e-mail an den lieben Gott
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e-mail an den lieben Gott
E-Mail an den lieben Gott Predigt zu Weihnachten 2000 Pfr. Christoph Nötzel "Schau dir das an!" Vater schüttelte den Kopf, er seufzte und schob Mutter den Stadtanzeiger rüber. "Da, das Bild, ganz oben." Mutter mußte erstmal die Brille zurechtrücken. Dann sah sie genau hin. Ein verzweifelter Vater, der sein Kind in den Armen hielt. Der Kopf des Kindes hing über den Arm tot hinab. Klagend, flehend schaute der Mann auf. Mutter guckte auf. "Erschossen haben sie das Kind!" erklärte Vater. "Sie haben auf Kinder geschossen, die Soldaten. Und weißt du, wo? In Bethlehem! In Bethlehem!" Jetzt horchte auch Miriam auf. In Bethlehem. "Ist das nicht die Stadt, wo Jesus geboren ist?" "Genau, "sagte Vater. "Dort, wo die Engel den Hirten auf dem Felde gesungen haben: Frieden auf Erden!" Er lachte auf. Aber es klang gar nicht lustig, wie er so lachte. Eher traurig. Miriam schaute Vater an. "Ich dachte immer, Bethelehem sei ein kleines Dorf, das es nur früher gegeben hat. Gibt es das denn noch." - "Sicher," sagte Mutter. "Heute ist Bethlehem eine große Stadt in Palästina." "Ja," fügte Vater an. "und wenn ich mich recht entsinne, ist Bethelehem sogar eine Partnerstadt von Köln." - "Und dort ist Krieg?" fragte Miriam. "Ja," erklärte Vater. "Ich kann gar nicht verstehen, warum es nicht möglich ist, dort eine gerechte Lösung zu finden, die es erlaubt, dass Palästinenser und Juden dort in Frieden und Gerechtigkeit miteinander leben können." Miriam schaute noch einmal auf das Bild. Sie taten ihr sehr leid, die beiden. Der Vater und der tote Junge. "Wie Jesus," sagte sie. "Wie meinst du das?"fragte Mutter. "Nun, er ist wie Jesus in Bethlehem geboren. Und so wie Jesus ist er auch ganz traurig gestorben. Warum sind die Menschen so? Und warum kann Gott daran nichts ändern?" "Tja," meinte Vater nur. "Du siehst, es hat sich seither nicht geändert." Mehr wollte er dazu nicht sagen. Aber er hatte so seine Gedanken. Miriam mußte jetzt in die Schule. Aber das Bild ließ sie nicht los. Bethlehem gibt es wirklich. Auch heute noch. Dort werden Kinder geboren, wie damals. Und sie haben immer noch keinen Platz auf der Welt, wo sie sicher und in Frieden leben können. Abends suche sie sich die Zeitung mit dem Bild aus dem Altpapier und schnitt sich sorgfältig das Bild heraus. Die Frage ging Miriam nicht aus dem Kopf: Was passiert in Bethelhem? Warum muß das so sein? Warum kann Gott da nichts machen? "Papa," fragte Miriam am nächsten Tag. "Kann ich mal ins Internet?" "Ins Internet? jetzt fängst du auch schon damit an Was willst du denn da?" - "Etwas über Bethlehem erfahren und die Kinder dort." - "Na gut, aber nur wenn ich dabei bin." Abends saßen sie dann beide vor dem PC. "Da!" zeigte Miriam: "Caritas Baby Hospital" Miriam las: "In Bethlehem herrscht in diesen Wochen Angst, besonders nachts. Die Schulwege lassen die Eltern spüren, wie ausgesetzt, wie schutzlos ihre Kinder sind. Sie berichten von kranken Angehörigen, die nicht mehr zum Arzt gebracht werden können, von Medikamenten, die nicht mehr nachgeliefert werden. Sie berichten, daß die Lebensmittel knapp werden. Es gibt auch die andere Geschichte. Es gibt auch eine Friedensgeschichte. Aber ihr fehlen derzeit die Erzählerinnen und Erzähler." "Was meinen sie damit? >Es gibt auch eine Friedensgeschichte. Aber ihr fehlen derzeit die Erzähler.