in der rasenden welt der quanten
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in der rasenden welt der quanten
Für die Begründung des neuen Forschungsgebietes Attosekundenphysik wurde Professor Ferenc Krausz, Lehrstuhl für Experimentalphysik, mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2006 ausgezeichnet. Sein Arbeitsgebiet bildet die Grundlage für andere Forschungsbereiche etwa die hochpräzise Metallverarbeitung und die hochauflösende Mikroskopie lebender Organismen. So werden Laser, die er entwickelt hat, bereits jetzt in Kliniken zur frühen Diagnose von Augen- und Krebskrankheiten getestet. THORSTEN NAESER i n d e r r a s e n d e n w e lt d e r q u a n t e n D er Flügelschlag eines Schmetterlings dauert eine Ewigkeit – vergleicht man ihn mit den Zeitdimensionen, die Professor Ferenc Krausz und sein Team vom Lehrstuhl für Experimentalphysik der LMU in ihren Labors erforschen. Erst wenn man den, für das menschliche Auge schon kaum zu verfolgenden, Augenblick des Falter-Flügelschlags eine Million Mal unterteilt und diese Zeitspanne noch einmal in 100 Millionen winzige Momente zerstückelt, ist man in der Welt der Attosekundenphysik angelangt. Eine Attosekunde dauert genau ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde, eine Zahl mit 17 Nullstellen hinter dem Komma. Hier verlieren die bekannten Gesetze der Mechanik, die Isaac Newton vor rund 400 Jahren aufstellte, ihre Geltung. An ihre Stelle treten neue physikalische Regeln. In jenem Kosmos der so genannten Quanten sind weit entfernte Objekte auf geisterhafte Weise miteinander verknüpft. Mit Quanten werden Elementarteilchen wie Elektronen oder Protonen bezeichnet, die nicht mehr teilbar sind. Oft bezieht sich der Begriff auch auf kleinste Energieeinheiten, die von einem System auf ein anderes übertragen werden. Energieänderungen und Teilchenbewegungen erfolgen nur noch sprunghaft, nicht mehr kontinuierlich. Bewegung und Aufenthaltsort eines Teilchens lassen sich nicht gleichzeitig exakt bestimmen. Die Natur des Lichts, das Wellen- und Teilcheneigenschaften zugleich besitzt, steuert zu dieser Welt jenseits der Gesetze der Schwerkraft zusätzlich Phänomene bei, die längst noch nicht alle geklärt sind. Genau diese geheimnisvollen Gesetzmäßigkeiten und Teilchenaktivitäten im atomaren Kosmos erkunden die Forscher um Ferenc Krausz. Er ist dabei ein exzellentes Beispiel für Kooperationen zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie der Max-Planck-Gesellschaft (MPG): Der ungarische Physiker ist gleichzeitig als Professor an der LMU und als Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik wissenschaftlich tätig – „twinning-Prinzip“ nennt dies der ehemalige stellvertretende MPG-Generalsekretär Bernd Ebersold. Eine der spannendsten Aktivitäten im Quantenkosmos sind ultrakurze Elektronensprünge. Sie finden zum Beispiel statt, wenn Licht auf Atome trifft. Atome bestehen in ihrem Kern aus Protonen. Um sie herum kreisen die viel leichteren Elektronen. Das Licht gibt seine Energie an die Elektronen des Atoms ab, dabei werden sie auf eine höhere Umlaufbahn um das Atom gehoben. Beim Zurückfallen können die Elektronen wiederum selbst Energie emittieren. Das alles geht rasend schnell: „Die angeregten Elektronen bewegen sich in wenigen Attosekunden von einer Position im Atom zu einer anderen“, erklärt Ferenc Krausz. Einen ersten Eindruck dieser fremdartigen und geheimnisvollen