Blätter - Deutsche Burschenschaft
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Blätter - Deutsche Burschenschaft
Burschenschaftliche Blätter 2/2015 130. Jahrgang ISSN 0341-5352 www.burschenschaftliche-blaetter.de Zum 200. Jubiläum ein Blick in die Vergangenheit und Zukunft der Deutschen Burschenschaft. Mit Beiträgen von Harald Lönnecker, Helma Brunck, Bruno Burchhart, Jan Ackermeier, Patrick Körner, Daniel Stock, Wilhelm Haase, uvm. Impressum / Inhaltsverzeichnis Burschenschaftliche Blätter Burschenschaftliche Blätter www.burschenschaftliche-blaetter.de Zeitschrift für den deutschen Burschenschafter. Begründet im Januar 1887 von G. H. Schneider (Germania Jena), 130. Jahrgang, Heft 2, 2. Quartal 2015 Impressum Inhaltsverzeichnis Mitteilungen der Schriftleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Harald Lönnecker: „Die Burschenschaft im ersten Halbjahrhundert ihres Bestehens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Helma Brunck: „Die Deutsche Burschenschaft vor 100 Jahren (1915) und in der Weimarer Republik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Bruno Burchhart: „Die Burschenschaftliche Bewegung im Südosten“ . 66 Rückschau: „Das Sonderheft zu 150 Jahre Burschenschaft“ . . . . . . . . . 70 Heinrich Schoell: „Hiebe der Eigentlichkeit oder ius sanguinis“ . . . . . . 72 „3 Fragen an . . . Burkhard Mötz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 „3 Fragen an . . . Dr. Walter Egeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Aus dem Burschenschaftlichen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Gesamtherstellung und Vertrieb: Gieseking Print- und Verlagsservices GmbH Deckertstraße 30, 33617 Bielefeld Telefon +49 / (0)521 / 961496-55 Telefax +49 / (0)521 / 98890439 Daniel Stock: „Zwischen Prinzipientreue und Zukunft“ . . . . . . . . . . . . . 76 Patrick Körner: „Studieren hat Tradition und Zukunft – Bologna nicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Erscheinungsweise: Viermal im Jahr Auflage: 7.000 Bruno Burchhart: „Volkstumsarbeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Jan Ackermeier: „Otto von Bismark – Eine widersprüchliche Figur der deutschen Geschichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Burschenschaftliche Amtsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Herausgeber: Vorsitzende Burschenschaft der Deutschen Burschenschaft Marburger Burschenschaft Germania Lutherstraße 3 D-35037 Marburg/Lahn [email protected] Verlag: Im Selbstverlag der Deutschen Burschenschaft. Schriftleiter, Anzeigen: Dirk Taphorn, M.A. (Normannia-Nibelungen Bielefeld) Postanschrift: Dirk Taphorn Postfach 32 02 07, D-01014 Dresden Telefon: +49 (0)351 16063872 [email protected] BBl-Anschriftenverwaltung: C. F. Lindemann (Cruxia Leoben) Postanschrift: BBl-Anschriftenverwaltung Postfach 101232, D-20008 Hamburg [email protected] Bezugspreis: „Für Bezieher, die der Herausgeberin angehören, ist dieser im Verbandsbeitrag enthalten. Für Bezieher, die nicht der Herausgeberin angehören, jährlich 21 Euro zuzüglich MwSt. bei Lieferung frei Haus im Inland, 26 Euro zuzüglich MwSt. ins Ausland. Einzelhefte im Inland 6,50 Euro, zuzüglich MwSt., inkl. Porto und Verpackung. Auslands bezug 8,50 Euro zuzüglich MwSt. und Versandkosten. Bestellungen beim Schatzmeister. Adresse und Bestellformular am Ende des Heftes.“ Blattlinie: Mit dem Namen des Verfassers versehene Beiträge stellen nicht immer die Meinung des Herausgebers, des Schriftleiters oder der Burschenschaft des Verfassers dar. Die Verantwortung für die in diesen Artikeln zum Ausdruck gebrachte Meinung trägt ausschließlich der Verfasser. Sie bedeutet in keinem Falle eine amtliche Stellungnahme des Verbandes. Nachdruck: Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe („Burschenschaftliche Blätter“, Jg., Heft, Seite, Verfasser) und mit Genehmigung des Schriftleiters gestattet. Beiträge: Wir erbitten die Zusendung aller Beiträge ausschließlich per E-Post in gängigen Digital-Formaten. Die Manuskriptrichtlinien sind verbindlich und können bei der Schriftleitung angefordert werden. Handschriftliche Texte werden nicht berücksichtigt. Einsender von Beiträgen werden gebeten, sich vorher mit dem Schriftleiter in Verbindung zu setzen. Rezensionen dürfen maximal 3.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) umfassen. Ein Anspruch auf Abdruck von Manuskripten und zu einem bestimmten Termin besteht nicht. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Bilder und Besprechungsexemplare wird keine Haftung übernommen. Bei einer Nichtveröffentlichung handelt es sich nicht um Zensur. Die Verfasser, auch von Leserbriefen, fügen ihrem Namen ihre Burschenschaft und das Jahr des Eintritts hinzu. Die Schriftleitung behält sich ausdrücklich Streichungen und Kürzungen vor. Redaktionsschluß: Siehe unter Mitteilungen der Schriftleitung. 50 Die Schriftleitung informiert: Adreßänderungen für den Bezug der „Burschenschaftlichen Blätter“ richten Sie bitte immer an: [email protected] oder postalisch an: BBl-Anschriftenverwaltung, Postfach 101232, 20008 Hamburg Neues aus der BBl-Netzversion www.burschenschaftliche-blaetter.de www.facebook.com/DeutscheBurschenschaft Heft 2 - 2015 Mitteilungen der Schriftleitung Burschenschaftliche Blätter Mitteilungen der Schriftleitung Sehr geehrte Herren Verbandsbrüder, werte Burschenschafter, Sehr geehrte Herren Verbandsbrüder, werte Leser, 200 Jahre Burschenschaft – ein Jubiläum auf das man mit Stolz blicken kann. Die burschenschaftliche Bewegung überstand in den vergangenen zwei Jahrhunderten Verfolgung und Verbote. Sie hatte ihre Höhepunkte, aber auch ihre Tiefen, beim gesellschaftlichen Wirken. Und auch in schweren Zeiten – oder vielleicht gerade dann – besannen sich immer wieder junge deutsche Studenten auf die Werte „Ehre – Freiheit – Vaterland“, füllten sie mit Leben und trugen die damit verbundenen Traditionen weiter. es dürfte kaum unbemerkt an Ihnen vorbeigegangen sein: Die Burschenschaft feiert im Jahr 2015 ihr 200-jähriges Bestehen. Folgerichtig widmet sich diese Ausgabe der Burschenschaftlichen Blätter – welche pünktlich zum heurigen Burschentag erscheint – hauptsächlich diesem Jubiläum. Unserem Schriftleiter, Verbandsbruder Dirk Taphorn, ist es erneut gelungen, eine Reihe an ausgezeichneten Autoren für unsere Verbandszeitschrift zu gewinnen und ich konnte bei einer Lektüre der ersten Manuskripte feststellen, daß die Deutsche Burschenschaft mit dieser Ausgabe der geschichtsträchtigen Burschenschaftlichen Blätter diesem bedeutungsvollen Jubiläum gerecht wird. Ein wahrlich gelungener Rückblick auf unsere stolze und beeindruckende Geschichte! Diese Ausgabe der Burschenschaftlichen Blätter widmet sich aus gegebenem Anlaß unserer eigenen Geschichte. Ende Mai werden wir in der Wartburgstadt Eisenach „200 Jahre Burschenschaft“ feiern, zurückblicken und sicher auch in Erinnerungen schwelgen. Das Jubiläum und unsere Geschichte sollte uns jedoch ebenso dazu motivieren, tatkräftig die Zukunft anzugehen. Schließlich wollen und sollen unsere jungen Verbandsbrüder auch noch die Feierlichkeiten zu 250 Jahre Burschenschaft erleben können. Torben Braga, Sprecher der Deutschen Burschenschaft Ein Jubiläum bietet aber auch stets die Möglichkeit einer Bestandsaufnahme, sich zur aktuellen Lage unseres Verbandes zu positionieren und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Im Geschäftsjahr des Vorsitzes meiner Marburger Burschenschaft Germania ist also mir die Ehre zuteil, meine Gedanken zu unserem Verband mit Ihnen teilen zu dürfen. In dieser Ausgabe wird aber nicht nur Burschenschaftern und ihrem Wirken gedacht, sondern auch Otto von Bismarck, einst Mitglied des Corps Hannovera Göttingen, der ebenfalls vor 200 Jahren das Licht der Welt erblickte. Das Ende der Geschichte? Wie schon eingangs erwähnt, soll in diesem Beitrag weniger die Vergangenheit im Vordergrund stehen, als vielmehr Gegenwart und die angestrebte Zukunft unserer Bewegung. Zur Gegenwart gehört allerdings stets ein Kontext, welcher hier in aller Kürze hergestellt werden soll. Zum Abschluß möchte ich an dieser Stelle noch einen Dank aussprechen: dieser gilt unserem Verbandsbruder Harald Lönnecker. Als Leiter des Archivs der Deutschen Burschenschaft ist er mehr als nur das Gedächtnis unseres Verbandes. Sein Wirken als Historiker und Autor ist für die Burschenschaft – und auch für die Burschenschaftlichen Blätter – von unschätzbarem Wert. Dirk Taphorn (Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld 2003/04) Dirk Taphorn, Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter Keine drei Jahre ist es her, da stand unsere Deutsche Burschenschaft vor einem Zusammenbruch. Plötzlich sahen wir uns mit Anträgen auf Auflösung oder Vertagung unseres Verbandes konfrontiert, eine ganze Fraktion – so muß man sie nennen – an Burschenschaften drohte mit dem Austritt aus unseren Reihen. Wann genau sich die Zahnräder dieser katastrophalen Entwicklung zu Titelbild Nächste Schwerpunkte Redaktionsschluß Das Burschenschaftsdenkmal und der Anfangstext der Verfassung der Urburschenschaft. Braga Ausgabe 3/2015 berichtet über den Burschentag 2015. Für die Ausgabe 3/2015: 15. Juli 2015 Für die Ausgabe 4/2015: voraussichtlich 15. November 2015 Heft 2 - 2015 51 Mitteilungen der Schriftleitung Burschenschaftliche Blätter drehen begannen, ist für die Sache allerdings genauso strittig, wie – zumindest an dieser Stelle – unerheblich. Nur zwei Feststellungen sind hier und nach Ansicht des Unterzeichners von Wichtigkeit: Erstens waren Kontroversen um Aufnahmekriterien oder um längst verstorbene Theologen keineswegs der Keim des Unheils. Zweitens sind uns viele Personen und ebenso viele Burschenschaften verloren gegangen, welche wir heute durchaus vermissen. Diese zweite Konstatierung ist besonders deswegen von wesentlicher Bedeutung, weil die Bewertung der aktuellen Lage der Deutschen Burschenschaft im Rahmen dieses Aufsatzes recht positiv ausfällt. Die Gründe dafür sehe ich aber ausschließlich in der Kraft, dem Einsatz und der Überzeugung unserer Verbandsbrüder, die sich mindestens seit 2013 unermüdlich für unsere Deutsche Burschenschaft einsetzen und keineswegs im mittlerweile zum Kampfbegriff umfunktionierten, angeblichen „Gesundschrumpfen“ des Verbandes. Jedenfalls war es die undankbare Aufgabe unserer Verbandsbrüder der Wiener akademischen Burschenschaft Teutonia, das Ruder des angeblich sinkenden Schiffes Deutsche Burschenschaft zum Geschäftsjahr 2013 zu übernehmen. Die angedrohten Austritte häuften sich, unsere bekannten Gegner feierten die Entwicklung – keine Überraschung. Nur waren es aber, zu unser aller Betrübnis, auch erstmalig unsere eigenen Brüder, die im Internet interne Unterlagen verbreiteten oder mit Hilfe großer Fantasie Zusammenhänge konstruierten, die jedes Märchenbuch hätten füllen können. Sie alle teilten stets die Freude am angeblichen Ableben der Deutschen Burschenschaft. Allen Erwartungen unserer Widersacher zum Trotz, hielt die Deutsche Burschenschaft aber durch. Nicht nur das: Noch während der stürmischen Zeiten wurden erste Fundamente für die jetzige Arbeit gelegt. Völlig zu Recht wurden die Verbandsbrüder aus Wien also mit Dank, Anerkennung und donnerndem Applaus vom Burschentag 2014 entlastet. Die Deutsche Burschenschaft lebt! Es wäre allerdings zynisch zu behaupten, die Austritte der letzten Jahre wären unmerklich an uns vorbeigezogen und die Kritik der ausgetretenen Burschenschaften völlig unbegründet gewesen. Besonders die Finanzen unseres Verbandes litten unter dem Verlust mehrerer mitgliedsstarker 52 Burschenschaften, aber auch unsere Strukturen und die innerverbandliche Bürokratie mußten einer Überprüfung unterzogen werden. Bei den ganzen Debatten um den Austritt mehrerer Burschenschaften aus unserem Verband war es stets vonnöten, die ausgeübte Kritik der nun ehemaligen Verbandsbrüder inhaltlich zu trennen. Es steht außer Frage, daß wir zu unseren Idealen Ehre – Freiheit – Vaterland stehen und dazu gehört auch die überlieferte Auslegung dieser Termini, die Ecksteine unseres Verbandes. Darüber wird nicht verhandelt! Aber ein business as usual an anderen Stellen hätte uns womöglich tatsächlich zum von unseren Gegnern vorhergesagten Heimgang getrieben. Was nützt uns und unserem Volk, dem wir schlußendlich durch unsere Taten zu dienen versuchen, eine womöglich ersprießliche Debatte über die Alternativlosigkeit der bundesrepublikanischen Europa- oder Einwanderungspolitik, wenn wir binnen weniger Jahre als Verband insolvent wären? Was nützen uns erneute Diskurse über die Einführung der Pflichtmensur oder über die Selbstabschaffung unserer Hochschulen durch die Bologna-Reform – so wichtig diese Fragen auch sein mögen – bei weiterhin wachsender Unzufriedenheit im Verband über die fehlende Transparenz des Verbandsrates oder des Rechtsausschusses, über die fehlende moderne Öffentlichkeitsarbeit oder über das stets umstrittene Beireitungswesen? Dies waren die Fragen, die wir mit der Übernahme des Vorsitzes zum Geschäftsjahr 2015 zu beantworten versuchten. Und ich bin davon überzeugt, auch bevor ich die Ergebnisse des Burschentages 2015 kenne, daß wir sie beantworten konnten. Die Deutsche Burschenschaft ist nicht nur in ruhigere Fahrwasser geraten, sie strahlt Leben aus! Es ist bei weitem nicht die ausschließliche Leistung der Amtsträger des Verbandes, schon gar nicht der derzeitigen Vorsitzenden Burschenschaft, daß die Verbandsbrüder sich bereit erklärten, inhaltliche, politische Debatten zunächst und zugunsten gravierender Strukturfragen zu vertagen. Zum heurigen Burschentag befassen sich über 80 Prozent der gestellten Anträge mit möglichen Einsparungen für die Verbandskasse und solchen Strukturreformen, welche an sich verhältnismäßig diskret ausfallen, potentiell allerdings entscheidende Optimierungen der Verbandsarbeit herbeiführen. Es könnte uns 2015 beispielsweise gelingen, einen Beschluß über die Gründung der lang ersehnten Bildungsakademie der Deutschen Burschenschaft her- beizuführen. Sollte sich eine Mehrheit für die entsprechenden Anträge finden, und sich die geplanten Einsparungen umsetzen lassen, könnte die Deutsche Burschenschaft 2016 erstmalig seit längerer Zeit schwarze Zahlen schreiben. Ebenso erwähnt sei an dieser Stelle die Gründung des Freundeskreises der Deutschen Burschenschaft, eine ebenso lang ersehnte Möglichkeit, uns treu gebliebenen Burschenschaftern die Perspektive einer weiteren Einbringung für die Deutsche Burschenschaft zu bieten. Und die Entwicklung des neuen Auftritts unseres Verbandes im Internet und in sozialen Netzwerken – heute der wohl kürzeste Weg zwischen der Burschenschaft und potentiellem Nachwuchs – schreitet mit großen Schritten voran. Auch die Zahlen sprechen für sich: Im Geschäftsjahr 2015 stehen einer Vertagung vier Reaktivierungen entgegen. Zu den Jubiläumsveranstaltungen anläßlich des Burschentages haben sich nicht nur eine Vielzahl von Verbandsbrüdern, sondern auch zahlreiche Mitglieder anderer Verbände und Korporationen angekündigt. Die Deutsche Burschenschaft ist zwar weiterhin ein Fels in der Brandung, sie steht aber keineswegs alleine da. Die größte Leistung des Verbandes läßt sich aber nicht am Haushaltsplan oder am Organigramm nachvollziehen: Die Deutsche Burschenschaft entwickelt neue Selbstachtung! Die Verbandsbrüder betrachten die Entwicklungen der letzten Jahre zunehmend als eine Phase der Konsolidierung – im Gegensatz zum von unseren Antagonisten prognostizierten melancholischen Ableben. Auf der Mikroebene, dort wo der einzelne Verbandsbruder gefragt ist, werden Burschentage und andere Verbandsveranstaltungen wieder als fröhliches Wiedersehen alter Freunde und als ertragreiche Arbeitstagung verstanden, weniger als anstrengende Neuauflage alter Konflikte. Gerade im Zeichen des 200-jährigen Jubiläums einer Bewegung, die sich im Löwenanteil ihrer Geschichte als Opposition zu den herrschenden Verhältnissen sah, scheint es zunehmend einfacher, verbandsintern das neue Selbstverständnis als nonkonforme Avantgarde zu popularisieren und zu vermitteln. Somit bleibt die Deutsche Burschenschaft weiterhin der einzige relevante Gegenentwurf zum Dasein als freie Burschenschaft. Torben Braga (Jenaische Burschenschaft Germania 2010, Marburger Burschenschaft Germania 2013) Sprecher der Deutschen Burschenschaft im GJ 2015 Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Die Burschenschaft im ersten Halbjahrhundert ihres Bestehens Von Harald Lönnecker „Jubelt, jauchzet Heil der deutschen Burschenschaft! Jubelt, jauchzet unserm deutschen Vaterland!“, hieß es 1915 anläßlich der jahrelang geplanten und dann mehr oder weniger still begangenen 100Jahr-Feier der Burschenschaft. Und weiter: „Denkbar ist das eine nicht ohne das andere, die Burschenschaft erst hat uns das Vaterland geschaffen! Drum laßt uns ihrer heute gedenken mit Herzen voller Liebe, den Sinn aber gestählt für den Kampf ums heilige deutsche Vaterland!“ Die Worte voller Pathetik und Überschwang sind überbordend, aber nicht falsch. Wir wollen sie herunterbrechen auf eine historische Betrachtung, gepaart mit einigen grundsätzlichen Ausführungen und Anmerkungen, vielleicht auch dem einen oder anderen Denkanstoß. Voraussetzungen Zunächst die Voraussetzungen, die Studenten. In der Studentenschaft vereinen sich Aspekte einer juristisch, kulturell und gesellschaftlich relativ geschlossenen Gruppe: das Studententum ist eine zeitlich begrenzte Phase im Leben junger Erwachsener, die ein ausgeprägtes, studentische Traditionen weitergebendes Gruppenbewußtsein aufweisen und daher wenig soziale Kontakte zu anderen Schichten pflegen. Studenten sind familiärer Sorgen weitgehend ledig, auf Grund des deutschen, wissenschaftlichen und nicht erzieherischen Studiensystems in ihrem Tun und Lassen ausgesprochen unabhängig und wegen ihrer vorrangig geistigen Beschäftigung wenig auf vorhandene Denkmodelle fixiert. Besonderen Nachdruck verleihen studentischem Engagement die berufliche, soziale und finanzielle Ungewißheit, der instabile Sozialstatus: Studenten sind noch nicht gesellschaftlich integriert und stehen daher auch Kompromissen weitgehend ablehnend gegenüber. In ihren politischen Ideen und Idealen neigen Studenten deshalb zum Rigorismus. Daraus resultiert, Gegner zu bekehren, oder – wenn das nicht möglich ist – sie niederzukämpfen oder zu vernichten. Zudem: Bis weit in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein begriffen die Gesellschaft wie die Studenten sich selbst als Elite, die als Akademiker die führenden Positionen des öffentlichen Lebens einnehmen würden, woraus letztlich das für eine Avantgarderolle unerläßliche Selbstbewußtsein entstand. Damit einher ging eine anhaltende Überschätzung der eigenen Rolle, aber auch eine Seismographenfunktion gesellschaftli- Heft 2 - 2015 cher Veränderungen. Mehr noch, studentische Organisationen, die akademischen Vereine und Verbindungen, hatten für die politische Kultur des bürgerlichen Deutschland von jeher eine Leitfunktion, spiegeln die Vielgestaltigkeit des gesellschaftlichen Lebens und sind mit den Problemen der einzelnen politisch-gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen verzahnt. Schon der „Rembrandtdeutsche“ Julius Langbehn, selbst Mitglied der Burschenschaft Teutonia Kiel, gab dem Ausdruck in den Sätzen: „Die edelste Gesinnung des deutschen Studenten war von jeher ein Gradmesser für das Wollen des deutschen Volkes; jene sind noch unabhängig und durchweg gesund; sie wohnen gewissermaßen in einem windgeschützten Winkel des modernen Lebens, wo sie noch nicht vor die schlimme Wahl gestellt sind: entweder unterzugehen oder einen jahrzehntelangen, erbitterten Kampf um das materielle Dasein zu führen. Von hier kann darum neues Wachstum ausgehen.“ Bonner Burschenschafter, um 1821 Seit Beginn der mitteleuropäischen Universitätsgründungen im 14. Jahrhundert schlossen sich deutsche Studenten an der Hochschule zusammen. Diese Zusammenschlüsse, die akademischen Verbindungen oder Korporationen, sind keine rein kulturelle Besonderheit der deutschsprachigen Hochschulen, sondern beruhen auf einer besonderen Entwicklung. Sie war seit dem späten Mittelalter durch den modus des freien Wohnens, Studierens und Lebens der Studenten und nicht zuletzt durch Territorialisierung geprägt, die ihren Ausdruck in den Staat und Kirche mit akademisch gebildeten Juristen und Klerikern versorgenden „Landesuniversitäten“ fand. Dies galt nach der Reformation jedoch nicht mehr für die katholisch gebliebenen oder neugegründeten Universitäten, wo Studium und Studenten einem mehr oder weniger strengen Reglement unterworfen wurden. Auf den nicht-katholischen Hochschulen entwickelte sich im 18. Jahrhundert, gebrochen durch die studentische, selbstdisziplinierend und verantwortungsethisch wirkende Reformbewegung ab etwa 1750, der Typus der Korporation, der für das 19. und 20. Jahrhundert bestimmend wurde. Sie war Integrations-, Symbol-, Ritual-, Hierarchisierungs-, Werte- und Weltanschauungssowie Lebensbundgemeinschaft. Da die neuhumanistische Universität Humboldts die selbständige geistige und sittliche Entwicklung des Studenten propagierte und das jugendliche Gemeinschaftsbedürfnis ignorierte, bildete, aber nicht erzog, bot sich diesem Typus ein weites Feld von Ansprüchen, die er sich zu eigen machte und auszufüllen suchte. Verbindung war daher auch ein Bildungsinstrument und Bildungselement, das nach eigenem Verständnis eine Lücke als Korrektiv der akademischen Freiheit ausfüllte und im Rahmen einer innerkorporativen Charakterbildung die wissenschaftlich-berufliche Ausbildung der Universität abzurunden versuchte, zugleich aber auch die Erziehung für die Zugehörigkeit zur Oberschicht der deutschen Gesellschaft bezweckte. In einem Satz: „Die Universitäten unterrichteten, die Verbindungen erzogen.“ Die studentischen Vereinigungen differenzierten sich immer mehr aus. Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts beherrschten Landsmannschaften und Orden die Studentenschaft. Sie stellten einen älteren Korporationstyp dar, korporativ-regionalistisch mit unpolitischer, geselliger Orientierung oder standen unter aufklärerischfreimaurerischem Einfluß. Ihnen trat ab 1815 die Burschenschaft entgegen, ein neuer, assoziativ-nationaler Organisationstypus mit außeruniversitärer Orientierung an Nation und bürgerlicher Freiheit. „Burschenschaft“ bedeutete zuvor nicht mehr als „Studentenschaft“, erst ab diesem Zeitpunkt begann es einen bestimmten Korporationstypus zu bezeichnen, der sich selbst zunächst nicht als solcher verstand, sondern als Gesamtverband der organisier- 53 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Links: Die Fahne der Jenaer Urburschenschaft (Kahla-Fahne) aus dem Jahr 1815 sowie die Fahne der Jenaer Urburschenschaft (Wartburg-Fahne), 1816. Rechts: Fahne, Verfassung, Schwert und Mitgliederliste der Jenaischen Urburschenschaft. ten Studierenden. Dieser Anspruch wurde bis um 1840 aufrechterhalten. Burschenschaft Die ab 1815 von Studenten gegründeten Burschenschaften waren die Avantgarde der deutschen Nationalbewegung. Sie wurzelten in den Freiheitskriegen, stand unter dem Einfluß von Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und Johann Gottlieb Fichte, waren geprägt durch eine idealistische Volkstumslehre, christliche Erweckung und patriotische Freiheitsliebe. Diese antinapoleonische Nationalbewegung deutscher Studenten war politische Jugendbewegung – die erste in Europa – und die erste gesamtnationale Organisation des deutschen Bürgertums überhaupt, deren schwarz-rot-goldene Farben zu den deutschen wurden, die 1817 mit dem Wartburgfest die erste gesamtdeutsche Feier ausrichtete. Auf dem Wartburgfest wurden die „Beschlüsse des 18. Oktober“ formuliert, die erste Formulierung der Grundrechte in Deutschland, die teilweise wortwörtlich in die Reichsverfassungen von 1848/49 und 1919 sowie in das Grundgesetz 1949 einflossen. Die zur nationalen Militanz neigende Burschenschaft, zu einem Gutteil hervorgegangen aus dem Lützowschen Freikorps, setzte ihr nationales Engagement in neue soziale Lebensformen um, die das Studentenleben Stammbuchblatt mit dem Zeichen der Jenaischen Burschenschaft: gekreuzte Schläger, Gründungsdatum (12. Juni 1815), 9 Vorsteher, 21 Ausschußmitglieder, 113 Mitglieder und Wahlspruch „Ehre – Freiheit – Vaterland“, März 1818. von Grund auf reformierten. Aber nicht nur das: Die Studenten begriffen die Freiheitskriege gegen Napoleon als einen Zusammenhang von innerer Reform, innenpolitischem Freiheitsprogramm und Sieg über die Fremdherrschaft. Nationale Einheit und Freiheit wurden propagiert, Mannhaftigkeit und Kampfbereitschaft für das deutsche Vaterland. Dem Wartburgfest, der Gründung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft 1818 als er- Friedensfest der Jenaischen Burschenschaft, 19. Januar 1816. 