< ? " - "Vielleicht meinen sie die Weinachtsgeschichte. Oder eine der vielen anderen schönen Geschichten über Bethlehem im Alten Testament. Schau mal hier: eine ganze Seite biblischer Stellen. Etwa hier bei Micha. Papa holte die Bibel und schlug nach. Gut, dass die Bibel ein Inhaltsverzeichnis hat. Da - unter Propheten: Micha: "Und du Bethlehem Efrata, die du klein bist uner den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel der Herr sei. ... Er wird der Friede sein."(Micha 5.2+4a). "Ja, es gibt so schöne Bilder und Geschichten vom Frieden. ... Aber in Bethlehem fehlen ihr die Erzähler." Weihnachtswunsch. Herzliche Grüße Deine Miriam« "Was passiert denn, wenn ich hier auf "Kontakte" drücke?" - "Dann kannst du eine e-mail schreiben. Einen elektrischen Brief!" - "Und der kommt an?" - "Und der kommt an." - "Auch in Bethlehem?" - "Auch da. Blitzschnell. Eben global village." - "Global was?" fragte Miriam. "Global village. Globales Dorf. Die ganze Welt ein Dorf. Durch das Internet sind wir alle miteinander verbunden." - "Die ganze Welt ein Dorf. Dann ist Bethlehem ja überall!" - "So kannst du's sehen. Wir sind uns alle sehr nahe kommen und gleichzeitig unendlich fremd. Ganz so, wie schon damals in Bethlehem" - "Ja,ja" meinte Miriam. "Kann ich jetzt mal eine e-mail schreiben?" Vater stöhnte. Dann erklärte er ihr, wie's geht. "Schreib erstmal deinen Brief. Wir schicken ihn dann später ab." Und Miriam schrieb: »Lieber Gott! Ich heiße Miriam und bin 9 Jahre alt. Ich schreibe dir nach Bethlehem, denn dort bist du doch zur Welt gekommen. Vielleicht wohnst du da ja heute noch. Vater half ihr die e-mail abzuschicken. Ein klick, weg war sie. "Bist du sicher, die kommt an?" - "Wir werden sehen!" Immer wieder schaute Miriam die nächsten Tage in den elektronischen Briefkasten. Endlich war was angekommen. Eine mail aus Bethlehem. Eine e-mail von Gott: Das ist ungewöhnlich - eine e-mail an den lieben Gott. Eine gute Freundin von mir hier in Bethlehem will sie für mich beantworten. Du weißt ja, ich habe keine anderen Hände als eure Hände. Keinen anderen Mund als euren Mund. Gut also, dass ich unter euch Menschen überall in der Welt gute Freunde und Freundinnen habe - auch hier in Bethlehem - nicht nur unter den Christen, auch unter den Juden und Moslems. Deshalb bin ich damals in Bethlehem zur Welt gekommen. Ich will euer Freund sein. In der Zeitung habe ich ein Bild gesehen von einem Mann, der sein kleines Kind in den Armen hält. Erschossen haben sie den Jungen. Die Soldaten! Der Junge ist in Bethlehem geboren. Wie Du!. Bist Du danach noch mal da gewesen? Oder hast du die Stadt und die Menschen dort vergessen. Du fragst, warum soviel Leid und soviel Friedlosigkeit unter den Menschen zu finden ist. Du fragst mich, ob ich Bethlehem vergessen habe. Und du glaubst, ich könnte alles einfach so abstellen. Ich muß Dir zunächst sagen, daß ich selbst am Leid und unter der Ungerechtigkeit der Menschen mitleide. Vor 2000 Jahren sah es in Bethlehem auch nicht besser aus als heute. Maria und Josef, die Hirten - ihnen ging es ganz und gar nicht gut. Auch sie fanden keinen Platz zum Leben. Deswegen findet Weihnachten in einem Stall statt. Lieber Gott, ich frage dich: Warum läßt Du das Unheil zu? Warum machst Du nicht einfach Frieden? Hast du gehört: in Bethlehem ist niemand mehr, der die Geschichten vom Frieden