Hufrollenbeschlag

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Hufrollenbeschlag
Hufrollenbeschlag beim Reitpferd
1 Einleitung
Die Hufrolle eines Pferdes besteht aus Strahlbein, Schleimbeutel und einem
Abschnitt der tiefen Beugesehne. Aufgabe dieser biomechanischen Einheit ist die
Umlenkung des senkrechten Zuges der tiefen Beugesehne in eine waagerechte
Zugwirkung auf das Hufbein, wodurch das Abrollen des Hufes über die
Zehenspitze ermöglicht wird.
Eine der häufigsten Ursachen von Vorderhandlahmheiten bei Pferden ist das so
genannte Hufrollen-Syndrom. Es kann im Sinne einer Infektion, einer
nichtinfektiösen akuten oder chronischen Entzündung der die Hufrolle bildenden
Strukturen auftreten.
Die in dieser Arbeit hauptsächlich erörterte Form ist die der chronischdegenerativen Erkrankung, da die Behandlung dieser, entsprechend ihres langen
unheilbaren Verlaufs, die regelmäßige und fachkundige Mitbetreuung durch den
Hufschmied (gegebenenfalls in enger Zusammenarbeit mit dem Tierarzt) erfordert.
Die Hufrollenerkrankung kann durch eine Vielzahl unterschiedlicher
Behandlungsverfahren
therapiert
werden.
Mittels
Hufkorrektur
und
orthopädischem Hufbeschlag sind oftmals die klinischen Symptome zu beseitigen
und die eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit des betroffenen Pferdes zu erreichen.
Im ersten Abschnitt dieser Arbeit werden die theoretischen Grundlagen zur
Anatomie und Physiologie sowie die verschiedenen Formen des HufrollenSyndroms differentialdiagnostisch und bezüglich ihrer Therapiemöglichkeiten
dargestellt.
Im zweiten Teil schließt sich der Fallbericht am Beispiel eines betroffenen Pferdes
an.
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Hufrollenbeschlag beim Reitpferd
2 Theoretische Aufarbeitung der Thematik
2.1 Definition
Eine Lahmheit, die im Stand oder in der Bewegung sichtbar wird, ist Ausdruck
einer struktur- oder funktionsbedingten Störung. Sie kann durch Verletzung,
Infektionen, Stoffwechselstörungen, Kreislauf- oder Nervenerkrankungen,
angeborene oder erworbene Anomalien des Bewegungsapparates verursacht
werden. Man unterscheidet zwischen Stützbein-, Hangbein-, gemischter und
begleitender Lahmheit.
Die Stützbeinlahmheit wird beim Fußen oder während der Belastung der
betroffenen Gliedmaße sichtbar. Begleitend kann es zur veränderten
Kopfbewegung kommen. Das Pferd bewegt den Kopf stärker ab und auf, wenn es
mit der gesunden Gliedmaße auffußt und weniger beim Auffußen mit der
erkrankten Gliedmaße. Ursache sind Schädigungen an Knochen, Gelenken,
Seitenbändern, motorischen Nerven und am Huf selbst.
Die Hangbeinlahmheit ist während des Vorführens der Gliedmaße erkennbar.
Der Vorführbogen an der lahmen im Vergleich zur gesunden Gliedmaße ist flacher
und nach vorne verkürzt. Ursachen sind krankhafte Veränderungen in Muskeln,
Sehnen, Sehnenscheiden, Schleimbeuteln und Gelenkkapseln.
Die gemischte Lahmheit wird sowohl beim Belasten als auch beim Vorführen der
Gliedmaße deutlich. Als Ursache kann jede Kombination der für die Hangbeinund Stützbeinlahmheiten verantwortlichen Ursachen vorliegen.
Die begleitende Lahmheit betrifft eine eigentlich gesunde Gliedmaße, welche
durch schmerzhafte Umstände an einer anderen Gliedmaße und dadurch
ausgelöste ungleiche Gewichtsverteilung verursacht wird. (1), (2)
Die Lahmheit wird in 3 Schweregrade unterteilt (gering, mittel und hochgradig).
