Kein Mensch ist illegal - Antikriegshaus Sievershausen

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Kein Mensch ist illegal - Antikriegshaus Sievershausen
AN TIKRIEGSHAUS SIEVERSHAUSEN
Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit Sievershausen e.V.
Menschen ohne Papiere - irreguläre MigrantInnen Sans Papiers
Eine Veranstaltung des Antikriegshauses in Sievershausen
am 5.10.12 um 19:30
Hintergrundmaterial
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Inhalt
1. Veranstaltungs-Ankündigung des Antikriegshauses
s. 3
2. Bertolt Brecht über den Pass
s. 4
3. Menschen ohne Papiere s. 5
4. Manifest „Kein Mensch ist illegal“
s. 6
5. Illegal in Deutschland
s. 7
6. die rechtliche Situation in Deutschland
s. 9
7. wer hilft ?
s. 10
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1. Veranstaltungsankündigung des Antikriegshauses
„Ihr sollt wissen, daß kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön
sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch
illegal sein?“
(Elie Wiesel)
Freitag, 5. Oktober 2012, 19:30h im Antikriegshaus Sievershausen, Kirchweg 4A
Menschen ohne Papiere / irreguläre MigrantInnen / Sans Papiers
Podiumsdiskussion mit
•
Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche
•
Carmen Schaper, engagiert in der Flüchtlingsarbeit in Hannover
•
Bernd Lange, SPD-Abgeordneter im Europa-Parlament
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sind in Deutschland und Europa Teil der gesellschaftlichen
Realität. Schätzungen zufolge liegt ihre Anzahl allein in Deutschland bei mehreren Hunderttausend. Diese Menschen fliehen vor der Situation in ihren Heimatländern, vor Armut und Hunger, oftmals vor Krieg
oder Verfolgung. Sie sind auf der Suche nach einer besseren Zukunft für sich und ihre Familien. Europa
gilt vielen als Kontinent des Reichtums, in dem auch sie ihr Glück machen können. Aber wenn sie Europa
erreichen – und nicht schon auf dem Weg dorthin umkommen -, dürfen sie hier in vielen Fällen nicht legal leben: Europa schottet sich ab. In Deutschland werden kaum noch Asylanträge an-erkannt, Grenzen
werden mit hohem Aufwand dichtgemacht, langjährig hier lebende Ausländer werden abgeschoben.
Um trotz allem in Deutschland, in Europa bleiben zu können, tauchen diese Menschen unter, werden zu
„Illegalen“ oder wie wir sagen zu Illegalisierten, zu Menschen ohne Papiere, sans papiers in Frank-reich,
clandestinos in Spanien und Italien. Sie werden zu Unsichtbaren, weil sie sich so bewegen müssen, als
wären sie nicht da. Wenn sie auffallen, laufen sie Gefahr, erkannt und abgeschoben zu werden.
Sich unsichtbar zu machen heißt, alle Orte zu meiden, wo eine Passkontrolle droht, heißt sich nicht zu
wehren auch bei offenkundiger Ungerechtigkeit, z.B. bei überhöhten Mieten, viel zu niedrigen Löhnen
oder sexuellen Übergriffen, heißt in vielen Fällen, dass die Kinder nicht in den Kindergarten oder zur
Schule gehen. Und ein Arztbesuch kommt nur in Frage, wenn es gar nicht anders mehr geht, oft erst,
wenn es schon viel zu spät ist. Ein Leben ohne Menschenrechte, die doch für alle Menschen gelten. Es
ist das Gegenteil von Integration, weil diese Menschen hier nicht gewollt sind. Aber sie sind hier!
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Der Pass ist der edelste Teil
von einem Menschen.
Er kommt auch nicht
auf so eine einfache Weise zustande
wie ein Mensch.
Ein Mensch kann überall
zustande kommen,
auf die leichtsinnigste Art
und ohne gescheiten Grund,
aber ein Pass niemals.
Dafür wird er auch anerkannt,
wenn er gut ist,
während ein Mensch
noch so gut sein kann
und doch nicht anerkannt wird.