54 ster deutscher überregionaler bürgerlicher Organisation überhaupt und der Ermordung August von Kotzebues (1761– 1819) durch den Burschenschafter Carl Ludwig Sand (1795–1820) folgten 1819 die Karlsbader Beschlüsse und die Unterdrückung der Burschenschaft. Sie wurde zu einer sich mehr und mehr radikalisierenden Bewegung an den deutschen Hochschulen, die bald mehr, bald weniger offiziell bestand. War in der Urbur- Wartburgfest 1817: Ansprache Ludwig Rödigers auf dem Wartenberg. Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Carl Ludwig Sand. Kotzebues Ermordung durch Sand in Mannheim, 20. März 1819. schenschaft neben der Sicherung des Volkstums nach außen die „Erziehung zum christlichen Studenten“ für den Innenbereich bestimmend gewesen und der Zusammenhang von Wartburg, Luther und Reformation 1817 mehr als deutlich geworden, so ließ der Frankfurter Burschentag 1831 die Forderung nach „christlichdeutscher Ausbildung“ zu Gunsten einer zunehmenden Politisierung endgültig fallen. Der Stuttgarter Burschentag faßte im Auflösung der Urburschenschaft, 25. November 1819. Dezember 1832 einen Beschluß zur Tolerierung und Förderung revolutionärer Gewalt zum Zweck der Überwindung der inneren Zersplitterung Deutschlands. Das mündete in die Beteiligung am Hambacher Fest und am Preß- und Vaterlandsverein – der erste Versuch einer politischen Partei in Deutschland – sowie in den Frankfurter Wachensturm vom 3./4. April 1833, an dem vor allem Heidelberger, Erlanger, Würzburger und Münchner Burschenschafter beteiligt waren, und löste eine neue Welle der Verfolgungen durch die eigens eingerichtete Bundeszentralbehörde in Frankfurt am Main bis in die vierziger Jahre hinein aus, die der älteren burschenschaftlichen Bewegung das Rückgrat brach und den Wiederaufstieg alter Korporationstypen – der Landsmannschaften, sich nunmehr meist „Corps“ nennend – und den Aufstieg neuer ermöglichte, so etwa der jüngeren Landsmannschaften, Heft 2 - 2015 der Turner-, Sänger-, Fach- und konfessionellen Vereine und Verbindungen. Wandlungen Die Burschenschaft der späten 1820er und der 1830er Jahre wandelte sich zusehends. Einmal nahm der Verfolgungsdruck nach dem Frankfurter Wachensturm nochmals stark zu. Dazu veränderte sich das geistige Klima in einer sich herausbildenden bürgerlichen Öffentlichkeit, neue intellektuelle und literarische Strömungen wie die der Junghegelianer – hier war Arnold Ruge (1802–1880) führend, Burschenschafter in Halle, Jena und Heidelberg –, des „Jungen Deutschland“ – den Begriff prägte der Kieler und Bonner Burschenschafter Ludolf Christian Wienbarg (1802–1872) – und der französischen utopischen Sozialisten kamen auf, begleitet von einer fortschreitenden Industrialisierung und tiefgreifenden gesellschaftlich-sozialen Umbrüchen. Der anhaltende Akademikerüberschuß der dreißiger und vierziger Jahre machte ein Studium zum Risiko. Oft war auf Jahre keine Anstellung in Staat und Kirche in Aussicht, was viele Studenten wiederum für die sozialen Probleme der Zeit sensibilisierte. Ausdruck fand dies im „Progreß“, einer in unterschiedlichen Ausprägungen auftretenden burschenschaftlichen Reform- und Erneuerungsbewegung. Hambacher Fest, 1832. Stammbuch Georg Goepfert, Jena, 17. August 1830. 55 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Die Bezeichnung erscheint zuerst 1839 in Göttingen und sollte ursprünglich den naiven Fortschrittsglauben der radikalreformerischen und revolutionären Studenten verspotten. Der Progreß entstand in verschiedenen Ausprägungen um 1840 in Berlin, Heidelberg, Jena und Leipzig und wurde vor allem von den burschenschaftlichen Progreßverbindungen und nichtkorporierten Studenten getragen. Er übertrug die politischen Forderungen nach Freiheit und Gleichheit auf die akademischen Verhältnisse, wollte jegliche studentische Sonderart, den akademischen Elitarismus, Unterschiede zwischen Bürger und Student, Mensurwesen und akademische Gerichtsbarkeit ebenso beseitigen wie auch alle Verbindungen, die durch korporative „Allgemeinheiten“ ersetzt werden sollten. Insofern läßt sich der Progreß auch als Verbindung der Verbindungs-Gegner definieren, ein Paradox, über das sich die Beteiligten selbst vielfach nicht klar waren: „Das Hauptproblem des Progresses war sein ambivalentes Verhältnis zur Verbindung.“ (Thomas Hippler) Letztlich sollte der Widerspruch zwischen Studenten- und Volksleben aufgehoben werden, ersteres sollte vollständig in letzterem aufgehen. Darin spiegelt der Progreß ein allgemeines Charakteristikum der „Bewegungspartei“ in den 1840er Jahren, in der ein demokratischer Radikalismus Volkssouveränität und Gleichheit gegenüber den klassischen liberalen Forderungen wie der Gewaltenteilung in den Vordergrund rückte. Der Progreß war (radikal)national, republikanisch, egalitär, sozial und zuweilen christlich eingestellt, lehnte überkommene Wertvorstellungen, auch sittliche, ab, seine Mitglieder waren in der Revolution von 1848/49 vielfach stark engagiert, er verschwand aber schnell nach ihrem Scheitern. Der Einfluß der Burschenschaft auf das nationale Bewußtsein der Deutschen, ihren Einheits- und Freiheitswillen, ist überhaupt nicht hoch genug zu veranschlagen, vielfach haben die Burschenschaften dieses Bewußtsein erst geschaffen, machten es „Vom Elitebewußtein zur Massenbewegung“ (Wolfgang Hardtwig): viele der führenden Liberalen des Vormärz’ und weit darüber hinaus waren Burschenschafter und in der Revolution von 1848/49 spielte die Burschenschaft noch einmal eine wichtige Rolle. Für den Habitus des deutschen Akademikers war und blieb die Zugehörigkeit weit bis ins 20. Jahrhundert hinein konstitutiv: im Kaiserreich gehörte jeder zweite, Göttinger Mensur, 1823. 1930 noch jeder dritte Student einer akademischen Verbindung oder einem Verein an. Und selbst wer die Burschenschaft ablehnte, verdankte ihr doch viel. In der frühen Burschenschaft waren die evangelischen Theologen die Meinungsführer gewesen, die Burschenschaft war „christlichdeutsch“, insofern auch sozial verpflichtet – ein Aspekt, der aus heutigen Betrachtungen weitgehend verschwunden ist. Noch 1830 erklärte die Breslauer Burschenschaft „alles gewalttätige Eingreifen in das Beste- Ludwig Burger: Frankfurter Wachensturm 3. April 1833, um 1880. 56 hen der äußeren [...] gesellschaftlichen Verhältnisse“ für „gottlos“ und stellte politische und soziale Veränderungen „lediglich der Zeit anheim“. Rund zehn Jahre später, 1841, war von Gott und Christentum nicht mehr die Rede: „Die Extreme der Verbindung gingen bis zum Sozialismus und Kommunismus. Es hatten einzelne Verbindungen mit kommunistischen Gesellenvereinen angeknüpft und als 1848 der Sturm losbrach, stellten sich einzelne Glieder der Verbindung mit an die Spitze der Bewegung.“ Dem Breslauer Vorbild folgten längst nicht alle Burschenschaften, wenn die Tendenz auch überall spürbar war. In der Marburger Burschenschaft durfte 1845/46 keiner „wagen [...], den Glauben an Gott zu äußern, ohne laut ausgelacht zu werden“. In Jena war die Radikalisierung bei weitem geringer, weshalb bei der Breslauer Burschenschaft der Spottvers über die „Jenaischen Brüder“ kursierte: „Wir sind ja noch voll Mut und Kraft, von Gottesgnaden Burschenschaft und haben’s Privilegium auf Sittlichkeit und Christentum.“ Christlich orientierte Hochschüler, zumal die zahlreichen Theologiestudenten, schreckten um 1840 der Rationalismus und Radikalismus in den Burschenschaften vielfach ab. Folglich schlossen sie sich zu eigenen Vereinen und Verbindungen zusammen, im Ergebnis entstanden Wingolf und Schwarzburgbund. Hier wurde eine Strömung sichtbar, die sich als „christliche Verbindung“ oder zuweilen auch „christliche Burschenschaft“ bezeichnete, in erster Linie von evangelischen Theologiestudenten – nach wie vor die Mehrzahl der Studenten, evangelische Theologie war das „Aufsteigerfach“ des 19. Jahrhunderts – getragen wurde und die unter Reform vor allem die Rückbesinnung auf die christlichen Grundlagen verstand. Diese Bewegung begriff sich als in der Kirche verankert und mit ihr Heft 2 - 2015 Schwerpunkt verbunden. Dort knüpfte eine Erweckungsbewegung an ein pietistisches Erbe an, für die das Dringen auf persönliche Bekehrung und Frömmigkeit sowie die aktive Betätigung des Glaubens, der Missionseifer, die Wiederentdeckung der Kirche und der Übergang zu verschiedenen Ausprägungen des Konfessionalismus und der Orthodoxie charakteristisch war. Auf der anderen Seite wohnte diesen Einstellungen der Hang zum Beharren inne, ein tiefes Mißtrauen gegen neue Entwicklungen und eine unbedingt anti-revolutionäre und damit staatstragende Haltung. Sie war nach 1870 mit dem nun staatstragenden burschenschaftlichen Nationalismus kompatibel, nicht aber mit dem burschenschaftlichen Liberalismus. Und schon gar nicht mit dem Bekenntnis zur unbedingten Satisfaktion und sich mehr und mehr steigernden Mensuranforderungen, die in dieser scharfen Ausprägung nicht zum burschenschaftlichen Herkommen gehörten, sondern von den sich im Kaiserreich als Sieger der Geschichte gerierenden Corps adaptiert worden waren. Und je mehr Studenten studierten, um so mehr mußten die Anforderungen steigen, gerade neue Verbindungen und Vereine wurden die schärfsten Fechter. Soziale Inferiorität ließ sich über die Mensur kompensieren. Burschenschaftliche Blätter V. Bülow: Burschenschafter im Berliner Barrikadenkampf, 1848. Generation erfolgte durch die Älteren, beispielhaft sei hier der Hauptredner des Wartburgfestes genannt, Heinrich Arminius Riemann (1793–1872), Lehrer des niederdeutschen Dichters und Burschenschafters Fritz Reuter (1811–1874), der Riemann in „Hanne Nütes Abschied“ ein literarisches Denkmal setzte. Des alten Leipziger Burschenschaft, 1848. Auswirkungen Politisch, sozial, kulturgeschichtlich, theologisch, korporativ oder wie auch immer sind die Auswirkungen burschenschaftlichen Engagements bemerkbar. Wer 1815 oder 1820 Burschenschafter war, engagierte sich ab 1821 im Zeichen des Philhellenismus für Griechenland sowie in Gesang- und Turnvereinen als den Säulen, die der deutschen Nationalbewegung eine Massenbasis gaben, ab 1830 auch in Polenvereinen. Die Gewinnung der jungen Heft 2 - 2015 Pfarrers „Ich würde doch nach Jena gehen“ ist nicht nur ein Bekenntnis und eine Erinnerung an ein spezifisches Standesund Elitebewußtsein, sondern auch an eine Zeit der individualisierten Freiheit, verbunden mit der Inanspruchnahme, ja Anmaßung von Sonderrechten, die unter dem Begriff der „akademischen Freiheit“ subsumiert werden, hinter der ein Verständnis von Freiheit und Ungebundenheit steht, die das Überschreiten und den Verstoß gegen bürgerliche Verhaltenscodices in einem eigenen Wahrnehmungs-, Erlebnis- und Handlungsrahmen als „normal“ definiert. Kurz: Der Student durfte – und darf – nach eigenem Verständnis lärmen und trinken, gleichgültig, was andere daran auszusetzen hatten. Es handelte sich um zur akademischen Lebensform gehörende ritualisierte Provokationen, um ein deviantes Verhalten, das konstitutiv für die Gruppenzugehörigkeit war. Dafür bestraft zu werden, zog weder Bußfertigkeit noch Reue nach sich, sondern erzeugte vielmehr soziale Reputation in den eigenen Kreisen, galt nicht als ehrenrührig. Bürgerliche Ordnungsvorstellungen wurden ironisch umgekehrt: Die gemeinsam geteilte Sinnverdrehung konstituiert, bezogen auf die rituelle Gemeinschaft, einen neuen Sinn. Andererseits, und das ist nicht ohne Paradoxie, bleibt die – auch karnevaleske – Verdrehung oder Umkehrung bürgerlicher Verhaltensnormen immer im sozialen Rahmen des Bürgertums und bestätigt damit eben diese bürgerliche Ordnung. Student zu sein bedeutet die Möglichkeit der Zugehörigkeit zur Gruppe künftiger Entscheidungsträger, der Wissen und Leistung kumulierenden Akademiker, kurz: Elite zu sein. Burschenschafter zu sein vermehrt dies um das politische Element. Beiden innewohnend ist die korporative Struktur. Wolfram C. Kändler veröffentlichte 2009 seine Dissertation „Anpassung und Abgrenzung. Zur Sozialgeschichte der Lehrstuhlinhaber der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und ihrer Vorgängerakademien 1851 bis 1945“. Es handelt sich um eine aufschlußreiche Gruppenbiographie. Der Autor kam aber überhaupt nicht auf den Gedanken, seine Protagonisten auf Korporationszugehörigkeit zu überprüfen, was weitere erhellende Netzwerke und Zusammenhänge offenbart hätte. Dem Nichtzugehörigen blieb etliches verschlossen, denn über die Zugehörigkeiten wird erkennbar, warum 57 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter same Vergangenheit war stets präsent: „Daß es nach der Feier für die Ankunft des Erzherzogs Johann unter den Nationalversammlungsabgeordneten zu einem spontanen Trinkgelage nach den Ritualen der Burschenschaft kam, ist ganz bezeichnend. Ihr Sozialisationsalter oder genauer die Erinnerung an dort entwickelte politische Werte waren den Abgeordneten so präsent, daß sie sich als zusammengehörig erlebten.“ Tief prägend war die gemeinsam erlebte Zeit, als man für das Tragen der deutschen Farben „fast mit Zuchthaus zu büßen fürchten, und Relegation und Festungsarrest dafür als Gnaden ansehen musste“. Pereat oder Katzenmusik, Wien 1848. man sich später, als Akademiker nach dem Studium, an bestimmte Personen hielt und sich an sie als Ansprechpartner wandte. Dies besonders dann, wenn bestimmte Freundeskreise gesellschaftlich oder politisch wirkungsmächtig wurden. Teilweise kannte man sich schon „aus der Schulzeit am selben Gymnasium, teilweise im selben Jahrgang“. Viele waren „miteinander vertraut [...] Sie festigten dies Verhältnis durch Zugehörigkeit zur gleichen Burschenschaft oder pflegten, wenn sie an verschiedenen Orten studierten, untereinander brieflich zu verkehren und sich gegenseitig zu besuchen. Sie erweiterten den Kreis ihrer Freunde und Gleichgesinnten durch gemeinsame burschenschaftliche Aktivität und durch den Wechsel der Universitäten und die damit verbundene Mitwirkung im neuen burschenschaftlichen Umfeld. So bildete sich ein Netzwerk der Kommunikation und Nahverhältnisse, in das viele [Studenten, H. L.] einbezogen waren.“ (Kurt Selle) Untersucht worden ist dies mit Hilfe von Stammbuchblättern bisher nur im Falle der „Seilschaften des Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn, die Analyse eines Jenaer Albums aus der Zeit um 1840 erscheint in diesen Tagen. Deutlich wird in allen Fällen das Beziehungsgeflecht einer bürgerlichen Elite, die durch gemeinsame edukative Sozialisation geprägt ist. Im Gegensatz zum ausgehenden 18. Jahrhundert und den zeitgleich sich etablierenden Corps und jüngeren Landsmannschaften erfolgt die gesellschaftliche Verflechtung bei den Burschenschaften aber nicht nur sozial, durch gemeinsame Identität und Mentalität, sondern auch kulturell, zivilisatorisch und politisch, durch eine gemeinsame Zielvorgabe, einen ideologischen Gleichklang. Zur weiteren Verdichtung tragen gemeinsame Weltbilder, Interessen, Zukunftsentwürfe und identische Kommunikationsmuster bei sowie das Bewußtsein, das Momentum der Geschichte auf seiner Seite zu haben. Das wirkte sich in einer erstaunlichen Bereitschaft aus, das persönliche Fortkommen zu 58 Gunsten der politischen Betätigung zurückzustellen. Man empfand sich gegenseitig als glaubwürdig und authentisch, woraus wiederum Zusammenarbeit, Verständnis, Affinität, Vertrautheit und Freundschaft entstand beziehungsweise entstehen konnte. Übereinandergelegt und quer über Dritte und Vierte verbunden, ergaben die vielen verschiedenen Linien ein Netz, das seine Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit immer wieder bewies. Mentale Nähe nivellierte noch nach Jahren die geographische Distanz und wurde wirkungs- und politikmächtig, erhielt Relevanz. Besonders deutlich wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49: Etliche Abgeordnete kannten sich bereits aus Studienzeiten und redeten sich als Bundesbrüder vertraulich „Du“ an. Korporative Wendungen in den Debatten waren häufig und wurden verstanden, etwa wenn ein Abgeordneter einen anderen als „auf dem parlamentarischen Fechtboden der gewandteste Schläger“ bezeichnete. Die gemein- Zurück blieben nach der Revolution Burschenschaften, die sich neu zu orientieren suchten. Einer ihrer Stichwortgeber und Wegweiser wurde der Göttinger und Jenaer Burschenschafter August Ludwig von Rochau (1810–1873). Er mahnte mit einem von ihm geprägten Begriff „Realpolitik“ an und schrieb 1853 mit der Erfahrung von 1848/49, die Einheit Deutschlands könne „nicht die Idee, nicht Verträge herbeiführen“, sondern „nur eine überlegene Kraft, welche die übrigen verschlingt“. „Bürgertum und Kaisertum“, so schloß Rochau, „müssen vereint dieses Werk vollenden, und nur Preußen kann solches durchführen.“ Dabei dachte er auch an eine militärische Lösung. Er zeichnete eine Entwicklung vor, die in den späten sechziger Jahren in den Anschluß an Bismarck mündete, der, beherrscht vom Gedanken der Sicherung der innen- wie außenpolitischen Macht der preußischen Monarchie, den Weg der Einigung Deutschlands beschritt, dabei mit Hilfe von Diplomatie und Militär die bürgerliche nationale und liberale Bewegung überspielte und durch die kleindeutsche Lösung der nationalen Frage zugleich ihres wichtigsten Zieles beraubte. Entsprechend hat die Burschenschaft des Kaiser- Wartburgfest 1848. Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter und Zielen orientierten Turner. Sie kennzeichnete ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein und scharfe Abgrenzung von Andersdenkenden und denen, deren Hauptinteresse nicht unbedingt der Politik galt. Als „Lichtenhainer“ – benannt nach ihrem Stammlokal in Lichtenhain bei Jena – schlossen sich die Anhänger landsmannschaftlicher Gebräuche zusammen, des Fechtens und Trinkens. Sie galten als die „Konservativen“, als Turn- und potentielle Reformgegner. Von hier führt die politische Genealogie weiter zu „Germanen“ und „Arminen“ der Zeit um 1830: die „arministische Richtung“ lehnte jede aktive politische Betätigung und Einmischung ab. Die Hochschüler sollten vielmehr erst sittlich reifen, die Studienzeit sollte der Vorbereitung dienen, um später das politische Geschehen mit- und umgestalten zu können. Anders die „germanistische Parteiung“, die die aktive, möglicherweise auch gewaltsame Partizipation an politischen Prozessen in den Vordergrund stellte. Studenten, die diese Schule durchlaufen und zu Akademikern geworden waren, waren die Politiker von 1832 in Hambach, von 1848 in der deutschen Revolution und ab 1861 in der Reichseinigungsära. Besprechung auf dem Wartburgfest 1848. reichs sich gewandelt, war eine andere als die des Vormärz. Wir sahen, vom persönlichen Engagement in der Burschenschaft führte der Weg ins sich als un- oder apolitisch verstehende, aber politisch agierende Vereinswesen: Sänger, Turner, Philhellenen, Polen. Von dort war es nur ein kleiner Schritt zum direkten Eingreifen ins politische Leben, in der Regel mittels einer Partei. Parteien sind organisiertes Interesse, als erster Versuch einer Partei in Deutschland gilt der Preß- und Vaterlandsverein um 1830. 1848 gab es noch keine Parteien, wohl aber Wahlvereine. 1861 wurde in Preußen die Fortschrittspartei als erste deutsche Programmpartei gegründet, von der sich 1867 die aufstrebende und erfolgreiche Nationalliberale Partei abspaltete, eine Partei des bürgerlichen Liberalismus, die zur Unterstützung von Bismarcks durch Tradition, Legitimität und Autorität gekennzeichneten Politik bereit war. Im Grunde fand sich hier die Mehrheit der burschenschaftlichen Realpolitiker zusammen, die sich mit dem Gegner von 1848 arrangierte und für die die deutsche Einigung und Einheit im Vordergrund stand bei zumindest zeitweiliger Hintanstellung freiheitlicher Vorstellungen und Postulate. Nur der linke Flügel der Partei und die Linksliberalen, der Freisinn, setzten etwas andere Prioritäten, eine Spaltung, die sich in der Weimarer Republik mit Deutschdemokraten und Deutscher Volkspartei fortsetzen sollte. Die Wurzeln dieses Parteiwesens reichen aber, was kaum jemand bewußt ist, weit in Heft 2 - 2015 die burschenschaftliche Geschichte zurück. In der Jenaischen Burschenschaft bildeten sich um 1816 zwei gegensätzliche Lager heraus, die „Altdeutschen“ und die „Lichtenhainer“. Erstere setzten sich für Reformen des studentischen Lebens und für zivilisierende Maßnahmen – die „Verbesserung der Sitten“ – ein, zu ihnen zählten vornehmlich die stark an politischen Themen Wir stehen also in einer großartigen Tradition. Nur müssen wir sie auch in ihrer ganzen Vielfalt annehmen, wozu allererst ihre Kenntnis gehört. Schließen möchte ich mit Ovid: „Laudamus veteres, sed nostris utimur annis!“ (Ov. Fast. 1,225) – Wir loben die alten Zeiten, leben aber in unseren! – Bedenken wir dies und lernen wir daraus! Unser Autor Verbandsbruder PD Dr. Dr. Harald Lönnecker, geboren 1963, Alter Herr Normannia-Leipzig zu Marburg, Normannia Leipzig, Germania Kassel, Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken (EM) sowie S! Normannia-Danzig Braunschweig (EM), studierte Geschichte, Rechtswissenschaft, Evangelische Theologie, Geographie, Volkskunde, Lateinische Philologie und Germanistik in Marburg, Gießen, Heidelberg, Freiburg i. Br. und Frankfurt a. M. Er promovierte 1989 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über das spätmittelalterliche Notariat, dann zum Dr. iur. mit einem vereinsrechtlichen Thema. An das Referendariat schlossen sich Tätigkeiten beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr in Freiburg i. Br. und bei der Konrad-Adenauer-Stiftung an. Seit 1995 ist er im Bundesarchiv tätig, erst in Frankfurt a. M., dann in Koblenz, wo er das Archiv und die Bücherei der Deutschen Burschenschaft leitet. Er ist Vorstands- und Beiratsmitglied der Stiftung Dokumentationsund Forschungszentrum des deutschen Chorwesens – Sängermuseum Feuchtwangen und der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte e. V. (GDS), Mitherausgeber des „GDS-Archivs für Hochschul- und Studentengeschichte“ und der „Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert“, Kurator der Stiftung deutsche Studentengeschichte (SDS) sowie des Instituts für deutsche Studentengeschichte (IDS) an der Universität Paderborn. Nach der Habilitation wurde er 2015 zum Privatdozenten am Institut für Europäische Geschichte der Technischen Universität Chemnitz ernannt. Er trat mit zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte von Universität und Studenten hervor. 