Nur die Stützbeinlahmheit wird in 5-10 Schweregrade zur besseren
Differenzierung unterteilt.
Eine der häufigsten Ursachen von Vorderhandlahmheiten bei Pferden ist das
Hufrollen-Syndrom. Synonyme sind Podotrochlose, Podotrochlitis, PodotrochloseSyndrom und Strahlbeinlahmheit. Im englischsprachigen Raum wird die
Erkrankung als navicular disease, im französischen als Syndrome naviculaire
bezeichnet. Umgangssprachlich wird die Krankheit als „Hufrolle“ benannt. Diese
Bezeichnung ist jedoch irreführend, da die eigentliche Hufrolle (Podotrochlea) die
aus Strahlbein (Os sesamoideum phalangis distalis), Schleimbeutel (Bursa
podotrochlearis) und einem Abschnitt der tiefen Beugesehne (Tendo musculi
flexoris digitalis profundus) bestehende biomechanische Einheit darstellt (siehe
Abbildung 1 und 2).
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Röhrbein
Gleichbein/Sesambein
allgemeiner Zehenstrecker
Sesambeinband
Fesselbein
oberflächliche
Beugesehne
Kronbein
Hufbein
Hufrollenschleimbeutel
Strahlbein
Hufrolle
tiefe Beugesehne
Strahlbein-Hufbeinband
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Hufrolle und ihrer umgebenden Strukturen.
Abbildung 2: links - Fotografie vom anatomischem Präparat Praxis Dr. med. vet. Johannes
Lückmann (3) und rechts - Darstellung der Hufrolle im Nativpräparat. (4)
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Aufgabe der Hufrolle ist die Umlenkung des senkrechten Zuges der tiefen
Beugesehne in eine waagerechte Zugwirkung auf das Hufbein, wodurch das
Abrollen des Hufes über die Zehenspitze ermöglicht wird (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Belastungsphasen beim Auffußen. Anspannung der tiefen Beugesehne und die
Veränderung des Zugwinkels über der Strahlbeingleitfläche sind dargestellt. Von links nach rechts
Beginn der planen Fußung, Durchtreten im Fesselkopf, Aufrichten des Fesselkopfes und Abrollen
über die Zehenspitze.
Beim Hufrollen-Syndrom können alle die Hufrolle bildenden Strukturen einzeln
oder kombiniert erkrankt sein. Die Erkrankung tritt insbesondere an den
Vordergliedmaßen auf; eine Beteiligung der hinteren Gliedmaßen ist selten.
Das Hufrollen-Syndrom kann im Sinne einer Infektion, einer nichtinfektiösen
akuten oder chronischen Entzündung auftreten. Die chronisch fortschreitende,
degenerative Erkrankung aller drei Hufrollenanteile (tiefer Beugesehnenabschnitt,
Schleimbeutel und Strahlbein) wird als klassische Form bezeichnet. Im
fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung kann es durch Fehlbelastung und
dadurch ausgelöste Umbauprozesse z.B. zu Verwachsungen zwischen Strahlbein
und tiefer Beugesehne, Versteifung der Strahlbeinbänder (Strahlbein-Hufbeinband
= Lig. sesamoideum distale impar und Fesselbein-Strahlbein-Hufbeinbänder = Lig.
sesamoideum collaterale laterale bzw. mediale), Bildung von Knochenspornen
und Knochenzysten kommen. Während die akuten Formen vollständig oder im
Sinne einer Defektheilung ausheilen, ist die chronische Form nicht heilbar. Im
nachfolgenden sind der Vollständigkeit halber alle Formen erörtert, wobei die
chronische
Form
auf
Grund
ihres
langwierigen
Verlaufes
das
Hauptbetätigungsfeld des Hufschmiedes darstellt und im sich anschließenden
Fallbericht ausschließlich behandelt wird.
Die Hufrolle fängt während der Stützphase und des Abstemmens der Gliedmaße
die Kraft auf, die überstreckend auf das Hufgelenk einwirkt und bremst diese ab.