Welt bekommt der Besucher im Büro des ungarischen Physikers. An den Wänden hängen farbige Darstellungen, die an abstrakte Kunst erinnern. Darauf schmiegen sich rote und gelbe Wellen vor blauem oder schwarzem Hintergrund perfekt 70 NATURWISSENSCHAFTEN 3 Eine Arbeitsgruppe um Mattias Uiberacker verwendet Attosekundenimpulse, um das atomare Verhalten des Edelgases Xenon zu erkunden. Dazu schießen sie den Lichtimpuls im für Menschen unsichtbaren Ultraviolettbereich auf die Xenonatome. Das Licht dringt tief in eine der inneren Schalen des Xenonatoms ein und hebt von dort ein Elektron auf eine höhere Umlaufbahn an. aneinander. Dass es wissenschaftliche Illustrationen sind, offenbart sich dem Betrachter erst, wenn er die Schriftzüge über den Bildern liest. Da prangen die Titel der renommierten Wissenschaftsjournale Nature und Science. Doch die Attosekundenphysik der Gruppe um Ferenc Krausz hat es nicht nur auf die Titelseiten der internationalen Forschungsmagazine geschafft. 2006 hat der Physiker den mit 1,55 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten. Auch wenn die Abbildungen der Welt der Quanten in seinem Büro eher künstlerisch verspielt wirken – hinter ihrer Erforschung steckt eine Menge Technologie. Diese Erkenntnis stellt sich sehr schnell ein, sobald man im Institut ein Stockwerk tiefer die Arbeitsräume der Quantenphysiker betritt. In den abgedunkelten Labors, von denen einige die Größe von Hallen haben, tüfteln die Physiker an komplizierten Laseraufbauten auf schweren Tischen aus unverrückbarem Stahl. Mit Spiegeln und Prismen bändigen sie grünes und rotes Laserlicht und lenken es auf labyrinthischen Bahnen zielgenau auf ihre Proben. „Hier können wir bereits Lichtblitze erzeugen, die nur einige hundert Attosekunden dauern“, sagt Ferenc Krausz. Diese Lichtblitze schießen die Quantenphysiker auf die Atome, die sich meist in Gasform in einer Vakuumkammer aus glänzendem Kupferstahl befinden. Zwei Laserimpulse werden kurz nacheinander ausgesendet. Der erste Blitz regt die Elektronen an, sodass sie sich bewegen. Der zweite Lichtstrahl beobachtet dann die Reaktion der Teilchen. Wie viel Energie zur Anregung der Elektronen durch den Laser notwendig ist, ist sehr unterschiedlich. Denn je nach Position im Atom sind die Teilchen stärker oder schwächer an den Atomkern gebunden: Um ein Elektron auf der inneren Schale des Atoms mit dem Laserlicht herauszuschlagen, können bis zu 1.000 Elektronenvolt Energie notwendig sein, will man ein Elektron auf einer äußeren, weiter vom Atomkern entfernten, Schale verändern, reichen oft bereits fünf Elektronenvolt. Durch die Anregung geben die negativ geladenen Teilchen schließlich selbst wieder Energie ab. Diese freigesetzte Energie können die Physiker messen. Dadurch ziehen sie Rückschlüsse auf die Wanderwege der Teilchen. „Das Prinzip ist so ähnlich wie bei der Fotografie“, erläutert Ferenc Krausz. „Je kürzer die Verschlusszeit bei der Kamera ist, desto schärfer werden die Bilder, die man von einem Objekt erhält.