59 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Die Deutsche Burschenschaft vor 100 Jahren (1915) und in der Weimarer Republik Von Helma Brunck Die plötzliche Mobilmachung im August 1914 stellte die Angehörigen aller Korporationsverbände und auch die nicht Korporierten auf eine harte Probe. Während des Ersten Weltkrieges zeichneten sich die Studenten allgemein, ganz abgesehen von den reformerischen Impulsen, die bereits der Allgemeine Deutsche Burschenbund (ADB)1 und auch die Deutsche Burschenschaft (DB)2 in den Jahren davor gesetzt hatten, durch eine plötzlich erstarkende vaterländische Gesinnung aus. Eine Aufbruchsstimmung entstand, die an die Zeit von vor 100 Jahren erinnerte, als die Studenten in die Befreiungskriege gezogen waren. Standesdünkel wich einem ausgeprägten standesübergreifenden Sozialverhalten, gefolgt von gegenseitiger Wertschätzung. Dieser Krieg bedeutete für die Studierenden, wie es Frank Grobe (Teutonia Aachen) einmal treffend formulierte, eine „integrativ wirkende Zäsur“3. Der ständige Kampf Schulter an Schulter verdrängte allmählich die bisher zur Gewohnheit gewordenen klassenfördernden Privilegien und zog eine neue Dimension im Verhältnis zwischen Studenten und Arbeitern nach sich. 19.643 von jungen und alten Burschenschaftern waren ins Feld gezogen, 3.256 opferten, gemäß dem damals allgemein verbreiteten Wahlspruch: „Mit Gott für Kaiser und Reich“ ihr Leben für das Vaterland. Dank der bei der Deutschen Burschenschaft sorgfältig geführten Mitglieder- und Gefallenenlisten läßt sich diese Zahl statistisch gut belegen. Auf dem Ehrenfriedhof bei Langemarck erinnert noch heute der flandrische Langemarck-Weihestein von 1932 an die Gefallenen aus den Reihen der Deutschen Burschenschaft. Der sogenannte „Langemarck-Mythos“ wirkte bis in die 1920er und 1930er Jahre nach und wurde in nationalsozialistischer Zeit instrumentalisiert, indem immer wieder durch den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) auf den „volksgemeinschaftlichen Charakter“ der LangemarckKämpfer – darunter vorwiegend junge Studenten, die 1914 angeblich begeistert „zu den Fahnen eilten“ – hingewiesen wurde. Verbandsbrüder, die nicht eingezogen wurden, zeigten sich solidarisch, indem sie für das Rote Kreuz eine größere Geldsumme spendeten oder sich der Verwundeten annahmen. Viele Verbindungshäuser wurden als Lazarette eingerichtet. Für die Kriegszeit wurde ein „Geschäftsführender Ausschuss der Deutschen Burschenschaft“ eingesetzt, 60 der sich am „Vaterländischen Studentendienst“ beteiligte. Die zum Wehrdienst nicht fähigen Studenten konnten sich auf diese Weise in der Pflege der Verwundeten, im Lazarettunterricht, in der Flüchtlingsfürsorge und in der Jugendpflege bewähren. Der 100. Gründungstag der Burschenschaft 1915 „Du hundertjähr’ge Burschenschaft, Eichbaum aus Weltsturmstagen…“4, dichtete Walter Flex (Bubenruthia Erlangen). Denn die mit großer Akribie vorbereitete 100-Jahrfeier der Burschenschaft konnte infolge des Krieges nicht in dem ursprünglich vorgesehenen Rahmen stattfinden und wurde still begangen. Der Rüdesheimer Verband deutscher Burschenschaften (RVdB) stellte seine Geschäftstätigkeit ein, an verschiedenen Frontabschnitten wurden durch die VABen oder einzelne Mitglieder kleinere Veranstaltungen organisiert. Immerhin gelang es, am 12. Juni 1915 eine gemeinsame Feier von DB und RVdB mit knapp 600 Teilnehmern zu veranstalten, auf der die Burschenschafter in einer Depesche ihre „unverbrüchliche Treue zu Kaiser und Reich“ bekundeten und „die Hoffnung auf einen Sieg der deutschen Waffen“ unterstrichen. Mit Wilhelm II. herrschte inzwischen ein gutes Einvernehmen, und er dankte den Burschenschaftern ausdrücklich für ihren Einsatz. Daß diese Feier doch von großer emotional begründeter Nachhaltig- keit begleitet war, zeigen mehrere Gedichte in den damaligen Burschenschaftlichen Blättern, darunter „Schwarzrotgold (1815– 1915)“ von Adolf Ey (Brunsviga Göttingen), „Vor hundert Jahren (Zum 12. Juni 1915)“ von August Sturm (Arminia a. d. B. Jena) und „Hundert Jahre“ von Karl Grube. In allen drei Gedichten kommen die traditionellen Wertbegriffe der Burschenschaft, die Freiheit, die Ehre und das Vaterland sowie die burschenschaftlichen schwarz-rotgoldenen Farben vor. Nicht zu verkennen sei dabei aber auch der militante Charakter in allen drei Fällen. Die Erinnerung an die Befreiungskriege lebte wieder auf und natürlich der Wille zum Sieg! Das Gedicht „Hundert Jahre“ von Karl Grube deutete bereits auf die weitere Entwicklung des burschenschaftlichen Geistes in den 1920er Jahren vor allem in der zweiten Strophe hin: „Hundert Jahre…doch ewig jung, Bronnen aus frischer Begeisterung, Stahlblock der völkischen Eigenart, wo uns das Beste der Deutschheit bewahrt."5 Hier wird schon klar auf die Ausbreitung des völkischen Denkens in der Burschenschaft hingewiesen, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre immer stärker wurde. Auch heroisierende Weisen wurden angestimmt. So betonte Walter Flex (1887–1917) in seinem Gedicht „Der Burschenschaft ins Stammbuch“, gedichtet „An der Kolnizanka, Juni 1915“ in der ersten Strophe: „1. Du hundertjähr’ge Burschenschaft, Eichbaum aus Weltsturmstagen, Du pran- 100-Jahr-Feier der Deutschen Burschenschaft im Lazarett Aure (Champagne), 1915. Heft 2 - 2015 Schwerpunkt gest königlich in Kraft, Nun stehst du sturmzerschlagen.“ In der fünften und letzten Strophe kommen deutlich die militanten Züge zum Ausdruck, die später auch die Deutsche Burschenschaft während der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus‘ übernahm: 5. „Das Wutjahr rast, das Blutjahr tobt, Einst wird der Tag erscheinen, Da man den Gott des Glutjahrs lobt in heil’gen Eichenhainen!“6 Gerade anläßlich dieser Jahrhundertfeier deutete schon vieles darauf hin, daß es in absehbarer Zeit auch zu einem Zusammenschluß der DB mit dem RVdB und der Burschenschaft der Ostmark (BdO) kommen würde, der vier Jahre später, als der Krieg zu Ende war, tatsächlich vollzogen wurde. Angesichts der Tatsache, daß allein von den bis dahin 2.291 eingerückten österreichischen Burschenschaftern bereits 94 gefallen waren, wurde am 12. Juni 1915 unter anderem der Beschluß gefaßt, zu Ehren der gefallenen ostmärkischen Burschenschafter einen Gedächtnisturm an der Donau zu errichten. Ansonsten gab es keine größeren Zusammenkünfte auf Verbandsebene mehr. Der letzte (= 15.) Burschentag hatte vom 3. bis zum 8. Juni 1914 stattgefunden. Auf der Tagesordnung stand unter anderem die Neubearbeitung von Verbandssatzungen. Erst nach Kriegsende fanden wieder regelmäßig Burschentage statt. Neue Herausforderungen nach dem Ersten Weltkrieg Der Untergang des Kaiserreichs brachte auch für die Studierenden durch das plötzlich hereinbrechende „Akademikerelend“ Heft 2 - 2015 Burschenschaftliche Blätter und das Gefühl einer politischen Entwurzelung, bedingt durch die Flucht Kaiser Wilhelms II. ins niederländische Exil, eine völlig veränderte Situation mit sich. Gerade in der Zeit zwischen 1918 und 1920 überschnitten sich die Ereignisse in bislang nicht gekannten Ausmaßen. Die zahlreichen Initiativen der organisierten und nicht organisierten Studentenschaft bewiesen Empathie und eine zunehmende soziale Trendwende innerhalb des bisher eher „sorgenfreien“ Studentenlebens. Ohne das vorangegangene Kriegserlebnis wäre das wohl nicht in so kurzer Zeit möglich gewesen. Als auffallend motiviert zu zukunftsweisenden strukturellen Veränderungen für das Verbindungsleben tat sich die Deutsche Burschenschaft hervor. In den Burschenschaftlichen Blättern, aber auch in den Bundeszeitungen einzelner Burschenschaften wurde ab dem Wintersemester 1918/19 stets auf die sich drastisch verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen für ein Studium und die geringen Aussichten auf eine angemessen bezahlte Stelle hingewiesen. Appelliert wurde jetzt an die Studierenden, mehr eigene Verantwortung zu zeigen und mehr Eigeninitiative zu übernehmen. Das sollte auch im Interesse der Gemeinschaft erfolgen, während Individualismus und Akademikerdünkel in den Hintergrund treten sollten. Aufgrund gleicher Bildungsund Aufstiegsmöglichkeiten sollten bisherige Klassenunterschiede verschwinden. Konkret wäre der bereits im April 1915 durch den Burschenschafter und Schriftleiter der BBl von 1898 bis 1921, Hugo Böttger (Arminia a. d. B. Jena), zur Kriegsbeschädigtenfürsorge gegründete Akademische Hilfsbund (AHB) zu nennen, der nach Kriegsende bis 1925 zur Berufsberatung und Stellenvermittlung diente. Unter Böttgers Vorsitz und im wesentlichen danach unter burschenschaftlicher Lenkung entstand auch der Reichsausschuß der Akademischen Berufsstände (RAB) zwischen 1918 und 1920, der, ähnlich wie eine Gewerkschaftsorganisation, für wirtschaftliche und soziale Unterstützung der „studierenden Arbeiter“ und für eine den damaligen Umständen entsprechenden Stellenvermittlung sorgen sollte. Die Technische Nothilfe bewährte sich bald als wirtschaftlicher Verband angesichts der anhaltenden Streiks zur Versorgung der Bevölkerung auf breiter Grundlage. Während die Deutsche Burschenschaft mit ihren Initiativen eher damals zur rechten Gegenseite tendierte, entstanden aus vorwiegend linksgerichteten Kreisen und sozialistischen Gruppen so genannte Studentenräte in Berlin, München, Leipzig und Breslau, aus der „Finkenschaft“ (=Freistudenten) und aus der Jugendbewegung bildeten sich 1918 eine Sozialistische Studentenpartei in Berlin sowie eine Gruppe sozialistischer Akademiker in München. Die seit einem halben Jahrhundert existierenden Allgemeinen Studentenausschüsse (AStA) passten sich durch Einführung von Zwangsmitgliedschaft mit Zwangsbeiträgen sowie mit allgemeinem und direktem Wahlrecht der neuen Situation an. Hieraus bildete sich im Juli 1919 in Würzburg als Dachorganisation die Deutsche Studentenschaft (DSt). Die Deutsche Burschenschaft wollte sich als „führend“ unter den Korporationsverbänden hervortun. Der Begriff „Führer“ tauchte ab sofort in der burschenschaftlichen Presse auf7. Gemeint war hiermit natürlich die Heranbildung junger Aktiver zu Persönlichkeiten, die imstande waren, 61 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter führende Positionen zu bekleiden. Mehr politische Verantwortung, schon durch die Herabsetzung des Wahlalters auf 20 Jahre, wurde angemahnt. Als weiteres wichtiges Kriterium stand damals die „Volksgemeinschaft“ auf dem Plan, in der aufgrund gleicher Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten die bisherigen Klassenunterschiede verschwinden sollten. Die Begriffe „Volkswohl“ und „Volksgemeinschaft“ wurden nach Kriegsende8 zunehmend richtungweisend. Sie deuteten aber schon auf das völkische Bewußtsein hin, das sich in den Folgejahren zunehmend ausweitete. Es ging nicht mehr allein um die Interessen der Studierenden, denn die Ziele der Deutschen Burschenschaft gingen weiter: – Mehr politische Bildung und mehr Engagement für die junge Republik – Verbot von Parteinahme! Die Deutsche Burschenschaft (DB) verpflichtete sich zur Neutralität und wollte keiner der damaligen Parteien besonders nahestehen, distanzierte sich aber spürbar von Bolschewismus und Kommunismus – „Vaterländische Gesinnung“, denn das Vaterland sollte über der Partei stehen – Großdeutscher Gedanke – Erziehung der Mitglieder der DB zu Persönlichkeiten, zu zielbewußten „Führern“, auch in der Zukunft – Die soziale Idee, eine „Volksgemeinschaft“ ohne Privilegien – Seit Juli 1919: eine allmähliche Abkehr von der Weimarer Republik, nicht zuletzt wegen des Versailler Diktats und der damit verbundenen tiefen Demütigung Deutschlands. Die neue Regierungsform weckte zunächst große Hoffnungen, entsprach sie doch ganz den liberalen urburschenschaftlichen Vorstellungen von einem in Einheit und Freiheit reifenden nationalen und nicht von selbstherrlichen Fürsten gelenkten Deutschland. Der „Politisierungsausschuss“ der Deutschen Burschenschaft forderte Ende 1918 unter anderem die „unverzügliche Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung von Abgeordneten aus allen Ländern, die aus freiem, unbehindertem Beschluss zu Deutschland gehören wollen“, dann die „ungehinderte Ausübung des Wahlrechts für alle Wähler“ und „Wahlpflicht für alle Wahlbeteiligten“. Die Burschenschaften setzten sich für „frisches Blut in der Nationalversammlung“, für die „Vertretung von Frauen“ sowie für die „Gleichberechtigung aller Deutschen beiderlei Geschlechts“ ein9. Mit ebenso großer Aufmerksamkeit verfolgte die DB die deutsche Außenpolitik. Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programm mit annehmbaren Friedensregelungen, von der Akademikerschaft, so auch von den Burschenschaften akzeptiert, wurde von den übrigen Siegermächten verletzt, so die DB in einem Telegramm an die Nationalversammlung im Mai 191910. Im- 62 mer wieder wurde in den BBl vom Sommersemester 1919 zu den außenpolitischen Konzepten Stellung bezogen, da sie sich angeblich zunehmend von Wilsons 14 Punkten auf Kosten des besiegten Deutschland entfernten. Als weiteres Kriterium kam die seitens der Niederlande geplante Auslieferung des bis 1918 regierenden Kaisers Wilhelm II. hinzu, zu dem die Burschenschaft zuletzt ein gutes Verhältnis pflegte. In einer Denkschrift an die Reichsregierung, an die niederländische Regierung und an die Nationalversammlung betonten zwei Professoren (Burschenschafter) ausdrücklich, daß die Unverletzlichkeit des Souveräns (hier Wilhelms II.) selbst durch den Kriegszustand nicht aufgehoben und die Niederlande zur Auslieferung Wilhelms zwecks Aburteilung vor einem internationalen Gericht nicht berechtigt seien.11 Der großdeutsche Gedanke, der schon eine längere Tradition besaß und auf die alldeutsche Bewegung, namentlich auf den Einfluss von Georg Ritter von Schönerer (1842–1921) mit seinem deutschnationalen Programm, gefolgt von grenzenloser Bismarckverehrung, zurückzuführen ist, lebte in dieser Zeit wieder auf. Besonders die Burschenschaften wurden davon schon im Habsburgerreich stark geprägt, und sie wurden überzeugte Verfechter deutschnationaler und alldeutscher Ideen, die sie besonders konsequent und kompromißlos vertraten und damit dank eines starken Netzwerkes erstaunlich hohe Breitenwirkung erzielten. Nicht von ungefähr kam daher nach Kriegsende der sehnlichste Wunsch nach einem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich wieder auf, der allerdings erst 1938 realisiert wurde. Diesem politischen Ereignis kam die Burschen- schaften“ (RVdB) auf dem außerordentlichen Burschentag in Berlin am 4. Januar 1919 kam es auf dem (ordentlichen) Burschentag in Eisenach vom 3. bis zum 6. August 1919 zur Vereinigung der Deutschen Burschenschaft und der Burschenschaft der Ostmark (BdO), wovon auch in der burschenschaftlichen Presse ausführlich berichtet wurde12. Durch die Friedensverträge von Versailles (28. Juni 1919) und St. Germain (10. September 1919) mit dem Anschlußverbot „Deutsch-Österreichs“ an das Deutsche Reich wurden zunächst alle Hoffnungen auf einen Zusammenschluß auch auf politischer Ebene – unter großem Protest der österreichischen Nationalversammlung – zerschlagen. Es blieb jedoch weiterhin ein Herzensanliegen der Österreicher, mit dem deutschen Mutterland vereinigt zu werden, da sie sich gemeinsam mit den Deutschen als „ein Volk“ von gleichem Stamme sahen. Abkehr von der Republik und Ausbreitung des völkischen Denkens Enttäuscht wandten sich Korporierte und Freistudenten, vor allem aber Burschenschafter, allmählich von der Regierung schon im Frühstadium der Weimarer Republik ab. Von „Erfüllungspolitik“ war plötzlich die Rede, und Deutschland hatte aufgrund des Friedensdiktats von 1919 sehr hohe Gebietsverluste hinzunehmen, die nicht nur zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einbußen führten, sondern auch das Selbstwertgefühl des besiegten Deutschland erheblich schmälerten. Immer wieder war von der „Zerstückelung Deutschlands“ die Rede. Die DB, aber auch andere Korporationsverbände wie die Corps (KSCV), die Landsmannschaften (DL) sowie die Vereine Deutscher Studenten Ostpreußen-Fahrt 1932 mit Tannenberg-Denkmal im Hintergrund (Ausschuß für Vaterländische Arbeit). schaft auf Verbandsebene bereits 1919 zuvor. Nach der Verschmelzung der DB mit dem seit 1905 unter dieser Bezeichnung existierenden und 37 Bünde an Technischen oder Tierärztlichen Hochschulen sowie an Forstakademien umfassenden „Rüdesheimer Verband deutscher Burschen- (VVDSt) fanden es inakzeptabel, daß man sich in derart einschneidender Weise selbst bei einem besiegten, „wehrlos gemachten Volk“ über ethnische Gegebenheiten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker hinwegsetzte. Vor allem die Abtrennung der Gebiete im Osten vom Reich, darunter Heft 2 - 2015 Schwerpunkt das als „Kulturgebiet von den Deutschen geschaffene“ Westpreußen, dann Ostpreußen sowie Deutsch-Böhmen durch die Sudetengrenze, gefolgt von Oberschlesien und Südtirol, gerieten heftig in die Kritik und veranlaßten vor allem die DB dazu, sofort Konsequenzen daraus zu ziehen. Die anfängliche Bereitschaft, die Regierung durch den Anschluß an Zeitfreiwillligenverbände zu unterstützen und an Grenzlandkämpfen in Kärnten, in der Steiermark (1920) und in Oberschlesien (1921) teilzunehmen sowie Freikorps zu bilden, schlug Burschenschaftliche Blätter ten. Der von dem Studienrat Dr. phil. Georg Kleeberg (1887–1931, Germania Marburg) seit 1923 geleitete, aus dem bereits im Jahr 1919 gegründeten sogenannten „Politisierungsausschuß“ der DB hervorgegangene „Ausschuß für vaterländische Arbeit“ zielte auf eine Unterweisung der Burschenschaften im „vaterländisch-politischen Sinne“ ab. Seine Tätigkeit vor Ort war die ständige Verfolgung der Verhältnisse in den vom Reich abgetrennten Gebieten sowie der Einsatz von Burschenschaften für das Grenz- und Auslandsdeutschtum. Diese „vaterländische Arbeit“ Studentenkorps Marburg, Burschenschaft Arminia, 1920 nach dem gescheiterten Kapp-Putsch vom 13. März 1920, an dem vereinzelt auch Burschenschafter beteiligt waren, bald in eine regierungsfeindliche Haltung um. „Studentenwehren“ gegen den rheinischen Separatismus und gegen Kommunisten im Ruhrgebiet, die blutige Niederschlagung einer bewaffneten Demonstration in Berlin am 13. Januar 1920 sowie die Vorfälle in Mechterstädt in Thüringen, bei denen am 25. März 1920 von der Begleitmannschaft des Studentenkorps Marburg (StukoMa) 15 als Aufrührer gefangene Arbeiter angeblich auf der Flucht erschossen wurden, führte zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Regierung und den Studenten, Anrechnung verlorener Studiensemester zugestanden wurde13. Auf unterschiedliche Weise motivierte gerade die Deutsche Burschenschaft ihre Mitglieder zu Aktionen, die stark an das urburschenschaftliche Gedankengut erinnerten. In erster Linie wurde an den Einsatz „für Volk und Vaterland“ appelliert und „vaterländische Arbeit“ in Form von Grenzlandfahrten gepflegt. Gerade der Kontakt zur Bevölkerung in den durch das Friedensdiktat von Versailles abgetrennten Gebieten wurde als besonders wichtig gewertet, da nur so die deutsche Sprache, deutsche Kultur und das Bekenntnis zu Deutschland auch für die Zukunft erhalten werden konn- Heft 2 - 2015 fand während der gesamten Zeit der Weimarer Republik mit anfangs mäßigem, später mit wachsendem Erfolg statt14. Die durch Friedrich Ludwig Jahn und seinen damaligen Mitstreiter, Karl Friedrich Friesen, am 19. Juni 1811 auf der Berliner Hasenheide ins Leben gerufene Turnbewegung, auf die auch der Begriff „Burschenturner“ zurückgeht, sollte nicht nur allein der körperlichen Ertüchtigung dienen, sondern auch Werte, darunter eine tiefe patriotische Gesinnung, fördern. Selbstbewußtsein, geistige und körperliche Tüchtigkeit sowie ein erstarkendes Nationalbewußtsein sollte damals das deutsche Volk angesichts der schweren Krise, bedingt durch die napoleonische Fremdherrschaft, unter Beweis stellen. Somit wurde Jahn zum geistigen Wegbereiter der Burschenschaft, was er auch in seiner Rede als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung am 15. Januar 1849 in der Paulskirche bestätigte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besaß die Turnbewegung vor allem seit 1865 bei weitem nicht mehr die Breitenwirkung wie in ihrer Gründungszeit, was auch nach der Reichsgründung von 1871 umso spürbarer wurde. Die gefühlte Erfüllung der ursprünglichen burschenschaftlichen politischen Zielsetzung dank Bismarck und Wilhelm I. führte zu einer Abflachung des Korporationswesens auch innerhalb der Bur- schenschaften. Es wurde weniger mit Herzblut gekämpft, da ja nun alles erreicht war. Erst der Erste Weltkrieg und vor allem dessen unrühmlicher Ausgang für Deutschland rief die Erinnerung an den deutschen Turnvater Jahn wieder wach und veranlaßte eine Renaissance des Turnwesens innerhalb der DB. Dieses wurde nicht mehr wie vorher unter dem Aspekt des Sports mit gesellschaftlichem Stellenwert betrachtet, sondern als Ersatz für die nach dem Krieg durch den Versailler Vertrag geregelte entfallene Wehrpflicht15 und bekam dadurch zunehmend militanten Charakter, begleitet von Optionen wie Selbstüberwindung und Selbstbeherrschung. In der Förderung des „Wehrsports“ während der 1920er und 1930er Jahre bis zur Auflösung der Deutschen Burschenschaft kann man somit Ansätze zur Instrumentalisierung von Werten erkennen, die ursprünglich zum traditionellen urburschenschaftlichen Gedankengut gehörten. Gegen Ende der 1920er Jahre wurde der „Wehrsport“ aktualisiert. Der akademische „Wehrsport“ sollte „Führer heranbilden“. In den vom Deutschen Hochschulring (DHR) eingerichteten Wehrsportlagern übernahm die Burschenschaft bald eine Vorreiterrolle. Einige Sportarten deuteten auf einen zunehmenden Einfluß durch den Nationalsozialismus hin, so zum Beispiel das Kleinkaliberschießen, das Wandern als Ausdauertraining zur Vorbereitung auf den späteren Geländesport, das Rudern zur Förderung des Gemeinschaftssinnes und vor allem der Segelflug. Letzteren leitete Otto Schwab (1889–1959, Germania Darmstadt) durch die Gründung der „Akademischen Fliegerabteilung Deutscher Burschenschafter e. V.“ (Akaflieg) in die Wege, in der bis 1933 etwa 250 Segelflieger ausgebildet wurden. Außerdem wurde in Böblingen eine Burschenschafter-Motorfliegerabteilung mit vier eigenen Motorflugzeugen zur Schulung eingerichtet, die bei „Deutschlandflügen“ gute Plätze belegte16. Auch im Umgang mit der Sprache setzte Jahn zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seinem Appell zur Pflege einer „reinen“, unverfälschten deutschen Sprache deutliche Akzente. Seitdem sah die Burschenschaft die Reinhaltung der deutschen Sprache als ihre sittliche Pflicht an, denn die Pflege des eigenen geistigen und kulturellen Erbes sollte Fremdeinflüsse nach Möglichkeit ausschalten17. In den 1920er Jahren wurden damit der Dienst am deutschen Volk und die Hebung des deutschen Selbstwertgefühls verbunden. Konkrete Maßnahmen seitens der Burschenschaft waren „Korrekturen“ innerhalb burschenschaftlicher Publikationen. So wurde unter anderem bei der DB ein sogenannter „Sprachausschuß“ unter der Leitung Albert Petzolds (1857–1939, Arminia a. d. B. Jena) mit der Option gegründet, in den BBl ab sofort eine sogenannte „Sprachecke“ einzurichten. Dort bot sich eine Plattform zu 63 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Anregungen, auch innerhalb akademischer Gesprächsrunden und Publikationen sowie während der Kommerse latinisierte Begriffe durch deutsche zu ersetzen. Die Muttersprache sollte sich zunehmend gegenüber dem von Jahn gerügten „Kauderwelsch“ durchsetzen. Dabei darf natürlich eine ideologische Zweckentfremdung der Sprache in der Weimarer Zeit nicht übersehen werden. So hieß es im „Handbuch für den Deutschen Burschenschafter“ von 1927, daß die DB unter dem „Dienst an der deutschen Sprache gleichzeitig den Dienst am deutschen Volk“ verstehe. Auf Dauer war diese Anregung jedoch nicht erfolgreich, weil die traditionelle akademische Sprache weitreichendere Wirkung besaß, als bislang vermutet18. Daß es im Zuge der politischen Entwicklung auf dem Burschentag vom 4. bis 7. August 1920 in Eisenach unter dem Vorsitz von Germania Jena, wo es unter anderem um die „Belebung des deutsch-völkischen Gedankens“ ging, zu den sogenannten „Eisenacher Beschlüssen“ kam, war in erster Linie auf den Nachdruck seitens der österreichischen Bünde zurückzuführen, die den Untergang der Donaumonarchie mit ihren Spätfolgen in Form von Migrationsbewegungen von Ostjuden besonders zu spüren bekamen. Sie stellten Anträge, die Mitgliedschaft von Juden und Ehen von Burschenschaftern mit jüdischen oder farbigen Frauen zu untersagen. Die beiden Grazer Burschenschaften Frankonia und Allemannia setzten deutlich antisemitische Akzente: In der Rassenfrage solle nicht nur auf die ungetauften oder getauften Juden, sondern auf die „Judenstämmlinge“ bis „in das letzte Glied“ Bezug genommen werden. Gerade die Vertreter von Allemannia Graz stellten auf diesem Burschentag mehrere Anträge, wovon der erste und grundsätzliche lautete: „Die Deutsche Burschenschaft erkennt in der Judenfrage den Rassestandpunkt an“19. Obwohl die „Ei- 64 senacher Beschlüsse“ über die künftige Nichtaufnahme von Juden viele Gemüter in den eigenen Reihen erregten, erfolgte auf dem Burschentag 1920 kein Widerspruch gegen die Anträge der österreichischen Bünde. Ein von Hans Wehberg (1885–1962, Marchia Bonn) veranlaßter und von etwa 100 alten Burschenschaftern unterzeichneter Aufruf als Protest gegen die „Eisenacher Beschlüsse“ blieb leider ohne größere Resonanz20. Die Entwicklung von 1931 bis 1945 Auf dem Grazer Studententag 1931 schaffte der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund den Durchbruch in der Deutschen Studentenschaft. Nach der „Machtergreifung“ 1933 sahen sich die Korporationen durch ihn zunehmend diktiert, vor allem im Reich, weniger dagegen in Österreich, wo ab 1933 für viele Studenten und Korporierte der Kampf für die „Bewegung“ Hitlers begann. Die Durchsetzung des Führerprinzips auf dem 15. Deutschen Studententag in Königsberg im Juli 1932 führte zur Entmachtung der Korporationen. Der Burschenschafter und DSt-Vorsitzende Gerhard Krüger (1908–1994, Hansea Hamburg) setzte in der Folge das Führerprinzip durch, personalisiert bei der DB ab 1933 durch Otto Schwab, der sich als DB-Bundesführer jedoch auf Dauer wegen seiner umstrittenen Position vor allem in der Kameradschaftserziehung nicht behaupten konnte und schon gegen Ende der Weimarer Republik durch die Förderung der „Wehrerziehung“ und des „Wehrsportes“ eine unverkennbare Übereinstimmung mit nationalsozialistischen Zielsetzungen erkennen ließ. Die in diese Zeit fallende Kameradschaftserziehung wurde zwar vor allem in den Korporations- und Wohngemeinschaften als erzieherische Maßnahme zur Förderung des Gemeinschaftswesens teilweise begrüßt, aber gerade wegen eines zu star- ken Eingreifens in die Strukturen der Verbindungen durch Verbot von Couleur- und Fechtbetrieb sowie durch den erzwungenen Umbau der Korporationshäuser in „Erziehungsinstitute“ im Stil von Kasernen, wie es der von Schwab unterstützte Feickert-Plan vorsah, mit Argwohn betrachtet. Vor allem den Alten Herren, die in der DB wie auch in anderen Korporationsverbänden die besten Stützen für die Aufrechterhaltung traditioneller Formen des Verbindungslebens blieben, war es immer wieder zu verdanken, daß sich das nationalsozialistische Gedankengut in den Korporationen auf Dauer nicht durchsetzen konnte. Dazu hatte der NSDStB auch geistig viel zu wenig zu bieten und konnte selbst die jungen Aktiven nicht wirklich überzeugen. Als es im Herbst des Jahres 1935 zur Auflösung der Verbände kam, war die Burschenschaft mit einer besonderen Haltung hervorgetreten: Im Gegensatz zu den Verbänden, die sich in der Mehrzahl freiwillig auflösten, sah sie ihren „urburschenschaftlichen Auftrag“ darin, sich in den NSDStB in Form von Studentenbundskameradschaften integrieren zu lassen, was aber letztlich scheiterte, weil der Studentenbund gemachte Zusagen nicht einhielt. Nicht alle ehemaligen Burschenschaften traten jedoch dem NS-Studentenbund bei. Verfolgt man die weitere Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, erkennt man, daß es der Burschenschaft in der Tarnung von NS-Kameradschaften vor allem ums Überleben ging, vor allem um die Wiederbelebung und Aufrechterhaltung des traditionellen Verbindungswesens mit allen dazugehörigen Ritualen. Daß die Jahre von 1939 bis 1945 nicht das Aus für die Burschenschaft bedeuteten, war auf den geringen Einfluß der Kameradschaftsführer und das mangelhafte Konzept des NSDStB zurückzuführen21. Die Korporationen blieben ihm stets überlegen! Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter deutsche Volk in der Zeit tiefer nationaler Erniedrigung aufzurütteln, für ein einiges und freies deutsches Vaterland zu begeistern und gegen innere und äußere Bedränger anzuführen“ – Die Burschenschaft der Ostmark (BdO) und ihre Vorläufer 1889-1919, in: „…ein großes Ganzes…, wenn auch verschieden in seinen Teilen“, Beiträge zur Geschichte der Burschenschaft, DuQ, Bd. 19, Heidelberg 2012, S. 516-630, hier S. 613, Anm. 240. 5 Grube, Karl: Hundert Jahre, in: Richard Johannsen (Hg.): Der Wille zum Sieg. Kriegsgedichte aus der Deutschen Burschenschaft, Hilden 2013, S. 93. 6 Siehe Anm. 4. 7 BBl 33/1 (8.4.1919), S. 1–4, hier S. 4; BBl 33/2, S. 19; BBl 34/3 (21.11.1919), S. 36, S. 42 f., hier S. 43 u. a. 8 BBl 33/1, S. 1-4; BBl 33/2, S. 19. 9 BBl 33/4 (WS 1918/19), S. 50. 10 BBl 33/3 (SS 1919), S. 33 f. 11 BBl 33/4 ( SS 1919), S. 49 f. 12 BBl 33/5 (15.1.1919), S. 66 f.; BBl 34/7 (1920), S. 118 f.; Brunck, Helma: Burschenschaften und Burschenschafter in der Weimarer Republik, in: Oldenhage, Klaus (Hg.): Jahresgabe 2008 der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. (GfbG), Koblenz 2009, S. 7–66, hier S. 16-19; Brunck, Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 54–57, S. 64–71. 1935 im Innenhof der Wartburg. 13 Brunck, Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 105–125. Quellen und Literatur: Brunck, Helma: Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, München 1999. Als Dissertation (Johannes GutenbergUniversität Mainz) 1996 erschienen unter dem Titel: „Die Entwicklung der Deutschen Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Eine Analyse“ (Dissertations-Druck Darmstadt GmbH). Brunck, Helma: Burschenschaften und Burschenschafter in der Weimarer Republik, in: Oldenhage, Klaus (Hg.): Jahresgabe 2008 der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. (GfbG), S. 7–66. Brunck, Helma: Die Burschenschaft in der Weimarer Republik und in der NS-Diktatur (1919-1945) – Eine historiographische Bilanz, in: Oldenhage, Klaus (Hg.): 200 Jahre burschenschaftliche Geschichtsforschung – 100 Jahre GfbG – Bilanz und Würdigung. Jahresgabe 2009 der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. (GfbG), Koblenz 2009, S. 71–90. Cerwinka, Günter: „Sie (die ‚Klerikalen‘) stehen ja nicht einmal in der Judenfrage auf unserem Standpunkt“. „Juden-„ und „Klerikalenfrage“ in den Konventsprotokollen der Grazer Burschenschaft Allemannia 1919/1920, in: Schroeter, Bernhard (Hg.): Für Burschenschaft und Vaterland. Festschrift für Peter Kaupp, Norderstedt 2006, S. 261–280. Grobe, Frank: Zirkel und Zahnrad. Ingenieure im bürgerlichen Emanzipationskampf um 1900 – Die Geschichte der technischen Burschenschaft. Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Band 17, Heidelberg 2009. Handbuch der Deutschen Burschenschaft. Ausgabe 2005 zum 190. Jahrestag der Burschenschaft, Memmingen/Stuttgart/Traunstein 2005. Johannsen, Richard (Hg.): Der Wille zum Sieg. Kriegsgedichte aus der Deutschen Burschenschaft, Hilden 2013. Krausmüller, Helmut/Anger, Ernst/Pabst, Martin: Die Geschichte des Allgemeinen Deutschen Burschenbundes (ADB) 1883-1933 und das Schicksal der ehemaligen ADB-Burschenschaften (Historia Academica. Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des CC, 28), o. O. (Jever) 1989. Lönnecker, Harald: „…das deutsche Volk in der Zeit tiefer nationaler Erniedrigung aufzurütteln, für ein einiges und freies deutsches Vaterland zu begeistern und gegen innere und äußere Bedränger anzuführen“ – Die Burschenschaft der Ostmark (BdO) und ihre Vorläufer 1889-1919, in: „…ein großes Ganzes…, wenn auch verschieden in seinen Teilen“, Beiträge zur Geschichte der Burschenschaft, DuQ, Bd. 19, Heidelberg 2012, S. 516–630. Lönnecker, Harald: Jahn und die Burschenschaft, in: BBl 4/2014, S. 123–127. Sitzungsberichte der ordentlichen und außerordentlichen Burschentage 1918–1933. Bundesarchiv Koblenz DB 9, 3185. Heft 2 - 2015 1 Krausmüller, Helmut/Anger, Ernst/Pabst, Martin: Die Geschichte des Allgemeinen Deutschen Burschenbundes (ADB) 1883-1933 und das Schicksal der ehemaligen ADBBurschenschaften. Historia Academica. Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des CC, 28, o. O. (Jever) 1989. 2 Krausmüller, ADB (s. Anm. 1), S. 29 f. Erst seit 1902 heißt der Zusammenschluss der Burschenschaften an den – ursprünglich nur reichsdeutschen – Universitäten „Deutsche Burschenschaft“ (DB), davor existierte er seit 1881 unter der Bezeichnung „Allgemeiner Deputierten-Convent“ (ADC). Zur Geschichte der Deutschen Burschenschaft nach dem Ersten Weltkrieg siehe auch: Brunck, Helma: Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, München 1999, hier S. 45–54. 3 Grobe Frank: Zirkel und Zahnrad. Ingenieure im bürgerlichen Emanzipationskampf um 1900 – Die Geschichte der technischen Burschenschaft (DuQ, 17), Heidelberg 2009, S. 461 f. 4 Gedicht: „Der Burschenschaft ins Stammbuch“ von Walter Flex (Bubenruthia Erlangen), gedichtet „An der Kolnizanka, Juni 1915“, zitiert in: Lönnecker, Harald: „das 14 Brunck, Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 73–98; dies:, Burschenschaften (s. Anm. 12), S. 34–37. 15 Lönnecker, Harald: Jahn und die Burschenschaft, in: BBl 4/2014, S. 123–127, hier S. 126. 16 Brunck, Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 127-140; dies.: Burschenschaften (s. Anm. 12), S. 38 f. 17 Brunck, Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 145–147. 18 Ebd.; dies.: Burschenschaften (s. Anm. 12), S. 40 f. 19 Cerwinka, Günter: „Sie (die ‚Klerikalen‘) stehen ja nicht einmal in der Judenfrage auf unserem Standpunkt“. „Juden-„ und „Klerikalenfrage“ in den Konventsprotokollen der Grazer Burschenschaft Allemannia 1919/1920, in: Schroeter, Bernhard (Hg.): Für Burschenschaft und Vaterland. Festschrift für Peter Kaupp, Norderstedt 2006, S. 261-280. 20 Brunck, Burschenschaften (s. Anm. 12), S. 45.; dies.: Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 155-174. 21 zusammenfassend über die Entwicklung seit 1932: Brunck, Burschenschaft (s. Anm. 2), S. 269–386. Unsere Autorin Dr. Helma Brunck M.A. ist freiberufliche Historikerin in Frankfurt am Main. Sie studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Latein und Jura in Frankfurt, Heidelberg, Marburg und Mainz. Ihre Promotion erfolgte 1996 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit dem Dissertationsthema: „Die Entwicklung der Deutschen Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. – Eine Analyse – ”, in erweiterter Form als Verlagsausgabe 1999 in München erschienen mit dem Titel: „Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus”. Es folgten Lehraufträge an der Universität Mainz 2003–2006, zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen zur Geschichte der Korporationen, insbesondere der Burschenschaft. Seit Mai 2008 ist Frau Dr. Brunck Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung GfbG e. V. Bisher war sie beruflich tätig in Archiven, Museen und bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) Wiesbaden. Dort leitete sie auch Projekte zur Frankfurter und zur hessischen Geschichte. Ab 2015 ist sie außerdem in der Erwachsenenbildung tätig. 65 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Die Burschenschaftliche Bewegung im Südosten Von Bruno Burchhart Obwohl bei der Gründung der Burschenschaft am 12. Juni 1815 in Jena „nur“ alle ehrenfesten Studenten der Großherzoglich und Herzoglichen Sächsischen Universität Jena, heute Friedrich-SchillerUniversität, eingeladen waren, läßt sich aus dem vorliegenden Stammbuch der Jenaischen Burschenschaft entnehmen, daß auch einige aus dem Habsburgerreich daran teilgenommen haben. Es waren die aus Hermannstadt/Siebenbürgen stammenden Theologiestudenten Johann Daniel Heinrich und Johann Kästner sowie Johann Georg Binder, der sogar als Ausschuß-Mitglied einer der Mitunterzeichner der Verfassungsurkunde war. Wenig später trat auch Martin Reschner aus Hermannstadt der Burschenschaft bei. Der weitere Fortgang der burschenschaftlichen Bewegung im Südosten – außerhalb des späteren Hohenzollernreiches, also in der Habsburger Donaumonarchie – soll hier dargestellt werden. Der Titel wurde absichtlich so gewählt, da „Österreich“ in seiner heutigen Gestalt zu kurz gegriffen wäre und mit seinen vielen Bedeutungen im Lauf der Geschichte Erklärungsbedarf hätte. Nach der Gründung war das nächste wichtige Ereignis der burschenschaftlichen Geschichte das national-politisch äußerst bedeutsame Wartburgfest von 1817 mit den zukunftsweisenden Beschlüssen des 18. Oktober 1817: Das vaterländisch-patriotische Postulat nach Einheit aller Deutschen, die Forderungen nach Gleichheit aller Personen (ohne Standesunterschied) in einer Verfassung, nach Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Religionsfreiheit sowie die Freiheit der Lehre und des Lernens. Alles Dinge, die erst später – 1848 – verfassungsmäßig niedergelegt und erst 100 Jahre später – 1918/19 – in der Weimarer Republik und der Republik Deutsch-Österreich demokratisch beschlossen wurden. Da die Einladung zum Wartburgfest ja nur an alle protestantischen Universitäten erging, nahmen zwar keine Delegierten der Donaumonarchie-Hochschulen teil, ein Teilnehmer war jedoch aus der ehemaligen Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, aus Wien gebürtig: Gustav Susemil. In der Habsburgermonarchie waren die Burschenschaften unter dem Metternich’schen Unterdrückungssystem spätestens nach den Turner und Burschenschafter verfolgenden Karlsbader Beschlüssen verboten. Der burschenschaftliche Gedanke ließ sich jedoch nicht unterdrücken. Nachweislich gab es in Prag (1818), Graz (1819) und Innsbruck (1821) burschenschaftliche Bewegungen, in Wien burschenschaftlich gesinnte Kreise, zum Beispiel im Umfeld des Liederfürsten Franz Schubert. In Salzburg wurde anläßlich der Einweihung des Mozart-Denkmals 1842 eine deutsche, sich mit dem burschenschaftlichen Dreifarb Schwarz-Rot-Gold Der Burschenschafterturm in Linz an der Donau dient er als Erinnerungsstätte und Museum der Deutschen Burschenschaft. 66 Isiwal/Wikimedia/CC Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter schmückende Studentenverbindung gegründet, die sich auf den Standpunkt der Urburschenschaft stellte, leider aber nicht lange bestand. Dieser burschenschaftliche Dreifarb als Symbol der vaterländischen gesamtdeutschen Gesinnung spielte dann auch im Jahr der bürgerlichen Revolution von 1848 im gesamtdeutschen Sprachraum – von Berlin bis Prag, von Frankfurt bis Wien – eine wesentliche Rolle. Interessant ist, daß Arbeiter und Studenten unter dem Dreifarb miteinander auf den Barrikaden kämpften, daß die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Stephansdom und der Universität wehte. Bekanntermaßen wurde die Frankfurter Nationalversammlung ja auch Burschenschafter-Parlament genannt. Von den insgesamt 655 Abgeordneten waren 134 aus Wahlkreisen der Donaumonarchie, unter ihnen zum Beispiel auch der Burschenschafter Franz Schuselka. In der Habsburgermonarchie blieb als einziges Ergebnis die durch den Burschenschafter Hans Kudlich durchgesetzte Bauernbefreiung. Das Scheitern der großdeutschen Idee trotz beschlossener Reichsverfassung mit Einschluß der burschenschaftlichen 1817er Wartburg-Forderungen brachte nach der neo-absolutistischen Restauration einen „burschenschaftlichen Stillstand“. Durchbruch der burschenschaftlichen Ideale Die Ideen aber lebten weiter und feierten anläßlich der begeisternden 100-Jahr-Geburtstagsfeiern des genialen Freiheitsdichters Friedrich Schiller ihren Durchbruch: Die ersten noch heute existierenden Burschenschaften wurden in Wien gegründet: Olympia 1859, dann Libertas und Silesia. Eine stürmische Gründungswelle von Burschenschafts-Gründungen in der Donaumonarchie setzt ein: Laut dem Jenaer Burschenschafter H. Alexander gab es 1876 dort etwa 50 deutschnational-freiheitliche Korporationen, darunter folgende Burschenschaften: in Wien Olympia, Silesia, zweimal Libertas, Arminia, Teutonia. Germania, Herulia und Freya; in Prag Carolina, Constantia, Concordia, Germania; in Graz Stiria, Arminia sowie Korporationen in Innsbruck, Brünn und Leoben, 1897 waren es dann laut „Akademischem Taschenatlas“ von H. Kufahl in Brünn und Czernowitz zwei Burschenschaften, in Graz sieben, in Innsbruck drei, in Leoben zwei, in Prag acht und in Wien acht Burschenschaften, 1910 gab es dann bereits 41 Burschenschaften in diesem Bereich. In der Ausrichtung derselben setzte sich nicht nur bald das sogenannte Konservative Prinzip bezüglich Mensur und Ehrenstandpunkt durch, sondern besonders prägnant war die deutschnationale Ausrichtung und deren politische Vertretung: Einsatz für die Heft 2 - 2015 gesamtdeutsche Einheit trotz des Bruderkampfes bei Königsgrätz (1866), besonders auch die Bewahrung des deutschen Volkstums in den Grenzgebieten des deutschen Sprachraumes gegenüber panslawistischen (Tschechen, Südslawen) und irredentistischen (Italiener) Bestrebungen. Dabei gab es ein gemeinsames Vorgehen von Burschenschaftern aus verschiedenen Denkrichtungen: Arbeiterführer wie Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer gründeten zusammen mit anderen Burschenschaftern, Politikern (Reichsratspräsident Gustav Groß, Georg von Schönerer) und Künstlern (Peter Rosegger) den Deutschen Schulverein, der zahlreiche Schulen an den Grenzen des deutschen Sprachraumes errichtete. Gemeinsames Vorgehen mit anderen Studentenorganisationen gab es auch gegen den Versuch des Ministerpräsidenten Badeni, tschechisch als Amtssprache einzuführen, worüber er letztlich aufgrund der Proteste stürzte. Burschenschaftlicher Einfluß zeigte sich auch anderswo: Der Breslauer Max Friedländer als Gründer der „Neuen Freien Presse“, Theodor Herzl (Burschenschaft Albia Wien) als Begründer des Zionismus. Scharfe Auseinandersetzungen mit den später gegründeten katholischen CV-Verbindungen um die Vorherrschaft auf den Hochschulen entstanden ebenso, wie die im Zeitgeist liegenden Abgrenzungen gegen jüdische Kommilitonen, die ihre eignen, ähnlich aufgebauten Korporationen bildeten: keine Aufnahme, keine Genugtuung, zum Teil Ausschlüsse jüdischer Mitglieder. Übrigens entstanden Ende des 19. Jahrhunderts auch zahlreiche andere Korporationsverbände: Sängerschaften, Turnerschaften, Vereine Deutscher Studenten etc. Schwerer Stand in Prag Besonders scharfe Auseinandersetzungen gab es in Prag zwischen den Tschechen und den deutschen Studenten, insbesonders den Burschenschaften (in Prag: Albia, Arminia, Allemannia, Caroloina, Constantia, Franken, Ghibellinia, Teutonia, Thessalia; in Brünn: Arminia, Libertas, Moravia, Su- evia; in Przibam: Glückauf; in Teschen-Liebwerd: Demetria und Germania; in Czernowitz: Arminia). Hatten 1848 noch tschechische und deutsche Studenten miteinander gekämpft und sich tschechische Studenten auch an den Schillerfeiern beteiligt, verschärften sich dann die nationalen Rivalitäten, so daß es 1881/82 zur Trennung der damals noch ältesten deutschen Hochschule (1348) in einen deutschen und tschechischen Zweig kam. Besonders schlimm wurde das in der Zwischenkriegszeit, als der Tschechenhaß über alle deutschen (und auch die drei jüdischen!) Korporationen herfiel und das „Deutsche Haus“ und auch Couleurhäuser stürmte und beschädigte. Auch rissen die Tschechen die Insignien der deutschen Karlsuniversität an sich. Waren die Burschenschaften bis 1933 Mitglieder der Deutschen Burschenschaft, so schlossen sie sich dann in der „Burschenschaft der Sudetenländer“ (bis zur Auflösung im „3. Reich“) zusammen. Kontakte zu den seit der Bismarck’schen 1871er Reichsgründung eher saturierten, aber auch aufgesplitterten Burschenschaften gab es meist auf Kartell-Ebene zwischen den deutschen Burschenschaften aus Wien, Prag und sonstigen Donaumonarchie-Hochschulen. Trotz zahlloser Versuche war es zu keinem burschenschaftlichen Verband gekommen, bis es durch Julius Sylvester 1889 gelang, den gemeinsamen LDC (Linzer Delegierten Convent) zu installieren, der aber 1900 wieder zerfiel, und dann 1907 der BdO (Burschenschaft der Ostmark) mit 37 Burschenschaften von Universitäten und Technischen Hochschulen (sic!) gegründet wurde. Da die Burschenschafter aus allen deutschen Landen im 1. Weltkrieg miteinander gekämpft und durch den „Schandfrieden“ gelitten hatten, kam das Miteinander nicht nur in der Politik zum Ausdruck (§ 2 der Verfassung der Republik Deutschösterreich: „Deutschösterreich ist Bestandteil der Deutschen Republik“ sowie „Anschluß“Bestimmungen in allen Parteien). Der ge- 67 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter samtdeutsche Einfluß zeigt sich auch im noch immer geltenden Staatswappen der Republik, in dem Schwarz (Adler), Rot (Adlerzunge) und Gold (Mauerkrone) mit voller Absicht enthalten ist. Auch in den Burschenschaften wuchs der Wunsch nach Gemeinsamkeit im Sinne des großdeutschen Gedankens. Hatte es 1919 im Januar bereits den Zusammenschluß der Burschenschaften der Universitäten (DB) und der Technischen Hochschulen (Rüdesheimer Verband) gegeben, so erfolgte im August in Jena die Verschmelzung mit der BdO, womit die Deutsche Burschenschaft der größte Korporationsverband in deutschen Landen war. Schon bei Gründung der Republik waren Burschenschafter an führender Stelle tätig: Die Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich erfolgte am 12. November 1918 durch den Staatsratspräsidenten Dr. Franz Dinghofer (Burschenschaft Ostmark Graz). Schon vorher waren unter Mitwirkung burschenschaftlicher Parlaments-Abgeordneten (Dr. Beurle, Libertas Wien; Rudolf Heine, Arminia Wien; Dr. Albert Ritter von Mühlwert, Frankonia Graz) 28 Burschenschaften der ehemaligen k.u.k.-Monarchie zur Besprechung zusammengekommen und forderten unter anderem das Selbstbestimmungsrecht und die Vereinigung aller Deutschösterreicher. Grenzland- und Volkstumsarbeit war eine wichtige Aktivität der Deutschen Burschenschaft: Besonders beim Kärntner Freiheitskampf waren nicht nur in der politischen (Landesverweser Dr. Arthur Lemisch, Burschenschaft Suevia Innsbruck) und militärischen (Dr. Hans Steinacher, Burschenschaft Gothia Bielitz) Spitze, sondern Burschenschafter bei den Kämpfen gegen den slawischen Aggressor führend beteiligt. Letzten Endes führte das nach der so erkämpften Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 zur Erhaltung Kärntens in (Deutsch-)Österreich. Burschenschaftliche Abende, Ausbau mittels des „Ausschusses für vaterländische Arbeit“, Sport in den verschiedensten Variationen und zunehmende Politisierung standen auf dem Programm – beginnend mit der Großkundgebung für den Anschluß beim Salzburger Burschentag 1922, was übrigens auch von allen reichsdeutschen 68 Parteien unterstützt wurde. Nach den Auseinandersetzungen mit der Nazi-Führung, was letztendlich zur diktatorischen Auflösung der Deutschen Burschenschaft führte, kam es auch im „besseren deutschen Staat“ (Plakat in Österreich) zu Auseinandersetzungen, zunächst mit dem austro-faschistischen Dollfuß/Schuschnig-Staat und dann 1938 nach dem Anschluß ebenfalls zur Auflösung. Die Entwicklung nach 1945 Der Wiederbeginn nach dem 2. Weltkrieg war äußerst schwierig. Zwar konnten sich während der Besatzung durch die „Vier im Jeep“ (Wien unterstand jeden Monat einer anderen Alliiertenmacht) einige der auch während des Krieges existierenden „Kameradschaften“ 1951 unter Ägide des AVÖ (Akademiker Verband Österreich) als dessen Zweigstellen aktivieren. Der erste Wiener DC (=ÖB) mit Albia (Dürnstein), Olympia (Lätitia) und Silesia (Heimdall) entstand 1951. Der erste gemeinsame burschenschaftliche Verband wurde 1953 in Wels gegründet, der ADC (Allgemeine Delegierten Convent), der 1959 in DBÖ (Deutsche Burschenschaft in Österreich) umbenannt wurde und fünf Grazer, drei Innsbrucker, zwei Leobener und zwölf Wiener Burschenschaften umfaßte. Ein Freundschaftsabkommen mit der 1950 wiedergegründeten Deutschen Burschenschaft wurde geschlossen, ein gemeinsamer Verband befürwortet, ein Verbindungsausschuß eingesetzt. Auf den Burschentagen der Deutschen Burschenschaft wird mit Interesse, aber auch Befremden die Diskussion um den Vaterlandsbegriff verfolgt, wobei es um etatistisch (staatsbezogen) oder volkstumsbezogen geht. Mit großer Enttäuschung wird nach einem DBÖ-Vereinigungsbeschluß vom Burschentag 1961 in Bregenz der DB-Ablehnungsbeschluß vom Burschentag 1961 in Nürnberg zur Kenntnis genommen. Die Reaktion darauf ist die Gründung der BG (Burschenschaftliche Gemeinschaft in DB und DBÖ), die am 15. Juni 1961 in München von 42 Burschenschaften beider Verbände ins Leben gerufen wird. Sie fordert die geistige und kulturelle Einheit aller, die zum deutschen Volke gehören, setzt sich für die Einheit aller Burschenschaften ein und steht auf dem Boden des volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffes. Erst der sogenannte Historische Kompromiß von 1971 (Die DB-Verfassung enthält den volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff, dafür wird die Bestimmungsmensur nur mehr als fakultativ festgelegt) ermöglichte es den deutschen Burschenschaften aus Österreich, einzeln von der DB aufgenommen zu werden. Dies machen im Lauf der Zeit fast alle. Im Lauf der nächsten Jahre kommt es jedoch weiterhin zu Auseinandersetzungen um Probleme dieses Kompromisses, auch um die Ausrichtung der Deutschen Burschenschaft insgesamt. Die sogenannten Lager (liberal und national) neutralisieren sich gegenseitig. Es kommt zu bedauerlichen Abspaltungen (unter anderem der Rote Verband und das Süddeutsche Kartell), Austritten samt Neugründungen (NDB) und zuletzt aufgrund von Auseinandersetzungen über Benehmens- und Verhaltensfragen sowie Einstellungen zu Sachverhalten während der NS-Zeit (20. Juli 1944, Bonhöffer) zu einer ausgiebigen und bedauerlichen Austrittswelle – die Bünde in Österreich bleiben der Deutschen Burschenschaft jedoch treu. Unser Autor Verbandsbruder Dr. Bruno Burchhart (Olympia Wien, 1960) war DBÖ-Vertreter im Ausschuß für Burschenschaftliche Arbeit (AfBA) der Deutschen Burschenschaft sowie DBÖVerbindungsreferent zu anderen Korporationen. Verbandsbruder Burchhart beschäftigt sich seit dem Studium intensiv mit volksdeutschen Minderheiten in Europa, seit 2006 ist er Obmann vom „Burschenschaftlichen Volkstumsvereins“. Zudem ist er seit 2010 als DB-Bildungsbeauftragter mit der Ausrichtung von DB-Regionalseminaren beauftragt. Heft 2 - 2015 Burschenschaftliche Blätter Schwerpunkt Rückschau: Das Sonderheft zu 150 Jahre Burschenschaft Das zum Jubiläum im Jahre 1965 erschiene Sonderheft soll an dieser Stelle kurz in Erinnerung gerufen werden. Damals empfing Bundespräsident Heinrich Lübke eine burschenschaftliche Delegation und ließ es sich nicht nehmen, ein Grußwort zu übermitteln. Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) sandte ein Glückwunschtelegramm, in dem er der Deutschen Burschenschaft seinen besonderen Dank aussprach, „die Idee von der Einheit Deutschlands in der heranwachsenden Generation von Akademikern lebendig zu erhalten“. Und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, würdigte in seiner Ansprache die burschenschaftliche Geschichte und Arbeit und hieß alle Burschenschafter in der Stadt herzlich willkommen. 70 Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Heft 2 - 2015 Burschenschaftliche Blätter 71 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Hiebe der Eigentlichkeit oder: ius sanguinis Von Heinrich Schoell Anläßlich einer abgebrochenen Autofahrt unter Regie des Rittmeisters von Eulenfeld, die an einem sonnig heißem Wiener Septembernachmittag der frühen 1920er Jahre eigentlich in den niederösterreichischen Badeort Kritzendorf hat führen sollen, beginnt der gewesene Major Melzer eigenständig zu denken. Auf dem Rücksitz eines roten Viersitzers, neben Frau Schlinger, einer anziehenden Blondine, platziert, wird Melzer durch die rasante Fahrweise in den engen Gassen Wiens hin- und hergeworfen. Darüber, ebenso wie über sein bisheriges Leben sinnierend, geht Melzer auf, daß er sich stets in „irgendeine Gefangenschaft“ habe hineinrufen lassen, in eine „Unselbständigkeit, in ein Weitergegeben-Werden von Umstand zu Umstand“. Melzer erkennt, sein Leben lang „mitgenommen worden“ zu sein, „genau wie heute nachmittags im Automobil. Das alles erschreckte den Major gar sehr. Und so mußte er denn jene Augenblicke leiden, die niemandem erspart bleiben, der eigentlich gelebt hat: die tiefe Angst nämlich, nicht eigentlich gelebt zu haben. Man könnte sagen, daß damit immerhin ein bedeutender und neuer Schritt ins Leben getan sei.“ Heimito von Doderer (1896–1966), dem wir die Erzählung über die Metamorphose Melzers verdanken, hat mit dieser Szene eine Urerfahrung der Moderne beschriebe: Die Benutzung des Automobils als Metapher der Auslieferung an die Verhältnisse, das unfreiwillige Gedrückt-Werden des Beifahrers in die (weichen) Polster, aber auch: die Bequemlichkeit gefahren zu werden, das angenehme Gefühl, nicht selbst am Steuer sitzen zu müssen oder gar zu laufen, die Rasanz und Energie des Motors, die Aufgabe der Kontrolle zugunsten der Teilhabe an der Technik. Dem diesen Nachmittag als Exempel seines Daseins empfindenden Melzer genügen jedoch die Verlockungen und Versprechungen des Fortschritts nicht, nein, diese scheinen als Teil jener totalen Maschine, die ihn von sich selbst entfernt und entfremdet. Hatte er zunächst das Militär als Instanz des Gelebt-Werdens durch die Umstände identifiziert, zeigt sich ihm nunmehr die Technik als Erweiterung, in ihrer Subtilität und Diskretion letztlich ungleich wirkmächtiger. Wer in den 1990er-Jahren ein österreichisches Gymnasium besuchte, kennt Doderers Roman1, zumindest dem Titel nach. Zur selben Zeit stand auch ein anderer Roman auf dem Lehrplan, der, ungleich bösartiger und zugleich simpler, das Gelebt-Werden durch die staatstragenden Institutionen be- 72 schreibt: Der Untertan von Heinrich Mann, erschienen ab 1914, in Buchform 1918, also etwa vierzig Jahre vor der Strudlhofstiege. Der häßliche Deutsche, avant le lettre, erhebt hier sein Haupt als Karikatur, grob gezeichnet, unfähig zur Selbstreflektion, auf der Suche nach dem persönlichen Platz an der Sonne. Der holzschnittartige Entwurf der Figur, meilenweit entfernt von Doderers subtil-liebevoller Hermeneutik, erschien (und erscheint) den Pädagogen des justemilieu als hervorragend geeignet, die Kontinuität eines Typs vom Kaiserreich bis nach Hoyerswerda zu beweisen, womit eine der wichtigsten didaktischen Voraussetzungen zeitgenössischer Erziehung erfüllt ist. Während die Entwicklung Melzers zum Menschen das eigentliche Thema des multiperspektivistischen Bildungsromans Doderers ist, besteht Manns eindimensionaler Antibildungsroman auf der Darstellung der ausschließlich um sich selbst kreisenden Existenz Diederich Heßlings. Während es bei Melzer um ein Erwachen aus der Uneigentlichkeit der Institutionen geht, erfüllt sich Heßlings Dämonie im Aufgehen in der All-Gemeinheit. Entscheidende Station auf dem Weg zum nationalistischen Spießer werden für Diedrich die Berliner „Neuteutonen“, eine schlagende Studentenverbindung, deren Comment wie geschaffen erscheint für den rudimentär angelegten Charakter Heßlings. Dort kann er seine kollektivistischen Neigungen („Nicht Stolz oder Eigenliebe leiteten Diedrich: einzig sein hoher Begriff von der Ehre der Korporation. Er selbst war nur ein Mensch, also nichts; jedes Recht, sein ganzes Ansehen und Gewicht kamen von ihr.“) befriedigen, ebenso wie sadomasochistische Machtspiele, zunächst als Leibfuchs und dann als Fuchsmajor, genießen. Mit dieser Milieueinschätzung hat Heinrich Mann bereits im Jahr 1914 die sich bis heute nicht wesentlich veränderte Kritik am studentischen Verbindungswesen entwickelt und vorgegeben. Zahllose, meist wenig inspirierte, dafür aber kenntnisarme Artikel oder (pseudo)wissenschaftliche Publikationen sind seither zum Thema Burschenschaft (als pars pro toto) erschienen, letztlich als bloße Reproduktionen der Bilder Manns. Vor diesem Hintergrund wäre, nebenbei bemerkt, eine fruchtbare Plagiatsdebatte zu führen, in welcher sich der Urtext in der imaginatio eines Schriftstellers finden ließe. Daß die Linke nicht seit jeher ein Problem mit den exklusiven Ritualen deutscher Stu- denten hatte, zeigt die Mitgliedschaft vieler Akteure der Sozialdemokratie in schlagenden Verbindungen; Tatsache ist jedoch, daß die seit 1968 an den Universitäten, in den Medien und der Politik obsiegende Klasse nichts unversucht ließ und läßt, die waffenstudentische Tradition zu delegitimieren. Trotz dieser fundamentalen, sich nunmehr bereits über Jahrzehnte erstreckende Kritik ist der Exitus in diesem Fall nicht eingetreten, das Erbe erweist sich als zäh und dauernd – ein Ende des Widerstandes gegen die hegemoniale Linke oder gar deren Sieg ist bis auf weiteres nicht in Sicht. Dies ist insofern bemerkenswert, als es sich bei der Mensur um eine der letzten Techniken deutscher Eigenart handeln dürfte, die einer globalisierten, westlich-hedonistischen Ethik entgegensteht und sich aus Aspekten der Nützlichkeit oder Opportunität wohl kaum valid begründen ließe. Anders als in den so oft reproduzierten Klischees setzen sich jene wehrhaften Bünde in der Majorität nicht aus den Söhnen Ehemaliger zusammen: Auch Studenten ohne familiäre Prägungen oder sonstige spezifische Vorkenntnisse begeistern sich für das Ritual. Wie groß die Kränkung der Linken über diese Kontinuitäten mittlerweile sein muß, kann bei den jährlichen Portesten gegen den Wiener Akademikerball ebenso verfolgt werden wie beim Versuch, jedes korporative Auftreten in der Öffentlichkeit zu verhindern. Offen muß hier bleiben, ob diese mit Verve unternommene Versuche einer gewaltsamen Verdrängung des Gegners aus dem öffentlichen Raum psychoanalytisch, etwa im Sinne von Angstbewältigung, deutbar wäre; daß dies nicht ausgeschlossen werden kann, zeigen leicht identifizierbare, regressive Verhaltensweisen wie etwa Trotzreaktionen oder Weinerlichkeit („Trauer und Wut“) bei vielen Protestierenden. Umso auslegungsbedürftiger scheint vor diesem Hintergrund jedoch das Ausbleiben des großen Bruchs mit der Überlieferung: Warum fließt auf den Paukböden deutscher Universitätsstädte von Greifswald bis Klagenfurt, von Aachen bis Wien weiterhin Blut? Warum werden die Prägungen hin zu einer gewaltfreien Erziehung konsequent revidiert? Für das persönliche Fortkommen ist die verräterische Zeichnung des Gesichts doch eher hinderlich: Man macht sich zumindest verdächtig, außerhalb eines verordneten gesellschaftlichen Konsens zu stehen und das Faktische nicht als normativ oder gar alternativlos hinzunehmen. Dazu kommt, daß die körperliche Unversehrtheit nicht das Ziel der Mensur ist – eine Umkehrung aller Absicherungskonditionierungen Heft 2 - 2015 Schwerpunkt westlicher Gesellschaften. Denn man geht fehlt, wenn man vermutet, daß man die Wangen, die Nase, die Ohren nicht ohne Unbehagen den Hieben der Kontrahenten aussetzt. Der in späteren Jahren als Mussolini-Befreier bekannt gewordene Otto Skorzeny hat das sehr ehrlich notiert, insgesamt aber zwölf Partien gefochten. [„Nie werde ich die Gefühle vergessen, die mich bei meiner ersten Mensur im Februar 1927 beherrschten. Durch verschiedene Arm- und Halsbandagen, die die betreffenden Körperteile von Verletzungen schützen sollten kann man buchstäblich das Herz im Halse klopfen hören. Wenn ich ehrlich sein will muß ich gestehen, daß ich Angst vor dem Kommenden hatte, ganz gemeine Angst.“] Nun ist, nebenbei bemerkt, das Befreien italienischer Diktatoren keine zwangsläufige Folge studentischen Fechtens wie etwa die Biografie des revolutionären Sozialisten, Mitglieds der kommunistischen Partei und rasenden Reporters Egon Erwin Kirsch zeigt. Dieser, einer traditionsreichen jüdischen Bürgerfamilie in Prag entstammenden, war Burschenschafter wie sein Bruder und berichtete in launigen Texten etwa von im Patrizierhaus der Familie in Melantichgasse abgehaltenen Mensuren mit allerlei abgehauenen Nasenspitzen und Ohren. Warum also nehmen junge Männer, die es doch einmal besser haben wollen, noch heute all dies auf sich? Karrieredrill und Umerziehung, Hedonismus und Herdentrieb, gute Ausreden und schlechte Presse – trotz alledem finden sich noch immer genug Typen, wie Tyler Durden in David Finchers 1999 erschienenem Fight Club (nach dem gleichnamigen Roman von Chuck Palahniuk) bekennen: „Ich will nicht ohne Narben sterben.“ Und die Angst des modernen Menschen, „nicht eigentlich gelebt zu haben“, hat daran einen entscheidenden Anteil. Diese Angst schwebt als schwarze Wolke im immerblauen, kalifornischen Himmel, der sich über den Teilnehmern des Diskurses unserer westlichen Gesellschaften glückverheißend ausgebreitet hat und der gegenüber den ihm eingeborenen digital naiven das Versprechen einer zweiten, besseren, virtuellen Natur abgegeben hat. Noch aber scheint, zumindest für manche, die Seinsvergessenheit unter den hedonistisch-konsumistischen Vorzeichen unserer Tage (die mit den von Martin Heidegger eingeführten Termini des „Man“ und der „Uneigentlichkeit“ präzise beschrieben ist) nicht das Ende der Geschichte zu sein. Denn, mehr als je zuvor, gilt: „Wie genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ‚großen Haufen‘ zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden empörend, was man empörend findet.“ Als das Gegenteil dieser uneigentlichen (Fremd)Bestimmung entwarf Heidegger be- Heft 2 - 2015 Burschenschaftliche Blätter kanntermaßen das eigentliche Selbstsein, das sich zum „Sein als seiner engsten Möglichkeit“ verhält, „sich gewonnen haben kann es nur, sofern es seinem Wesen nach mögliches, eigentliches, das heißt sich selbst zueigen ist.“ Eigentlich, seiner selbst eingedenk, kann Sein freilich nur dann sein, wenn es sich seiner Endlichkeit, als wesentlicher Bedingung, bewußt ist. Eine spezifisch deutsche Kulturtechnik, sich seiner selbst bewußt zu werden und damit Eigentlichkeit zu erfahren, liegt in der studentischen Tradition der Mensur. Nachdem diese durch die gesellschaftlichen Verhältnisse unter fundamentalen Rechtfertigungszwang geraten ist, treffen die von Heinrich Mann entworfenen und seither ungezählte Male reproduzierten Bilder der Seinsvergessenheit, der Uneigentlichkeit Diedrich Heßlings nicht mehr zu: Vielmehr fallen heute alle äußeren Gründe weg, den „scharfen Gang, der selbst gewählt“ auf sich zu nehmen. Es bleibt allein der innere Antrieb, dem Gegner, der nicht der Feind ist, ins Auge zu blicken und sich bewußt der Angst auszusetzen. Es bleibt eine Urszene von Eigentlichkeit; der Paukant erfährt, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, ein agonales Ausgesetzt-Sein. In der Selbstauslieferung der Mensursituation wird erfahrbar, daß das Leben immer ein riskiertes ist, eines, das einmal beendet sein wird. In der Selbstaussetzung ist der Paukant seiner Verletzbarkeit als Mensch und – unbewußt – auch seines Todes eingedenk und versteht, daß das Individuum nicht über alles frei disponieren kann und daß zu einem guten Teil von einem selbst abhängt, ob sich der Erfolg einstellt oder nicht. Die Erfahrung der Mensur als instinktive Todesnähe, also Vereinzelung, wird jedoch von einer anderen eigentlichen, gegenläufigen Erfahrung konterkariert: Der Erfahrung einer Gemeinschaft der Eigentlichkeit. Der Einzelne setzt sich zwar unmittelbar und unvertretbar aus, aber das haben die, die hinter und neben ihm stehen, auch getan und sie wissen, was das Hinausgehalten-Sein bedeutet. Die Bewältigung dieser Situation, die bewußte Annahme einer Gefahr, vor der man nicht fliehen darf, ist die eigentliche Existenz in nuce. Diese Existenz ist eben nicht ausschließlich oder hauptsächlich von den libidinösen Bedürfnissen eines jungen Mannes bestimmt, sondern von „seinem Stolz, seinem Mut, seiner Beherztheit, seinem Geltungsdrang (…) seinem Gefühl für Würde und Ehre, seiner Indignation und seinen kämpferisch-rächerischen Energien.“ Gerade diese Wesenszüge, die von der herkömmlichen freudianischen Deutung völlig vernachlässigt und als Ersatzhandlung unbefriedigter Sexualität abgetan wurden, verwirklichen sich im Wunsch nach der Wahrung des konservativen Prinzips, welches zum Fechten von Bestimmungsmensuren und zum Annehmen von Forde- rungen verpflichtet. Peter Sloterdijk hat in seiner Würdigung der thymotischen Energien auf dieses Mißverhältnis in der Deutung der conditio humana hingewiesen, die das Erotische allein als Motivation beschreibt und das Agonale pathologisiert. In Doderers Roman beginnt der Eintritt des Protagonisten in die Eigentlichkeit mit der Frage nach den Grundlagen des bisherigen Lebenswegs, worin „ein bedeutender und neuer Schritt ins Leben getan sei“. Dieser Schritt vollendet sich für Melzer in der Bewährung in einer Ausnahmesituation, der äußerst blutigen Rettung des Lebens von Mary K., und endgültig in der erwiderten Liebe der Thea Rokitzer. Den dieser Probe vorausgegangenen Ernstfall, das Sterben seines Vorgesetzten, des Major Laska auf dem Schlachtfeld, erfuhr Melzer noch wie durch einen Schleier, machtlos, in einem nicht selbst gelebten Leben. In der Rettung Mary K.s allerdings tritt uns ein anderer, aktiver Charakter entgegen, der keine Sekunde zögert und das Notwendige tut. So findet Melzer zu einem eigentlichen Leben und überwindet die Institution. Freilich ist die Mensur, die hier als eine Kulturtechnik der Eigentlichkeit skizziert ist, keine Seinsversicherung gegen das „Man“, denn selbst dieses Erleben ist nicht davor gefeit, in seiner krassen Unzeitgemäßheit unterzugehen oder – rechtfertigend – als mehr oder weniger pittoreske Episode postpubertärer Findungsprozesse abgetan zu werden. Gerade in letzterer Bewältigungskommunikation zeigt sich jedoch das Fremde, Archaische dieses Rituals; um wieder Mitglied der Herde sein zu können, steht ein psychoanalytisch-antifaschistischer Sprachkonsens bereit, der geeignet ist, derlei Lichtungen als Extravaganz abzutun und zu kategorisieren. Man könnte gar von einem „Jargon der Uneigentlichkeit“ sprechen. 1 Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre Zuerst erschienen in: Sezession 65, Schnellroda 2015. www.sezession.de 73 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter 3 Fragen an . . . … Burkhard Mötz (Teutonia Wien). junger deutscher Student, gemeinsam mit gleichgesinnten älteren Semestern, noch das freie Wort pflegen und wahre Kameradschaft erfahren kann. All dies bieten die Deutschen Burschenschaften und ihr Verband soll sie dabei unterstützen, dies auch „im Großen“ und deutschlandweit bieten zu können. BBl: Werter Verbandsbruder Mötz, Sie waren im Geschäftsjahr 2013 Sprecher der Deutschen Burschenschaft. Mit etwas Distanz zu Ihrer Vorsitztätigkeit: Wie sehen Sie Entwicklung der Deutschen Burschenschaft in den vergangen zwei Jahren? Mötz: Ich sehe diese überwiegend positiv. Auch wenn die letzten Jahre kein Zuckerschlecken für die Deutsche Burschenschaft waren, so denke ich, daß die Talsohle überwunden ist. Das spürt man, meinem Empfinden nach, vor allem bei den Jungen im Verband, bei denen eine Aufbruchsstimmung und gleichzeitig ein verbandsbrüderlicher Geist herrschen, wie ich sie in der Vergangenheit nie wahrgenommen habe. Das ist besonders auf den Verbandsveranstaltungen spürbar. So sehr einige der Austritte bedauerlich waren, so sehr ist die Deutsche Burschenschaft in Folge derselben und der damit einhergehenden verstärkten Angriffe von außen zusammengerückt. Und hierin müssen wir eine Chance sehen, die es zu ergreifen gilt. Dies zu tun wird unsere Aufgabe für die nächsten Jahre sein. BBl: Wo kann und muß die Deutsche Burschenschaft noch etwas tun, um attraktiver für junge Studenten zu werden? Mötz: Ich denke, daß die Deutsche Burschenschaft für junge Studenten nur dann attraktiv sein kann, wenn sie sich nicht vom Zeitgeist beirren läßt und weiter, ohne dem Druck von außen nachzugeben, ihren Weg geht. Denn ein junger Mann, der eine BBl: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Deutschen Burschenschaft? Alternative zur heutigen Gesellschaft und den Zuständen, wie sie insbesondere an den Universitäten herrschen, sucht, wird nicht daran interessiert sein, einer weichgewaschenen und opportunistischen Gemeinschaft beizutreten. Er wird einer Gemeinschaft beitreten wollen, die – so wie auch er – erkannt hat, daß in unserem Land vieles im Argen liegt und ein Gegenmodell hierzu bietet, in dem Traditionen und Werte bedingungslos hochgehalten werden. Eine, im Vergleich zur restlichen Studentenschaft zugegebenermaßen kleine, aber dafür umso verschworenere Gemeinschaft an „normal gebliebenen“, in der ein Mötz: Schön wäre es, wenn die Deutsche Burschenschaft sich wieder auf ihre Kernkompetenz besinnt. Nämlich unbequeme Wahrheiten, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen und den Gegenwind, mutig auszusprechen. Sie soll wieder deutlich in die öffentliche Wahrnehmung rücken und zu einer Wortführerin in denjenigen Anliegen werden, welche uns im Sinne unseres burschenschaftlichen Selbstverständnisses wichtig sind. Denn die meisten unserer Positionen kann und will heute kaum jemand mehr artikuliere, weil der damit einhergehenden mediale, gesellschaftliche und politische Druck in den letzten Jahren auf ein unerträgliches Ausmaß angewachsen ist. Es entspricht jedoch dem revolutionären Wesen der Deutschen Burschenschaft, welches in den letzten Jahrzehnten leider etwas verloren ging, der Stachel im Fleisch des jeweiligen Systems zu sein und sich diesem niemals anzubiedern. Das sollten wir in Anbetracht des Zustandes, in dem sich unser deutsches Vaterland heute befindet, wieder beherzigen. Burschentag 2014: Gruppenfoto zum Festakt am Burschenschaftsdenkmal. Atelier Göpel 74 Heft 2 - 2015 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter 3 Fragen an . . . . . . Dr. Walter Egeler (Ehrenmitglied der Burschenschaft Arminia zu Leipzig 2000), Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter von 1992 bis 2002. BBl: Sehr geehrter Herr Verbandsbruder Egeler, Sie sind für Ihr interkorporatives Engagement mit der Fabricius-Medaillie des CDA ausgezeichnet worden. Dazu meinen herzlichen Glückwunsch. Wie kann es aus Ihrer Sicht der Deutschen Burschenschaft gelingen, den Dialog mit den anderen Korporationsverbänden wieder zu verbessern? Egeler: Nun, zunächst muß die Deutsche Burschenschaft entscheiden, ob sie diesen Dialog will und was dessen Ziel sein soll. Dazu können die Vorsitzende Burschenschaft und der Verbandsrat einen entsprechenden Antrag erarbeiten, über den dann der Burschentag entscheidet. In einem solchen Antrag sind sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten mit den anderen Korporationsverbänden zu benennen. Da wird sicherlich nichts sensationell Neues herauskommen. Aber allein die Tatsache, daß die Deutsche Burschenschaft wieder einmal eingehend über das Trennende und das Einende zwischen den Korporationsverbänden nachdenkt, ist des Zeitaufwandes und der Mühen wert. Die Dinge, die einen, sollten dann Basis eines Dialoges werden. Hier sind sicher bei allen Korporationsverbänden das Lebensbundprinzip und der Erhalt der Verbindungshäuser zu nennen. Gerade beim Thema „Verbindungshaus“ haben es ja die Korporationsverbände in der Vergangenheit versäumt, ihre Kritiker zu stellen. Der größte Teil der AH-Beiträge fließt in den Erhalt der Verbindungshäuser, subventioniert also die Miete der Studenten. Von dieser dem Lebensbundprinzip geschuldeten Solidarität zwischen jung und alt, wie sie in den Korporationen gelebt wird, sind die Korporationskritiker weit entfernt. Sie fordern lieber von der öffentlichen Hand zu erstellende Studentenwohnheime als sich zusammenzuschließen und selbst welche zu bauen. Eine wichtige Sache, die eint, ist auch die Öffentlichkeitsarbeit. Hier hat der CDA mit seiner Beteiligung an der Leipziger Buchmesse in vielen Jahren eine hervorragende Arbeit geleistet. Was viele nicht wissen, ist, daß Leipzig für einige Burschenschaften Heft 2 - 2015 auch Füxe gebracht hat, einer davon arbeitet derzeit an seiner Habilitation. Nach der Verabschiedung eines entsprechenden Antrages durch den Burschentag kann dann die Vorsitzende Burschenschaft andere Korporationsverbände unter dem Motto „Das Einende steht über dem Trennenden“ zu einem Dialog einladen. BBl: Sie waren zehn Jahre lang als Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter sehr nahe am Verband und seinen Mitgliedsbünden. Was war rückblickend für Sie das bedeutendste Ereignis in der jüngeren burschenschaftlichen Vergangenheit? Egeler: Hier muß ich zwei Ereignisse nennen. Zum einen sind es die Beschlüsse des außerordentlichen Burschentages am 7. April 2001 in Marburg. Durch sie wurde dank der herausragenden Vorarbeit und der souveränen Führung der damaligen Vorsitzenden Burschenschaft der Deutschen Burschenschaft, der Marburger Burschenschaft Rheinfranken, für die burschenschaftlichen Liegenschaften in Eisenach eine finanziell tragfähige und – wie sich bis heute zeigt – die Zukunft sichernde Lösung gefunden. Die Liegenschaften in Eisenach bleiben damit weiter sichtbarer und wertvoller burschenschaftlicher Kristallisationspunkt. Zum andern ist es das Faltblatt „Burschenschafter – Wegbereiter des deutschen Verfassungsstaates“. Dieses Faltblatt wurde von der Deutschen Burschenschaft am 15. Mai 2013, also wenige Tage vor dem 23. Mai, dem Tag des Grundgesetzes, per Post an sämtliche Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der deutschen Bundesländer und Stadtstaaten versandt. In elektronischer Form erhielten es alle Redaktionen (vgl.: Deutsche Burschenschaft/Geschichte/Burschenschaft und Grundgesetz). In diesem Faltblatt wird allen politischen und medialen Entscheidungsträgern gezeigt, daß die Stellung, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ihren Bürgern garantiert, weitgehend identisch ist mit der Vorstellung der Urburschenschaft von der Stellung des Einzelnen in einem Gemeinwesen. An der Wiege des Grundgesetzes steht die Burschenschaft! Damit hat die Burschenschaft eine herausragende Bedeutung in der deutschen Geschichte. Grundlage des Faltblattes ist der Beitrag „Von der Wartburgfeier über die Paulskirche zum Grundgesetz – ein Rechtsvergleich mit Beispielen“ von Frau Dr. Helma Brunck, freiberufliche Historikerin, in den Burschenschaftlichen Blättern, 114. Jahrgang, 1999, S. 9ff. BBl: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Deutschen Burschenschaft? Egeler: Natürlich, daß es ihr gut geht. Aber – das weiß jeder – von allein geht nichts. Man muß für das Gutgehen arbeiten – in der Familie, in einem Unternehmen, in einer Verbindung und auch in einem Verband. Voraussetzung erfolgreicher Arbeit ist Realismus. Es ist also zu fragen, was die Deutsche Burschenschaft bei realistischer Betrachtung unter den heutigen Verhältnissen leisten kann. Und da bin ich der Auffassung, daß sich aus ihrem reichen Erbe mancher über den Tag hinaus gehende Auftrag ergibt, der umgesetzt werden kann. Werden sie mit Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung – den vier Kardinaltugenden – ausgeführt, werden 200 Jahren burschenschaftlicher Geschichte noch viele weitere Jahre folgen. 