Bei Deutschen Reitpferden1 wird in schnellen Gangarten und durch die Belastung
1
Der Name Deutsches Reitpferd steht nicht für eine eigene Pferderasse, sondern ist vielmehr ein
Oberbegriff für in Deutschland gezüchtete Warmblutpferde. Warmblutpferde sind eine Kreuzung zwischen
Kaltblut- und Vollblutpferden mit dem Ziel, die vorteilhaften Merkmale aus beiden Rassen zu kombinieren.
So werden z.B. die Eleganz und Geschwindigkeit der Araber mit dem gutmütigen Temperament und der
Robustheit der Kaltblüter gekreuzt. Am 01. Januar 1973 führte die Deutsche Reiterliche Vereinigung offiziell
die Bezeichnung "Deutsches Reitpferd" ein und formulierte im April 1975 ein gemeinsames
Rahmenzuchtziel. Sinngemäß soll ein edles, großliniges und korrektes, gesundes und fruchtbares Pferd mit
schwungvollen, raumgreifenden, elastischen Bewegungen, das aufgrund seines Temperamentes, seines
Charakters und seiner Rittigkeit für Reitzwecke jeder Art geeignet ist, gezüchtet werden. (11)
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der Vorderextremitäten des Pferdes mit dem Gewicht des Reiters diese Kraft
potenziert. Das Hufrollen-Syndrom wird deshalb als „Berufskrankheit“ der
Reitpferde charakterisiert. Betroffen sind vor allem Pferde im Alter zwischen 4 und
9 Jahren; männliche Tiere erkranken häufiger als weibliche, Wallache häufiger als
Hengste. (2), (5), (6)
2.2 Symptome
Akute infektiöse Form: Der Allgemeinzustand des Pferdes ist deutlich reduziert.
Es kommt zu einer Körperinnentemperaturerhöhung auf bis zu 40°C, Puls und
Atmung sind beschleunigt. Eine klopfende Pulsation der Hauptmittelfußarterie ist
tastbar. Das Pferd geht stützbeinlahm, der betroffene Huf wird sehr vorsichtig mit
dem vorderen Tragrand aufgesetzt, die Vorbeugung des Hufes ist schmerzhaft. Je
nach Größe des Stichkanals oder Verletzung können geronnene
Gelenkflüssigkeit, Eiter und Blut austreten. Es besteht die Gefahr der Ausbreitung
der Entzündung in das Hufkissen, den Ballen, das Fessel-, Vorderfußwurzel- oder
Sprunggelenk.
Akute nichtinfektiöse Form: Das Pferd zeigt eine geringe bis mittelgradige
Stützbeinlahmheit, welche sich beim Laufen auf hartem Boden oder bergab
verstärkt. In der Bewegung belastet es die Zehenspitze und tritt im Hufgelenk nicht
vollständig durch.
Chronische Form: Das Pferd weist eine verminderte Arbeitsbereitschaft auf, es
verweigert insbesondere das Springen. Der Gang ist klamm und schleifend, er
kann mit einer steifen Halshaltung verbunden sein. Da das Pferd, um den hinteren
Hufabschnitt zu entlasten, eine Zehenfußung vollzieht, kann es zum Stolpern
kommen. Eine beidseitig vorhandene Stützbeinlahmheit beginnt schleichend und
geht allmählich in eine intermittierende Lahmheit über, die sich auf hartem Boden,
beim bergab gehen und in den Wendungen verstärkt. Durch die ständige
Zehenfußung entsteht im Verlauf der Erkrankung über den Umformungshuf eine
stumpfe Hufform mit einer krallenförmig ausgebauten Zehenform und einer
konkaven Sohle. Es kommt in der Folge zu einer Verschlechterung der
Hornqualität, der Hornstrahl und die Hornkapsel verkümmern. Der
Hufmechanismus ist beeinträchtigt und in der weiteren Folge bildet sich ein
Trachtenzwanghuf. In Ruhe wird eine Schonhaltung der erkrankten Gliedmaßen
eingenommen, welche abwechselnd nach vorne und außen gestellt werden. (4)
2.3 Ursachen
Bei der Benennung der Ursachen wird ebenfalls zwischen der akuten (infektiösen
und nichtinfektiösen) sowie der chronischen Form des Hufrollen-Syndroms
unterschieden.