“ Je kürzer also die Physiker die Pulse des Beobachtungs-Lasers produzieren und staffeln, desto schärfer und unverzerrter werden die Darstellungen der rasenden Teilchen in der Quantenwelt. Als Quelle für die Attosekundenpulse nutzen die Wissenschaftler das atomare Verhalten des Edelgases Neon. Mit einem Laser-Lichtpuls im Röntgenbereich, der rund fünf Femtosekunden kurz ist, schlagen sie aus einem Neonatom Elektronen heraus (eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer Milliardstel Sekunde, eine Attosekunde ist 1.000 Mal 71 NATURWISSENSCHAFTEN 7 Eine der spannendsten Aktivitäten im Quantenkosmos sind ultrakurze Elektronensprünge. Sie finden zum Beispiel statt, wenn Licht auf Atome trifft. Um diese Prozesse und Zustände erforschen zu können, benötigen die Wissenschaftler um Ferenc Krausz komplexe Apparaturen und Laseraufbauten. kürzer als eine Femtosekunde). Durch ein elektromagnetisches Feld werden diese Elektronen dann beschleunigt und abgebremst. Trifft ein solches freies Elektron nun wiederum auf den Ionenrumpf des Neonatoms, so entstehen Schwingungen, die rund 100 Attosekunden dauern und dadurch wiederum selber Lichtblitze mit der gleichen Kürze aussenden. Eine Arbeitsgruppe um Mattias Uiberacker verwendet diese Attosekundenimpulse nun wiederum, um das atomare Verhalten des Edelgases Xenon zu erkunden. Dazu schießen sie den Lichtimpuls im für Menschen unsichtbaren Ultraviolettbereich auf die Xenonatome. Das Licht dringt tief in eine der inneren Schalen des Xenonatoms ein und hebt von dort ein Elektron auf eine höhere Umlaufbahn an. Die Lücke in der inneren Schale wird jedoch schnell wieder geschlossen. „Wir können beobachten, dass es rund sechs Femtosekunden dauert, bis die innere Bahn des Xenonatoms wieder aufgefüllt ist mit einem Elektron, das aus einer äußeren Schale nachrückt“, berichtet Matthias Uiberacker. Die erstmalige Erzeugung solcher Attosekundenimpulse gelang Ferenc Krausz im Jahr 2002. Damals war er noch Professor an der Technischen Universität Wien. Kurz darauf feierte das Wissenschaftsmagazin Science die Entdeckung als eine der zehn wichtigsten Errungenschaften des Jahres 2002. GRUNDLAGENFORSCHUNG FÜR ZUKÜNFTIGE TECHNOLOGIEN „Bei der Zähmung des Laserlichts hat uns Professor Theodor Hänsch sehr geholfen“, sagt Ferenc Krausz. Theodor Hänsch hat ein Büro ein paar Meter weiter im selben Gebäude. Wie Ferenc Krausz hat er eine Professur an der LMU und forscht zudem am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Der berühmte Quantenphysiker schaffte es, das aus vielen Farben bestehende Licht mit seinem so genannten Frequenzkamm kontrolliert zu erzeugen und seine Wellenlänge extrem genau zu bestimmen. Für diese Entdeckung erhielt er im Jahr 2005 den Nobelpreis (siehe auch Beitrag Seite 63). Mit Hilfe dieser Frequenzkamm-Technik ist es den Quanten-Forschern gelungen, ultrakurze Lichtpulse exakter einzusetzen und noch näher an der Echtzeit zu beobachten, was in den Atomen vor sich geht. Die schnellsten Vorgänge in der Atomhülle dürften nur noch wenig schneller sein, als wir sie schon jetzt mit unserer Lasertechnik abbilden können“, sagt Ferenc Krausz. Dennoch steckt die Beobachtung von Atomen und einzelnen Elektronen in Echtzeit noch in den Kinderschuhen. Bis heute ist sie vor allem Grundlagenforschung. Doch Ferenc Krausz ist überzeugt, dass die Attosekundenphysik in den nächsten Jahren weiterhin einen enormen Aufschwung erfahren wird. „Elektronen spielen bei fast allen chemischen und biologischen Prozessen eine wichtige Rolle“, sagt der Physiker. „Sie bestimmen zum Beispiel die Zusammensetzung und das Verhalten von Molekülen. Gerade in Bezug auf das Erbgut ist diese Tatsache oft entscheidend für genetische Veränderungen im Erbgut.