch Beobachten
der Reaktion der anderen Person oder durch Masturbieren sexuell zu erregen, seine Erregung zu steigern oder zu
befriedigen (BT-Drucks. VI/3521 S. 53; BGH, Urteil vom 5. September 1995 - 1 StR 396/95, BGHR StGB § 183
Abs. 1 Exhibitionistische Handlung 1). Die Tathandlung liegt in dem Vorzeigen des entblößten Gliedes mit dem Ziel
des hierdurch bewirkten sexuellen Lustgewinns. Dass der Täter sein Geschlechtsteil bereits zu diesem Zweck entblößt hat, setzt die Vorschrift hingegen nicht voraus (aA BayObLG NJW 1999, 72, 73). Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien kann eine solche Einschränkung hergeleitet werden. Vielmehr kann auch
ein Täter, der sein Glied zuvor etwa zum Zwecke des Urinierens frei gemacht hat oder der aus sonstigen Gründen
nackt herumläuft, die Tathandlung begehen, wenn er sich in bereits entblößtem Zustand entschließt, einem anderen
ohne dessen Einverständnis sein Glied zum Zwecke des sexuellen Lustgewinns zu präsentieren.
2. Die Wertung der Strafkammer, dass dem Vorzeigen des Geschlechtsteils kein "neuer Tatentschluss" zugrunde lag
(UA S. 63), beruht möglicherweise auf der - wie oben näher dargelegt - irrigen Rechtsansicht, bereits das Entblößen
des Gliedes müsse in Erregungs-/Befriedigungsabsicht erfolgt sein. Maßgeblich ist hingegen allein der zum Zeitpunkt des Vorzeigens des entblößten Gliedes vom Täter verfolgte Zweck, sich gerade hierdurch oder zusätzlich
durch die Reaktion des Gegenübers oder durch Masturbieren zu befriedigen. Ob dies der alleinige Zweck des Vorzeigens des Gliedes sein muss oder ob der Tatbestand auch erfüllt ist, wenn bei dem Täter ein Motivbündel vorliegt
(so BGH, Urteil vom 30. März 1983 - 2 StR 32/83), kann im vorliegenden Fall da-hingestellt bleiben. Nach den
bisherigen Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte der Nebenklägerin nach dem Oralverkehr sein entblößtes Glied gerade zum Zwecke des sexuellen Lustgewinns vorgezeigt hat, denn er stellte sich immer wieder neben sie
und forderte sie auf, doch zu schauen, was er mache, um sich zu stimulieren (UA S. 26, 62). Nicht ausschließbar
beruhte auch der Schock der Nebenklägerin auf dem mehrfachen Vorweisen des entblößten Gliedes zum Zwecke der
sexuellen Stimulierung. Eine Belästigung der Nebenklägerin durch die exhibitionistische Handlung ist jedenfalls
nach den bisherigen Feststellungen nicht auszuschließen. Die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin muss nach alledem neu verhandelt werden. Der Senat hat die Sache nach § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht Siegen - Strafrichter - zurückverwiesen, da dessen Zuständigkeit ausreicht. Die sorgfältig getroffenen Feststellungen können als
Grundlage einer möglichen Verurteilung nicht bestehen bleiben, weil der die Tat bestreitende Angeklagte deren
rechtsfehlerfreies Zustandekommen mangels Beschwer nicht überprüfen lassen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 22.
Juni 2006 - 3 StR 79/06, NStZ-RR 2006, 316, 317).
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StGB § 184 Abs. 1 Nr. 1 Verschicken ist kein Verbreiten
BGH, Beschl. v. 22.01.2015 - 3 StR 490/14 - NStZ-RR 2015, 139
1. Für den Tatbestand des Verbreitens im Sinne von § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB reicht der gezielte
Versand von Bildern mit jugendpornographischen Inhalts an Einzelpersonen nicht aus, vielmehr
muss der Täter dafür eine Schrift einer nicht mehr individualisierbaren Vielzahl von Personen weitergeben.
2. Die auf der Festplatte eines Smartphones gespeicherten Daten, die durch das Gerät wahrnehmbar gemacht werden können, verkörpern gedankliche Inhalte und unterfallen deshalb dem Begriff
des Datenspeichers, der durch § 11 Abs. 3 StGB den Schriften gleichgestellt wird.
3. Die gleichzeitige Verletzung sowohl von § 176 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 StGB führt zur Annahme
gleichartiger Tateinheit.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Januar 2015 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 30. April 2014 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen III. 4., 8., 10.-11. und 14. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Ver-fahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, der Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit der Förderung sexueller
Handlungen Minderjähriger, der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen und der Bedrohung
schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers im Revisionsverfahren findet nicht statt.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen, wegen sexuellen
Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit dem Verbreiten kinderpornographischer Schriften, wegen Anstiftung
zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, wegen der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen, wegen Verbreitung jugendpornographischer
Schriften in drei Fällen sowie wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit
seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts in den Fällen III. 4., 8., 10.-11. und 14. der
Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen eingestellt. In den Fällen
III. 4., 10. und 11. der Urteilsgründe begegnet die Verurteilung wegen Verbreitens jugendpornographischer Schriften
rechtlichen Bedenken, weil sich den Feststellungen der Strafkammer nur entnehmen lässt, dass der Angeklagte Bilder mit jugendpornographischem Inhalt gezielt an Einzelpersonen versandte; dies reicht für die Annahme des Tatbestandsmerkmals des Verbreitens im Sinne von § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB indes nicht aus, vielmehr muss der Täter
dafür eine Schrift einer nicht mehr individualisierbaren Vielzahl von Personen weitergeben (vgl. Fischer, StGB, 62.
Aufl., § 184c Rn. 6, § 184b Rn. 8). In den Fällen III. 8. und 14. der Urteilsgründe ergeben die Feststellungen nicht,
dass der Angeklagte über das bloße Versenden von Bildern pornographischen Inhalts hinaus auch auf die Kinder, die
Empfänger seiner Chatnachrichten waren, im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB einwirkte, was eine psychische
Einflussnahme tiefergehender Art erfordert (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2010 - 3 StR 177/10, NStZ 2011, 455).
2. Der Schuldspruch hält darüber hinaus in den folgenden Fällen rechtlicher Überprüfung nicht stand:
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a) In den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe begegnet die Verurteilung durchgreifenden rechtlichen Bedenken,
soweit die Strafkammer von zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach §
176 Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 3 StGB ausgegangen ist. Nach den Feststellungen übersandte der Angeklagte innerhalb
eines Chats über die Anwendung WhatsApp einem elfjährigen Mädchen zunächst ein pornographisches Bild und
erklärte anschließend mehrfach, dass er es zum Orgasmus bringen wolle. Da der Angeklagte die Bild- und Textnachrichten in dem gleichen Chat am selben Tag übermittelte, stellen sich diese rechtsgutsverletzenden Hand-lungen bei
natürlicher Betrachtungsweise als Einheit dar, so dass entgegen der Annahme des Landgerichts zwischen der Übersendung des Bildes und derjenigen der anschließenden Textnachrichten Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB
(natürliche Handlungseinheit, vgl. dazu Fischer, aaO, vor § 52 Rn. 3 mwN) gegeben ist. Die Wertung allein der
Übersendung des Bildes als sexueller Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB ist zudem nicht rechtsbedenkenfrei, weil für ein "Einwirken" im Sinne der Vorschrift - wie dargelegt - eine psychische Einflussnahme
tiefergehender Art erforderlich ist, die etwa beim bloßen Vorzeigen eines pornographischen Bildes in aller Regel
nicht vorliegt (BGH aaO). Ob und gegebenenfalls wodurch die Übersendung des Bildes zu einer solchen Einflussnahme führte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Allerdings wirkte der Angeklagte durch die anschließende Versendung der Textnachrichten weiter auf das Kind ein; jedenfalls in Verbindung mit diesen sexualbezogenen Nachrichten stellte die Übersendung des Bildes ein im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB tatbestandsmäßiges
Einwirken des Angeklagten auf sein Opfer dar (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1976 - 4 StR 174/76, NJW 1976,
1984). Zugleich erfüllte der Angeklagte sowohl durch die Übermittlung des digitalen Bildes als auch durch die anschließenden Textnachrichten die Voraussetzungen von § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB, weil er so durch Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB auf sein kindliches Opfer einwirkte, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die er an
dem Mädchen vornehmen wollte. Die auf der Festplatte des Smartphones des Mädchens gespeicherten Daten, die
durch das Gerät wahrnehmbar gemacht werden können, verkörpern gedankliche Inhalte und unterfallen deshalb dem
Begriff des Datenspeichers, der durch § 11 Abs. 3 StGB den Schriften gleichgestellt wird (vgl. BT-Drucks. 13/7385,
S. 36; s. zum Ganzen auch S/S-Eser/Hecker, StGB, 29. Aufl., § 11 Rn. 74 mwN). Die gleichzeitige Verletzung sowohl von § 176 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 StGB führt zur Annahme gleichartiger Tateinheit (LK/Hörnle, StGB, 12.
Aufl., § 176 Rn. 120 mwN; aA MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 176 Rn. 63).
b) Im Fall III. 9. der Urteilsgründe ist der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs.
4 Nr. 4 StGB aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Allerdings wird die tateinheitliche Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen; diese entfällt. Abgesehen davon, dass die rechtliche Würdigung widersprüchlich erscheint,
weil der Angeklagte dasselbe Bild auch im Fall III. 10. der Urteilsgründe versandte, die Strafkammer insoweit aber
von einem jugendpornographischen Inhalt ausgegangen ist, lag auch in diesem Fall lediglich eine gezielte Übersendung des Bildes an eine einzelne Person vor; dies erfüllt - wie dargelegt - den Tatbestand des Verbreitens einer
Schrift nicht.
3. Die teilweise Einstellung des Verfahrens und die Schuldspruchänderung in den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe führen zum Wegfall einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten und fünf Einzelfreiheitsstrafen von jeweils
vier Monaten. Im Fall III. 9. der Urteilsgründe bedingt der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften die Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafe. Insoweit kann der Senat jedoch in
entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO für diesen Fall die Einzelstrafe auf eine Freiheitsstrafe von vier
Monaten festsetzen: Wie die vom Landgericht für vergleichbare Taten des Angeklagten verhängten Strafen zeigen,
hätte es - wäre ihm der Rechtsfehler nicht unterlaufen - jedenfalls eine Einzelstrafe in dieser Höhe verhängt (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 - 1 StR 267/07, juris). Trotz des Wegfalls von Einzelstrafen und der Verringerung
einer derselben kann die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren bestehen bleiben. Die verhängten Einzelfreiheitsstrafen betragen zwei Mal ein Jahr und neun Monate, ein Jahr und sechs Monate, drei Mal sechs Monate und drei Mal
vier Monate. Angesichts des verbleibenden erheblichen Schuldumfangs sowie des vom Landgericht vorgenommenen
straffen Zusammenzugs der Einzelfreiheitsstrafen kann der Senat ausschließen, dass es ausgehend von der Einsatzstrafe von einem Jahr und neun Monaten eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
4. Auch die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat Bestand. Sie
erweist sich insbesondere mit Blick auf die Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB
und die Gefahrenprognose, nach der der Angeklagte ohne den Vollzug der Maßregel in Zukunft auch solche
schwerwiegenden Taten begehen wird, nicht als unverhältnismäßig im Sinne von § 62 StGB.
- 129 -
5. Die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen waren dem Angeklagten nicht
aufzuerlegen, weil die Revision des Nebenklägers ebenfalls erfolglos war (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., §
473 Rn. 10a).
StGB § 184b Nicht alles was nackt ist, ist Pornografie
BGH, Beschl. v. 03.12.2014 - 4 StR 342/14 - BeckRS 2015, 00388
Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornografische Schriften, die sexuelle
Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den sexuellen „Handlungen“ von
Kindern gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von
Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, S. 2149) auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung. Voraussetzung ist aber, dass die von dem Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Körperpositionen, die sich bei einem Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben
sind auch dann keine sexuellen Handlung von Kindern im Sinne von § 184b Abs. 1 StGB in der derzeitigen Fassung, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 3. Dezember 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. April 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen A 2, B 9, 10, 11, 19, 20, 21, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, jedoch können in den Fällen B 9, 10, 11, 19, 20, 21, 25, 26, 28, 29, 30, 31 der Urteilsgründe die
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben;
b) im Gesamtstrafen- und Maßregelausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift, Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an
eine andere Person in 14 Fällen und Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift in 16 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift (§ 184b Abs. 4 StGB) im Fall
A 2 der Urteilsgründe und wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person
im Fall B 24 der Urteilsgründe (§ 184b Abs. 2 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass die tatgegenständlichen Bilder die sexuelle Handlung (§ 184g Nr. 1 StGB) von einem Kind
zum Gegenstand haben.
a) Nach den Feststellungen fertigte der Angeklagte am 7. Mai 2013 von der siebenjährigen V. S. zwei Fotos, als
diese nackt mit ihrem Bruder in einem Planschbecken badete. Dabei fotografierte er zweimal eine Szene, in der sie
mit gespreizten Beinen eine Frontalansicht bot. Bei der ersten Gelegenheit befindet sie sich in einer halb liegenden
Position. Das eine Bein hat sie aufgestellt, während das andere Bein angewinkelt am Boden liegt, sodass ihr Geschlechtsteil aus der Kameraperspektive voll sichtbar ist. Bei der zweiten Gelegenheit liegt V. S. auf dem Rücken.
Ihre linke Schulter und ihre linke Seite sind leicht erhoben. Anscheinend setzt sie sich gerade auf oder legt sich aus
sitzender Position hin. Ihr rechtes Bein liegt leicht nach rechts abgewinkelt auf dem Boden, der linke Oberschenkel
- 130 -
ist gerade ausgestreckt, mit der Folge, dass ihr Geschlechtsteil auch hier aus der Kameraperspektive gut sichtbar ist
(Fall A 2 der Urteilsgründe). Am 5. September 2013 übersandte der Angeklagte mittels seines Computers eine dieser
Fotografien an eine unbekannt gebliebene andere Person (Fall B 24 der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die von
dem Angeklagten gefertigten Bilder als „pornografisch“ bewertet, weil ihr alleiniger Zweck die Zurschaustellung des
Geschlechtsteils des zur Tatzeit sieben Jahre alten Kindes gewesen sei und es sich nicht um eine zufällige Aufnahme
gehandelt habe (UA 61 f.).
b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder
des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornografische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den sexuellen
„Handlungen“ von Kindern gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des
Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und
der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, S. 2149) auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220, 221; Beschluss vom 21. November
2013 – 2 StR 459/13, NStZ-RR 2014, 108; Beschluss vom 16. März 2011 – 5 StR 581/10, NStZ 2011, 570, 571;
Ziegler in: BeckOK, StGB, § 184b Rn. 4; MüKoStGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 17; Röder, NStZ 2010, 113, 116
f.; vgl. auch BT-Drucks. 16/3439, S. 9; BT-Drucks. 16/9646, S. 2, 17). Voraussetzung ist aber, dass die von dem
Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2008 – 4 StR 373/08, NStZ 2009, 29; Urteil
vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340 mwN). Körperpositionen, die sich bei einem
Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben sind auch dann keine sexuellen Handlung von Kindern im Sinne von § 184b Abs. 1 StGB in der
derzeitigen Fassung, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden. Die Feststellungen belegen nicht, dass V. S. in den Momenten, in denen sie von dem Angeklagten fotografiert wurde, ihr Geschlechtsteil „zur Schau gestellt“ und damit eine Handlung vorgenommen hat, die ihrem äußerem Erscheinungsbild
nach einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Möglich erscheint auch, dass der Angeklagte lediglich für seine Zwecke günstige Momente im natürlichen Bewegungsablauf des badenden Kindes dazu ausgenutzt hat, um dessen Geschlechtsteil aufzunehmen. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Die Verurteilung wegen real konkurrierender Taten der Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift
gemäß § 184b Abs. 4 StGB in den Fällen B 9, 10 und 11 der Urteilsgründe und Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person gemäß § 184b Abs. 2 StGB in den Fällen B 19, 20, 21, 25, 26, 28, 29,
30 und 31 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornografischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen
Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13, Rn. 14,
insoweit in BGHSt 59, 28, NJW 2013, 3528 und NStZ 2014, 34 nicht abgedruckt; Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3
StR 215/08, NStZ 2009, 208; MüKoStGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 48). Lassen sich dazu keine eindeutigen Feststellungen treffen, ist das Geschehen nach dem Zweifelsgrundsatz als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1983 – 3 StR 110/83, NStZ 1983, 364, 365).
b) Danach wird in den angeführten Fällen die Annahme materiell-rechtlich selbstständiger Taten von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Die Fälle B 9, 10 und 11 betreffen das Herunterladen und Speichern von drei kinderpornografischen Bilddateien in einem Zeitfenster von zwei Stunden. In den Fällen B 19, 20 und 21 übermittelte der Angeklagte innerhalb von 22 Minuten drei Dateien mit kinderpornografischem Inhalt an denselben Empfänger. Die Fälle
B 25 und B 26 beziehen sich auf die Übersendung von zwei kinderpornografischen Bilddateien an denselben Kommunikationspartner in einem Abstand von vier Minuten. In den Fällen B 28 bis 31 wurden vier kinderpornografische
Bild- und Videodateien innerhalb von 24 Minuten an denselben Empfänger versandt. Nähere Feststellungen zur
Dauer und zum Verlauf der Internetsitzungen des Angeklagten hat das Landgericht nicht getroffen. Es bleibt daher
offen, ob dem Empfang oder der Versendung der kinderpornografischen Dateien in den angeführten Sequenzen
jeweils nur ein einheitlicher oder mehrere getrennte Kommunikationsvorgänge zugrunde lagen. Angesichts des nur
geringen zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Übertragungen ergibt sich in diesen Fällen die vom Landgericht angenommene (materiell-rechtliche) Selbstständigkeit auch nicht von selbst. Die Sache bedarf daher auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können dabei jedoch bestehen bleiben.
- 131 -
3. Die Teilaufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da das Landgericht die
von der Aufhebung betroffenen Fälle A 2 (Einzelstrafe: ein Jahr und vier Monate Freiheitsstrafe) und B 24 (Einzelstrafe: ein Jahr Freiheitsstrafe) als Anlasstaten für die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung herangezogen hat, verliert damit auch die Maßregelanordnung ihre Grundlage. Für die neue
Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin: Sollte der neue Tatrichter zu der Auffassung gelangen, dass
mehrere der im ersten Rechtsgang als materiell-rechtlich selbstständige Taten ausgeurteilten Fälle des Empfangs
oder des Versendens von kinderpornografischen Dateien nach § 184b Abs. 2 oder 4 StGB zu einer Tat im Rechtssinn
zusammenzufassen sind, steht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) bei der Neufestsetzung der
Einzelstrafe einer Erhöhung der höchsten im ersten Rechtsgang für diese Taten verhängten Einzelstrafe nicht entgegen. Allerdings darf die Summe der neuen und der verbleibenden Einzelstrafen ebenso wenig zum Nachteil des Angeklagten verändert werden, wie die neu zu bestimmende Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1995
– 3 StR 346/95, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 7). Soweit es wiederum zu einer Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 Satz 1 StGB kommen sollte, wird zu
beachten sein, dass zulässiges Verteidigungsverhalten, wie das Bagatellisieren der Anlasstaten, weder bei der Prüfung des Hangs noch im Rahmen der Gefahrenprognose zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden darf
(BGH, Beschluss vom 21. August 2014 – 1 StR 320/14, Rn. 7; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11,
NStZ-RR 2012, 9).
StGB § 201a Verletzung Persönlichkeitsbereich durch Bildaufnahmen
BGH, Beschl. v. 26.02.2015 - 4 StR 328/14 - NStZ-RR 2015, 141
Nach der Strafnorm des § 201a Abs. 1 StGB aF (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des 49.
Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015, BGBl I, S. 10), welche dem Schutz des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisteten höchstpersönlichen Lebensbereichs des Einzelnen vor Eingriffen durch Bildaufnahmen dient, macht sich in der
Tatbestandsvariante des Herstellens strafbar, wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, Bildaufnahmen herstellt
und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der Person verletzt. Tatbestandlich erfasst
werden jedenfalls solche Bildaufnahmen, die aufgrund hinreichend vorhandener Identifizierungsmerkmale von den jeweiligen Tatopfern der eigenen Person zugeordnet werden können.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts, zu Nr. 1b mit dessen Zustimmung, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Februar 2015 gemäß § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2, § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 11. November 2013
wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 258, 419, 516, 608, 794, 948, 961, 1117, 1160,
1252, 1275 und 1445 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;
b) die Verfolgung im Fall II. 1471 der Urteilsgründe auf den Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen in
Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition beschränkt;
c) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in 1455 Fällen, des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in drei Fällen sowie des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
- 132 -
3. Der Angeklagte trägt die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren
entstandenen besonderen Kosten und die den Adhäsionsklägerinnen sowie den Nebenklägerinnen – mit Ausnahme
der Nebenklägerinnen M. und L. – erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Verletzung des höchstpersönlichen
Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in 1467 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses in drei Fällen jeweils tateinheitlich zusammentreffend mit einer
Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und wegen unerlaubten Besitzes einer
Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubtem Besitz eines verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihm für die Dauer von vier
Jahren verboten, gynäkologische Behandlungen auszuüben. Darüber hinaus hat es eine Einziehungs- sowie eine
Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.
1. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 258, 419, 516, 608, 794, 948, 961, 1117, 1160, 1252, 1275 und 1445 der
Urteilsgründe wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen zum Nachteil minderjähriger Patientinnen verurteilt worden ist, stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts
nach § 154 Abs. 2 StPO aus verfahrens-ökonomischen Gründen ein, weil nach Aktenlage ohne ergänzende, im Freibeweisverfahren durchzuführende (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1994 – 1 StR 770/93, NJW 194, 1165) Ermittlungen nicht abschließend beurteilt werden kann, ob in diesen Fällen wirksame Strafanträge der Erziehungsberechtigten gemäß § 77 Abs. 3 StGB vorliegen. Im Fall II. 1471 der Urteilsgründe nimmt der Senat mit Zustimmung des
Generalbundesanwalts den Vorwurf des unerlaubten Besitzes eines verbotenen Gegenstandes gemäß § 154a Abs. 2
StPO von der Verfolgung aus. Die Teileinstellung des Verfahrens und die Verfahrensbeschränkung hat eine Änderung des Schuldspruchs zur Folge. Die Einzelgeldstrafe im Fall II. 1471 der Urteilsgründe kann bestehen bleiben, da
die Strafkammer in ihren Erwägungen zur Bemessung der Einzelstrafe allein auf den Besitz der Schusswaffen abgestellt hat. Schließlich wird der Gesamtstrafenausspruch durch den Wegfall der für die eingestellten Taten verhängten
Einzelstrafen nicht berührt. Angesichts der Vielzahl der verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht ohne die entfallenden Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.
2. In dem nach der Teileinstellung des Verfahrens und der Verfahrensbeschränkung verbleibenden Umfang ist die
Revision unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Hinsichtlich der Verurteilungen wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen gemäß § 201a Abs. 1 StGB aF bemerkt der
Senat ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts: Nach der Strafnorm des § 201a Abs. 1 StGB aF
(§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des 49. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015, BGBl I, S. 10), welche dem Schutz des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisteten höchstpersönlichen Lebensbereichs des Einzelnen vor Eingriffen durch Bildaufnahmen dient (vgl. BT-Drucks. 15/2466, S. 1;
Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 201a Rn. 2; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 201a Rn. 3; Kühl in
Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 201a Rn. 1), macht sich in der Tatbestandsvariante des Herstellens strafbar, wer
von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, Bildaufnahmen herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der Person verletzt. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dieser Vorschrift auch Bildaufnahmen unterfallen, die allein aus sich
heraus eine Individualisierung der abgebildeten Person nicht ermöglichen (vgl. Bosch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 201a Rn. 5; Altenhain in Matt/Renzikowski, StGB, § 201a Rn. 2;
Koch, GA 2005, 589, 595; Kargl, ZStW 2005, 324, 340; Ernst, NJW 2004, 1277, 1278; aA Hoyer in SK-StGB
[Stand: Oktober 2005], § 201a Rn. 12; Kühl in Lackner/Kühl aaO, Rn. 4), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Tatbestandlich erfasst werden jedenfalls solche Bildaufnahmen, die – wie hier vom Landgericht in den der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen festgestellt – aufgrund hinreichend vorhandener Identifizierungsmerkmale von den
jeweiligen Tatopfern der eigenen Person zugeordnet werden können (vgl. Valerius in LK, 12. Aufl., § 201a Rn. 11;
Kargl in NK-StGB, 4. Aufl., § 201a Rn. 6; Fischer aaO, Rn. 5; auf grundsätzliche Identifizierbarkeit abstellend vgl.
Lenckner/Eisele aaO, Rn. 4; Heuchemer in Heintschel/Heinegg, StGB, § 201a Rn. 16.2). Weiter gehende Anforderungen an die Erkennbarkeit der abgebildeten Personen lassen sich bei einer am geschützten Rechtsgut orientierten
Auslegung weder aus dem Tatbestandsmerkmal der Bildaufnahme einer anderen Person noch aus dem tatbestandlich
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vorausgesetzten Erfolg einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ableiten. Da der Rechtsgutsangriff
bereits in der Fertigung der Bildaufnahme durch den Täter liegt, ohne dass es auf eine mögliche spätere Weitergabe
oder Verbreitung der Aufnahme ankommt, besteht insbesondere kein Grund, den Eintritt des Taterfolgs davon abhängig zu machen, dass die Identifizierung der abgebildeten Person von Dritten anhand auch anderen be-kannter
Merkmale oder Besonderheiten vorgenommen werden kann (so aber Graf in MK-StGB, 2. Aufl., § 201a Rn. 20).
Dass der Angeklagte durch das Anfertigen von Bildaufnahmen während der gynäkologischen Behandlung seiner
Tatopfer jeweils deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzte, hat die Strafkammer auf der Grundlage der von
ihr zu den Inhalten der Bilder und Videosequenzen getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei bejaht.
3. Hinsichtlich der Nebenklägerinnen M. und L. findet eine Überbürdung der durch die Revision des Angeklagten
entstandenen Nebenklageauslagen nicht statt, da auch deren Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2013 – 4 StR 92/13; vom 14. Januar 1992 – 4 StR 629/91, BGHR StPO § 473 Abs. 1 Satz 3
Auslagenerstattung 1).
StGB § 211 Abs. 2 § 21, § 63
BGH, Urt. v. 22.10.2014 - 5 StR 380/14 - BGHSt 60, 52 = NJW 2014, 3737
LS: 1. Niedrige Beweggründe bei außergewöhnlich brutalem, eklatant menschenverachtendem Tatbild.
2. Prüfung verminderter Steuerungsfähigkeit und Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus in Fällen dieser Art.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 7. Februar 2014 mit den
Feststellungen aufgehoben; jedoch haben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen Bestand. Im Umfang der
Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil wird verworfen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft dringt durch. Hingegen bleibt die Revision des Angeklagten erfolglos.
1. Das Landgericht ist zu folgenden Feststellungen und Wertungen gekommen:
a) Der zur Tatzeit 46 Jahre alte, bislang nicht bestrafte Angeklagte ist ausgebildeter Fleischer und war einige
Jahre als Schlachter tätig. Am späten Abend des 1. Februar 2013 besuchte er beträchtlich alkoholisiert die ein
Stockwerk über ihm wohnende 66 Jahre alte L.. Sie tranken im Wohnzimmer Alkohol und rauchten. Im weiteren
Verlauf geriet der Angeklagte aus ungeklärten Gründen in hochgradige Wut. Er versetzte Frau L. mindestens
drei heftige Schläge oder Tritte gegen Kopf und Hals, die unter anderem einen mehrfachen Gesichtsschädelbruch
sowie eine multiple Fraktur von Kehlkopf und Zungenbein verursachten. Außerdem vollführte er zehn weitere kräftige Gewalteinwirkungen auf Brust, Bauch, Arme und Beine. Der in Rückenlage auf dem Sofa liegenden und zu
dieser Zeit aufgrund der erlittenen Kopfverletzungen bewusstlosen Frau zog er die Kleidung bis zur Kniekehle herunter. Dann drang er mit seiner Hand und großen Teilen seines Unterarms mindestens dreimal in ihren Anus
ein. Dabei durchstieß er unter erheblicher Gewalteinwirkung den Darm und riss aus dem so eröffneten Bauchraum
in drei Teilen nahezu den gesamten Dünndarm sowie 25 cm Dickdarm heraus. Neben vielfachen Durchreißungen
des Darms wurden auch der Magen zerrissen und die Milz eingerissen. Der Angeklagte nahm das mit 130 cm
längste Teil des Dünndarms und legte es Frau L. um den Hals, indem er die Mitte des Stücks vor ihren Hals
legte, den Rest hinter ihrem Kopf kreuzte und die Enden auf ihrer Brust ablegte. Mit seinen blutverschmierten Händen fasste er ihr auch auf den unbekleideten Oberkörper und hinterließ erhebliche Blutantragungen. Außerdem
drang er mindestens einmal mit mehreren Fingern, der Hand oder einem Gegenstand in die Vagina der Geschädig-
- 134 -
ten ein. Dadurch erlitt sie eine Einreißung im Bereich des Damms, mehrere Schleimhauteinreißungen der Scheide,
Schürfungen der Scheidenhaut sowie in der Tiefe der Scheide einen Einriss im Bereich des Scheidengewölbes. Nach
der Tat ließ der Angeklagte die tödlich verletzte Frau auf dem Sofa zurück, säuberte sich im Badezimmer und
ging aus der Wohnung. Kurz nach 22.00 Uhr teilte er der Feuerwehr mit, dass bei Frau L. etwas nicht stimmen
könne, weil sie nicht wie sonst aus dem Fenster gesehen habe. Die Rettungskräfte trafen sie bei – freilich deutlich
eingetrübtem – Bewusstsein an. Sie wurde narkotisiert ins Krankenhaus gebracht. Eine sofort eingeleitete Notoperation wurde wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. Frau L. verstarb am 2. Februar 2013 um 0.50 Uhr an ihren
schweren inneren Verletzungen, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
b) Die Schwurgerichtskammer ist von einem lediglich bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten ausgegangen.
Vom Vorliegen von Mordmerkmalen hat sie sich nicht zu überzeugen vermocht. „Ernsthaft in Betracht“ kämen
nur das Handeln zur Befriedigung des Geschlechtstriebs sowie Grausamkeit (UA S. 85). Jedoch sei nicht hinreichend sicher feststellbar, dass die Tat von sexueller Motivation getragen gewesen sei. Gleichfalls nicht erwiesen
sei, dass das bewusstlose bzw. bewusstseinsgetrübte Opfer das ihm zugefügte Leid selbst empfunden habe. Die
Strafe hat das Landgericht dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB
entnommen. Sachverständig beraten hat es eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen Alkoholintoxikation zur Tatzeit nicht ausschließen können. Hingegen habe eine bei ihm diagnostizierte organische Persönlichkeitsstörung nicht den Grad der schweren anderen seelischen Abartigkeit erreicht.
2. Der Schuldspruch wegen Totschlags kann keinen Bestand haben.
a) Zu dem durch die Schwurgerichtskammer nur beiläufig erwähnten Mordmerkmal des sonst niedrigen Beweggrundes hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift ausgeführt: „Die Auseinandersetzung des Schwurgerichts mit möglichen Tatmotiven des Angeklagten ist rechtlich unzulänglich, weil es sich im Zuge der beweiswürdigenden Analyse des Tatgeschehens nicht der Frage zugewendet hat, ob in dem äußerst brutalen Vorgehen des psychisch (angeblich) weitgehend unauffälligen Angeklagten ein den personalen Eigenwert des Opfers negierender
Vernichtungswille zum Ausdruck kommt, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und daher
der Motivgeneralklausel des § 211 Abs. 2 StGB unterfällt (siehe dazu BGH, Urteil vom 5. November 2002 – 1 StR
247/02, NStZ-RR 2003, 78, 79). Neben ungehemmter Eigensucht und krasser Rücksichtslosigkeit ist ein weiteres
Leitprinzip die in der Tötung motivational zu Tage tretende Missachtung des personellen Eigenwerts des Opfers
(vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. August 1995 – 1 StR 393/95, NStZ-RR 1996, 98 f.; LK-Jähnke, StGB, 11.
Aufl., § 211 Rn. 26-28; Müko-Schneider, § 211 Rn. 75). Eine solchermaßen antisoziale Einstellung kann darin
erblickt werden, dass der Täter das Opfer in menschenverachtender Weise tötet (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 78, 79).
Hierzu rechnen Sachverhalte, in denen der Täter das Opfer vor oder während der Tat in besonders herabsetzender Weise quält und damit eine gesellschaftlichen Grundwerten kategorial zuwider laufende Einstellung dergestalt
manifestiert, dass der Adressat des Angriffs nicht einmal mehr ansatzweise als Person, sondern nur noch wie ein
beliebiges Objekt, mit dem man nach hemmungslosem Gutdünken verfahren kann, behandelt wird (vgl. BGH, aaO).
Der vorliegende Fall weist dahingehende Sachverhaltskomponenten auf: Allein schon das Herausreißen verschiedener Darmteile bei lebendigem Leib durch dreimaliges tiefes Eindringen in den Anus des Opfers wirkt grauenhaft
und weckt spontane Erinnerungen an das Ausweiden eines Tieres. Nimmt man zusätzlich das Legen eines Darmstücks um den Hals des Opfers in den Blick, so wird die menschenverachtende Dimension der Tat vollends deutlich.
Es erstaunt, dass das Schwurgericht die Qualität dieser Umstände zutreffend erkannt (vgl. UA S. 75), jedoch nicht in
seine Überlegungen zum Vorliegen subjektiver Mordmerkmale einbezogen hat. Hierzu hätte indessen nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung Veranlassung bestanden. Der möglichen Annahme eines aus dem
Tatbild hergeleiteten niedrigen Beweggrundes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen lediglich mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt und also keinen Vernichtungswillen in Form eines dolus
directus aufgewiesen hat. Einerseits ist auch der Täter der mehrfach zitierten höchstrichterlichen Referenzentscheidung gegen das von ihm malträtierte Opfer ‚nur‘ mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgegangen, ohne dass dieser
Umstand auf die rechtliche Bewertung des Tatmotivs Einfluss gewinnen konnte. Andererseits erachtet die Bundesanwaltschaft die vom Schwurgericht vorgenommene rechtliche Einordnung des Tötungsvorsatzes ohnehin für
schlichtweg indiskutabel. Ein ausgebildeter Schlachter, dem – wie dem Angeklagten – das Ausweiden von Tieren berufsbedingt geläufig ist, geht mit Sicherheit davon aus, dass ein bewusstlos zurückgelassener Mensch, dem
Vergleichbares widerfahren ist, an den Folgen einer solchen Tat geraume Zeit später verstirbt.“ Dem tritt der Senat
bei (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 132) und bemerkt ergän-
- 135 -
zend, dass angesichts des Tatbildes auch das Merkmal der Mordlust zu prüfen sein wird (vgl. zu den Voraussetzungen LK/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 6 mwN).
b) Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind ordnungsgemäß getroffen und werden durch den Rechtsfehler nicht berührt. Sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Spurenauswahl ist vollständig. Es
bestehen keine realistischen Anhaltspunkte, dass sich der Angeklagte zu Details der Begehung der Tat und ihrer
Begleitumstände in einer neuen Hauptverhandlung öffnen würde.
3. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs ist dem Rechtsfolgenausspruch die Basis entzogen. Er hätte jedoch auch
für sich genommen keinen Bestand haben können, weil die der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten im
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) vorgelagerte Schuldfähigkeitsprüfung durchgreifenden Bedenken begegnet. Das Landgericht führt auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen aus, es habe
„weder im Bereich der Persönlichkeit noch im Bereich der Sexualität Auffälligkeiten gegeben, die die Kriterien für
eine psychische Erkrankung (schwere Persönlichkeitsstörung oder Störung der Sexualpräferenz/Paraphilie) erfüllen
würden“; eine (organische) Persönlichkeitsstörung sei „nicht so gravierend, als dass sie Auswirkungen auf die
Schuldfähigkeit des Angeklagten gehabt haben könnte“ (UA S. 80). Diese Wertung beruht auf einer lückenund damit rechtsfehlerhaften Grundlage. Denn das psychiatrische Gutachten und ihm folgend die Schwurgerichtskammer unterlassen gänzlich die Auseinandersetzung mit den als extrem zu bezeichnenden Besonderheiten der
Tatausführung – dem erfahrenen rechtsmedizinischen Sachverständigen war kein in der Tötungsart vergleichbarer
Fall bekannt (UA S. 56 f.) –, die sich zudem mit einem vom Angeklagten vor der Tat bei mannigfaltigen Gelegenheiten gebrauchten „Spruch“ deckt, er werde jemandem „das Geschlinge aus dem Arsch ziehen und um den Hals
wickeln“ (UA S. 9 f.). Diese Besonderheiten hätte die Schwurgerichtskammer im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung aber zwingend erörtern müssen (vgl. Basdorf, HRRS 2008, 275, 276). Da sich die Urteilsgründe dazu nicht
verhalten, ermangelt es der gebotenen umfassenden Würdigung des Zustands des Angeklagten bei der Tat (vgl.
etwa BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2014 – 5 StR 7/14 Rn. 6, vom 27. November 2008 – 5 StR 526/08
Rn. 10, vom 30. September 2008 – 5 StR 305/08, vom 25. Juli 2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335,
336, vom 28. November 2001 – 5 StR 434/01; Urteil vom 23. Januar 2002 – 5 StR 391/01; jeweils mwN). Das
neue Tatgericht wird die Schuldfähigkeit des Angeklagten naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen erneut zu erörtern und dabei die vorgenannten Aspekte zu berücksichtigen haben. Es
wird auch die festgestellten Auffälligkeiten im Sexual- und Sozialverhalten des Angeklagten (UA S. 10 f.) stärker in
den Blick nehmen müssen, als im angefochtenen Urteil geschehen. Für den Fall sicherer Feststellung verminderter
Schuldfähigkeit (auch) aufgrund einer dauerhaften schweren psychischen Störung des Angeklagten wird zu prüfen
sein, ob dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gerechtfertigt ist. Im Interesse
des Schutzes der Allgemeinheit vor höchst gefährlichen Tätern wäre solches nach Auffassung des Senats – über
bislang von der Rechtsprechung angenommene Grenzen hinaus – selbst dann erwägenswert, wenn aufgrund dieser
sicher festgestellten Störung eine verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten nur aufgrund des Zweifelsgrundsatzes anzunehmen, allein deshalb aber nicht auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist (vgl. dazu
Basdorf, aaO S. 276 f.; Basdorf/Mosbacher in Lau/Lammel/Sutarski [Hrsg.], Forensische Begutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, 2. Aufl., S. 119, 131 f.). Allerdings wäre zuvor zu erwägen, ob eine solche Auslegung in Fällen
dieser Art durch Anwendung des § 66a Abs. 2 StGB entbehrlich wäre.
4. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen. Die auch nach Auffassung des Senats unvertretbare Annahme lediglich bedingten Tötungsvorsatzes beschwert ihn nicht. Nach Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB wäre angesichts des konkreten furchtbaren Tatbildes eine mildere Beurteilung selbst dann nicht in Betracht gekommen, wenn die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf eine breitere, über die Wurzel der Alkoholisierung hinausgehende Grundlage zu stützen gewesen wäre.
5. Zu der von der Staatsanwaltschaft in den Vordergrund gestellten Frage der tateinheitlichen Verwirklichung einer
Sexualstraftat (Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, jeweils mit Todesfolge) bemerkt der Senat: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den Begriff der sexuellen
Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB das äußere Erscheinungsbild entscheidend; das Merkmal ist erfüllt, wenn
das Erscheinungsbild nach allgemeinem Verständnis die Sexualbezogenheit erkennen lässt (vgl. BGH, Urteile vom
24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 9. November 1982 – 1 StR 672/82, NStZ 1983,
167; vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, BGHR StGB § 184f Sexuelle Handlung 2; Urteil vom 9. Juli
2014 – 2 StR 13/14 Rn. 19, zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Ist dies der Fall, so spielt es keine Rolle, ob der
Täter sexuelle Motive verfolgt oder etwa sein Opfer allein demütigen und sadistisch quälen will; er muss sich nur
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des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst sein (vgl. BGH, Urteile vom 9. November 1982 – 1 StR 672/82,
aaO; vom 11. Mai 1993 – 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6, insoweit in BGHSt 39,
212 nicht abgedruckt; vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, aaO). Diese Grundsätze verkennt das angefochtene
Urteil, indem es den Handlungen des Angeklagten „auf subjektiver Seite einen eindeutigen Sexualbezug“ abspricht,
ohne das objektive Erscheinungsbild einer Untersuchung unterzogen zu haben (UA S. 87). Vorliegend sind die äußeren Gegebenheiten der Tat unzweifelhaft sexualbezogen. Der Angeklagte ist nicht nur (mehrfach) in den
Anus, sondern auch in die Scheide der getöteten Frau eingedrungen. Darüber hinaus hat er Blut und Gewebeteile auf
deren unbekleideten Oberkörper einschließlich der Brüste verteilt, diese also berührt. Das Opfer wurde mit gespreizten Beinen auf dem Sofa liegend vorgefunden. Angesichts der Vielzahl und des Gewichts der für eine
Sexualtat streitenden Umstände bedürfte es greifbarer Anhaltspunkte dafür, dass der sich auf eine Amnesie berufende Angeklagte die Sexualbezogenheit seiner Handlungen gleichwohl verkannt haben könnte. Solche lassen sich
den Urteilsgründen aber nicht entnehmen. Die Erwägungen der Schwurgerichtskammer, es könnten die besondere
Erniedrigung des Opfers sowie das Herausreißen der Därme im Vordergrund gestanden haben, wobei eine sexuelle
Motivation nicht hinreichend sicher feststellbar sei (UA S. 73 ff., 87), sind aus den genannten Gründen für die Beurteilung der Tat als bewusst sexualbezogene Handlung rechtlich irrelevant. Selbst wenn der Angeklagte – wie auch
der Obduktionssachverständige mutmaßt – versehentlich in die Scheide gegriffen haben sollte (UA S. 75, 87),
würde das erforderliche Bewusstsein des Angeklagten in Anbetracht der sonstigen Umstände nicht in Frage
gestellt.
StGB § 211 Heimtücke
BGH, Beschl. v. 29.04.2014 - 3 StR 21/14 - NStZ 2014, 633
Beim versuchten Heimtückemord muss die Arglosigkeit des Opfers noch beim unmittelbaren Ansetzen vorliegen.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts
am 29. April 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision der Angeklagten wird das
Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 15. Oktober 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu
neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb, Besitz und Führen einer
halbautomatischen Kurzwaffe zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung
materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat Erfolg. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält
der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verliebte sich die Angeklagte in den Nebenkläger, ihren Fahrlehrer, und
versuchte ihn fortan trotz seiner Zurückweisung für sich zu gewinnen und ihn dazu zu bewegen, sich mit ihr zu treffen. Weil der Nebenkläger ihr aber immer wieder aus dem Weg ging, Telefonanrufe nicht annahm und persönliche
Kontakte verweigerte, war sie zunehmend verzweifelt, fühlte sich gekränkt und in ihrem Stolz verletzt. Am 22. Juni
2013 sah sie den Nebenkläger, als er mit seinem Fahrschulwagen hinter einem Motorradschüler herfuhr. Daraufhin
holte sie eine zuvor nebst Munition erworbene Pistole, führte das Magazin ein und begab sich zu der als Abstellplatz
für das Motorrad genutzten Garage, wo sie das Eintreffen des Nebenklägers erwartete. Sie wollte ihn unter Vorhalt
der Waffe zu einem Gespräch zwingen und ihn, sollte er dies erneut verweigern, erschießen. Während der Nebenkläger das Motorrad in die Garage brachte, kam es zwischen ihm und der Angeklagten zu einem kurzen Gespräch, in
dem er sie erneut abwies. Während er sich auf den Beifahrersitz des Fahrschulwagens setzte, in dem sich eine Fahrschülerin auf dem Fahrersitz und der Motorradschüler auf dem Rücksitz befanden, holte die Angeklagte die Pistole
aus ihrem Fahrzeug und steckte sie am Rücken in den Hosenbund. Am Fahrzeug ergriff sie die Waffe, die sie für
schussbereit hielt, und richtete sie durch das geöffnete Beifahrerfenster auf den Nebenkläger, den sie mit den Worten, dass sonst "etwas Böses" geschehen würde, zum Öffnen der Tür aufforderte. Als der Nebenkläger, der die Waffe
irrtümlich für eine Spielzeugpistole hielt, dies verweigerte, erkannte sie, dass sie ihn auch nicht unter Vorhalt der
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Pistole zum Gespräch zwingen konnte. Sie fasste nun endgültig den Entschluss, ihn zu töten. Sie betätigte deshalb
den Abzug, wobei sich zu ihrer Überraschung kein Schuss löste, da sie vergessen hatte, den Schlitten der Pistole
durchzuziehen, so dass sich keine Kugel im Lauf befand. Als sie die Waffe nun durchlud, bekam der Nebenkläger
Angst, startete den Motor und floh, indem er das Fahrzeug vom Beifahrersitz steuerte. Die Angeklagte gab vier
Schüsse auf den davonfahrenden Wagen ab, wobei drei Projektile das Fahrzeug aus einer Entfernung von 20-30
Meter trafen. Dabei erkannte sie, dass diese Schüsse auch für die anderen Fahrzeuginsassen potentiell lebensgefährlich waren. In Verfolgung ihres Ziels, den Nebenkläger zu töten, nahm sie aber auch den Tod der beiden anderen
billigend in Kauf. Zum Tatzeitpunkt war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten aufgrund einer Anpassungsstörung erheblich vermindert. Es wurde niemand verletzt.
2. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagte habe bei ihrem Versuch, durch das Fenster der Beifahrertür auf
den Nebenkläger zu schießen, heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt, hält sachlichrechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des
Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch
erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und
Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht (mehr) mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Voraussetzung
heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers
bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Januar 2005 - 4 StR 491/04, NStZ
2005, 691, 692 und vom 29. November 2007 - 4 StR 425/07, NStZ 2008, 273, 274, jeweils mwN; Beschluss vom 29.
November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271). Dabei ist für die Beurteilung einer bewussten Ausnutzung
der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers grundsätzlich auf die Lage zu Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit den Eintritt der Tat in das Versuchsstadium abzustellen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 4.
Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384; vom 9. Januar 1991 - 3 StR 205/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13, jeweils mwN). Vorliegend belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Angeklagte bei Versuchsbeginn bewusst eine Arglosigkeit des Nebenklägers ausnutzte. Allerdings versah der Nebenkläger sich offensichtlich keines
Angriffs, als die Angeklagte, die die Waffe in den rückwärtigen Hosenbund gesteckt hatte, zu ihm ans Fahrzeug trat
und die Pistole auf ihn richtete. In diesem Verhalten ist aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen.
Zwar hatte die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt schon einen Tatentschluss gefasst, weil lediglich die Tatausführung,
nicht aber der Wille zur Tat davon abhängig war, dass der Nebenkläger auch unter Vorhalt der Pistole weiterhin
nicht bereit war, mit ihr ein Gespräch zu führen (vgl. S/S-Eser/Bosch, 29. Aufl., § 22 Rn. 18 f.). Doch war nach dem
Tatplan ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung in dem Sinne, dass der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt
geht es los" überschreitet und objektiv ohne weitere Zwischenakte zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt
(vgl. BGH, Urteile vom 16. September 1975 - 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 202 f.; vom 9. Oktober 2002 - 5 StR
42/02, BGHSt 48, 34, 35 f.), noch nicht erreicht. Vielmehr hing die Umsetzung des geplanten Tötungsverhaltens
noch vom - von der Angeklagten allerdings nicht zu beeinflussenden - Eintritt der Bedingung ab, dass der Nebenkläger sie wieder abweisen würde. Erst als der Nebenkläger sich endgültig abwandte und die Angeklagte jetzt den Abzug der Waffe betätigte, setzte sie unmittelbar zur Ausführung der Tötungshandlung an. Zu diesem Zeitpunkt hatte
der Nebenkläger aus Sicht der Angeklagten seine anfangs vorhandene Arglosigkeit jedoch verloren, da sie ihm mit
vorgehaltener Pistole gedroht hatte, es werde "etwas Böses" geschehen, wenn er den Kontakt mit ihr weiter verweigere. Dass sie gewusst und bewusst ausgenutzt hätte, dass der Nebenkläger die Waffe für eine Spielzeugpistole hielt
und sie deshalb nicht ernst nahm, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Zwar ist das Tatopfer auch dann arg- und
wehrlos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig
entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist,
dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. Juni 2006 - 1
StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11, NStZ-RR 2012, 245; Beschluss vom 19.
Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30). Einen solchen Fall ergeben die Feststellungen vorliegend jedoch
nicht. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass der Nebenkläger auf die Angeklagte, die mit ihrem
Vorgehen gerade ein Gespräch mit ihm erzwingen wollte, nicht hätte verbal einwirken und so den nicht gänzlich
aussichtslosen Versuch unternehmen können, diese von ihrem Vorhaben abzubringen (s. BGH, Beschluss vom 19.
Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30). Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes lässt
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auch die Verurteilung wegen des tateinheitlich dazu begangenen versuchten Totschlags in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und des Waffendelikts entfallen (KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN).
StGB § 213 – Voraussetzungen minder schwerer Fall des Totschlags
BGH, Urt. v. 26.02.2015 - 1 StR 574/14 - BeckRS 2015, 06007
Strafrahmenwahl § 213 StGB
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2014 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den Nebenklägern im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine
dagegen gerichtete, auf den Strafausspruch beschränkte Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt,
bleibt ohne Erfolg.
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Spätestens ab Februar 2013 traten in der Ehe zwischen dem Angeklagten und seiner später getöteten Ehefrau erhebliche Spannungen auf, die regelmäßig in lautstark geführte verbale Auseinandersetzungen mündeten. Im Rahmen
dieser Konflikte belegte die sehr wortgewaltige Ehefrau den Angeklagten mit ehrverletzenden Ausdrücken. Beginnend ab Oktober 2013 nahmen die Streitigkeiten an Heftigkeit zu. Im Hinblick auf eine mögliche Scheidung und
damit verbundene Streitigkeiten um das Sorgerecht für die 2009 geborene Tochter und den 2012 geborenen Sohn
zeichneten die Eheleute ab November 2013 die Wortgefechte mit ihren jeweiligen Mobiltelefonen auf. Zu Tätlichkeiten kam es trotz der Heftigkeit der verbalen Streitigkeiten nur selten. Bei einem Tritt gegen das Schienbein des
Angeklagten brach sich die Ehefrau mehrere Zehen. Als sie im Rahmen einer Auseinandersetzung im November
2013 auf den Angeklagten losging, konnte er sie durch Wegschubsen mühelos abwehren. Überhaupt war der Angeklagte seiner Ehefrau bei ihren wenigen körperlichen Attacken stets überlegen.