75 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Zwischen Prinzipientreue und Zukunft Von Daniel Stock Heuer jährt sich die Gründung der Jenaischen Burschenschaft als der Keimzelle unserer spezifischen Korporationsart zum zweihundertsten Mal. Grund und Anlass genug um die wechselvolle Geschichte der burschenschaftlichen Bewegung Revue passieren zu lassen und auch einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Die historischen Begebenheiten wurden von dazu berufeneren Verbandsbrüdern bereits ausführlich dargestellt und sind Bestandteil einer jeden Fuchsenausbildung. Sie sollen daher in diesem Beitrag nur eine Nebenrolle spielen und der Fokus auf aktuelle Themen, welche sowohl Alte Herren, als auch aktive Burschenschafter gleichermaßen betrifft, liegen. Vergleiche mit vergangenen Epochen sind bekanntlich schwer, weil sich die gesellschaftlichen, politischen, aber auch die studentischen Rahmenbedingungen in diesen zwei Jahrhunderten fundamental geändert haben. Dennoch wird von vielen Seiten gerade in diesen Tagen gerne das Streben nach burschenschaftlicher Einheit – gemeint ist hier explizit eine Verbandseinheit – hervorgehoben, verbunden mit dem tiefen Bedauern, daß wir, die Burschenschafter und Burschenschaften insgesamt, erst vor Kurzem gewissermaßen eine Rolle rückwärts machten. Nun ist es mit Blick auf die geschichtlichen Ereignisse innerhalb der Burschenschaft aber doch so, daß es die propagierte Verbandseinheit in den vergangenen 200 Jahren nie wirklich gab. Unter anderen äußeren, nämlich demokratischen Umständen setze bald nach dem „Historischen Kompromiss“ eine Schrumpfung der Deutschen Burschenschaft ein. Beispielsweise verließ mit einer Ausnahme (Teutonia Jena, Austritt erst vor wenigen Jahren) das Süddeutsche Kartell Ende der 1970er Jahre den Verband. Interessanterweise wegen Aufgabe der Pflichtmensur als Verbandsprinzip. In mehreren Wellen folgten dann weitere Austritte aus der Deutschen Burschenschaft, insbesondere Mitte der 1990er Jahre zur Gründung der NDB sowie vor wenigen Monaten in Form des Exodus fast aller Burschenschaften der sogenannten IBZ. Aus diesen Tatsachen kann man nun zweierlei Lehren ziehen: Erstens: Die Deutsche Burschenschaft hat mangels Bereitschaft zu Reformen zwecks Anpassung an neue äußere Begebenheiten die Zeichen der Zeit verkannt und daher die 76 burschenschaftliche Einheit selbst unmöglich gemacht. Zweitens: Die formale Schaffung der burschenschaftlichen Einheit mittels des „Historischen Kompromisses“ vor mehr als vier Jahrzehnten bediente eine Illusion, welche eine Seifenblase erzeugte, die nun nach den Jahren 2010 bis 2012 endgültig geplatzt ist. Ich schließe mich der zweiten Schlußfolgerung an und verweise in diesem Zusammenhang in aller gebotenen Kürze auf die Vielstimmigkeit burschenschaftlichen Gestaltens seit Anbeginn des Juni 1815 bis zum heutigen Tage. Wenn man die Chronologie nur kurz überfliegt, stellt man fest, daß man sich burschenschaftlicherseits oftmals nur darüber einigen konnte, daß man sich uneinig war. Ob es der Krach zwischen „Germanen“ und „Arminen“ am Burschentag 1827 war, oder die Frage im Paulskirchenparlament nach der Herrschaftsform und Reichsgröße, die Debatten um das Mensurwesen seit den späten 1950er Jahren bis einschließlich zum Burschentag 2014, zu guter Letzt noch zu nennen die Abgrenzung der traditionellen Universitätsburschenschaften gegen Technische Hochschulen 1883–1919 und jene Abgrenzung gegen die Fachhochschulen bis 1998. Historiker könnten diesen Absatz auf viele weitere Seiten ausbauen. Für meine Überlegungen soll der kurze Abriß genügen. Mehrere burschenschaftliche Verbände als Chance Jeder kennt das Sprichwort „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“. Sinnbildhaft könnte dies der Schlüssel für unsere burschenschaftliche Bewegung insgesamt sein. Die meisten Leser der Burschenschaftlichen Blätter erinnern sich nur ungern, dafür aber meist noch sehr genau, an die breite, in der Rückschau lähmende Pluralität der vergangenen knapp 45 Jahre. Solange das unbedingte Streben nach der Einheit der vier Besatzungszonen als einem souveränen Deutschland auf der Agenda stand, wurde vieles überlagert, was sich dann in den Jahren ab 1992 ungehindert Bahn brach. Unser großes Pfund, die zeitlosen burschenschaftlichen Prinzipien, welche hinter Ehre – Freiheit – Vaterland stehen, ist auch zugleich bei der praktischen Zusammenarbeit der Burschenschaften nicht selten eine Hypothek. Unsere Prinzipien lassen Raum für Interpretationen und Schwerpunkte burschenschaftlicher sowie korporativer Arbeit. Dies betrifft zahlreiche Aspekte unseres Wertekanons, angefangen von der Frage nach der Zugehörigkeit zum deutschen Volk bis hin zu waffenstudentischen Themen. Zahlreiche Anläufe gab es in den vergangenen beiden Jahrhunderten, diese und andere Streitpunkte zu schlichten und damit alle Studentenverbindungen, welche sich satzungsmäßig auf die Prinzipien der Jenaischen Urburschenschaft von 1815 berufen, gewissermaßen unter „einen Hut“ zu bringen. Ich sehe alle diese, sicherlich ehrenhaften und mit besten Absichten initiierten Bemühungen sämtlich als gescheitert an, zumal ich davon überzeugt bin, daß es dauerhaft unmöglich ist, einen Verband, der explizit neben den korporativen Elementen auch politisch ist, ja politisch sein muß, unter Berücksichtigung aller Facetten und Interpretationen der Grundsätze zusammenzuhalten. Daher lautet mein dringender Appell, die Energien künftig nicht mehr darauf zu verwenden, einen alle Burschenschaften umfassenden Verband erneut zu projektieren, sondern vielmehr einen Modus zu finden, wie die Deutsche Burschenschaft fallweise und zu bestimmten Rahmenbedingungen mit jenen außerhalb unseres Verbandes stehenden Burschenschaften einen modus vivendi finden kann. Dies dürfte bei der NDB schon allein wegen ihres etatistischen Vaterlandsbegriffs als Einengung auf die Bundesrepublik Deutschland sehr schwer fallen. Leichter sollte es aber mit diversen verbandsfreien Burschenschaften und auch jenen Bündern, die im Herbst dieses Jahres einen neuen Verband gründen wollen, werden. Dies ist gewiß noch Zukunftsmusik, aber wir, die Deutschen Burschenschafter, sollten uns bereits jetzt im Frühjahr 2015 Gedanken dazu machen. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, daß bei vernünftigem, respektvollem Umgang miteinander beim 200. Wartburgfest 2017 zumindest ein gemeinsamer Festakt, eine ebensolche Festakademie und ein Großkommers möglich sein könnten. Wir werden sehen, wer im neuen Verband federführend agieren wird und ob von dort eine Zusammenarbeit bei diesen Fragen generell gewünscht ist. Entscheidend ist, daß wir für uns als Burschenschafter in der Deutschen Burschenschaft im Wesentlichen für die Zukunft festhalten: Erstens: Wir sehen es als unsere historische Verpflichtung für die Zukunft an, uns niemandem willfährig anzubiedern und nach der vermeintlichen Masse zu schielen. Heft 2 - 2015 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Zweitens: Die Grundsätze, wie sie in der Verfassung der Deutschen Burschenschaft verankert sind, verpflichten uns nicht nur dazu, diese in unseren Burschenschaften selbst mit Leben zu erfüllen, sondern diese notfalls auch gegen den Zeit(un)geist zu verteidigen. treten müssen, damit wir attraktiv für neue Mitglieder bleiben. Daß dabei weder das Studium selbst, noch korporative Elemente wie Conventsprinzip, Lebensbundprinzip, Farbentragen und akademisches Fechten zu kurz kommen sollten, versteht sich von selbst. Nur wenn wir uns unserer Prinzipien selbst sicher sind, werden wir in die Lage versetzt, sowohl außerhalb des eigenen Verbands mit anderen Burschenschaften als auch mit der Gesellschaft zu interagieren. Dabei brauchen und sollen wir uns nicht verstecken! In einer gefühlt immer komplizierter werdenden Welt mit ihren Herausforderungen für die nachrückenden Generationen ist es unsere Aufgabe vom inaktiven Burschen bis zum betagten Alten Herrn, unsere Überzeugungen und Werte in den Kontext zu tagespolitischen Ereignissen und Fragestellungen zu setzen. Beispielsweise ist die Beschäftigung mit der Zukunft unseres Vaterlandes mitten im europäischen Kontinent eine Kernaufgabe burschenschaftlicher Arbeit. Wohin möchte die Nomenklatura der EU? Wie geht es im postsowjetischen Raum weiter? Bekämpfen wir bei der Flüchtlingsfrage weiterhin nur die Symptome oder irgendwann die Ursachen? Wie steht es um kulturelle und politische Minderheitenrechte in den Staaten Europas? Inhaltliche Herausforderungen für die Zukunft Burschenschaftlicher Auftrag war und ist, aus jungen Studenten politisch gebildete, in der Gesellschaft engagierte Bürger zu formen. Was in heutiger Zeit mit dem Schimpfwort Elite belegt ist, sollte unser Ansporn bleiben! Dies ist der Markenkern unserer Korporationsart, den wir künftig wieder offensiv ver- Weitere Stichworte wären Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch, Energiewende, Zukunft gymnasialer und universitärer Bildung und vieles andere mehr. Die Themen gehen uns nicht aus, sie werden sogar beinahe täglich mehr! Die Deutsche Burschenschaft als Verband sollte ihre Mitgliedsburschenschaften bei dieser Arbeit wirksam unterstützen. Vieles wurde dazu in den vergangenen beiden Jahren erneut auf den Weg gebracht, die Arbeit daran ist fortzuführen und wird niemals erledigt sein. Machen wir aber nicht den Fehler, indem wir die Schuld für eine gewisse Bedeutungslosigkeit in der Gesellschaft ausschließlich bei „den anderen“ suchen, sondern nehmen wir die gegenwärtigen Probleme als Herausforderungen an, die zu bewältigen sind. Vorwärts Deutsche Burschenschaft! Vivat, crescat, floreat in aeternum! Daniel Stock (Stauffia München 2001) Beisitzer im Verbandsrat Der Freiheit eine Gasse Herausforderungen für die Deutsche Burschenschaft heute Von jeher sind in der burschenschaftlichen Bewegung die grundlegenden Ziele „Freiheit“ und „Vaterland“ ineinander verwoben. Beides war für die Urburschenschaft nur die jeweils andere Seite der Medaille. Vaterland war dabei für die Urburschenschaft zunächst nur eine Vorstellung, ein gedankliches Ziel als natürliche, vernünftige Organisation eines Volkes, auch zum Schutz gegen seine Feinde. Freiheit war grundlegend vor allem Menschenrecht – als Freiheit von geistiger Bevormundung und Möglichkeit, in dem neuen, vorgestellten Vaterland zu wirken, und weiter Grundlage für die Konstitution des Vaterlandes mit Garantie der bürgerlichen Freiheitsrechte und der Mitwirkung an der politischen Willensbildung. Beide Ziele sind Ausfluß eines historischen Prozesses, welchem Wandlungen unterlegen. Heft 2 - 2015 Wandel der nationalen Interessen Die äußere Bedrohung der Nation, insbesondere durch Frankreich, so wie sie die Bildung des deutschen Nationalgefühls begünstigte, ist mit Europa entfallen. Auch das Ziel „ein Volk – ein Staat“ ist mit der Aufweichung nationalstaatlicher Strukturen zu Gunsten Europas nicht mehr drängend. An die Stelle des Gegensatzes der Nationen tritt mit einem Male ein gemeinsames Interesse aller Patrioten in Europa an der Erhaltung ihrer jeweiligen nationalen Grundlagen, die sie durch Europa nicht hinreichend geschützt sehen. Europa erweist sich als zu schwach, um neue inhaltliche, identitätsstiftende Grundlagen zu schaffen oder wiederzubeleben. Deutschland verlegt sich – wie Preußen zur Zeit der Restauration – auf die Mehrung wirtschaftlichen Wohlstandes und verweigert sich – auf Grund der historischen Erfahrungen des nachfolgenden 20. Jahrhun- derts aus nachvollziehbaren Gründen – einer neuen abendländischen, inhaltlichen Führungsrolle. Friedenssicherung alleine als Folge einer übernationalen Organisation ist für ihre Grundlegung als Lebensgemeinschaft jedoch nicht ausreichend. Und so begegnet jede Nation selbst neuen, alle treffende Bedrohungen ihrer Lebensgrundlage, zum Beispiel durch ungebremste Einwanderung und Islamismus, in jeweils unterschiedlicher, aber im Kern von der gleichen Sorge getragenen Anstrengung: Bewahrung der jeweiligen Identität. Aus dem nationalen Gegensatz wird ein gemeinsames Interesse – nicht Europas, welches die Bedrohung in ihrem Vereinheitlichungsstreben nicht zur Kenntnis nehmen will – sondern der Franzosen, Engländer, Niederländer oder Deutschen an der Erhaltung ihrer Lebensart. Nation also nicht mehr vorrangig als Bollwerk nach außen und Freiheitsicherungsinstrument nach innen, sondern als die nach wie vor grundlegende Struktur menschlichen Zusammenlebens, in welcher der Einzelne Halt findet, 77 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Freiheitskrieg 1813 wird ein Befreiungskrieg. Aus dem konstitutionellen, erträumten Gesamtdeutschland wird die Wiederherstellung absolutistischer Kleinstaaten. Aus den Helden der neuen Zeit werden Demagogen, die mit allen Mitteln der Repression, mit Berufsverbot, Kerker, jedenfalls mit Abschieben in die Privatheit verfolgt werden und dieses Schicksal ungebrochen trugen. Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn und mit ihnen und nach ihnen viele Burschenschafter und Patrioten sind Personen, die gerade jetzt in dieser Haltung Vorbild sein können und denen wir Reverenz zu erweisen haben. sich vergewissern kann, aus welcher er Kraft schöpft und in welche er Kraft geben kann und für welche er Opfer zu bringen bereit ist – und die es deshalb zu erhalten gilt. Neue Herausforderungen für die Freiheit In gleicher Weise muß sich das Postulat der Freiheit neuen Herausforderungen stellen. Freiheit der Urburschenschaft war Freiheit im Sinne der Aufklärung und des Deutschen Idealismus. Freiheit war damit zunächst und grundlegend Freiheit zur Vernunft, Freiheit als Befähigung des menschlichen Geistes zur Vervollkommnung in einer sittlich handelnden Persönlichkeit. Freiheit ist auch heute noch für jeden Burschenschafter die Inpflichtnahme zum Wirken an sich selbst und in Gesellschaft und Staat. Aus dieser geistigen Freiheit folgen dann notwendig die Forderungen bürgerlicher Freiheitsrechte und die Forderung nach Schaffung einer Konstitution des Gemeinwesens, welcher die Teilhabe des Bürgers an der politischen Willensbildung gewährleistet. Mit dieser Freiheit ist das Schicksal der Deutschen Burschenschaft maßgeblich verbunden. Es begann für die Urburschenschaft gleich mit einer bitteren Enttäuschung. Aus dem 78 Die Durchsetzung von Konstitution und Freiheitsrechten, an denen Burschenschafter maßgeblichen Anteil haben, hat dem Staat Zügel bei der Ausübung hoheitlicher Repression angelegt. Dafür gibt es jetzt zwei neue, heimtückischere Angriffslinien: Die erste ist die Schaffung eines öffentlichen Meinungsklimas, das Menschen und Meinungen als von vornherein „böse“ ausgrenzt. Der Prozess ist oft beschrieben. Doch wie beschaffen muß eine Meinung sein, um sie zu berechtigen, sich an fremder Freiheit zu vergreifen? Das Recht hat sie doch höchstens dann, wenn die bekämpfte Meinung das gemeinsame Fundament, welches uns allen die Freiheit erhält, beseitigen will. Legitime Grenze jeder Meinungsäußerung ist deshalb die allgemeine demokratische Freiheitsgarantie, also die verfassungsmäßige Grundordnung. Nicht aber ein irgend geartetes, von interessierter Seite genutztes Rechts-Links-Schema, nicht irgendeine vor sich her getragene Moralität oder Inanspruchnahme von Besserwisserei. Hier sind viel zu viele Burschenschafter zu Konzessionen bereit. Sie leugnen die repressiven Wirkungen der Meinungsmacht, verharmlosen berufliche Einschränkungen, Entlassungen, Kündigungen von privatrechtlichen Verträgen, Ausnutzung von Monopolstellungen, öffentliche Diskreditierung oder auch die klammheimliche Freude an und die Duldung von körperlicher Bedrohung von Bürgern durch gewaltbereite Gruppen – wie zum Beispiel der Antifa – und was der Mittel noch mehr sind, um einen Menschen einzuschüchtern und vom öffentlichen Diskurs auszuschließen. Sie machen sich nicht die Mühe zu prüfen, ob die diskriminierte Meinung tatsächlich die verfassungsmäßige Grundordnung verletzt – wie bei aller möglichen Falschheit regelmäßig nicht – sondern übernehmen die politischen Kampfbegriffe des linken Spektrums, um sich unter lebhafter Berufung auf angebliche oder tatsächlich skandalöse Einzelfälle abzusetzen, auszutreten oder die burschenschaftliche Bewegung zu spalten. Die Bedrohung hat ihr Ziel erreicht. Doch keiner glaube, daß er mit Anpassung unbeschädigt an seinen Idealen und damit an seiner Person davon kommt. Und kein Burschenschafter glaube, sich damit dem Druck entziehen zu können. Notfalls wird eben das Rechts-Links-Schema geringfügig neu justiert. Die zweite Bedrohung der Freiheit ist fundamentaler und verhängnisvoller. Sie setzt an den Inhalten der Freiheit an. Freiheit ist nicht mehr der Auftrag zum sittlichen Personalitätsvollzug, sondern Beliebigkeit. Jeder kann tun und lassen, was er will und er tut es auch, Hauptsache, es vermittelt dem Akteur in seiner spontanen, aktuellen Wahrnehmung Glück. Jeder Lebensvollzug ist gleichwertig. Einzig gemeinsamer Nenner einer solchermaßen atomisierten Gesellschaft ist die jeweilige Bestreitbarkeit des Standpunktes des anderen. Es leuchtet sofort ein, daß eine solche Gesellschaft nur durch Lenkung und allgemeine Bedürfnisbefriedigung zusammengehalten werden kann und – weil sie sich nicht mehr der Mühe der Verortung und der kritischen, in Geschichte und Erfahrung fundierten Prüfung ihrer Lebensumstände unterzieht und unterziehen soll – manipulierbar wird. Die Ergebnisse dieser – Freiheit durch Libertinage ersetzenden – „Freiheit“ sind fortgeschritten und überall sichtbar. Hier scheint erneut die Verknüpfung von Freiheit und Nation auf. Bei beiden geht es im Kern um die Wahrung der Identität. Hier liegt die Aufgabe. Täglich. In der Familie, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft. Sie erfordert Mut. Mut zur Persönlichkeit und damit zuallererst zur Unterscheidbarkeit und Mut zum Bekenntnis. 200 Jahre Geschichte der Deutschen Burschenschaft sollten uns dabei helfen. Wilhelm Haase (Saxo-Silesia Freiburg) Heft 2 - 2015 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Studieren hat Tradition und Zukunft – Bologna nicht! Bologna ist nicht nur eine Stadt in Italien, sondern auch der Inbegriff einer Hochschulreform, die sich bereits seit Jahren hinzieht. Dieser Artikel versucht, sich mit den Zielen, Anforderungen und Ergebnissen dieser Reform unter den Gesichtspunkten der Deutschen Burschenschaften auseinander zu setzen. Ist es bei dieser Überflutung des Akademikerarbeitsmarktes, welche das Bachelor/ Master/PhD-System mit sich bringt, nicht verständlich, daß Studenten zunehmend verunsichert sind? Werden sie durch die aktuelle Situation nicht erst dazu genötigt, ihre Lebensläufe als einen Lebensmarsch mit angeblich herausragenden Leistungen darzustellen? Oder ist es der Student selbst, der durch die Abnahme an akademischer Anforderung nicht mehr in der Lage ist, sich selbst reflektierend beziehungsweise selbstkritisch darzustellen? Unwissende akademische Ja-Sager sagen die Einen, von Bologna überforderten Studenten reden die Anderen. Eine Studentin äußerte sich in einer FAZ-Kolumne (17. Juli 2014) dazu wie folgt: „Erst haben wir zu lang studiert, dann kam der Bologna-Prozess und plötzlich sind die Absolventen noch zu unreif, klagt die Wirtschaft. Kein Student weiß mehr, was wirklich Erfolg am Arbeitsmarkt bringt. Und was tun wir dann aus Verzweiflung? Uns so breit aufstellen wie es nur geht. Und am Ende dürfen wir uns von denselben Menschen, die dieses System mit aufgebaut haben, anhören, dass unsere Lebensläufe zu glatt wären. Was wollt ihr eigentlich von uns? Am Ende kann man es niemandem recht machen, verloren haben wir, erdrückt von euren Erwartungen.“ Zunächst sollte mit dem Bologna-Prozeß ein einheitlicher Bildungsraum in Europa geschaffen werden – so das einhellige Ziel der Bildungsminister des EU-Raumes und auch die Bestrebungen der Universitätspräsidenten. Der Wunsch ist es, das tertiäre Bildungssystem im zukünftigen transkulturellen Europa zu nivellieren. Eine Auflösung von unterschiedlich historisch gewachsenen Bildungsgängen wurde beschlossen, ohne in Betracht zu ziehen, daß die vorhandenen Strukturen ihre Vorzüge haben. Durch diese Systematisierung wurden neben der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Hochschulen auch die burschenschaftlichen akademischen Ideale, die Freiheit der Lehre und des Lernens, zusehends beschnitten. Die Deutsche Burschenschaft ist Heft 2 - 2015 sich seit ihrer Gründung darüber bewußt, daß sich die Wissenschaft nur in Unabhängigkeit vom Staat, ohne Verordnung bestimmter Denkweisen und ohne einengende administrative Eingriffe entfalten kann. Daher ist eine wissenschaftliche Erkenntnis für Professoren und Studenten als Ergebnis des individuellen Denkens unabdingbar und darf nicht zum Gegenstand sachfremder, kollektiver Willensbildung gemacht werden. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen einigten sich Rektoren und Minister darauf, den Ländern eine unbekannte Bildungsstruktur aufzuoktroyieren. Die Bologna-Initiative sah hierzu vor, daß nach der Zerschlagung der bestehenden Hochschulkonzepte im EU-Raum der Versuch unternommen werden müsse, die Agendapunkte der im Jahr 1988 verfaßten Magna Charta Universitatum umzusetzen. An erster Stelle stand die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse. Den Nationalstaaten wurden bei der Umsetzung einzelner Bestandteile der Bologna-Reform erhebliche Spielräume in der Ausgestaltung des Hochschulsystems gewährt. Der Meilenstein konnte nicht realisiert werden, weil die meisten Universitäten ihre Lehr- und Gestaltungsfreiheit weiterhin ausleben und somit jede Hochschule unterschiedliche Anforderungen an ihre Studenten stellt. Wenn es die Bestrebung war, eine Vergleichbarkeit herbeizuführen, wieso werden dann in der Realität nicht automatisch alle Scheine anderer Universitäten anerkannt?! Ein ähnliches Problem ist schon im Schulsystem bekannt, wo 16 Bundesländer zwar den gleichen Abschluß haben, aber alle Lerninhalte unterschiedlich sind und deswegen jedes Land Jahr für Jahr eine andere Reformsau durch die Schulen treibt. Somit ist – rein technisch gesehen – eine allgemeine Vergleichbarkeit von Abschlüssen nicht wirklichkeitsnah. Hingegen wurde der Plan der Bologna-Bewegung ein dreistufiges System von Studienabschlüssen (Bachelor, Master & Doktor/PhD) zu schaffen und ein Leistungspunktesystem (nach dem ECTS-Modell) einzuführen, fast flächendeckend umgesetzt. Vor dem Hintergrund des Programmpunktes „Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung“ haben einzelne Universitäten sich zehn Jahre nach der Einführung des Bachelor/Master-Systems nun dazu entschlossen, zum Diplom-Modell zurückzukehren. Die technischen Hochschulen argumentieren, daß sie ihr Marken- Von Patrick Körner zeichen „Diplom-Ingenieur“ etc. schützen wollen oder müssen. Daß es einem Bachelor/Master-System nicht gelang, den nötigen Praxisbezug in die tertiäre Ausbildung zu integrieren, läßt sich durch die unterschwelligen Aussagen der betroffenen Rektoren nur erahnen. Professoren hingegen äußern sich ihren Studenten gegenüber direkter und empfehlen nach dem Bachelor in das Berufsleben einzusteigen, weil der Master ihrer Meinung nach keine Bereicherung für den zukünftigen Beruf darstellt. Mobilität als (Schein-)Kriterium Auch die Förderung der Mobilität der Studenten war der Bologna-Bewegung ein Anliegen. Hierbei sollten neben den räumlichen Mobilitätshemmnissen auch die zwischen den Hochschulen und Bildungsgängen sowie Hemmnisse der kulturellen Kompetenzen aufgelöst werden. Durch dieses Vorgehen soll gleichzeitig die Förderung der europäischen Zusammenarbeit in der Qualitätsentwicklung vorangetrieben werden. Im Sinne des akademischen Ideals ist es nur begrüßenswert, wenn eine räumliche Mobilitätsförderung angestrebt wird. Wünschenswerter Weise wird hierdurch der wissenschaftliche Wettbewerb angekurbelt und die Qualität der Wissensschaft nachhaltig weiterentwickelt. Hat es Bologna aber geschafft die Mobilitätshemmnisse zu tilgen, die Mobilität zu erhöhen und damit die Bildungsqualität zu sichern? Die Auslandsstudentenquote bei bundesdeutschen Studenten betrug im Jahr 1999 (das Jahr vor der Bologna-Einführung) auf Basis der Studentenzahlen von 2012 1,7 Prozent – unter der Annahme, daß es sich bei diesen Studenten in Österreich und der Schweiz um Numerus-Clausus-Flüchtlinge handelt. Bis zum Jahr 2012 stieg die Quote auf vier Prozent, was einen jährlichen Anstieg von 0,18 Prozentpunkten bedeutet. Gleichzeitig ist die Erasmusförderquote von elf Prozent (Basisjahr 2012) geförderten bundesdeutschen Auslandsstudenten im Jahr 1999 auf 20 Prozent in 2012 gestiegen. Ob sich die Quote der Auslandsstudenten dadurch erhöht hat, daß viel mehr Budget dafür auf gewendet wird, daß ein Student ins Ausland geht oder ob ein akademisches Interesse besteht, bleibt hier unbeantwortet. Die Statistik der österreichischen Hochschulen hingegen gibt darüber Auskunft, daß das Verhältnis der Studenten, die zum Studium ins Ausland gehen, sich (Outgoing-Quote) für alle Universitäten mit insgesamt 298.527 Studenten auf 1,3 Prozent 79 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter und für Fachhochschulen mit insgesamt 43.593 Studenten auf knapp fünf Prozent für das Wintersemester 2013 beläuft. Ein sehr marginaler Erfolg, wenn man sich den Aufwand vor Augen führt, der für die Umsetzung des Bologna-Prozesses aufgebracht wurde. Es ist zu bezweifeln, daß eine Qualitätserhöhung der Bildung für unsere deutschen Studenten im tertiären Bereich durch die Tatsache, daß bei einem Auslandssemester nur Lehrveranstaltungen belegt werden dürfen, die vorher von dem jeweiligen Universitätsrektorat des Studenten freigegeben wurden, realisiert werden kann. Wie soll unter diesen Umständen eine Förderung der Bildungsqualität in der europäischen Hochschuldimension möglich sein? Studiendauer und Abbrecherquoten Auch in Bezug auf die Studiendauer stellt sich die Frage, welche Verbesserung dadurch, daß der Bologna-Prozeß für die Studenten eine 40-Stunden-Woche â 45 Studienwochen (30 Stunden entsprechen einem ECTS, wobei ein Bachelorstudium 180 ETCS vorschreibt) veranschlagt hat, war die Folgeerscheinung die theoretische Beschleunigung des Studiums. Zum Vergleich: Ein Diplomstudium war/ist mit 20 Stunden pro Woche angesetzt. 