Bertolt Brecht
Flüchtlingsgespräche 1940/41
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3. Menschen ohne Papiere (von der website „medibuero.de“)
Wie viele „Menschen ohne Papiere“ in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin leben, ist unklar.
Umfang und Art nicht legaler Migration lässt sich nur schwer statistisch erfassen.
Klar ist: Menschen ohne Papiere* stellen einen Teil unserer Gesellschaft dar, leben aber in ständiger
Angst, entdeckt zu werden. Ihre Migrationsgeschichten, insbesondere die Gründe, die zu einem Leben in der Illegalität führten, sind sehr unterschiedlich.Totalitäre Gesell-schaftssysteme, wirtschaftliche Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit und Krieg treiben Men-schen in die Flucht. In der Regel sind
westliche Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar an der Entstehung oder an der Aufrechterhaltung der entsprechenden Konflikte beteiligt. Das Nicht-Anerkennen dieser Fluchtgründe im deutschen
Asylverfahren und die restriktiven Re-gelungen im Zuwanderungsgesetz bedeuten für Asylsuchende
und MigrantInnen, dass sie in die Illegalität gedrängt werden.
Es gibt verschiedenste Ursachen für ein Leben in der 'Illegalität', zum Beispiel:
•
abgelehnte Asylanträge (inzwischen werden so gut wie keine Asylanträge mehr aner-kannt)
•
abgelaufene Duldungen von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten
•
Entzug des Aufenthaltrechts durch strafrechtliche Verurteilung
•
abgelaufene Visa
•
nicht erneuerte Arbeitsgenehmigungen
•
Verlust des Aufenthaltsrechts durch Scheidung
Trotz der unterschiedlichen Gründe der Menschen ohne Papiere für ein Leben in der Illegalität ist
ihnen gemeinsam, dass sie durch die bestehende Gesetzeslage im Alltag vom Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung ausgeschlossen und ausgegrenzt werden. Ein Leben ohne Papiere
bedeutet konkret:
•
das Recht auf medizinische Versorgung ist de facto nicht gewährleistet
•
keine legalen Erwerbsmöglichkeiten
•
kein Recht Wohnungen anzumieten
•
keine Sozialhilfe
•
kein Recht auf Schul- oder Kindergartenplätze
•
keinerlei staatsbürgerliche Rechte
•
erschwerter Zugang zu juristischer Unterstützung
•
ständig angewiesen sein auf die Unterstützung Anderer
•
immer mit der Angst zu leben, 'entdeckt' zu werden
•
jederzeit von Abschiebung bedroht zu sein.
Wir sprechen von Menschen ohne Papiere oder Illegalisierten, da der häufig verwendete Begriff »Il-legale« nicht
geeignet ist, die Lebens¬situation dieser Menschen zu beschreiben. Illegal impliziert, jemand habe sich eines Verbrechens schuldig gemacht und sei kriminell. Tatsächlich aber besteht der einzige Gesetzesbruch im Übertreten
der ausländer¬rechtlichen Aufent¬halts¬¬bestim¬mun¬gen. In anderen Sprachen gibt es weniger diskriminierende Begriffe (undocumented migrants, sans papiers, sin papeles etc.).
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4. Manifest „Kein Mensch ist illegal“
Dokumenta Kasssel 1997
MigrantInnen und Flüchtlinge sind in Europa unerwünscht. Nachdem es für sie nahezu un-möglich ist,
auf legalem Weg hierher zu fliehen, einzureisen oder einzuwandern, ist die Überschreitung der Staatsgrenzen nur noch „illegal“ möglich und nicht selten mit tödlichen Gefahren verbunden. „Illegal“ wird,
wer bleibt, obwohl der Aufenthalt nicht mehr erlaubt, ge-stattet oder geduldet ist. Systematisch werden die verbliebenen Einreise- und Aufenthalts-möglichkeiten reduziert. So wird eine immer größere
Zahl von Menschen in die Illegalität ge-zwungen.