2. Am Abend des 29. November 2013 brachte der Angeklagte die beiden Kinder zu Bett. Da der Sohn nicht sogleich
einschlafen konnte, legte sich der Angeklagte zu ihm ins Bett, schlief dabei aber selbst ein. Dies nahm seine Ehefrau,
die ihn später weckte, zum Anlass, ihm vorzuwerfen, er schlafe, um nicht mit ihr über ihre gemeinsamen Eheprobleme reden zu müssen. Es entwickelte sich ein heftiger, zunächst mit Worten geführter Streit zwischen den Eheleuten. Dabei beschimpfte die Ehefrau den Angeklagten als „Schlappschwanz“ und „elendigen Hund“, außerdem sei
seine ganze Familie „behindert“. Da ein Versuch des Angeklagten, einen gemeinsamen Bekannten, der bereits bei
früheren Auseinandersetzungen als Schlichter tätig geworden war, zu erreichen, scheiterte, wurde der Streit weiter
fortgesetzt. Gegen 4.00 Uhr des Folgetages ging die Ehefrau schreiend auf den Angeklagten los und versuchte, diesen mit der Faust gegen den Oberkörper zu schlagen. Diesen Angriff konnte er, ebenso wie einen sich anschließenden durch Wegschubsen abwehren. Bei dem dritten Mal gelang es der Ehefrau, das T-Shirt des Angeklagten zu ergreifen und diesen an der Brust zu kratzen. In diesem Moment verlor wegen des Kratzens der durch die wochenlangen Streitigkeiten und Beschimpfungen zermürbte sowie wegen des begleitenden Schlafmangels – die Streitigkeiten
setzten häufig nach dem Ende der Spätschicht des Angeklagten ein – übermüdete Angeklagte die Fassung (UA S.
14). Bei ihm trat ein Affekt auf, der dazu führte, dass er seine Ehefrau nicht erneut wegschubste, sondern deren Hals
mit seinen beiden Händen fest umfasste. Er drückte zu, so dass seine Ehefrau nach etwa 8 Sekunden bewusstlos
wurde und in sich zusammensackte. Obwohl der Angeklagte wusste, dass er damit ihren Tod herbeiführen würde,
ging er mit ihr zu Boden und drückte ihren Hals noch wenigstens drei Minuten lang zu, bis sie tot war. Durch die
Einwirkung brach das rechte Zungenbein der Ehefrau. Ihr Tod trat durch Ersticken ein (UA S. 15). Nachdem der
Angeklagte den Tod seiner Ehefrau realisiert hatte, verbrachte er die Leiche in den Keller, um den eventuell aufwachenden Kindern den Anblick der toten Mutter zu ersparen. Im Verlaufe des Nachmittags offenbarte er zunächst
seiner Schwester die Tötung der Ehefrau. Später stellte er sich der Polizei.
3. Das sachverständig beratene Landgericht hat einen sich als tiefgreifende Bewusstseinsstörung erweisenden affektiven Ausnahmezustand (UA S. 47) bei dem Angeklagten angenommen. Dieser Zustand wurde auch durch das bewusstlose Zusammensacken der Getöteten nicht aufgehoben. Aufgrund des Affekts war bei erhalten gebliebener
Einsichtsfähigkeit die Fähigkeit des Angeklagten, sich entsprechend dieser Einsicht zu steuern, erheblich vermindert.
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4. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß § 213
StGB geprüft, dessen Voraussetzungen aber sowohl im Hinblick auf eine vorausgegangene Provokation gemäß § 213
Alt. 1 StGB als auch einen allgemeinen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB verneint. Geringfügige Verletzungen, wie sie dem Angeklagten hier von der Ehefrau zugefügt wurden, erreichten nicht die für eine „Misshandlung“ erforderliche Erheblichkeit. Gleiches gelte für eine in dem Verhalten der getöteten Ehefrau möglicherweise
liegende „seelische Misshandlung“. Es hat zudem die während der verbalen Auseinandersetzung geäußerten Beleidigungen nicht als schwer im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB bewertet. Maßgebend sei eine Beurteilung aufgrund einer
Gesamtwürdigung nach objektivem Maßstab unter Berücksichtigung der Gesamtbeziehung von Täter und Opfer. In
seiner Gesamtwürdigung hat das Tatgericht vor allem auf den Inhalt der in den zahlreichen vorausgegangenen Streitigkeiten erfolgten, den Angeklagten herabwürdigenden Äußerungen der Ehefrau abgestellt. Vor diesem Hintergrund
verlören die in der Tatnacht getätigten, zudem im Streit geäußerten Beleidigungen an Gewicht. Ein minder schwerer
Fall gemäß § 213 Alt. 2 StGB ist vom Landgericht ebenfalls in Betracht gezogen worden. Auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes aus § 21 StGB hat es einen solchen verneint, den Strafrahmen des § 212 Abs.
1 StGB jedoch gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert.
II. Die nachträglich beschränkte Revision hat keinen Erfolg. Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
1. Die durch den dazu ausdrücklich ermächtigten (§ 302 Abs. 2 StPO) Wahlverteidiger in der Revisionshauptverhandlung erklärte, als Teilrücknahme zu wertende Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch, der die
Vertreterin des Generalbundesanwalts zugestimmt hat (§ 303 Satz 1 StPO), ist wirksam. Die Beschränkung bezieht
sich ungeachtet der Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten auf einen Beschwerdepunkt, der von dem nicht angefochtenen Schuldspruch unabhängig beurteilt werden kann. Das angefochtene Urteil
enthält, was einer wirksamen Beschränkung entgegenstehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2001 – 2
StR 500/00, BGHSt 46, 257, 259), keine Anhaltspunkte für eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags hinsichtlich beider Varianten des § 213 StGB ohne Rechtsfehler verneint.
a) Die von der Revision beanstandete Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall
vorliegt (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 – 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.), ist grundsätzlich Sache
des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung
von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im
Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Urteile vom 30. November 1971 – 1 StR
485/71, BGHSt 24, 268; vom 29. Juni 1991 – 3 StR 145/91, BGHR StGB § 1, Gesamtwürdigung 7; BGH, Beschluss
vom 18. Dezember 2007 – 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 146 mwN). Das
Revisionsgericht darf die der Entscheidung des Tatrichters über das Vorliegen eines minder schweren Falls zugrunde
liegende Wertung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich daraufhin überprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (siehe BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 – 5 StR 530/07, NStZ-RR 2008, 310 f.). Diese
Grundsätze über den für das Revisionsgericht geltenden Prüfungsmaßstab gelten nicht nur für die tatrichterliche
Beurteilung des unbenannten minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB, sondern auch für die in § 213 Alt. 1
StGB benannten Konstellationen minder schwerer Fälle. Denn bei § 213 StGB insgesamt und nicht lediglich bei
seiner zweiten Alternative handelt es sich um eine Strafzumessungsregel (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1966 – 2
StR 525/65, BGHSt 21, 14, 15; siehe auch Beschluss vom 12. Oktober 1977 – 2 StR 410/77, BGHSt 27, 287, 289; H.
Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 4, § 213 Rn. 1 mwN).
b) Derartige der Revision zugänglichen Rechtsfehler bei der Anwendung von § 213 StGB weist das angefochtene
Urteil nicht auf.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können lediglich solche dem späteren Täter zugefügten Misshandlungen die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 1 StGB begründen, die nach ihrem Gewicht
und den Umständen des Einzelfalls geeignet sind, die „Jähtat als verständliche Reaktion“ auf das provozierende
Verhalten des Opfers der nachfolgenden Tötungstat erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 4
StR 37/95, NJW 1995, 1910, 1911; BGH, Urteil vom 4. Mai 1995 – 5 StR 213/95, NStZ 1996, 33; vgl. auch BGH,
Urteil vom 1. August 1996 – 5 StR 214/96, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 5; aber auch Senat, Urteil vom
4. Dezember 1990 – 1 StR 577/90, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 3). Diese Voraussetzungen können
selbst bei einer lediglich versuchten Körperverletzung gegeben sein (BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 4 StR
- 140 -
37/95, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; Urteil vom 1. August 1996 – 5 StR 214/96, BGHR StGB § 213
Alt. 1 Misshandlung 5). Da sich die Tötungstat jedoch als „verständliche Reaktion“ auf die vorausgegangene Misshandlung durch das spätere Opfer erweisen muss, werden eingetretene oder drohende lediglich geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Täters des Tötungsdelikts regelmäßig keine Misshandlung im
Sinne von § 213 Alt. 1 StGB begründen können (Senat, Urteil vom 19. Februar 1991 – 1 StR 659/90, BGHR StGB §
213 Alt. 1 Beleidigung 6 „nur erhebliche Beeinträchtigungen“; vgl. auch Jähnke in Leipziger Kommentar zum StGB,
11. Aufl., Band 5, § 213 Rn. 4; H. Schneider aaO § 213 Rn. 13 mwN). Dem entsprechend hat der Bundesgerichtshof
bereits entschieden, dass es der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen von § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung des menschlichen Lebens gebieten, die Anforderungen an das der Tat vorausgehende Opferverhalten und auch an die auf die tatauslösende Situation zulaufende Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 2011 – 5 StR
266/11 Rn. 10; Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339 f.; vom 8. Juli 2014 – 3 StR
228/14 Rn. 5). An diesem Gebot hat sich trotz der Verschärfung des Strafrahmens von § 213 StGB durch das Sechste
Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) nichts geändert (Senat, Beschluss vom 15. Januar 2002 – 1 StR 548/01, NStZ-RR 2002, 140 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 9. Juli 1998 – 4
StR 136/98). Ob nach den vorgenannten Grundsätzen eine Misshandlung gegeben ist, hat der Tatrichter auf der
Grundlage einer Gesamtwürdigung aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der
bisherigen Täter-Opfer-Beziehung und der damit verbundenen Motivationsgenese, zu beurteilen (siehe BGH, Urteil
vom 1. September 2011 – 5 StR 266/11 Rn. 10 mwN).
(1) An diesen Maßstäben gemessen hält die Bewertung des Tatgerichts, es fehle an einer der Tötungstat vorausgehenden und diese auslösenden erheblichen Misshandlung seitens der später getöteten Ehefrau sachlich-rechtlicher
Prüfung stand. Das Landgericht hat mit einer Gesamtwürdigung bei objektivem Maßstab unter Einbeziehung der
Gesamtbeziehung von Täter und Opfer den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt gewählt. Dass es eine gewisse
Erheblichkeit der „Misshandlung“, sowohl unter dem Aspekt der körperlichen als auch der seelischen Beeinträchtigung, für erforderlich gehalten hat, ist ersichtlich nicht zu beanstanden.
(2) Der Senat besorgt auch nicht, dass das Tatgericht seiner Beurteilung des Vorliegens einer Misshandlung rechtsfehlerhaft lediglich die unmittelbar der Tötung vorausgehende Attacke der Ehefrau auf den Angeklagten zugrunde
gelegt hat. Wie die Revision und der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hervorheben, kann §
213 Alt. 1 StGB auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die tatauslösende Misshandlung für sich allein genommen, zwar keine „schwere Unbill“ darstellt, sie aber gleichsam nur der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen
bringt (Senat, Urteil vom 4. Dezember 1990 – 1 StR 577/90, StV 1991, 105 f. mwN; siehe auch bzgl. einer vorangegangenen Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 – 3
StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340 mwN; vom 8. Juli 2014 – 3 StR 228/14 Rn. 5). Nach dieser Rechtsprechung ist es
daher geboten, in die ohnehin erforderliche Gesamtwürdigung auch in der Vergangenheit liegende Vorgänge als
mitwirkende Ursachen einzubeziehen (BGH, jeweils aaO). Auch wenn das Landgericht sich bezüglich einer tatauslösenden Misshandlung nicht ausdrücklich auf die vorgenannten Anforderungen bezogen hat, vermag der Senat nach
dem Gesamtzusammenhang des Urteils auszuschließen, dass dem Tatrichter die Berücksichtigung früherer Misshandlungen im Rahmen der Gesamtwürdigung aus dem Blick geraten ist. Es hat nicht nur die Entwicklung der Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau einschließlich der jedenfalls im Jahr 2013 in der Intensität
deutlich zunehmenden Spannungen und Streitigkeiten festgestellt. Vielmehr verhält sich das angefochtene Urteil
auch zu den wenigen früheren Streitigkeiten der Eheleute, bei denen es über die verbale Auseinandersetzung hinaus
zu Tätlichkeiten gekommen ist (UA S. 11 unten und S. 12). In diesem Zusammenhang werden die von Seiten der
Ehefrau unternommenen seltenen und nicht intensiven körperlichen Angriffe ebenso beschrieben wie die Fähigkeit
des Angeklagten, sich dieser Attacken mühelos zu erwehren. Da das Landgericht zudem rechtlich zutreffend von der
Berücksichtigung der Gesamtbeziehung zwischen Täter und Opfer ausgeht, lässt sich nicht annehmen, es habe zunächst dazu umfassende Feststellungen getroffen, die dann im Rahmen der Strafzumessung bei der Frage der Anwendung von § 213 StGB unbeachtet geblieben seien.
bb) Aus entsprechenden Gründen halten auch die Erwägungen des Landgerichts zum Fehlen einer tatauslösenden
schweren Beleidigung revisionsrechtlicher Prüfung stand.
(1) Die Revision und der Generalbundesanwalt zeigen im rechtlichen Ausgangspunkt übereinstimmend zutreffend
auf, dass auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer „schweren Beleidigung“ im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB
nicht allein auf die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen stehenden Vorgänge abzustel-
- 141 -
len ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vielmehr eine „Ganzheitsbetrachtung“ erforderlich, die in der Vergangenheit liegende Vorgänge als „mitwirkende Ursachen“ mit einbezieht. Die Voraussetzungen von § 213 Alt. 1 StGB können demnach auch dann erfüllt sein, wenn zwar das Verhalten des Tatopfers vor der
Tat isoliert betrachtet „keine schwere Beleidigung darstellt, dennoch aber den Täter zum Zorn reizte und auf der
Stelle zur Tat hinriss, weil es nach einer ganzen Reihe von Kränkungen gleichsam nur noch der Tropfen war, der das
Faß zum Überlaufen brachte.“ (siehe nur Senat, Beschlüsse vom 11. Juni 1996 – 1 StR 300/96, StV 1998, 131; vom
21. Mai 2004 – 1 StR 170/04, NStZ 2004, 631 f.; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10, NStZ
2011, 339, 340; Urteil vom 1. September 2011 – 5 StR 266/11 Rn. 10 jeweils mwN; Beschluss vom 8. Juli 2014 – 3
StR 228/14 Rn. 5; Fischer aaO § 213 Rn. 5 aE mit zahlr. Nachweisen). In die erforderliche Gesamtbewertung sind
alle Umstände einzubeziehen, die dem konkreten Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Provokation durch das
spätere Tatopfer sein Gepräge geben (Senat, Urteil vom 10. Oktober 1989 – 1 StR 239/89, BGHR StGB § 213 Alt. 1
Beleidigung 5).
(2) Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Das Landgericht hat ausdrücklich eine objektive Bewertung der seitens der Ehefrau geäußerten Beleidigungen unter „Berücksichtigung der Gesamtbeziehung von Täter und Opfer“
(UA S. 54) zugrunde gelegt. Die Feststellungen zeichnen die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau insgesamt ausführlich und sorgfältig nach (UA S. 7-12). Das umfasst vor allem die ab
2011 einsetzenden Streitigkeiten in der Ehe und deren zunehmende Eskalation seit Februar 2013. Zudem stellt das
Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung den Inhalt der Streitigkeiten ab November 2013 mittels der von den
beiden Beteiligten jeweils gefertigten Aufzeichnungen per Mobiltelefon im Einzelnen dar (UA S. 33-37). Dazu gehören auch die von der Ehefrau in diesen verbalen Auseinandersetzungen geäußerten Beleidigungen gegenüber dem
Angeklagten. Den ausführlich dokumentierten Inhalt der früheren Streitigkeiten hat das Landgericht in die ihm obliegende Bewertung des Schweregrades der der Tötungstat unmittelbar vorausgegangenen Beleidigungen einbezogen. Da es sich ausdrücklich mit der Bedeutung der früheren Herabwürdigungen für die tatunmittelbaren Äußerungen befasst hat, vermag der Senat auch insoweit auszuschließen, dass das Tatgericht den Aspekt eines sich zu einer
schweren Beleidigung aufsummierenden, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Geschehens wiederholter
Kränkungen aus dem Blick verloren haben könnte. Der rechtliche Ausgangspunkt des Tatgerichts, die Schwere der
der Tat vorausgehenden Beleidigungen unter Berücksichtigung der früheren kränkenden Äußerungen zu beurteilen,
ist als solcher ebenfalls rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 1994 – 2 StR 382/94). Hat aber der
Tatrichter den für die Beurteilung des Vorliegens eines minder schweren Falls rechtlich zutreffenden Maßstab gewählt, unterliegt die Wertung als solche, ob sich die geäußerten Beleidigungen unter Berücksichtigung des Gesamtgeschehens als schwer im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB erweisen, nicht der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl.
Senat, Urteil vom 19. Februar 1991 – 1 StR 659/90, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 6 bzgl. der Bewertung
eines Fußtritts als erhebliche Misshandlung). Teil dieser dem Tatrichter obliegenden Wertung ist es auch, die Bewertungsrichtung der festgestellten konkreten Umstände (unter Einschluss der dem eigentlichen Tötungsgeschehen vorausgehenden) zu bestimmen und auf dieser Grundlage das Vorliegen der benannten Milderungsgründe aus § 213
Alt. 1 StGB zu beurteilen. Es ist dem Revisionsgericht verwehrt, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des
Tatrichters zu setzen.
cc) Ob die Voraussetzungen von § 213 Alt. 1 StGB im Einzelfall aufgrund einer Kumulation von vorausgehender
Misshandlung und schwerer Beleidigung verwirklicht werden können (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 1991 – 1
StR 659/90, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 6), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen und der Beweiswürdigung des Tatgerichts, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift
zutreffend hinweist, bildete der der Tötungstat vorausgehende körperliche Übergriff den unmittelbaren Auslösereiz
für den affektiven Ausnahmezustand des Angeklagten (UA S. 14 und S. 48). Beruht nach diesen rechtsfehlerfreien
Feststellungen der die Tötungstat auslösende Zorn des Angeklagten auf dem körperlichen Angriff durch die Ehefrau
und nicht auf vorangegangenen Beleidigungen, hätte die Anwendung von § 213 Alt. 1 StGB weder auf das Vorliegen
schwerer Beleidigungen als solcher noch auf das Zusammenwirken von solchen und Misshandlungen gestützt werden können. Maßgeblich sind nämlich nur diejenigen Motive des Täters, die in der Tatsituation einen beherrschenden
Einfluss auf den Täter gehabt haben (vgl. Schneider aaO § 213 Rn. 31). War aber eine für § 213 Alt. 1 StGB nicht
ausreichend erhebliche Misshandlung der eigentliche Auslösereiz des Affekts, kann nicht auf eine im Motivbündel
nur untergeordnete Reizung durch eine (schwere) Beleidigung abgestellt werden (siehe insoweit BGH, Beschluss
vom 22. April 2004 – 4 StR 48/04, NStZ 2004, 500 f. mwN).
- 142 -
dd) Die Verneinung eines sonst minder schweren Falls gemäß § 213 Alt. 2 StGB hält ebenfalls sachlich-rechtlicher
Prüfung stand.
(1) Das Landgericht ist von der gebotenen Gesamtbewertung aller relevanten Umstände (Fischer aaO § 213 Rn. 12;
H. Schneider aaO § 213 Rn. 49 jeweils mwN) ausgegangen. In diese hat es zugunsten des Angeklagten die jeweils
nicht die Schwelle von § 213 Alt. 1 StGB erreichenden Misshandlungen bzw. Beleidigungen durch die später getötete Ehefrau einbezogen und den minder schweren Fall zunächst ohne Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes aus § 21 StGB geprüft. Die zu Lasten des Angeklagten wirkende Erwägung des Tatrichters, er habe „seinen
zwei kleinen Kindern, die aufgrund ihres jungen Alters von nur ein und vier Jahren der mütterlichen Zuwendung in
besonderem Maß bedürfen, durch die Tat die Mutter“ genommen (UA S. 54 f.), ist nicht rechtsfehlerhaft und verstößt insbesondere nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Das Tatgericht hat erkennbar
nicht auf das mit nahezu jeder Tötung einhergehende Leid der Angehörigen und dem schmerzlichen Verlust einer
Bezugsperson abgestellt. Vielmehr hat es in rechtlich fehlerfreier Weise das spezifische Alter von Sohn und Tochter
der Getöteten in den Blick genommen und damit auf eine zulässige einzelfallbezogene Differenzierung nach der
Bedeutung des Vorhandenseins der getöteten Bezugsperson für die konkreten Angehörigen abgestellt. Damit erschöpft sich die Erwägung gerade nicht in der Heranziehung einer typischen Tatfolge eines Tötungsdelikts.
(2) Gleiches gilt auch für die weitere Strafzumessungserwägung, die beiden Kinder litten erheblich unter dem Verlust der Mutter. Das Landgericht hat damit auf die im konkreten Fall bewirkten verschuldeten Auswirkungen der Tat
(§ 46 Abs. 2 StGB) abgestellt, die bei beiden Kindern eingetreten sind. Deren Eintritt hat das Tatgericht mit der bei
der Tochter weiterhin erfolgenden psychologischen Betreuung mit Feststellungen unterlegt. Dass es dabei die in der
Beweiswürdigung ausdrücklich dargestellte zwischenzeitliche Besserung des Zustands der Tochter aus dem Blick
verloren haben könnte, ist nicht zu besorgen. Ohne Rechtsfehler hat das Tatgericht das Leiden der Kinder unter dem
Verlust der Mutter als verschuldete Auswirkungen der Tat gewertet. Dem steht die Begehung der Tat im Zustand der
durch einen Affekt bewirkten erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht entgegen.
Da seine Einsichtsfähigkeit insgesamt erhalten geblieben ist und er – wie sich sowohl aus dem festgestellten allgemeinen Umgang mit den Kindern als auch aus seinem Nachtatverhalten (Verbringen der Leiche in den Keller, um
ihnen den Anblick der toten Mutter zu ersparen) ergibt – um deren Wohl besonders bemüht war, waren die eingetretenen Tatfolgen für ihn vorhersehbar.
(3) Angesichts der rechtsfehlerfreien strafschärfenden Berücksichtigung der vorstehend erörterten Umstände bestehen auch keine rechtlichen Bedenken gegen die Verneinung eines sonstigen minder schweren Falls selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes gemäß § 21 StGB. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters zwischen dem Strafrahmen aus § 213 StGB und dem über § 49 Abs. 1 StGB (hier in Verbindung
mit § 21 StGB) gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zu wählen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 2.
November 1983 – 2 StR 492/83, NStZ 1984, 118; Fischer aaO § 213 Rn. 19 mwN). Hat das Tatgericht wie hier sein
Ermessen ohne Rechtsfehler ausgeübt, hat das Revisionsgericht die Würdigung als solche hinzunehmen, mag auch
eine andere ebenfalls in Betracht gekommen sein.
3. Die konkrete Strafzumessung weist keine den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Wie bereits ausgeführt [II.2.b)dd)] durfte das Landgericht die Auswirkungen der Tat auf die beiden Kinder strafschärfend berücksichtigen.
4. Unter den konkreten Umständen des Einzelfalls hätte sich im Übrigen selbst eine rechtsfehlerhafte Ablehnung von
§ 213 StGB nicht auf die Strafzumessung ausgewirkt. Da nach den Feststellungen hier zwischen den vorausgegangenen Kränkungen bzw. Tätlichkeiten und dem affektiven Ausnahmezustand eine enge Verbindung bestand, sie also
auf dieselbe Wurzel zurückzuführen sind (siehe etwa BGH, Beschlüsse vom 30. April 1991 – 4 StR 140/91, NStE
Nr. 24 zu § 213 StGB, vom 24. Oktober 2012 – 5 StR 472/12, NStZ 2013, 341 mwN), hätte eine weitere Milderung
des Strafrahmens von § 213 StGB über §§ 21, 49 StGB nicht erfolgen können.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO, diejenige über die notwendigen Auslagen aus einer
entsprechenden Anwendung von § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO.
- 143 -
StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung Schutzbef. Beweiswürdigung
BGH, Beschl. v. 24.02.2015 - 4 StR 11/15 - BeckRS 2015, 06440
Zur Auslegung des § 225 Abs. 1 StGB.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 24. Februar 2015 gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014
gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 mit den
Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen verurteilt
worden ist, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen und wegen Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des
Angeklagten, die er – verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist – auf die Sachrüge stützt. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Die Revision führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener und der Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Dem Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 27. Januar 2015 dargelegten
Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren.
Damit ist der das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung in
24 Fällen zum Nachteil seiner früheren Ehefrau richtet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat sie hinsichtlich der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen Erfolg.
a) Insofern begegnet schon die Beweiswürdigung zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
aa) Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den
Schluss auf das festgestellte Geschehen zulassen müssen. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa
nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. März 2000 – 3 StR 585/99; vom 12. Dezember 2001 – 5 StR
520/01, StV 2002, 235; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 38, § 337 Rn. 26 jeweils mwN).
bb) Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungen zu den Misshandlungen der
Kinder J. und R. nicht gerecht. Nach den insofern getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte in den Jahren
2008 bis 2011 (auch) diese Kinder „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche, überwiegend mit der flachen Hand
auf das Gesäß, aber auch in das Gesicht, außerdem mit den Fäusten auf den Körper, so dass die Kinder erhebliche
Schmerzen, Blutergüsse, Schwellungen und Nasenbluten erlitten“ (UA S. 11); darüber hinaus schloss der Angeklagte
die Kinder mehrfach in ihrem Zimmer ein (UA S. 12). Konkrete Ereignisse zum Nachteil dieser Kinder teilen die
Urteilsfeststellungen – anders als bei E. und Ja. – nicht mit. Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, seine Kinder etwa
jeden dritten Monat „mal“ mit der flachen Hand geschlagen zu haben, alle anderen Vorwürfe bestreitet er indes.
Seine Überzeugung, dass der Angeklagte (auch) J. und R. misshandelt habe, stützt die Strafkammer im Wesentlichen
auf die Angaben der früheren Ehefrau des Angeklagten, wonach dieser „sie und die Kinder oft geschlagen“ habe,
„die Kinder hätten drei- bis viermal in der Woche Schläge bekommen, zeitweise auch täglich“, dabei habe es „ordentlich gerumst“ (UA S. 15); J. und R. hätten „auch mal einen ‚Klaps auf den Arsch‘ und auch mal eine flache
Hand ins Gesicht bekommen“ (UA S. 15 und 18). Auf Grund dieser hinsichtlich der Häufigkeit und der Art sowie
der Intensität der Schläge widersprüchlichen, zudem Faustschläge auf den Körper, die auch bei J. und R. zu „erhebli-
- 144 -
chen Schmerzen, Blutergüssen, Schwellungen und Nasenbluten“ geführt haben, nicht bestätigenden Angaben der
Zeugin ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Strafkammer die Feststellungen zu diesen Misshandlungen von J. und R. getroffen hat. Die Feststellungen hierzu werden auch nicht dadurch plausibel, dass der damals drei
bis sechs Jahre alte Ja. bestätigt hat, dass „auch alle anderen Geschwister“ vom Angeklagten geschlagen worden
seien (UA S. 21) und ein (lediglich) verlesener Bericht des Jugendamts mitteilt, dass im Kindergarten bemerkt worden sei, dass J. häufig blaue Flecken gehabt und dazu einmal geäußert habe, dass ihr Vater sie geschlagen und getreten habe (UA S. 23). Denn insbesondere hinsichtlich der häufigen blauen Flecke kann Bedeutung haben, dass die
Zeugin selbst eingeräumt hat, ihre Kinder – auch mit einem Kochlöffel – geschlagen zu haben (UA S. 19).
b) Im Übrigen begegnet aber – hinsichtlich aller vier Fälle – die rechtliche Bewertung der Misshandlungen der Kinder durch den Angeklagten als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Diese rechtliche Bewertung stützt die Strafkammer neben den „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ alle
vier Kinder betreffenden Schlägen sowie dem Einsperren für den Tatzeitraum von 2008 bis 2011 konkret lediglich
auf einen Vorfall zum Nachteil von Ja. und E. (Schläge auf das Gesäß, so dass diese kaum mehr laufen konnten) und
vier weitere Vorfälle zum Nachteil von Ja. (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel, Schlag
des Kopfes von Ja. gegen eine Wand, Verabreichen von Bier).
bb) Damit ist ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt.
(1) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen
hinausgehen. Mehrere Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225
Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige
Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB
verwirklichenden Tat zusammengefasst. Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden
Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei
erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche
Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren. In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei
jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen,
die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden
sind (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 m. Anm. Renzikowski/Sick mwN).
(2) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen vier Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne
von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass
die Gewalthandlungen jeweils zu länger andauernden Schmerzen geführt haben, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind; als Folgen der Misshandlungen hat es vielmehr „Verhaltensauffälligkeiten“ bei allen Kindern und eine posttraumatische Belastungsstörung bei Ja. aufgeführt. Soweit das
Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst
durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist,
begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten „Einzeltaten“ zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig
voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren
Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer
Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt; mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden
werden können (BGH aaO). Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts, wonach der Angeklagte von
2008 bis 2011 „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ seine Kinder geschlagen hat, mag zwar ausreichen, um
objektiv die Annahme einer sich über vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen, sie
ist aber für sich genommen nicht geeignet, auch die innere Tatseite einer Handlungseinheit tragfähig zu belegen.
Denn nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, „seine Wut abzureagieren“ (UA S. 11). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu
Grunde lag. Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen
hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
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c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die rechtliche Würdigung der Strafkammer auch, soweit sie bei
Ja. neben dem Quälen den Tatbestand der rohen Misshandlung (§ 225 Abs. 1 StGB) bejaht. Insofern verweist das
Landgericht zwar auf drei der Misshandlungen des Kindes (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem
Kochlöffel, Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand), die Ausführungen lassen es aber als jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, dass es dabei – zumal es hinsichtlich Ja. lediglich eine Misshandlung Schutzbefohlener angenommen hat – davon ausgegangen ist, die drei Körperverletzungen seien erst in ihrer Gesamtheit als eine rohe Misshandlung zu bewerten. Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatalternative des § 225 Abs. 1 StGB jedoch stets
auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 5 StR 44/07, NStZ
2007, 405).
StGB § 228, 231 Verabredeten Schlägerei
BGH, Urt. v. 22.01.2015 - 3 StR 233/14 -NJW 2015, 1540 = NStZ 2015, 270
LS: Zur Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen im Rahmen von verabredeten Schlägereien.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 13. November 2014 in der Sitzung am
22. Januar 2015 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten L., R. und P. gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. April 2013,
a) wird das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten R. und P. im Fall III. C der Urteilsgründe wegen Landfriedensbruchs, der Angeklagte P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, verurteilt worden sind;
die insoweit angefallenen Kosten des Verfahrens und die diesen Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen
Auslagen fallen der Staatskasse zur Last;
b) werden die Schuldsprüche des vorgenannten Urteils dahin geändert und neu gefasst, dass der Angeklagte L. der
Rädelsführerschaft, die Angeklagten R. und P. jeweils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig
sind,
- der Angeklagte L. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen
Körperverletzung;
- der Angeklagte P. dazu in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung;
c) wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben, soweit es die Angeklagten L., R. und P. betrifft. Die
insoweit getroffenen Feststellungen bleiben jedoch aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten L., R. und P. sowie die Revisionen der Angeklagten N. und K.
werden verworfen, letztere mit der Maßgabe, dass der Angeklagte K. der Rädelsführerschaft in einer kriminellen
Vereinigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist. Die Angeklagten K. und N. haben die
Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden, die Angeklagten L. und P. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in
weiterer Tateinheit mit Landfriedensbruch, die Angeklagten K. und N. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie den Angeklagten R. in Tateinheit mit Landfriedensbruch. Es hat deswegen gegen den Angeklagten L.
eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, gegen den Angeklagten R. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, gegen den Angeklagten K. eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, gegen den Angeklagten P. eine Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und fünf Monaten sowie gegen den Angeklagten N. eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen
zu je 20 € verhängt. Gegen ihre Verurteilungen richten sich die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen
Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht durch. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die
Sachrüge führt zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg der Rechtsmittel der Angeklagten L., R.
und P.. Im Übrigen sind ihre Revisionen - ebenso wie diejenigen der Angeklagten K. und N. - unbegründet.
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Die Angeklagten gehörten einer Gruppierung an, die sich
spätestens Ende 2007 bildete und unter den Namen "Hooligans Elbflorenz", "Ackerbande", "Extremsportgruppe",
- 146 -
"Boxclub Dynamo" und "die Dresdner" bekannt war. Intern verwendeten die Mitglieder auch die Bezeichnung "Rasselbande". Den Kern der Gruppierung bildeten ehemalige und aktive Fußballhooligans, also Personen, die aus Anlass
von Fußballspielen oder im Zusammenhang mit Fußball Gewalttätigkeiten verüben. Ziel war es, eine Vormachtstellung in der Dresdner Hooliganszene zu erlangen und allgemein als Macht im Raum Dresden zu erscheinen. Das
daraus resultierende Bedürfnis nach Abgrenzung von anderen Gruppierungen nahm seit dem Sommer 2009 zu. Es
wurde unter anderem die Ausstattung der Gruppenmitglieder mit Nottelefonen zur gegebenenfalls erforderlichen
schnellen Mobilisierung beschlossen und die Beschaffung von einheitlichen schwarzen Fleece-Jacken mit den Aufschriften "Eastside Dresden" und "Ackerbande" vorbereitet, deren Erwerb nicht zwingend, aber nur Mitgliedern
möglich sein sollte. Schon zuvor waren die Mitglieder der Gruppierung in der Öffentlichkeit in einheitlichen T-Shirts
aufgetreten, um ihre Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. Entsprechende gemeinsame Unternehmungen, sogenannte Hoolstreffen, waren teilweise verpflichtend in dem Sinne, dass die Nichtteilnahme zum Ausschluss von zukünftigen Veranstaltungen führen konnte. Seit November 2008 fanden regelmäßig, zweimal bis dreimal im Monat,
Zusammenkünfte statt, bei denen gruppenrelevante Themen besprochen wurden. An der Spitze der Gruppierung
stand der Angeklagte L.. Er traf im Wesentlichen die Absprachen mit anderen Hooligan-Gruppen zu körperlichen
Auseinandersetzungen und entschied regelmäßig über gemeinsame Veranstaltungen. Gegen seinen Willen wurden
keine Aktionen unternommen. Insbesondere kam ihm bei der Frage der Aufnahme eines neuen Mitglieds innerhalb
des Führungspersonals die wesentliche Entscheidungskompetenz zu, wobei der "Nachwuchs" zum einen aus dem
gewaltbereiten Anteil der Ultra-Fans der SG Dynamo Dresden e.V. rekrutiert wurde, zum anderen der Angeklagte L.
aber auch bei Boxturnieren nach geeigneten Kämpfern Ausschau hielt. Zum Führungspersonal gehörten darüber
hinaus die Angeklagten R. und K.. Ersterer leitete seine Autorität aus der engen Freundschaft zum Angeklagten L.
und seiner Eigenschaft als sogenannter Alt-Hool ab - diese Personen genießen wegen ihrer früheren Taten ein hohes
Ansehen und werden dementsprechend von jüngeren Hooligans nicht hinterfragt. Beim Angeklagten K. handelte es
sich um den Führer des "Jungsturms", der Gruppe der jüngeren Hooligans, die auch unter diesem Namen in der Jugend- und Fußballszene in Dresden auftrat. Er war in den einschlägigen Kreisen aus seiner früheren aktiven Fußballzeit und seiner Tätigkeit als Türsteher bekannt und gefürchtet. Zum "Jungsturm" gehörten unter anderem auch die
Angeklagten P. und N., wobei letzterer erst Anfang des Jahres 2009 zu der Gruppe hinzukam. Beiden, überwiegend
jedoch dem Angeklagten P., kam im Jahr 2009 vermehrt die Aufgabe zu, Aufträge der Angeklagten L. und K. auszuführen, insbesondere Informationen in der Gruppierung durch die Versendung von Kurznachrichten zu streuen. Der
Angeklagte P. war auch für die Bestellung der Fleece-Jacken verantwortlich. Eigene Entscheidungsgewalt hatten er
und der Angeklagte N. nicht. Die Mitglieder der Gruppe einte ihre Faszination für körperliche Gewalt und eine
rechtsextreme Gesinnung, die bei den einzelnen Mitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt war, aber von allen als
Grundlage der gemeinsamen Betätigung anerkannt wurde. Man suchte die Nähe und Verknüpfung zu anderen
rechtsextremen Personenkreisen, insbesondere zu der verbotenen, jedoch fortgeführten Gruppierung "Skinheads
Sächsische Schweiz" (SSS). Die Begeisterung für Gewalt lebten die Mitglieder durch Überfälle auf gegnerische
Personen oder Personengruppen und durch verabredete körperliche Auseinandersetzungen mit Hooligan-Gruppen
anderer Städte aus, mit denen es auch zu überregional abgesprochenen Freizeitaktivitäten kam. Zur Vorbereitung auf
die Kämpfe veranstaltete die Gruppierung zunächst wöchentlich, seit Sommer des Jahres 2009 zweimal wöchentlich
Trainingsabende, für die ein fester Raum in Pi. zur Verfügung stand. Auch wenn die Teilnahme am Training, das
auch Nichtmitgliedern offenstand, für Mitglieder nicht verpflichtend war, bestand bei wiederholtem Fernbleiben
auch insoweit die Gefahr, bei zukünftigen Auseinandersetzungen nicht mehr eingesetzt zu werden. Die abgesprochenen Auseinandersetzungen mit anderen Hooligan-Gruppen fanden entweder anlässlich von Fußballspielen meist in
Stadionnähe oder - als sogenannte Drittortauseinandersetzungen - unabhängig von solchen an anderen Orten statt.
Für solche Kämpfe existieren ungeschriebene, aber unter den einschlägigen Gruppen allgemein anerkannte und im
Einzelfall modifizierte Regeln. So wird die Gruppenstärke vorher verabredet, wobei nur mit Zustimmung des in
Unterzahl antretenden Gegners ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht hergestellt werden darf. Im Verlauf eines Kampfes muss jedoch nicht Mann gegen Mann gekämpft werden, insbesondere, wenn einzelne der Gegner bereits ausgefallen sind, können sich auch mehrere Kämpfer gegen einen Gegner wenden. Frauen sind nicht zugelassen. Waffen
sind verboten, Schutzbekleidung (Mund-, Tief-, Handschutz), Mützen und Sturmhauben erlaubt. Gekämpft wird in
allen Kampfstilen, Schläge und Tritte sind mit Ausnahme des Genitalbereichs gegen alle Körperregionen - auch
gegen den Kopf - gestattet, zugleich jedoch nur das Tragen von leichtem Schuhwerk. Wer am Boden liegt und keine
Anstalten macht, sich zu erheben, oder wer sonst zu erkennen gibt, dass er nicht wieder in den Kampf eingreifen
will, darf nicht mehr angegriffen werden. Allerdings kann es trotzdem dazu kommen, dass solche Personen weiter
- 147 -
verletzt werden. Ebenso kann es in dem Kampfgeschehen zu Angriffen von hinten kommen. Die Auseinandersetzung endet, wenn alle Gegner am Boden liegen oder eine Mannschaft abdreht oder sonst die Niederlage anerkennt.
Die Kämpfe dauern in der Regel nur wenige Sekunden, höchstens Minuten. Kampfrichter, die bei Regelverstößen
und/oder Verletzungen unmittelbar eingreifen, um den Regelverstoß zu sanktionieren bzw. eine Behandlung zu ermöglichen, sind nicht vorgesehen. Teilweise werden die Kämpfe jedoch von nicht mehr selbst aktiven Hooligans
beider Gruppen als sogenannte Schiedsrichter beobachtet und Regelverstöße im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Betroffenen erörtert. Bei schweren Verfehlungen kann es dazu kommen, dass der Verursacher nicht
mehr zu Kämpfen mitgenommen wird. Unter diesen Bedingungen kam es zu folgenden Auseinandersetzungen unter
Beteiligung der Gruppierung um die Angeklagten: Am 2. November 2008 kämpften elf gegen elf auf einer asphaltierten Straße ohne weitere Zuschauer. Jeweils 15 Personen traten am 3. Mai 2009 auf einer Wiese gegeneinander an
und wirkten durch Tritte und Schläge aufeinander ein. Anlässlich eines DFB-Pokal-Spiels verabredete der Angeklagte L. am 1. August 2009 mit seinem Nürnberger Ansprechpartner einen Kampf "zwölf Mann und Fairplay". Hierzu
kam es nicht, weil die Polizei ein Aufeinandertreffen beider Gruppen verhinderte. Am 6. September 2009 schlugen
und traten im Vorfeld eines Fußballspiels jeweils 15 bis 20 Personen für etwa 45 Sekunden auf einem geschotterten
Feldweg aufeinander ein. Unter Verschleierung ihrer wahren Herkunft verabredeten die Dresdner mit Dortmunder
Hooligans ebenfalls am 6. September 2009 einen Kampf mit jeweils 30 Personen, auszutragen auf einem durch geparkte Lastkraftwagen von Zuschauern abgeschirmten Parkplatz. Als die Dortmunder die Täuschung erkannten,
flüchteten 20 von ihnen und es kämpften anschließend zehn Mann auf jeder Seite. Für den 27. September 2009 verabredete der Angeklagte L. mit Ansprechpartnern aus Moskau eine Auseinandersetzung, die in Tschechien in einem
stillgelegten Steinbruch stattfinden sollte. Die Durchführung wurde durch starke Präsenz der tschechischen Polizei
unterbunden, die von deutschen Behörden informiert worden war, die auf-grund von Telefonüberwachungsmaßnahmen Kenntnis von der geplanten Aktion hatten. Am 31. Oktober 2009 - allein dieses Ereignis hat das Landgericht als
gefährliche Körperverletzung gewertet - fand mit Frankfurter Hooligans ein sogenanntes U25-Match statt, mithin ein
Kampf, an dem nur Personen jünger als 25 Jahre teilnehmen durften. Das Aufeinander-treffen, das auf einer asphaltierten Gemeindestraße stattfand, die nur noch von Anliegern und von landwirtschaftlichem Verkehr genutzt wurde,
wurde vom Angeklagten L. verabredet und im Wesentlichen mitorganisiert. Auf Dresdner Seite kämpften überwiegend Mitglieder der Gruppe, unter anderem die Angeklagten K., P. und N. , darüber hinaus aber auch Nichtmitglieder, insgesamt 28 Mann. Einer der Kampftrainer der Gruppierung hielt eine kurze Ansprache und forderte die Kämpfer auf, fair zu bleiben. Darauf hätten die Frankfurter Wert gelegt, die ihrerseits auch fair bleiben würden. Der Kampf
wurde alsdann durch Faustschläge gegen Gesicht, Kopf und Oberkörper sowie Tritte gegen den Oberkörper geführt,
unabhängig davon, ob ein Teilnehmer stand oder zu Boden gegangen war. Bisweilen wirkten auch mehrere auf eine
Person ein; Angriffe wurden sowohl von vorn als auch von hinten geführt. Der Kampf, der vom Angeklagten L. als
Außenstehendem beobachtet und gefilmt wurde, dauerte eine Minute und 20 Sekunden. H., ein Teilnehmer auf
Frankfurter Seite, ging bereits nach wenigen Sekunden zu Boden und lag in einer gut sichtbaren Blutlache, die der
Angeklagte L. später wegwischte. Er erlitt mehrere Brüche im Bereich des Gesichts, die eine intensivmedizinische
Behandlung erforderlich machten. Der Angeklagte R., der im Vorfeld die Beschaffung eines letztlich nicht benötigten Transportfahrzeugs angeboten hatte, war an diesem Tag nicht dabei. Maximal jeweils acht Personen gingen am 7.
November 2009 anlässlich eines Fußballspiels in Jena in einem in der Innenstadt gelegenen Baustellenbereich mit
Fäusten und Tritten aufeinander los. Passanten wurden durch das Kampfgeschehen verschreckt. Neben diesen vereinbarten Auseinandersetzungen kam es ausweislich der Feststellungen noch zum folgenden Geschehen: Anlässlich
des Halbfinalspiels Deutschland gegen die Türkei im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft am 25. Juni 2008
plante der - insoweit bereits mit Urteil vom 9. März 2009 rechtskräftig wegen Landfriedensbruchs verurteilte - Angeklagte K. einen Überfall auf türkische Gastronomieeinrichtungen in der Dresdner Neustadt. Der Angeklagte L.
erteilte spätestens am 23. Juni 2008 seine Einwilligung hierzu. Dementsprechend sandte der Angeklagte K. an 77
Personen, darunter den Angeklagten P. und 17 weitere Mitglieder der Gruppierung um die Angeklagten, eine Kurznachricht, mit der er durch den Hinweis auf die gewünschte Kleidung - schwarzer Kapuzenpulli - auf die geplante
Gewaltaktion im Anschluss an das Spiel, das gemeinsam in einem bekannten Treffpunkt der Fußballszene angeschaut werden sollte, hinwies und zu einer Beteiligung aufforderte. Nach Spielende gegen 22.30 Uhr brachen etwa
50 bis 60 Personen unter der Führung des Angeklagten K. in die Neustadt auf, um dort mehrere türkische Gaststätten
anzugreifen. Dieser Plan war spätestens zu diesem Zeitpunkt den anwesenden Gruppenmitgliedern, darunter die
Angeklagten L., R. und P., bekannt und wurde durch diese gebilligt. Neben Mitgliedern der Gruppierung nahmen
Personen aus der Türsteherszene, möglicherweise auch aus dem Umfeld der Ultra-Fans und der SSS teil. Die Autori-
- 148 -
tät des Angeklagten K. als Anführer wurde dadurch gestärkt, dass ihn die Angeklagten R. und L. begleiteten. Letzterer verließ indes die anderen Beteiligten noch im Bereich der Altstadt, wurde aber kurz vor Beginn des Angriffs
hiervon vom Angeklagten R. telefonisch in Kenntnis gesetzt. In der Neustadt angekommen vermummte sich die auf
etwa 80 bis 100 Personen angewachsene Gruppe durch tiefsitzende Kapuzen oder Sonnenbrillen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch der Angeklagte P. Teil der Menschenmenge; dass er eigenhändig Gewalt gegen Personen
oder Sachen anwendete, hat die Strafkammer indes nicht feststellen können. Kurz nach 23.30 Uhr gab der Angeklagte K. das Zeichen zum Angriff. Bis 23.39 Uhr wurden die Scheiben dreier türkischer Gastronomiebetriebe mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen und die Außenbestuhlung umgeworfen. Es gelang den Angreifern, in das
Innere eines Döner-Restaurants einzudringen und die Einrichtung zu beschädigen. Insgesamt entstand Sachschaden
in Höhe von rund 15.000 €. Darüber hinaus wurden mehrere Gäste geschlagen, einer verlor dadurch einen Eckzahn
und musste zwei Tage stationär behandelt werden. Einem Mitarbeiter wurde eine volle Flasche auf den Hinterkopf
geschlagen, wodurch er eine blutende Platzwunde erlitt. Dieser Angestellte musste aufgrund des Gesamtgeschehens
für ein Jahr psychologische Behandlung in Anspruch nehmen. Nach Durchführung von Durchsuchungs- und Festnahmemaßnahmen am 14. Dezember 2009 waren weitere Aktivitäten der Gruppe nicht mehr zu beobachten.
II. Das Landgericht hat das Geschehen am 25. Juni 2008 hinsichtlich der Angeklagten L., R. und P. jeweils als einen
besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a Satz 2 Nr. 4 StGB, beim Angeklagten L. zusätzlich
nach § 125a Satz 1 StGB, gewürdigt. Tateinheitlich hierzu hätten sich die Angeklagten L. und P. der gefährlichen
Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Den Schlag mit der Flasche hat es
den Angeklagten nicht zugerechnet, sondern als Mittäterexzess gewertet. Ebenfalls als gefährliche Körperverletzung
nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB - auch hinsichtlich des Angeklagten L. - hat die Kammer die Auseinandersetzung vom 31. Oktober 2009 angesehen. Ob verabredete körperliche Auseinandersetzungen trotz der gegebenen
Einwilligung als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen seien, müsse im Einzelfall entschieden werden. Wesentliches Kriterium hierfür sei das Maß der Gefährlichkeit der Tätlichkeiten, das seinerseits durch den jeweiligen
Untergrund am Ort der Prügelei und die Anzahl der Kämpfer bestimmt werde. Bei einer Auseinandersetzung mit auf
beiden Seiten mindestens 15 Personen sei eine Grenze erreicht, die das Geschehen so unübersichtlich mache, dass
die Gefährlichkeit ein nicht mehr hinnehmbares Maß erreiche. In diesen Fällen sei das Regelwerk, insbesondere
wegen des Fehlens von Kampfrichtern und der damit einhergehenden Möglichkeit der Kampfunterbrechung zur
Behandlung verletzter Personen nicht ausreichend, um schwere Verletzungen in ausreichendem Maße zu vermeiden.
Die Angeklagten seien darüber hinaus Mitglieder einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB
gewesen. Da verabredete Auseinandersetzungen auch dann von dem auf der Grundlage einer - im rechtsextremen
Kontext bestehenden - gemeinsamen Motivation und Zielsetzung gebildeten Gruppenwillen umfasst gewesen seien,
wenn sie unter Umständen stattfanden, die zur Annahme von Sittenwidrigkeit der Körperverletzungen führten, seien
Zweck und Tätigkeit der Gruppe auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen. Entsprechendes gelte, soweit
Auseinandersetzungen gegen den Willen der Gegner gesucht wurden, so auch für die Tat vom 25. Juni 2008. Dieser
Zweck sei nicht nur von untergeordneter Bedeutung gewesen, da er dazu gedient habe, die angestrebte Stellung der
Gruppierung als Macht im Raum Dresden zu untermauern; die Machtstellung stehe und falle mit der Bereitschaft,
Straftaten zu begehen. Bei den Angeklagten L., R. und K. liege jeweils ein Fall der Rädelsführerschaft im Sinne des
§ 129 Abs. 4 StGB vor.
III. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter,
freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des
Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR
277/09, BGHSt 54, 216, 221 mwN). Eine solche Vereinigung wird zur kriminellen, wenn ihre Zwecke oder ihre
Tätigkeit nach dem gemeinsamen festen Willen der Mitglieder auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sind
(vgl. insoweit BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.).
1. Die Gruppierung um die Angeklagten erfüllte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die personellen,
organisatorischen, voluntativen und zeitlichen Kriterien des Vereinigungsbegriffs (vgl. dazu MüKoStGB/Schäfer, 2.
Aufl., § 129 Rn. 14 ff.):
Sie bestand aus mehr als drei Personen und war nicht nur kurzfristig zur Erreichung eines einmaligen Zwecks, vielmehr auf unbestimmte Dauer angelegt. Sie verfügte über im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßige Organisationsstrukturen, was sich daran zeigt, dass sie Führungspersonal - jedenfalls den Angeklagten L. sowie ihm
- 149 -
nachgeordnet den Angeklagten K. - besaß und eine koordinierte Aufgabenverteilung dergestalt vorsah, dass etwa
vornehmlich die Mitglieder des "Jungsturms" aktiv an den gewalttätigen Auseinandersetzungen teilnahmen, wohingegen sich die "Alt-Hools" auf die Organisation beschränken konnten. Eine weitere Aufgabenverteilung ergibt sich
aus dem Vorhandensein von Kampftrainern sowie der Beauftragung der Angeklagten P. und N. unter anderem mit
dem Streuen von Informationen innerhalb der Vereinigung durch die Versendung von Kurznachrichten und des Angeklagten P. mit der Beschaffung der Vereinigungsmitgliedern vorbehaltenen Fleece-Jacken (vgl.
MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 18). Weitere Merkmale der Organisationsstruktur waren die festen Trainingstermine an einem bestimmten Ort, die geplante Ausstattung der Vereinigung mit sogenannten Notfallhandys sowie
regelmäßige Treffen, auf denen über die Belange der Vereinigung gesprochen und Einzelfragen entschieden wurden.
Die Teilnahme an gemeinsamen Veranstaltungen war zudem jedenfalls teilweise verpflichtend und Gruppenregeln
bestanden insoweit, als Mitglieder von der weiteren Teilnahme an Aktivitäten der Vereinigung ausgeschlossen werden konnten, wenn sie etwa nicht häufig genug zum Training oder zu anderen verpflichtenden Veranstaltungen erschienen waren. Auch das voluntative Element war gegeben. Insoweit ist erforderlich, dass die Mitglieder der Vereinigung in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung
ihrer individuellen Einzelmeinungen eingebunden sind; nur bei Annahme eines derartigen Gruppenwillens besteht
die für die Vereinigung typische und ihre Gefährlichkeit ausmachende, vom Willen des Einzelnen losgelöste Eigendynamik. Es müssen deshalb innerhalb der Vereinigung Entscheidungsstrukturen bestehen, die von allen Mitgliedern
als verbindlich anerkannt werden (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 129 Rn. 22 mwN). Wie die Willensbildung innerhalb
der Vereinigung vollzogen wird, ist hingegen gleichgültig; das Demokratieprinzip kommt gleichermaßen in Betracht
wie das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sofern dieses nicht nur die jeweils persönliche Unterordnung des einzelnen Mitglieds unter eine oder mehrere Führungspersönlichkeiten widerspiegelt, sondern auf dem gemeinsamen,
unter den Mitgliedern abgestimmten Willen der Gesamtheit beruht (BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR
552/08, BGHSt 54, 69, 109 und vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 226 f.; Beschluss vom 17.
Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 28 jew.
mwN). Der erforderliche Gruppenwille wird durch die Urteilsgründe belegt. Diese ergeben hinsichtlich der Regeln
der Willensbildung, dass der Wille des Angeklagten L. für die Gruppe jedenfalls insoweit maßgeblich war, als dass
er letztlich über die Aufnahme neuer Mitglieder ebenso entschied wie - gemeinsam mit dem Angeklagten K. - darüber, welche Mitglieder bei den von ihm verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen zum Einsatz kamen.
Ebenso bestand Einigkeit, dass keine Aktionen gegen den Willen des Angeklagten L. durchgeführt wurden. Die
Unterordnung der Mitglieder unter den so gebildeten Gruppenwillen ergibt sich hier schon aus dem Zusammenwirken über den Tatzeitraum von etwa zwei Jahren, in dem es zu zahlreichen verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen kam. Diese zeichneten sich durch einen hohen Grad an Organisation aus, weil Anund Abreise zu dem Ort der Auseinandersetzung zu koordinieren und dafür teilweise Transportfahrzeuge zu beschaffen waren; nach Beendigung der Kampfhandlungen waren die Mitglieder der Gruppierung - nicht zuletzt zur Meidung von Strafverfolgung - stets darauf bedacht, den Tatort binnen kürzester Zeit zu verlassen. All dies wäre ohne
eine Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Gruppenwillen nicht möglich gewesen (vgl. BGH, Urteil
vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, BGHR StGB § 129 Vereinigung 2). Aus dem Umstand, dass die Dortmunder
Hooligans in großer Zahl flohen, als sie gewahr wurden, dass ihr Gegner die Gruppierung um die Angeklagten war,
folgt weiter, dass die sich auch in dem regelmäßigen Kampftraining widerspiegelnden Bemühungen der Vereinigung, sich als "Macht" zu etablieren, sogar über die Region Dresden hinaus erfolgreich waren. Dass sich die Mitglieder als einheitlicher Verband fühlten, zeigt sich schließlich an ihrem Auftreten in einheitlichen T-Shirts nicht nur
anlässlich der Auseinandersetzungen mit anderen Hooligans und an der geplanten Beschaffung von besonderen Jacken, die nur Mitgliedern der Vereinigung vorbehalten waren.
2. Die Urteilsgründe belegen darüber hinaus die Ausrichtung der Gruppe auf den Zweck der Begehung von Straftaten. Erforderlich ist insoweit, dass die Organisation nach dem fest gefassten Willen der für ihre Willensbildung maßgeblichen Personen das Ziel verfolgt, strafbare Handlungen zu begehen. Das bloße Bewusstsein, dass es zu Straftaten
kommen könne (so noch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1977 - 3 StR 427/77, BGHSt 27, 325, 328) genügt nicht
(BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 271 f.), ebenso wenig, dass der Zweck nur von
einzelnen Mitgliedern verfolgt, nicht aber auch von den übrigen Mitgliedern getragen wird (BGH, Beschluss vom
17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 2).
a) Insoweit begegnet allerdings die Auffassung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, es komme nicht darauf an,
ob die verabredeten Auseinandersetzungen regelmäßig strafbar seien, es reiche vielmehr aus, wenn diese auch unter
- 150 -
Umständen ausgetragen werden, die zur Annahme der Sittenwidrigkeit der in ihrem Rahmen begangenen Körperverletzungen führen. Denn auf dieser Grundlage könnte die Annahme einer kriminellen Vereinigung entgegen dem in
der Rechtsprechung geforderten Kriterium der zweckgerichteten Begehung von Straftaten auch dann in Betracht
kommen, wenn Straftaten nur angelegentlich einer vom Gruppenwillen getragenen Betätigung begangen würden,
hier etwa weil eine verabredete körperliche Auseinandersetzung aus zuvor nicht absehbaren Gründen im Einzelfall
wegen der Sittenwidrigkeit der Tat nicht aufgrund der Einwilligung aller Beteiligten gerechtfertigt und deshalb strafbar ist.
b) Die erforderliche Ausrichtung der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten ergibt sich indes aus Folgendem:
Die Vereinigung verfolgte den Zweck, gewalttätige Auseinandersetzungen gegen andere Hooligangruppen zu organisieren und durchzuführen. Diese Auseinandersetzungen stellen sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gerade wegen der in der vereinbarten Art der Ausführung der Gewalttätigkeiten liegenden Tatumstände als
strafbare Körperverletzungen dar. Dazu im Einzelnen:
aa) Zu Recht ist das Landgericht zunächst von der Tatbestandsmäßigkeit der Handlungen nach den §§ 223, 224 Abs.
1 Nr. 4 StGB ausgegangen. Selbst wenn man körperliche Auseinandersetzungen wie die vorliegenden, die zum Zwecke des Kräftemessens vereinbart werden, noch als sportliche Betätigung verstehen wollte, folgt daraus nicht, dass
sie einem möglichen Strafanspruch schon allein deshalb entzogen wären, weil bei Einhaltung der selbst aufgestellten
Regeln das Verhalten nicht als verbotswidrig anzusehen wäre. Überlegungen, regelkonformes Handeln stelle sich als
tatbestandslos dar (Dölling, ZStW 1984, 36, 55 ff.; Rössner, Festschrift für Hirsch, 1999, 313, 319 ff.; SKStGB/Wolters, [Stand: September 2014], § 228 Rn. 21; für eine Lösung über das Institut der Einwilligung:
BayObLG, Urteil vom 3. August 1961 - 4 St 36/61, NJW 1961, 2072; NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 228 Rn. 109),
finden spätestens dort ihre Grenze, wo die körperliche Misshandlung des Gegners Ziel der Betätigung ist (Dölling
aaO, S. 64; Rössner aaO, S. 317; Kubinek, JA 2003, 257, 260; LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 228 Rn. 12).
bb) Indes willigten die Beteiligten der Schlägereien nach den Feststellungen des Landgerichts jeweils in die Körperverletzungshandlungen der jeweils anderen Kampfgruppe ein. Jedenfalls soweit die vereinbarten Regeln eingehalten
oder lediglich aus Gründen des Übereifers, der Erregung, der technischen Unvollkommenheit oder der mangelnden
Körperbeherrschung verletzt werden, sollen an der grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung der Kampfteilnehmer keine Zweifel bestehen (hierzu BayObLG aaO, S. 2073 für den Fall eines Fußballspiels). Gezielte Regelverstöße hat die Strafkammer in keinem Fall zu erkennen vermocht, wenn auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung insbesondere zu der Schlägerei am 31. Oktober 2009 zahlreiche Verstöße gegen die angeblich verbindlichen
Regeln ergeben haben, was angesichts der einleitenden Hinweise des "Trainers" der Vereinigung auf die Regeln der
Fairness widersprüchlich erscheint.
cc) Selbst wenn in solchen Regelübertretungen lediglich Exzesse der Einzelnen zu sehen wären, was einer grundsätzlichen Wirksamkeit der Einwilligung des jeweils anderen Teils insoweit nicht entgegen stünde, erweisen sich die
festgestellten Körperverletzungshandlungen bei den verabredeten Schlägereien in der durchgeführten Art und Weise
durch Mitglieder der Vereinigung als rechtswidrig, weil es sich dabei trotz der Einwilligung um sittenwidrige Taten
im Sinne von § 228 StGB handelte. Hierzu gilt:
(1) Wann eine Tat gegen die guten Sitten verstößt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht immer
einheitlich beurteilt worden. Anfangs spielten, insoweit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts
(vgl. RG, Urteil vom 23. Februar 1940 - 1 D 39/40, RGSt 74, 91, 93 f.), "vor allem die Beweggründe eine wesentliche Rolle" (BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Daneben wurde aber stets auch die
Schwere der Verletzungen in den Blick genommen (BGH aaO), wobei zum Teil ohne weitere Auseinandersetzung
mit dem verfolgten - offensichtlich verwerflichen - Zweck eine Sittenwidrigkeit unter bloßem Hinweis auf die Geringfügigkeit der Verletzung verneint wurde (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87).
Das Abstellen auf das Gewicht des Körperverletzungserfolgs wurde alsdann ausdrücklich als vorrangig betont, ohne
jedoch - worauf es in den zu entscheidenden Fällen auch nicht ankam - die Herleitung der Sittenwidrigkeit aus der
Zweckrichtung der Tatbegehung ausdrücklich auszuschließen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR
120/03, BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5
StR 224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Ob diese
Maßgeblichkeit des Taterfolgs aus den allgemein gültigen moralischen Maßstäben herzuleiten sei, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden könnten und die allgemeinkundig seien (so BGH, Urteil vom 11. Dezember
2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 40 f.; zustimmend: Kühl, Festschrift Schroeder, 2006, 521, 532), oder ob durch
das Abstellen auf den Schweregrad des Rechtsgutsangriffs der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern
- 151 -
beschränkt werde (so BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169 ff.; zustimmend: Hirsch,
Festschrift Amelung, 2009, 181, 197 f.), ist dabei unterschiedlich beurteilt worden. Der von dieser Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs gefundene Lösungsansatz, der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abstellt, entspricht der herrschenden Meinung im Schrifttum (s. die Nachweise bei Hardtung, Jura 2005, 401, 404; aA
Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997, 136 ff.; NK-StGB-Paeffgen aaO,
Rn. 44 ff., die § 228 StGB wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig halten; dagegen MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 29; s. auch BeckOKStGB/Eschelbach [Stand: 1. Juli
2014], § 228 Rn. 22 mwN). Bei auch insoweit teilweise unterschiedlichen Begründungsansätzen - etwa Bestimmung
eines Daseins-Minimums, das allen Menschen gemeinsam ist und dessen Schmälerung deshalb selbst bei Zustimmung des Betroffenen von der Rechtsgemeinschaft nicht hingenommen werden darf (so Duttge, Gedächtnisschrift
Ellen Schlüchter, 2002, 775, 784, 786, 791) oder Vornahme einer Nachteils-Vorteils-Abwägung (so
MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 18 ff.) - besteht Einigkeit, dass wegen des Erfordernisses der Sittenwidrigkeit
der Tat und nicht der Einwilligung das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB maßgeblicher Anknüpfungspunkt (Hirsch aaO,
S. 193) und dass wegen des Grundsatzes der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens der Sittenverstoß eindeutig sein
müsse (vgl. LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 2; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41),
was nur bei einer Rechtsgutsverletzung von einigem Gewicht der Fall sein könne. Dabei wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versagung der rechtfertigenden Kraft einer Einwilligung nicht einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Verletzten bezwecke - die Selbstverletzung unterfällt bereits nicht dem Tatbestand der §§ 223 ff.
StGB -, sondern eine Begrenzung der Handlungsfreiheit des Verletzenden (Hirsch, ZStW 1971, 140, 167; zu diesem
Tabuisierungsgedanken auch MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 23; Duttge aaO). Eine solch gewichtige Betroffenheit
des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit hat die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls
dann angenommen, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03,
BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f.; vom 18. September 2008 - 5 StR
224/08, juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f. - zu § 222 StGB). Es ist eine
Beurteilung der Tat aus einer ex-ante-Sicht vorzunehmen (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03,
BGHSt 49, 34, 44; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08,
juris Rn. 24; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.; Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR
585/12, BGHSt 58, 140, 146; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 228 Rn. 4; Jäger, JA 2013, 634, 636); maßgeblich ist mithin das Gewicht der durch die
Tathandlung geschaffenen Verletzungsgefahr (MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn. 27, 33; BGH, Urteil vom 20.
November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 f.). Dass nicht nur auf das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen
Verletzung abgestellt werden kann, folgt im Übrigen bereits daraus, dass § 228 StGB angesichts seiner systematischen Stellung auch §§ 223, 224 StGB in Bezug nimmt, es mithin Fälle geben muss, die trotz minder schwerer Verletzung das Verdikt der Sittenwidrigkeit nach sich ziehen (MüKoStGB/Hardtung aaO, Rn. 24). Zuletzt hat der 1.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs - an dem Kriterium der Maßgeblichkeit der Rechtsgutsverletzung festhaltend ausgeführt, bei der Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung, in die eingewilligt werde, müsse
bei Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen auch die solchen Tätlichkeiten aufgrund der stattfindenden gruppendynamischen Prozesse typischerweise innewohnende Eskalationsgefahr berücksichtigt werden. Vom Vorliegen
dieser Eskalationsgefahr sei bei verabredeten Schlägereien immer dann auszugehen, wenn es an diese Gefahr eingrenzenden Regeln oder an der effektiven Durchsetzbarkeit etwaiger Absprachen fehle. In diesen Fällen würden die
Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn mit den einzelnen
Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1
StR 585/12, BGHSt 58, 140, 143 ff.; daran anschließend OLG München, Urteil vom 26. September 2013 - 4 StRR
150/13, NStZ 2014, 706, 708 f.; zustimmend Jäger, JA 2013, 634; Pichler, StRR 2013, 220; ablehnend: van der
Meden, HRRS 2013, 158; Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429; Gaede, ZIS 2014, 489).
(2) An der Rechtsprechung, nach der maßgeblich auf Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen ist, hält
der Senat fest. Sie ist wie folgt zu präzisieren:
(a) Das Merkmal der guten Sitten in § 228 StGB ist für sich genommen konturenlos. Angesichts der Wandelbarkeit
moralischer Wertungen kommen als Anknüpfungspunkt des Sittenwidrigkeitsurteils die Vorstellungen einzelner
gesellschaftlicher Gruppen oder gar des zur Entscheidung berufenen Gerichts nicht in Betracht (BGH, Urteile vom
11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41 mwN; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166,
- 152 -
169; von der Meden, HRRS 2013, 158, 159); auch die Ermittlung von allgemein gültigen moralischen Maßstäben
erweist sich in einer pluralistischen Gesellschaft als nicht unproblematisch (vgl. dazu etwa Sternberg-Lieben, JZ
2013, 953, 954; anders noch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 41). Der mithin zu
konstatierenden Unbestimmtheit des Begriffs der guten Sitten ist dadurch zu begegnen, dass er in § 228 StGB strikt
auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte bezogen und auf seinen Kerngehalt reduziert wird. Gesellschaftliche
Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann, wie dies etwa in Fällen des ärztlichen Heileingriffs angenommen wird (vgl. Otto, Festschrift Tröndle, 1989, 157, 168; MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn.
26; LK/Hirsch aaO, § 228 Rn. 9; Jäger, JA 2013, 634, 637) oder auch bei Kampfsportarten der Fall ist, die direkt auf
die körperliche Misshandlung des Gegners ausgelegt sind und bei denen die ausgetragenen Kämpfe zu schwersten
Verletzungen oder Gesundheits-schädigungen, ja selbst zum Tod der Kontrahenten führen können (vgl. etwa
Dölling, ZStW 1984, 36, 64, der auf das rechtlich anerkannte gesellschaftliche Interesse an der Ausübung solcher
Sportarten abstellt; im Ergebnis auch Jäger aaO). Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit - über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung - zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie hingegen nicht herangezogen werden. Insoweit sind aber Wertungen, die der Gesetzgeber vorgegeben hat, zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 954 f.).
(b) Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung insoweit, als die Bejahung der Sittenwidrigkeit der Tat in den
Fällen, in denen bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Einwilligende durch
die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wurde, in erster Linie aus der gesetzgeberischen
Wertung des § 216 StGB folgt: Aus dem Umstand, dass eine Tötung, in die das Opfer nicht nur eingewilligt, sondern
die sie ernsthaft verlangt hat, gleichwohl strafbar ist, lässt sich entnehmen, dass das Opfer in die eigene Tötung durch
einen Dritten nicht wirksam einwilligen kann. Dieser Wertung hat die Rechtsprechung mit Blick auf § 228 StGB
entnommen, dass im Allgemeininteresse die Möglichkeit, existentielle Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen
körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens zu treffen, Einschränkungen unterliegt. Der Schutz der Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit und Leben gegen Beeinträchtigungen durch Dritte wird deshalb nicht schlechthin,
sondern nur innerhalb eines für die Rechtsordnung tolerierbaren Rahmens zur Disposition des Einzelnen gestellt
(BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173 f.). Dieser Rahmen wird verlassen, wenn der in
die Körperverletzung Einwilligende durch die Tat in konkrete Todesgefahr gebracht wird (s. dazu auch Gaede, ZIS
2014, 489, 493 f.).
(c) Eine gesetzgeberische Wertung lässt sich aber nicht nur § 216 StGB mit Blick auf die drohende Todesfolge entnehmen, sondern für die Art und Weise der Begehung der Körperverletzungshandlungen auch der Regelung des §
231 StGB (Jäger, JA 2013, 634, 636): Nach dieser Vorschrift erfüllt derjenige rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand eines Strafgesetzes, der sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt. Er
wird zwar nur dann bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere
Körperverletzung im Sinne von § 226 StGB verursacht worden ist. Bei diesen Folgen handelt es sich nach ganz herrschender Auffassung aber nur um objektive Bedingungen der Strafbarkeit (BGH, Ur-teile vom 16. Juni 1961 - 4 StR
176/61, BGHSt 16, 130, 132; vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305; MüKoStGB/Hohmann aaO, §
231 Rn. 21 mwN; S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 231
Rn. 5; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 231 Rn. 5; BeckOK-Eschelbach aaO, § 231 Rn. 2; Engländer, NStZ 2014, 214;
Satzger, Jura 2006, 108, 109; aA LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1; kritisch auch NK-StGB-Paeffgen, 4. Aufl., § 231 Rn.
20). In dieser Konstruktion des Straftatbestandes kommt zum Ausdruck, dass das sozialethisch verwerfliche Verhalten bereits in der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff mehrerer besteht, weil dadurch erfahrungsgemäß so häufig die Gefahr schwerer Folgen geschaffen wird, dass die Beteiligung als solche schon strafwürdiges
Unrecht darstellt (BT-Drucks. IV/650, S. 291; BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305,
308; vgl. auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956). Die objektive Strafbarkeitsbedingung wirkt dabei nicht strafbarkeitsbegründend oder -verschärfend, sondern schränkt lediglich den Bereich des zu Bestrafenden aus kriminalpolitischen Gründen ein (BT-Drucks. IV/650, S. 268, 291; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO § 231 Rn. 1; aA offenbar
MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 3: strafbarkeitsbegründend; ebenso LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 1, der freilich
bereits das Vorliegen einer objektiven Strafbarkeitsbedingung in Abrede stellt). Dass bereits die Beteiligung an der
Schlägerei oder dem Angriff mehrerer bestraft wird, hat seinen Grund im Übrigen in Beweisschwierigkeiten, die bei
körperlichen Auseinandersetzungen mehrerer erfahrungsgemäß auftreten, wenn es darum geht, eine bestimmte
schwere Folge einem oder mehreren der Beteiligten einwandfrei zuzuordnen; es sollen Strafbarkeitslücken vermie-
- 153 -
den werden, die dadurch auftreten können, dass eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts wegen der genannten Beweisschwierigkeiten ausscheiden muss (BGH, Urteile vom 21. Februar 1961 - 1 StR
624/60, BGHSt 15, 369, 370; vom 16. Juni 1961 - 4 StR 176/61, BGHSt 16, 130, 132; BT-Drucks. IV/650, S. 290;
MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 2 mwN). Kann der erforderliche Nachweis indes geführt werden, ist eine
tateinheitliche Verurteilung wegen eines Tötungs- oder Körperverletzungdelikts und der Beteiligung an einer Schlägerei möglich (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 104; vom 11. Oktober
2005 - 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285; LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 22; S/S-Stree/Sternberg-Lieben aaO, § 231
Rn. 13 mwN; aA NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 22, dagegen überzeugend LK/Hirsch aaO).
(d) Die sich an den verabredeten körperlichen Auseinandersetzungen beteiligenden Mitglieder der Gruppierung um
die Angeklagten sowie die Teilnehmer auf der gegnerischen Seite erfüllten jeweils rechtswidrig und schuldhaft den
Tatbestand des § 231 Abs. 1 StGB, weil sie sich damit an einer Schlägerei, also an einer mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung beteiligten, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirkten (vgl. zuletzt
BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, BGHR StGB § 231 Schlägerei 2). Dies führt - jedenfalls in den
vorliegenden Fällen, in denen die an den Schlägereien Beteiligten aus der gebotenen ex-ante-Perspektive dadurch
zumindest in die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wurden - nach den oben genannten Grundsätzen zur Unbeachtlichkeit der (konkludent) erteilten Einwilligungen in die mit den Auseinandersetzungen verbundenen Körperverletzungshandlungen. Insoweit gilt:
(aa) Der Tatbestand des § 231 StGB bezweckt als abstraktes Gefährdungsdelikt (BGH, Urteile vom 5. Februar 1960 4 StR 557/59, BGHSt 14, 132, 134 f. mwN; vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84, BGHSt 33, 100, 103; vom 24.
August 1993, 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 308; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 7; S/S-Stree/SternbergLieben aaO, § 231 Rn. 1; Lackner/Kühl aaO, § 231 Rn. 1; Fischer aaO, § 231 Rn. 2; BeckOKStGB/Eschelbach aaO,
§ 231 Rn. 1; Jäger, JA 2013, 634, 636; differenzierend NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 2; aA LK/Hirsch aaO, §
231 Rn. 1) nicht nur den Schutz des Lebens und der Gesundheit des durch die Schlägerei oder den Angriff tatsächlich Verletzten oder Getöteten, sondern auch Leben und Gesundheit all der - auch unbeteiligten - Personen, die durch
die Schlägerei oder den Angriff gefährdet werden. Da letztgenannter Gesichtspunkt ein Gemeininteresse darstellt,
entfaltet die Einwilligung eines oder aller an der Schlägerei Beteiligten im Rahmen des § 231 StGB keine rechtfertigende Wirkung (LK/Hirsch aaO, § 231 Rn. 18; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 231 Rn. 18; S/S-Stree/SternbergLieben aaO, § 231 Rn. 10; Zöller/Lorenz, ZJS 2013, 429, 433 mwN; so im Ergebnis auch BeckOKStGB/Eschelbach
aaO, § 231 Rn. 16; NK-StGB-Paeffgen aaO, § 231 Rn. 13, die insoweit allerdings auf die fehlende Disponibilität der
Rechtsgüter Leben und Schutz der Gesundheit vor schweren Verletzungen abstellen).
(bb) Diese Grundsätze wirken sich beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Körperverletzungstaten - wie hier
etwa nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - einerseits und Beteiligung an einer Schlägerei andererseits dahingehend aus,
dass die - rechtswidrige und schuldhafte - Verwirklichung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB zur Annahme der
Sittenwidrigkeit der Körperverletzungstat im Sinne von § 228 StGB führt (wie hier Jäger aaO). Denn in diesem Gesetzesverstoß, mit dem die Beteiligten an der Schlägerei strafwürdiges Unrecht verwirklicht haben (so auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956), liegt eine Missachtung der gesetzgeberischen Wertung des § 231 StGB, die das
Sitten-widrigkeitsurteil unabhängig davon begründet, ob der sich aus § 231 StGB ergebenden gesteigerten Gefahr für
Leib und Leben durch Vorkehrungen, mit denen eine Eskalation der Auseinandersetzung verhindert werden soll,
entgegengewirkt werden könnte (so auch Jäger aaO). Die Annahme von Straflosigkeit infolge der Einwilligung in
etwaige Körperverletzungen würde darüber hinaus in der gegebenen Konstellation zu unauflösbaren Widersprüchen
führen, weil ein und dasselbe Täterverhalten einerseits ausdrücklich verboten, andererseits aber infolge der erteilten
Einwilligung erlaubt wäre (so auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956). Die Sittenwidrigkeit der Tat aufgrund der
Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB ist zudem nicht nur in den Fällen gegeben, in denen die schwere
Folge tatsächlich eingetreten ist; denn ein tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Verstoß liegt unabhängig davon vor, weil es sich bei den genannten Folgen ausschließlich um objektive Bedingungen der Strafbarkeit
handelt (Jäger aaO; aA Sternberg-Lieben aaO; Gaede, ZIS 2014, 489, 499). Ein Abstellen auf die Tatfolgen würde
bereits im Widerspruch dazu stehen, dass die Wirksamkeit der Einwilligung - wie dargelegt - aus einer ex-antePerspektive zu beurteilen ist, die Frage, ob eine der genannten schweren Folgen eingetreten ist, hingegen erst ex-post
beantwortet werden kann. Das Erfordernis des Eintritts der Strafbarkeitsbedingung zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass andernfalls die vom Gesetzgeber aufgestellte Begrenzung der Strafbarkeit ignoriert würde (so aber Sternberg-Lieben aaO; von der Meden, HRRS 2013, 158, 163): Diese
Begrenzung bezieht sich allein auf die Vorschrift des § 231 StGB und ist wegen der durch die erfahrungsgemäß
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auftretenden Nachweisprobleme bedingten Weite dieses Tatbestandes, der unabhängig von der konkreten Feststellung einer Verletzungshandlung jede Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff ausreichen lässt, nicht zuletzt mit Blick auf das Schuldprinzip geboten; kann indes - wie hier - Einzelnen ein konkreter Tatvorwurf auch wegen bestimmter Körperverletzungshandlungen gemacht werden, bedarf es eines solchen Korrektivs nicht.
(cc) Der Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat kann nicht entgegengehalten werden, es bleibe für § 231 StGB kein
eigenständiger Anwendungsbereich (so aber van der Meden aaO, S. 162): Nur aufgrund dieser Vorschrift können
auch Beteiligte der Schlägerei aus dem Lager des Getöteten bzw. im Sinne des § 226 StGB Verletzten erfasst werden. Denn anders als für eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 StGB kommt es bei § 231
StGB nicht auf die Zurechnung einzelner Handlungen an (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1984 - 4 StR 679/84,
BGHSt 33, 100, 104). Vorliegend lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe indes entnehmen, dass die
Mitglieder der Vereinigung sich selbst durch Schlagen und Treten ihrer jeweiligen Gegner aktiv an Körperverletzungshandlungen beteiligten und dadurch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllten.
(dd) Es kann offen bleiben, ob die durch die Erfüllung des Tatbestands des § 231 Abs. 1 StGB bedingte Sittenwidrigkeit der Körperverletzungshandlungen stets und unabhängig von der konkret eingetretenen Gefahr zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung führt - etwa auch dann, wenn bei vorausschauender Betrachtung lediglich Bagatellverletzungen zu erwarten sind. Jedenfalls wenn - wie hier - der Verletzte durch die Tat voraussichtlich in die konkrete
Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung gebracht wird - was nach einem Teil der Rechtsprechung und der
Literatur schon für sich genommen die Sittenwidrigkeit begründen soll (vgl. MüKoStGB/Hardtung aaO, § 228 Rn.
30 mwN; Hirsch, Festschrift Amelung, 2009, 181, 198, 202: Gefahr einer schweren Leibesschädigung; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 1997 - 2 Ss 147/97-49/97 II, MDR 1997, 933, 934 für Fälle des sogenannten AutoSurfens; BayObLG, Beschluss vom 7. September 1998 - 5 St RR 153/98, NJW 1999, 372, 373: Gefahr schwerster
Schädigung durch Kopfverletzungen infolge von Schlägen und Tritten gegen den Kopf) - führt der genannte Verstoß
gegen die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Annahme der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB.
Die in den vorliegenden Fällen der vereinbarten Schlägereien mit anderen Hooligangruppen konsentierten Körperverletzungshandlungen begründeten bei der gebotenen objektiven Beurteilung aus einer ex-ante-Perspektive jedenfalls die konkrete Gefahr solcher schweren Gesundheitsbeschädigungen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Bereits
nach den stillschweigend akzeptierten Regeln waren Tritte mit dem beschuhten Fuß (mit Sportschuhen) und Schläge
gegen den Kopf des Gegners zulässig. Die Regeln erlaubten zudem, dass sich mehrere Kämpfer der einen Gruppe
gegen einen der anderen wandten, insbesondere wenn die zu Beginn einer Auseinandersetzung bestehende zahlenmäßige Ausgeglichenheit wegen des Ausscheidens einzelner Kämpfer nicht mehr bestand. Im Kampfgeschehen kam
es auch zu Angriffen von hinten, derer sich das Opfer nicht versah. Die Regel, nach der auf am Boden liegende Personen nicht mehr eingewirkt werden durfte, konnte zudem offenbar dahin ausgelegt werden, dass ein Eintreten auf
bloß kniende Personen weiterhin zulässig war, solange diese nicht kampfunfähig waren. All dies geschah - wie der
Vorfall vom 31. Oktober 2009 zeigt - in Kämpfen, die unter ausdrücklicher Berufung auf das Regelwerk ("Fair bleiben. […] Die bleiben auch fair.") geführt wurden. Selbst wenn in dem Einwirken auf zu Boden gegangene Personen
ein Regelverstoß zu erblicken ist, kam es zu solchen Verstößen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht nur
in Einzelfällen, sondern immer wieder; auch der Angeklagte L. wies in seiner Einlassung darauf hin, dass es schon
wegen der Masse der Kämpfer nicht ausbleibe, dass auch kampfunfähige und am Boden liegende Personen trotzdem
etwas abbekämen. Die aufgezeigten Handlungen begründen schon nach allgemeiner Lebenserfahrung ein erhebliches
Verletzungspotential; die Strafkammer hat darüber hinaus durch Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass bei Schlägen (und Tritten) gegen den Kopf Einblutungen, Knochenbrüche, Nasenund Kieferfrakturen sowie Platzwunden entstehen können. Tritte gegen am Boden liegende Personen können zudem
zu Halswirbelsäulentraumata führen. Bei Tritten und Schlägen gegen den Oberkörper besteht die Gefahr von Rippenbrüchen, Herzprellungen und Herzstillstand. Der Annahme der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsbeschädigung steht nicht entgegen, dass die Strafkammer schwerwiegende Verletzungen der Kampfteilnehmer - außer
im Fall vom 31. Oktober 2009 - nicht hat feststellen können, denn es kommt - wie dargelegt - auf eine objektive
Betrachtung aus einer ex-ante-Perspektive an. Zudem steht diese Feststellung auch im Widerspruch dazu, dass sich
ein Mitglied der Vereinigung bei einem sogenannten Testmatch im Februar 2008 einen Kieferbruch zuzog.
(ee) Für das Abstellen auf gesetzliche Wertungen, die auch die Art und Weise der Körperverletzungshandlung betreffen, spricht weiter, dass so die insbesondere von der Revisionsbegründung des Angeklagten R. aufgezeigten
Wertungswidersprüche nicht auftreten, die entstehen könnten, wenn allein mit Blick auf die Schwere des potentiellen
Körperverletzungserfolgs die körperlichen Auseinandersetzungen von Hooligans oder anderen rivalisierenden Grup-
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pierungen wegen der Sittenwidrigkeit der Tat als strafbare Körperverletzungen verfolgt würden, andererseits aber die
in Box-, Kickbox- oder gar so-genannten Freefight-Kämpfen wechselseitig zugefügten, teilweise erheblichen Körperverletzungshandlungen in aller Regel straflos blieben: Unabhängig von der Frage, ob die Verletzungsgefahren in
diesen Fällen wegen des Vorhandenseins überprüf- und durchsetzbarer Regeln sowie der Anwesenheit von Schiedsrichtern und Ringärzten tatsächlich deutlich geringer sind, und davon, ob tatsächlich ein rechtlich anzuerkennendes
gesellschaftliches Interesse an der Ausübung solcher Wettkämpfe besteht, das gegebenenfalls die Hinnahme des
Risikos erheblicher Gesundheits- oder gar Lebensgefahren durch die Rechtsordnung begründen könnte (so Dölling,
ZStW 1984, 36, 64; im Ergebnis auch Jäger, JA 2013, 634, 637), ist die unterschiedliche Behandlung dieser Fallgestaltungen bereits dadurch gerechtfertigt, dass es für die Fälle der Beteiligung an einer Schlägerei oder einem Angriff
durch mehrere eine gesetzliche Regelung gibt, die dies als strafwürdiges Unrecht normiert, eine solche für tätliche
Auseinandersetzungen von Einzelpersonen hingegen fehlt.
(ff) Der aufgezeigten Lösung - dem Abstellen auf die gesetzliche Wertung des § 231 StGB zur Begründung der Sittenwidrigkeit der Tat im Sinne von § 228 StGB - kann schließlich nicht entgegengehalten werden, dass dadurch
anderen Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit in einer vom Normzweck nicht erfassten Weise ein mittelbarer
strafrechtlicher Schutz gewährt werden würde: Bei den von § 231 StGB und den von den Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikten geschützten Rechtsgütern handelt es sich nicht um unterschiedliche, sondern um die gleichen, die wie dargelegt - einerseits als Gemeininteresse, anderseits aber sowohl von den §§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB als auch
von § 231 StGB als Individualinteressen geschützt werden (gegen die Annahme einer unzulässigen "Rechtsgutsvertauschung" insoweit auch Sternberg-Lieben, JZ 2013, 953, 956). Soweit dem Urteil des Senats vom 11. Dezember
2003 (3 StR 120/03, BGHSt 49, 34) entnommen werden könnte, dass es für die Frage der Sittenwidrigkeit der Tat
ohne Bedeutung sei, wenn gesetzliche Vorschriften verletzt werden, die dem Schutz von Universalrechtsgütern - im
konkreten Fall des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b) BtMG der Volksgesundheit - dienen, zugleich aber
auch den Schutz von Individualrechtsgütern mitbewirken (BGH aaO, S. 43), hält er daran nicht fest.
dd) Da die Gruppierung um die Angeklagten auf die Austragung der dargestellten körperlichen Auseinandersetzungen ausgerichtet war und sich diese - wie dargelegt - aufgrund der Unwirksamkeit der Einwilligung in die damit
einhergehenden Körperverletzungshandlungen als Straftaten erweisen, war die Vereinigung auf die Begehung von
Straftaten ausgerichtet. Die von der Vereinigung bezweckten verabredeten Schlägereien bzw. die damit verbundenen
- regelmäßig gefährlichen - Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellten auch
eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und damit Straftaten von einigem Gewicht dar (vgl. dazu BGH,
Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47). Dies folgt schon aus der erheblichen Rechtsgutsgefährdung, die durch jede der Schlägereien ausgelöst wurde. Entgegen dem Revisionsvorbringen wurden als Austragungsort auch nicht stets entlegene "Drittorte" gewählt; die Feststellungen belegen auch Auseinandersetzungen im
unmittelbaren Umfeld von Fußballstadien und im Innenstadtbereich.
3. War nach alledem vom Vorliegen einer kriminellen Vereinigung mit Blick auf die organisierten körperlichen
Auseinandersetzungen mit anderen (Hooligan-)Gruppierungen auszugehen, belegen die Feststellungen eine Stellung
der Angeklagten L. und K. als Rädelsführer der Organisation; dies war auch im Schuldspruch des Urteils zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668, 1669). Der Senat hat ihn
entsprechend für beide Angeklagte neu gefasst. Bezüglich des Angeklagten R. ist der erforderliche bestimmende
Einfluss auf die Vereinigung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160) hingegen
nicht belegt. Die Strafkammer hat lediglich festgestellt, dass er aufgrund seiner Freundschaft zu dem Angeklagten L.
und seiner früheren Leistungen ein hohes Ansehen genossen habe. Eine führende Tätigkeit als Drahtzieher oder mit
bestimmendem Einfluss ist den Feststellungen hingegen nicht zu entnehmen. Der Senat schließt aus, dass in einer
neuen Hauptverhandlung insoweit weitere Feststellungen getroffen werden könnten; es hatte mithin bei dem Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu verbleiben.
IV. Die Verurteilung der Angeklagten L., K., P. und N. wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, §
224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aufgrund des Geschehens vom 31. Oktober 2009 hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls
stand. Nach den oben dargelegten Maßstäben ist die Sittenwidrigkeit der Tat belegt, so dass die von der Strafkammer
festgestellte Einwilligung der Teilnehmer keine rechtfertigende Wirkung entfalten konnte. Zwar hat das Landgericht
nicht festzustellen vermocht, dass die massiven Verletzungen des Geschädigten durch eine von den Angeklagten K. ,
P. oder N. eigenhändig verübte bzw. auch nur durch gezielte Körperverletzungshandlungen anderer auf Seiten der
Angeklagten an der Schlägerei Beteiligten verursacht worden sind. Indes reichen für den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung die Feststellungen aus, nach denen die Angeklagten K., P. und N. selbst auf Kämpfer
- 156 -
aus der gegnerischen Gruppe eintraten und einschlugen und diese dadurch - mit anderen gemeinschaftlich - körperlich misshandelten. Der Tatbeitrag des Angeklagten L. bestand in der Organisation des Kampfes, den er mit dem
Verantwortlichen der anderen Gruppe vereinbart hatte. Er hatte damit Tatherrschaft und - als Führer der Gruppierung
- ein erhebliches eigenes Tatinteresse, so dass seine Beteiligung in diesem Fall als Mittäterschaft zu werten ist, obwohl er sich selbst an den eigentlichen Gewalttätigkeiten nicht beteiligte.
V. Die Verurteilung der Angeklagten L., R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 erweist sich indes als
rechtsfehlerhaft und kann deshalb keinen Bestand haben. Dieses Geschehen stellt sich nicht als eine Tat dar, die vom
Zweck der kriminellen Vereinigung gedeckt gewesen wäre. Der Angriff auf Gastronomiebetriebe, die von Ausländern oder Bürgern ausländischer Herkunft betrieben wurden, erweist sich als singuläres Vorkommnis, das mit den
vom Vereinigungszweck getragenen - auch einverständlichen - körperlichen Auseinandersetzungen mit anderen
gleichgesinnten Gruppierungen in keinem Zusammenhang steht. Auch die getroffenen Feststellungen dazu, dass der
Angeklagte K. - nicht aber der ansonsten stets maßgeblich in die Organisation von Vereinigungstaten involvierte
Angeklagte L. - zur Mitwirkung an dem Überfall aufrief und dazu zwar auch einen Teil der Mitglieder der verfahrensgegenständlichen Vereinigung, überwiegend aber andere Personen per SMS kontaktierte, sprechen dagegen, dass
es sich bei dem Geschehen vom 25. Juni 2008 um eine Tat handelte, die sich für die mitwirkenden Mitglieder der
Gruppierung als ein Beteiligungsakt an der Vereinigung darstellte.
1. Hinsichtlich der Angeklagten R. und P. fehlt es damit hinsichtlich dieser Tat an der Prozessvoraussetzung der
Anklageerhebung sowie eines entsprechenden Eröffnungsbeschlusses. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft
Dresden vom 30. Mai 2011 verhält sich bezüglich des Geschehens vom 25. Juni 2008 neben der Schilderung des
Verhaltens des hierfür bereits abgeurteilten Angeklagten K. allein zur Beteiligung des Angeklagten L.. Eine Nachtragsanklage gemäß § 266 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben. Da es sich - wie dargelegt - bei den
Aktivitäten der Angeklagten R. und P. im Zusammenhang mit dem Angriff auf Gaststätten in der Dresdener Neustadt nicht um mitgliedschaftliche Betätigungsakte im Rahmen der kriminellen Vereinigung handelte, konnte sich
der Anklagevorwurf auch nicht unter dem Aspekt auf ihre Mitwirkung an diesem Geschehen beziehen, dass ihre
Tathandlungen im Sinne des § 125 StGB tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) auch den Tatbestand des § 129 Abs. 1
StGB verwirklichten und aus diesem Grund dem Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO unterfallen könnten (s. dazu nur
BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447; vom 5. Januar 1989 - StB 45/88,
BGHR StGB § 129a, Konkurrenzen 1). Schon deswegen bedürfen die sich zu diesem Problemkreis grundsätzlich
stellenden weiteren Fragen (vgl. dazu nur KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 8 mwN) keiner weiteren Erörterung. Die von der Strafkammer nach § 265 Abs. 1 StPO erteilten Hinweise waren somit nicht ausreichend, es bedurfte vielmehr zur Aburteilung der Angeklagten R. und P. wegen des Geschehens vom 25. Juni 2008 der Er-hebung
einer Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 1 StPO. Diese fehlt. Das Verfahren ist deshalb insoweit nach § 354 Abs. 1,
§ 260 Abs. 3 StPO einzustellen.
2. Die Annahme der mittäterschaftlichen Begehung einer gefährlichen Körperverletzung durch den Angeklagten L.
hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand. Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme richtet sich auch
im Bereich des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB - sowohl hinsichtlich der an den Körperverletzungshandlungen unmittelbar
Beteiligten, als auch der Außenstehenden und Abwesenden - nach den allgemeinen Regeln (vgl. BGH, Beschlüsse
vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236; vom 16. Mai 2012 - 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270).
Insbesondere macht Gemeinschaftlichkeit im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB aus einer Beihilfe keine Täterschaft
(BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 2 StR 286/08, NStZ-RR 2009, 10). Bei Beteiligung mehrerer Personen,
von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen
Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur
Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu
beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der
Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH, Urteil vom 15. Januar
1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291). Ausgehend von diesen Maßstäben belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Annahme von Mittäterschaft bei dem Angeklagten L. nicht. Dass er die Gewalttätigkeiten
unterstützte, hat das Landgericht insbesondere aus seinem Verhältnis zum Angeklagten K., seiner maßgeblichen
Stellung in der festgestellten kriminellen Vereinigung, seinem Tatbeitrag - namentlich seiner Anwesenheit beim
gemeinsamen Ansehen der Übertragung des Fußballspiels und bei Teilen des Marsches der Gruppe -, seinem telefonischen Kontakt zum Angeklagten R. unmittelbar vor Beginn der Gewalttätigkeiten sowie seinem fortbestehenden
- 157 -
Kontakt zum Angeklagten K. und weiteren Beteiligten geschlossen. Damit ist aber lediglich eine (psychische) Beihilfe des Angeklagten L. zu den Taten des Angeklagten K. und der von ihm geführten Menschenmenge beschrieben,
die darin bestand, dass er öffentlich zu erkennen gab, den bevorstehenden Angriff gutzuheißen. Da der Angeklagte
L. keinen Beitrag zu der eigentlichen Tatbestandserfüllung leistete, könnte er als Mittäter allenfalls dann in Betracht
kommen, wenn er als Organisator oder Führungskraft die Tat wesentlich mitgestaltet hätte (vgl. S/S-Heine/Weißer
aaO, § 25 Rn. 68 mwN). Die Feststellungen belegen jedoch gerade nicht, dass es sich um eine Tat der von dem Angeklagten L. geleiteten kriminellen Vereinigung handelte, sondern lediglich dessen Einwilligung in den Plan des
Angeklagten K. im Rahmen des Telefonats vom 23. Juni 2008. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere, zur Annahme von Täterschaft führende Feststellungen getroffen werden könnten und ändert deshalb den Schuldspruch insoweit in Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1
StGB). Die Tat steht zu der Rädelsführerschaft in der kriminellen Vereinigung und der aus der Vereinigung heraus
begangenen gefährlichen Körperverletzung vom 31. Oktober 2009 in Tatmehrheit (§ 53 StGB).
3. Auch die Verurteilung des Angeklagten L. wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall gemäß § 125
Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 125a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 StGB hat keinen Bestand; diese entfällt.
a) Die Voraussetzungen des § 125a StGB liegen nicht vor:
aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte L. habe hinsichtlich der Tat vom 25. Juni 2008 als Hintermann agiert, was grundsätzlich zur Annahme eines - unbenannten - besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs nach § 125a Abs. 1 Satz 1 StGB führen könnte (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, juris Rn. 7).
Voraussetzung wäre indes auch hier, dass der Angeklagte als Rädelsführer oder Hintermann bestimmenden Einfluss
auf die Tat hatte (MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 34), was durch die Feststellungen - wie aufgezeigt - gerade
nicht belegt wird.
bb) Die Annahme eines besonders schweren Falles nach § 125a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB kommt ebenfalls nicht in
Betracht: Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 11. November 1976 - 3 StR 333/76,
BGHSt 27, 56) fest, dass die Regelbeispiele des § 125a Abs. 1 Satz 2 StGB nur eigenhändig verwirklicht werden
können (so auch MüKoStGB/Schäfer aaO, § 125a Rn. 14; SK-StGB/Stein/Rudolphi [Stand: Oktober 2013], § 125a
Rn. 6g; NK-StGB-Ostendorf aaO, § 125a Rn. 8; LK/Krauß aaO, § 125a Rn. 2; aA S/S-Sternberg-Lieben aaO, § 125a
Rn. 6; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 - GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 194 f.). Diese Voraussetzung ist bei dem Angeklagten, der nicht Bestandteil der Menschenmenge war, offensichtlich nicht erfüllt.
b) Scheidet eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall aus, so kommt eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, weil die Tat schon aufgrund der Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1 StGB in einer anderen Vorschrift mit höherer Strafe bedroht ist, als der
Strafrahmen des § 125 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) vorsieht; die Strafbarkeit
wegen Landfriedensbruchs tritt deshalb aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 125 Abs. 1 aE StGB zurück.
VI. Die Änderung der Schuldsprüche und die teilweise Einstellung des Verfahrens wirken sich zu Gunsten der Angeklagten L., R. und P. aus. Hinsichtlich des Angeklagten R. ist zudem bei dem beibehaltenen Schuldspruch wegen
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu berücksichtigen, dass die vom Landgericht angenommenen Voraussetzungen der Rädelsführerschaft bei diesem Angeklagten nicht vorliegen. Bezüglich dieser drei Angeklagten ist
mithin der Strafausspruch aufzuheben und die Strafe neu zuzumessen. Die insoweit getroffenen Feststellungen können jedoch aufrechterhalten werden, weil sie von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern nicht betroffen sind
und sich auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei erweisen (§ 353 Abs. 2 StPO).
StGB § 239 Freiheitsberaubung durch Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit
BGH, Urt. v. 22.01.2015 - 3 StR 410/14 - NStZ 2015, 338
1. Erteilt der alleinige Sorgeberechtigte zur Ausreise und zum vorübergehenden Aufenthalt im Ausland die Zustimmung, so scheidet - auch wenn der/die Minderjährige mit List ins Ausland gelockt
wird - eine Strafbarkeit wegen Entziehung Minderjähriger aus.
2. Zwar erfasst der Schutzzweck des § 239 StGB auch Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit, durch die das Opfer gehindert wird, ein größeres Areal wie etwa das Gelände eines
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Krankenhauses oder einer geschlossenen Anstalt zu verlassen. Das Gebiet, aus dem sich das Opfer
aufgrund der Tathandlung nicht entfernen kann, darf aber nicht beliebig weiträumig sein; ansonsten würde der Tatbestand in einer dem Schutzzweck der Norm widerstreitenden Weise überdehnt.
3. Maßstab der im Rahmen von § 235 StGB erforderlichen Prüfung, ob dem Geschädigten das
Recht zur Personensorge für den Minderjährigen zusteht, ist das deutsche Recht einschließlich des
Internationalen Privatrechts.
4. Zu § 9 StGB: Beim Dauerdelikt genügt es, wenn der durch die fortlaufende Handlung bewirkte
tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg nur während eines Teils der Tatzeit im Inland eintritt.
5. Die Entziehung Minderjähriger nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs aufgrund der Verhandlung vom 11. Dezember 2014 in der Sitzung am 22.