Die akute infektiöse Form wird durch den Eintritt von Krankheitserregern (z.B.
durch einen Nageltritt oder andere Verletzung) ausgelöst. Bei ihr besteht die große
Gefahr des Ausbreitens auf benachbartes Gewebe.
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Die akute nichtinfektiöse Form stellt eine Reizung des Hufrollenapparates, vor
allem des Schleimbeutels unter der tiefen Beugesehne, dar. Diese wird durch eine
akute Überlastung ausgelöst und kann in die chronische Form übergehen.
An der Entstehung der chronischen Form sind mehrere Faktoren beteiligt:
 erbliche Steilstellung der Gliedmaße
 schwaches Strahlbein
 hohes Arbeitstempo des Pferdes bei Arbeit auf unebenem oder hartem
Boden (Erschütterungen wirken verstärkt auf die Gliedmaße)
 zu kleiner Huf (der Druck, welcher auf dem Huf lastet, ist wesentlich größer
als bei normaler zum Pferd passender Hufgröße)
 unsachgemäßes Ausschneiden des Hufes
 unsachgemäßes Beschlagen des Hufes
 Fehlstellung der und zum Fesselstand unpassende Hufe, z.B. zu lange
Zehe und zu niedrige Trachten (siehe Abbildung 4)
 zu hoher Gewichtsanteil auf den Vordergliedmaßen
 unnatürliche Übergröße und Übergewicht
Abbildung 4: Abgeknickte Zehenachse aufgrund eines A) zu langen Hufes und zu flacher Trachten
B) zu kurzen Hufes und zu hoher Trachten. (2)
Es gibt 3 Haupttheorien bezüglich der Entstehung des chronischen HufrollenSyndroms, die vermutlich ineinander übergreifen:
 Bursitis-Theorie: durch Erschütterung der tiefen Beugesehne und des
Strahlbeins wird eine Schleimbeutelentzündung verursacht, welche zu einer
vermehrten Durchblutung, Veränderungen an der Sehnengleitfläche des
Knochens und Knochenverlust führt.
 Thrombose- und Ischämie-Theorie: Gefäßverschlüsse verursachen
Durchblutungsstörungen des Strahlbeins und in der Folge Knochenverlust.
 Knochenumbau-Theorie: durch veränderten Druck der tiefen Beugesehne
auf das Strahlbein und verstärkte Belastung seiner palmaren
Sehnengleitfläche wird der Knochenumbau aktiviert. (2), (6), (7)
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2.4 Diagnostik
Bei der akuten infektiösen Form wird zunächst der Defekt der Sohle festgestellt
und der eingedrungene Fremdkörper lokalisiert. Die Hauptmittelfußarterie pulsiert
klopfend. Röntgenologisch lassen sich metallische Fremdkörper sicher darstellen,
während Holz und Glasteile je nach Dichte im Röntgenbild nur zu vermuten sind.
Des Weiteren können mittels Röntgenaufnahme Knochenbrüche, Defekte
knöcherner Strukturen und Umbauprozesse im Strahlbein abgebildet werden.
Austretende entzündliche Gewebsflüssigkeit (Exsudat) kann mikroskopisch/
mikrobiologisch untersucht werden. Durch endoskopische Untersuchung ist eine
Schleimbeutelentzündung
zu
spezifizieren.
Um
eine
penetrierende
(durchschlagende) Verletzung des Hufgelenkes auszuschließen, wird das Gelenk
punktiert und eine sterile Lösung eingebracht. Fließt diese durch die Wunde
wieder heraus, ist eine Verbindung zwischen Gelenk und Wunde nachgewiesen.
Das Pferd weist einen schwer kranken Zustand mit erhöhten PAT-Werten (Puls,
Atmung und Temperatur) auf.