80 Nur noch sechs Semester sollte das berufsbefähigende Erststudium und vier Semester das weiterführende Studium dauern. Mittels Voraussetzungsketten beziehungsweise der Verschulung und eingeschränkten Lehrplangestaltung hat die BolognaReform es erreicht, den Lehrplan so zu straffen, daß aus einem vierjährigen Magister- ein dreijähriges Bachelorstudium wurde. Durch die straffere Studienplanung und die damit einhergehende frühzeitige Zeugnisvergabe sollte außerdem die Studienabbrecherquote zurückgehen. Studieren unsere Akademiker durch die Studienreform schneller und brechen weniger Studenten ihr Studium ab? Das Statistische Bundesamt der Bundesrepublik ist in seiner Analyse der Jahre 2010 bis 2012 zum Ergebnis gekommen, daß ein Bachelorstudent 6,5 Semester und ein Masterstudent mit vorherigem Bachelorstudium (im Median) insgesamt 10,5 Semester zum Abschluß benötigt. Ein Diplomand hingegen hatte sein Studium vor der flächendeckenden Einführung des Bachelor/Master-Systems innerhalb von 11,2 Semestern absolviert. Das entspricht somit einer marginalen Verbesserung von 0,7 Semestern. Belief sich hingegen die Studienabbruchquote an Universitäten im Jahr 1999 nur auf 21 Prozent (FH: 22 Prozent) der Diplomstudienanfänger, waren es 2010 bei den universitären Bachelorstudiengängen insgesamt 35 Prozent (FH: 19 Prozent), wobei die universitären Ingenieurwissenschaf- ten mit einer Abbrecherquote von 48 Prozent zu den Spitzenreitern zählten. Die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) begründet das wie folgt: „Die Umsetzung der Bologna-Reform in den Ingenieurwissenschaften an Universitäten hat offensichtlich dazu geführt, dass sich die bestehenden Probleme in den zugehörigen Fächern noch verschärft haben. Die betreffenden Fakultäten und Fachbereiche haben sich noch ungenügend auf die Heterogenität der Studienanfänger eingestellt.“ Des Weiteren stellt die HIS in ihrem Bericht „Die Entwicklung der Schwund- und Studienabbruchquoten an den deutschen Hochschulen“ von 2012 fest, daß die Umstellung der MINT-Fächer auf Bachelor- und MasterStudiengänge nicht dazu beigetragen hat, den anhaltend hohen Anteil von Abbrechern von über 30 Prozent zu minimieren. „Vielmehr hat sich der Studienabbruch in den zugehörigen Fächern sogar noch verstärkt. Mit Abstand am höchsten fällt mit einem Anteil von 55 Prozent der Abbruch im Studienbereich Mathematik aus.“ Die Abbruchquote bei einem universitärem Masterstudiengang liegt laut dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) bei elf Prozent (FH: sieben Prozent). Blicken wir zurück auf die Wachstumsrate der Studenten, so lag diese für den Beobachtungsraum von 1999 bis 2012 bei 36,8 Prozent beziehungsweise von 1999 bis Heft 2 - 2015 Aus dem burschenschaftlichen Leben 2010 bei 19,3 Prozent. Dieser Anstieg läßt sich vermutlich auf die gesellschaftlich höhere Bewertung der Hochschulbildung zurückführen. Vergleichen wir aber die Zunahme der Abbrecherquote von 14 Prozent (Zeitraum 1999 bis 2010) und stellen diese der Wachstumsrate der Studentenzahlen von 19,3 Prozent (gleicher Beobachtungszeitraum) gegenüber, so ist durch die Einführung des Bachelor-Studiums die Absolventenquote nur um fünf Prozent gestiegen. Und dabei ist die Anzahl der MasterAbbrecher exkludiert. Burschenschaftliche Blätter Diese Massenuniversität produziert unreife, charakterschwache und desorientierte Studenten – wir Burschenschafter hingegen bieten diesen Studenten seit Jahrhunderten, in einem Umfeld der Entschleunigung, die Möglichkeit ihren Charakter und Fähigkeiten zu schulen und als vollwertige Akademiker in die Berufswelt einzutreten. Berufschancen verbessern? Zusammengefaßt läßt sich deshalb festhalten, daß Bologna keine Besserung gebracht hat und unsere Absolventen weiterhin erst im hohen Alter für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Laut Statistischem Bundesamt ist ein Erstabsolvent des Bachelorstudiums im Durchschnitt 25,2 Jahre und des Diplomstudiums oder Masterstudiums 28 Jahre alt. Wie hat Bologna den Arbeitsmarkt beeinflußt? Und welche Auswirkungen hat sein Wirken? Betrachtet man den jährlichen Bericht der OECD, der über die Bildungssituation in den einzelnen EU-Ländern „informiert“, so schneiden in diesem Deutschland und Österreich im direkten Vergleich bei der Akademikerquote mit anderen EULändern wie Frankreich schlechter ab. Gleichzeitig weisen Deutschland und Österreich aber die niedrigsten Jugendarbeitslosenzahlen im EU-Raum auf. Wir als deutsche Burschenschafter sehen in der langen Studiendauer ein wesentliches Problem der Hochschulpolitik. Nicht nur, daß das Alter zu Studienbeginn aufgrund von Wehrdienst und eventuell vorbereitender Berufsausbildung sehr hoch ist, sondern auch das fortwährende Anreichern von Lehrstoff kennzeichnet das heutige Studium. Somit wird der Aufenthalt an einer Universität unnötig in die Länge gezogen. Es zeigt sich, daß die Regierung durch das Bachelor/Master/PhD-System die Zahl der Akademikerabschlüsse künstlich anheben will – vermutlich weil es nicht gelungen ist, berufliche Abschlüsse adäquat im Qualifikationsrahmen zu verankern. Wahrscheinlich können die Experten der OECD die Qualität dieser Ausbildungsgänge mangels Erfahrung nicht einschätzen. Es wird schlicht und ergreifend vergessen, daß an- Heft 2 - 2015 dere EU-Länder ein duales Ausbildungssystem gar nicht etabliert haben. Finnland beispielsweise hat kein duales Ausbildungssystem, ist aber im OECD Vergleich im Jahr 2011 mit 68 Prozent Studienanfängern unter den Spitzenreitern und liegt damit sogar über dem OECD-Durchschnitt von 60 Prozent. Gleichzeitig weist Finnland von 2000 bis 2014 eine der höchsten Jugendarbeitslosigkeitsraten von 20 bis 25 Prozent im nordeuropäischen Raum auf. In Deutschland und Österreich hingegen ist lediglich eine Jugendarbeitslosigkeitsrate von sieben bis zehn Prozent zu verzeichnen. Wir befinden uns in einem Akademisierungswahn und Schuld daran ist die Behauptung der OECD, daß die niedrige Akademikerquote den Wirtschaftsstandort Deutschland schädigen würde. Kritiker hingegen verweisen auf südeuropäische und asiatische Länder, in denen ein Akademikerheer ohne Perspektive auf den Arbeitsmarkt strömt. Eine solche Vielzahl von Akademikern würde für Deutschland die Zerschlagung des einzigartigen und weltweit bewunderten Bildungssystems bedeuten. Während das Studium allgemein als Schlüssel zum Erfolg gesehen wird, hält Professor Dr. Hans Peter Klein (Lehrstuhl der Didaktik der Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt am Main) fest, daß ein Studium heutzutage kein Erfolgsrezept mehr sei: 81 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter „Tatsache ist, dass in den letzten Jahren alle Länder, die hohe Akademikerzahlen generieren, diese nicht zur wirtschaftlichen Prosperität beigetragen haben. Die aus dem Boden gestampften Studiengänge werden mit der Begründung eingerichtet, die Komplexität der Arbeitswelt habe sich erhöht. Setzt man Erfolg mit hohem Einkommen gleich, kann man nur vom Studium abraten. Die Reichen dieser Welt sind in ihrer deutlichen Mehrzahl Geschäftsleute, keine Akademiker. Entgegen den Darstellungen der OECD bestreitet heute niemand mehr ernsthaft, dass es seit 15 Jahren zu einer deutlichen Absenkung der Akademikergehälter gekommen ist. Vor kurzem hat noch ein Gericht die derzeitigen Einstellungspraktiken für junge Juristen mit Einstellungsgehältern von 1000 Euro pro Monat als sittenwidrig gebrandmarkt. An einer nachhaltigen Ausbildung interessierte Jugendliche mit hohen Gehaltsversprechungen an die Uni zu locken ist mehr als verantwortungslos.“ nicht zu viel. Der Absolvent bemerkt erst spät, daß er sich trotz seiner wechselseitigen Fähigkeiten ein unzureichendes Halbwissen angeeignet und dennoch sein Studium länger als erwartet gedauert hat. Überall anpassen und ja nicht anecken entspricht hierbei dem Zeitgeist. Für den Absolventen lebenswichtig, aber für den Arbeitgeber zum Haare raufen. Professor Dr. Klein greift hier das Überangebot an Akademikern auf und geht auf die damit einhergehenden finanziellen Aspekte ein – er vergißt zu erwähnen, daß das Vordiplom beziehungsweise der heutige Bachelor aus seiner Handlungs- und Praxisorientierung herausgelöst wurde. Soll heißen, daß der Bachelor zunehmend vergeistigt wurde und somit die tertiäre Hochschulausbildung eine vollständig theoretische geworden ist. Dies ist bei technischen Studiengängen verheerend und mit ein Grund, warum die technischen Hochschulen im Jahr 2010 das Diplom wiedereinführen wollten. In einer 2013 vom Unternehmensberater Ernst & Young durchgeführten Absolventenbefragung gaben 63 Prozent der Befragten an, daß sie „unzureichende praktische Erfahrungen gesammelt haben, die sie aber für eine Karriere benötigen“. Jugendliche zieht es wahrscheinlich aus Gründen der gesellschaftlichen Reputation, dem Interesse, dem späteren Berufswunsch oder dem Uneinssein über ihre eigene Zukunft in ein Studium. Die Hochschullandschaft kann sich freuen, weil die globale Finanzierung der Hochschulen sich an den Immatrikulationszahlen bemißt. Diese Zuwendung fließen unabhängig davon, ob diese je ihr Studium absolvieren, wobei bekanntlich knapp ein Drittel der BachelorStudienanfänger ihr Studium nie beenden. Je mehr Studienanfänger, desto mehr Finanzmittel für die Hochschule. Es scheint ein willkommener Lösungsansatz für die Budgetproblematik der Universitäten zu sein. Diese Entwertung des Hochschulbereiches läuft parallel mit der Entwertung des Ausbildungsbereiches. Es wird also eine Bildung um des Bildungswillens betrieben und die Akademikerquote als Parkplatz für jugendliche Arbeitslose genutzt, um diese aus der Statistik zu tilgen. Es werden Massen an Studenten durch den Verwaltungsapparat Hochschule geschleust, ohne dabei ein Wort darüber zu verlieren, daß eine Erhöhung der Quantität in den meisten Fällen auf Kosten der Qualität geht. Der Klassenkampf der Länder im internationalen Wertungsmarathon, gefolgt von mißlungener Bildungspolitik führt geradewegs dazu, daß nicht nur der Druck auf die Universitäten steigt – da sie wünschenswerter Weise die Akademiker aus dem Ärmel schütteln sollen – sondern auch auf die Studenten. Durch den überlaufenden Akademikerarbeitsmarkt angespornt, beginnen die Studenten sich einen Lebenslauf zu basteln, der ihnen jede Möglichkeit auf dem Arbeitsmarkt offenhalten soll. Frei nach dem Motto: Von allem ein bißchen, aber ja 82 Das Ausbleiben der Entschleunigung des Studiums sorgt nicht dafür, daß die Absolventen sich zu einer charakterfesten Persönlichkeit entwickeln. Und die es dennoch geschafft haben, beenden als talentierte Akademiker ihr Studium nur mit dem Bachelor, weil sie der Gängelei des Bildungssystems entkommen wollen. Aufgrund dessen und dem Rückgang der Ausbildungsqualität der Hochschulen beginnen immer mehr Unternehmen damit, ihre eigenen Bildungseinrichtungen aufzubauen, um dieser Mißwirtschaft in der tertiären Bildungslandschaft zu entkommen. 2014 stellt die gewerkschaftsnahe HansBöckler-Stiftung fest, daß die Anfängerzahlen an Hochschulen in den letzten zwölf Jahren von 300.000 im Jahr 2000 auf über 500.000 im Jahr 2012 gestiegen sind. Die Zahlen des dualen Systems sind hingegen von etwa 600.000 im Jahr 2000 auf knapp 500.000 im Jahr 2012 gesunken und schneidet sich im Jahr 2011 mit den Anfängerzahlen der Hochschulen. Alarmierend ist aber, daß die Anfängerzahlen im Übergangssystem (Berufsfachschulen etc.) von etwa 550.000 im Jahr 2003 auf etwa 250.000 im Jahr 2012 abgestürzt sind. Der Bologna-Prozeß hat sukzessiv dazu beigetragen, das duale Ausbildungssystem zu entwerten. Und die Regierung hat dem zugestimmt – im Wissen, daß man die Vorteile der praxis-, handlungs- und anwendungsorientierte Ausbildung zu Gunsten der geisteswissenschaftlichen Bildung aufgibt. Wohl auch im Wissen, daß weltweit vereinzelte Staaten darum bemüht sind, daß deutsche Bildungssystem zu adaptieren. Länder wie Frankreich, China oder Saudi-Arabien sind der Ansicht, daß ein solches Bildungssystem eine Bereicherung für ihre Bildungsstruktur ist. Fazit Insgesamt läßt sich feststellen, daß durch diverse Maßnahmen im Bildungssektor und durch den Bologna-Prozeß mehr junge Menschen eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen. Dieser positiven Entwicklung stehen allerdings mehrere bereits genannte negative Effekte gegenüber. Einerseits erhöht sich parallel zur Erhöhung der Zahlen der Erstsemester auch die Zahl der Studienabbrecher, andererseits werden auf Arbeitgeberseite nicht alle wissenschaftlich Vorgebildeten, sondern eher praktisch Ausgebildete nachgefragt. Außerdem wurden sukzessiv Studienbereiche auf das Bachelor/Master-System umgestellt, bis der point of no return für alle Studiengänge erreicht war. Eine fortlaufende Evaluierung des Prozesses hat scheinbar nicht stattgefunden, so daß sich einige Universitäten und Fachbereiche auf den Weg zurück zu den Diplomstudiengängen machen, was die Zukunftsaussichten der Bachelor- und Master-Absolventen noch mehr beeinträchtigt. Leidtragende des Prozesses sind die Studenten, Professoren und Arbeitgeber, und damit die gesamte Volkswirtschaft. Die durchgeführte strategische Änderung des Hochschulbildungssystems erfolgte unserer Meinung nach, um zweifelhafte politische Ziele durchzuboxen. Der Wert der Wissenschaft geht zunehmend verloren und durch die Verschulung des tertiären Bildungsweges werden weitestgehend nur noch Funktionseliten geschaffen. Um diesem Prozess noch eine erfolgreiche Kehrtwende zu geben, benötigt es den Reformwillen der hiesigen Entscheidungsträger und konstruktive Beiträge der Zielgruppe. In diesem wegweisenden Entwicklungsprozeß sollte es ermöglicht werden, nach dem Bottom-up-Prinzip die intellektuelle Riege einzubinden. Daher sei jeder Burschenschafter, Student und Auszubildender dazu angehalten, sich in den Prozeß des intellektuellen und hochschulpolitischen Austausches einzubringen und Politiker und Bildungsexperten dazu anzuhalten, sich für eine adäquate Anerkennung des bewährten, auf vielen Schultern ruhenden, wissenschaftlichen und beruflichen Bildungssystems einzusetzen. „[Denn das] Überleben und die Wirtschaftskraft unseres Vaterlandes können nur dann erhalten werden, wenn die Ausbildung auch kommender Generationen von hoher Qualität und frei von Ideologie ist“, bringt es das Handbuch der Deutschen Burschenschaft treffend auf den Punkt.“ Heft 2 - 2015 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Volkstumsarbeit Von Bruno Burchhart Einen wichtigen Teil der Aufgaben der Deutschen Burschenschaft nimmt der „Volkstumsverein“ wahr. Ist doch in Bezug auf Volkstum in der DB-Verfassung im Artikel 9 Absatz 2 festgelegt: „Pflicht der Burschenschaften ist das dauernde rechtsstaatliche Wirken für die freie Entfaltung deutschen Volkstums in enger Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes unabhängig von staatlichen Grenzen in einem einigen Europa in der Gemeinschaft freier Völker“. Diesen Auftrag bewältigt weitgehend der „Burschenschaftliche Verein für Volks- und Minderheitenrechte in Europa e.V.“ (kurz Volkstumsverein). Neben dem Erziehungs- und Bildungsauftrag, dem Lebensbund und der Geselligkeit ist gerade diese Aufgabe heutzutage im freien demokratischen Europa eine äußert wichtige und letztlich auch lohnenswerte. Besagt doch der zitierte Verfassungsartikel, kurz auch volkstumsbezogener Vaterlandsbegriff, daß sich der Burschenschafter dem gesamten deutschen Volk anzunehmen hat. und Verbandsbrüder zu motivieren, an dem Aufgabegebiet teilzuhaben: Zahlreiche Vorträge bei etlichen Bünden, bei Seminaren und Verbandstagungen sollten dies erreichen. Zwei große Seminare ermöglichten es jungen Verbandsbrüdern, an Ort und Stelle – einmal in Südtirol (Brixen) und einmal in Ostbelgien (Brüssel-Löwen) – die Situation der Deutschen speziell in diesen Gegenden persönlich kennenzulernen. Gleichzeitig war es notwendig, vorhandene Verbindungen zu erneuern und zu erweitern und neue aufzubauen. Dazu war es Arbeit des Volkstumsvereins Ziel ist unter anderem auch, das Wissen voneinander und das Zusammengehörigkeitsbewußtsein der Deutschen in Europa zu fördern und zu stärken. Einige Beispiele von Hilfestellungen seien hier genannt: Ermöglichen von Noten-Ankäufen und Proben beim studentischen „Hugo Wolf-Kammerchor“ in Marburg/Drau (heutiges Slowenien), Kleider- und andere Spenden für Kinder in Ostpreußen, Projekterstellung einer Mitgliederzeitung für die deutschen Dieses deutsche Volk ist das größte autochthone Volk in Europa. Es siedelt auch in der Mehrzahl der Staaten Europas: Gibt es doch zahlreiche deutsche Volksgruppen außerhalb des binnendeutschen Raumes (Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Luxemburg, Liechtenstein und Teile der Schweiz), und zwar in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Italien Kroatien, Lettland, Litauen sowie Polen, Rumänien, Rußland, Serbien, Slowenien, Slowakei, Tschechien, Ungarn und der Ukraine. In dem großen europäishen Rahmen ist nun der freie Personen- und Warenverkehr, eine vielfältige Studionortwahl und Studentenaustauschprogramme sowie der freie Austausch von Wissenschaft, Technik und Kultur möglich, was für die Zukunft ungeheure Möglichkeiten bietet. Auch die Burschenschaft, die immer für Freiheit und Vaterländisches eingetreten ist, hat hier ein breitgefächertes Aufgabenfeld. Der Vorstand des Volkstumsvereins hat sich in den vergangenen Jahren redlich bemüht, etwas Ersprießliches zu erreichen. Das war nicht immer leicht. Galt es doch zuerst einmal, brauchbare Strukturen zu schaffen. Mit der seinerzeitigen (Vorgänger-)Stiftung war – keine Arbeit mehr möglich. Sie wurde aufgelöst und der Volkstumsverein gegründet: Fünf Jahre mühsame Behörden-Bearbeitung waren dazu nötig, bevor ein Neuanfang gestartet werden konnte. Zunächst galt es, innerhalb der Deutschen Burschenschaft die Bünde Heft 2 - 2015 Im Namen des Burschenschaftlichen Vereins für Volks- und Minderheitenrechte in Europa überreicht Verbandsbruder Bruno Burchhard eine Bücherspende. notwendig, an zahlreichen Kongressen der deutschen Volksgruppen in vielen Ländern Europas teilzunehmen, ebenso an solchen der FUEV (Föderative Union Europäischer Volksgruppen). Auch eine Erkundungsreise zu den Deutschen in Mittel- und Südost-Europa zur Erforschung von evtuellen Bedürfnissen dort, brachte viele neue Kontakte und Erkenntnisse. Auf diesen konnte dann aufgebaut werden. Wichtig war auch die Zusammenarbeit und Kontakthaltung zu Organisationen, die auf ähnliche Art versuchen, wirksam zu sein. Leider stehen auch dem Volkstumsverein keine riesigen Gelder zur Verfügung. Gerade bei den im mittel- und südosteuropäischen Bereich siedelnden Deutschen ist aber oft die Präsenz, das Entwickeln von Projekten und das Erarbeiten von Problemlösungen ebenso wichtig wie Finanzielles. Gruppierungen in Slowenien. Burschentags-Antrag zur Forderung nach deutschem Muttersprachen-Unterricht für die Volksdeutschen. In Zusammenarbeit mit anderen Organisationen Forderung der Deutschen Burschenschaft nach Durchsetzung der deutschen Sprache in der Eurpäischen Union: Das ergab sogar eine ausführliche Antwort vom Bundeskanzler Österreichs! Versuch, die Burschenschaftshäuser für volksdeutsche Studenten zu öffnen sowie die Südtirol-Resolution der Deutschen Burschenschaft, die allen EUAbgeordneten und den Fraktionen/ Parlamentsclubs in der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zugeleitet wurde. Des Weiteren gab es zahlreiche Artikel in Medien des deutschen Sprachraumes sowie auch Vorträge bei den Deutschen in etlichen EU-Staaten. 83 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Im heurigen Jahr konnten zwei weitere Projekte wirksam vom Volkstumsverein unterstützt werden: Auf einer vom Obmann als Reiseleiter geführten Fahrt konnte dem Vorsitzenden vom dortigen „Deutschen Volksverband“ Rudolf Weiss im Deutschen Haus in Mariatheresiopel/Subotica (in der nordserbischen Provinz Wojwodina) eine erhebliche Bücherspende im Namen des burschenschaftlichen Volkstumsvereines überreicht werden. Die Deutschen in Cilli/Untersteiermark (heute Slowenien) wollten eine eigene Bibliothek beginnen. Auch hier konnte der burschenschaftliche Volkstumsverein den dortigen Obmann des „Deutschen Kulturvereines“ Andre Ajdic mit einer ansehnlichen Bücherspende unterstützen. mitglieder – der Verbandsbrüder Gallin, Merkel (Verbandsbruder R. Schröder ist leider verstorben) sowie meiner Person – endet, ist zu hoffen, daß die burschenschaftliche Volkstumsarbeit mit Idealismus und Erfolg weitergeführt werden kann. Bruno Burchhart (Olympia Wien 1960) Nachdem 2015 die maximal sechs Jahre mögliche Vorstandsarbeit der Gründungs- Fürst Otto von Bismarck-Veranstaltung der VaB Salzgitter 1815 war ein bemerkenswertes Jahr: die Schlacht bei Waterloo, der Wiener Kongress, die Gründung der Burschenschaft in Jena sowie die Geburt eines der größten Staatsmänner der Neuzeit in Deutschland – kaum zu entscheiden, welcher Aspekt für uns 200 Jahre danach der wichtigste ist. Spontan, nur eine Woche vor dem 1. April, entschied sich der Vorstand der VaB Salzgitter dazu, auf den Salzgitteraner Bismarckturm zu einer Diskutierstunde mit dem Titel „Sprechen wir über Bismarck!“ einzuladen. Rund 15 Teilnehmer fanden sich ein, alle – wie vom Vorstand gewünscht – gut vorbereitet, um das Phänomen „Bismarck“ zu enträtseln: Preußischer Junker, Waffenstudent, Assessor (beider Rechte), konservativer Ministerpräsident in Preußen, Königstreuer, Eiserner Kanzler, Kulturkämpfer, Sozialistenhasser, Einiger des Reiches und, und, und. . . Der Einganscantus trug auch die Jahreszahl 1815 – Ernst-Moritz-Arndts Lied „Sind wir vereint zur guten Stunde“ wurde feier- lich-kräftig intoniert. Dann trug in loser Folge jeder Disputant die verschiedenen Sichtweisen auf dem „Jubilar“ vor – Erfolge, Niederlagen, Kompromisse. Dabei prägten einige Gesichtspunkte das Gesamtbild: – Bismarck stand der burschenschaftlichen Geschichte von deren Gründung im Gasthaus „Zur Tanne“ bis zur Paulskirchen-Verfassung kritisch gegenüber. – Bismarck wurde in Göttingen nicht Burschenschafter, da Pathos und Verherrlichung des „Tyrannenmordes“ ihm missfielen – er wurde aktiv beim Corps Hannovera. – Bismarck war offensichtlich ein sehr eifriger Waffenstudent: in den ersten drei Semestern als Fux beziehungsweise Bursch schlug er 25(!) Mensuren. Wegen seines überschäumenden Temperaments mit arrogantem Einschlag hat er das Band der Hannovera aber bald verloren. Erst Jahrzehnte später ist es ihm vom Altherrenbundvorsitzenden des Corps beim vierminütigen Auf- enthalt seines Zuges auf dem Bahnhof in Göttingen wieder umgehängt worden – sozusagen h.c.! – Bismarck war ein glühender „Royalist“, für den das Wohl seines Königs und des Hauses Hohenzollern an erster, zweiter und dritter Stelle rangierte. Für die Kompetenzen des Parlaments hatte er wenig Verständnis. Ihn wurmte es, daß er als Kanzler ständig mit der liberalen Reichstagsmehrheit Kompromisse aushandeln mußte. Das entzweite ihn letztlich auch von denen, die als preußischer Adel seine geistige Heimstatt verkörperten. – Bismarcks innenpolisches Meisterstück, basierend auf den militärischen Erfolgen von 1866 und 1870/71, ist und bleibt die Schaffung des Zweiten Deutschen Reiches, obwohl ihm der bayrische König Ludwig II. im letzten Verhandlungsgang die Steuerbegünstigung für bayrischen Bier, bayrische Briefmarken und die bayrische Eisenbahnen abgerungen hatte. Mehr als zwei Stunden dauerte diese ungewöhnliche Art, gemeinsam eine große Persönlichkeit deutscher Geschichte und ihr Wirken zu entschleiern. Manche Anekdote aus seinen mehr als achtzigjährigen Leben lockerte unsere burschenschaftliche Zusammenkunft auf. Auch der Abschlusscantus unseres Burschenschaftertreffens erinnerte an die Zeit um 1815 und die Familie Bismarck: Walter Flex – Erlanger Bubenreuther und Hauslehrer bei Bismarcks' – „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ ertönte: „Wir sind wie ihr ein graues Heer und fahr'n in Kaisers Namen“. Nach diesem Motto hat der königstreue Bismarck sein Leben lang gehandelt. Die Corona beim Bismarck-Gedenken am 1. April 2015 im Bismarckturm Bad Salzgitter. 