Januar 2015 für Recht erkannt: Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Koblenz vom 26. März 2014 werden verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Entziehung einer Minderjährigen in Tateinheit mitgefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen
dieses Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft erstrebt
mit ihrem vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertretenen, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsmittel eine weitere Verurteilung wegen -nach § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB qualifizierter - tatmehrheitlicher Entziehung Minderjähriger im Tatzeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 30. September 2007 sowie - hinsichtlich des abgeurteilten Tatzeitraums (Oktober 2007 bis 9.Januar 2009) - eine Verurteilung auch wegen tateinheitlich
begangener Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheitsberaubung. Darüber hinaus sei auch in diesem Fall der
Qualifikationstatbestand des § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt. Der Angeklagte greift mit zwei Verfahrensrügen und
der Sachrüge das Urteil an, soweit er verurteilt worden ist. Beide Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts brachte der Angeklagte seine damals fünfzehnjährige Tochter im Einvernehmen mit seiner allein sorgeberechtigten geschiedenen Ehefrau unter dem Vorwand, die Weihnachtsferien bei
der Großmutter in Syrien zu verbringen und auch eine Namensänderung durchzuführen, am 29. Dezember 2006 nach
Syrien, um sie ihrem Lebensumfeld in Deutschland zu entziehen, in dem sie aus Sicht der Eltern ungünstigen Einflüssen ausgesetzt war. In Syrien lebte sie in der Folge mit der Familie des Angeklagten in einem Großfamilienverband, ging aber aufgrund der entsprechenden Auskünfte des Angeklagten zunächst weiterhin von einem nur vorübergehenden Aufenthalt zum Zwecke der Namensänderung aus. Sie litt zunehmend unter den Einschränkungen,
die "mit dem Leben eines jungen Mädchens in Syrien verbunden sind". Auch wurde ihr ein Schulbesuch nicht ermöglicht. Gegenüber der Mutter, die sie im Oktober 2007 in Syrien besuchte, äußerte sie den dringenden Wunsch,
nach Deutschland zurückzukehren. Diese ließ sich umstimmen und beschloss, ihre Tochter mit nach Deutschland zu
nehmen. Beide suchten heimlich die deutsche Botschaft auf, wo die Tochter, der der Angeklagte ihre deutschen
Ausweispapiere abgenommen hatte, zwar einen vorläufigen deutschen Reisepass erhielt, ihr gleichzeitig aber mitgeteilt wurde, dass eine Ausreise Minderjähriger aus Syrien ohne Zustimmung des Vaters nicht möglich sei. Die Zeuginnen entschlossen sich deshalb, den Angeklagten zu bitten, seine Tochter nach Deutschland zurückkehren zu lassen. Im Rahmen eines Gesprächs verweigerte dieser jedoch seine Zustimmung zu ihrer Ausreise. Als die Zeugninnen
die Wohnung verlassen wollten, riss er zunächst seine Tochter an den Haaren und zerrte sie weiter in die Wohnung
hinein, um sie von der Mutter zu trennen. Als diese eingreifen wollte, wurde sie vom Angeklagten an den Haaren auf
den Boden gezogen und mehrfach gegen den Körper getreten. Dann drängte er sie aus dem Haus, so dass sie unverrichteter Dinge nach Deutschland zurückkehrte, wo sie am 23. Oktober 2007 Anzeige erstattete. In der Folge verweigerte der Angeklagte immer wieder die Rückreise seiner Tochter nach Deutschland. Er behandelte sie auch zunehmend strenger und verbot ihr strikt - was ihr allerdings auch zuvor schon untersagt war -, ohne Begleitung älterer
Verwandter das Haus zu verlassen. "Aufmüpfiges Verhalten" seiner Tochter quittierte er mit Ohrfeigen. Am 1. und
3. November 2007 schlug er sie; am 3.Januar 2009 versetzte er ihr mit einer Gerte Hiebe auf Beine und Rücken. Die
Tochter des Angeklagten fügte sich äußerlich in die Gegebenheiten, ohne jedoch ihren Willen aufzugeben, Syrien zu
- 159 -
verlassen, was ihr wenige Tage nach ihrem 18.Geburtstag mit Hilfe eines Mitarbeiters der deutschen Botschaft und
einiger Familienangehöriger des Angeklagten gelang.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Soweit die Staatsanwaltschaft sich gegen den Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Entziehung Minderjähriger im Tatzeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 30. September 2007 wendet, führt das Rechtsmittel nicht zum
Erfolg. Die Mutter als alleinige Sorgeberechtigte hatte - worauf schon die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend hingewiesen hat - zur Ausreise und dem vorübergehenden Aufenthalt ihrer Tochter in Syrien
ihre Zustimmung erteilt. Damit schied, auch wenn die Minderjährige durch eine List nach Syrien gelockt wurde, eine
Strafbarkeit wegen Entziehung Minderjähriger aus (S/S-Eser/Eisele, StGB, 29. Aufl., § 235 Rn.8; LK/Krehl, StGB,
12. Aufl., § 235 Rn. 91 ff.). Auch hat das Landgericht zurecht das Verhalten des Angeklagten ab Oktober 2007 weder als im Sinne des § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB qualifizierte Entziehung Minderjähriger noch als Misshandlung
Schutzbefohlener (§ 225 Abs. 1 StGB) gewertet. Dass die Tochter des Angeklagten durch ihren erzwungenen Aufenthalt in Syrien der konkreten Gefahr einer Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung ausgesetzt
war, ergeben die Feststellungen nicht. Diesen kann auch nicht entnommen werden, dass der Angeklagte sie im Sinne
des § 225 Abs. 1 StGB gequält oder roh misshandelt hätte.
2. Auch eine Verurteilung wegen tateinheitlich zur Entziehung Minderjähriger ab Oktober 2007 begangener Freiheitsberaubung oder Nötigung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei abgelehnt.
a) Rechtlich bedenkenfrei hat die Kammer ein strafbares Verhalten nicht darin erkannt, dass der Angeklagte seiner
Tochter untersagt hatte, ohne Begleitung eines älteren Familienmitgliedes das Haus zu verlassen.
aa) § 239 StGB bestraft den Eingriff in die persönliche Bewegungsfreiheit, durch den das Opfer des Gebrauchs der
persönlichen Freiheit beraubt wird (MüKoStGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 239 Rn.16; S/S-Eser/Eisele aaO, §239
Rn.4). Tatbestandsmäßig im Sinne des § 239 Abs. 1 StGB ist ein Verhalten nur, wenn es die - zunächst vorhandene Fähigkeit eines Menschen beseitigt, sich nach seinem Willen fortzubewegen, ihn hindert, den gegenwärtigen Aufenthaltsort zu verlassen(BGH, Urteil vom 6.Dezember 1983 - 1 StR 651/83, BGHSt 32, 183, 188 f.). Dies setzt voraus, dass die Fortbewegungsfreiheit vollständig aufgehoben wird. Denn § 239 schützt lediglich die Fähigkeit, sich
überhaupt von einem Ort wegzubewegen, nicht aber auch eine bestimmte Art des Weggehens. Deshalb kommt eine
Bestrafung wegen Freiheitsberaubung nicht in Betracht, wenn ein Fortbewegen - wenn auch unter erschwerten Bedingungen - möglich bleibt (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75; vom 25. Februar1993 - 1 StR
652/93, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Freiheitsberaubung 2; MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO,§ 239 Rn.16; SKStGB/Horn/Wolters,59.Lfg.,§ 239 Rn.5). Nach diesen Maßstäben hat der Angeklagte, indem er seiner Tochter untersagte, ohne Begleitung eines älteren Familienmitgliedes das Haus zu verlassen, deren Bewegungsfreiheit nicht
vollständig aufgehoben, sondern lediglich erschwert. Schon dies steht einem Schuldspruch wegen Freiheitsberaubung entgegen. Hinzu kommt, dass die Feststellungen keine Tathandlung im Sinne von § 239 Abs. 1 StGB belegen.
§ 239 Abs. 1 StGB nennt zwei Begehungsweisen, das Einsperren oder die Freiheitsberaubung auf andere Weise.
Dabei kennt die letztgenannte Tatbestandsalternative hinsichtlich des Tatmittels keine Begrenzung. Es reicht vielmehr jedes Mittel aus, das geeignet ist, einem anderen die Fortbewegungsfreiheit zu nehmen (BGH, Urteile vom 20.
Januar 2005 - 4 StR 366/04, NStZ 2005, 507, 508; vom 15. Mai 1975 - 4 StR 147/75; MüKoStGB/Wieck-Noodt
aaO, § 239 Rn.24). Auch eine Drohung mit einem Übel kann den Tatbestand der Freiheitsberaubung "auf andere
Weise" jedenfalls dann verwirklichen, wenn sie den Grad einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erreicht.
Die Drohung mit einem sonst empfindlichen Übel reicht hingegen regelmäßig nicht aus (BGH, Urteil vom 25. Februar 1993 - 1 StR 652/93, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Freiheitsberaubung 2; S/S-Eser/Eisele aaO, § 239 Rn.6; SKStGB/Horn/Wolters aaO,§ 239 Rn.8; LK/Schluckebier aaO, § 239 Rn.16). Das festgestellte Verhalten des Angeklagten erfüllt danach keine der Tatbestandsalternativen. Da die Türen des Hauses nicht verschlossen waren, hat er seine
Tochter nicht eingesperrt. Auch eine Freiheitsberaubung auf andere Weise kommt nicht in Betracht. Durch das ausgesprochene Verbot, die Wohnung allein zu verlassen, war die tatsächliche Möglichkeit der Zeugin sich fortzubewegen nicht aufgehoben. Die Androhung eines Übels, das den Tatbestand der Freiheitsberaubung "auf andere Weise"
erfüllen könnte, kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Soweit der Generalbundesanwalt eine Freiheitsberaubung darin sieht, dass die Zeugin aus Angst vor Schlägen ihres Vaters dem Gebot zum begleiteten Ausgang
gefolgt sei, findet dies in den Feststellungen keine Grundlage. Diesen lässt sich eine Kausalität der gelegentlichen
Schläge des Angeklagten für die Einhaltung des Gebots, das Haus nur in Begleitung älterer Familienangehöriger zu
verlassen, nicht entnehmen. Soweit in der Beweiswürdigung die Aussage der Zeugin wiedergegeben wird, dass sie
das Verbot, alleine aus dem Haus zu gehen, auch aus Angst vor der Wut ihres Vaters beachtet habe, ist auch dies
- 160 -
kein Beleg dafür, dass sie aus Angst vor Gewalttätigkeiten des Vaters zu Hause geblieben ist. Deshalb kann es dahinstehen, ob die Androhung von Schlägen, die keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben begründet (vgl.
BGH, Beschluss vom 8. März 2001 - 1 StR 590/00, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Freiheitsberaubung 8), grundsätzlich
den Tatbestand des § 239 StGB erfüllen könnte.
bb) Der Angeklagte hat sich mit dem Verbot an seine Tochter, die Wohnung ohne Begleitung zu verlassen, auch
nicht wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1, 2 StGB) strafbar gemacht. Die Urteilsgründe tragen bereits nicht die Annahme,
dass er sein Verbot mit einer (konkludent) ausgesprochenen Drohung mit einem empfindlichen Übel verbunden
hatte. Zudem belegen sie auch nicht die subjektive Seite des Nötigungstatbestandes.
b) Eine Freiheitsberaubung kann - unabhängig davon, ob dies überhaupt als Tathandlung im Sinne des § 239 Abs. 1
StGB einzustufen ist - auch nicht in der Verweigerung der Zustimmung des Angeklagten zur Ausreise seiner Tochter
aus Syrien gesehen werden. Zwar erfasst der Schutzzweck des § 239 StGB auch Einschränkungen der persönlichen
Bewegungsfreiheit, durch die das Opfer gehindert wird, ein größeres Areal wie etwa das Gelände eines Krankenhauses oder einer geschlossenen Anstalt zu verlassen (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239 Rn.2; Amelung/Brauer JR 1985,
474, 475; Schumacher, Festschrift für Stree/Wessels, 1993 S. 431, 440 ff.). Das Gebiet, aus dem sich das Opfer aufgrund der Tathandlung nicht entfernen kann, darf aber nicht beliebig weiträumig sein; ansonsten würde der Tatbestand in einer dem Schutzzweck der Norm widerstreitenden Weise überdehnt. Danach ist eine vollständige Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit jedenfalls dann nicht mehr anzunehmen, wenn sich der verbleibende räumliche
Entfaltungsbereich der betroffenen Person auf ein mehrere tausend - im Falle Syriens zur Tatzeit rund 185.000 Quadratkilometer umfassendes Staatsgebiet erstreckt (aA MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, § 239 Rn.20; SKStGB/Horn/Wolters aaO, §239 Rn.4a).
III. Die Revision des Angeklagten
1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
dargelegten Gründen unzulässig.
2. Auch die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 Abs. 1 Nr. 1
StGB) verurteilt hat, gilt Folgendes:
a) Nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt einem Elternteil entzieht oder vorenthält. Das ist dann der Fall, wenn die Personensorge, also die Pflicht und das
Recht der Eltern oder des sorgeberechtigten Elternteils zur Pflege, Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so wesentlich beeinträchtigt wird, dass sie nicht mehr ausgeübt werden kann (BGH, Urteil vom 21. April 1961 - 4 StR 20/61, BGHSt 16,
58, 61; SSW-StGB/Schluckebier, 2. Aufl., § 235 Rn.6). Das Verhalten des Angeklagten, der im Oktober 2007 seine
geschiedene Ehefrau mit Gewalt aus der Wohnung verwies und sie damit von ihrer Tochter trennte, in der Folgezeit
jeglichen Kontakt zwischen beiden unterband und die Ausreise seiner Tochter aus Syrien verweigerte, erfüllt diesen
Tatbestand. Der Erörterung bedarf insoweit lediglich die Frage, ob der geschiedenen Ehefrau des Angeklagten das
alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zustand. Maßstab der im Rahmen von § 235 StGB erforderlichen
Prüfung, ob dem Geschädigten das Recht zur Personensorge für den Minderjährigen zusteht, ist das deutsche Recht
einschließlich des Internationalen Privatrechts (BT-Drucks. 13/8587, S. 27; LK/Werle/Jeßberger aaO, § 5 Rn. 107
mwN; NK-StGB-Böse, 4. Aufl., Vorbemerkungen zu § 3 Rn. 63). Danach hatte die Ehefrau des Angeklagten zum
Zeitpunkt der gewaltsamen Trennung von Mutter und Tochter die (alleinige) Sorge inne, die ihr 2001 durch eine
familiengerichtliche Entscheidung zugesprochen worden war. Der Umstand, dass sich die Tochter im Tatzeitpunkt
bereits seit einiger Zeit in Aleppo aufhielt, hatte nicht dazu geführt, dass die Mutter das ihr ursprünglich zustehende
Sorgerecht verloren hatte.
aa) Es kann dahinstehen, ob inländische gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen den Regelungen des Internationalen
Privatrechts stets vorgehen (vgl. MüKoBGB/Helms, 6. Aufl., Art. 21 EGBGB Rn. 19; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl., Rn. 23, 1020), so dass sich eine Überprüfung anhand der Regelungen des Internationalen
Privatrechts erübrigt. Denn auch nach den Art. 3 ff. EGBGB bemaß sich im Tatzeitpunkt die Bewertung des Sorgerechtsverhältnisses nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch. Nach Art. 21 EGBGB - gemäß Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangige Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen waren zur Tatzeit im Verhältnis zu Syrien nicht
anwendbar - unterliegt das Rechtsverhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern dem Recht des Staates, in dem
das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser gewöhnliche Aufenthalt richtet sich danach, an welchem Ort
oder in welchem Land der Minderjährige seinen Daseinsmittelpunkt hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR
- 161 -
103/73, NJW 1975, 1068 [zu Art. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber
Kindern anzuwendende Recht]; Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520 [zu Art. 13 Abs.
1 MSA]; Staudinger/Henrich(2014)Art. 21 EGBGB Rn. 16). Da mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes auch ein Wandel des Sorgerechtsstatuts verbunden ist, sind an die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts
keine zu geringen Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist stets ein Aufenthalt von einiger Dauer. Daneben ist zur
Begründung eines neuen Aufenthaltsortes auch zu verlangen, dass bereits weitere Beziehungen insbesondere familiärer oder beruflicher Art bestehen, in denen der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist. Der
Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ist nicht erforderlich. Entscheidend ist
vielmehr der "faktische" Wohnsitz, der den Daseinsmittelpunkt darstellt (BGH, Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR
103/73, NJW 1975, 1068; Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520).Bei Minderjährigen
ist der gewöhnliche Aufenthalt nach diesen Kriterien selbständig auf ihre Person bezogen zu ermitteln; er leitet sich
nicht vom gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz des Sorgeberechtigten ab (BGH, Beschluss vom 29. Oktober
1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520). Da es auf den tatsächlichen Daseinsmittelpunkt des Minderjährigen ankommt, kann ein gewöhnlicher Aufenthalt auch gegen den Willen des Sorgeberechtigten (BGH, Beschluss vom 29.
Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520, 521; OLG Hamm, Urteil vom 29. April 1988 - 5 UF 57/88, NJW
1989, 672) oder des Minderjährigen begründet werden. Allerdings kommt dem Willen des Minderjährigen - dessen
Verstandesreife vorausgesetzt - bei der Beurteilung, ob er sich in seine neue Umgebung bereits sozial eingegliedert
hat, eine Indizfunktion zu (BeckOK Bamberger/Roth/Lorenz, BGB, Art. 5 EGBGB Rn.14;
MüKoBGB/Sonnenberger, 5. Aufl., Einl. IPR Rn. 725; vgl. auch Staudinger/Bausback (2013)Art. 5 EGBGB Rn.
46). Durch zeitweilige Abwesenheit, auch von längerer Dauer, wird der gewöhnliche Aufenthalt nicht unbedingt
aufgehoben, sofern die Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren (vgl. BGH, Urteil vom 5.
Februar 1975 - IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068; BeckOK Bamberger/Roth/Lorenz aaO). Nach diesem Maßstab hatte
der gewöhnliche Aufenthalt der Tochter des Angeklagten bis zum Tatbeginn noch nicht gewechselt. Nach den Feststellungen hatte sich die sorgeberechtigte Mutter zu Beginn der Abreise aus Deutschland nur vage Gedanken über
die Dauer des Aufenthalts in Syrien gemacht. Dieser sollte zwar länger, aber doch nur vorübergehend sein und nicht
notwendigerweise bis zur Volljährigkeit der Tochter andauern. Dass es der Sorgeberechtigten darauf ankam, ihre
Tochter von ihrem Freundeskreis als Teil des damaligen Lebensumfelds in Deutschland zu trennen, begründete nicht
spiegelbildlich deren soziale Integration in Aleppo. Diese findet bei einer Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen ihren
Ausdruck nicht mehr vorrangig in ihren familiären Einbindungen, sondern maßgeblich auch in den Beziehungen zu
Außenstehenden und manifestiert sich unter anderem in Schulbesuch, Ausbildung und Freundschaften (vgl. hierzu
BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 - IVb ZB 586/80, NJW 1981, 520, 521; OLG Jena, Beschluss vom
19.November 2014 - 4 UF 543/13, juris Rn. 15 mwN). Eine solche soziale Einbindung hatte bis zum Tatbeginn jedoch allenfalls in Bezug auf die familiären Verhältnisse stattgefunden, wobei die Minderjährige einen nicht unerheblichen Zeitraum nach ihrer Abreise noch von einem Ferienaufenthalt bzw. vorübergehendem Aufenthalt zum Zweck
der Erlangung einer Namensänderung ausging. Ein Schulbesuch fand nicht statt. Damit hatte sich im Tatzeitpunkt
das Sorgerechtsstatut (noch) nicht im Sinne von Art. 21 EGBGB gewandelt. Die Frau des Angeklagten war aufgrund
der gerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 2001, die auch nicht gemäß §1696Abs.1 BGB abgeändert worden war,
weiterhin allein sorgeberechtigt.
b) Auf die Tat ist deutsches Strafrecht anwendbar. Trotz des im Ausland gelegenen Handlungsortes handelt es sich
um eine Inlandstat im Sinne von §3 StGB, weil der zum Tatbestand gehörende Erfolg jedenfalls auch in Deutschland
eingetreten ist.
aa) Erfolgsort im Sinne von § 9 Abs. 1 StGB ist der Ort, an dem ein zum gesetzlichen Tatbestand gehörender Handlungserfolg eintritt. "Erfolg" meint damit nicht jede Auswirkung der Tat, sondern nur solche Tatfolgen, die für die
Verwirklichung des Tatbestandes erheblich sind (so schon zu § 3 Abs.3StGB aF: BGH, Urteil vom 9. Oktober 1964 3 StR 34/64, BGHSt 20, 45, 51). Der Erfolgsort liegt mithin im Inland, wenn dort die tatbestandlich vorausgesetzte
Wirkung eingetreten ist (MüKoStGB/Ambos aaO, §9 Rn. 16). Tatwirkungen, die für die Tatbestandsverwirklichung
nicht oder nicht mehr relevant sind, begründen keinen Tatort (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2006 - 3 StR 403/05,
NStZ-RR 2007, 48, 50; OLG Köln, Beschluss vom 18. November 2008 - 82 Ss 89/08, NStZ-RR 2009, 84;
MüKoStGB/Ambos aaO, § 9 Rn. 16). Beim Dauerdelikt genügt es, wenn der durch die fortdauernde Handlung bewirkte tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg nur während eines Teils der Tatzeit im Inland eintritt (vgl.
LK/Werle/Jeßberger aaO, § 9 Rn. 55; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 9 Rn. 2; vgl. auch OLG München, Beschluss
vom 4. Dezember 2006 –OLG Ausl 262/06, NJW 2007, 788, 789).
- 162 -
bb) Nach diesen Maßstäben ist ein inländischer Erfolgsort begründet. Die Entziehung Minderjähriger nach § 235
Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt (vgl. Geppert, Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, 1986, S.759, 779;
MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO, § 235 Rn. 10, 101; iE auch SK-StGB/Wolters, 136. Lfg., § 235 Rn. 9). Die Tatbestandsmerkmale des Entziehens bzw. Vorenthaltens knüpfen an ein Handeln des Täters an, das - gegebenenfalls mit
den tatbestandlich vorausgesetzten Mitteln der Gewalt, Drohung oder List - den Erfolg, nämlich die durch räumliche
Trennung bedingte wesentliche Beeinträchtigung der Personensorge, bewirkt. Dieser von § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB
vorausgesetzte Erfolg ist vorliegend jedenfalls auch im Inland eingetreten. Zwar geschah die Trennung der Sorgeberechtigten von ihrer Tochter bereits in Syrien. Doch wurde der Inlandsbezug der Tat begründet, als sich die sorgeberechtigte Mutter zurück nach Deutschland begab, wo sie ihren Wohnsitz und auch die Tochter weiterhin ihren familienrechtlich gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Denn zu diesem Zeitpunkt dauerte der rechtswidrig geschaffene
Zustand noch an. Da die Geschädigte im Zeitpunkt ihrer Rückkehr weiterhin an der Ausübung ihres Sorgerechts
gehindert war, trat diese Wirkung der Handlung des Angeklagten nunmehr im Inland ein. Hierbei handelte es sich
nicht nur um eine mittelbare Tatwirkung, die für die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr relevant war. Da §235
Abs. 1 StGB ein Dauerdelikt darstellt (BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 564/05, NStZ 2006, 447, 448 mwN;
MüKoStGB/Wieck-Noodt aaO; NK-StGB-Sonnen aaO, § 235 Rn. 34), setzte die Verwirklichung des Straftatbestandes sich zum Zeitpunkt der Rückkehr der Sorgeberechtigten in Deutschland fort. Die Vorschrift des § 5 Nr. 6a StGB
drängt nicht zu einer anderen Beurteilung. Hiernach gilt das deutsche Strafrecht in den Fällen der Entziehung eines
Kindes nach § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB stets, wenn sich die Tat gegen eine Person richtet, die im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hieraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, der Gesetzgeber habe die
Entziehung von Kindern oder Minderjährigen, bei denen die Tathandlung im Ausland vorgenommen wird, generell
als Auslandstat einstufen und/oder den Anwendungsbereich von § 9 StGB einschränken wollen. Den Gesetzesmaterialen lässt sich hierzu lediglich entnehmen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des § 5 Nr. 6a StGB in den
Fällen des § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Strafbarkeit auch bei Auslandstaten sichergestellt wissen wollte (BT-Drucks.
13/8587, S. 27). Selbst wenn man in Fällen, in denen - wie hier - die Tathandlung im Ausland vorgenommen wird,
annimmt, dass unter bestimmten Voraussetzungen der fortdauernde Erfolg im Inland eintritt, verbleibt für § 5 Nr. 6a
StGB ein eigenständiger Anwendungsbereich. Zu denken ist etwa an die Fälle, in denen die Kindesentziehung im
Ausland geschieht und auch der Sorgeberechtigte während der gesamten Zeit bis zur Rückführung des Kindes nicht
ins Inland zurückkehrt, aber auch an die einer Verletzung eines im Ausland zu erfüllenden Umgangsrechts.
StGB § 239a, § 249 § 250 Todesdrohung mit Elektroschocker
BGH, Urt. v. 12.02.2015 - 1 StR 444/14 - BeckRS 2015, 06005 = NStZ-RR 2015, 173 (Ls.)
1. Bei der Geiselnahme muss zwischen der Entführung und der beabsichtigten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart bestehen.
2.Eine konkludente Drohung mit Fortführung der Gewalt setzt voraus, dass sich den Gesamtumständen einschließlich der zuvor verübten Gewalt die aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung
entnehmen lässt, der Täter also in irgendeiner Form schlüssig erklärt, er werde einen eventuell geleisteten Widerstand mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. Nutzt der Täter die durch die
vorangegangene Gewaltanwendung entstandene Angst und Einschüchterung des Opfers nur aus,
ohne diese durch eine ausdrückliche oder konkludente Drohung zu aktualisieren, fehlt es an der
erforderlichen Finalität.
3. Elektroimpulsgerät ist gefährliches Werkzeug i.S.d. § 249 StGB. Es wird nur dann gemäß § 250
Abs. 2 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendet, wenn es der Täter als Raubmittel zweckgerichtet einsetzt
und das Opfer die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben wahrnimmt und somit
in die entsprechende qualifizierte Zwangslage versetzt wird.
I. 1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17. Januar 2014 wird
verworfen, soweit es den Angeklagten E. betrifft.
- 163 -
2. Die Staatskasse hat die Kosten dieses Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten E. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
II. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil hinsichtlich des Angeklagten R. - auch
zu seinen Gunsten - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Fall B II 4 der
Urteilsgründe) sowie im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses
Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, Diebstahls und Freiheitsberaubung, letztere jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub, zu einer Jugendstrafe von drei Jahren
und drei Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten R. freigesprochen. Der Angeklagte R. war zur Tatzeit des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln noch Heranwachsender. Den Angeklagten E. hat das
Landgericht wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei
Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen
die Verurteilung beider Angeklagter wegen Geiselnahme nach § 239b StGB und zusätzlich die Verurteilung des
Angeklagten R. wegen besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Darüber hinaus beanstandet sie
beim Angeklagten R. die Anwendung von Jugendstrafrecht. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel
führen hinsichtlich des Angeklagten R. zur Aufhebung des Urteils; hinsichtlich des Angeklagten E. bleiben sie ohne
Erfolg.
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist bezüglich des Angeklagten R. rechtswirksam auf den Schuldspruch in Fall
B II 4 der Urteilsgründe sowie den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs
ihrer Revisionsbegründung die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils beantragt und zugleich die Verletzung
sachlichen Rechts gerügt. Gegenstand der nachfolgenden Begründung ist allerdings nur Fall B II 4 des Urteils. Somit
widersprechen sich Revisionsantrag und Revisionsbegründung. Dieser ist jedoch in einer Gesamtschau zu entnehmen, dass der Schuldspruch in den Fällen B II 1, 2 und 3 und der Teilfreispruch nicht angegriffen werden sollen.
Umstände, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuldfrage in den
Fällen B II 1, 2 und 3 oder des Teilfreispruchs (B II 1) und der Rechtsfolgenfrage ergibt, liegen nicht vor.
II. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts veräußerte und übergab der am 5. November 1991 geborene Angeklagte R. zwischen Mai 2012 und August 2012 dem anderweitig Verfolgten Z. zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten
jeweils mindestens 20 g Amphetamin-Gemisch zu einem Preis von jeweils 200 bis 300 €.
b) Kurz vor dem 28. September 2012 veräußerte und übergab der Angeklagte R. dem anderweitig Verfolgten Z.
mindestens 363,2 g Amphetamin-Gemisch zu einem Preis von 5.000 € auf Kommission.
c) Zwischen dem 28. September 2012 und dem 7. Januar 2013 suchte der Angeklagte R. die Wohnung des anderweitig Verfolgten Z. auf, der sich zu dieser Zeit in Untersuchungshaft befand. Er beabsichtigte, ein Mischpult und ein
Interface, das er diesem geliehen hatte, mitzunehmen; er fand diese Geräte aber nicht. Stattdessen nahm er zwei
Synthesizer des anderweitig Verfolgten Z. im Wert von insgesamt 800 € mit.
d) Der Angeklagte R. befürchtete, dass ihn der anderweitig Verfolgte Z. in einer polizeilichen Vernehmung belastet
hatte. Am 7. Januar 2013 wurde der anderweitig Verfolgte Z. aus der Untersuchungshaft entlassen. Am 22. Januar
2013 beschlossen die beiden Angeklagten, den anderweitig Verfolgten Z. in bewusstem und gewollten Zusammenwirken aufgrund eines gemeinsamen Tatplans zur Rede zu stellen, ihn gegen seinen Willen im Auto festzuhalten und
massiv einzuschüchtern, um so dessen Aussage bei der Polizei zu erfahren. Zugleich strebten sie eine ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht klare Lösung für das Problem des Angeklagten R. an, das er wegen der Aussage des anderweitig Verfolgten Z. zu haben glaubte. Nachdem sie von einem Bekannten erfahren hatten, dass sich der anderweitig Verfolgte Z. vor dem Anwesen der Zeugin M. aufhielt, fuhren sie mit dem Pkw dorthin. Der Angeklagte R.
bedeutete dem anderweitig Verfolgten Z. in unfreundlichem Ton, man müsse reden und fasste ihn an der Schulter,
um ihn so dazu zu bewegen, in das parkende Auto einzusteigen. Der anderweitig Verfolgte Z. wagte es nicht, sich zu
wehren und stieg ein. Er führte eine Tasche mit einem Apple MacBook und einem MIDI Controller im Gesamtwert
von etwa 600 bis 930 € mit sich. Er nahm auf der Rückbank hinter dem Fahrer R. Platz; der Angeklagte E. setzte sich
rechts neben ihn. Dann fuhr der Angeklagte R. los. Auf einem Autobahnrastplatz hielt er an und setzte sich links
- 164 -
neben den Geschädigten auf die Rückbank. Dieser saß nun zwischen den beiden Angeklagten und dachte sich, dass
es ihnen um seine Aussage bei der Polizei gehen würde. Der Angeklagte E. sagte zu dem Geschädigten, er habe allen
Grund, Angst zu haben. Darauf teilte der Geschädigte den Angeklagten mit, er habe der Polizei R. als Hintermann
seiner Drogenkäufe benannt, und schilderte ihnen seine Aussage. Er befürchtete, den Angeklagten könne nun in den
Sinn kommen, ihn umzubringen, um die Aussage ungeschehen zu machen, und hatte Todesangst. Er bot den Angeklagten an, seine Aussage zurückzunehmen. Der Angeklagte R. gab nun vor, außerhalb des Autos mit seinen Hintermännern telefonieren zu müssen. Dann teilte er dem Geschädigten mit, dass eine Rücknahme der Aussage nicht
möglich sei, die Hintermänner ihn jetzt abholen und ins Ausland verbringen würden. Ob sie ihn dort umbringen
würden, wisse er nicht. Der Angeklagte E. drohte dem Geschädigten damit, dass auch dessen Familie und Freundin
etwas zustoßen würde, wenn R. etwas passieren sollte. Als der Geschädigte austreten musste, bewachte ihn der Angeklagte E. und sagte ihm, wenn er weglaufen sollte, sei er tot. Er forderte ihn auf, mit der Zeugin M. zu telefonieren
und ihr zu sagen, alles sei in Ordnung, man ginge nur zu McDonalds. Das tat der Geschädigte. Der Angeklagte R.
holte im Verlauf des Gesprächs im Auto ein Elektroimpulsgerät aus seiner Jackentasche heraus und schoss dem
Geschädigten zweimal in den Hals. Hierdurch erlitt dieser erhebliche Schmerzen und Krämpfe. Das hatte der Angeklagte R. auch gewusst und gewollt. Der Angriff beruhte nicht auf einem gemeinsamen Tatplan mit dem Angeklagten E. und wurde von diesem auch nicht gebilligt. Der Geschädigte befand sich weiterhin in Todesangst und versuchte erneut, die Angeklagten davon zu überzeugen, dass er die Aussage bei der Polizei zurücknehmen werde. Der Angeklagte R. stieg nun abermals aus dem Pkw aus und telefonierte wiederum fiktiv mit etwaigen Hintermännern.
Danach forderte er den Geschädigten auf, ihm ein Angebot zu machen, er würde die Sache dann abblasen. Die Angeklagten und der Geschädigte kamen daraufhin überein, dass der Geschädigte seine Aussage bei der Polizei ändern
und angeben werde, dass er den Angeklagten R. fälschlich beschuldigt habe. Nachdem sie auch Namen von alternativ zu benennenden Hintermännern besprochen hatten, setzte der Angeklagte R. die Fahrt fort. Während der Rückfahrt beschloss er, dem Geschädigten das elektronische Gerät, das dieser bei sich hatte, als Ausgleich für noch offene
Kommissionsschulden und etwaige zukünftige Anwaltskosten wegzunehmen. Dass er auf die Gegenstände keinen
Anspruch hatte, wusste er. Unter Ausnutzung der von ihm erkannten, massiven Einschüchterung und Angst des Geschädigten verlangte er am Ende der Fahrt und noch im Auto in Gegenwart des Angeklagten E. die Herausgabe des
in der Tasche befindlichen MacBooks und des MIDI Controllers. Er sagte dem Geschädigten, das sei "für die Anwaltskosten". Der Geschädigte wollte ihm diese Gegenstände zwar nicht geben, duldete aber unter dem Eindruck des
kurz zuvor erfolgten Einsatzes des Elektroschockers und der Todesdrohungen die Wegnahme der Tasche und die
Herausnahme der Gegenstände. Er wollte nur mit dem Leben davon kommen und befürchtete den Einsatz weiterer
Gewalt. Die Wegnahme der Gegenstände beruhte nicht auf einem mit dem Angeklagten E. gefassten Tatplan. Der
Angeklagte E. billigte dieses Vorgehen auch nicht. Nach der Verhaftung bemühten sich beide Angeklagte darum,
einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. Der Angeklagte R. schrieb dem Geschädigten aus der Untersuchungshaft einen Entschuldigungsbrief. Während der Hauptverhandlung entschuldigte er sich mündlich bei ihm und
bot ihm eine Ausgleichszahlung in Höhe von 1.500 € an; zugleich erklärte er sich mit der Ausreichung der bei ihm
sichergestellten 300 € an den Geschädigten einverstanden. Der Geschädigte nahm die Entschuldigungen, die Ausgleichszahlung und die Ausreichung des sichergestellten Geldes an. Der Angeklagte E. schloss mit dem Geschädigten eine Vereinbarung, die neben einer Entschuldigung auch eine Entschädigungszahlung in Höhe von 1.500 € an
den Geschädigten umfasste. In der Hauptverhandlung entschuldigte er sich mündlich bei dem Geschädigten, der die
Entschuldigung annahm.
2. Das Landgericht hat das Geschehen in der rechtlichen Würdigung bei dem Angeklagten R. als Nötigung (§ 240
StGB) in Tateinheit jeweils mit Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2
StGB) und schwerem Raub (§ 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB) und bei dem Angeklagten E. als Nötigung (§ 240 StGB) in
Tateinheit mit Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) gewertet. Eine Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB hat das
Landgericht mit der Begründung abgelehnt, der während der Entführung durchgesetzte Nötigungserfolg, also die
Mitteilung, welche Angaben bei der Polizei gemacht wurden, sei nicht durch die erforderlichen qualifizierten Nötigungsmittel herbeigeführt worden, während die späteren Todesdrohungen nur zu einem abgenötigten Verhalten in
Gestalt des Widerrufs der belastenden Angaben bei der Polizei nach Ende der Bemächtigungssituation führen sollten.
Die bloße Zusage späteren Verhaltens reiche für eine Straftat nach § 239b Abs. 1 StGB nicht aus. In Bezug auf die
Wegnahme der elektronischen Geräte durch den Angeklagten R. hat das Landgericht ausgeführt, die Bemächtigungssituation und die Nötigung mit der Zielrichtung der Rücknahme der Aussage seien beendet gewesen, man habe die
- 165 -
Sache „abgeblasen“ und sei zurückgefahren, so dass auch insoweit kein weiterer, qualifizierter Nötigungserfolg
gegeben sei.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich des Angeklagten E. unbegründet. Das Landgericht hat auf
der Grundlage der Feststellungen zutreffend eine Geiselnahme (§ 239b StGB) verneint und ihn der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung schuldig gesprochen. Eine Geiselnahme begeht, wer einen Menschen entführt oder
sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren
Körperverletzung (§ 226 StGB) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu
einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt. Zwar haben die Angeklagten den Geschädigten entführt, sich seiner bemächtigt und ihn eingeschüchtert. Er teilte deshalb auch von sich aus den Inhalt seiner Aussage
vor der Polizei mit und bot noch vor der ersten Todesdrohung an, seine Aussage zurückzunehmen. Nach den Todesdrohungen versuchte er erneut, die Angeklagten zu überzeugen, dass er die Aussage zurücknehmen werde und einigte sich schließlich mit ihnen darauf, die R. belastende Aussage bei der Polizei abzuändern und anzugeben, er habe
diesen fälschlich beschuldigt, wobei nun andere als Hintermänner benannt werden sollten. Es ist jedoch nicht festgestellt, dass die Angeklagten den Geschädigten entführt haben, um ihn zu einer Handlung zu nötigen, die er während
der Entführung vornehmen sollte. Zwischen der Entführung und der beabsichtigten Nötigung muss aber ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart bestehen, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Entführung
nötigen will und die abgenötigte Handlung während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll (BGH,
Beschluss vom 22. November 1994 - GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 355; BGH, Urteil vom 20. September 2005 - 1 StR
86/05, NStZ 2006, 36 f.; BGH, Beschluss vom 12. September 2013 - 2 StR 236/13, StV 2014, 218). Hier verfolgten
die Angeklagten aber die Absicht, den Geschädigten durch Entführung und qualifizierte Drohung dazu zu bestimmen, erst nach Beendigung der Zwangslage den Angeklagten R. bei der Polizei zu entlasten. Damit ist der Tatbestand nicht erfüllt. Soweit der Geschädigte noch während der Bemächtigungslage seine Bereitschaft erklärt hat, künftig vor der Polizei wie gewünscht auszusagen, reicht diese Absichtserklärung für den tatbestandsmäßigen Erfolg
nicht aus. Allerdings kann auch das Erreichen eines Teilerfolges des Täters, der ein weitergehendes Ziel vorbereitet,
eine Nötigung darstellen (BGH, Urteile vom 14. Januar 1997 - 1 StR 507/96, NJW 1997, 1082 f.; und vom 20. September 2005 - 1 StR 86/05, NStZ 2006, 36 f.), wenn die Handlung des Opfers eine nach der Vorstellung des Täters
eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs ist (BGH, Urteile vom 14. Januar 1997 - 1 StR 507/96,
NJW 1997, 1082 f.; und vom 20. September 2005 - 1 StR 86/05, NStZ 2006, 36 f.). Eine solche eigenständig bedeutsame Vorstufe in Gestalt einer gesteigerten Verbindlichkeit scheidet anhand der getroffenen Feststellungen aber aus.
Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, die Angeklagten seien davon ausgegangen, dass sie bereits während
der Bemächtigungssituation erreichen konnten, dass der Geschädigte sich zu diesem Zeitpunkt verlässlich und endgültig zur Rücknahme der den Angeklagten R. belastenden Aussage und der Beschuldigung Dritter verpflichtet.
Angesichts dessen, dass sie zu Beginn des Tatgeschehens keine klare Vorstellung darüber hatten, wie sie das durch
die belastende Aussage entstandene Problem des Angeklagten R. lösen könnten, liegt es fern, dass nach ihrer Vorstellung die Zusage eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs sein sollte. Die Zusage verbesserte die Beweislage für den Angeklagten R. und seine Position als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren nicht. Sie
enthielt keine verbindliche Erklärung über das zukünftige Aussageverhalten des Geschädigten, aus der er irgendeinen rechtlichen Nutzen ziehen könnte. Dem Geschädigten wurde auch nicht abverlangt, seine entlastende Aussage
schriftlich niederzulegen, Hintermänner zu belasten und seine Erklärung zu unterschreiben. Zudem erklärte der Geschädigte seine Bereitschaft, die Aussage zurückzunehmen, bereits vor der ersten Drohung mit dem Tode. Soweit der
Angeklagte E. den Geschädigten veranlasst hat, mit der Zeugin M. zu telefonieren und ihr zu sagen, dass alles in
Ordnung sei, ist dies ebenfalls keine hinreichende Vorstufe des gewollten Enderfolgs. Es fehlt an der finalen Verknüpfung zwischen der Bemächtigungslage und ihrer Ausnutzung zum Zwecke der Nötigung. Das Telefonat diente
lediglich der Aufrechterhaltung der Bemächtigungslage, um die Zeugin zu beruhigen und davon abzuhalten, die
Polizei einzuschalten. Damit erfüllt das Verhalten des Angeklagten E. nur die Tatbestände der Freiheitsberaubung
und der (schon im Hinblick auf das erzwungene Telefonat) vollendeten Nötigung. Zwar sind die Ausführungen des
Landgerichts insoweit widersprüchlich als es die Voraussetzungen des § 239b StGB mangels eines während der
Bemächtigungslage erzielten Teilerfolgs ablehnt, dann aber eine vollendete Nötigung durch dieses Geschehen mit
der Begründung annimmt, die Angeklagten hätten dem Geschädigten die Zusage zur Rücknahme seiner Angaben
gegenüber der Polizei durch Drohungen mit dem Tod abgerungen (UA S. 50). Indes liegt eine vollendete Nötigung
beim Angeklagten E. schon deshalb vor, weil er den Geschädigten während der Entführung durch die Drohung, er
- 166 -
habe allen Grund, Angst zu haben, zur Preisgabe seiner gegenüber der Polizei getätigten Angaben gezwungen hat.
Auch der Strafausspruch ist rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat den Strafrahmen gemäß § 46a StGB gemildert,
weil es zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte E. mit dem Geschädigten erfolgreich einen Täter-OpferAusgleich durchgeführt hat.
IV. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt hinsichtlich des Angeklagten R. - jeweils insoweit auch zu Gunsten
des Angeklagten (§ 301 StPO) - zur Aufhebung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
Das Landgericht hat bei dem Angeklagten R. zutreffend eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1
StGB abgelehnt (siehe Ziffer III.). Es hat ihn wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub schuldig gesprochen. Die in den Urteilsgründen ebenfalls festgestellte tateinheitliche Nötigung hat das Landgericht - offensichtlich wegen eines Fassungsversehens - nicht in den Tenor aufgenommen (UA
S. 46, 49). Die Verurteilung wegen schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB hält jedoch der
rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Feststellungen hierzu lückenhaft sind. Demgegenüber liegt auch ein den
Angeklagten begünstigender Rechtsfehler vor, weil das Landgericht eine Prüfung des Geschehens unter dem Gesichtspunkt des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und des § 239a StGB unterlassen hat.
1. Das Landgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen des schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr.
1a StGB bejaht, soweit der Angeklagte R. dem Geschädigten am Ende der Rückfahrt dessen MacBook und den MIDI Controller wegnahm. Die Qualifikation nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, die erfüllt wäre, wenn das Elektroimpulsgerät als gefährliches Werkzeug verwendet worden wäre, hat es nicht geprüft.
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte R. unter Ausnutzung der von ihm erkannten massiven Einschüchterung und Angst des Geschädigten die Herausgabe der elektronischen Geräte verlangte und ihm sagte, das sei
für die Anwaltskosten. Der Geschädigte, der sich weiterhin im Auto und im Einflussbereich der Angeklagten befunden habe, habe unter dem Eindruck des kurz zuvor erfolgten Einsatzes des Elektroschockgeräts und der Todesdrohungen die Wegnahme der Gegenstände geduldet. Er habe nur mit dem Leben davon kommen wollen und den Einsatz weiterer zeitnaher Gewalt befürchtet (UA S. 7, 22). Im Rahmen der rechtlichen Würdigung (UA S. 50) hat das
Landgericht ausgeführt, zum Zeitpunkt der Wegnahme sei die Bemächtigungssituation beendet gewesen, man hatte
die Sache "abgeblasen" und fuhr zurück. Das Nötigungsmittel der Drohung mit weiterer Gewalt und die Wegnahme
des technischen Geräts seien funktional verknüpft gewesen. Die kurz zuvor durch den Einsatz des Elektroschockers
verübte Gewalt habe als aktuelle Drohung neuer Gewaltanwendung weiter auf den Geschädigten eingewirkt. Dieser
habe sich unverändert im Einflussbereich des Angeklagten R. befunden, von dem er wusste, dass er den Elektroschocker bei sich führte, und des Angeklagten E., der ihn zuvor - ebenso wie der Angeklagte R. - mit dem Tode bedroht
hatte. Er sei im Zeitpunkt der Wegnahme nicht nur allgemein eingeschüchtert gewesen, sondern habe sich der Wegnahme nicht zu widersetzen gewagt, weil er den Einsatz weiterer, zeitnaher Gewalt befürchtet habe. Dies habe der
Angeklagte R. bewusst ausgenutzt.
b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Raubes nicht. Nach § 249 Abs. 1 StGB wird derjenige bestraft, der mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib
oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Gewalt oder Drohung müssen dabei Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein (vgl.
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2003 - 2 StR 283/03, BGHSt 48, 365, 367). Eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib oder Leben kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen (BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 - 3 StR 102/08,
NStZ 2008, 687), also durch schlüssiges Verhalten oder mit unbestimmten Andeutungen in versteckter Weise, die
ein Übel für das Opfer erkennbar ankündigen. Erforderlich ist, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht; es genügt nicht, wenn der
andere nur erwartet, der Täter werde ihm ein empfindliches Übel zufügen (BGH, Urteil vom 17. März 1955 - 4 StR
8/55, BGHSt 7, 252, 253). Die konkludente Drohung mit Fortführung der Gewalt setzt also voraus, dass sich den
Gesamtumständen einschließlich der zuvor verübten Gewalt die aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung entnehmen lässt, der Täter also in irgendeiner Form schlüssig erklärt, er werde einen eventuell geleisteten Widerstand
mit Gewalt gegen Leib oder Leben brechen. Nur dann wirkt die zuvor verübte Gewalt als aktuelle Drohung erneuter
Gewaltanwendung weiter. Nutzt der Täter hingegen die durch die vorangegangene Gewaltanwendung entstandene
Angst und Einschüchterung des Opfers nur aus, ohne diese durch eine ausdrückliche oder konkludente Drohung zu
aktualisieren, fehlt es an der erforderlichen Finalität (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 1994 - 2 StR 431/94,
StV 1995, 416 mwN; Sander in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012, § 249 Rn. 31). Ein Schuldspruch
wegen Raubes scheidet aus. Bei der Anwendung der Gewalt mit dem Elektroimpulsgerät handelte der Angeklagte
- 167 -
noch nicht mit dem Ziel, dem Geschädigten etwas wegzunehmen. Die zunächst zu anderen Zwecken begonnene
Gewaltanwendung hat er nach Fassen des Wegnahmevorsatzes nicht fortgesetzt. Eine Äußerung oder sonstige Handlung des Angeklagten vor der Wegnahme, die eine auch nur konkludente Drohung mit weiterer Gewalt nach dem
Fassen des Wegnahmeentschlusses beinhaltet, ist nicht festgestellt. Das Landgericht führt lediglich aus, dass die
„Bemächtigungssituation und die Nötigung mit der Zielrichtung der Rücknahme der Aussage“ (UA S. 50) beendet
war und der Angeklagte R. das Herausgabeverlangen mit der Bemerkung erläuterte, das sei "für die Anwaltskosten".
Ob darin ein vom Angeklagten gewollter Erklärungsinhalt im Sinne einer versteckten Andeutung der Androhung
erneuter Gewaltanwendung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Erzwingung der Wegnahme liegt und
ob der Geschädigte dies dann auch so verstanden hat, lässt das Urteil offen. Allein der Umstand, dass die Wirkungen
eines ohne Wegnahmeentschluss eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, genügt
für die Annahme eines Raubes nicht. Die Feststellungen lassen offen, wo das Elektroschockgerät nach seinem Einsatz verblieben ist, wie sich der Angeklagte R. und der Geschädigte genau verhalten haben, wo sich das Fahrzeug zu
diesem Zeitpunkt befand (u.U. bereits wieder vor der Wohnung der Zeugin M.) und wodurch die Äußerung, das sei
für die Anwaltskosten, ausgelöst wurde.
2. Sofern das neue Tatgericht die Finalität zwischen Gewaltandrohung und Wegnahmehandlung feststellen sollte,
wird auch zu prüfen sein, ob der Angeklagte R. das Elektroimpulsgerät im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet hat. Ein besonders schwerer Raub gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter bei der Tat
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet. Das Elektroimpulsgerät ist ein gefährliches Werkzeug (BGH, Beschluss vom 11. November 2003 - 3 StR 345/03, NStZ-RR 2004, 169). Ein anderes gefährliches
Werkzeug wird nur dann gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendet, wenn es der Täter als Raubmittel
zweckgerichtet einsetzt und das Opfer die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben mittels des gefährlichen Werkzeugs wahrnimmt und somit in die entsprechende qualifizierte Zwangslage versetzt wird (BGH,
Beschluss vom 8. November 2011 - 3 StR 316/11, StV 2012, 153 mwN). Dabei setzt (vollendetes) Verwenden zur
Drohung voraus, dass das Opfer das Nötigungsmittel als solches erkennt und die Androhung seines Einsatzes wahrnimmt. Die Äußerung der Drohung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Die konkludente Drohung erfordert,
dass nach ihrem Erklärungsinhalt mit dem Einsatz des gefährlichen Werkzeugs gedroht wird. Dies gilt auch dann,
wenn das gefährliche Werkzeug bereits in anderem Zusammenhang gebraucht worden ist (BGH, Urteil vom 15.
Oktober 2003 - 2 StR 283/03, BGHSt 48, 365, 367). Kein Verwenden ist das bloße Mitsichführen des gefährlichen
Werkzeugs und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn es offen erfolgt (BGH, Urteile vom 8. Mai 2008 - 3 StR
102/08, StV 2008, 470; und vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09, NStZ 2011, 158, 159; BGH, Beschluss vom 8.
Mai 2012 - 3 StR 98/12, NStZ 2013, 37). Die Annahme eines besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1
StGB setzt hier also voraus, dass der Angeklagte konkludent mit dem erneuten Einsatz des Elektroschockgeräts gedroht hat, sich dieser konkludenten Drohung auch bewusst war und den Geschädigten dadurch veranlassen wollte,
die Wegnahme zu dulden. Der Geschädigte wiederum muss eine Drohung mit diesem Erklärungsinhalt auch wahrgenommen haben. Die Feststellungen lassen offen, ob der Angeklagte R. konkludent mit dem Einsatz des Elektroschockgeräts gedroht und damit dieses gefährliche Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet hat.
Sie ergeben nicht, dass der Angeklagte R. am Ende der Fahrt das Elektroimpulsgerät in irgendeiner Weise dem Geschädigten präsentierte oder in sonstiger Weise in Erinnerung brachte und der Geschädigte dies auch so wahrgenommen hat. Allein die möglicherweise nach wie vor bestehende Verfügungsgewalt des Angeklagten R. über das
Elektroimpulsgerät und dessen früherer Einsatz belegen keine konkludente Drohung, es bei Nichtbefolgung seines
Herausgabeverlangens erneut einzusetzen. Da die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB einen zweckgerichteten
Einsatz des gefährlichen Werkzeugs voraussetzt, reicht es nicht aus, dass der Geschädigte sich deshalb fügte, weil er
den Einsatz weiterer Gewalt befürchtete. Der Senat kann nicht ausschließen, dass in einer erneuten Hauptverhandlung noch weitergehende Feststellungen getroffen werden können.
3. In diesem Zusammenhang wird auch zu klären sein, ob sich der Angeklagte R. durch das Herausgabeverlangen
und die Wegnahme der elektronischen Geräte eines erpresserischen Menschenraubes nach § 239a Abs. 1 StGB
schuldig gemacht hat; denn nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Geschädigte unverändert im
Einflussbereich des Angeklagten R., von dem er wusste, dass er den Elektroschocker bei sich führte, und des Angeklagten E., der ihn zuvor - ebenso wie der Angeklagte R. - mit dem Tod bedroht hatte (UA S. 50). Allerdings geht
das Landgericht davon aus, dass eine „Bemächtigungssituation“ zu diesem Zeitpunkt beendet war (siehe Ziffer IV.