Die akute nichtinfektiöse Form zeigt ein Pferd, dessen Allgemeinbefinden nur
geringgradig gestört ist. Das Pferd stellt die erkrankte Gliedmaße mit der
Beugestellung der Zehe oder der vorgestellten Abduktionshaltung ruhig. Die
bestehende Lahmheit wird durch Keilprobe sowie Beuge-, Streck- und
Rotationsprobe des Hufgelenkes verstärkt.
Zur Diagnostik der chronischen Form ist ein ausführlicher Bericht über Art, Dauer
und Beginn der Bewegungsstörung zu erheben. Wegweisend sind die
charakteristischen Lahmheitssymptome im Sinne eines vorsichtigen, klammen
Ganges der Vordergliedmaßen oder einer kollateral wechselnden Lahmheit. Die
Gesamtbelastung der erkrankten Vordergliedmaße ist im Verhältnis zum
kollateralen Vorderbein um 50 Prozent reduziert.
Es folgt die Begutachtung der Gliedmaßenhaltung im Stand. Es liegt eine
Schonhaltung der erkrankten Gliedmaße vor, diese wird in Ruhe nach vorn gestellt
und abduziert. Die Hufe werden begutachtet und ausgemessen. Das Vorliegen
äußerer Verletzungen ist auszuschließen. Die Ballengrube wird abgetastet, bei
Ausbreitung der Entzündung der tiefen Beugesehne nach oben (proximal) wird
durch den Druck eine Schmerzreaktion des Pferdes verursacht. Des Weiteren wird
der Puls der Hauptmittelfußarterie überprüft. Bei am Hufrollen-Syndrom
erkranktem Pferd ist die Hauptmittelfußarterie gering bis mittelgradig gefüllt (eine
Pulsation ist nur während des akut schmerzhaften Krankheitszustandes tastbar).
Auf Abdrücken mittels Hufuntersuchungszange über dem mittleren Strahldrittel
zeigt das Pferd eine Schmerzreaktion.
Mittels der Keilprobe (Neigungswinkel 20-25 Grad) wird ein direkter Druck der
tiefen Beugesehne auf die Hufrolle erzeugt, während die kollaterale Gliedmaße bis
zu 2 Minuten angehoben wird. Bei Vorliegen eines Hufrollen-Syndroms verlagert
das Pferd sein Gewicht oder springt ab.
Bei der Brettprobe wird ein Brett vorne unter den Huf geschoben und langsam
angehoben, es kommt zur Spannung der tiefen Beugesehne und einem
verstärkten Zug auf das Strahlbein. Bei positiver Brettprobe verlagert das Pferd
sein Gewicht auf die kollaterale Gliedmaße oder springt ab. Mittels der
Zehenbeugeprobe werden Gelenkkapsel und beteiligte Bänder einer
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Zugbelastung unterzogen; die Zehenbeugeprobe ist als positiv zu bewerten nach
den ersten 5 Schritten des Pferdes und einer anhaltenden Verstärkung der
Lahmheit auf einer Distanz von 15 Metern. 92,5% der am Hufrollen-Syndrom
erkrankten Pferde weisen eine schmerzhafte Zehenbeugeprobe auf.
Zur Untersuchung des Wendeschmerzes, der durch schmerzhafte Prozesse von
Gelenkkapsel, Bandansätzen und Knochenspornen ausgelöst wird, wird das Pferd
in der Bewegung auf einer Geraden um 90 Grad gedreht. Der Wendeschmerz ist
im Trab deutlicher als im Schritt und verstärkt sich auf hartem, festem Boden.
Beim Longieren im Trab auf dem engen Zirkel (Zirkelprobe) wird eine
Lahmheitsverstärkung und Schmerzreaktion an der erkrankten Gliedmaße
verursacht. Der Huf wird mit der äußeren Huf- und Trachtenwand aufgesetzt, die
Auffußung erfolgt zögernd und zeitverschoben.