Grenzen trennen nicht mehr nur Territorien, Grenzen trennen Menschen. Grenzen verlaufen überall:
im Sozialamt wie auf dem Bahnhof, in der Innenstadt wie an der Staatsgrenze. Die Grenze ist überall,
wo Menschen befürchten müssen, nach Papieren gefragt zu werden.
In entrechtetem, ungesichertem oder illegalisiertem Status zu leben, bedeutet die ständige Angst vor
Denunziation und Erpressung, weil die Entdeckung Bestrafung, Abschiebehaft oder die sofortige Abschiebung zur Folge hat. Es bedeutet Schutz- und Rechtlosigkeit gegenüber Behörden, Arbeitgebern
und Vermietern, aber auch im Falle von Krankheiten, Unfällen oder Übergriffen. Es bedeutet auch,
soziale Kontakte fürchten zu müssen. Kinder können keine Schule und keinen Kindergarten besuchen,
Jugendliche keine Ausbildung anfangen. Es bedeutet, ständig auf der Hut zu sein.
Im Kampf gegen Rassismus wird es immer wichtiger, MigrantInnen in ihren Kämpfen gegen Illegalisierung und für ihr Recht, überhaupt Rechte zu haben, politisch und praktisch zu un-terstützen.
Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben will. Der Regulie-rung von
Migration und der systematischen Verweigerung von Rechten steht die Forderung nach Gleichheit in
allen sozialen und politischen Belangen entgegen, nach der Respektierung der Menschen¬rechte jeder
Person unabhängig von Herkunft und Papieren.
Deshalb rufen wir dazu auf, MigrantInnen bei der Ein- oder Weiterreise zu unterstützen. Wir rufen dazu
auf, MigrantInnen Arbeit und Papiere zu verschaffen. Wir rufen dazu auf, Migran-tInnen medizinische
Versorgung, Schule und Ausbildung, Unterkunft und materielles Überle-ben zu gewährleisten.
Denn kein Mensch ist illegal.
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5. Illegal in Deutschland
16.07.2009 / Clemens Riha für Kulturzeit 3sat
Ein Buch über die Unsichtbaren der Gesellschaft
Keiner weiß genau, wieviele Menschen illegal in Deutschland leben. Aber eines ist sicher: Es sind Hunderttausende. Menschen, die sich nicht zum Arzt trauen, sich bei Misshandlungen nicht zur Polizei
flüchten können, für die eine Fahrscheinkontrolle in der U-Bahn schon das Ende sein könnte. In seinem
Buch "Illegal" lässt der Münchner Autor Björn Bicker diese Menschen zu Wort kommen.
Ein Mensch wird abgeschoben, weil er kein Deutscher ist. 10.000 Mal geschieht das pro Jahr. "Ich glaube, dass da gerade eine Zeitbombe tickt", sagt Björn Bicker. Mit High-Tech versucht man, die Illegalen
zu fassen. Polizeikontrollen sind ihr Ende. Manche leben da schon sehr lange in Deutschland. "Warum
soll man ihnen nicht mehr Menschenwürde ermöglichen, indem man Übergänge in die Legalität ermöglicht", fragt der Soziologe Philip Anderson.
Auffallen bedeutet Enttarnung
Eine Parkbank war das Zuhause der Nigerianerin Jesuline. Vier Jahre lang versteckte sie sich mitten
unter uns. "Ich bin die ganze Zeit herumgelaufen", berichtet Jesuline. "Ich habe nach Ecken geschaut,
hinter denen ich mich verbergen kann, dass mich niemand sieht." Mehr als eine Million Menschen, so
Schätzungen, leben illegal in Deutschland. Sie sind unsichtbar. Aufzufallen bedeutet Enttarnung. Der
Münchner Autor Björn Bicker hat nun ein paar ihrer Ge-schichten aufgeschrieben.