1.b).
- 168 -
Zwar liegt nicht fern, dass die Rückfahrt auch dem Wunsch des Geschädigten nach Rückkehr entsprach, so dass die
Entführung (und die Freiheitsberaubung) aufgrund eines Einverständnisses des Opfers mit der nunmehr vorgenommenen Ortsveränderung und dem Verbleib im Auto tatsächlich ihr Ende gefunden hatte. Jedoch sind die Feststellungen hierzu unklar.
4. Eine vollendete Nötigung liegt beim Angeklagten R. bereits deshalb vor, weil die Angeklagten den Geschädigten
einvernehmlich mittels der durch die Entführung verstärkten Drohung, er habe allen Grund, Angst zu haben, zur
Preisgabe seiner gegenüber der Polizei getätigten Angaben gezwungen haben. Hinsichtlich der in Bezug auf § 239b
StGB widersprüchlichen Ausführungen des Landgerichts wird auf Ziffer III. verwiesen. Ob der Geschädigte seine
Aussage vor der Polizei zurückgenommen hat und damit ein weiterer Nötigungserfolg eingetreten ist, lässt sich den
Feststellungen nicht entnehmen.
5. Die Aufhebung des Schuldspruchs bei dem Angeklagten R. zieht die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach
sich. Allerdings merkt der Senat an, dass die einheitliche Anwendung von Jugendstrafrecht auf den Angeklagten R.
auf der Grundlage der bisherigen (wenngleich lückenhaften) Feststellungen nicht rechtsfehlerhaft ist. Einen Rechtsfehler stellt es aber dar, im Rahmen der Bemessung der Jugendstrafe offen zu lassen, ob ein vertypter Milderungsgrund (hier § 46a StGB) gegeben ist oder nicht; denn ein vertypter Milderungsgrund prägt das in der Straftat hervorgetretene Unrecht. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Jugendkammer wird die Anwendung von Jugendstrafrecht auf der Grundlage des dann im Fall B II 4 erfolgten Schuldspruchs neu zu prüfen haben.
V. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO und § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO.
StGB § 241 Bedrohung – Eindruck der Ernstlichkeit
BGH, Beschl. v. 15.01.2015 - 4 StR 419/14 - BeckRS 2015, 02499
Der Tatbestand der Bedrohung in § 241 Abs. 1 StGB, der in erster Linie dem Schutz des Rechtsfriedens des Einzelnen dient, setzt das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen der Begehung eines Verbrechens gegen den Drohungsadressaten oder eine
ihm nahestehende Person voraus, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint,
den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken. Ob einer Erklärung oder einem schlüssigen Verhalten
die objektive Eignung zur Störung des individuellen Rechtsfriedens zukommt, beurteilt sich nach
den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines durchschnittlich empfindenden Beobachters, wobei
auch Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 15. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 2. Dezember 2013, soweit der
Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen
a) hinsichtlich der Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe und
b) im Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz
in vier Fällen, Bedrohung in sechs Fällen und Beleidigung in zwei Fällen zu der Jugendstrafe von acht Monaten
verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf
eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus
der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen: Der zu den Tatzeiten 18 und 19 Jahre
alt gewesene, nicht vorbestrafte Angeklagte leidet an einer leichten Intelligenzminderung (Intelligenzquotient von
50) sowie an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, die insbesondere in einer gestör-
- 169 -
ten Empathiefähigkeit ihren Ausdruck findet. Er steht unter u.a. die Aufgabenbereiche Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungs-, Vermögens- und Behördenangelegenheiten umfassender Betreuung und lebte seit
Mai 2012 bis zu seiner auf landesrechtlicher Grundlage erfolgten Unterbringung am 11. Januar 2013 in einer Einrichtung der evangelischen Stiftung U. in B., wo es von Beginn an zu Konflikten zwischen dem Angeklagten und
anderen Bewohnern der Einrichtung kam, die im Vergleich zu auch in früheren Wohngruppen des Angeklagten vorkommenden Konflikten von größerer Intensität waren. Am 6., 11. und 17. Mai 2012 sandte der Angeklagte u.a. fünf
SMS-Nachrichten an seinen leiblichen Vater, von denen eine Nachricht eine beleidigende Äußerung enthielt und vier
Nachrichten Tötungsdrohungen zum Gegenstand hatten, die sich gegen den Vater des Angeklagten oder dessen Mutter richteten (II. 1 der Urteilsgründe). Zwischen dem 21. und 23. September 2012 begab sich der Angeklagte in den
auf dem Gelände der Stiftung befindlichen Pferdestall und brachte einem dort untergebrachten Pferd mittels eines
kleinen Butterflymessers mit 4 cm langer Klinge am Oberschenkel des linken Vorderbeins eine 4 cm tiefe Stichverletzung bei, deren Stichkanal bis zum Knochen reichte (II. 2 der Urteilsgründe). Im unmittelbaren Zusammenhang
mit dem Übergriff auf das Pferd wurde der Angeklagte auf einen Igel aufmerksam, auf den er mit seinem Butterflymesser einstach. Anschließend verpackte er den blutenden Igel in eine Plastiktüte und legte ihn im Pferdestall der
Einrichtung ab (II. 3 der Urteilsgründe). Bei anderer Gelegenheit, vermutlich Ende September 2012, bemerkten der
Angeklagte und drei andere auf dem Gelände der Einrichtung einen Igel, den sie gemeinsam u.a. durch Schläge mit
einer Krücke so schwer verletzten, dass er verendete. Der Angeklagte beteiligte sich an dem Geschehen, indem er
mindestens einmal auf den Igel trat (II. 4 der Urteilsgründe). Am 13. Oktober 2012 bezeichnete der Angeklagte einen
an ihm vorbeigehenden Bewohner der Einrichtung ohne erkennbaren Anlass als „Arschloch“ und erklärte, er habe
seine Mutter und seine Freundin „gefickt“ (II. 5 der Urteilsgründe). Nachdem es am Vortag auf Nachfrage seines
Bezugsbetreuers zu einer Erörterung über die Herkunft eines beim Angeklagten aufgefallenen ungewöhnlich hohen
Bargeldbetrages gekommen war und der Angeklagte das Thema unmittelbar nach dem Aufstehen am Morgen des 6.
Januar 2013 gegenüber dem Betreuer im sehr aufgeregten Zustand wieder angesprochen hatte, kam der Angeklagte
dem Betreuer kurze Zeit später mit einem Tafelmesser in der Hand entgegen und erklärte sinngemäß „ich stech dich
ab, ich bring mich um“. Im weiteren Verlauf legte der Angeklagte auf Aufforderung des Betreuers das Messer mit
dem Griff in dessen Richtung auf den Boden. Um sich gleich wieder mit dem Betreuer zu versöhnen, kam der Angeklagte auf diesen zu und wollte ihn umarmen (II. 6 der Urteilsgründe). Am selben Tag begab sich der Angeklagte
zusammen mit einem anderen auf dem Gelände der Stiftung zu dem von ihm bereits zuvor verletzten Pferd. Mit
einem von seinem Begleiter übergebenen Messer brachte er dem Pferd eine ca. 4 cm lange oberflächliche Schnittverletzung an der Außenseite des rechten Oberschenkels bei (II. 7 der Urteilsgründe). Schließlich sollte der Bezugsbetreuer des Angeklagten diesen am 11. Januar 2013 zur neuen medikamentösen Einstellung des Angeklagten zu einer
Psychiaterin nach B. bringen. Der Angeklagte, der frei entscheiden konnte, ob er zur Psychiaterin fahren wollte oder
nicht, lehnte die ihm bereits am Vorabend angekündigte Fahrt zunächst ab, entschied sich dann aber anders und
erklärte, doch fahren zu wollen. Im Laufe der anschließenden Autofahrt änderte der Angeklagte noch mehrfach seine
Meinung. Zum Teil gab er an, wenn man bei der Ärztin ankomme, werde er nicht aussteigen. Da es dem Angeklagten freistand, die Psychiaterin aufzusuchen oder nicht, ging der Betreuer jedes Mal, wenn der Angeklagte angab,
nicht fahren zu wollen, darauf ein und erklärte umzudrehen, woraufhin sich der Angeklagte wieder anders entschied.
Obwohl der Betreuer jedes Mal auf die Meinungsänderung des Angeklagten reagierte, war dieser während der Fahrt
sehr aufgebracht und bedrohte und beleidigte den Betreuer. Er erklärte, er wolle nicht zur Psychiaterin und bräuchte
auch nicht dorthin zu fahren, wenn er das müsse, dann würde er die Psychiaterin und den Betreuer abstechen. Auch
gab er an, sich selbst umzubringen. Nachdem er darüber hinaus geäußert hatte, er werde dem Betreuer ins Lenkrad
fassen, und sich auch in diese Richtung bewegt hatte, brach der Betreuer die Fahrt ab und fuhr zur Einrichtung zurück (II. 8 der Urteilsgründe). Aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden Intelligenzminderung und der kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung
der Tat am 13. Oktober 2012 nicht ausschließbar, bei den übrigen Taten sicher erheblich herabgesetzt. Die Annahme,
dass vom Angeklagten infolge seines Zustands mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades gewalttätige Übergriffe
auf beliebige Menschen ggf. unter Zuhilfenahme von Werkzeugen oder Waffen zu erwarten sind, stützt die Jugendkammer – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – maßgeblich darauf, dass der Angeklagte zwei wesentliche Hemmschwellen überschritten habe. Zum einen liege mit der Verletzung von Pferden und Igeln ein wichtiger
Prädiktor für Gewaltdelikte gegen Menschen vor. Darüber hinaus habe der Angeklagte mit seinen Selbstverletzungen
auch die Grenze zur Verletzung von Menschen überschritten. Hierzu bedürfe es keines Angriffs auf eine andere
- 170 -
Person. Bereits eine Selbstverletzung bedeute ein hohes Risiko, dass der Angeklagte diese Schwelle zur Verletzung
von Menschen erneut – und dann auch durch Verletzung anderer Personen – überschreite.
II. 1. Die Verurteilung wegen Bedrohung im Fall II. 8 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand,
weil die Wertung des Landgerichts, bei der Äußerung des Angeklagten gegenüber seinem Betreuer habe es sich um
eine objektiv ernstzunehmende Drohung gehandelt, auf einer unvollständigen tatrichterlichen Wertung beruht. Der
Tatbestand der Bedrohung in § 241 Abs. 1 StGB, der in erster Linie dem Schutz des Rechtsfriedens des Einzelnen
dient (vgl. BVerfG, NJW 1995, 2776, 2777; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 241 Rn. 2), setzt das ausdrücklich erklärte
oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen der Begehung eines Verbrechens gegen den Drohungsadressaten oder eine ihm nahestehende Person voraus, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint,
den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken (vgl. BVerfG aaO; OLG Naumburg, StV 2013, 637; OLG Koblenz,
NStZ-RR 2007, 175; Sinn in MükoStGB, 2. Aufl., § 241 Rn. 2, 4; Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl.,
§ 241 Rn. 2, 4). Ob einer Erklärung oder einem schlüssigen Verhalten die objektive Eignung zur Störung des individuellen Rechtsfriedens zukommt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines durchschnittlich
empfindenden Beobachters, wobei auch Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können (vgl. Träger/Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 241 Rn. 10; Sinn aaO Rn. 5; Eser/Eisele aaO). Zwar kann eine Bedrohung
auch in der Weise erfolgen, dass die Begehung des Verbrechens vom künftigen Eintritt oder Nichteintritt eines weiteren Umstands abhängen soll (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1961 – 1 StR 288/61, BGHSt 16, 386, 387), so
dass die Verknüpfung der Todesdrohung des Angeklagten mit einem zwangsweisen Verbringen zu seiner Psychiaterin grundsätzlich der Erfüllung des Tatbestands des § 241 Abs. 1 StGB nicht entgegensteht. Im vorliegenden Fall
sollte nach den Feststellungen jedoch gerade kein Arztbesuch gegen den Willen des Angeklagten durchgesetzt werden. Vielmehr konnte der Angeklagte den in seinem Belieben stehenden Arztbesuch jederzeit ablehnen, was er während der Fahrt auch wiederholt tat. Der Betreuer ging auch jeweils auf die entsprechenden Willensäußerungen ein
und erklärte umzudrehen. Es stand daher schon bei der Äußerung des Angeklagten fest, dass der Umstand, von dem
die Tötungsdrohung nach dem Wortlaut der Äußerung abhängen sollte, nicht eintreten würde. Diesen für die Bestimmung des Erklärungsgehalts der Äußerung bedeutsamen situativen Kontext hat das Landgericht erkennbar nicht
bedacht.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, da eine tatrichterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung der Jugendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist. Wird aus Anlass der Straftat eines nach
Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR
2014, 28). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen.
3. Schließlich begegnet auch der Maßregelausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die
Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 63 StGB nicht tragfähig begründet. Die grundsätzlich unbefristete
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund
eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des
Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der
Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (st. Rspr.; vgl.
BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014
– 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244; vom 30. Juli 2014 – 4 StR 183/14 Rn. 5). Diesen Anforderungen werden
die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht. Soweit die Jugendkammer die
Gefährlichkeit des Angeklagten maßgeblich damit begründet, dass er mit seinen Selbstverletzungen auch die Grenze
zur Verletzung von Menschen überschritten habe, entbehren die Erwägungen einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
Das Urteil gibt insoweit lediglich die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen wieder, wonach aufgrund
der ansonsten widersprüchlichen Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration, die aber hinsichtlich der
- 171 -
Schilderung von Schnitten in den Unterarm wegen der am Unterarm zu erkennenden Narbenbildung stimmig gewesen seien, von einem Impuls zur Selbstverletzung beim Angeklagten auszugehen sei. Konkrete Feststellungen zu
Selbstverletzungen des Angeklagten in der Vergangenheit hat das Landgericht aber nicht getroffen. Die Urteilsgründe verhalten sich weder zu Zeitpunkt, Ausmaß und Häufigkeit von selbstverletzenden Handlungen des Angeklagten
noch dazu, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Selbstverletzungen und dem psychischen Defektzustand des
Angeklagten besteht. Entsprechende Feststellungen wären aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob
einem entsprechenden Verhalten des Angeklagten indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose beigemessen
werden kann. Die Unterbringungsanordnung bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der eher geringfügigen Anlasstaten, die während des Tatzeitraums keine Steigerung der Deliktschwere erkennen lassen, wird der neue Tatrichter im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose – eingehender, als bisher
geschehen, – die vom Angeklagten in verschiedenen Einrichtungen gezeigten aggressiven Verhaltensweisen in den
Blick zu nehmen und sich mit der im angefochtenen Urteil offen gebliebenen Frage zu befassen haben, inwieweit
dieses Verhalten des Angeklagten bereits zu tätlichen Übergriffen auf andere Personen geführt hat. Der Senat weist
ferner darauf hin, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zur Begründung der Gefährlichkeit des Angeklagten
herangezogen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04). Schließlich wird angesichts der besonders gelagerten Sachlage die Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen zu erwägen sein.
StGB § 242, § 249 Wahlfeststellung Antwort auf 2 StR
BGH, Beschl. v. 30.09.2014 - 3 ARs 13/14 - NStZ-RR 2015, 39
Antwort des 3. Senats auf den Anfragebeschluss des 2. Senats zur Rechtsfigur der ungleichartigen
Wahlfeststellung.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2014 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 3. Strafsenats, der an dieser
festhält.
Gründe:
Der 2. Strafsenat hat über die Revisionen von zwei Angeklagten zu entscheiden, die vom Landgericht jeweils wegen
Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in neunzehn (L.) bzw. achtzehn (E.) Fällen zu mehrjährigen Haftstrafen
verurteilt worden sind. Der 2. Strafsenat hält die Verurteilung auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei für rechtsfehlerfrei. Er möchte diese
Rechtsprechung jedoch aufgeben und beabsichtigt wie folgt zu entscheiden:
"1. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2
GG.
2. Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist daher unzulässig."
Hieran sieht er sich jedoch durch entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats gehindert (vgl. etwa Senat,
Beschlüsse vom 19. Januar 2000 - 3 StR 500/99, BGHR StGB § 260 Wahlfeststellung 1; vom 31. Januar 1996 - 3
StR 563/95, BGHR StGB § 259 Abs. 1 Wahlfeststellung 2). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die
Rechtsfigur der ungleichartigen (echten) Wahlfeststellung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG (I.). Auch die aus
dem Rechtsstaatsgebot folgenden Grundsätze des Schuldprinzips (II.) und der Unschuldsvermutung (III.) sind nicht
betroffen.
I. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung verletzt Art. 103 Abs. 2 GG
nicht.
1. Diese Rechtsfigur kommt nur in Fällen zur Anwendung, in denen nach Ausschöpfung aller Beweismittel zwar
feststeht, dass der Angeklagte gegen einen von mehreren Straftatbeständen verstoßen hat, aber nicht weiter aufklärbar ist, gegen welchen dieser Tatbestände. Der Sache nach handelt es sich bei der Wahlfeststellung damit um eine
Entscheidungsregel, die, indem sie vorgibt, wie bei einer solchen Unaufklärbarkeit zu entscheiden ist, grundsätzlich
mit dem Zweifelssatz vergleichbar ist. Da sie aber bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen - anders als der Grundsatz
"in dubio pro reo" - für den Fall der sich gegenseitig ausschließenden Sachverhaltsalternativen nicht zu einer be-
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stimmten Verurteilung oder zum Freispruch gelangt, sondern im Schuldspruch zu einer wahldeutigen Verurteilung
bei Festsetzung der für die am wenigsten schwerwiegende Sachverhaltsalternative angemessenen Strafe (vgl. SKStGB/Wolter [Stand: Oktober 2013], Anh. zu § 55 Rn. 5a), mag die Wahlfeststellung in der Tat in einem Spannungsverhältnis zum Zweifelssatz stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 2 StR 495/12, NStZ 2014,
392, 394); dies entspricht - mit Unterschieden im Detail - der überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl.
LK/Dannecker, StGB, 12. Aufl., Anh. zu § 1 Rn. 8; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 1 Rn. 71: Durchbrechung des
Zweifelssatzes; MüKoStGB/Schmitz, 2. Aufl., Anh. zu § 1 Rn. 12: Einschränkung; SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu §
55 Rn. 5c; ders., GA 2013, 271, 276: Wahlfeststellung variiert den in-dubio-Satz; aA Nüse, GA 1953, 33, 38; Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 468: Wahlfeststellung berührt den Zweifelssatz nicht), ändert indes nichts an der Eigenschaft dieses Rechtsinstituts als Entscheidungsregel, durch die die verfahrensrechtliche Frage beantwortet wird, wie
mit der genannten Beweissituation umzugehen ist (vgl. Stuckenberg aaO; SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn.
5a; Günther, Verurteilungen im Strafprozess trotz subsumtionsrelevanter Zweifel, S. 263). Solche prozessualen Regelungen werden von Art. 103 Abs. 2 GG jedoch nicht erfasst (Kudlich in Kudlich/Montiel/Schuhr, Gesetzlichkeit
und Strafrecht, 2012, 233, 239 ff.). Ob die ungleichartige Wahlfeststellung daneben auch Elemente enthält, die dem
materiellen Strafrecht zuzuordnen sind, kann offen bleiben. Weder wird dadurch die Reichweite der in Art. 103 Abs.
2 GG enthaltenen Gewährleistung verändert, noch wird durch eine solche Zuordnung dessen Anwendungsbereich
ohne weiteres eröffnet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1994 - 2 BvR 746/94, NStZ 1994, 480 zur Ruhensregelung des § 78b Abs. 4 StGB). Für die Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG ist alleine entscheidend, ob die ungleichartige Wahlfeststellung strafbarkeitsbegründend wirkt oder in ihrer Konsequenz dazu führt, dass Art und Maß
der Strafe nicht mehr vom Gesetzgeber vorgegeben sind (zum Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 2 GG im
Einzelnen vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a., NStZ 2012, 496, 503); dies ist
nicht der Fall.
2. Das Rechtsinstitut der ungleichartigen Wahlfeststellung wirkt nicht strafbarkeitsbegründend und berührt damit
nicht den Grundsatz "nullum crimen sine lege". Es bestimmt nicht die Voraussetzungen, unter denen das Verhalten
des Angeklagten als strafbar zu qualifizieren ist. Diese folgen aus den alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen. Die Rechtsfigur regelt alleine - in den Fällen der ungleichartigen ebenso wie in denen der gleichartigen
Wahlfeststellung - wie dem zweifelsfrei strafbaren Verhalten des Angeklagten eine Rechtsfolge gegeben werden
soll. Betroffen ist nicht das "Ob" der Strafbarkeit, sondern das "Wie" der Schuldspruchfassung und Rechtsfolgenbestimmung (vgl. SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn. 5a). Der Zweck des Gesetzlichkeitsprinzips, für den Angeklagten seine Bestrafung vorhersehbar zu halten (BVerfG, Urteil vom 20. März 2002 - 2 BvR 794/95, BVerfGE 105,
135, 153), wird nicht tangiert. Vielmehr muss der Täter im Tatzeitpunkt damit rechnen, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden (so auch Freund in Festschrift Wolter, 2013, 35, 36). Grundlage der Bestrafung des Angeklagten ist in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung insbesondere keine ungeschriebene dritte Norm, die
übereinstimmende Unrechtselemente der beiden nicht unzweifelhaft zur Anwendung gelangenden Strafgesetze in
sich vereinigen würde (so aber Endruweit, Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, der
Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten,
1973, 269 f. unter Berufung auf v. Bar, GA 15 [1867] 569, 574; Freund aaO, 49; dagegen überzeugend Stuckenberg
aaO, 469 f.). Nach der logischen Struktur der Wahlfeststellung wird gerade nicht eindeutig wegen einer "zwischen"
den gesetzlichen Tatbeständen liegenden Handlung verurteilt. Vielmehr muss in jeder in Betracht kommenden Sachverhaltsvariante jeweils ein Straftatbestand vollständig erfüllt sein. Nur in diesem Fall ist ein alternativ zu fassender
Schuldspruch zulässig. Dass der vom Gericht zu treffende Schuldspruch stets bestimmt sein müsse, lässt sich Art.
103 Abs. 2 GG zudem nicht entnehmen (so auch NK-StGB-Frister, 4. Aufl., Nachbemerkungen zu § 2 Rn. 77; SKStPO/Velten, 4. Aufl., § 261 Rn. 103; KMR-Stuckenberg [Stand: August 2013], § 261 Rn. 149; SK-StGB/Wolter
aaO, Anh. zu § 55 Rn. 5b; ders., GA 2013, 271, 274 ff.). Aus dem Umstand, dass eine Verurteilung im Falle der
ungleichartigen Wahlfeststellung nach den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen nur zulässig ist, wenn die in
Betracht kommenden Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind, ergibt sich nichts anderes.
Diese Anwendungsvoraussetzung wirkt nicht strafbarkeitsbegründend, sondern schränkt den Anwendungsbereich
der Rechtsfigur, die gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG auch unbeschränkt zulässig wäre (KMR-Stuckenberg aaO),
lediglich ein.
3. Die ungleichartige Wahlfeststellung verstößt nicht gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Gebot "nulla poena
sine lege". Art und Maß der Strafe bleiben vom parlamentarischen Gesetzgeber vorgegeben, da der Angeklagte auf
der Grundlage kodifizierter Straftatbestände bestraft wird. Den Strafzumessungsvorgang begleiten auch keine mit
- 173 -
Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden Ungenauigkeiten. Die Strafe ist dem Gesetz zu entnehmen, das im konkreten Fall die mildeste Strafe zulässt. Der Tatrichter hat hierbei die jeweils in Betracht kommenden Strafen zu vergleichen und für sämtliche in Betracht kommenden Sachverhaltskonstellationen zu prüfen, auf welche Strafe jeweils
zu erkennen wäre, wenn die eine oder die andere strafbare Handlung nachgewiesen wäre (BGH, Urteile vom 29.
Oktober 1958 - 2 StR 375/58, BGHSt 13, 70, 72; vom 15. Mai 1973 - 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 186;
LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 165; LK/Dannecker aaO, Anh. zu § 1 Rn. 160; SK-StGB/Wolter aaO, Anh.
zu § 55 Rn. 46; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 1 Rn. 47). Grundlage der Bestrafung ist - wie dargelegt - weder eine
ungeschriebene dritte Norm noch eine auf verschiedenen Sachverhalten gründende, per Saldo festgestellte Schuld
des Angeklagten, sondern der Schuldumfang, wie er sich aus der gleichermaßen eine Strafnorm ausfüllende und den
Angeklagten am meisten begünstigenden Sachverhaltsvariante ergibt (vgl. auch Wolter GA 2013, 271, 276). Dass
die Strafe dabei hinter dem wahren Schuldumfang des Angeklagten zurückbleiben kann, ist keine Eigenheit der ungleichartigen Wahlfeststellung, sondern eine aus der Anwendung des Zweifelssatzes folgende Konsequenz (s. auch
Stuckenberg aaO, 470 f.).
II. Die Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung ist weiter mit dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Schuldprinzip vereinbar. Der Schuldgrundsatz bindet die Rechtsprechung insoweit, als die Bestrafung auf einem Schuldvorwurf gründen muss sowie Strafe und Schuld in angemessenem Verhältnis stehen müssen. Bezüglich letzterer Konkretisierung stellt das Schuldprinzip eine spezielle Ausprägung des Übermaßverbotes dar (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 1050/07, wistra 2008, 179
mwN). Dass dem Angeklagten ein Schuldvorwurf zu machen ist, steht in den Fällen einer - ungleichartigen wie
gleichartigen - wahldeutigen Verurteilung fest. Soweit sich aus den verschiedenen Sachverhaltsvarianten differenzierende Schuldgehalte ergeben, ist das Schuldprinzip nur in seinem Übermaßverbot betroffen. Dieses ist dadurch gewahrt, das die Strafe stets auf der dem Angeklagten günstigsten Sachverhaltsvariante gründen muss.
III. Auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende, grundgesetzlich gewährleistete Unschuldsvermutung (zu
deren Gewährleistungsgehalt vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2008 - 2 BvR 1975/06, juris Rn. 9 mwN) ist
durch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur unechten Wahlfeststellung nicht betroffen. Eine
Verurteilung ist in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung erst nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Beweismittel möglich, wobei der Tatrichter überzeugt sein muss, dass in jeder denkbaren Sachverhaltsvariante ein strafbares Handeln des Angeklagten vorgelegen haben muss. Die Frage, welche Rechtsfolgen sich hieraus
ergeben, betrifft den Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht.
StGB § 243 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Frachtcibtainer als umschlossener Raum
BGH, Beschl. v. 17.12.2014 - 3 StR 484/14 - BeckRS 2015, 02490
Ein Frachtcontainer ist ein umschlossener Raum i.S.d. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts
- zu II. auf dessen Antrag - am 17. Dezember 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 Satz 1 StPO einstimmig beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 17. März 2014 - auch soweit es den
Angeklagten L. betrifft 1. im Schuldspruch dahin geändert, dass schuldig sind
a) der Angeklagte W. des schweren Bandendiebstahls in vier Fällen sowie des Bandendiebstahls;
b) der Angeklagte L. des schweren Bandendiebstahls in vier Fällen, des Bandendiebstahls sowie des Diebstahls;
2. im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die insoweit getroffenen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, den Angeklagten L. wegen schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen
und wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Strafen aus einer vorangegangenen Verurteilung zur Gesamtfreiheits-
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strafe von fünf Jahren. Wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat es zudem erkannt, dass jeweils
drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt gelten. Dagegen wendet sich der Angeklagte W. mit seiner auf
eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gerichteten Revision. Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts jedenfalls unbegründet. Auf die Sachrüge hat
das Rechtsmittel den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen - auch zu Gunsten des nicht revidierenden Mitangeklagten L. wirkenden, § 357 StPO - Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Im Fall II. 3. der Urteilsgründe hat der Schuldspruch wegen schweren Bandendiebstahls nach § 244a StGB keinen
Bestand; vielmehr haben die Angeklagten W. und L. durch diese Tat lediglich einen Bandendiebstahl im Sinne von §
244 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen. Hiervon abgesehen hält das angefochtene Urteil rechtlicher Überprüfung stand. Im
Einzelnen:
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagten W. und L. sich im Sommer des Jahres 2009 mit den beiden
weiteren Nichtrevidenten B. und S. zu einer Bande zusammengeschlossen hatten, deren Ziel die gemeinsame und
wiederholte Entwendung von Waren aus Frachtcontainern war; mit den Erlösen wollten sich die Angeklagten eine
Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang erschließen. In Umsetzung dieser Bandenabrede hängten
sie in den Fällen II. 2., 4. - 6. der Urteilsgründe jeweils einen mit einem Container beladenen Auflieger an die vom
Angeklagten L. angemietete und von dem Angeklagten B. gesteuerte Zugmaschine an und fuhren damit an einen
sicheren Ort, an dem sie die Container aufbrachen und - soweit sie dies für lohnend erachteten - die geladenen Waren
entnahmen und später verwerteten. Die Auflieger mit den Frachtcontainern stellten sie nach den Taten an verschiedenen Orten am Straßenrand ab, wo sie jeweils nach einigen Wochen - im Fall II. 4. der Urteilsgründe erst nach
sieben Monaten - aufgefunden wurden. Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer diese Taten jeweils als schweren
Bandendiebstahl nach § 244a StGB gewertet, weil die Angeklagten als Mitglieder einer Bande jeweils zusammen
mit anderen Bandenmitgliedern Diebstähle begingen, bei denen die Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB
gegeben waren, weil die Angeklagten zur Ausführung der Taten jeweils in einen (anderen) umschlossenen Raum
eindrangen (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB) und gewerbsmäßig handelten (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB). Soweit
die Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB in Abrede stellt, weil ein
Frachtcontainer nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmt und deshalb kein umschlossener Raum sei, verkennt
sie, dass es nicht auf den Aufenthalt von Menschen, sondern nur darauf ankommt, ob das räumliche Gebilde jedenfalls auch dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden (LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 243 Rn. 13 mwN).
Dies ist für Frachtcontainer zu bejahen (vgl. LK/Vogel aaO, § 243 Rn. 15).
b) Im Fall II. 3. der Urteilsgründe hängten die Angeklagten W. und L. gemeinsam mit einem weiteren - unbekannten
- Mittäter indes einen leeren Auflieger an die Zugmaschine an und benutzten diesen in der Folge, um die im Fall II.
2. der Urteilsgründe erbeuteten Paletten mit Duschgel transportieren zu können. Später stellten sie den Auflieger, den
sie mit einem zuvor ebenfalls gestohlenen Kennzeichen versehen hatten, in Hamburg ab, wo er erst elf Monate später
wieder gefunden wurde. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen schweren Bandendiebstahls gemäß §
244a StGB nicht. Zu Recht ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 242
Abs. 1 StGB vorliegen, insbesondere die Angeklagten mit Zueignungsabsicht handelten. Anders als in den übrigen
Fällen, in denen die Strafkammer angenommen hat, die Zueignungsabsicht beziehe sich nicht auf die Auflieger und
die Frachtcontainer, weil diese lediglich das Behältnis für die Tatbeute darstellten, kam es den Angeklagten hier
gerade auf den Auflieger an, den sie für eigene Zwecke verwenden wollten. Dass der Auflieger - allerdings erst elf
Monate - später wieder aufgefunden wurde, steht der Annahme von Zueignungsabsicht nicht entgegen, insbesondere
liegt hier kein Fall einer bloßen Gebrauchsanmaßung vor: Diese unterscheidet sich vom Diebstahl durch den Willen
des Täters zur Rückführung der entwendeten Sache in den Herrschaftsbereich des bisherigen Gewahrsamsinhabers.
Bei Fahrzeugen muss, soll lediglich unbefugter Gebrauch vorliegen, der Wille des Täters im Zeitpunkt der Wegnahme dahin gehen, den Berechtigten in eine solche Lage zu versetzen, dass er seine ursprüngliche Verfügungsgewalt
über das Fahrzeug ohne besondere Mühe wieder ausüben kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. Juli 1995
- 4 StR 321/95, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Zueignungsabsicht 12 mwN). Dem Umstand, dass die Angeklagten den
Auflieger in einer anderen Stadt mit einem falschen Kennzeichen abstellten, wo er dem Zugriff Dritter preisgegeben
war, lässt sich entnehmen, dass die Angeklagten ohne den erforderlichen Rückführungswillen und jedenfalls mit insoweit ausreichendem - bedingten Enteignungsvorsatz handelten. Da die Angeklagten als Bandenmitglieder gemeinsam die Tat begingen, liegen auch die Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Hingegen tragen die
Feststellungen nicht die Wertung, die Angeklagten hätten auch bei dieser Tat gewerbsmäßig im Sinne von § 243
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB gehandelt - eine andere Alternative kommt bei dieser Tat nicht in Betracht - und deshalb
- 175 -
den Tatbestand des § 244a Abs. 1 StGB verwirklicht. Gewerbsmäßig stiehlt, wer sich durch die wiederholte Begehung von Diebstählen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen will. Eine
Einnahmequelle kann sich zwar auch verschaffen, wer wiederholt in strafrechtlich relevanter Weise erlangte Güter
für sich verwendet, um sich so die Kosten für deren Erwerb zu ersparen (RG, Urteil vom 5. Dezember 1919 - IV
985/19, RGSt 54, 184, 185; BGH, Beschluss vom 23. März 1977 - 3 StR 70/77). So verhielt es sich hier indes nicht:
Die Entwendung des Aufliegers diente nicht der Erschließung einer (weiteren) Einnahmequelle, sondern allein der
besseren Verwertung der bereits aus einem vorangegangenen Diebstahl erzielten Tatbeute. Dies genügt für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit nicht.
c) Der Rechtsfehler wirkt in gleichem Maße zu Lasten des nicht revidierenden Mitangeklagten L., so dass die Entscheidung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf ihn zu erstrecken war.
2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der für diesen Fall verhängten Einzelstrafen und der jeweiligen Gesamtstrafen. Die Feststellungen zu den Strafaussprüchen sind hingegen von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.
StGB § 244 I Nr. 2 – Gemischte Bande aus Dieben und Hehlern
BGH, Beschl. v. 21.05.2014 - 4 StR 70/14 - StV 2015, 113
Das Gesetz sieht eine aus Dieben und Hehlern bestehende "gemischte" Bande als Qualifikationsmerkmal nur bei den Hehlereitatbeständen vor, nicht dagegen bei den entsprechenden Diebstahlstatbeständen. Damit scheidet die Annahme einer Diebesbande aus, wenn sich Personen, die nur
Hehler sind, mit ein oder zwei anderen am Diebstahl Beteiligten zusammenschließen. Dies gilt nur
dann nicht, wenn die Betreffenden nach der Bandenabrede auch zugleich an den Diebstahlstaten,
und sei es auch nur als Gehilfen, teilnehmen sollen.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer
am 21. Mai 2014 gemäß §§ 154 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 3. September 2013 im
Schuldspruch dahin geändert, dass sich der Angeklagte G. in den Fällen II. 50 und 51 der Urteilsgründe sowie in den
Fällen II. 52 bis 54 der Urteilsgründe jeweils eines Betrugs schuldig gemacht hat.
2. Auf die Revision der Angeklagten Go. gegen das vorgenannte Urteil wird
a) das Verfahren im Fall II. 8 der Urteilsgründe eingestellt, soweit die Angeklagte Go. verurteilt worden ist; insoweit
trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten;
b) der Schuldspruch dahin geändert, dass sich die Angeklagte Go. in den Fällen II. 50 und 51 sowie II. 52 bis 54 der
Urteilsgründe jeweils eines Betrugs schuldig gemacht hat und die Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs im Fall II. 8 der Urteilsgründe entfällt.
3. Auf die Revision des Angeklagten S. gegen das vorgenannte Urteil wird
a) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte S. des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in acht Fällen und
des Diebstahls in neun Fällen schuldig ist;
b) der Strafausspruch in den Fällen II. 1, 10, 16, 23, 26, 41, 45, 58 und 60 der Urteilsgründe und im Ausspruch über
die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
4. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
5. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels des Angeklagten S., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Der Angeklagte
G. hat die Kosten seines Rechtsmittels, die Angeklagte Go. hat die verbleibenden Kosten ihres Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 22 Fällen, versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Betrugs (im besonders schweren Fall) in 24 Fällen sowie versuchten Betrugs (im besonders
schweren Fall) in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt und seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Angeklagte Go. hat es wegen gewerbsmäßigen Banden-
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betrugs in 14 Fällen, versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und wegen Betrugs (im besonders schweren Fall)
unter Auflösung der Gesamtstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen die Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in acht Fällen und Betrugs (im besonders schweren Fall) in zehn Fällen die weitere
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt. Den Angeklagten S. hat das Landgericht wegen
gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in acht Fällen und wegen schweren Bandendiebstahls in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
angeordnet. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren mit der Sachrüge begründeten Revisionen; die Angeklagten G. und S. haben zudem eine Verletzung des Verfahrens gerügt. Das Rechtsmittel führt nach einer Teileinstellung des Verfahrens bezüglich der Angeklagten Go. bei allen drei Angeklagten zu einer Änderung des Schuldspruchs
sowie beim Angeklagten S. zu einer teilweisen Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen sind die Rechtsmittel
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Revisionen der Angeklagten G. und Go. führen lediglich zu einer Änderung der Schuldsprüche. Der Senat
stellt das Verfahren bezüglich der Angeklagten Go. auf Antrag des Generalbundesanwalts im Fall II. 8 der Urteilsgründe aus verfahrensökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil die bisher getroffenen Feststellungen der Strafkammer eine Mittäterschaft der Angeklagten Go. in diesem Fall nicht belegen. In den Fällen II. 50 und
51 sowie II. 52 bis 54 der Urteilsgründe hält die Annahme von zwei bzw. drei selbständigen, real konkurrierenden
Taten des gewerbsmäßigen Betrugs nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die
jeweils am 23. November 2012 gegen 18.01 Uhr und 18.04 Uhr bzw. 18.42 Uhr, 18.46 Uhr und 18.47 Uhr mit derselben EC-Karte getätigten Einkäufe in jeweils denselben Geschäften sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vielmehr zu natürlichen Handlungseinheiten verbunden (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 2012 – 4
StR 193/12, vom 4. November 2010 - 4 StR 404/10, wistra 2011, 147, und vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10 jeweils mwN). Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich die geständigen Angeklagten G. und Go. nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderung
führt zum Wegfall der in den Fällen II. 51, 53 und 54 verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr beim
Angeklagten G. und jeweils neun Monaten bei der Angeklagten Go. . Bei der Angeklagten Go. entfällt durch die
Teileinstellung auch die Einzelstrafe von einem Jahr und einem Monat im Fall II. 8 der Urteilsgründe. Die Gesamtstrafen bleiben bei beiden Angeklagten hiervon unberührt. Der Senat kann angesichts der verbleibenden Einzelstrafen ausschließen, dass die Strafkammer ohne die entfallenen Einzelstrafen auf niedrigere Gesamtfreiheitsstrafen
erkannt hätte. Der mit der Änderung des Schuldspruchs erreichte geringfügige Teilerfolg der Revisionen rechtfertigt
es nicht, die Angeklagten G. und Go. teilweise von den durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen
freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
2. Die Revision des Angeklagten S. hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg. Die Urteilsgründe tragen die Verurteilung
wegen schweren Bandendiebstahls in den Fällen II. 1, 10, 16, 23, 26, 41, 45, 58 und 60 der Urteilsgründe nicht. Die
Feststellungen belegen nicht hinreichend, dass sich die vier Mitangeklagten G., Go., B. und S. zur Begehung von
Diebstahlstaten zusammengeschlossen hatten. Der Angeklagte S. beging absprachegemäß die Diebstähle allein;
gemeinschaftlich wurden dann die erbeuteten EC- und Kreditkarten bei späteren Einkäufen betrügerisch eingesetzt.
Das Gesetz sieht eine aus Dieben und Hehlern bestehende "gemischte" Bande als Qualifikationsmerkmal nur bei den
Hehlereitatbeständen (§§ 260 Abs. 1 Nr. 2, 260a Abs. 1 StGB) vor, nicht dagegen bei den entsprechenden Diebstahlstatbeständen (§§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 244 a Abs. 1 StGB). Damit scheidet die Annahme einer Diebesbande aus,
wenn sich Personen, die nur Hehler sind, mit ein oder zwei anderen am Diebstahl Beteiligten zusammenschließen.
Dies gilt nur dann nicht, wenn die Betreffenden nach der Bandenabrede auch zugleich an den Diebstahlstaten, und
sei es auch nur als Gehilfen, teilnehmen sollen. Hierzu fehlen indes Feststellungen. Der Senat schließt aus, dass sich
in einer neuen Hauptverhandlung entsprechende Feststellungen treffen ließen und ändert den Schuldspruch entsprechend. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den betroffenen Fällen. Die Strafkammer hat in diesen Fällen der Strafzumessung den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des §
244a Abs. 1 StGB zugrunde gelegt. Der Senat kann trotz derselben Strafobergrenzen angesichts der unterschiedlichen Strafuntergrenzen letztlich nicht ausschließen, dass sie bei Anwendung des nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens des § 243 Abs. 1 StGB noch niedrigere Einzelstrafen verhängt hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafen führt auch zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht
betroffen und können daher bestehen bleiben.
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StGB § 244, § 27 Beihilfe zum Bandendiebstahl Gehilfe muss Bandenmitglied sein
BGH, Urt. v. 06.08.2014 - 2 StR 60/14- NStZ 2014, 635(Anm. Langenhahn)
Da die Bandenmitgliedschaft ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB
ist, können Tatbeteiligte, die nicht selbst Bandenmitglieder sind, nur wegen Beteiligung am Grunddelikt bestraft werden.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. August 2014 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. Oktober 2013
mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es ausgesprochen, dass wegen einer
rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt
gelten. Schließlich hat das Landgericht in Lettland verbüßte Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die verhängte
Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten, auf die Kompensationsentscheidung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das Rechtsmittel führt – auch zugunsten des Angeklagten – zur umfassenden Aufhebung des Urteils.
I. 1. Nach den Feststellungen arbeitete der in Lettland lebende Angeklagte ab 2001 für eine lettische Spedition als
Fahrdienstleiter. Vor dem 25. Oktober 2003 schlossen sich der damalige Chef des Angeklagten und drei weitere –
konkret benannte – Personen „zusammen, um in der Bundesrepublik Deutschland wiederholt hochwertige Kraftfahrzeuge … zu entwenden“. Die Fahrzeuge sollten nach Lettland verschoben, mit neuen Papieren versehen und sodann
gewinnbringend verkauft werden. Zwischen dem 25. Oktober 2003 und dem 5. November 2003 entwendeten zwei
der Bandenmitglieder vor Ort mit weiteren unbekannt gebliebenen Personen entsprechend ihrer gemeinsamen Abrede in vier Fällen jeweils ein Fahrzeug des Typs X5 der Marke BMW im Wert zwischen 44.000 € und 61.000 €. Drei
Fahrzeuge konnten noch vor der Verbringung ins Ausland sichergestellt werden. „Im Zusammenhang mit diesen
Taten hielt der Angeklagte den Kontakt zwischen seinem Chef … und den Tätern der Gruppierung vor Ort in
Deutschland.“ Aufgabe des Angeklagten war es dabei insbesondere, telefonisch „Sprechzeiten“ zwischen seinem
Chef und dem Kontaktmann in Deutschland zu vermitteln, um ungefährdet – insbesondere ohne abgehört zu werden
– telefonieren zu können. Der Angeklagte „half so, was ihm auch bewusst war, die Diebstähle zahlreicher Fahrzeuge
zu koordinieren“. Außerdem überwies er seinem Kontaktmann in Deutschland im Auftrag seines Chefs Geld. Dem
Angeklagten war es „bewusst, dass er einer in Deutschland agierenden festen Tätergruppierung, die von seinem Chef
… geleitet wurde, … bei der Entwendung hochwertiger Fahrzeuge … behilflich war“.
2. Das Landgericht hat die Taten jeweils als Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1, 2, § 244a Abs. 1, § 27 Abs. 1 StGB gewertet. Der Angeklagte „wusste um die bandenmäßige Begehungsweise der ausführenden Täter“; er „wusste“, dass auf lettischer Seite sein Chef und ein weiteres Bandenmitglied, auf
deutscher Seite neben seinem Kontaktmann, der ebenfalls Mitglied der Bande war, weitere Täter „in die Diebstahlstaten eingebunden waren. Die Voraussetzung einer Verbindung von zumindest drei Personen ist gegeben“.
II. 1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich in ihrer Revisionsbegründung und mit ihrem Revisionsantrag allein gegen
die Kompensationsentscheidung des Landgerichts, die grundsätzlich isoliert auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl.
Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21 mwN). Die Beschränkung der Revision
allein auf die Kompensationsentscheidung ist hier unwirksam. Unbeschadet dessen, dass die – für sich genommen
schon nicht nachvollziehbaren – Feststellungen zur Verfahrensverzögerung sowohl für die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe als auch im Hinblick auf die Kompensationsentscheidung relevant waren und damit
eine untrennbare Verknüpfung zwischen den Strafaussprüchen und der Kompensationsentscheidung besteht (vgl.
auch BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 89/09, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 19), führt das Rechtsmittel hier auch – weitergehend – zur Überprüfung des Schuldspruchs. Die in der Regel gegebene Trennbarkeit zwischen Schuld- und Strafausspruch ist – ausnahmsweise – zu verneinen, wenn die Schuldfeststellungen eine Überprüfung des Strafausspruchs nicht ermöglichen. Dies ist der Fall, wenn unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt
strafbar gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 2 StR 14/14; BGH, Urteile vom 19. März 2013 – 1
- 178 -
StR 318/12, wistra 2013, 463, 469 und vom 26. Juli 2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477, 481 f.; MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 344 Rdn. 7 iVm § 318 Rdn. 16, jeweils mwN). So verhält es sich hier. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in vier Fällen nicht
und bieten deshalb keine Grundlage für die Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs.
a) Bei der Einordnung der Tatbeiträge des Angeklagten als Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl ist das Landgericht – in Verkennung von § 28 Abs. 2 StGB – von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Die
Erwägungen, dass der Angeklagte „um die bandenmäßige Begehungsweise der ausführenden Täter“ wusste und es
ihm „bewusst“ war, „einer in Deutschland agierenden festen Tätergruppierung … behilflich“ zu sein, lassen außer
Acht, dass der Angeklagte selbst Mitglied der Bande gewesen sein muss, wenn er wegen Beihilfe zum schweren
Bandendiebstahl bestraft werden soll. Da die Bandenmitgliedschaft ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne
des § 28 Abs. 2 StGB ist, können Tatbeteiligte, die nicht selbst Bandenmitglieder sind, nur wegen Beteiligung am
Grunddelikt bestraft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 – 3 StR 72/12, NStZ 2013, 102, 103; Beschluss
vom 15. Januar 2002 – 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 216). Die Strafkammer hat sich – ausgehend von ihrem (fehlerhaften) Maßstab – dementsprechend nicht damit auseinandergesetzt, ob der Angeklagte überhaupt Mitglied der
Bande war.
b) Den Urteilsfeststellungen kann auch im Übrigen nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass der Angeklagte als
Mitglied einer Bande gehandelt hat. Nach den Feststellungen hatte sich bereits vor dem 25. Oktober 2003 – ohne
Beteiligung des Angeklagten – eine Gruppierung von vier Personen gebildet, um auf Dauer angelegt hochwertige
Kraftfahrzeuge zu entwenden und gewinnbringend zu verkaufen. Aus den dargestellten Unterstützungshandlungen
des Angeklagten für die Gruppierung versteht sich dessen Zugehörigkeit zu der bandenmäßigen Gruppierung jedenfalls nicht von selbst, zumal zur subjektiven Seite lediglich festgestellt ist, dass ihm bewusst war, einer in Deutschland agierenden festen Tätergruppierung behilflich zu sein. Letztlich belegen die Urteilsfeststellungen nicht in der
erforderlichen Klarheit, dass der Angeklagte in die bandenmäßige Struktur der Gruppierung eingebunden war.
c) War der Angeklagte aber nicht Mitglied der Bande, könnte er – auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen –
gemäß § 28 Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 – 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 216; Fischer,
StGB, 61. Aufl., § 28 Rdn. 9, jeweils mwN) nur nach §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2, § 27 Abs. 1 StGB bestraft
werden (vgl. Fischer, aaO, § 244 Rdn. 44 mwN). Einer solchen Bestrafung stünde möglicherweise das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4 StGB) entgegen. Nach den Feststellungen liegt
der Tatzeitraum zwischen dem 25. Oktober 2003 und dem 5. November 2003. Nachdem die Staatsanwaltschaft das
Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten am 27. Juli 2004 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, sind jedenfalls bis zur Wiederaufnahme der Ermittlungen im Februar 2013 keine verjährungsunterbrechenden oder hemmenden Ereignisse erkennbar, was zum Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4
StGB i.V.m. § 242 Abs. 1 StGB) geführt haben könnte. Weil die derzeitigen Feststellungen folglich nicht Grundlage
der Rechtsfolgenentscheidungen sein können, ist die Rechtsmittelbeschränkung insgesamt unwirksam (vgl. auch
Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 318 Rdn. 41 mwN).
2. Da die Verurteilung wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in vier Fällen keinen Bestand hat und der
Senat nicht ausschließen kann, dass noch Feststellungen, die eine Bandenmitgliedschaft des Angeklagten belegen,
getroffen werden können, weist er die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurück. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer erneut zu einer Verurteilung des
Angeklagten gelangen, wird sie darzulegen haben, ob und in welchem Ausmaß eine (rechtsstaatswidrige) Verfahrensverzögerung vorliegt. Der Senat verweist insoweit auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts und die
Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07 (BGHSt
52, 124 ff.; vgl. im Übrigen auch Senat, Urteil vom 5. Februar 2014 – 2 StR 308/13; Beschluss vom 23. Oktober
2013 – 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21, 22; BGH, Urteil vom 21. April 2011 – 3 StR 50/11, NStZ-RR 2011, 239
und Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 139/05, NStZ-RR 2006, 50).
- 179 -
StGB § 247, § 77 Abs. 3 Strafantrag Betreuer
BGH, Urt. v. 29.07.2014 – 5 StR 46/14 - NJW 2014, 2968,= NStZ 2014, 637
LS: Wirksamkeit des Strafantrags eines vom Amtsgericht bestellten Betreuers ohne ausdrückliche
Erstreckung des Aufgabenkreises auf eine Strafantragstellung.
1. Gemäß § 154 Abs. 2 StPO wird das Verfahren in den Fällen 1 bis 3 des angefochtenen Urteils eingestellt. Insoweit
fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
2. Gemäß § 154a Abs. 2 StPO wird die Verfolgung im Fall 55 des angefochtenen Urteils auf eine Schadenssumme
von 13.000 Euro beschränkt. Gemäß §§ 430, 442 StPO wird die Feststellung nach § 111i StPO von der Verfolgung
ausgenommen.