Zusätzlich zur klinischen Diagnostik stehen dem Tierarzt eine Reihe von
apparativen Diagnostika zur Verfügung. Da das Hufrollen-Syndrom einen erhöhten
Hufgelenkinnendruck verursacht, kann die Messung des Gelenkinnendruckes
sinnvoll sein. Durch Leitungs- und Gelenkanästhesien können Befunde der
klinischen Untersuchung weiter eingegrenzt werden. Ausmaß und Form der
Strahlbeinveränderung sind über das Röntgenbild (Aufnahmen in 3 Ebenen) zu
differenzieren (siehe Abbildung 5). Ergänzend kann eine Skelettszintigraphie
erfolgen, mittels derer Zonen des gesteigerten Knochenstoffwechsels sichtbar
gemacht werden können. Die Untersuchung der Weichteile in der Hornkapsel ist
durch Ultraschall durchführbar. Zur Abklärung differentialdiagnostischer
Erkrankungen können unter anderem folgende Verfahren Anwendung finden:
Computertomographie, Kernspintomographie, Thermographie, Angiographie,
digitale Lumineszensradiographie, konventionelle Verwischungstomographie und
Oszillographie.
Die krankhafte Veränderung sollte als Hufrollen-Syndrom behandelt werden, wenn
 der Druck der Hufuntersuchungszange im mittleren Strahldrittel
Schmerzreaktionen verursacht
 eine Besserung der Lahmheit durch eine Anästhesie der Nervi digitalis
palmares erreicht wird
 und eine Röntgenaufnahme die Diagnose bestätigt. (2), (4)
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Abbildung 5: Eine radiologische Untersuchung untermauert die klinische Diagnose einer
Strahlbeinlahmheit. Im Anfangsstadium der Podotrochlose sind noch keine röntgenologischen
Veränderungen am Strahlbein feststellbar. (8)

2.5 Therapie
Bei der akuten infektiösen Form ist eine rasche Behandlung mit einem
Antibiotikum erforderlich, eine Resistenzbestimmung der Krankheitserreger
erscheint sinnvoll. Eine Impfung gegen Tetanus (aktiv und/oder passiv) ist
notwendig. Bei perforierender Verletzung der Hufrolle wird ein möglichst trockener,
steriler Verband angelegt und das Pferd umgehend operativ versorgt. Das
Hufeisen wird entfernt, Hufsohle, Eckstrebenwände und Sohlenschenkel werden
korrigiert. Das verletzte Areal und seine Umgebung wird großflächig desinfiziert,
der Wundkanal in seinem gesamten Ausmaß verfolgt, gesäubert und antibiotisch
behandelt. Krankhaft veränderte Gewebeteile werden großzügig entfernt. Der
Defekt wird mit einem Gazetampon und mit einem Hufdruckverband geschlossen,
die ersten 3 Verbände werden nach jeweils 2-3 Tagen erneuert, danach ist der
Verband 5tägig zu wechseln. Nach 10-14 Tagen wird der Hufdruckverband durch
einen Splintverband, das Deckeleisen oder den Dalmer-Cuff mit Parallelplatte
ersetzt. Die Nachbargliedmaße wird zur Vorbeugung der Überlastung mit einem
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Unterstützungsverband versorgt, die Trachten werden erhöht. Nach 3-4 Wochen
sollte das Pferd lahmfrei sein und ein Bewegungsbeschlag erfolgen. Der
Bewegungsbeschlag ist durch ein Hufeisen mit erhöhten Schenkeln,
Zehenrichtung und einer Ledersohle mit Sohlenpolster zu versehen. Die
kollaterale Gliedmaße erhält ebenfalls ein Hufeisen mit erhöhten Schenkeln und
Zehenrichtung, bedarf jedoch keiner Ledersohle.
Die akute nichtinfektiöse Form wird zunächst mit kalten Hufangussverbänden
behandelt, um eine schnelle Rückbildung der entzündlichen Veränderungen und
eine Schmerzfreiheit zu erwirken. Nach 4-5 Tagen erfolgt dann die Behandlung
mit feuchtwarmen Verbänden, welche die Resorption der entzündlichen
Gewebeflüssigkeit fördern.