"Wir ernten euer Obst. Wir sitzen zu zwölft im Ford Transit, die Fenster sind beschlagen. Wir sprechen
nicht. Wir werden erwischt. Wir kommen wieder. Wir verstecken Pässe, wir kaufen Pässe. Wir machen
den Garten, das Auto. Wir schneiden Haare. Wir sind billig. Wir lächeln. Wir lernen eure Sprache mit
dem Aldi-Prospekt. Wir lernen eure Sprache mit der Bibel. Wir lernen eure Sprache mit dem Fernseher.
Wir lernen eure Sprache mit euren Kindern. Wir lernen eure Sprache mit euren Alten."
(Björn Bicker: “Illegal. Wir sind viele. Wir sind da.")
Das Grauen des Gesetzes
Viele Monate lang hat Bicker im Münchner Café 104 hospitiert, einer Anlaufstelle für Illegale. Dabei
hat er das Vertrauen der Menschen gewonnen. Menschen, die Angst haben, über Rot zu gehen, weil
die Polizei sie anhalten könnte, die ausgebeutet werden, abhängig sind, keinen Arzt besuchen können.
"Was ich erlebt habe, ist das Grauen des Gesetzes, das Grauen des Nicht-Aufenthaltes, das Grauen der
Nichterlaubnis. Was das bedeutet, lernt man hier auf je-den Fall kennen."
Münchner Ärzte arbeiten in ihrer Freizeit im Café. Eine Behandlung ist für Illegale ansonsten unmöglich. Jesuline musste mit ansehen, wie ihre Familie ermordet wurde und flüchtete. Dennoch sollte sie
nach Nigeria abgeschoben werden und tauchte unter - jahrelang. "Immer, wenn es Nacht wurde, hatte
ich Angst", erinnert sich Jesuline. "Wo sollte ich denn schlafen? Wenn ein Platz im Hauptbahnhof frei
war, dann tat ich so, als würde ich auf jemanden war-ten. Damit die Menschen nicht mitbekamen, was
mit mir ist. Sonst hätten sie doch gleich die Polizei gerufen."
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Dieses Leben macht krank
Dieses Leben hat Jesuline krank gemacht. Sie leidet an Verfolgungswahn. Und darf, so sagt der Staat,
deshalb erst einmal bleiben. Für ein paar Monate hat sie nun erstmals wieder ein Bett. In Bickers Buch
beschreibt sie ihr Leben als Illegale:
"Immer musst du aufpassen. Wenn einer kommt und macht dich an. Bleib ruhig, keinen Streit. In der UBahn, im Gedränge greift mir einer zwischen die Beine. Ich spüre die Hand, die Finger zwischen meinen
Beinen. Der Mann ist älter als mein Vater. Ich schreie nicht. Ich drehe mich weg durch die Leute. Es ist
eng. Alle berühren mich, alle schauen mich an. Ich hasse die U-Bahn. Ich kaufe Cola, ich kaufe Leberkäse. Davon wirst du krank. Immer Cola und Leberkäse. Das ist billig. Unser Leben macht uns krank. Unser
falsches Leben macht uns krank."
(Björn Bicker: "Illegal. Wir sind viele. Wir sind da.")
Ein Leben in Angst
Philip Anderson untersuchte im Auftrag der Stadt die Situation der etwa 50.000 Illegalen in München.
Der Autor der Studie "Menschen in der Illegalität in München" erklärt ihre Situation: "Es ist immer von
Angst geprägt: Wenn man das Haus verlässt, man immer nur bis in die Arbeit fährt. Wenn man irgendwo eine Arbeitsstelle hat, läuft man auf dem Nachhauseweg keine Abweichung und meidet öffentliche
Plätze. Man empfindet innerhalb des eigenen Be-kanntenkreises, Freundeskreises ständig Misstrauen
oder Angst und die Unsicherheit, dass man denunziert werden könnte."
Björn Bicker stellte bei seinen Recherchen fest, dass ganze Wirtschaftszweige auf Illegale bauen: Sie
arbeiten in der Gastronomie, als Kindermädchen und Reinigungspersonal. Philip Anderson fordert eine
Einbürgerung dieser Menschen. "Was wir letztlich akzeptieren müssen ist, dass das Leben, vor allem
das Leben in der Migration nicht regelbar ist in", so der Sozio-loge. "Wir sollten uns entspannen und
sagen: Gut, dann legen wir hin und wieder großzügigere Reglements, Regularien an den Tag, damit die
Menschen wirklich eine Lebensperspektive für sich entwickeln können. Ist es wirklich so bedrohlich?"