3. Demgemäß und auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 10. September 2013 im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Untreue in 87 Fällen schuldig ist und in den
Aussprüchen über die Einzelstrafe im Fall 55 sowie über die Gesamtstrafe aufgehoben. Die Einzelstrafen der Fälle 1
bis 3 und die Feststellung nach § 111i StPO entfallen.
4. Die weitergehende Revision wird verworfen.
5. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Einzelstrafe im Fall 55 und über die Gesamtstrafe sowie über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 90 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
verurteilt. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass hinsichtlich eines Betrages von 130.000 € die Ansprüche der Verletzten der Anordnung des Wertersatzverfalls entgegenstehen (§ 111i Abs. 2 StPO). Die auf die Rüge der Verletzung
formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat nach Teileinstellungen und Verfahrensbeschränkungen, über die der Bundesgerichtshof einheitlich im Urteil mitentscheiden kann (vgl. nur BGH, Urteile vom
25. Juli 2012 – 2 StR 111/12 –, vom 16. Januar 2014 – 4 StR 496/13 – und vom 22. Mai 2014 – 4 StR 514/13), im
Umfang der Urteilsformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Der Angeklagte wuchs getrennt von seiner
leiblichen Mutter im großmütterlichen Haushalt auf und wurde in seinen ersten zwölf Lebensjahren insbesondere
von seiner Tante, der später geschädigten B., aufgezogen, zu der er eine „Mutter-Sohn-ähnliche Beziehung“ hatte
und auch im weiteren Lebensverlauf Kontakt hielt, ihr insbesondere nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 2008
beistand. Am 10. August 2008 erteilte die damals 77-jährige B. dem Angeklagten eine schriftliche Vorsorgevollmacht, die ihn berechtigte, im Außenverhältnis ihr gesamtes unbewegliches und bewegliches Vermögen zu verwalten und hierüber zu verfügen. B. war bekannt, dass der Angeklagte erhebliche finanzielle Schwierigkeiten hatte, und
äußerte im Zusammenhang mit den Gesprächen um die Erteilung der Vorsorgevollmacht, dass er sich mal „etwas
gönnen“ solle. Sie bekundete, dass sie ihm gern helfen wolle und er einen Teil ihres Vermögens kraft der ihm erteilten Vollmacht zu eigenen Zwecken, insbesondere zur Rettung seines Wohnhauses verwenden könne. Am 26. August
2008 erlitt B. eine Hirnblutung, in deren Folge sie weitgehend immobil, desorientiert und kommunikationsunfähig
wurde. Hinzu trat eine Demenz. Seit Anfang Oktober 2008 ist sie in einem Pflegeheim untergebracht, dessen Kosten
sich auf einen monatlichen Betrag von ca. 3.100 € belaufen; sie erhält eine Rente in Höhe von 950 €. Der Angeklagte
löste im Jahr 2009 mehrere Geldanlagen B.s auf und verkaufte im Jahr 2010 – nachdem das Amtsgericht ihn hierfür
zum Betreuer bestellt hatte – deren Wohnanwesen. Die jeweiligen Geldbeträge ließ er auf ihr Konto buchen und
verfügte vom 26. September 2008 bis 5. September 2011 in 90 Fällen durch Barabhebungen und Überweisungen
über 135.625 € ihres Geldvermögens, um es für private Zwecke seiner Lebens-führung und zur Rückzahlung von
Verbindlichkeiten zu verbrauchen. Mit den Kosten für das Pflegeheim, die der Angeklagte nicht aus diesen Abhebungen bestritt, sondern direkt vom Konto der B. überwies, war er am 8. Juli 2011 mit einem Betrag von 21.854 € im
Rückstand. Am 5. September 2011 wies das Konto der B. einen Stand von 28,44 € auf. Weitere wesentliche Vermögensgegenstände waren nicht mehr vorhanden.
2. Der vom Senat beigezogenen Betreuungsakte des Amtsgerichts Ottweiler ist zur Bestellung eines Betreuers für B.
folgender Verfahrensgang zu entnehmen: Mit Beschluss vom 5. September 2011 setzte das über die rückständigen
Heimkosten am 7. Juli 2011 informierte Amtsgericht Ottweiler Rechtsanwalt S. zunächst als Kontrollbetreuer gemäß
- 180 -
§ 1896 Abs. 3 BGB zur Wahrnehmung der Rechte der Betroffenen gegenüber dem Bevollmächtigten ein. Die für
dieses Verfahren bereits zuvor bestellte Verfahrenspflegerin hatte das Amtsgericht mit Schreiben vom 29. August
2011 darauf hingewiesen, dass der Angeklagte eine Auflistung mit Nachweisen über die Verwendung des Kauferlöses aus dem Verkauf des Wohnanwesens schuldig geblieben sei und „begründeter Verdacht“ bestehe, dass „die Gelder nicht zweckentsprechend verwendet worden“ seien. Nachdem Rechtsanwalt S. am 14. September 2011 die dem
Angeklagten erteilte Vorsorgevollmacht widerrufen hatte, wurde er vom Amtsgericht Ottweiler im Wege der einstweiligen Anordnung am 19. September 2011 mit sofortiger Wirkung zum vorläufigen Betreuer der B. mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, Entgegennahme und Öffnen der Post bestellt. Mit an die Polizei gerichtetem Schriftsatz vom 20. September
2011 stellte Rechtsanwalt S. Strafantrag aus allen in Betracht kommenden Gründen wegen des gegen den Angeklagten bestehenden Verdachts, die ihm erteilte Vollmacht missbraucht und Gelder für eigene Zwecke verwandt zu haben.
3. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Zwar hat der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass
aufgrund des zwischen dem Angeklagten und B. fortbestehenden Pflegeverhältnisses im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1
lit.b StGB (vgl. LK/Hilgendorf, 12. Aufl., § 11 Rn. 15; MünchKommStGB/Radtke, 2. Aufl., § 11 Rn. 14) nach §§
247, 266 Abs. 2 StGB ein Strafantrag erforderlich war. Entgegen der vor Anberaumung der Hauptverhandlung vertretenen, in der Verhandlung indes nicht aufrecht erhaltenen Auffassung des Generalbundesanwalts ist der Strafantrag jedoch wirksam gestellt worden.
a) Der Betreuer war nach § 77 Abs. 3 StGB berechtigt, als derjenige, dem die Sorge für die Person B. s zusteht, einen
Strafantrag gemäß §§ 247, 266 Abs. 2 StGB zu stellen. Einer ausdrücklichen Zuweisung der Strafantragsbefugnis
bedurfte es angesichts der ihm übertragenen Aufgabenkreise im vorliegenden Fall nicht. Letztlich kann dahinstehen,
ob bei Übertragung derart weitreichender Aufgabenkreise, die neben den Bereichen der Vermögens-sorge und der
Antragstellung gegenüber Behörden auch weitgehende persönliche Belange betreffen, die Strafantragsbefugnis nach
§ 247 StGB gesondert übertragen werden muss (so aber z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 3
Ws 397/12, teilweise in NStZ-RR 2014, 143 abgedruckt; OLG Celle, NStZ 2012, 702; OLG Köln, wistra 2005, 392;
aA LG Ravensburg, FamRZ 2001, 937). Denn im vorliegenden Fall ergab sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen
Betreuung gerade aus der Aufdeckung möglicher Untreuevorwürfe. Die Klärung und Entscheidung der dringlich
gewordenen Frage, welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind, so auch, ob im Namen der Betreuten ein
Strafantrag zu stellen ist, war demgemäß Teil des objektiven Betreuungsbedarfs der B..
aa) Der im Betreuungsrecht geltende Erforderlichkeitsgrundsatz (vgl. Regierungsentwurf eines Betreuungsgesetzes,
BT-Drucks. 11/4528, S. 58, 120) steht hier der Annahme der Strafantragsbefugnis nicht entgegen. Nach § 1896 Abs.
2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Ob
und für welche Aufgabenbereiche ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2011 – XII ZB 80/11, NJW-RR 2011,
1506, 1507; MünchKommBGB/Schwab, 6. Aufl., § 1896 Rn. 39, 41; Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1896 Rn. 10).
Die Regelung verlangt nicht, dass bei der Bestimmung der jeweiligen Aufgabenkreise die einzelnen Besorgungen,
die dem Betreuer zukommen, insbesondere die Rechtsgeschäfte, die er abzuschließen hat, gesondert bezeichnet werden müssen (vgl. Regierungsentwurf, aaO, S. 121). Daraus folgt, dass die Strafantragsbefugnis sich grundsätzlich aus
bestimmten Aufgabenkreisen ergeben kann, die sich auch aus einem möglicherweise verletzten Rechtsgut ableiten
lassen (vgl. auch MünchKommBGB/Schwab aaO, Rn. 100).
bb) Die Höchstpersönlichkeit des Strafantragsrechts gebietet eine ausdrückliche Übertragung der Befugnis nach § 77
Abs. 3 StGB auf den Betreuer nicht. Der Strafantrag ist ein an ein Strafverfolgungsorgan gerichtetes förmliches Verlangen, eine bestimmte Straftat zu verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1956 – 5 StR 188/56, GA 1957, 17, 19;
LK/Schmid, StGB, 12. Aufl., § 77 Rn. 6; Meyer, Zur Rechtsnatur und Funktion des Strafantrags, 1984, S. 1). Die
Entscheidung darüber, ob eine Tat im Hinblick auf den von § 247 StGB geschützten Familienfrieden vom Verletzten
als nicht strafwürdig hingenommen (vgl. Meyer, aaO S. 45) werden soll, ist zwar höchstpersönlicher Natur, sie steht
aber – anders als der Generalbundesanwalt ursprünglich gemeint hat – nicht mit den gänzlich betreuungsfeindlichen
höchstpersönlichen Rechten wie den Rechten auf Eheschließung und auf Errichtung eines Testaments auf einer Stufe, bei denen weder eine Vertretung in der Erklärung und im Willen noch ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903
Abs. 2 BGB zulässig ist. Dies folgt schon daraus, dass die Strafantragsbefugnis bei nicht voll geschäftsfähigen Personen vom gesetzlichen Vertreter (§ 77 Abs. 3 StGB) wahrgenommen wird.
- 181 -
cc) Der sich in der konkreten Lebenssituation ergebende Betreuungsbedarf der B. umfasste auch die Geltendmachung und Durchsetzung ihrer sich aus den etwaigen Untreuehandlungen des Angeklagten ergebenden Rechte, einschließlich der Wahrnehmung ihrer Verletztenrechte nach § 77 Abs. 1, § 247 StGB. Zum Zeitpunkt der Bestellung
des vorläufigen Betreuers stand der Angeklagte im Verdacht, Gelder vom Konto der B. veruntreut zu haben. Aus
diesem Grund hat Rechtsanwalt S. in seiner Funktion als Kontrollbetreuer nach § 1896 Abs. 3 BGB die Vorsorgevollmacht widerrufen; er wurde im Wege der einstweiligen Anordnung als vorläufiger Betreuer eingesetzt. Die zum
Zeitpunkt der Einrichtung der Betreuung dringlich gewordene Entscheidung, ob der Angeklagte wegen der aufgedeckten Vorwürfe strafrechtlich verfolgt werden solle, konnte nach § 77 Abs. 3 StGB nur durch einen Vertreter in
persönlichen Angelegenheiten getroffen werden. Als solcher Vertreter wurde Rechtsanwalt S. eingesetzt und dabei
mit umfassenden vermögensrechtlichen und persönlichen Befugnissen (u.a. Vermögenssorge, Vertretung gegenüber
Behörden, Entgegennahme und Öffnen der Post) ausgestattet. Dies zielte ersichtlich auch darauf ab, ihm zu ermöglichen, auch das Strafantragsrecht gemäß § 77 Abs. 3, § 247 StGB wahrzunehmen und die Schadensersatzansprüche
der B. (z.B. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266 Abs. 1 StGB) umfassend, etwa durch Rückgriff auf strafrechtliche Ermittlungsergebnisse geltend zu machen oder vermögensrechtliche Interessen mit den Mitteln des Strafverfahrensrechts
(etwa Sicherung der Ansprüche nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, § 111b Abs. 5 StPO oder Inanspruchnahme des Adhäsionsverfahrens nach §§ 403 ff. StPO) zu verfolgen.
b) Für die Wirksamkeit des Strafantrags kommt es nicht auf einen etwaigen entgegenstehenden natürlichen oder
mutmaßlichen Willen der Betreuten an. Ob der Betreuer bei Antragstellung dem Wohl und den Wünschen der demenzkranken B., insbesondere im Hinblick auf die Wahrung des Familienfriedens gerecht geworden ist – wogegen
nicht einmal Anhaltspunkte vorliegen –, war deshalb hier – entgegen der Auffassung der Revision – nicht zu entscheiden; dass ein potentieller Strafverfolgungswille des Betreuten nicht ermittelbar ist, führt nicht zu einem (dauerhaften) Verfahrenshindernis. Zwar hat ein Betreuer nach § 1901 Abs. 2 Satz 2 BGB den Wünschen des Betreuten zu
entsprechen, soweit dies dem nach § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB maßgebenden Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft.
Diese Bindung des Betreuers gilt aber nur im Innenverhältnis zum Betreuten; die Rechtsmacht des Betreuers, für den
Betreuten zu handeln, wird durch sie nicht beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2008 – XII ZR 110/06,
BGHZ 176, 262, 271; Palandt/ Götz, BGB, 73. Aufl., § 1901 Rn. 2 und § 1902 Rn. 1; MünchKomm BGB/Schwab
aaO § 1901 Rn. 20; vgl. zur Ausnahme bei Missbrauch der Vertretungsmacht: MünchKommBGB/Schwab aaO, §
1902 Rn. 16). Mit der Stellung eines Strafantrags setzt der Betreuer – anders als bei Entscheidungen über ärztliche
Heilmaßnahmen nach der spezielleren Pflichtenregelung des § 1901a Abs. 2 BGB (vgl. BGH, Beschluss vom 17.
März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205, 213; Staudinger/Bienwald, BGB, Neubearb. 2013, § 1901a Rn. 7) –
keine im Voraus getroffene Entscheidung des Verletzten um, sondern nimmt nach § 77 Abs. 3 StGB die Befugnis
des Betreuten wahr (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1993 – 2 StR 649/93, BGHR StGB § 77 Abs. 3 Antragsrecht 1; LK/Schmid, StGB, 12. Aufl., § 77 Rn. 43). Er ist damit auch bei dieser höchstpersönlichen Entscheidung nach § 77 Abs. 3, § 247 StGB nicht nur Willensbote, sondern trifft als Vertreter im Willen (vgl. Rudolphi/Wolter in SK-StGB, 8. Aufl., § 77 Rn. 8 f.) eine eigene Entscheidung für den Betreuten.
4. Der Schuld- und Strafausspruch halten überwiegend sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Verbleibenden Bedenken wird zur Vereinfachung des Verfahrens durch Anwendung der §§ 154, 154a StPO Rechnung getragen.
a) Ein den Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB ausschließendes Einverständnis der B. lag nicht vor. Das
Landgericht geht zutreffend davon aus, dass deren vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit abgegebenen Erklärungen,
wonach der Angeklagte sich „mal was gönnen“ solle (UA S. 6), keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Es liegt
weder ein nach § 518 Abs. 1 BGB formwirksames Schenkungsversprechen vor, noch lässt sich der unbestimmten
Äußerung der Wille entnehmen, der Angeklagte dürfe im Falle der Geschäftsunfähigkeit und/oder Pflegebedürftigkeit über wesentliche Teile ihres Vermögens für eigene Zwecke verfügen und dadurch ihren angemessenen Unterhalt
gefährden. Sinn und Zweck der Vorsorgevollmacht ist vielmehr, die Anordnung einer Betreuung zu vermeiden (vgl.
Palandt/Götz, aaO, Einf. vor § 1896 Rn. 5). Selbst wenn es zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung dem Wunsch der
B. entsprochen haben sollte, dass der Angeklagte Teile ihres Vermögens für sich verwendet, würde jedoch der
Zweck dieser Vollmacht verfehlt, wenn der Bevollmächtigte dem Rechtsgedanken der Betreuerpflichten nach § 1901
Abs. 2 und 3 BGB zuwider ihren Unterhalt bis zu ihrem Tod gefährdet und ihre gesamte Lebens- und Vermögenssituation erheblich verschlechtert (vgl. zu § 1901 BGB: BGH, Urteil vom 22. Juli 2009 – XII ZR 77/06, NJW 2009,
2814, 2816). Dem Angeklagten war auch bewusst, dass „die Geschädigte die Bestreitung ihrer Pflegekosten gesichert habe sehen wollen“ (UA S. 17). Mit Eintritt der kostenintensiven Pflegebedürftigkeit hatte der Angeklagte sich
deshalb letztlich jedweder Verfügungen zu seinen Gunsten zu enthalten. Dass B. bei ihren die Pflegekosten nicht
- 182 -
deckenden Rentenbezügen naheliegend auch ohne jede Vermögensreserven aufgrund sozialstaatlicher Fürsorge faktisch kaum anders versorgt worden wäre, steht dem nicht entgegen. Es liegt nach dem Zusammenhang der Urteilsfeststellungen – und zwar auf der Grundlage vom Angeklagten selbst eingeräumter Tatsachen – auf der Hand, dass
B. nicht ohne Not staatliche Fürsorge in Anspruch nehmen wollte. Darüber hinaus konnten ihr auch in ihrer hilflosen
Situation aus Vermögensreserven ersichtlich wesentliche Annehmlichkeiten zugute gebracht werden, die über die
Minimalversorgung staatlicher Fürsorge hinausgingen. Dass der Angeklagte im Tatzeitraum aus den „nie ausschließlich für Zahlungen zugunsten der B. “ (UA S. 14) abgehobenen Beträgen insgesamt in einer Vielzahl von Einzelbeträgen Gelder in Höhe von 6.825 € zugunsten der B. verwendet hat (vgl. UA S. 13 f.), lässt die Tatbestandsmäßigkeit
einzelner Geldabhebungen als Untreuehandlungen nach § 266 Abs. 1 StGB nicht entfallen. Das Landgericht hat sie
zutreffend lediglich strafmildernd berücksichtigt.
b) Die Revision beanstandet indes mit Recht, dass das Landgericht im Zusammenhang mit der Erörterung der Bösgläubigkeit des Angeklagten mitbewertet habe, dieser habe lediglich rund 10 % der zum Nachteil seiner Tante getroffenen Verfügungen zur Tilgung seiner Schulden verwendet (UA S. 8, 17). Dies steht im Widerspruch zu der
Feststellung, dass er im Fall 3 den gesamten Betrag von 15.000 € auf sein Darlehenskonto überwiesen hat, im Fall 55
einen Teilbetrag von 10.500 € der in diesem Fall insgesamt veruntreuten 23.500 €. Die danach naheliegende Verwendung von 25.500 € zur Schuldentilgung beträgt damit nicht 10 %, sondern nahezu 20 % der insgesamt veruntreuten Beträge. Der Senat schließt zwar aus, dass das Landgericht ohne den Fehler eine Bösgläubigkeit des prinzipiell
geständigen Angeklagten bei sämtlichen Barabhebungen verneint hätte, hinsichtlich der möglicherweise zur Schuldentilgung eingesetzten Beträge lässt sich dies aber nicht ohne Weiteres annehmen. Der Senat trägt dem in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt dadurch Rechnung, dass er den Fall 3 einstellt und im Fall 55 die Verfolgung auf die nicht unmittelbar zur Schuldentilgung eingesetzten Beträge beschränkt; die Beschränkung entzieht der
Einsatzstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe im Fall 55 die Grundlage. Die übrigen mit einer fehlerfreien rechnerischen Überlegung begründeten Einzelstrafen sind von der Aufhebung der Einsatzstrafe nicht berührt. Der Senat stellt
ferner die ersten beiden Fälle ein. Diese betreffen nur geringere Barauszahlungen und sind zudem – wie auch Fall 3 –
noch vor einer früheren Verurteilung des Angeklagten begangen worden.
c) Im Übrigen lässt der Strafausspruch Rechtsfehler nicht erkennen. Dies gilt auch für die urteilsfremden Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift zu einem früheren Berufungsurteil, welche zudem inhaltlich einer berechtigten Anlastung der Missachtung einer Warnfunktion durch den Angeklagten nicht maßgeblich entgegenstehen. Die
insoweit erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
d) Das neue Tatgericht wird lediglich für Fall 55 eine neue Einzelstrafe zu finden und hieraus und aus den verbleibenden Einzelstrafen unter Berücksichtigung des engen sachlichen Zusammenhangs eine neue Gesamtfreiheitsstrafe
zu bilden haben. Der Aufhebung von tatsächlichen Feststellungen bedarf es nicht; das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
5. Die vom Landgericht getroffene Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO könnte keinen Bestand haben, weil das
Landgericht die Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB nicht erörtert (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 – 4
StR 215/10, BGHSt 56, 39, 42; Beschlüsse vom 11. April 2013 – 4 StR 39/13, StV 2013, 610, und vom 17. Juli 2013
– 4 StR 208/13, wistra 2013, 386) und nach den Urteilsausführungen naheliegende Teiltilgungen des Schadens (UA
S. 14, 16) unberücksichtigt gelassen hat. Der Senat macht insoweit in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt von §§ 430, 442 StPO Gebrauch (vgl. zu deren Anwendbarkeit BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2012 – 4 StR
263/12), zumal eine Beeinträchtigung der Vermögenslage der Geschädigten hierdurch nicht ersichtlich ist.
StGB § 248b Abs. 1 Unbefugter Gebrauch durch Rückführung Mietwagen
BGH, Beschl. v. 24.06.2014 - 2 StR 73/14 - NJW 2014, 2887
LS: Die Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs durch einen an sich Unberechtigten allein zum Zwecke
der Rückführung an den Berechtigten ist regelmäßig von dessen mutmaßlichen Willen gedeckt und
daher nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 248b Abs. 1 StGB.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 24. Juni 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Aachen vom 1. Oktober 2013, soweit der Angeklagte verurteilt ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
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Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an das Amtsgericht Aachen - Strafrichter - zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs und wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf
die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen mietete der Angeklagte zusammen mit seiner damaligen Freundin bei der Firma E. in A.
einen PKW Volvo XC 60. Die Rückgabe des Fahrzeugs war für den 2. März 2013 vereinbart. Nachdem der Angeklagte sich am 27. Februar 2013 von seiner Freundin getrennt hatte und deshalb nicht mehr bei ihr übernachten konnte, behielt er den PKW fortan, um darin zu schlafen. Am 9. April 2013 wurde er wieder von seiner Ehefrau aufgenommen, weshalb er das Fahrzeug am Morgen des 10. April 2013 zur Autovermietung zurückbrachte. Die Autovermietung stellte Strafantrag (Fall 42 der Anklageschrift). Im November 2012 überließ die Zeugin Z. dem Angeklagten
auf dessen Bitte leihweise 500 Euro. Wie von Anfang an beabsichtigt, zahlte er das Geld in der Folgezeit nicht zurück (Fall 44 der Anklageschrift).
2. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall 42 wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs gemäß § 248b StGB
wird von den Feststellungen nicht getragen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 248b StGB sind nicht belegt.
a) Das Dauerdelikt des § 248b StGB erfasst das Ingebrauchnehmen eines Kraftfahrzeugs gegen den Willen des Berechtigten. Unter dem Gebrauch eines Fahrzeugs ist dessen vorübergehende Nutzung - seinem bestimmungsgemäßen
Zweck entsprechend - als Fortbewegungsmittel zu verstehen. Erforderlich ist das Ingangsetzen des Fahrzeugs zur
selbständigen Fahrt. Die bloße Inbetriebnahme durch Anlassen des Motors reicht daher ebenso wenig aus wie die
Nutzung eines parkenden Fahrzeugs zum Schlafen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1957 - 4 StR 523/57, BGHSt
11, 47, 50; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 248b Rn. 4; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 248b Rn. 3). Ein Gewahrsamsbruch ist regelmäßig nicht erforderlich, weshalb dem Ingebrauchnehmen das unbefugte Ingebrauchhalten gleichstellt ist (BGH aaO; OLG Schleswig NStZ 1990,
340). Es ist daher ausreichend, wenn - wie bei der Benutzung eines Mietwagens nach Ablauf der Mietzeit - die Berechtigung des Täters nachträglich wegfällt und er die Sache somit als „Nicht-mehr-Berechtigter“ nutzt (vgl. Kindhäuser aaO Rn. 6).
b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs war die durch den Angeklagten nach Ablauf der vertraglichen Mietzeit bis
zum 9. April 2013 erfolgte Weiternutzung des Fahrzeugs als Schlafplatz zwar unberechtigt, d.h. gegen den Willen
der Autovermietung; sie stellt jedoch mangels Fortbewegung des Fahrzeugs kein Ingebrauchnehmen im Sinne des §
248b StGB dar. Ein Ingebrauchnehmen des Fahrzeugs liegt dagegen vor, soweit der Angeklagte das Fahrzeug nach
Ablauf der Mietzeit am 10. April 2013 auf das Gelände der Autovermietung zurückbrachte und dort abstellte. Doch
auch insoweit ist ein tatbestandsmäßiges Handeln des Angeklagten nicht belegt, denn die Strafkammer hat keine
Feststellungen dazu getroffen, dass die am 10. April 2013 allein zum Zwecke der Rückführung des Fahrzeugs erfolgte Ingebrauchnahme auch „gegen den Willen“ der alleinverfügungsberechtigten Autovermietung erfolgte. Dies war
hier aber erforderlich: Ist die Nutzung eines Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel - wie hier - gerade nicht auf die
Verletzung der uneingeschränkten Verfügungsmöglichkeiten des Berechtigten gerichtet, sondern vielmehr auf deren
Wiedereinräumung (vgl. Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 248b Rn. 12), liegt die Vermutung nahe, dass die Ingebrauchnahme des Fahrzeugs insoweit im Einverständnis des Berechtigten erfolgte. Die
Rückführung eines Fahrzeugs durch einen an sich Unberechtigten erfolgt daher regelmäßig nicht „gegen den Willen
des Berechtigten“, sondern ist von dessen mutmaßlichem Interesse gedeckt (OLG Düsseldorf, NStZ 1985, 413; Vogel in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 248b Rn. 8; aA Fischer, StGB, 61. Aufl., § 248b Rn. 6). Der
vom Tatbestand des § 248b StGB vorausgesetzte entgegenstehende Wille des Berechtigten erfordert deshalb im Falle
der Rückführung eines Fahrzeugs entsprechende ausdrückliche Feststellungen. Diese waren hier auch nicht deshalb
entbehrlich, weil die Berechtigte Strafantrag gestellt hat, denn dieser sollte erkennbar den gesamten Zeitraum der
über einen Monat verspäteten Rückgabe des Fahrzeugs erfassen, weshalb daraus nicht ohne Weiteres der Schluss
gezogen werden kann, dass auch die Ingebrauchnahme des Fahrzeugs zum Zwecke der Rückführung nicht in ihrem
Einverständnis lag.
3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs im Fall 44 begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken,
weil offen bleibt, auf welcher Tatsachengrundlage sich die Strafkammer die Überzeugung von einem vorsätzlichen
Handeln des Angeklagten verschafft hat. In welchem Umfang der Tatrichter seine Überzeugungsbildung in den Ur-
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teilsgründen mitzuteilen hat, hängt von den Gegebenheiten des jeweiligen Falles ab. Regelmäßig aber müssen, zumal
wenn, wie hier, der Angeklagte die Tat bestritten hat, die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Würdigung der
Beweise auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht, die dem Revisionsgericht
eine Überprüfung nach den Maßstäben rationaler Argumentation ermöglicht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai
2014 - 4 StR 430/13 mwN). Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung der Geschädigten
auf einer vorsätzlichen Täuschung durch den Täter beruht, muss der Tatrichter insbesondere mitteilen, wie er sich die
Überzeugung davon verschafft hat. Lediglich in einfach gelagerten Fällen mag sich dies von selbst verstehen. Gemessen daran, vermögen die von der Strafkammer insoweit allein in Bezug genommenen Angaben der Zeugin eine
vorsätzliche Täuschungshandlung des Angeklagten nicht belegen. Die Zeugin hat lediglich bekundet, der Angeklagte
habe ihr gegenüber erklärt, einen finanziellen Engpass zu haben und sie gebeten, ihm auszuhelfen. Sie habe ihm das
Geld ungern geliehen und bis heute nicht zurückerhalten, obwohl sie deutlich gemacht habe, dass sie es so schnell
wie möglich wieder zurück haben möchte. Dass der Angeklagte von Anfang an nicht vorhatte, ihr das Geld zurückzuzahlen, lässt sich daraus nicht schließen. Da der Angeklagte und die Zeugin zum damaligen Zeitpunkt eine sexuelle Beziehung pflegten und zwischen beiden jedenfalls bis zum März 2013 ein unregelmäßiger Kontakt bestand, versteht sich dies auch nicht von selbst.
4. Der Senat weist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den örtlich und nach §§ 24, 25 Nr. 2 GVG
sachlich zuständigen Strafrichter beim Amtsgericht Aachen zurück (§ 354 Abs. 3 StPO), da dessen Entscheidungsgewalt ausreicht.
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2, § 255 Bande muss nicht auf Dauer angelegt sein
BGH, Beschl. v. 03.03.2015 - 3 StR 595/14 - BeckRS 2015, 07960
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB genügt es, dass der Raub oder - aufgrund der Verweisung des § 255 StGB - die räuberische Erpressung durch Mitglieder einer Bande
begangen werden, die sich zur fortgesetzten Begehung von Diebstahl verbunden hat. Einer Erweiterung der Bandenabrede auf die zukünftig wiederholte Begehung von Raub- bzw. räuberischen Erpressungsdaten bedarf es nicht. Es genügt vielmehr, dass sich die konkrete Tat als eine solche einer
Diebesbande darstellt, mithin an ihrer Begehung mindestens zwei Bandenmitglieder beteiligt sind.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. März 2015 gemäß § 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 15. Juli 2014 wird verworfen; jedoch wird der
Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der schweren räuberischen Erpressung, des schweren Bandendiebstahls, des versuchten schweren Bandendiebstahls sowie des Diebstahls in drei Fällen schuldig ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - der "gemeinschaftlichen Erpressung in einem
besonders schweren Fall, des schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb,
und des Diebstahls in einem besonders schweren Fall in drei Fällen, wobei er in zwei Fällen gemeinschaftlich handelte" schuldig gesprochen und gegen ihn unter Einbeziehung mehrerer Urteile eine Einheitsjugendstrafe von drei
Jahren verhängt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen
Erfolg; allerdings war der Schuldspruch zu korrigieren. Hinsichtlich des als Erpressung abgeurteilten Falles hat das
Landgericht festgestellt, dass der Beschwerdeführer in den frühen Morgenstunden des 19. Oktober 2013 mit den
Mitangeklagten A. E. und O. durch das Aufbrechen einer Tür in das Wohnhaus eines Ehepaares gelangt war, um das
Gebäude gemäß einer zwischen ihnen bestehenden Bandenabrede nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Als sie
im Schlafzimmer auf die schlafenden Eheleute trafen, forderten sie die Herausgabe von Geld, wozu der Ehemann
unter dem Eindruck des Auftretens der Täter mit zweien von ihnen in die Küche ging und diesen 45 € aushändigte,
während der dritte bei der Ehefrau im Schlafzimmer zurückblieb. Aufgrund ihres Auftretens "waren sich alle drei
Angeklagten bewusst, dass sie auf die gerade erwachten Eheleute W. in deren eigenem Schlafzimmer im Hinblick
auf deren körperliche Integrität bedrohlich und einschüchternd wirken würden. Diesen Umstand machten sie sich
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absichtsgemäß zu Nutze". Diese - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen belegen entgegen der Ansicht des
Landgerichts nicht nur eine Erpressung im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB, sondern eine räuberische Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, § 255 StGB. Denn das durch die Täter konkludent angedrohte empfindliche Übel bestand nach
den Feststellungen in unmittelbar drohenden körperlichen Übergriffen, somit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib
oder Leben. Darauf, ob die Täter die Drohung erforderlichenfalls hätten verwirklichen wollen, kommt es nicht an
(vgl. S/S-Eser/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 249 Rn. 5). Des Weiteren erfüllte der Angeklagte auch das Qualifikationsmerkmal des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dass das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Täter
übereingekommen waren, über den Einzelfall hinaus auch zukünftig Wertgegenstände durch den Einsatz von Nötigungsmitteln zu erlangen, steht dem nicht entgegen. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm genügt es, dass
der Raub oder - aufgrund der Verweisung des § 255 StGB - die räuberische Erpressung durch Mitglieder einer Bande
begangen werden, die sich zur fortgesetzten Begehung von Diebstahl verbunden hat (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28.
Aufl., § 250 Rn. 2). Einer Erweiterung der Bandenabrede auf die zukünftig wiederholte Begehung von Raub- bzw.
räuberischen Erpressungstaten bedarf es nicht (wohl anders, indes nicht tragend: BGH, Beschluss vom 13. April
1999 - 1 StR 77/99, NStZ 1999, 454; NK-StGB-Kindhäuser, 4. Aufl., § 250 Rn. 16). Es genügt vielmehr, dass sich
die konkrete Tat als eine solche einer Diebesbande darstellt, mithin an ihrer Begehung mindestens zwei Bandenmitglieder beteiligt sind. Dies war vorliegend der Fall. Darauf, dass der vom Landgericht angenommene besonders
schwere Fall der Erpressung mit Blick auf eine Bandenbegehung von den Feststellungen nicht getragen würde, da §
253 Abs. 4 StGB anders als § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine auf die wiederholte Begehung gerade von Erpressungen
abzielende Bandenabrede erforderlich macht, kommt es mithin nicht an. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 Abs. 1 StPO stand dem nicht entgegen, da dem Revisionsführer mit der Anklage eine schwere
räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB zur Last gelegt worden war. Im Übrigen hat der
Senat den Schuldspruch neu gefasst; denn weder die gemeinschaftliche Begehungsweise noch das Vorliegen besonders schwerer Fälle ist in den Urteilstenor aufzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1977 - 2 StR 410/77,
BGHSt 27, 287, 289). Angesichts der gegenüber § 253 Abs. 4 StGB höheren Mindeststrafe des § 250 Abs. 1 StGB
kann der Senat ausschließen, dass der Strafausspruch auf der fehlerhaften rechtlichen Würdigung durch das Landgericht beruht.
StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden gefährliches Werkzeug
BGH, Beschl. v. 09.04.2015 - 2 StR 424/14
"Verwendet" im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist das gefährliche Werkzeug auch noch nach
deren Vollendung, solange die Tat jedenfalls noch nicht beendet ist.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3. auf dessen
Antrag, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. April 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 30. Juni 2014
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,
b) im Strafausspruch dahin ergänzt, dass der Angeklagte unter Auflösung und Wegfall der Gesamtgeldstrafe aus dem
Strafbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 10. Februar 2014 - 703 Cs 336 Js 1943/13 - 58/14 - und Einbeziehung der
Einzelstrafen aus diesem Strafbefehl zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt ist,
c) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Strafaussetzung zur Bewährung
abgesehen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung "unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 10.02.2014, Az:
703 Cs 336 Js 1943/13 - 58/14" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Hiergegen
richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des
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Schuldspruchs, einer Klarstellung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe und zur Aufhebung des Urteils,
soweit die Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt wurde. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der
Angeklagte am 2. Dezember 2013 nach einem Gaststättenbesuch den Zeugen P., der 500 Euro an einem Geldspielautomaten gewonnen hatte und sich auf dem Nachhauseweg befand. Der Angeklagte bedrohte den Geschädigten mit
einer Spielzeugpistole und ließ sich dessen Geld aushändigen. Danach schlug der Angeklagte den Geschädigten mit
dem Pistolenknauf auf den Kopf, wodurch dieser eine Platzwunde erlitt. Das Landgericht hat die Tat als schwere
räuberische Erpressung im Sinne der §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1b in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet.
II.
1. Der Senat ändert den Schuldspruch so ab, wie es aus der Entscheidungsformel ersichtlich ist. Der Einsatz des
gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) stellt hier auch dessen Verwendung im Sinne von § 250 Abs. 2
Nr. 1 StGB dar. Im Sinne dieser Vorschrift verwendet ist das gefährliche Werkzeug auch noch nach deren Vollendung, solange die Tat - wie hier - jedenfalls noch nicht beendet ist (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 250 Rn. 18). §
265 Abs. 1 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs durch den Senat nicht entgegen, weil sich der Angeklagte
nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen die Strafzumessung richtet.
Hinsichtlich der Gesamtstrafenbildung ist nur die Klarstellung geboten, dass die Einzelgeldstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 10. Februar 2014 unter Auflösung und Wegfall der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen sind.
3. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat keinen Bestand. § 56 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1
StGB ermöglicht es dem Gericht, bei Vorliegen einer günstigen Sozialprognose und besonderer, in der Tat oder der
Persönlichkeit des Angeklagten liegender Umstände auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei
Jahren zur Bewährung auszusetzen. Dabei sind die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 stets vorrangig zu prüfen. Dies
gilt schon deshalb, weil zu den nach § 56 Abs. 2 zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die schon für
die Prognose nach Abs. 1 von Belang sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - 3 StR 232/14, NJW 2014, 3797
f.). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Versagung der Strafaussetzung auf dem Rechtsfehler beruht.
StGB § 250 Abs. 2 Nr. 2 Was ist eine Waffe?
BGH, Beschl. v. 21.04.2015 - 4 StR 94/15 - BeckRS 2015, 09422
Nach § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist ein unter den Bedingungen des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB (bandenmäßig) begangener Raub als besonders schwerer Raub zu bewerten, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Waffe bei sich führt. Dabei ist der auch für § 250 Abs. 2 Nr. 1 und §
244 Abs. 1 Nr. 1a StGB geltende Begriff der Waffe im technischen Sinn zugrunde zu legen. Danach
ist eine Waffe ein körperlicher Gegenstand, der nach seiner Art für Angriffs- oder Verteidigungszwecke bestimmt und zur Verursachung erheblicher Verletzungen generell geeignet ist. Die Begriffsbestimmungen des Waffengesetzes können hierbei eine Orientierungshilfe bieten.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer
am 21. April 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. November 2014
a) im Fall II. 2 der Urteilsgründe im Strafausspruch,
b) im Fall II. 8 der Urteilsgründe im Schuldspruch,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafen, insoweit mit den zugehörigen Feststellungen,
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der
Rechtsmittel – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
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Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen besonders schweren Raubes in sechs Fällen und versuchten besonders schweren Raubes unter Einbeziehung der Strafe aus einem anderen rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten B. hat es wegen besonders schweren
Raubes in sechs Fällen, schweren Raubes, versuchten besonders schweren Raubes und Diebstahls schuldig gesprochen und gegen ihn deshalb unter Einbeziehung der Strafe aus einem anderen rechtskräftigen Urteil eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren festgesetzt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben den aus der
Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
1. Die Annahme eines besonders schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB in den Fällen II. 2 und 8 der
Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen.
a) Danach schlossen sich die Angeklagten und die gesondert verfolgten S. A., C. und T. Anfang 2013 zusammen, um
in einer Vielzahl von Fällen maskiert und bewaffnet in Geschäftslokale einzudringen. Dort wollten sie Mitarbeiter
und Kunden mit den Waffen bedrohen, um an größere Bargeldbeträge aus dem Geschäftslokal zu gelangen. Am 13.
Februar 2013 drang der Angeklagte A. zusammen mit C., S. A. und T. maskiert in einen Supermarkt in D. ein, in
dem die Zeuginnen K. und Sc. gerade mit dem Ausräumen von Regalen beschäftigt waren. C. griff der Zeugin K. in
den Nacken und stieß sie unter Vorhalt eines Messers in den Bürobereich. Nachdem die Zeugin auf Aufforderung
des C. und unter weiterem Vorhalt des Messers den Tresor geöffnet hatte, entnahmen die Täter daraus Münzrollen.
Anschließend drängten sie beide Zeuginnen zum Kassenbereich. Dort öffneten die Zeuginnen auf Aufforderung die
Kassen, aus denen die Täter sodann weiteres Bargeld an sich nahmen. Die gesamte Beute belief sich auf ca. 2.000
Euro (Fall II. 2 der Urteilsgründe). Am 9. März 2013 betraten die beiden Angeklagten zusammen mit B. C. und S. A.
maskiert und „mit einem Messer bewaffnet“ eine Spielhalle in Da., in der sich die als Spielhallenaufsicht tätige Zeugin R. und zwei Gäste befanden. Die Angeklagten und ihre Mittäter zwangen die Gäste zu Boden und forderten die
Zeugin, die sich vor Schreck auch auf den Boden gesetzt hatte und sich mit beiden Händen die Augen zuhielt, dazu
auf, die Kasse zu öffnen und den Tresor zu zeigen. Die Zeugin öffnete die Kasse, zeigte den Tresor und schloss diesen mit dem darin steckenden Schlüssel auf. Das vorgehaltene Messer nahm sie dabei nicht wahr, weil sie ihren
Blick aus Angst nicht nach oben richtete. Die Angeklagten und ihre Mittäter entwendeten aus der Kasse und dem
Tresor insgesamt ca. 1.000 Euro (Fall II. 8 der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten
A. wegen besonders schweren Raubes im Fall II. 2 der Urteilsgründe sowohl auf § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, als auch
auf § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB gestützt. Im Fall II. 8 der Urteilsgründe hat es einen besonders schweren Raub in der
Begehungsform des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint, weil die Zeugin das vorgehaltene Messer nicht wahrgenommen hatte und die Verurteilung beider Angeklagten wegen besonders schweren Raubes allein aus § 250 Abs. 2 Nr. 2
StGB hergeleitet (UA 14).
b) Die Annahme eines besonders schweren Raubes in der Begehungsform des § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB begegnet in
beiden Fällen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Nach § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist ein unter den Bedingungen des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB (bandenmäßig) begangener Raub als besonders schwerer Raub zu bewerten, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine
Waffe bei sich führt. Dabei ist der auch für § 250 Abs. 2 Nr. 1 und § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB geltende Begriff der
Waffe im technischen Sinn zugrunde zu legen (Eser/Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 250 Rn. 31;
SSW-StGB/Kudlich, 2. Aufl., § 250 Rn. 26; Kindhäuser in: Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 250
Rn. 22). Danach ist eine Waffe ein körperlicher Gegenstand, der nach seiner Art für Angriffs- oder Verteidigungszwecke bestimmt und zur Verursachung erheblicher Verletzungen generell geeignet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3.
Juni 2008 – 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257 Rn. 13; Urteil vom 11. Mai 1999 – 4 StR 380/98, BGHSt 45, 92, 93; Eser/
Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 250 Rn. 31; Kindhäuser in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB,
4. Aufl., § 250 Rn. 22 und § 244 Rn. 4). Die Begriffsbestimmungen des Waffengesetzes – im konkreten Fall vornehmlich die Regelungen zu den verbotenen Messern (vgl. Anlage 2 Abschnitt 1 Nrn. 1.4.1 bis 1.4.3 zu § 2 Abs. 2
bis 4 WaffG) – können hierbei eine Orientierungshilfe bieten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt
2/02, BGHSt 48, 197, 203; Kindhäuser in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 244 Rn. 5; SSWStGB/Kudlich, 2. Aufl., § 244 Rn. 6 mwN). Das Landgericht hat weder im Fall II. 2 noch im Fall II. 8 der Urteilsgründe nähere Feststellungen dazu getroffen, was für ein Messer Verwendung gefunden hat. Es bleibt daher offen,
ob bei den jeweils bandenmäßig begangenen Raubtaten tatsächlich eine Waffe im technischen Sinn mitgeführt worden ist.
bb) Da die Feststellungen im Fall II. 2 der Urteilsgründe die Verurteilung des Angeklagten A. wegen besonders
schweren Raubes in der Begehungsform des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB tragen, lässt der aufgezeigte Rechtsfehler den
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Schuldspruch unberührt. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, weil das Landgericht sowohl bei
der Erörterung eines minder schweren Falles gemäß § 250 Abs. 3 StGB, als auch bei der konkreten Strafzumessung
die Verwirklichung von zwei Varianten des § 250 Abs. 2 StGB zum Nachteil des Angeklagten A. gewertet hat (UA
16). Im Fall II. 8 der Urteilsgründe war der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes in Bezug auf beide
Angeklagten aufzuheben, weil sich das Landgericht insoweit allein auf § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB gestützt hat. Einer
Aufhebung der getroffenen Feststellungen bedarf es in beiden Fällen nicht. Der neue Tatrichter wird lediglich ergänzende Feststellungen zur Beschaffenheit des jeweils mitgeführten Messers zu treffen haben.
2. Durch die Aufhebungen wird bei beiden Angeklagten dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen. Die
weitere Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der
Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
StGB § 250 Raub mit Spielzeugpistole
BGH, Urt. v. 07.01.2015 - 2 StR 163/14 - BeckRS 2015, 03931
Es ist für die Annahme des Raubtatbestandes nicht erforderlich, dass die eingesetzten Nötigungsmittel objektiv erforderlich, ursächlich oder förderlich gewesen sind; genügend ist es, wenn der
Täter nach seiner Vorstellung Raubmittel anwendet, um dadurch eine Wegnahme zu ermöglichen,
ohne dass es objektiv darauf ankäme, ob dies tatsächlich der Fall ist.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Januar 2015 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 11. Dezember 2013
a) hinsichtlich des Angeklagten R. im Strafausspruch
b) hinsichtlich des Angeklagten C., soweit er verurteilt worden ist,
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
4. Die Revision des Angeklagten C. gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und den Angeklagten C. wegen Beihilfe zur räuberischen
Erpressung, wegen Diebstahl und versuchter Nötigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten
verurteilt, die es ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es ihn (und einen weiteren Angeklagten)
freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die hinsichtlich des Angeklagten R. auf den Strafausspruch
beschränkt ist, hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie - wie auch die Revision des Angeklagten C. - nicht begründet.
I. Das Landgericht hat zu den einzelnen Taten folgende Feststellungen getroffen.
1. Am 16. Juli 2012 gegen 16.00 Uhr trafen der später geschädigte W. und sein Freund S. auf den Angeklagten C.
und den Zeugen I.. Diese forderten den Zeugen W. auf, ihnen in den Flur des Hauses, in dem der Zeuge I. wohnte, zu
folgen, um mit ihm zu reden. Während S. auf der Straße stehen blieb, kam W. der Aufforderung nach. Im Hausflur
angekommen, verschloss der Zeuge I. die Tür und fragte, ob W. eine Zigarette oder 5 Euro für ihn habe. Dieser verneinte, worauf I. den Zeugen am Körper ab- und dabei eine Geldbörse ertastete. Der Angeklagte C. stand daneben
und schaute zu, wie der Zeuge I. dem Portemonnaie im Folgenden 1.800 Euro entnahm und die Geldscheine einsteckte. Im Anschluss sagte er dem Zeugen W., es gebe "Stress", wenn er die Polizei verständige. Schließlich verließen der Angeklagte C. und I. das Haus und versteckten das Geld bis auf einen kleinen Betrag, den sie verbrauchten,
bei einem Bekannten, wo es kurze Zeit später sichergestellt wurde. Das Landgericht hat den Angeklagten C. insoweit
wegen Diebstahls des Bargelds gemäß § 242 StGB und im Hinblick auf die Drohung gegenüber dem Zeugen W.
nach der Wegnahme wegen versuchter Nötigung nach §§ 240 Abs. 1, 22, 23 StGB verurteilt, von einer Verurteilung
wegen Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung aber abgesehen. Zum einen habe der Zeuge I. die Haustür abge-
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schlossen, zum anderen habe nicht sicher festgestellt werden können, dass sich der Zeuge W. durch das Verschließen
genötigt gefühlt habe, die Wegnahme des Geldes zu dulden.
2. Am Abend des 10. April 2013 begaben sich der Angeklagte R. und der Zeuge J. in die Innenstadt von H.. R. hatte
zuvor den Entschluss gefasst, eine Spielothek zu überfallen, und aus diesem Grund eine Spielzeugwaffe bei sich. Der
eingeweihte Zeuge J. erzählte dies den ihnen bekannten Mitangeklagten C. und Ja., die sie zufällig in der Stadt getroffen hatten. Der Angeklagte C. wirkte daraufhin auf den Angeklagten R. ein, dieser solle seinen Plan unmittelbar
umsetzen. R. schlug daraufhin vor, die Spielothek "P. I." zu überfallen, worauf sich die drei Angeklagten - der Zeuge
J. hatte sich zwischenzeitlich abgesetzt - dorthin begaben, hier aber feststellen mussten, dass sie bereits geschlossen
war. Nun schlug der Angeklagte C. die Spielothek "L." als neues Tatobjekt vor. Alle drei Angeklagten begaben sich
daraufhin am frühen Morgen des 11. April 2013 zu dieser Spielothek, die die Angeklagten R. und C. nunmehr entsprechend ihrem zuvor gefassten Plan überfielen. So betrat der Angeklagte C. die Spielothek, um zu schauen, ob die
Besucherzahl einen Überfall zulasse. Fünf Minuten später folgte - nachdem C. nicht interveniert hatte - der Angeklagte R., ging zum Tresen, richtete die Spielzeugwaffe auf die Angestellte Wa. und verlangte von ihr die Übergabe
von Geld aus der Kasse. Dieser Aufforderung kam sie unter dem Eindruck der Bedrohung nach und übergab dem
Angeklagten R. Bargeld in Höhe von 355 Euro. Der am Tresen sitzende Angeklagte C. tat absprachegemäß so, als
kenne er den Angeklagten R. nicht, und fragte ihn, was er da mache, worauf dieser ihn zum Schein mit der Waffe
bedrohte. Schließlich verließ der Angeklagte R. die Spielothek, der Angeklagte C. folgte. Alle Angeklagten - der
freigesprochene Angeklagte Ja. hatte sich während des Überfalls ausschließlich außerhalb der Spielothek aufgehalten
- rannten davon und trennten sich später. Es blieb ungeklärt, ob der Angeklagte R. dem Angeklagten C. die Tatbeute
übergeben hatte. Die Strafkammer hat den Angeklagten R. wegen schwerer räuberischer Erpressung, den Angeklagten C. wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung verurteilt. Sie ist davon ausgegangen, dass eine (mittäterschaftliche) Verurteilung nicht in Betracht komme, weil es dem Angeklagten C. insoweit an Tatherrschaft gefehlt habe. Er
habe weder Teile des Tatbestandes verwirklicht noch einen für das Gelingen der Tat wesentlichen Beitrag geleistet.
Zudem sei nicht festzustellen gewesen, dass er an der Tatbeute beteiligt worden sei.
3. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten C., der zu den Tatzeitpunkten Heranwachsender war, eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und diese zur Bewährung ausgesetzt. Gegen den Angeklagten R.
hat die Strafkammer eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt und diese auch zur Bewährung
ausgesetzt. Dabei hat sie einen minder schweren Fall der schweren räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 3 StGB
angenommen, weil die Beute relativ gering gewesen sei und der Angeklagte auch nur mit einer Spielzeugwaffe gedroht habe. Innerhalb des gefundenen Strafrahmens hat das Landgericht unter anderem strafmildernd das von Reue
und Einsicht getragene Geständnis, seine Alkoholisierung, seine Vorstrafenfreiheit, den geringen materiellen Schaden sowie den Umstand berücksichtigt, dass es sich um eine Spontantat gehandelt habe, die nicht von langer Hand
geplant gewesen sei. Die Strafkammer hat eine günstige Sozialprognose bejaht und im Hin-blick darauf und im Zusammenhang mit dem glaubhaften Bereuen an der Tat-beteiligung "hinreichende Besonderheiten" angenommen, die
eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 2 StGB rechtfertigten.