Die chronische Form des Hufrollen-Syndroms kann durch eine Vielzahl
unterschiedlicher Behandlungsverfahren therapiert werden. Nach der Verordnung
einer längeren Ruhepause und durch regelmäßige Schrittarbeit auf ebenem
Untergrund kann die Belastung vermindert werden. Eine sorgfältige und
regelmäßige Hufpflege sorgt für eine elastische und widerstandsfähige
Hornkapsel.
Eine
Nahrungsergänzung
durch
bestimmte
Vitamine,
Spurenelemente und Aminosäuren kann hilfreich sein. Als physikalische
Behandlungsoption steht die Stoßwellentherapie zur Verfügung.
Mittels Hufkorrektur und orthopädischem Hufbeschlag in regelmäßiger und kurzer
Beschlagperiode (4-6 Wochen) sind oftmals die klinischen Symptome zu
beseitigen und der eingeschränkte Gebrauch des betroffenen Pferdes zu
erreichen. Eine Heilung des chronischen Hufrollen-Syndroms ist mit keiner
Behandlung/Maßnahme möglich.
Die Tätigkeiten des Hufschmiedes haben bei der Behandlung des am HufrollenSyndrom erkrankten Pferdes folgende Ziele:
 Reduktion der mechanischen Beanspruchung der tiefen Beugesehne
 Reduktion der mechanischen Beanspruchung des Strahlbeines
 Verminderung des Druckes auf den Strahl
 Ausdehnung der Hufwand bei beginnendem Zwanghuf
 Absorption von Erschütterungen
Um die genannten Ziele zu erreichen, gibt es eine Vielzahl von Beschlägen, die je
nach Beteiligung der unterschiedlichen Bestandteile des Hufrollenkomplexes
ausgewählt und gegebenenfalls miteinander kombiniert werden können.
Bei der Hufkorrektur muss auf eine ungebrochene und regelmäßige Zehenachse
von der Seite und von vorne geachtet und der Huf passend zum Fesselstand
bearbeitet werden (Fesselstandstheorie). Hierbei sollten eine plane Fußung
(Fußungstheorie) und die Gleichheit beider Hufe (Gleichheitstheorie) angestrebt
werden. Die Zehen sind unter Schonung der Trachten zu kürzen und mit einer
Zehenrichtung zu versehen, damit das Abrollen zur Entlastung der tiefen
Beugesehne und des Strahlbeines erleichtert wird (siehe Abbildung 6 und 7).
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Abbildung 6:
Seitliche Ansicht der Zehenachse
A: Huf passend zum Fesselstand
B: zu flacher Winkel der Zehenachse
C: zu steiler Winkel der Zehenachse
Abbildung 7:
Zehenachse von unten, hinten und vorne
Die gedachte Linie muss gerade sein und
soll keine Abweichung haben. (2)
Ein orthopädischer Hufbeschlag kann eine Änderung der Hufform herbeiführen;
Ziel aller orthopädischen Maßnahmen ist eine harmonische Druckverteilung
innerhalb der Hufrolle und das Erschaffen besserer Fußungsverhältnisse. Das
Eisen sollte über eine angeschmiedete Zehenrichtung verfügen und
gegebenenfalls zurückgelegt werden, um ein besseres Abrollen zu ermöglichen.
Eine Hochstellung der Trachten, z.B. durch Aufschweißen eines Steges auf die
Schenkelenden oder Anbringen verschiedener Keile, kann sinnvoll sein. Es stehen
mehrere orthopädische Hufbeschläge zur Versorgung des am Hufrollen-Syndrom
erkrankten Pferdes zur Verfügung:

lange geschlossene Hufeisen zur Unterstützung und zur Verminderung des
Einsinkens, wie z.B. Eierhufeisen, Schlusseisen, herzförmiges Hufeisen,
NBS-Eisen, Equi-Librium-Hufeisen und Kunststoffbeschläge (siehe
Abbildung 8)
Abbildung 8: links Eiereisen und rechts Equi-Librium-Eisen.

Erhöhungen zum Geradestellen der Zehenachse und Entlasten der tiefen
Beugesehne,
wie
z.B.