Für Björn Bicker war es "eine ganz wichtige Erfahrung, dass man Leuten Geschichten erzählen kann, die
sie noch nicht kennen. Wenn immer mehr Leute davon erfahren und auch die Realität auf dem Schirm
haben, dann können sich Politiker trauen, etwas zu tun."
Deutschland ist Einwanderungsland
Hinter den Mauern des Kreisverwaltungsreferats, Sitz der Münchner Ausländerbehörde, wird über Leben entschieden. Hier werden Aufenthaltsgenehmigungen erteilt, Abschiebungen verfügt. Viele tauchen nach dieser Erfahrung für Jahre ab. Birgit Poppert vom Café 104 will heute helfen, dass es Singh
nicht genauso ergeht. Singh soll abgeschoben werden. Wichtige Papiere aus Indien fehlen. Ohne das
Café 104 wäre er schon längst untergetaucht wie so viele. Eine Million Menschen leben unter uns, und
werden zunehmend wütend."Deutschland ist ein Einwanderungsland und das wird es immer bleiben",
sagt Bicker. "Dahinter kommen wir nicht mehr zurück. In Deutschland haben die Leute immer das Gefühl, es geht wieder vorbei. Ich weiß, das geht nicht wieder vorbei."
"Euer Leben geht dem Ende zu. Ihr seid alte Menschen. Ihr seid von gestern. Schaut euch an mit euren
Gesichtern voller Angst. Ihr haltet euch fest an eurem alten Glauben, der da heißt: Ihr seid die Herren.
Ihr seid wohltätig. Ihr sorgt für Ordnung. Wir arbeiten. Wir sind ordent¬lich. Wir sind fleißig. Ihr seid
blind."
(Björn Bicker: “Illegal. Wir sind viele. Wir sind da.")
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6. die rechtliche Situation in Deutschland
Grundsätzliches
Übermittlungspflicht nach § 87 AufenthG
Öffentliche Stellen im Sinne von Absatz 1 haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben Kenntnis erlangen von
•
dem Aufenthalt eines Ausländers, der keinen erforde¬r¬lichen Aufenthaltstitel besitzt und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
Mit Beschluss vom 8. Juli 2011 hat der Bundestag die Meldepflicht für Kindergärten und Schulen bundesweit aufgehoben.
Im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wird auch geregelt, wie die Menschen ohne Aufenthaltstitel bestraft
werden sollen: mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe, fast immer mit Abschiebeknast und immer mit der Abschiebung.
medizinische Versorgung
Das Recht auf Gesundheit gehört zu den vielen auch von Deutschland unterschriebenen internationalen Abkommen zu sozialen Menschenrechten. Erstmals wurde es in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte (Art.25) festgeschrieben. In der Europäischen Sozialcharta 1961 (Art.11) und in
der Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000 (Art. 35) ist das Recht auf Gesundheit und
medizinische Versorgung ebenfalls verankert (Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung ). Im UN-Sozialpakt, dem Deutschland 1973 bei-trat, wurde es
weiter ausgeführt und die Pflicht des Staates hervorgehoben, eine medizinische Ver-sorgung für alle
zu gewährleisten (Art.12). Das Recht auf Gesundheit gilt unabhängig vom Aufent-haltsstatus der Menschen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Aufenthalts-status muss de facto
gewährleistet sein, d.h. eine Inanspruchnahme von Leistungen des Gesund-heitswesens darf nie zur
Abschiebung führen. Die Realität sieht in Deutschland leider anders aus.