4. Mit der Anklageschrift ist gegenüber dem Angeklagten C. weiter der Vorwurf erhoben worden, am 1. Oktober
2012 eine räuberische Erpressung sowie eine versuchte schwere räuberische Erpressung zum Nachteil des Zeugen
He. begangen zu haben.
a) Ihm lag zur Last, den Zeugen He. auf einem gemeinsamen Weg zu einer Spielothek aufgefordert zu haben, die
Taschen zu leeren. Unter dem Eindruck einer vorangegangenen Szene, in der der Angeklagte unter Vorhalt eines
Messers gezeigt habe, was er mit Leuten mache, die sich gegen ihn stellen würden, habe der Zeuge ihm daraufhin 30
Euro und ein schwarzes Messer übergeben. Weiter habe der Angeklagte später in der Wohnung des Zeugen He.
gefragt, wo dieser sein Geld aufbewahre. Er habe eine Spardose aufgebrochen, daraus 30 Euro entwendet, die Vorlage des Sparbuchs und schließlich das "restliche" Bargeld gefordert, wozu es aber nicht gekommen sei, weil der Zeuge aus dem Wohnungsfenster gesprungen und geflüchtet sei.
b) Hierzu hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen: Der Zeuge He. ist langjähriger Drogenkonsument,
hat einen gesetzlichen Betreuer und lernte im Jahre 2012 den Angeklagten C. kennen. Den Abend des 10. Oktober
2012 verbrachte er mit dem Angeklagten C., wobei er ein Messer und einen Teleskopschlagstock mit sich führte,
weil man nie wisse, "mit wem man es zu tun bekomme". Gegen 1.10 Uhr rief er die Polizei an und gab an, überfallen
worden zu sein. Die Polizeibeamten fanden die Haustür wie auch die von dem Zeugen bewohnte Wohnung offen.
Fernseher und Laptop liefen, ein Sparbuch lag auf dem Tisch. Sämtliche Fenster waren geschlossen. Den Zeugen traf
die Polizei später in der Nähe, seine Kleidung war verschmutzt, er hinkte leicht.
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c) Der Zeuge He. hat zwar weitergehend den Tatvorwurf im Wesentlichen bestätigt. Die Strafkammer hat diesen
Angaben aber keinen für die Verurteilung ausreichenden Beweiswert beigemessen und den Angeklagten insoweit
freigesprochen. Es erschien der Kammer wenig plausibel, dass der Zeuge aus dem Fenster einer Dachgeschosswohnung gesprungen sein soll, zumal - wie die vernommenen Polizeibeamten berichtet hätten - sämtliche Fenster geschlossen gewesen seien. Der Umstand, dass Fernseher und Laptop gelaufen seien, spräche auch nach Einschätzung
der ermittelnden Beamten gegen eine Tat in der Wohnung. Auf Angaben des Zeugen He. allein, der auch in der
Hauptverhandlung zerstreut und durcheinander gewesen sei und Wahnideen geäußert habe, könne deshalb eine Verurteilung nicht gestützt werden.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten C. hat Erfolg, soweit sie Rechtsfehler in den
Verurteilungsfällen beanstandet. Im Hinblick auf den Freispruch des Angeklagten bleibt sie hingegen erfolglos.
1. Die Verurteilung lediglich wegen Diebstahls statt eines Raubes hinsichtlich der Wegnahme des Bargelds von
1.800 Euro (Tat vom 16. Juli 2012) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soweit die Strafkammer dies
damit begründet, der Zeuge I. und nicht der Angeklagte C. habe die Hauseingangstür abgeschlossen und in der Sache
damit einwendet, allein der Zeuge habe die für einen Raub erforderlichen Nötigungsmittel eingesetzt, berücksichtigt
sie nicht hinreichend, dass der Angeklagte mit seiner während des Aufenthalts im abgeschlossenen Hausflur gemachten Bemerkung, er bekomme Stress, sollte er die Polizei verständigen, die vorangegangenen Handlungen des Zeugen
I. jedenfalls im Rahmen einer sukzessiven Mittäterschaft gebilligt haben könnte. Insoweit bleibt die Würdigung des
Landgerichts lückenhaft. Die weitere Erwägung, es habe sich nicht feststellen lassen, ob das Opfer sich durch das
Verschließen der Tür genötigt gefühlt habe, die Wegnahme des Geldes zu dulden, vermag ebenfalls die rechtliche
Würdigung der Kammer nicht zu tragen. Es ist für die Annahme des Raubtatbestandes nicht erforderlich, dass die
eingesetzten Nötigungsmittel objektiv erforderlich, ursächlich oder förderlich gewesen sind; genügend ist es, wenn
der Täter nach seiner Vorstellung Raubmittel anwendet, um dadurch eine Wegnahme zu ermöglichen, ohne dass es
objektiv darauf ankäme, ob dies tatsächlich der Fall ist (vgl. Vogel, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., §
249, Rn. 36 m. Nachw. zur Rspr.). Maßgeblich ist danach, ob das Verschließen der Tür durch den Zeugen I. bereits
zur Realisierung der Wegnahme erfolgt ist oder dieser jedenfalls die hierdurch erreichte Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit im Zeitpunkt der Wegnahme ausnutzen wollte und der Angeklagte C. eine mögliche subjektive
Verknüpfung von Raubmittelanwendung und Wegnahme beim Zeugen I. erkannt und in seinen Willen aufgenommen hat. Die Sache bedarf insoweit (auch hinsichtlich der versuchten Nötigung, die zwar rechtsfehlerfrei festgestellt,
aber als tateinheitlich verwirklichtes Delikt gleichfalls der Aufhebung unterliegt) neuer Verhandlung, wobei zu prüfen sein wird, ob der Angeklagte sich womöglich auch wegen Freiheitsberaubung straf-bar gemacht hat.
2. Auch die Verurteilung wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung hinsichtlich des Überfalls auf die Spielothek
(Tat vom 10. April 2013) weist Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten C. auf. Die Annahme, der Angeklagte sei
insoweit lediglich wegen Beihilfe (richtig: zur schweren räuberischen Erpressung), nicht wegen mittäterschaftlichen
Handelns zu bestrafen, hält auch eingedenk des begrenzten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs der Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat ersichtlich wesentliche Gesichtspunkte nicht in seine Entscheidung einbezogen, die für die erforderliche Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme von Bedeutung sein können. So hat die
Strafkammer nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Angeklagte C. den zwar schon tatentschlossenen Mitangeklagten R. aufgefordert hat, seinen Plan unmittelbar umzusetzen, und diesem im weiteren Fortgang das schließlich überfallene Tatobjekt benannt hat. Diese im Vorfeld der eigentlichen Tat liegenden Umstände durften bei der umfassenden Prüfung vom Tatgericht nicht außer Acht gelassen werden. Der Senat kann, unter weiterer Berücksichtigung,
dass der am Tatort anwesende Angeklagte C. in der ihm nach dem Tatplan zugewiesenen Rolle jedenfalls zu Beginn
des Tatgeschehens objektive Herrschaft über den Tatablauf hatte, nicht ausschließen, dass das Landgericht bei
rechtsfehlerfreier Würdigung zur Annahme von Mittäterschaft gelangt wäre. Die Sache muss auch insoweit neu
verhandelt werden.
3. Die Aufhebung der Schuldsprüche entzieht der Rechtsfolgenentscheidung die Grundlage, ohne dass es noch auf
die hiergegen erhobenen Einwendungen der Staatsanwaltschaft ankäme.
4. Der Freispruch des Angeklagten C. hinsichtlich der weiteren Taten vom 10./11. Oktober 2012 zum Nachteil des
Zeugen He. hält hingegen rechtlicher Nachprüfung stand. Insoweit bleibt das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erfolglos. Die Beweiswürdigung der Strafkammer weist Rechtsfehler zum
Vorteil des Angeklagten nicht auf. Die vom Landgericht gezogenen Schlüsse sind möglich und widersprechen entgegen dem Vorbringen der Revision - auch nicht wissenschaftlichen Erfahrungssätzen. Dass das Landgericht
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen He. hatte und deshalb eine Verurteilung auf seine Angaben nicht stützen
- 191 -
konnte, hat es insbesondere unter Hinweis auf die Aussagen der ermittelnden Polizeibeamten, deren Erkenntnisse
vom Tatort mit den Angaben des Zeugen nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen waren, nachvollziehbar dargelegt. Wesentliche gegen den Angeklagten sprechende Umstände hat es dabei nicht übersehen; soweit sich die Revision bei ihrer gegenteiligen Ansicht auf Umstände stützt, die sich den Urteilsgründen entnehmen lassen, hat sie eine
zulässige Verfahrensrüge nicht erhoben.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten R. hat Erfolg und führt zur Aufhebung des
Strafausspruchs.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist - trotz des umfänglich gestellten Aufhebungsantrags - bei gebotener Auslegung in der Sache auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
2. Der Strafausspruch begegnet - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs - durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 250 Abs.
3 StGB erweist sich als rechtsfehlerhaft. Bei der Prüfung, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven
Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in
einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des für einen minder schweren Fall vorgesehenen Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint, ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen
und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen (vgl. etwa BGHSt 26, 97, 98;
BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung, fehlerfreie 1; BGH NStZ 2009, 37). Eine solche Gesamtwürdigung aller strafzumessungsrelevanten be- und entlastenden Umstände ist dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Das Landgericht verweist lediglich auf zwei aus seiner Sicht für den Angeklagten
sprechende Umstände, die Verwendung einer Spielzeugwaffe und die relativ geringe Tatbeute, ohne sich erkennbar
auch mit den gegen ihn sprechenden Umständen, insbesondere etwa den bei der Zeugin noch vorhandenen Tatfolgen,
auseinander zu setzen. Hinzu kommt, dass die Annahme eines minder schweren Falles wegen der mit der Schaffung
des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB vorgenommenen gesetzgeberischen Wertung jedenfalls nicht allein bzw. wesentlich
mit dem Umstand begründet werden darf, dass bei der Tat eine Scheinwaffe eingesetzt worden ist (vgl. BGH NStZRR 2002, 265). Der Senat kann - auch unter Berücksichtigung der weiteren im Rahmen der konkreten Strafzumessung aufgeführten Strafzumessungsumstände - nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen Gesamtwürdigung nicht zur Annahme eines minder schweren Falles gekommen wäre. Dies gilt insbesondere auch mit Blick
darauf, dass die Strafkammer etwa dem Geständnis - worauf der Generalbundesanwalt bereits in seiner Zuschrift
hingewiesen hatte - insoweit ein zu hohes Gewicht zu Gunsten des Angeklagten beigemessen hat.
IV. Dem Rechtsmittel des Angeklagten C. bleibt der Erfolg versagt. Entgegen der Ansicht der Revision beruht auch
die Verurteilung hinsichtlich der Tat vom 10. April 2013 auf einer tragfähigen Beweiswürdigung. Gestützt auf die
Angaben des Zeugen J., der bekundete, es sei zuvor zwischen den Angeklagten R., C., Ja. und ihm über einen Überfall auf die Spielothek "P. I." gesprochen worden, zu dem es allerdings nicht gekommen sei, weil diese bereits geschlossen hatte, durfte die Strafkammer nahe liegender Weise auf eine Beteiligung des Angeklagten C. an dem (später) von dem Angeklagten R. begangenen Überfall der Spielothek "L." schließen. Dass der Angeklagte C. zufällig
und ohne Absprache mit dem Angeklagten R. zurzeit des Überfalls in der Spielothek "L." gesessen haben könnte, hat
das Landgericht jedenfalls ohne Rechtsfehler ausgeschlossen.
StGB § 252 Besitzerhaltungsabsicht, Flucht nur Indiz
BGH, Beschl. v. 04.09.2014 - 1 StR 389/14 – NStZ 2015, 157 = StV 2015, 175
Die Flucht unter (objektiver) Mitnahme der Beute begründet die für den Tatbestand des § 252
StGB erforderliche Besitzerhaltungsabsicht nicht ohne weiteres, sondern legt sie allenfalls nahe.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 19. Mai 2014 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen schweren räuberischen Diebstahls verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- 192 -
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls und wegen eines weiteren Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren zwei Monaten verurteilt.
1. Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen zugrunde: Der Angeklagte, der seinen Lebensunterhalt aus dem
Diebstahl kleinteiliger Elektroartikel bestritt, entwendete zunächst am 14. Dezember 2013 gegen 16.55 Uhr aus den
Geschäftsräumen eines Warenhauses in Bayreuth ein Parfum, ein LED-Leuchtband und vier Speicherkarten im Gesamtwert von 99,85 Euro.
Am 18. Januar 2014 entwendete er sodann gegen 14.45 Uhr aus dem M. markt in Bayreuth 17 Speicherkarten im
Gesamtwert von 637,92 Euro. Bei dieser Tat führte er wissentlich ein scharfes Taschenmesser sowie eine Schere bei
sich. Im Kassenbereich wurde der Angeklagte, der die Ware in seinem Jackenärmel verborgen hielt, von einem Detektiv gestellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte er nun "mitsamt seiner Diebesbeute fliehen" und
versuchte dabei, "den Detektiv zur Seite zu stoßen" (UA S. 4). Dieser hielt ihn jedoch mit erheblichem Kraftaufwand
fest und verbrachte ihn nach einem kurzen Gerangel unter Mithilfe eines anderen Mitarbeiters in das Detektivbüro.
Auch dort versuchte der Angeklagte, "sich zu entreißen und mit der Beute zu fliehen" (UA S. 5), was nur unter Mithilfe eines dritten Mitarbeiters des Fachgeschäfts verhindert werden konnte. In beiden Fällen beabsichtigte der Angeklagte, die entwendeten Speicherkarten gewinnbringend weiter zu verkaufen, um sich dadurch eine Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen.
2. Das Landgericht hat die Tat vom 14. Dezember 2013 als gewerbsmäßig begangenen Diebstahl gewertet und den
Angeklagten insoweit unter Anwendung des Strafrahmens aus § 243 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs
Monaten verurteilt. Die Tat vom 18. Januar 2014 hat es als schweren räuberischen Diebstahl, qualifiziert durch das
Merkmal des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB), gewertet und gegen den Angeklagten deswegen unter Anwendung des Strafrahmens aus § 250 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von vier Jahren
verhängt.
II. Die Verurteilung des Angeklagten wegen des am 14. Dezember 2013 begangenen Diebstahls weist - auch vor
dem Hintergrund des gegen die Annahme gewerbsmäßiger Begehung gerichteten Revisionsvorbringens - aus den
vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. Juli 2014 zutreffend dargelegten Gründen keinen den
Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf.
III. Demgegenüber hält die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen enthalten hinsichtlich der subjektiven Tatseite durchgreifende Rechtsfehler.
1. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen tragen die Annahme der für § 252 StGB erforderlichen Besitzerhaltungsabsicht nicht. Der Täter eines räuberischen Diebstahls muss in Besitzerhaltungsabsicht handeln; dies
bedeutet, dass die Gewaltanwendung oder Drohung zum Ziel haben muss, sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu
erhalten (vgl. OLG Köln NJW-RR 2004, 299). Diese Absicht muss nicht der einzige Beweggrund des Täters für die
Gewaltanwendung oder den Einsatz des Nötigungsmittels sein (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 4 StR
170/05, NStZ-RR 2005, 340 mwN). Eine bloße Fluchtabsicht genügt jedoch nicht (vgl. OLG Köln, aaO). Bereits die
von der Strafkammer gefundene Formulierung, der Angeklagte habe "mitsamt seiner Diebesbeute fliehen" wollen,
lässt offen, ob es dem Angeklagten gerade auch auf die Erhaltung der Beute ankam, oder ob er lediglich fliehen
wollte und hierbei die Beute - ohne dies in seine subjektive Vorstellung aufzunehmen - mitnahm. Gleiches gilt für
die im Zusammenhang mit dem späteren Geschehen im Büro des Detektivs getroffene Feststellung, der Angeklagte
habe versucht, "sich zu entreißen und mit der Beute zu fliehen". Die Flucht unter (objektiver) Mitnahme der Beute
begründet die für den Tatbestand des § 252 StGB erforderliche Besitzerhaltungsabsicht nicht ohne weiteres, sondern
legt sie allenfalls nahe (OLG Köln, aaO; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 252 Rn. 9 mwN).
2. Die Annahme einer Besitzerhaltungsabsicht fände im Übrigen auch keine Grundlage in der Beweiswürdigung der
Strafkammer. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10.
April 2014 - 1 StR 649/13; Urteil vom 1. Oktober 2013 - 1 StR 403/13 jew. mwN). Das Revisionsgericht ist auf die
Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder
Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich
soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, jew. aaO mwN). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beweiswürdigung der
Strafkammer jedenfalls als lückenhaft, denn die Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, woraus die Strafkammer
- 193 -
den Schluss gezogen hat, der - die Umstände des Geschehens im Kassenbereich insgesamt bestreitende - Angeklagte
habe sich durch die Anwendung von Gewalt gegen den Kaufhausdetektiv den Besitz der entwendeten Speicherkarten
erhalten wollen. Allein aus dem - erwiesenen - Umstand, dass er sich seiner Beute nicht entledigte, sondern diese bis
zum Eintreffen der Polizei im Büro des Kaufhausdetektivs bei sich trug, lässt sich eine Besitzerhaltungsabsicht nicht
ableiten (Fischer, aaO, Rn. 9 mwN).
3. Der Schuldspruch wegen schweren räuberischen Diebstahls unterliegt deshalb mit den hierzu getroffenen Feststellungen der Aufhebung. Dies zieht die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe und des Ausspruchs über die
Gesamtstrafe nach sich.
StGB § 257, § 258, AktG §§ 84, 93 Abs. 4 Zahlung Geldstrafe oder Zahlungsauflage § 153a StPO
durch Arbeitgeber
BGH, Urt. v. 08.07.2014 - II ZR 174/13 – BGHZ 202,26 = NZG 2014, 1058
LS: Wenn das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft durch eine Handlung, die Gegenstand
eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist, gleichzeitig seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft
verletzt hat, muss die Hauptversammlung einer Übernahme der Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch die Gesellschaft zustimmen.
(Die Zahlung einer Geldstrafe durch die Gesellschaft erfüllt weder den Tatbestand der Begünstigung noch der Strafvereitelung)
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2014 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 4. April 2013
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand: Der Beklagte war Vorstandsmitglied der Klägerin, einer Aktiengesellschaft. Am 18./19. Oktober 2005
hoben die Parteien den Anstellungsvertrag auf. § 9 des Aufhebungsvertrags lautet:
1. Den Parteien ist bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Stade … ein Ermittlungsverfahren ... gegen den Vorstand
führt. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind Handlungen, die der Vorstand bei der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit als Vorstand für die Gesellschaft vorgenommen hat. Die Parteien vertreten die Auffassung, dass das Ermittlungsverfahren grundlos durchgeführt wird. …
3. Für den Fall, dass das Verfahren mit Geldsanktionen für den Vorstand verbunden ist (Einstellung gem. § 153a
StPO, Strafbefehl, Geldstrafen oder geldwerte Bewährungsauflagen) übernimmt P. AG diese, soweit dies rechtlich
zulässig ist und soweit derartige Geldsanktionen von der P. AG bei entsprechendem Anfall auch für die übrigen, von
dem Ermittlungsverfahren betroffenen Vorstandsmitglieder übernommen wer-den (Prinzip der Gleichbehandlung).
Mit Vertrag vom 8. Februar 2007 gewährte die Klägerin dem Beklagten ein Darlehen in Höhe von 50.000 €. Nr. 13
des Darlehensvertrages lautet:
13. Abschließende Bestimmungen
13.1. Die vorstehenden Bestimmungen geben die Vereinbarungen zwischen den Parteien im Hinblick auf den Vertragsgegenstand voll-ständig wieder und ersetzen alle vorangegangenen Vereinbarungen, Übereinkünfte und Verpflichtungen. Nebenabreden, mündlich oder schriftlich, wurden nicht getroffen. …
Mit dem gleichen Text wurde den weiteren Vorstandsmitgliedern Dr. G. und B. ebenfalls ein Darlehen gewährt. Das
Darlehen verwandten der Beklagte und die Vorstandsmitglieder zur Begleichung der ihnen in dem Ermittlungsverfahren nach § 153a StPO auferlegten Geldauflage. Die Klägerin hat das Darlehen gekündigt und im Urkundenprozess Rückzahlung verlangt. Der Beklagte hat eingewandt, dass die Klägerin sich nach dem Aufhebungsvertrag zur
Übernahme der Geldauflage verpflichtet habe und das Darlehen der Zahlung der Geldauflage gedient habe. Das
Landgericht hat den Beklagten im Urkundenprozess unter Vorbehalt der Ausführung seiner Rechte zur Zahlung von
50.000 € nebst Zinsen verurteilt. Im Nachverfahren hat das Landgericht sein Vorbehaltsurteil aufgehoben und die
Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die
vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Klägerin.
- 194 -
Entscheidungsgründe: Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts und
zur Zurückverweisung der Sache.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei nicht unstatthaft gewesen, die Geldauflage aus dem Vermögen der
Klägerin zu bezahlen. Es habe keines Verzichtsbeschlusses der Hauptversammlung der Klägerin bedurft, weil es
nicht darum gegangen sei, auf einen eigenen Anspruch der Gesellschaft aus einer ihr gegenüber durch den Beklagten
verübten Pflichtwidrigkeit zu verzichten. Ein Erst-Recht-Schluss dahingehend, dass die Hauptversammlung einer
Übernahme der Geldauflage hätte zustimmen müssen, weil sie einem Verzicht auf einen Schadensersatzanspruch der
Gesellschaft aus einer ihr gegenüber vom Beklagten verübten Pflichtwidrigkeit hätte zustimmen müssen, sei nicht
gerechtfertigt. Die Einstellung des Strafverfahrens gegen Geldauflage sei unmittelbar für die Klägerin vorteilhaft
gewesen, weil sie dadurch habe verhindern können, dass ihr Ansehen in der Öffentlichkeit und bei Geschäftspartnern, insbesondere Kapitalgebern, durch eine Berichterstattung während eines über längere Zeit andauernden Strafverfahrens negativ hätte beeinflusst werden können. Der Entscheidung, die Geldauflage zu übernehmen, komme
daher kein Verzichtscharakter zu. Dass der Aufsichtsrat in einem Beschluss vom 31. Januar 2007 gegen die Übernahme der Geldbuße votiert habe, habe die bereits im Jahr 2005 gegenüber dem Beklagten begründete Verpflichtung
zur Übernahme der Geldauflage nicht aufgehoben, weil zuvor bereits eine wirksame Bindung der Klägerin eingetreten gewesen sei. Die von der Klägerin damals erteilte Zusage, eine Geldauflage zu übernehmen, sofern die dafür
genannten Bedingungen erfüllt seien, sei Voraussetzung dafür gewesen, dass der Beklagte sich mit einer Beendigung
des Strafverfahrens gegen die Bezahlung einer Geldauflage einverstanden erklärt habe. Anders als die Klägerin meine, sei auch die weitere in der Vereinbarung vom Oktober 2005 für die Übernahme der Geldauflage aufgestellte
Bedingung, dass nämlich eine gegenüber den übrigen betroffenen Vorstandsmitgliedern festgesetzte Geldauflage
ebenfalls von der Klägerin übernommen werde, erfüllt. Den Vorstandsmitgliedern G. und B. sei eine Sondertantieme
exakt in Höhe der diesen auferlegten Geldauflage gewährt worden und jeweils gegen den Anspruch der Klägerin auf
Rückzahlung der Darlehensvaluta, aus der die Geldauflage zuvor bezahlt worden sei, verrechnet worden. Eine Untreue im Sinn von § 266 StGB liege darin schon deshalb nicht, weil die Gegenleistung in allen Fällen in der Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens gelegen habe. Der Beklagte habe durch seine Zustimmung zur Einstellung
darauf verzichtet, dass eine vollständige Aufklärung im Rahmen der Hauptverhandlung stattfinden könne, was auch
zu einem Freispruch für den Beklagten hätte führen können. Daraus, dass die Parteien nach der Zusage, eine später
festgelegte Geldauflage zu bezahlen, gleichwohl den Darlehensvertrag geschlossen hätten, könne nicht auf eine Aufhebung oder Abänderung der Kostenübernahmezusage geschlossen werden. Alleiniger Zweck des Darlehensvertrages sei es gewesen, Zeit für die Abklärung der aus der Sicht der Organvertreter der Klägerin ungewissen Frage zu
gewinnen, ob eine Übernahme der Geldauflage aus dem Gesellschaftsvermögen rechtlich statthaft sei bzw. einen
Weg, durch den dieses unangreifbar würde, zu finden.
II. Der Beschluss hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Gesellschaft kann die Bezahlung einer
Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage, die gegen ein Vorstandsmitglied verhängt wurde, nicht in jedem Fall allein
aufgrund eines Beschlusses des Aufsichtsrats übernehmen. Wenn die von dem Vorstandsmitglied begangene Straftat
gleichzeitig eine Pflichtverletzung gegenüber der Aktiengesellschaft ist, muss entsprechend § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG
die Hauptversammlung einer Übernahme der Sanktion durch die Gesellschaft zustimmen.
1. Ein Verzicht auf die Darlehensrückzahlung ist nicht schon wegen Begünstigung oder Strafvereitelung nach §§
257, 258 StGB verboten. Die Zahlung einer Geldstrafe durch die Gesellschaft erfüllt weder den Tatbestand der Begünstigung noch der Strafvereitelung (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1964 - II ZR 11/62, BGHZ 41, 223, 229; Urteil
vom 7. November 1990 - 2 StR 439/90, BGHSt 37, 226, 229). Erst recht gilt dies für die Übernahme einer Geldauflage bei einer Einstellung des Straf- oder Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO.
2. Aktienrechtlich muss die Hauptversammlung einer Übernahme der Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch
die Gesellschaft zustimmen, wenn das Vorstandsmitglied durch eine Handlung, die Gegenstand eines Ermittlungsoder Strafverfahrens ist, gleichzeitig seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt hat.
a) Im Schrifttum ist umstritten, ob die Übernahme einer Geldsanktion allein vom Aufsichtsrat beschlossen werden
kann. Nach einer Ansicht ist § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG auf derartige Übernahmen von Geldbußen nicht anwendbar, da
die Vorschrift eine unmittelbare Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch das Handeln eines Organmitglieds
voraussetze. Die Übernahme sei vielmehr zulässig, wenn sie nach einer pflichtgemäßen Abwägung des Einflusses
der Erstattung auf das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, auf die Arbeitsmoral sowie die künftige Gesetzestreue der Betroffenen und der Belegschaft mit der Schuld des Betroffenen und dem Schaden für die Gesellschaft
unternehmerisch vertretbar sei (Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 138 ff.; Fonk in Semler/v. Schenck,
- 195 -
Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl., § 9 Rn. 171). Eine weitere Ansicht hält die Erstattung der
einem Vorstandsmitglied auferlegten Geldstrafe oder -auflage entsprechend den Grundsätzen der sogenannten
ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95,
BGHZ 135, 244, 256) ausnahmsweise für zulässig, wenn gewichtige Gründe des Unternehmenswohls wie negative
Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, Behinderung der
Vorstandsarbeit oder die Beeinträchtigung des Betriebsklimas dies verlangten (Krieger, Festschrift Bezzenberger,
2000, S. 211, 217 ff.; Marsch-Barner in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl., § 12 Rn. 42 f.;
Hüffer/Koch, AktG, 11. Aufl., § 84 Rn. 23; Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 776 f.). Nach der überwiegend vertretenen Meinung ist die Übernahme einer dem Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft auferlegten Geldstrafe,
Geldbuße oder Geldauflage wegen eines im Verhältnis zur Gesellschaft pflichtwidrigen Verhaltens dagegen nur
unter den in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG genannten Voraussetzungen zulässig. Sie dürfe frühestens drei Jahre nach der
zur Last gelegten Vollendung der Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit sowie nach Zustimmung der Hauptversammlung
erfolgen, sofern sich die Straftat gegen die Gesellschaft richtete (MünchKommAktG/Spindler, 4. Aufl., § 84 Rn. 97
f.; Kort in GroßKomm. AktG, 4. Aufl., § 84 Rn. 405; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 68; ders.,
WM 2005, 909, 917; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 34; Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., §
84 Rn. 94; Hölters/Weber, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 51; Wachter/Eckert, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 29; Rehbinder,
ZHR 148 [1984], 555, 573; Kapp, NJW 1992, 2796, 2799; Zimmermann, DB 2008, 687, 690 f.; Dreher, Festschrift
Konzen, 2006, S. 85, 100 f.). Teilweise wird dem Aufsichtsrat dabei ein Beurteilungsermessen zuerkannt, ob eine
Pflichtwidrigkeit vorliegt (vgl. MünchKommAktG/Spindler, 4. Aufl., § 84 Rn. 97 f.).
b) Der Aufsichtsrat kann, wenn eine Pflichtwidrigkeit gegenüber der Gesellschaft vorliegt, die Übernahme einer
Strafsanktion auf die Gesellschaft nicht wirksam beschließen. Das ist entsprechend § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG vielmehr Sache der Hauptversammlung. Bei der Beurteilung, ob eine Pflichtwidrigkeit vorliegt, steht dem Aufsichtsrat
kein Handlungsermessen zu; maßgebend ist vielmehr die objektive Rechtslage.
aa) Die Entscheidung über die Übernahme einer Geldstrafe, Geldauflage oder Geldbuße ist entsprechend der Regelung zum Verzicht in § 93 Abs. 4 AktG der Hauptversammlung vorbehalten. Auf die Erstattung einer Strafsanktion
durch die Gesellschaft sind die Grundsätze von § 93 AktG anzuwenden. § 93 AktG soll ausschließen, dass der Vorstand durch eine pflichtwidrige Handlung der Gesellschaft dauerhaft einen Nachteil zufügt. Wenn die Gesellschaft
dem Vorstand eine strafrechtliche Sanktion ersetzt, die für eine Handlung verhängt wird, die gleichzeitig gegenüber
der Gesellschaft pflichtwidrig ist, fügt sie sich einen Nachteil zu, den nach § 93 AktG eigentlich der Vorstand zu
tragen hätte (Rehbinder, ZHR 148 [1984], 555, 570; Fleischer, WM 2005, 909, 917). Sie verursacht einen Schaden
oder vertieft ihn, wenn er aufgrund der Pflichtverletzung bereits eingetreten ist (vgl. Mertens/Cahn in KK-AktG, 3.
Aufl., § 84 Rn. 94). Wenn der Schaden erst durch einen Beschluss des Aufsichtsrats als Organ der Gesellschaft eintritt, der durch die Sorge um die Publizität der Vorwürfe und eine Rufschädigung der Gesellschaft veranlasst wird,
schließt dies die Verursachung des Schadens durch die Pflichtverletzung nicht aus (aA Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 138; Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 776 f.). Ein Zurechnungszusammenhang zwischen
Pflichtverletzung und Schaden liegt auch vor, wenn eine selbstschädigende Handlung des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert oder wesentlich mitbestimmt worden ist und eine nicht ungewöhnliche
Reaktion darauf darstellt (sogenannter „Herausforderungsfall“, st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2013 - II ZR
293/11, ZIP 2013, 1577 Rn. 12 mwN). Einen solchen Vermögensnachteil kann der Aufsichtsrat nicht ohne Zustimmung der Hauptversammlung beschließen. Der Aufsichtsrat ist im Gegenteil in der Regel verpflichtet, Ansprüche wegen einer vom Vorstand begangenen Pflichtverletzung zu verfolgen (BGH, Urteil vom 21. April 1997 - II ZR
175/95, BGHZ 135, 244, 256), und darf die Gesellschaft nicht noch zusätzlich schädigen (Krieger, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 211, 218). Die in der Übernahme der Sanktion liegende Schädigung der Gesellschaft geht über
das einem Aufsichtsrat in Ausnahmefällen zum Wohl der Gesellschaft mögliche Absehen von der Verfolgung von
Schadensersatzansprüchen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 256) hinaus. Sie
beschränkt sich nicht in passivem Verhalten, sondern enthält eine aktive Leistung der Gesellschaft. Sie führt ähnlich
einem Verzicht auf Schadensersatzansprüche, zu dem nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG), zu einer dauerhaften Vermögenseinbuße
der Gesellschaft (Dreher, Festschrift Konzen, 2006, S. 85, 101; Zimmermann, DB 2008, 687, 690 f.). Die Einschaltung der Hauptversammlung entspricht auch dem Zweck der Regelung von § 93 Abs. 4 AktG, die dem Schutz des
Gesellschaftsvermögens und der Minderheitsaktionäre dient. Mit der Zahlung der Geldsanktion fügen die Aufsichtsräte der Gesellschaft bewusst einen Vermögensnachteil zu. Das Vermögen der Gesellschaft steht wirtschaftlich aber
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nicht dem Aufsichtsrat, sondern den Aktionären zu, so dass diese berufen sind, eine solche Selbstschädigung zu
beschließen, soweit der Schutz der Gesellschaftsgläubiger gewahrt bleibt. Durch das Erfordernis einer Zustimmung
der Hauptversammlung soll auch der Gefahr einer kollegialen Verschonung des Vorstands oder einer Selbstenthaftung der Organe vorgebeugt werden (Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 161; Hopt in Großkomm. AktG,
4. Aufl., § 93 Rn. 354; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 278; MünchKomm AktG/Spindler, 4.
Aufl., § 93 Rn. 252). Diese Gefahr besteht in besonderem Maße bei der Erleichterung einer stillschweigenden Beendigung von Straf- oder Ermittlungsverfahren für das Vorstandsmitglied durch die Übernahme einer verhängten Sanktion. Der Aufsichtsrat kann daran ein besonderes Interesse haben, um zu vermeiden, dass mit dem Bekanntwerden
der dem Vorstand vorgeworfenen Pflichtverletzungen eine unzureichende Kontrolle durch den Aufsichtsrat aufgedeckt wird.
bb) Liegt dagegen keine Pflichtverletzung durch den Vorstand vor, kann der Aufsichtsrat beschließen, die Geldstrafe,
Geldauflage oder Geldbuße zu übernehmen (Kort in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 84 Rn. 405; Mertens/Cahn in KKAktG, 3. Aufl., § 84 Rn. 94). Der Aufsichtsrat hat insoweit aber kein Ermessen, eine Pflichtwidrigkeit zu verneinen
und sich so die alleinige Kompetenz zur Übernahme der Strafsanktion zu bewilligen. Bei der Beurteilung, ob das
Verhalten des Vorstands pflichtwidrig ist, geht es nicht um ein unternehmerisches Handlungsermessen, sondern um
Fragen des Erkenntnisbereichs, für die von vorneherein allenfalls die Zubilligung eines begrenzten Beurteilungsspielraums in Betracht kommen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254).
Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Frage, ob ein Pflichtenverstoß vorliegt, für die Übernahme einer strafrechtlichen Sanktion von Bedeutung ist (Krieger, Festschrift Bezzenberger, 2000, S. 211, 218). Zudem ist hier die Zuständigkeitsverteilung zwischen Hauptversammlung und Aufsichtsrat berührt, die nicht in das Ermessen des Aufsichtsrats gestellt ist. Dagegen spricht auch nicht, dass der Aufsichtsrat unter Umständen zu einem Zeitpunkt über die
Übernahme einer straf- oder bußgeldrechtlichen Sanktion befinden soll, zu der ihm die zu einer Beurteilung erforderlichen Informationen noch nicht vollständig vorliegen, etwa vor dem Ende des Ermittlungs- oder Strafverfahrens. Er
kann in diesem Fall eine vorläufige Regelung treffen, etwa dem Vorstand einen Vorschuss oder ein Darlehen unter
dem Vorbehalt der Rückforderung nach abschließender Prüfung gewähren.
c) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Beklagte die ihm vorgeworfenen Straftaten
begangen hat und ob sie ihrer Art nach gleichzeitig ein pflichtwidriges Verhalten gegenüber der Gesellschaft dargestellt haben, so dass nicht auszuschließen ist, dass die Erstattung nur aufgrund eines Zustimmungsbeschlusses der
Hauptversammlung möglich ist. Nach dem Vorbringen der Klägerin wurden den Vorständen im Ermittlungsverfahren Straftaten vorgeworfen, die gleichzeitig ein pflichtwidriges Verhalten gegenüber der Gesellschaft sind, nämlich
Betrug, Untreue, Bilanzfälschung und Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO), unter anderem durch die Übernahme von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden gegen Gewährung von
Aktien im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung, bei der der Wert der Anteile überbewertet worden sein soll, und
durch die Ausgabe einer Wandelanleihe, deren Erlös zur Tilgung von Altverbindlichkeiten statt der im Prospekt
versprochenen Finanzierung von Windparkprojekten verwendet werden sollte. Entgegen der im Zusammenhang mit
der Erörterung einer Strafbarkeit des Aufsichtsrats wegen Untreue (§ 266 StGB) geäußerten Auffassung des Berufungsgerichts entfällt ein Schaden der Gesellschaft durch die Zahlung der Geldsanktion nicht von vorneherein, weil
der Beklagte mit der Zustimmung zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens und dem Verzicht auf einen möglichen
Freispruch eine Gegenleistung erbracht hat. Die Zustimmung zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens und der
Verzicht auf eine öffentliche Erörterung der Vorwürfe in einer Hauptverhandlung sind keine Leistung in das Vermögen der Gesellschaft, die den durch die Zahlung der Strafsanktion eintretenden Vermögensschaden ausgleicht. Dabei
lässt das Berufungsgericht zudem außer Acht, dass die Aktionäre und die Gläubiger der Gesellschaft, wenn in der
vorgeworfenen Straftat gleichzeitig ein pflichtwidriges Handeln gegenüber der Gesellschaft liegt, das zu einem
Schaden geführt haben kann, regelmäßig ein Interesse daran haben, dass die Vorwürfe geklärt werden und gegebenenfalls Ersatzansprüche geltend gemacht werden, und nicht, dass der Aufsichtsrat durch die Übernahme der strafrechtlichen Sanktion eine Aufklärung verhindert.
III. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Der Beklagte kann gegen den Darlehensrückzahlungsanspruch nicht einwenden, dass anderen Vorstandsmitgliedern über die Auszahlung einer Sondertantieme
das ebenfalls zur Zahlung der Geldauflage gewährte Darlehen erlassen wurde. Damit ist lediglich die zweite Bedingung der Vereinbarung über die Übernahme einer strafrechtlich verhängten Geldsanktion, die gleiche Behandlung
der anderen Vorstandsmitglieder, erfüllt. Daraus folgt aber noch nicht, dass die Übernahme der Strafsanktion auch
beim Beklagten rechtlich zulässig war. Der Beklagte kann der Klägerin diesen Vorgang auch nicht unter dem Ge-
- 197 -
sichtspunkt eines widersprüchlichen Verhaltens des Aufsichtsrats entgegen halten. Dass der Aufsichtsrat die dem
Beklagten vorgeworfenen Pflichtwidrigkeiten für nicht gegeben erachtet hat, folgt aus dem Erlass der Darlehensrückzahlungsverbindlichkeit der anderen Vorstandsmitglieder nicht. Es ist nicht bekannt, ob den anderen Vorstandsmitgliedern dieselben Pflichtwidrigkeiten angelastet wurden. Dagegen, dass der Aufsichtsrat der Klägerin die
Pflichtwidrigkeiten nicht für gegeben erachtet hat, spricht auch, dass den anderen Vorstandsmitgliedern die Rückzahlung des Darlehens nicht offen erlassen wurde, sondern der Erlass durch die Gewährung einer Sondertantieme verschleiert wurde. Einen Anspruch darauf, dass der Aufsichtsrat eine rechtswidrige Übernahme von Strafsanktionen
fortsetzt, hat der Beklagte nicht.
IV. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§
563 Abs. 1 ZPO).
1. Der Beklagte ist nicht schon wegen des Abschlusses des Darlehensvertrages zur Finanzierung der Geldauflage
gehindert, dem Darlehensrückzahlungsanspruch die Verpflichtung der Klägerin aus dem Aufhebungsvertrag zur
Übernahme der Geldauflage entgegenzuhalten.
a) Der Darlehensvertrag hat entgegen der Revision nicht nach Nr. 13.1 des Darlehensvertrages die Vereinbarung aus
dem Aufhebungsvertrag ersetzt. Das Berufungsgericht hat in der Ersetzung aller früheren Vereinbarungen in Nr. 13.1
des Darlehensvertrages rechtsfehlerfrei keine Aufhebung oder Abänderung der Übernahmezusage gesehen, sondern
nur die Ersetzung von früheren Vereinbarungen im Hinblick auf die Darlehensabrede. Die Auslegung einer Individualvereinbarung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt ist und gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2009 - II ZR
222/08, ZIP 2009, 2335 Rn. 18 mwN). Die Auslegung des Berufungsgerichts, dass Nr. 13.1 des Darlehensvertrages
sich auf frühere Darlehensvereinbarungen beziehen solle und die Vereinbarung über die Begleichung der Geldbuße
durch die Gesellschaft nicht ersetzen soll, ist denkgesetzlich möglich. Entgegen der Auffassung der Revision ist der
Vortrag der Klägerin, dass die Darlehensvereinbarung die Übernahmeverpflichtung aus dem Aufhebungsvertrag
ersetzen soll, nicht unbestritten geblieben. Die Klausel ist bei dieser Auslegung entgegen der Auffassung der Revision auch nicht ohne jeden Anwendungsbereich und sinnlos, wenn es mit dem Beklagten keine vorangegangene Darlehensvereinbarung gab. Die Klägerin hat zeitgleich drei gleichartige Verträge über die Darlehensgewährung abgeschlossen, darunter mit zwei noch aktiven Vorstandsmitgliedern, für die es keine § 9 Abs. 3 des Aufhebungsvertrags
entsprechende Kostenübernahmevereinbarung gab. Damit liegt es nahe, dass die Ersetzung vorheriger Vereinbarungen vorsorglich vereinbart wurde, um sicher zu gehen, dass keine Abweichungen zu früheren mündlichen oder vorvertraglichen Vereinbarungen über die Darlehensgewährung entstehen. Für ein solches Verständnis spricht auch der
Textzusammenhang. Die Klausel beginnt damit, dass die vorangehenden Bestimmungen die Vereinbarung vollständig wiedergeben.
b) Aus dem Abschluss eines Darlehensvertrages statt einer Übernahme der Geldauflage folgt nicht, dass die Übernahmevereinbarung aus dem Aufhebungsvertrag einvernehmlich durch das Darlehen ersetzt wurde. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Darlehensgewährung eine vorläufige Regelung bis zu einer endgültigen Klärung der
rechtlichen Zulässigkeit der Übernahme herbeiführen sollte. Diese Feststellung ist rechtsfehlerfrei getroffen. Entgegen der Auffassung der Revision steht der Aufsichtsratsbeschluss vom 31. Januar 2007, in dem der Aufsichtsrat eine
Übernahme der Geldauflage abgelehnt hat, ihr nicht entgegen. Abgesehen davon, dass sich aus dem Beschluss allein
nur entnehmen lässt, dass der Aufsichtsrat zum damaligen Zeitpunkt die Geldauflage nicht unmittelbar übernehmen
wollte, konnte er eine Verpflichtung aus der Aufhebungsvereinbarung, die Geldauflage zu übernehmen, soweit sie
rechtlich zulässig ist, nicht einseitig aufheben. Dass der Beklagte durch sein Einverständnis mit der Darlehenslösung
nicht nur einer vorübergehenden, sondern einer endgültigen Lösung unter Verzicht auf seinen Anspruch aus der
Aufhebungsvereinbarung zustimmen wollte, folgt daraus nicht. An die Feststellung des Verzichtswillens und die
Annahme eines stillschweigend geschlossenen Erlassvertrages sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Ur-teil
vom 26. Oktober 2009 - II ZR 222/08, ZIP 2009, 2335 Rn. 18; Urteil vom 18. September 2012 - II ZR 178/10, ZIP
2012, 2295 Rn. 21). Wenn feststeht, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen
die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgeben wollen.
2. Entgegen der Auffassung der Revision entfällt ein Anspruch des Beklagten auf Übernahme der Sanktion nach der
Regelung im Aufhebungsvertrag auch nicht deshalb, weil die weitere Voraussetzung in § 9 Abs. 3 des Aufhebungsvertrags nicht eingetreten ist, dass die Geldsanktionen von der Klägerin bei entsprechendem Anfall auch für die
übrigen, von dem Ermittlungsverfahren betroffenen Vorstandsmitglieder übernommen werden. Das Berufungsge-
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richt hat den Vortrag der Klägerin, den anderen beiden Vorständen sei die Sonder-tantieme zur "Incentivierung"
ihrer Tätigkeit gewährt worden, sie hätten das Darlehen aber zurückzahlen müssen und die Verhältnisse seien bei
diesen Vorstandsmitgliedern anders gewesen, weil sie noch aktiv für die Klägerin tätig gewesen seien, nicht übergangen. Es hat vielmehr aufgrund der erstinstanzlichen Vernehmung des Zeugen Dr. G. den Zweck der Sondertantieme darin gesehen, die Geldauflage zu übernehmen und so wirtschaftlich die Rückzahlung des Darlehens zu vermeiden.
3. Das Berufungsgericht wird - ggf. nach weiterem Vortrag der Parteien - die erforderlichen Feststellungen dazu zu
treffen haben, ob der Beklagte die ihm im Ermittlungsverfahren vorgeworfenen Pflichtverstöße begangen hat. Da
sich der Aufsichtsrat in der Aufhebungsvereinbarung zur Übernahme einer Geldauflage verpflichtet hat, soweit sie
rechtlich zulässig ist, kann der Beklagte dem Darlehensrückzahlungsanspruch einen Anspruch auf Übernahme der
Geldauflage entgegenhalten, wenn er pflichtgemäß gehandelt hat. Nur insoweit kann der Aufsichtsrat ohne Zustimmung der Hauptversammlung die Übernahme zusichern und ist sie allein aufgrund seiner Entscheidung rechtlich
zulässig. Dafür, dass der Aufsichtsrat sich darüber hinaus verpflichten wollte, in jedem Fall, also auch bei pflichtwidrigem Verhalten eine verhängte Sanktion zu übernehmen, gibt der Aufhebungsvertrag keinen Anhaltspunkt. Die
Parteien gingen vielmehr davon aus, dass das Ermittlungsverfahren grundlos durchgeführt werde. Insoweit könnte
der Aufsichtsrat einen Anspruch des Beklagten, den dieser dem Darlehensrückzahlungsanspruch entgegenhalten
kann, ohne Zustimmung der Hauptversammlung auch nicht wirksam begründen. Ein Verstoß gegen § 93 Abs. 4 Satz
3 AktG führt zur Nichtigkeit, weil die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats insoweit begrenzt ist (vgl. Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 174; Hopt in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 380; MünchKomm
AktG/Spindler, 4. Aufl., § 93 Rn. 254; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 245). Die Beweislast für
pflichtgemäßes Verhalten trifft grundsätzlich den Beklagten, schon weil damit eine Voraussetzung des Anspruchs
betroffen ist, aber auch nach den allgemeinen Regeln (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG). Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG hat
das Vorstandsmitglied darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos
gehandelt hat, wenn die Gesellschaft - wie hier - ein Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis darlegt, das möglicherweise pflichtwidrig war (st. Rspr., BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - II ZR 90/11, ZIP 2013, 455
Rn. 14). Diese Beweislastverteilung gilt grundsätzlich auch gegenüber ausgeschiedenen Organmitgliedern (BGH,
Urteil vom 4. November 2002 - II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285).
StGB § 263 Abs. 1 Abrechnungsbetrug durch Pflegedienst
BGH, Beschl. v. 16.06.2014 - 4 StR 21/14 - NStZ 2014, 640 (Anm. Piel)= NJW 2014, 3170 (Anm Schuhr)
LS: Zum Abrechnungsbetrug der Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes, deren Mitarbeiter
nicht über die mit der Kranken- und Pflegekasse vertraglich vereinbarte Qualifikation verfügen.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 16. Juni 2014 gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Angeklagten wird auf ihren Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil
des Landgerichts Hagen vom 24. Juni 2013 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat die Angeklagte zu tragen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 96 Fällen, davon in 91 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Velbert vom 19. September 2012 verhängten
Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer
Revision, die auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützt ist.
A. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils betrieb die Angeklagte, eine ausgebildete Krankenschwester,
seit 2003 verschiedene Pflegedienste. Herr O. befand sich seit dem Frühjahr 2007 infolge einer schweren Erkrankung
im Wachkoma; es entwickelte sich ein apallisches Syndrom. Ihm wurden ein Tracheostoma, eine Magensonde und
ein Dauerkatheter gelegt. Ab September 2007 wurde er zu Hause gepflegt. Zu ihrer Unterstützung stellte seine Ehefrau jeweils für einen Zeitraum von etwa drei Monaten wechselnde Hilfskräfte aus Polen ein. Als sich der Gesund-
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heitszustand ihres Ehemannes verschlechterte, entschloss sie sich, den Pflegedienst der Angeklagten zu beauftragen.
Die zuständige Kranken- und Pflegekasse, die B., genehmigte für die Zeit vom 10. August bis zum 2. Oktober 2008
eine 24stündige häusliche Krankenpflege, wobei vier Stunden auf die Grundpflege (Pflegeversicherung) und 20
Stunden auf die häusliche Krankenpflege (Krankenversicherung) entfielen. Ab dem 3. Oktober 2008 wurden zwölf
Stunden häusliche Krankenpflege und zwei Stunden Grundpflege bewilligt. Der Pflegedienst der Angeklagten war
Mitglied des Landesverbandes N. e.V., der mit verschiedenen Krankenkassen einen Vertrag zur Durchführung der
häuslichen Krankenpflege, der häuslichen Pflege und der Haushaltshilfe geschlossen hatte. Die B. war nicht Partei
dieses Vertrages, ließ aber seinen Inhalt gegen sich gelten. Da der Vertrag aber keine detaillierte Regelung über die
häusliche Krankenpflege enthielt, waren Ergänzungsvereinbarungen zwischen der B. und den jeweiligen Pflegediensten erforderlich. Zwischen der B. und der Angeklagten auf Seiten des Pflegedienstes wurde deshalb im September 2008 eine „Ergänzungsvereinbarung zum Vertrag über die Durchführung häuslicher Krankenpflege gemäß § 37
SGB V sowie der Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI für beatmungspflichtige Versicherte“ geschlossen, die unter
anderem eine Vergütung für die „Behandlungspflege“ von 32 € pro Stunde bis zum 11. September 2008 und von 29
€ pro Stunde seit dem 12. September 2008 vorsah.
Weiter heißt es in der Vereinbarung u.a.:
„§ 1 – Gegenstand der Zusatzvereinbarung:
(1) Diese Zusatzvereinbarung soll die Versorgung von Herrn O. nach § 37 SGB V sowie mit Pflegesachleistungen
nach § 36 SGB XI sicherstellen, der einer besonders aufwändigen Behandlungspflege bedarf. Bei Herrn O. handelt
es sich um einen Wachkomapatienten, der über mehrere Stunden am Tag bis rund um die Uhr unter Krankenbeobachtung stehen muss.