erzählt. Warum läßt Du die Menschen nicht einfach glücklich sein, so daß alle zu essen und alle ein Zuhause haben und alle Menschen in Frieden leben? Das wäre mein Liebe Miriam, Weihnachten will den Menschen zeigen, daß Gott machtlos wurde. Er gab seine Macht ab und wurde ohnmächtig. Das Geheimnis liegt in der niedrigen Geburt. Gott wurde Mensch wie Du. Gott ging Weihnachten in die Knie. Verstehst Du? Gott ist nicht mehr der alte, der mit eisernem Zepter die Welt regiert. Liebe, Frieden und Gerechtigkeit können nicht mit Macht und Gewalt hergestellt werden, denn das Wesen der Liebe liegt darin, daß sie sich dem Unscheinbaren, dem Nackten und Hilflosen zuwendet. Und im übrigen, nicht Gott schickt das Leid, sondern die Menschen selbst sind es, die einander wehtun, mit Worten beleidigen, sich streiten und betrügen. Du kennst es vielleicht von Dir selbst, daß Du hin und wieder Dinge anrichtest, die Dir später dann leid tun. Du weißt selbst nicht genau, warum Du das getan hast. So geht es vielen Menschen, und wenn man genau hinschaut, merkt man: Die Menschen haben Angst. Es ist die Angst, im Leben zu kurz zu kommen. Das fängt schon beim Pudding an, der plötzlich zum Streit führt, weil ein Kind sich gegenüber seinen Geschwistern ungerecht behandelt fühlt, nur weil die Puddingschale nicht bis zum Rand gefüllt war wie bei seiner Schwester. Und das geht bei den Großen so weiter bis hin zum Krieg. Weihnachten ist nun Gottes Lebensangebot für die Menschen. Weihnachten will den Menschen sagen: Du brauchst keine Angst mehr zu haben, zu kurz zu kommen, denn ich bin ganz bei Dir und freue mich, daß Du da bist. Das ist das Licht, das von Bethlehem ausstrahlt. Liebe Miriam, Du hast dieses Licht empfangen, und ich möchte Dich bitten: Bewahre es Dir und gib es an andere weiter: Bewahre Dir Dein Gefühl des Mitleidens, daß es nicht zugeschüttet wird. Bewahre Dir Deine Träume von Hoffnung und Frieden. Glaube an die Unendlichkeit der Liebe und an die Leidenschaft des Herzens. Mit dem Kind in der Krippe wendet sich Gott voll Liebe, aber auch drängend und wie Schutz suchend an Dich und an alle Menschen: Komm, nimm und halte das Kind; komm, nimm die Liebe auf. Sag es allen Menschen und setze dich dafür ein, daß Liebe und Frieden und Gerechtigkeit wachsen können. Und später gehe hin zu den Menschen, die draußen frieren und hungern. Die gibt es auch bei Euch. Sprich mit ihnen, schaue ihnen in die Augen und höre ihnen gut zu und folge der Wahrheit Deines Herzens. Wir brauchen Engel, wir brauchen Menschen wie Dich, die den Frieden, die Güte und die Liebe in die Häuser tragen. Alles Gute und Gottes Frieden wünsche ich Dir, nicht nur zur Weihnachtszeit.« Liebe Gemeinde, auch an diesem Heilig Abend steht in unserer Andreaskirche wieder die Weihnachtskerze. Aber dieses Jahr ist es ein besonderes Licht, das da leuchtete. Kinder und Jugendliche haben in Bethlehem ein Licht entzündet und es von Kerze zu Kerze weitergereicht durch die ganze Welt. Ununterbrochen ein Licht, das Millionen von Kerzen rund um die Erde entfacht hat. Das Licht aus Bethlehem leuchtet auch in unserer Kirche. Vielleicht wollen Sie sich heute abend oder in den Weihnachtstagen etwas von diesem Licht holen und es selber weiterreichen. Doch Vorsicht: es ist eine leicht verlöschliche Flamme. Aber stark genug, die ganze Welt zu erhellen, wenn wir uns von ihr entflammen lassen und sie weiterreichen.