Auf dem Papier steht ihnen medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
zu. Die §§ 4 und 6 AsylbLG ermöglichen allerdings nur Behandlungen bei akuten und schmerzhaften
Erkrankungen sowie Leistungen, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit unerlässlich sind. De facto
droht bei der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe außerhalb von Notfällen die Ausweisung, weil die beteiligten Stellen die zuständige Ausländerbehörde informieren müssen (s.o.)
Ein erster Schritt in die richtige Richtung sind die Erleichterungen der stationären Notfallbehandlung
für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in der vom Bundesrat am 18. September 2009 verabschiedeten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VerwV) zum Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Menschen
ohne Aufenthaltserlaubnis können sich in Deutschland künftig als Notfall ohne Angst vor Entdeckung
im Krankenhaus behandeln lassen. Es wird klargestellt, dass auch das Personal der Krankenhaus-verwaltungen zu den berufsmäßigen ärztlichen Gehilfen zählt und somit der ärztlichen Schweigepflicht
unterliegt.
Die Verwaltungsvorschrift stellt noch etwas klar: Wer in Ausübung seines Berufs oder im Rahmen eines Ehrenamtes Menschen ohne Papiere berät oder ihnen hilft, macht sich nicht der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt schuldig. Auch das war bisher nicht klar geregelt.
Darüber hinaus bleibt Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus jedoch der Zugang zu einer ambulanten oder regulären medizinischen Versorgung, zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen,
aufgrund des § 87 AufenthG weiterhin versperrt. Um eine Arztpraxis aufsuchen zu können, müssten
sich die Betroffenen zuvor einen Krankenschein beim Sozialamt holen. In diesem Fall sind die Sozialäm-
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ter unverändert verpflichtet, Daten an die Ausländerbehörden zu übermitteln – was in der Regel die
Abschiebung der Betroffenen zur Folge hat. Der gefahrlose Zugang auch zur ambulanten medizinischen
Versorgung muss daher dringend ermöglicht werden.
7. wer hilft ?
Recht auf Gesundheit
(aus dem Dossier der Böllstiftung „Gesundheitsversorgung Illegalisierter“ vom April 2009)
Seit Jahren ermöglichen in Berlin – ähnlich auch in anderen Städten – das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe (Medibüro) und die Malteser Migranten Medizin mit den jeweils kooperierenden Netz-werken eine anonyme und kostenlose oder kostengünstige Gesundheitsversorgung ohne Datenwei-tergabe an die Behörden. Beide Unterstützungsstrukturen basieren – beim Medibüro vollständig, bei der
Malteser Migranten Medizin in Teilen – auf der unentgeltlichen Arbeit der MitarbeiterInnen), privaten
Spendengeldern und der Kooperation mit vielen ÄrztInnen, Hebammen und anderen Fachleuten im
Gesundheitsbereich, die bereit sind, Illegalisierte kostenlos zu behandeln, sowie der Zusammenarbeit
mit engagierten Krankenhäusern, die stationäre Therapien zu reduzierten Sätzen ermöglichen.
Diese Parallelstrukturen sind inzwischen von offiziellen Stellen anerkannt und hochgelobt, können jedoch keine Lösung sein. Zum einen wird die Einlösung des Menschenrechts auf Gesundheit in Deutschland zivilgesellschaftlichen Initiativen und der kostenlosen Arbeit von ÄrztInnen übertragen. Der Staat
und die öffentliche Hand entziehen sich elegant ihrer Verantwortung. Zudem besteht inner-halb solcher Parallelstrukturen kein individueller Rechtsanspruch auf angemessene und nachhaltige Gesundheitsversorgung. Die Betroffenen sind letztlich vom „Goodwill“ der Beteiligten in den Netzwer-ken abhängig.
Zum anderen sind Parallelstrukturen trotz des hohen Engagements der beteiligten MitarbeiterInnen und Fachkräfte strukturell nicht in der Lage, in allen Fällen eine
ausreichende Prävention, Diagnostik und Therapie zu erbringen. Die finanziellen und fachlichen Ressourcen sind
begrenzt, eine der Regel-versorgung gleichwertige medizinische Versorgung ist nicht gewährleistet.
Mehr informationen unter
www.medibuero.de
www.picum.org
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