§ 2 – Besondere Anforderungen an die Qualifikation der Pflegekräfte und an die Leistungserbringung:
(1) Der Pflegedienst stellt sicher, dass er die … Vertragsleistungen nur von dazu fachlich qualifizierten und berufsrechtlich legitimierten Pflegekräften durchführen lässt. Dazu gehört, dass er genügend fachlich weitergebildete
Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-innen für Intensivpflege und Anästhesie bzw. genügend Krankenpfleger/innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege beschäftigt. …
(3) Der Pflegedienst hat dafür zu sorgen, dass die Pflege auch bei Abwesenheit von Pflegekräften wegen Verhinderung, Krankheit oder Urlaub durch leistungsfähige, gleich qualifizierte Vertretungen gewährleistet ist.“
Der den Vertrag auf Seiten der B. abschließende Leiter der Leistungsabteilung und die Angeklagte verstanden diese
Vereinbarung übereinstimmend dahin, dass Herr O. ausschließlich durch Personal mit der angegebenen Zusatzqualifikation gepflegt werden oder zumindest das eingesetzte Personal engmaschig durch bei der Angeklagten beschäftigte Personen, die über diese Zusatzqualifikation verfügen, eingearbeitet, unterstützt und überwacht werden musste. In
der Folgezeit setzte die Angeklagte zu keinem Zeitpunkt Personal ein, das über die in § 2 Abs. 1 Satz 2 der Zusatzvereinbarung beschriebene Qualifikation verfügte, sondern vielmehr examinierte Krankenschwestern, Altenpfleger/innen, Altenpflegehelfer/-innen und Auszubildende zur Krankenschwester. Auch wurde das Personal nicht durch
entsprechend qualifizierte Fachkräfte, die im Pflegedienst der Angeklagten auch nur kurzzeitig beschäftigt waren,
eingearbeitet oder überwacht. Die Angeklagte selbst wies die eingesetzten Kräfte in die routinemäßig anfallenden
Arbeiten ein und hielt sie an, sich im Übrigen an die anwesenden polnischen Frauen zu halten oder den Notarzt zu
rufen. Die Pflege des Herrn O. erfolgte auch nicht über 24 Stunden bzw. 14 Stunden täglich, sondern lediglich in
dem Zeitraum, in dem die Ehefrau des Patienten ihrem Beruf nachging, nämlich zwischen ca. 8.00 Uhr und ca. 14.00
Uhr im Umfang von 5,5 bis 7,5 Stunden täglich. Der Pflegezustand des Herrn O. war während des gesamten Tatzeitraums gut; es konnte nicht festgestellt werden, dass Krisen oder Krankenhausaufenthalte während dieser Zeit durch
eine unzureichende Pflege seitens des von der Angeklagten eingesetzten Personals verursacht wurden. Die Vereinbarungen zwischen dem Pflegedienst und der B. sahen ferner vor, dass den über Pflegeleistungen erstellten Rechnungen Leistungsnachweise beizufügen waren, die im Falle der Pflegeversicherungsleistungen / Grundleistungen die
einzelnen erbrachten Leistungen und im Falle der Krankenversicherungsleistungen / Behandlungspflege die zeitliche
Dauer der Leistungen an den jeweiligen Tagen dokumentieren sollten. Im Zeitraum zwischen dem 21. September
2008 und dem 15. August 2010 reichte die Angeklagte unter dem Namen verschiedener von ihr betriebener Pflegedienste an 96 Tagen insgesamt 123 Rechnungen samt Leistungsnachweisen bei der B. ein, an 93 Tagen Rechnungen
an die Krankenkasse – zum Teil zusammen mit Rechnungen an die Pflegeversicherung –, an drei Tagen lediglich
Rechnungen an die Pflegeversicherung. Die Rechnungen über Krankenversicherungsleistungen waren hinsichtlich
der geleisteten Arbeitsstunden überhöht. Die Unterschriften unter den beigefügten Leistungsnachweisen waren in 91
Fällen gefälscht. Die zuständigen Mitarbeiter der B. gingen bei der Prüfung der Rechnungen davon aus, dass die
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Leistungen entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen und in dem abgerechneten Umfang erbracht worden
waren. Hätten sie von der tatsächlichen Qualifikation und der tatsächlichen Art und Weise der Einarbeitung und
Überwachung des eingesetzten Personals oder der Fälschung der Unterschriften auf den Leistungsnachweisen erfahren, hätten sie die Bezahlung der Rechnungen vollständig verweigert. Insgesamt erlangte die Angeklagte aus den an
96 Tagen eingereichten Rechnungen einen Betrag in Höhe von 247.154,51 € von der B., wobei 35.213,51 € auf die
Pflegeversicherung und 211.941 € auf die Krankenversicherung entfielen.
B. Der Angeklagten war gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren, weil sie nach den Ausführungen ihres Verteidigers an der Fristversäumung kein Verschulden trifft (§ 44 StPO).
C. Das Rechtsmittel der Angeklagten ist unbegründet.
I. Die Verfahrensrüge greift aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 4. Februar 2014
nicht durch.
II. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Hinsichtlich des Tatbestands
der Urkundenfälschung bedarf dies keiner näheren Darlegung. Aber auch den Tatbestand des Betrugs hat das Landgericht zu Recht als erfüllt angesehen.
1. Die Angeklagte täuschte die zuständigen Mitarbeiter der B. durch die Einreichung der Rechnungen nebst Leistungsnachweisen konkludent über das Vorliegen der den Zahlungsanspruch begründenden Tatsachen. Soweit die
Angeklagte Rechnungen mit überhöhter Stundenzahl eingereicht hat, liegt dies auf der Hand. Darüber hinaus gab die
Angeklagte aber auch konkludent wahrheitswidrig vor, Pflegepersonal eingesetzt und beschäftigt zu haben, das die
vertraglich vereinbarte Qualifikation aufwies. Im Einzelnen:
a) Zwar fordert das SGB V bezüglich der häuslichen Krankenpflege keine besondere Qualifikation der von den Leistungserbringern eingesetzten Personen. Die Krankenkassen sind jedoch berechtigt, den Abschluss eines Vertrages
über die Leistung häuslicher Krankenpflege von einer bestimmten formalen Qualifikation des Pflegepersonals abhängig zu machen (BSGE 90, 150, 154 ff.; BSGE 98, 12, 17, 19). Wird eine solche Vereinbarung getroffen, bildet
sie neben den gesetzlichen Bestimmungen die Grundlage der Leistungsbeziehung und soll sicherstellen, dass sich die
Pflege nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Mai 2000 – B
3 KR 19/99 B, Rn. 5, juris; BSGE 94, 213, 220 Rn. 26; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. April 2008 – L 1
KR 78/07, Rn. 32, juris). Eine solche Bestimmung haben die Vertragsparteien hier in § 2 der am 12. September 2008
unterzeichneten „Ergänzungsvereinbarung“ getroffen, und zwar ausdrücklich für die häusliche Krankenpflege nach §
37 SGB V und die Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI. Die Leistungserbringung gegenüber der Krankenversicherung und gegenüber der Pflegeversicherung richtete sich daher nach denselben Maßstäben.
b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass nach der getroffenen Vereinbarung jegliche pflegerische Versorgung des Patienten O. durch besonders qualifiziertes Personal, nämlich durch Fachgesundheits- und
Krankenpfleger/-innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege durchgeführt werden, zumindest aber das Personal durch derart ausgebildete Personen eingearbeitet, angeleitet, unterstützt und überwacht
werden sollte. Die Bestimmung in § 2 Abs. 1 Satz 2 der Vereinbarung, dass der Pflegedienst genügend Fachgesundheits- und Krankenpfleger/-innen für Intensivpflege und Anästhesie bzw. Krankenpfleger/-innen und Kinderkrankenpfleger/-innen für pädiatrische Intensivpflege beschäftigen müsse, hat das Landgericht – ebenso wie die Vertragsparteien - als Konkretisierung der Anforderungen im Satz 1 der Regelung verstanden. Danach waren die Herrn
O. verordneten Vertragsleistungen nur von dazu fachlich besonders qualifizierten Pflegekräften durchzuführen. Gegen diese Auslegung des Vertrags, die dem Tatrichter obliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2012 – 3
StR 314/12, StraFo 2013, 123, 125; Urteil vom 13. Mai 2004 – 5 StR 73/03, NJW 2004, 2248, 2250), ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
c) Hiervon ausgehend hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auch insoweit in den Abrechnungen der Angeklagten eine
Täuschung der Mitarbeiter der B. erblickt; denn tatsächlich setzte die Angeklagte – obwohl sie dies in den eingereichten Rechnungen zumindest konkludent (mit-)erklärt hat – zur Pflege des Herrn O. zu keinem Zeitpunkt Mitarbeiter mit der vereinbarten Zusatzqualifikation ein und veranlasste auch keine Einweisung und Überwachung des vor
Ort tätigen Personals durch solche Mitarbeiter. Auch hatte sie nur kurzzeitig Personal beschäftigt, das diese Qualifikation aufwies.
- 201 -
2. Ausweislich der rechtsfehlerfreien Feststellungen gingen die Mitarbeiter der B. deshalb davon aus, dass die Angeklagte die Leistungen wie vereinbart erbracht habe und bezahlten die Rechnungen. Hätten sie von der fehlenden
Qualifikation des Personals gewusst, hätten sie dies nicht getan.
3. Der B. ist durch die irrtumsbedingte Bezahlung der Rechnungen ein Vermögensschaden entstanden. Ein solcher
tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer
nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Gesamtsaldierung, vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2012 – 2 StR 79/12, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden
77; Beschlüsse vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 Rn. 75; vom 5. Juli 2011 – 3 StR 444/10, jeweils
mwN). Aus dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG folgt dabei, dass die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht durch eine normative Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils bzw. -schadens überlagert
werden darf (vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626, 629; NJW 2012, 907, 916 f.).
a) Nach diesem Maßstab liegt zunächst ein Vermögensschaden der B. vor, soweit die Angeklagte in sämtlichen Abrechnungen gegenüber der Krankenkasse mehr Dienststunden angegeben hat als tatsächlich geleistet wurden (vgl.
BGH, Urteil vom 1. Dezember 1989 – 4 StR 419/89, BGHSt 36, 320, 321; Volk, NJW 2000, 3385, 3386; SSWStGB/Satzger, 2. Aufl., § 263 Rn. 255).
b) Aber auch soweit durch die Mitarbeiter der Angeklagten die Pflegeleistungen tatsächlich erbracht wurden, tragen
die Feststellungen die Annahme eines Vermögensschadens und damit die Verurteilung wegen Betrugs.
aa) Denn die B. war im Tatzeitraum nicht zur Zahlung der in Rechnung gestellten Beträge verpflichtet, da die von
der Angeklagten eingesetzten und beschäftigten Pflegekräfte nicht über die in der Vereinbarung zwischen der Angeklagten und der B. vorausgesetzte Qualifikation verfügten. Das Unterschreiten der nach dem Vertrag vereinbarten
Qualifikation führt nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts auch dann zum vollständigen
Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden („streng
formale Betrachtungsweise“, vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, BGHR StGB § 263 Abs. 1
Vermögensschaden 62 m. Anm. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; Beschluss vom 28. September 1994 – 4
StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 2009 – L 1 KR 89/06, Rn.
36, juris). Dies ergibt sich aus Folgendem: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können die Krankenkassen auf formalen Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen, weil sonst eine den praktischen
Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle der Leistungserbringung nicht möglich ist (BSGE 98, 12 Rn. 32
mwN). Die Abrechenbarkeit von Leistungen knüpft daher streng an die formale Qualifikation des Personals an, wobei die vertragliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer maßgeblich ist (SG Potsdam, Urteil vom 8. Februar
2008 – S 7 KR 40/07, juris; SG Dresden, Beschluss vom 10. September 2003 – S 16 KR 392/03 ER). Dem Leistungserbringer steht daher für Leistungen, die er unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder vertragliche
Vereinbarungen bewirkt, auch dann keine Vergütung zu, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht sind (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Mai 2000 – B 3 KR 19/99 B, Rn. 5, juris; BSGE 94, 213, 220 Rn. 26;
Urteil vom 8. September 2004 – B 6 KA 14/03 R, Rn. 23, juris, jeweils mwN). Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden in diesen Fällen aus (BSG, Beschluss vom 17. Mai
2000 – B 3 KR 19/99 B, Rn. 5, juris). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsauffassung bestehen nicht.
Die Regelungen im Sozialrecht dienen in erster Linie der Wirtschaftlichkeit und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, welche einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang darstellen (vgl.
BVerfG, NJW 2014, 2340, 2341 Tz. 34). Hatten die Angeklagte und die Pflegedienste mithin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen, so ist der B. mit den Zahlungen wirtschaftlich – nicht lediglich normativ – ein entsprechender Schaden entstanden.
bb) Darüber hinaus stellte die Arbeitsleistung als solche keine Gegenleistung für die Zahlungen der Kranken- und
Pflegekasse dar. Aufgrund der verletzten vertraglichen Vorgabe war unter den hier gegebenen besonderen Umständen die Qualität der Leistung so gemindert, dass ihr wirtschaftlicher Wert gegen Null ging (vgl. BGH, Beschluss
vom 2. Juli 2014 – 5 StR 182/14, Rn. 13; Singelnstein, wistra 2012, 417, 422; Schönke-Schröder/Perron, StGB, 29.
Aufl., § 263 Rn. 112b; Luig, Vertragsärztlicher Abrechnungsbetrug und Schadensbestimmung, 2009, S. 147; Volk,
NJW 2000, 3385, 3387 f.; Dannecker/Bülte, NZWiSt 2012, 81, 84; Dann, NJW 2012, 2001, 2003;
Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 215; zum Abrechnungsbetrug bei Kassenärzten vgl. auch Lindemann, NZWiSt
2012, 334, 39; Grunst, NStZ 2004, 533, 536 f.; Idler, JuS 2004, 1037, 1041; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl., § 14, Rn. 14/33; Stein, MedR 2001, 124, 127, 130). Denn eine hinreichende Versorgung konnte bei dem
tracheostomierten Patienten O. unter Berücksichtigung möglicher Notfallsituationen, die eine Beatmung notwendig
- 202 -
machen konnten, entsprechend der Auffassung der B. nur erfolgen, wenn die eingesetzten Mitarbeiter über eine Zusatzausbildung zum Fachgesundheitspfleger oder Krankenpfleger bzw. Kinderkrankenpfleger für pädiatrische Intensivpflege verfügten. Dies sollte durch die vertraglichen Vereinbarungen mit der Angeklagten über die Zusatzqualifikation sichergestellt werden, was dieser auch bekannt war. Die eingesetzten Mitarbeiter der Angeklagten erhielten
jedoch nicht einmal nähere Instruktionen darüber, welche Komplikationen bei Herrn O. eintreten könnten und welche Maßnahmen bei einem Notfall, z.B. während der Wartezeit auf den Notarzt zu ergreifen wären. Sie wurden lediglich darauf verwiesen, sich an die vor Ort tätigen, nicht ausgebildeten polnischen Hilfskräfte, die allerdings kaum
Deutsch sprachen, zu wenden oder gegebenenfalls den Notarzt zu rufen. Vor diesem Hintergrund stellten die tatsächlich erbrachten Leistungen der Pflegedienste der Angeklagten nicht nur eine Schlechtleistung dar, sondern stehen
einer Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gleich. Die von der Angeklagten erbrachten Leistungen
waren daher auch unabhängig von dem Entfallen eines sozialversicherungsrechtlichen Vergütungsanspruchs bei
wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die B. wertlos. Schon aus diesem Grund steht der Annahme eines Vermögensschadens auch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, das eine Ersetzung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise durch eine normative Auslegung des Merkmals des Vermögensnachteils bzw. -schadens
verbietet (vgl. BVerfG, NStZ 2010, 626, 629; NJW 2012, 907, 916 f.), nicht entgegen.
cc) Der Annahme eines vollständigen Vermögensverlustes steht auch nicht entgegen, dass die B. die dem Versicherten O. geschuldeten Leistungen im Nachhinein nicht mehr erbringen muss. Dabei kann dahinstehen, ob der Anspruch
des Versicherten O. auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V durch das Tätigwerden der Angeklagten erloschen ist (vgl. LG Lübeck, GesR 2006, 176, 177; Grunst, NStZ 2004, 533, 535; Gaidzik, wistra 1998, 329, 331 f.;
Ellbogen/Wichmann, MedR 2007, 14; Saliger, ZIS 2011, 902, 917; Idler, JuS 2004, 1037, 1041). Insoweit fehlt es
jedenfalls bereits an der erforderlichen Unmittelbarkeit des herbeigeführten Vermögenszuwachses. Denn eine Befreiung von der Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer stellt keine Gegenleistung für die gezahlte
Pflegevergütung dar. Sie würde vielmehr aus einer anderen Leistungsbeziehung als derjenigen zwischen der B. und
der Angeklagten herrühren (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95, 117;
MüKoStGB/Hefendehl, 2. Aufl., § 263 Rn. 582; Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; Beckemper/Wegner, NStZ 2003,
315, 316). Aus demselben Grund entfällt der Vermögensschaden auch nicht dadurch, dass die Krankenkasse keinen
anderen Pflegedienst mit der Pflege des Herrn O. beauftragen musste und deshalb Aufwendungen erspart hat (BGH,
Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, aaO, 118 f.; Urteil vom 4. September 2012 – 1 StR 534/11, BGHSt
57, 312 Rn. 52; Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313, 315 mit zust. Anm. Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315, 316; Beschluss vom 28. September 1994 – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85, 86 mit zust.
Anm. Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; SSW-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 263 Rn. 256; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 263
Rn. 155; aA Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 216; Wasserburg, NStZ 2003, 353, 357).
III. Auch der Strafausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Da sich die erbrachten Leistungen des Pflegedienstes der Angeklagten aus den vorgenannten Gründen nicht schadensmindernd auswirkten, hat das Landgericht zu
Recht einen Vermögensschaden der B. in voller Höhe der bezahlten Rechnungen angenommen. Ob bei der Strafzumessung in Fällen zu Unrecht abgerechneter pflegerischer Leistungen der Umstand tatsächlich erbrachter Leistungen
und hierzu entstandener Aufwendungen strafmildernd berücksichtigt werden muss (so für vertragsärztliche Abrechnungen BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198, 1200; Beschluss vom 28. September
1994 – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; offen gelassen für den Bereich privatärztlicher Liquidation in BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11, NJW 2012, 1377, 1385 Rn. 109), kann letztlich offen bleiben. Das
Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl und bei der Strafzumessung ausdrücklich berücksichtigt, dass „es sich bei
dem entstandenen Vermögensschaden um einen formalen Schaden handelt und die geschädigte Versicherung die
ausgezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 247.154,51 € auch bei ordnungsgemäßer Leistung hätte zahlen müssen
und nicht an einen anderen Dienst nachentrichten, also noch einmal zahlen muss“. Dass dies hinsichtlich der nicht
erbrachten Arbeitsstunden nicht zutrifft, beschwert die Angeklagte nicht.
- 203 -
StGB § 263 Abs. 1; StPO § 267 Abs. 1, § 261
BGH, Urt. v. 22.05.2014 - 4 StR 430/13 - NJW 2014, 2132= NStZ 2014, 459 (Dazu Krell NStZ 2014, 686) = StV
2014, 676
LS: Zu den Anforderungen an die Feststellung und Darlegung des Irrtums beim Betrug im Zusammenhang mit routinemäßigen Massengeschäften (hier: Missbrauch des Einzugsermächtigungslastschriftverfahrens).
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 24. April 2014 in der Sitzung vom 22.
Mai 2014 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12. September 2012 wird
a) die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts jeweils auf den Vorwurf des versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetruges in 198.070 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen beschränkt,
b) das Urteil in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des gewerbsmäßigen Bandenbetruges schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. W. hat es zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, den Angeklagten T. S. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten und die Angeklagte D. S. zu einer solchen von vier Jahren verurteilt.
Ferner hat es eine Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB getroffen, die sich gegen
die AG richtet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten jeweils mit der Rüge der Verletzung formellen und
materiellen Rechts. Die Revisionen haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
I. Die von allen Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung von § 275 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 338 Nr. 7 StPO, mit
der sie beanstanden, der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer, Vorsitzender Richter am Landgericht H. , habe
sich wegen seiner während des Laufs der Urteilsabsetzungsfrist in einem Parallelverfahren erfolgten Zeugenvernehmung zu Unrecht gehindert gesehen, das Urteil zu unterschreiben, weshalb es innerhalb dieser Frist nur unvollständig zu den Akten gelangt sei, ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO); ob sie in der Sache Erfolg haben
könnte, bedarf daher keiner Entscheidung.
1. Zur Begründung einer Verfahrensrüge sind die den Mangel begründenden Tatsachen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen
kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die bezeichneten Tatsachen erwiesen werden (SSW-StPO/Momsen, §
344 Rn. 36; LR-StPO/Franke, 26. Aufl. § 344 Rn. 78, jeweils m.N. zur st. Rspr.).
2. Gemessen daran vermag der Senat hier nicht zu prüfen, ob der Vorsitzende wegen seiner Vernehmung als Zeuge
„in der Sache“ im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen war. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedeutet Gleichheit der Sache gemäß § 22 Nr. 5 StPO nicht notwendig Verfahrensidentität; Sachgleichheit kann auch bei Vernehmung des Richters als Zeuge zu demselben Tatgeschehen in einem anderen Verfahren in Betracht kommen (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 5 StR 530/06,
BGHR StPO § 338 Nr. 2 Ausschluss 4, Tz. 6 mwN; vgl. auch LR-StPO/Siolek, 26. Aufl., § 22 Rn. 25; SSWStPO/Kudlich/Noltensmeier, § 22 Rn. 19). Insoweit fehlt es im Revisionsvortrag der Angeklagten T. und D. S. schon
an der Mitteilung des Beweisthemas, zu dem der Strafkammervorsitzende in dem Verfahren gegen A. u.a. geladen
und vernommen wurde. Aber auch dem Vortrag des Angeklagten W. kann das betreffende Beweisthema allenfalls
mittelbar entnommen werden, da er das Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Bielefeld vom 31. Oktober 2012
über die Erteilung einer Aussagegenehmigung für den Vorsitzenden Richter vorgelegt hat. Danach hatte der Angeklagte A. in der gegen ihn geführten Hauptverhandlung beantragt, den Vorsitzenden Richter am Landgericht H. dazu
zu vernehmen, dass sich seine (des A.) in einer polizeilichen Vernehmung getätigte Aussage in dem Verfahren gegen
die hiesigen Angeklagten als wahr herausgestellt habe. Aber auch dieses Rügevorbringen genügt den Anforderungen
des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Um dem Senat die Überprüfung der Sachgleichheit im Sinne von § 22 Nr. 5
StPO zu ermöglichen, hätte zumindest noch vorgetragen werden müssen, welchen Inhalt diese polizeiliche Aussage
hatte, inwiefern sie im vorliegenden Verfahren Gegenstand der Hauptverhandlung war, was der als Zeuge benannte
- 204 -
Vorsitzende Richter am Landgericht H. im dortigen Verfahren dazu bekundet hat und ferner, welchen Zusammenhang und welche Bedeutung dies für die gegen die Angeklagten des vorliegenden Verfahrens erhobenen Tatvorwürfe
hatte (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Januar 2008 – 4 StR 507/07, StV 2008, 283, Tz. 5 f. m. Anm. Leu StV 2009, 507
zu den Voraussetzungen des § 22 Nr. 5 StPO in derartigen Fällen). Das ist hier jedoch nicht geschehen; auch aus den
auf die Sachrüge heranzuziehenden Urteilsgründen ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte.
II. Der Senat beschränkt die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO
jeweils auf den Vorwurf des versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetruges. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in den Strafaussprüchen. Im verbleibenden Umfang hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf
Grund der Sachrügen keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Die Angeklagten schlossen sich Anfang 2008 aufgrund einer zumindest stillschweigend getroffenen Vereinbarung
zusammen, um spätestens ab Juli 2008 von einer Vielzahl von Personen unter Vorspiegelung eines tatsächlich nicht
bestehenden Vertragsverhältnisses im Wege des Lastschriftverfahrens Geldbeträge einzuziehen. Das von den Angeklagten im arbeitsteiligen Zusammenwirken im Folgenden in die Tat umgesetzte Geschäftsmodell bestand in einer
Variante darin, eine möglichst große Zahl von Personen durch entsprechend angeleitete Callcenter-Mitarbeiter anzurufen und bei diesen den Eindruck eines – tatsächlich nicht bestehenden – Vertragsverhältnisses über die Teilnahme
an Gewinnspielen hervorzurufen. Auf diese Weise wollten die Angeklagten an die Kontodaten der Angerufenen
gelangen und von diesen Konten Lastschriften vornehmen, wobei sie davon ausgingen, dass die Angerufenen infolge
der Annahme, es bestehe tatsächlich ein Vertragsverhältnis und die Lastschrift sei daher rechtmäßig erfolgt, den
Lastschrifteinzügen nicht widersprechen würden. Bei einer weiteren Tatvariante, bei der die Kontodaten bereits
bekannt und Telefonanrufe daher entbehrlich waren, sollte den Betroffenen allein durch die durchgeführte Lastschrift
ein bestehendes Vertragsverhältnis vorgespiegelt werden, um diese von einem Widerspruch abzuhalten. Dabei nahmen die Angeklagten einerseits billigend in Kauf, dass die Kontoinhaber von den Lastschriftabbuchungen durch
Lektüre ihrer Kontoauszüge Kenntnis erhalten, sich den Zugriff auf ihr Konto aber nicht anders erklären würden, als
dass der jeweiligen Abbuchung ein wirksamer Vertrag zu Grunde lag, sei es auch nur in der Form, dass sie sich insoweit unsicher waren und/oder die Sache wegen des relativ geringen Betrages auf sich beruhen ließen. Andererseits
handelten die Angeklagten auch in der Erwartung, die Betroffenen würden in zahlreichen Fällen mangels ausreichend sorgfältiger Kontrolle ihrer Kontoauszüge die Abbuchungen nicht bemerken oder einfach übersehen. Zur
Verwirklichung des Tatplans bedienten sich die Angeklagten insbesondere der in der S. ansässigen AG, die vom
Angeklagten W. vertreten wurde. Dieser schloss für die AG zahlreiche Verträge unter anderem mit Callcentern,
Zahlungsdienstleistern sowie mit Banken ab, über die die Lastschrifteneinzüge erfolgen sollten und später auch tatsächlich erfolgten. Auch mit dem von der Angeklagte D. S. betriebenen Callcenter GmbH & Co KG, bei dem der
Angeklagte T. S. angestellt war, schloss der Angeklagte W. sog. Vertriebspartnerverträge ab. Insgesamt waren für
die Angeklagten im Tatzeitraum mindestens 66 Callcenter mit etwa 400 bis 600 Mitarbeitern in der sog. Gewinnspielvermittlung tätig. Die Callcenter erhielten für jeden Fall, in dem sie die Kontodaten erlangten, einen Betrag in
Höhe von 45 bis 60 Euro. Die zur Erschwerung von Nachforschungen meist unter falschen Namen handelnden Mitarbeiter der Callcenter gaben bei ihren Anrufen (1. Tatvariante) entsprechend den Vorgaben eines ihnen auf Veranlassung der Angeklagten ausgehändigten sog. Negativleitfadens für die Gesprächsführung vor, sie hätten die Möglichkeit, einen vermeintlich bestehenden Gewinnspielvertrag entweder unbefristet weiterlaufen zu lassen oder ihn
zum Ablauf von drei Monaten zu beenden, wobei für die letzten drei Monate, sollten Gewinne ausbleiben, eine
„Geld-zurück-Garantie“ bestehe. Tatsächlich war die Übernahme einer solchen Garantie zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt; in keinem Fall wurden zuvor abgebuchte Geldbeträge zurückerstattet. Der durch den Leitfaden im Einzelnen
vorgegebene Erstanruf diente dazu, die Angerufenen jeweils zur Kündigung eines in Wirklichkeit nicht bestehenden
Vertrages und – abwicklungshalber – zur Herausgabe ihrer Kontodaten zu veranlassen. Widersprachen die angerufenen Personen – wie in der weit überwiegenden Zahl der Fälle – der Behauptung an einem derartigen Gewinnspiel
teilgenommen zu haben, bemühten sich die von den Angeklagten angewiesenen Callcenter-Mitarbeiter dies – wahrheitswidrig – zu widerlegen und behaupteten beispielsweise, auf die Kontodaten aus Datenschutzgründen keinen
Zugriff zu haben, sie aber nun zu benötigen, etwa um den Betroffenen aus dem Vertrag „herauszuhelfen“. Im Anschluss an den Erstanruf erfolgte sodann ein Zweitanruf (sog. Quality Call), der zum Teil elektronisch aufgezeichnet
wurde und dazu diente, mittels geschickter Gesprächsführung von den Betroffenen eine telefonisch erteilte Einzugsermächtigung zu erhalten, um die Betroffenen selbst, aber auch die beteiligten Banken oder im Fall von Nachforschungen die Strafverfolgungsbehörden über den auf diesem Weg dokumentierten angeblichen Vertragsschluss zu
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täuschen. Im Anschluss daran erhielten die Angerufenen – auch diejenigen, die den vermeintlichen Vertrag gekündigt hatten – von der GmbH, die von der AG mit der „technischen Abwicklung“ beauftragt worden war, sog. Begrüßungsschreiben, in denen behauptet wurde, die Empfänger hätten „die Chance, bei 200 Internet-Gewinnspielen monatlich eingetragen zu werden“; diese Leistung sei „ebenfalls in Ihrem Servicebetrag … enthalten, den wir wie besprochen jeden Monat im voraus automatisch von Ihrem Konto… abbuchen“. Tatsächlich war ab dem Jahr 2008 wie die Angeklagten wussten – eine Eintragung in 200 Gewinnspiele monatlich je Kunde nicht mehr möglich, sondern erfolgte „in einem deutlich geringeren Umfang“. Der Einzug der vermeintlichen Forderungsbeträge in Höhe
von jeweils zwischen 55 und 79,80 Euro erfolgte im Tatzeitraum vom 9. März 2009 bis zum 22. Januar 2010 mittels
Einzugsermächtigungslastschriftverfahren. Die auf dem jeweiligen Kontoauszug der Betroffenen wiedergegebene
Belastungsbuchung enthielt den Namen des Zahlungsdienstleisters, den Namen des „Produkts“, den abgebuchten
Betrag sowie eine zwölfstellige ID-Nummer. Es wurden bei insgesamt 136.890 Betroffenen (teilweise mehrfach)
Beträge im Lastschriftverfahren eingezogen, die im angefochtenen Urteil auf 4.885 Seiten im Einzelnen in Tabellenform aufgeführt sind. In 198.070 Fällen wurde die Lastschrift nicht zurückgegeben, so dass das Geld bei den Angeklagten verblieb. Dagegen erfolgte in 129.708 Fällen eine Rückgabe der Lastschriften. Die Angeklagten erzielten
durch ihr Vorgehen einen Gewinn „im deutlich siebenstelligen Bereich“.
b) Zur Beweiswürdigung hat das Landgericht lediglich mitgeteilt, dass die Angeklagten im Rahmen einer nach §
257c StPO durchgeführten Verständigung den Anklagevorwurf gestanden und weitere Fragen der Kammer glaubhaft, ausführlich und nachvollziehbar beantwortet hätten. Von der Richtigkeit der geständigen Einlassungen sei die
Strafkammer überzeugt, da sie „mit dem Ermittlungsergebnis sowie auch mit dem übrigen Ergebnis der nach Maßgabe des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten umfassenden Beweisaufnahme im Einklang“ stünden. Weitere Ausführungen hierzu enthält das Urteil nicht.
2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen vollendeten gewerbsmäßigen Bandenbetruges begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken, weil offen bleibt, auf welche Weise sich die Strafkammer auch unter Berücksichtigung der
umfassenden Geständnisse der Angeklagten die Überzeugung verschafft hat, die Betroffenen hätten die Lastschriften
in den 198.070 festgestellten Fällen hingenommen, weil sie sich über das Bestehen einer Zahlungspflicht im Irrtum
befanden.
a) In welchem Umfang der Tatrichter seine Überzeugungsbildung in den Urteilsgründen mitzuteilen hat, hängt von
den Gegebenheiten des jeweiligen Falles ab. Zwar sind, wenn sich die Angeklagten – wie hier – auf der Grundlage
einer Absprache geständig einlassen, an die Überprüfung dieser Einlassungen und deren Darlegung im Urteil regelmäßig keine strengeren Anforderungen zu stellen als bei einem in herkömmlicher Verfahrensweise abgegebenen
Geständnis (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1063, Tz. 71; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2013 – 1 StR 163/13); es gibt auch keine forensische Erfahrung dahin, dass bei einem Geständnis im Rahmen einer Verständigung regelmäßig mit einer wahrheitswidrigen Selbstbelastung zu rechnen ist (BGH,
Beschluss vom 23. Mai 2012 – 1 StR 208/12, NStZ 2012, 584). Aber auch in einem solchen Fall müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Würdigung der Beweise auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung nach den Maßstäben rationaler Argumentation
ermöglicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. November 1992 – 5 StR 456/92, BGHR StPO § 261 Vermutung
11; Beschluss vom 15. September 1999 – 2 StR 373/99, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 34; Beschluss
vom 31. Januar 2012 – 3 StR 285/11, StV 2012, 653, Tz. 4, Beschluss vom 25. September 2012 – 5 StR 372/12,
NStZ-RR 2012, 361; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. § 261 Rn. 2a).
Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst
worden ist, und das gänzliche Fehlen einer Vorstellung für sich allein keinen tatbestandsmäßigen Irrtum begründen
kann, muss der Tatrichter insbesondere mitteilen, wie er sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist (BGH, Urteile vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198, 1199 f; vom
22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, Tz. 8; zu den Darlegungsanforderungen bei einem „uneigentlichen Organisationsdelikt“ vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 aaO, Tz. 6; Beschluss vom 29. Juli 2009 – 2
StR 160/09, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 15; Beschluss vom 2. November 2007 – 2 StR 384/07,
NStZ 2008, 89, Tz. 5). In einfach gelagerten Fällen mag sich dies von selbst verstehen. Im Bereich gleichförmiger,
massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, kann der
Tatrichter befugt sein, auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung auf der Grundlage eines „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ indiziell zu schließen, wobei er dies im Urteil darzulegen hat. Ist das Vorstellungsbild des Verfügenden normativ geprägt, kann bei einem Tatvorwurf, dem zahlreiche Einzelfälle zu Grunde liegen, die Vernehmung
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weniger Zeugen ausreichen; wenn deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums (in den sie betreffenden Fällen) belegen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden (BGH, Urteil vom 22.
November 2013 – 3 StR 162/13; Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NJW 2013, 1545, 1546; Beschluss
vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, Tz. 15, insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt). In komplexeren Fällen wird
es regelmäßig erforderlich sein, die betreffenden Personen über ihr tatrelevantes Vorstellungsbild als Zeugen zu
vernehmen sowie deren Bekundungen im Urteil mitzuteilen und zu würdigen (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013
– 1 StR 263/12, NJW 2013, 1545, Tz. 15, Urteil vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, Tz. 8 f.).
b) Gemessen daran vermögen – jedenfalls im vorliegenden Fall – weder der Hinweis auf das „Ermittlungsergebnis“
noch die ebenfalls nicht näher belegte Bezugnahme auf die „umfassende Beweisaufnahme“ und die „umfassende
geständige Einlassung der Angeklagten“ eine Irrtumserregung bei den von den Lastschrifteinzügen betroffenen
Bankkunden zu belegen.
aa) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer Geschädigte als Zeugen vernommen hat oder
dass deren Angaben auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind.
bb) Die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums und einer dadurch kausal hervorgerufenen Vermögensverfügung versteht sich hier auch nicht von selbst. Denn nach den Feststellungen der Strafkammer wurde bei den Betroffenen im Rahmen der Telefonanrufe durch die Callcenter-Mitarbeiter der Eindruck erweckt, sie hätten die Möglichkeit, einen bestehenden Vertrag entweder unbefristet weiterlaufen zu lassen oder ihn zum Ablauf von drei Monaten zu beenden. In der „weit überwiegenden Anzahl“ der Fälle hatten die Betroffenen jedoch der Behauptung widersprochen, sie hätten einen derartigen Vertrag abgeschlossen. Danach liegt es – auch soweit dem Bestehen eines Vertragsverhältnisses nicht ausdrücklich widersprochen wurde – nicht auf der Hand, dass die Betroffenen die Rückforderung der abgebuchten Beträge gerade aufgrund der irrtümlichen Annahme unterließen, sie seien aufgrund eines
bestehenden Vertragsverhältnisses verpflichtet, die Abbuchung dieser Beträge (dauerhaft) als rechtmäßig zu dulden.
Was die Fälle betrifft, in denen die Täter bereits über die Bankdaten verfügten und Anrufe bei den jeweiligen Kontoinhabern daher entbehrlich waren, vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht hinreichend zu vermitteln, auf welcher
Grundlage sich das Landgericht die Überzeugung gebildet hat, die Bankkunden hätten sich gegen die Lastschriften
nicht zur Wehr gesetzt, weil ihnen das Bestehen eines Vertragsverhältnisses oder die Erteilung einer Einzugsermächtigung vorgespiegelt wurde. Diese Annahme ist schon mit der von der Strafkammer festgestellten, ausweislich der
Urteilsgründe aber nicht näher überprüften Erwartung der Angeklagten unvereinbar, die Kontoinhaber würden die
Lastschriften gar nicht bemerken, möglicherweise also noch nicht einmal einer täuschungsbedingten Fehlvorstellung
im Sinne eines sog. sachgedanklichen Mitbewusstseins unterliegen.
3. Der Senat nimmt deshalb gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die aus der Urteilsformel ersichtliche Beschränkung vor.
a) Die Feststellungen und die im Urteil mitgeteilte Beweiswürdigung belegen für beide Tatvarianten insbesondere,
dass die Angeklagten nach ihrer Vorstellung als Mittäter im Wege eines uneigentlichen Organisationsdelikts Betrugshandlungen im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB in 198.070 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zum Nachteil der Kontoinhaber begehen wollten und hierzu auch unmittelbar angesetzt haben (§ 22 StGB).
aa) In den sog. Anruffällen ging es den Angeklagten darum, bei den Telefonanrufen und durch die Übersendung der
Begrüßungsschreiben den Empfängern das Bestehen eines Vertragsverhältnisses vorzuspiegeln, um sie auf diese
Weise zu veranlassen, auf einen Widerspruch gegen die spätere Abbuchung zu verzichten. Hierin liegt ein versuchter
Betrug (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – 5 StR 468/12, Tz. 17).
bb) Aber auch in den Fällen, in denen die Lastschrifteinzüge ohne vorherige telefonische Kontaktaufnahme erfolgten
und die Übersendung von Begrüßungsschreiben unterblieb, ein direkter Kundenkontakt also nicht stattfand, war der
Tatplan der Angeklagten auf die Begehung eines Betruges gerichtet.
(1) Den Angeklagten war bewusst, dass die betroffenen Kunden von ihrer jeweiligen Bank einen Kontoauszug erhalten würden, in dem die von ihnen veranlasste Abbuchung ausgewiesen war. Nach den Feststellungen des Landgerichts enthielt die jeweilige Kontoinformation auf dem Auszug nicht nur den Namen des Zahlungsdienstleisters, den
abgebuchten Betrag und eine sog. ID-Nummer, sondern auch einen Produktnamen. Dabei entsprach es der Vorstellung der Angeklagten, dass den betroffenen Bankkunden unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Empfängerhorizonts im Hinblick auf die Mitteilung einer derartigen Produktbezeichnung ein wirksames Kausalgeschäft
vorgespiegelt werden sollte.
(2) Der Ablauf des im Wesentlichen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen geregelten Einzugsermächtigungslastschriftverfahrens (vgl. Nr. 9 AGB-Banken i.d. bis zum 30. Oktober 2009 gültigen Fassung sowie die Sonderbedin-
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gungen für den Lastschriftverkehr im Einzugsermächtigungsverfahren i.d.F. v. Oktober 2009 und die Bedingungen
für den Lastschrifteinzug vom November 2009), dessen sich die Angeklagten hier zur Tatausführung bedienten,
bestätigt diese rechtliche Beurteilung. Dieses Verfahren wird durch die Übermittlung eines vom Zahlungsempfänger
– hier also von den Angeklagten – mit den erforderlichen Informationen versehenen Lastschriftdatensatzes – regelmäßig in elektronischer Form – über dessen Bank an das Geldinstitut des Schuldners ohne dessen Einschaltung in
Gang gesetzt. Dessen Institut belastet seinerseits ohne eigene Sachprüfung das Konto des Kunden mit dem genannten Betrag (vgl. Nr. 2.1.2 sowie 2.3.1 der Sonderbedingungen; vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Juni 1985 – II ZR
277/84, BGHZ 95, 103, 106). Der zahlungspflichtige Bankkunde erhält sodann von seiner Zahlstelle entsprechend
dem vom Zahlungsempfänger an dessen Bank übermittelten Lastschriftdatensatz eine Mitteilung über die erfolgte
Belastung auf seinem Kontoauszug (Lastschriftabkommen Abschnitt 1 Nr. 7 Abs. 1). Da dieses Verfahren den Zahlungsempfänger in die Lage versetzt, von sich aus ohne Mitwirkung des Zahlungspflichtigen den Zeitpunkt des Zahlungsflusses zu bestimmen (BGH, Urteil vom 29. Mai 2008 – IX ZR 42/07, ZIP 2008, 1241, Tz. 15), und der
Schuldner auf die (nachträgliche) Verweigerung der Genehmigung verwiesen wird (Nr. 2.4 der Sonderbedingungen),
muss der Zahlungsempfänger, um Forderungen einzuziehen, gegenüber seiner Bank versichern, dass ihm eine
schriftliche Ermächtigung des Zahlungspflichtigen vorliegt (vgl. dazu Lastschriftabkommen Abschnitt I Nr. 3; Einzelheiten bei Ellenberger in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 58 Rn. 11). Auch diese
Erklärung über das Vorliegen einer Einzugsermächtigung gibt die Gläubigerbank über die Schuldnerbank als Boten
an den vermeintlichen Schuldner weiter.
(3) Danach war der Tatplan der Angeklagten darauf gerichtet, die betroffenen Bankkunden sowohl über das Bestehen eines Vertragsverhältnisses als auch über die Berechtigung zur Vornahme des Lastschrifteinzugs zu täuschen.
Dies geschah mit dem Ziel, die Bankkunden bis zum endgültigen Eintritt der Genehmigungswirkung von der Geltendmachung von Einwendungen gegenüber der kontoführenden Bank und damit von der Möglichkeit der Rückbuchung der vereinnahmten Geldbeträge abzuhalten.
(4) Die Angeklagten haben auch unmittelbar im Sinne des § 22 StGB zur Begehung dieser Tat angesetzt. Indem sie
den Lastschrifteinzug bei ihrer Bank einreichten und damit das Einzugsermächtigungslastschriftverfahren in Gang
setzten, gaben sie das Geschehen aus der Hand (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 1982 – 4 StR 631/81, BGHSt 30,
363, 365; vgl. auch SSW-StGB/ Kudlich/Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 40).
b) Auch die Voraussetzungen für eine Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1
StPO liegen vor (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 – 1 StR 416/12, BGHSt 58, 119, Tz. 13, 51, m. abl.
Anm. Heghmanns ZJS 2013, 423; i.E. ebenso schon BGH, Beschluss vom 12. September 1990 – 3 StR 277/90, HFR
1991, 496). Schon im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle und die Komplexität des Tatgeschehens würde die weitere
Aufklärung mit dem Ziel der Feststellung eines vollendeten Delikts einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten.
III. Die Beschränkung der Strafverfolgung führt zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs für alle drei Angeklagten. § 265 StPO steht nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die
umfassend geständigen Angeklagten anders als geschehen verteidigt hätten. Die Strafaussprüche können jedoch nicht
bestehen bleiben, da die Möglichkeit besteht, dass die Strafen auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs dem
gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen worden wären. Über diese Frage wird der
zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter nunmehr auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der
Täterpersönlichkeiten und der Tatumstände unter besonderer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte, insbesondere der Vollendungsnähe, zu entscheiden haben (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1
StR 263/12, NJW 2013, 1545, Tz. 21).
IV. Ob die vom Landgericht gemäß § 111i Abs. 2 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB getroffene Entscheidung in
der Sache durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet, hat der Senat nicht zu entscheiden. Die Angeklagten sind
von dieser Entscheidung weder betroffen noch durch sie beschwert.
StGB § 263 Abs. 5 Bandenbetrug, Schrottimmobilien
BGH, Urt. v. 08.10.2014 - 1 StR 359/13 - NStZ 2015, 89 = wistra 2015, 59
In einer Prognose kann trotz ihres Zukunftsbezuges bzw. des mit ihr verbundenen Werturteils eine
Täuschung über Tatsachen liegen. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Täter seine eigene Überzeugung vom Eintritt dieser Prognose vorspiegelt; denn dann täuscht er über eine gegenwärtige
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innere Tatsache. Gleiches gilt, wenn die Prognose eine hinreichend bestimmte Behauptung über
gegenwärtige tatsächliche Bedingungen ihren Eintritts enthält. Täuscht der Täter über von ihm
zugrunde gelegte gegenwärtige Prognosegrundlagen, so täuscht er daher ebenfalls über Tatsachen.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 16. September 2014, in der Sitzung am
8. Oktober 2014 für Recht erkannt: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom
13. Dezember 2012 werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten M. und Ma. S. jeweils wegen gewerbs- und bandenmäßig begangenen Betrugs
in 15 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von sieben Jahren und sechs Monaten (M. S.) bzw. fünf Jahren und drei Monaten (Ma. S.) verurteilt. Den nicht revidierenden Mitangeklagten Man. S. hat das Landgericht wegen gewerbs- und
bandenmäßigen Betrugs in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.
Mit ihren gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen beanstanden die Angeklagten M. und Ma. S. die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel bleiben erfolglos.
A. Den Verurteilungen liegt zugrunde, dass die Angeklagten an überwiegend bereits erheblich verschuldete und ohne
Eigenkapital ausgestattete Kunden unter Täuschung über Tatsachen Eigentumswohnungen zu überhöhten Preisen
verkauften. Hierzu bedienten sie sich eines auf Überrumpelung und Täuschung der Kunden angelegten Strukturvertriebssystems, das darauf abzielte, die Kunden durch falsche Angaben zu den Immobilien und über deren Finanzierung zum Kauf einer Eigentumswohnung zu bewegen. Die zur Begleichung der Kaufpreisforderung erforderlichen
Kredite vermittelten die Angeklagten.
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
1. Die von den Angeklagten verkauften Eigentumswohnungen standen überwiegend im Eigentum verschiedener von
ihnen beherrschter Gesellschaften. Zur Kundengewinnung und Vermarktung der Wohnungen nutzten sie ein vom
Angeklagten M. S. geschaffenes weit verzweigtes Vertriebsnetz aus (vom Landgericht so bezeichneten) Haupt- und
Untervermittlern, denen die Aufgabe zukam, Kunden anzuwerben. War der Immobilienverkauf erfolgreich, erhielten
die Hauptvermittler eine Provision in Höhe von 20 bis 25 Prozent des erzielten Kaufpreises. Der Vertrieb der Wohnungen zu überteuerten Preisen folgte folgendem Grundmuster: Die Vermittler sprachen gezielt potentielle Kunden
an, die über wenig Erfahrung in finanziellen Angelegenheiten verfügten oder sich in einer schwierigen finanziellen
Lage befanden, weil sie bereits Konsumentenratenkredite in Höhe von mehreren Tausend Euro zu tilgen hatten.
Diese Personen hatten in der Regel kein Interesse an dem Erwerb einer Immobilie als Wertanlage; für sie standen
geringere monatliche Raten als bisher oder der Erhalt eines weiteren Darlehensbetrages im Vordergrund (UA S. 9).
Die Untervermittler unterbreiteten ihnen in einem Erstgespräch die Möglichkeit, durch eine Umschuldung die Darlehensraten zu verringern und darüber hinaus auch noch einen Barbetrag zur freien Verfügung zu erhalten. Die bestehenden Altkredite würden dabei abgelöst. Die Untervermittler hielten sich bei diesem Erstgespräch „hinsichtlich der
Umstände vage“ (UA S. 9). Der Kauf einer Immobilie wurde dabei allenfalls am Rande angesprochen. Nach einer
ersten Prüfung, ob die geworbenen Personen als Immobilienerwerber geeignet waren, fand ein zweites Gespräch der
Untervermittler mit den Kunden statt. Hierbei wurde ihnen anhand falscher Rechenbeispiele dargelegt, dass sie über
ein Finanzierungsmodell die Ablösung der bisherigen Kredite und die Verringerung ihrer monatlichen Belastungen
erreichen könnten. Die zukünftigen Belastungen wurden entweder als Festbetrag oder mit einer näher beschriebenen
Bandbreite angegeben. Die Untervermittler spiegelten den Kunden anhand der Rechenbeispiele vor, dass sich die
verringerte monatliche Belastung nur über den Kauf einer Immobilie erreichen lasse. Sie stützten sich dabei auf
unzutreffende Behauptungen. Insbesondere wurden die mit dem Immobilienerwerb verbundenen Steuervorteile zu
hoch dargestellt, Laufzeiten von Krediten zu kurz angegeben und anfallende Hausgeldzahlungen unerwähnt gelassen. In Wirklichkeit überstiegen für die Kunden die tatsächlichen monatlichen Belastungen die in Aussicht gestellten
auch unter Berücksichtigung von Mieteinnahmen und Steuervorteilen weit. Zudem fand teilweise auch nicht die
versprochene Tilgung von Altschulden statt. Die Untervermittler versuchten, den Kunden den „notwendigen“ Kauf
einer Immobilie möglichst spät mitzuteilen und als „bloße Formalie“ darzustellen. Einige Kunden erfuhren von der
„Notwendigkeit“ eines Immobilienkaufs erst auf der Fahrt zu einem Notar. Vor dem Notar gaben die Kunden dann
gegenüber einer der von den Angeklagten beherrschten Immobiliengesellschaften ein bindendes Kaufangebot für
eine Eigentumswohnung ab, das dann angenommen wurde, wenn die Finanzierungszusage einer Bank vorlag. Einzelne Kunden hatten – abweichend von dem dargestellten Grund-muster – keine (nennenswerten) offenen Kreditverbindlichkeiten oder suchten sogar eine Anlagemöglichkeit. Den Kunden wurden in diesen Fällen überwiegend finan-
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zielle Vorteile in Form von Barauszahlungen (sog. Kick-Back-Zahlungen) versprochen, zum Teil wurde der Wohnungskauf als „gute Geldanlagemöglichkeit“ oder als Möglichkeit zur „privaten Rentenabsicherung“ dargestellt.
Auch in all diesen Fällen wurden die Kunden mit unzutreffenden Tatsachenbehauptungen getäuscht und zum Kauf
einer Wohnung veranlasst. Keiner der Kunden hätte „in Kenntnis der wahren Tatsachen“ den jeweiligen Kaufvertrag
abgeschlossen.
2. Die Finanzieru