“ Die exakte Kenntnis der inneratomaren Vorgänge kann nun technologisch dabei helfen, kompakte Röntgenlaser zu entwickeln. Röntgenlaser wären in der Lage, mittels Röntgendiffraktion molekulare Strukturen noch in atomarer Auflösung abzubilden. Diese Strukturen würden im Bereich von bis zu 0,1 Nanometer klein sein (ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter). Sichtbares Licht ist in diesem Bereich nicht mehr geeignet, denn damit kann man nur Strukturen 72 NATURWISSENSCHAFTEN abbilden, die so groß sind wie seine Wellenlänge. Dieses Wellenlängenspektrum bewegt sich zwischen 350 und 700 Nanometer. Atomare Auflösung ist daher auf kurzwelliges Röntgenlicht oder Elektronen angewiesen. Um die gewünschten Röntgenlichtpulse zu erhalten gibt es nach dem heutigen Wissen der Forscher zwei Möglichkeiten: Ein Elektron wird aus einer sehr tiefen, inneren Schale mit einem laserbeschleunigten Elektron herausgeschlagen. Anschließend geht ein anderes Elektron von einer der äußeren Schalen an die frei gewordene Stelle über und emittiert so ein Röntgenphoton. „Wenn hinreichend viele Atome gleichzeitig auf diese Weise präpariert werden, kann sich der Röntgenemissionsprozess selbst stimulieren und zum Lasern führen“, erklärt Ferenc Krausz. Die zweite Möglichkeit verfolgt einen etwas anderen Ansatz: Hier werden Elektronen mit einem hochintensiven Laserpuls aus Atomen herausgeschlagen und unmittelbar danach mit deren elektrischen und magnetischen Feldern zu sehr hohen Energien in der Vorwärtsbewegung entlang der Ausbreitungsrichtung des Laserpulses beschleunigt. Die sehr hohe Energie bedeutet, dass sich die Elektronen mit einer Geschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Anschließend werden sie durch ein periodisches Magnetfeld geschickt, das die Elektronen zu kleinen seitlichen Schwingungen zwingt. Dabei emittieren sie dann Röntgenstrahlung in der Vorwärtsrichtung. „Wenn man alles richtig macht, kann sich dieser Emissionsprozess auch selbst stimulieren, dann haben wir einen so genannten Freieelektronenlaser entwickelt“, so der Physiker. Dieses Konzept wird zurzeit in mehreren großen Beschleunigerlabors, wie dem DESY in Hamburg oder dem SLAC in Stanford mit Elektronen, die über mehrere Kilometer auf die gewünschte Energie beschleunigt werden, verfolgt. In Garching wollen es die Physiker mit Ihrem hochintensiven Laser in einem viel kleineren Labormaßstab in die Realität umsetzen. Doch bereits heute befinden sich Laser, die von Ferenc Krausz und seinem Team entwickelt wurden, im Einsatz in Kliniken zur Frühdiagnose von Augen und Krebserkrankungen. Auch hier beruht die Technik auf dem Einsatz extrem kurzer Lichtpulse, die tief in das Gewebe eines Patienten eindringen und feinste Strukturen sichtbar machen können. „Wenn man mit Hilfe dieser optischen Kohärenztomographie schon feinste Veränderungen im Gewebe analysieren kann, also eine Krankheit schon im frühesten Stadium erkennt, dann erhöhen sich auch die Heilungschancen“, sagt der Leibniz-Preisträger. „Vielleicht werden so heute noch unheilbare Krankheiten, wie etwa der Grüne Star, in Zukunft heilbar.“ Prof. Dr. Ferenc Krausz ist seit September 2004 Lehrstuhlinhaber für Experimentalphysik (Quantenoptik) an der Fakultät für Physik der LMU. Er forscht zudem am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München. 2006 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgesellschaft. [email protected] http://www.atto.physik.uni-muenchen.de/ 73 NATURWISSENSCHAFTEN