Aufschweißhaken,
Vollhaken,
Vollkeile,
Aufschweißstege sowie diverse Kunststoffkeile/Gesundheitskeile (siehe
Abbildung 9)
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Abbildung 9: links Eisen mit verdickten Schenkeln durch Aufschweißkeile und rechts Eisen mit
verdickten Schenkeln und Kunststoffplatte.

Einschweißstege zum Schluss offener Hufeisen, wie z.B. gerade Stege,
Stege mit rundem und spitzem Ansatz für Schlusshufeisen (siehe
Abbildung 10)
Abbildung 10: links Eisen mit eingeschweißtem Steg und rechts Eisen mit eingeschweißtem
erhöhtem Steg.

Hufpolster zur Stoßbrechung, wie z.B. aus natürlichem Material wie
teergetränktem Hanf oder künstlichem Material wie Softkunststoff in
Verbindung mit Bodenplatten aus Leder oder Kunststoff mit/ohne Keilform,
wie z.B. Gesundheitsplatten (siehe Abbildung 11)
Abbildung 11: regelmäßiges Hufeisen mit keilförmiger Gesundheitsplatte, links von unten und
rechts von der Seite.
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Sollten die bis hierher genannten Maßnahmen nicht ausreichend sein, um eine
Beschwerdereduktion zu erzielen, so stehen medikamentöse und chirurgische
Behandlungsoptionen zur Verfügung.
Mittels der Verabreichung von Spritzen in den Schleimbeutel bzw. in das
Hufgelenk können entzündungshemmende Cortisonpräparate und aufbauende
Hyaluronsäure eingesetzt werden. Des Weiteren können auf den ganzen
Organismus (systemisch) wirkende Medikamente wie z.B. Entzündungshemmer,
Knochenstoffwechselmodulatoren, Gerinnungshemmer und Medikamente zur
Weitstellung der Blutgefäße appliziert werden. Als chirurgische Maßnahme steht
mit dem Ziel einer dauerhaften Schmerzausschaltung die Durchtrennung
verschiedener Nervenstränge zur Verfügung.
Als alternativmedizinische Therapie werden unter anderem Schüßler Salze,
Homöopathie, Akkupunktur und Blutegel-Behandlungen angewendet. (2), (4), (6),
(7), (9)
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Literaturverzeichnis

1. Ruthe, Hermann. Der Huf Lehrbuch des Hufbeschlages. Stuttgart : Enke Verlag,
2012.
2. Stashak, Ted S. Adams' Lahmheit bei Pferden. Hannover : M. & H. Schaper GmbH,
2010.
3. Dr. med. vet. Lückmann, Johannes. Tierarzt.
4. Dr. Körber, Hans-Dieter. Hufkrankheiten. Gelting : Sandra Asmussen, 2006.
5. Riegel, Ronald J. Bild-Text-Atlas zur Anatomie und Klinik des Pferdes. Hannover :
Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, 2006.
6. GmbH, Pferdeklinik Burg Müggenhausen. www.pferde-klinik.de. [Online]
7. Dr. Müller, Gert. www.dr-gert-mueller.de. [Online]
8. Universität Zürich, Vetsuisse-Fakultät, Department für Pferde und
Bildungszentrum Schweizerischer Metallunion. eHoof.
9. Raabe, Markus. www.schmiede-ohne-grenzen.de. [Online]
10. Dr. Bingold, Christian A. www.hufrollensyndrom.de. [Online]
11. Zuchtverband für deutsche Pferde. www.zfdp.de. Zuchtbuchordnung §2
(Zuchtziel). [Online] 17. 04 2011.
12. Lukas, Uwe. Gesunde Hufe - kein Zufall. Warendorf : FN Verlag der Deutschen
Reiterlichen Vereinigung GmbH, 2007.
13. Dr. med. vet. Körber, Hans-Dieter. Huf, Hufbeschlag, Hufkrankheiten. Stuttgart :
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co.KG, 2007.
14. Niehoff, Bernhard. Hufbeschlaglehrmeister.
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