84 Klaus Gossow (Ghibellinia-Leipzig Hannover 1956, Plessavia Leipzig 1990) Heft 2 - 2015 Geschichte Burschenschaftliche Blätter Otto von Bismarck – Eine widersprüchliche Figur der deutschen Geschichte Von Jan Ackermeier Auch im Jubiläumsjahr 2015 bleibt die Persönlichkeit Otto von Bismarcks in all ihren Facetten aus burschenschaftlicher und historischer Sicht kein einfaches Betrachtungsfeld: Sozialdemokratenverfolger und Kulturkämpfer, Monarchist und Reichseiniger, schneidiger Waffenstudent und dennoch kein Freund der Burschenschaften, genialer Außenpolitiker und Schöpfer der Sozialgesetzgebung. Der vorliegende Aufsatz soll dennoch versuchen, das Leben und Wirken dieses Ausnahmepolitikers – und hier vor allem den Beginn seiner politischen Karriere – in der gebotenen Kürze zu skizzieren. Die Eltern Otto von Bismarcks, Ferdiand und Louise, waren auf Grund ihres Altersunterschiedes, der sozialen Herkunft, des Bildungsgrades und der lebensweltlichen Prägungen ein recht inhomogenes Paar, das menschlich nicht gut miteinander harmonierte – als glücklich wird man diese Ehe kaum bezeichnen können. Doch bleibt es reine Spekulation, auf die divergenten Erbteile zu verweisen, um Otto von Bismarcks später oft widersprüchliche Persönlichkeit plausibel erklären zu können. Ferdinand und Louise jedenfalls hatten sechs Kinder, von denen drei im frühen Kindesalter starben, die anderen drei – neben Otto der 1810 geborene Bernhard und die 1827 geborene Malwine – überschritten alle das achtzigste Lebensjahr – wie der Vater das siebzigste (die Mutter erlag knapp fünfzigjährig einem Krebsleiden). Otto von Bismarck ist am 1. April 1815 in Schönhausen geboren, dem rund fünfzig Kilometer nördlich von Magdeburg nahe dem rechten Elbufer gelegenen Stammsitz der väterlichen Familie. Aber nicht hier in Schönhausen, sondern in Hinterpommern verlebte der jüngere der beiden Söhne seine Kindheitsjahre, denn durch den Tod eines Vetters erbten die Eltern die Rittergüter Kniephof, Jarchelin und Külz im Kreis Naugard (nordöstlich von Stettin) und verlegten im Frühjahr 1816 den Wohnsitz der Familie von Schönhausen auf das Gut Kniephof. Von dort aus bewirtschafteten sie die drei Rittergüter, während Schönhausen verpachtet wurde. Bismarck ist später nicht müde geworden, Kniephof als das Paradies seiner Kindheit zu preisen. Doch die paradiesischen Jahre in Kniephof dauerten nicht lange. Im Alter von sechs Jahren mußte er die ländliche Idylle mit der fernen Residenzstadt vertauschen: Die Eltern gaben ihn in eine Schüler- Heft 2 - 2015 pension in Berlin, in der bereits der ältere Bruder Bernhard untergebracht war. In der Plamannschen Anstalt, in der vorwiegend Söhne des ostelbischen Landadels ihre Schulbildung erhielten, herrschte ein patriotischer Geist, der die Ablehnung alles Französischen, Turnertum und Disziplin verband. Von einem „künstlichen Spartanertum“ hat Bismarck später gesprochen. An die sechs Jahre, die er in dieser Erziehungsanstalt verbrachte, hat er sich sein Leben lang mit Erbitterung und Abscheu erinnert. 1864 äußerte er sich zu einem engen Mitarbeiter: „Meine Kindheit hat man mir in der Plamannschen Anstalt verdorben, die mir wie ein Zuchthaus vorkam.“ Bismarck wird Corpsstudent Am liebsten wäre er an die Universität Heidelberg gegangen. Aber seine Mutter war dagegen, weil sie befürchtete, ihr Sohn könne sich dort das von ihr verabscheute Biertrinken angewöhnen. So fiel die Wahl auf Göttingen, die Hochschule des jungen Adels, der sich auf den Staatsdienst vorbereiten wollte. Anfang Mai 1832 immatrikulierte sich Bismarck als Student der Rechte und der Staatswissenschaften, wenige Wochen später trat er dem Corps Hannovera Göttingen bei. Bismarcks drei Göttinger Semester sind von Legenden umrankt, doch authentische Zeugnisse sind spärlich. Zweifellos erlebte er diese Zeit als Befreiung von der bisher erduldeten Bevormundung. Der hochaufgeschossene und überschlanke Siebzehnjährige mit dichtem hellblonden Haar und einem Gesicht voller Sommersprossen tauchte begeistert in ein ausgelassenes studentisches Leben und Treiben ein, mit Trinkgelagen und Schuldenmachen, provozierendem Gebaren und Karzerstrafen. Intensiv engagierte sich Bismarck in seinem Corps und brillierte auf dem Fechtboden. Seinem Bruder berichtete er im Jänner 1833, seit Michaeli sei er vierzehnmal auf der Mensur gestanden und habe „fast immer meinen Gegner glänzend abgeführt. Wenigstens bin ich nur das eine Mal blutig getroffen.“ Der junge Otto von Bismarck im Alter von 11 Jahren. Wikimedia Nach Auflösung der Plamannschen Anstalt 1827 besuchten die beiden jungen Bismarcks das Gymnasium, zunächst das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in der Friedrichstraße (1827–1830), dann Otto das Gymnasium zum Grauen Kloster in der Klosterstraße (1830–1832). In dieser Zeit wohnten die beiden Brüder in einer gemeinsamen Wohnung in Berlin, in der sie von einer Haushälterin betreut wurden und in der tüchtige Hauslehrer die Aufsicht führten und sich um die fremdsprachlichen Fähigkeit ihrer Zöglinge bemühten. In diesen Jahren erwarb Bismarck seine – später vielbewunderte – Fähigkeit, perfekt Französisch und fließend Englisch zu sprechen. Noch nicht siebzehnjährig bestand Bismarck an Ostern 1832 das Abitur und konnte jetzt an der Universität inskribieren. Otto von Bismarck im Alter von 19 Jahren (1834) als Student in Göttingen, gezeichnet 1893 von Christian Wilhelm Allers (1857-1915) 85 Geschichte Burschenschaftliche Blätter Zum Vorlesungsbesuch gibt es nur wenige Angaben. Am Fachstudium scheint er kaum Interesse gehabt zu haben; die einzige Vorlesung, die er eifrig besuchte, war die des Historikers Arnold Heeren über das europäische Staatensystem. Auf die Frage, was er studiere, war seine Antwort: „Diplomatie.“ Nach drei Göttinger Semestern wechselte Bismarck im Winter 1832/33 für drei weitere Semester an die Universität Berlin. Die meistzitierten Zeugnisse aus dieser Zeit sind seine Briefe an den Göttinger Corpsbruder Gustav Scharlach, abgefaßt in jenem schnoddrig-burschikosen, von bissiger Selbstironie bis zu sprühendem Sarkasmus reichenden Ton, der im damaligen Verbindungswesen gepflegt wurde. Die engsten Gefährten seiner Berliner Studienzeit waren der baltische Aristokrat Graf Alexander Keyserling und der Amerikaner John L. Motley, die zu echten Lebensfreunden für Bismarck wurden. Motley, später amerikanischer Botschafter in Wien und London, ließ in seinem Jugendroman „Morton's Hope“ (1839) Bismarck in der Figur eines Otto von Rabenmark auftreten: „Auf der Kneipe und auf der Straße treibt er es toll; auf seinem Zimmer, inmitten der Pfeifen und Silhouetten, wirft er die Narrenmaske ab und redet mit Morton 'vernünftig'.“ Höchst erstaunlich ist indessen, daß wir keinerlei Zeugnisse besitzen über die damalige politische Gesinnung Bismarcks, dessen späteres Leben ganz in der Politik aufging. Wenn er sein juristisches Studium auch mehr lässig als eifrig betrieben hat – im Mai 1835, zum frühestmöglichen Termin, bestand Bismarck die „Auskultatorprüfung“, wie man damals das Erste juristische Staatsexamen nannte, mit „Recht gut“ in Erklärung des Corpus iuris und „Hinreichend“ in Rechtstheorie. Zielstrebig, die Diplomatenlaufbahn fest im Blick, begann Bismarck die weitere Ausbildung – doch bald sollten die Dinge einen anderen Lauf nehmen. Zunächst aber durchlief er als „Auskultator“ die üblichen Stationen am Berliner Kammergericht und als Protokollführer beim Stadtgericht. Seinem Göttinger Corpsbruder Scharlach berichtete er, er lebe leidlich zufrieden; von morgens acht bis abends acht sei er fleißig, ziehe sich dann um und gehe in Gesellschaft. „Ich bin zwar fortwährend exzessiv verliebt, wechsele aber häufig den Gegenstand meiner Neigung.“ Zugleich klagte er über pekuniäre Unannehmlichkeiten, seine „Alten“ seien in dieser Beziehung unduldsam, so komme es, daß er zwei sehr drückende Posten in Göttingen immer noch nicht bezahlt habe. Noch ehe das erste Jahr der Referendarzeit um war, entschloß sich Bismarck, von der Justiz zur Verwaltung überzutreten. Er hatte 86 nämlich erfahren, daß der preußische Außenminister keine hohe Meinung von der Eignung ostelbischer Junker fürs diplomatische Geschäft habe. Daher erschien ihm die Verwaltung als eine günstigere Ausgangsposition für eine Bewerbung als die Justiz. So richtete er im Jänner 1836 ein Gesuch an den Aachener Regierungspräsidenten, das erforderliche Examen in Aachen ablegen zu dürfen. Auf ein rheinisches Präsidium fiel die Wahl, weil der Kursus dort kürzer war als in den alten Provinzen. Das Gesuch wurde bewilligt. Die beiden Prüfungsarbeiten und auch die mündliche Prüfung bestand Bismarck mit gutem Erfolg und Anfang Juli 1836 erfolgte die Vereidigung und die Beförderung zum Regierungsreferendar. schen Provinziallandtag gewählt. Über dem immer wieder genüßlich ausgemalten Bild vom „tollen Bismarck“ der pommerschen Jahre darf nicht übersehen werden, daß der nun als Landwirt Tätige sich rasch und konzentriert in agrarische Fragen eingearbeitet hat, sich kundig machte über Bodenqualitäten und Wertverhältnisse von Gütern, aktuelle landwirtschaftliche Fachliteratur konsultierte, in agrarischen Gesellschaften aktiv war und Grundsätze moderner betriebswirtschaftlicher Führung praktizierte, bei strikter Beschränkung von Ausgaben und persönlichem Aufwand. So gelang es, die heruntergekommenen Güter in relativ kurzer Zeit wieder in die Höhe zu bringen und sie – wenn auch immer noch verschuldet – gewinnbringend zu bewirtschaften. In seiner Aachener Zeit entflammte der Zweiundzwanzigjährige in leidenschaftlicher Zuneigung zu einer siebzehnjährigen Britin, Isabella Loraine Smith aus englischem Landadel, und stürzte sich für sie in weitere Schulden und überschritt ihr zuliebe seinen Urlaub unerlaubt. Am Ende heiratete sie einen älteren englischen Oberst, während sich Bismarck in Aachen unmöglich gemacht hatte. Er beantragte daher die Versetzung ans Regierungspräsidium Potsdam, die auch gewährt wurde. Wie der Aachener Regierungspräsident mit feiner Ironie schrieb, sollte ihm ermöglicht werden, „zu einer angestrengteren Tätigkeit in den Amtsgeschäften zurückzukehren, nach welcher Sie bei den gesellschaftlichen Verhältnissen in Aachen vergeblich strebten“. Vergeblich warb er 1841/42 um die Hand der Gutsbesitzertochter Ottilie von Puttkamer auf Pansin. Das war für Bismarcks Selbstwertgefühl ein schwerer Schlag, den er mit einer mehrmonatigen Reise nach Schottland, England, Frankreich und die Schweiz zu kompensieren suchte. „Halb und halb geheilt“ kehrte er zurück, wie er einen Freund wissen ließ; ihm seien „die Freiersfüße gänzlich erfroren, und ich kann mir gar nicht denken, wie das Wesen beschaffen sein müßte, welches mich in Versuchung führen sollte, mich um ihre Hand zu bewerben“. Die Tätigkeit in Potsdam war nur von kurzer Dauer. Zum einen trat Bismarck jetzt seinen lange hinausgezögerten Militärdienst an (bei den Gardejägern), zum anderen reifte im Sommer 1838 sein Entschluß, aus dem Staatsdienst auszuscheiden und „ein Leben in Freiheit als Gutsherr“ zu führen. Seiner Cousine, die ihn beschwor, im Staatsdienst zu verbleiben, schrieb er „daß, vom rein materiellen Standpunkt aus betrachtet, ich meine Tätigkeit vorteilhafter in der Landwirtschaft als im Staatsdienst verwerte“. Die Entlassung aus dem Staatsdienst beantragte er im Oktober 1839 und bewirtschaftete anschließend zwei Jahre zusammen mit seinem Bruder von Kneiphof aus die Güter mit 550 Hektar Ackerland, Wiesen oder Weiden, Wälder und Wasserflächen gemeinsam – für pommersche Verhältnisse kein übertrieben großer Landbesitz. Erste politische Erfahrungen In dieser Zeit wurde Bismarck Kreisdeputierter und vertrat in dieser Funktion mehrfach den Landrat, ferner wurde er zum ritterschaftlichen Abgeordneten im pommer- Solang es darum ging, die pommerschen Güter zu sanieren und zu wirtschaftlichem Erfolg zu führen, fand Bismarck Genügen an der Tätigkeit als Gutsherr und genoß den lebhaften gesellschaftlichen Verkehr im Kreis der pommerschen Standesgenossen. Doch als das Ziel einer wirtschaftlichen Konsolidierung erreicht war, wurde ihm der Wirkungskreis zu eng, es stellte sich tiefe Unzufriedenheit mit dem Landjunkerdasein ein. Gegenüber Scharlach klagte er über „eine an Lebensüberdruß grenzende Gelangweiltheit durch alles, was mich umgibt“. Es folgte daher sein Antrag auf Wiederaufnahme in den Vorbereitungsdienst beim Potsdamer Regierungspräsidenten im April 1844. Der Antrag wurde bewilligt, allerdings mit einem frostigen Zusatz, in dem auf den mangelnden Eifer bei der früheren Beschäftigung hingewiesen wurde. Nach dem Dienstantritt am 2. Mai erbat Bismarck einen Urlaub, aus dem er wieder nicht zurückkehrte. Als Bismarcks Vater verstarb, übernahm er das väterliche Gut Schönhausen in der Altmark, wohin er im Jahr 1845 übersiedelte und wurde einige Zeit später Deichhauptmann – es war sein erstes selbstständiges öffentliches Amt. Auch politisch wurde er in Schönhausen tätig. So setzte er sich stark für die Bewahrung gutherrlicher Selbständigkeit ein und wandte sich dezidiert ge- Heft 2 - 2015 Geschichte gen die von der Regierung angestrebte Ausweitung staatlicher Befugnisse. Hier kooperierte er eng mit einflußreichen konservativen Standesgenossen, insbesondere mit Ernst Ludwig von Gerlach, der als Speerspitze der preußischen Konservativen agierte. Kurz vor Weihnachten 1846 warb Bismarck um die Hand von Johanna von Puttkammer, die er seit 1844 kannte und in deren pietistischem Freundeskreis er sich gleichfalls bewegte. Im Jänner 1847 verlobten sich die beiden und bereits im Juli des Jahres folgte die Hochzeit in der Dorfkirche zu Altkolziglow. Zu diesem Zeitpunkt stand im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses die von König Friedrich Wilhelm IV. angekündigte Einberufung eines „Vereinigten Landtages“, eines Ständeparlaments, zusammengesetzt aus den Mitgliedern aller Provinziallandtage. Bismarck wollte unbedingt Mitglied dieses Vereinigten Landtages werden, kam aber über eine Stellvertreterschaft für einen Abgeordneten zunächst nicht hinaus. Erst eine Erkrankung des Abgeordneten von Brauchitsch sorgte dafür, daß Bismarck – als jüngstes Mitglied – im Mai 1847 in den Landtag einzog. Als der Landtag im Juni geschlossen wurde, war der bis dahin nicht über sein lokales Umfeld hinausgetretene altmärkische Junker ein in ganz Preußen bekannter Mann, mit dem scharfkantigen Profil eines bedingungslosen Vorkämpfers der Krone, der Prototyp eines ultrakonservativen Heißsporns. Bereits nach seiner ersten Rede nahm die gesamte liberale Presse ihn voller Entrüstung ins Visier und machte aus ihm eine Figur, die halb Schreckgespenst, halb lächerlicher Popanz war. Bismarck war trotz seiner hohen Stimme ein talentierter Redner. Und da talentierte Redner in den Reihen der Konservativen dünn gesät waren, vermochte sich der junge Abgeordnete durch weitere Reden sowie durch eifrige Kontaktpflege rasch ins vorderste Glied seiner „Fraktion“ zu manövrieren. Doch erst der unerwartete Ausbruch der Märzrevolution 1848 eröffnete für Bismarcks Wirken völlig neue Perspektiven. Zunächst schien es so, als ob Bismarcks eben erst verheißungsvoll begonnene politische Laufbahn durch die Berliner Ereignisse des 17. und 18. März ein abruptes Ende finden würde, denn in der neuen politischen Ordnung konnte der als erzreaktionär und ultraroyalistisch abgestempelte Junker schwerlich eine herausragende Rolle spielen. Doch schon bald zeigte sich, daß die Märzrevolution für ihn einen Glücksfall bedeutete. Durch den Verlauf der Ereignisse einerseits, durch die Art und Weise seines Agierens andererseits fand er binnen eines Jahres auf die politische Bühne zurück und sicherte sich einen Platz in der vordersten Reihe der konservativen Gegner der Revolution. Heft 2 - 2015 Burschenschaftliche Blätter Als er von den Vorgängen in Berlin hörte, versuchte er zunächst, die Generale in Potsdam zu überzeugen, gegen die Revolutionäre mit militärischer Gewalt vorzugehen. Erst das Veto des Königs beendete die sich über mehrere Tage hinziehenden Sondierungen wegen einer gegenrevolutionären militärischen Aktion. Diese Episode trug Bismarck die Todfeindschaft der Prinzessin Augusta, Gattin des Kronprinzen Wilhelm und spätere Kaiserin ein, die seit jeher liberalen Ideen anhing und Bismarck Zeit ihres Lebens verachtete. Dies stellte für ihn eine schwere Belastung dar, als er später an die Spitze der Regierung getreten war. Als der Landtag Ende April 1848 aufgelöst wurde, dachte Bismarck nicht an eine Kandidatur zur Frankfurter Nationalversammlung, sondern kehrte auf sein Gut nach Schönhausen zurück. Dennoch blieb er nicht tatenlos, sondern wurde ein eifriger Mitarbeiter der seit 4. Juli 1848 erscheinenden konservativen „Kreuzzeitung“ (eigentlich „Neue Preußische Zeitung“), die in der Wahl der Mittel, mit denen die politischen Gegner bekämpft wurden, keine Zimperlichkeit an den Tag legte. 1849 zog Bismarck erneut in den Landtag ein und blieb weitere zwei Jahre Abgeordneter. Bereits in der damaligen Zeit machte er seine Einstellung gegenüber einer möglichen deutschen Einheit klar: Wenn ein deutscher Nationalstaat nur mit weitgehenden preußischen Konzessionen erkauft werden konnte, dann sollte Preußen lieber Preußen bleiben. Nach dem Scheitern des Paulskirchenparlaments hatte die preußische Führung eine deutschlandpolitische Offensive eingeleitet, deren Ziel die Schaffung eines deutschen Bundesstaates ohne die Habsburgermonarchie war. Bismarck als Bundestagsgesandter in Frankfurt 1858 Wikimedia Als Österreich unter Führung des Fürsten Felix Schwarzenberg im Mai 1850 den Deutschen Bund in Frankfurt wiederkonstituiert hatte, wurde Bismarck am 18. August 1851 auf Betreiben Leopold von Gerlachs durch Friedrich Wilhelm IV. zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt. Die Stellung in Frankfurt war nach seiner eigenen Einschätzung zu dieser Zeit der wichtigste Posten in der preußischen Diplomatie. Seine Ernennung wurde in der Öffentlichkeit als Zeichen für den Sieg der sozialen und politischen Reaktion sowie als Kapitulation Preußens gegenüber Österreich gewertet. Die Entscheidung der preußischen Regierung im Jahr 1854 (vor dem Hintergrund des Krimkrieges), das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich zu erneuern, stieß bei Bismarck auf Kritik. Als Österreich sich danach offen gegen Rußland wandte, gelang es Bismarck 1855, durch geschicktes Taktieren den Antrag der Österreicher zur Mobilisierung der Bundestruppen gegen Rußland abzuwenden. Dieser Erfolg ließ sein diplomatisches Ansehen zunehmen. Nach der Niederlage Rußlands im Krimkrieg plädierte er in verschiedenen Denkschriften für eine Anlehnung an das Zarenreich und an Frankreich, durch die er Österreich weiter zu schwächen hoffte. Aufstieg als Diplomat Im Jänner 1859 wurde Bismarck als Gesandter nach St. Petersburg versetzt und im Mai 1862 wurde er preußischer Gesandter in Paris. Die elf Jahre als preußischer Gesandter in Frankfurt, St. Petersburg und Paris waren Bismarcks diplomatische Lehrund Gesellenjahre, in denen er seinen Gesichtskreis erweiterte und eine Fülle von Erfahrungen auf allen Politikfeldern sammelte, in denen er genaue Vorstellungen von den Interessenlagen der Großmächte und der Mittelstaaten gewann und die wichtigsten politischen Akteure auf der deutschen und der internationalen Szene persönlich kennenlernte – auch deren Wesenszüge, Ziele und Ambitionen. Daher war ihm das deutsche wie das europäische Terrain bestens vertraut, als er im September 1862 an die Spitze der preußischen Regierung berufen wurde. Mit der Ernennung zum Ministerpräsidenten und Außenminister hatte Bismarck erreicht, was seit langem Ziel seines Ergeizes war. Allerdings waren die Umstände, unter denen er siebenundvierzigjährig das Amt übernahm, keineswegs die ihm erwünschte Konstellation. Seit Jahren galt sein Hauptinteresse der Außenpolitik: Preußens Stellung in Deutschland und Europa zu festigen und auszubauen. Aber nicht, um eine kühn ausgreifende Außen- und Deutschlandpolitik zu betreiben, wurde Bismarck berufen, sondern als Nothelfer in einer nahezu ausweglos erscheinenden innenpolitischen Krisensituation. Nur weil der Monarch im Kon- 87 Geschichte Burschenschaftliche Blätter flikt mit dem Parlament mit dem Rücken zur Wand stand, konnte er sich entschließen, den Mann an die Spitze der Regierung zu stellen, gegen den er lange erhebliche Vorbehalte gehabt hatte, darin bestärkt von seiner Familie. Bismarck versuchte zu Beginn der Amtszeit vor allem mit den Liberalen einen Kompromiss zu finden, was ihm allerdings mißlang. Der Versuch, eine Verständigung zwischen Parlament und Krone anzubahnen, ging gründlich daneben. Wirkung entfalteten dagegen die Sätze, mit denen Bismarck eine aktivistische Außenpolitik anbahnte. Die eingängigen Worte von „Blut und Eisen“ haften ihm bis heute an. Nach dem Scheitern der Verständigungsversuche ging das Kabinett ganz auf Konfrontationskurs. Die Härte des preußischen Ministerpräsidenten sollte wenige Jahre später ihre erste große außenpolitische Prüfung erfahren. Die Dänen machten sich daran, Schleswig und Holstein durch Geistliche, Lehrer und Beamte für ihren Staat zu gewinnen. 1863 hatten sie sich in einem beispiellosen Gewaltakt Schleswig einverleibt und ließen nun nichts unversucht, diese Teile Deutschlands ganz und gar zu „dänisieren“. Preußen und Österreich gingen 1864 im Deutsch-Dänischen Krieg gemeinsam militärisch gegen die Dänen vor und siegten. Im Frieden von Wien mußte Dänemark „auf ewig“ auf die Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg verzichten. Die gemeinsame Führung der zurückgewonnenen Gebiete führte zu Spannungen zwischen Preußen und Österreich. Es kündigte sich eine Auseinandersetzung an. Daß Österreich ein Bestandteil Deutschlands wie etwa Bayern, Sachsen oder Preußen war, stand für jeden außer Frage. Auch Bismarck sah Österreich zu keinem Zeitpunkt als „Ausland“. Jedoch bestand für ihn kein Zweifel daran, daß die staatliche Einheit Deutschlands im 19. Jahrhundert nur ohne Einschluß Österreichs zu erreichen sei. Er verachtete die Politik des österreichischen Fürstenhauses Habsburg, die lediglich auf Hausmachtgedanken ausgerichtet war und sah keinen Weg, den Vielvölkerstaat in das künftige Deutschland zu integrieren. Im Jahre 1866 begann der deutsche Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich, der den deutsch-deutschen Dualismus und die Vormachtstellung in Deutschland entscheiden sollte. Die Preußen schlugen die Österreicher vernichtend in der Schlacht bei Königgrätz in Böhmen und besiegten auch deren Verbündete in Nord- und Süddeutschland. Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main wurden Preußen zugeschlagen. Geschont wurde vor allem Österreich und der folgende Friedensschluß zwischen den beiden großen deutschen Mächten war maßvoll. Bismarck ver- 88 zichtete auch auf jede Demütigung und Kränkung der Österreicher. Der Ministerpräsident, der über diese Frage sogar eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinem König nicht scheute und seinen Rücktritt androhte, versuchte alles, um Österreich die Niederlage so erträglich wie möglich zu machen. Damit erhielt er Österreich als möglichen Bündnispartner und legte den Grundstein für einen zukünftigen Weg des Landes zurück in den Verbund der deutschen Länder. Die Jahre von 1862 bis 1870 stellen sich aus heutiger Sicht als Vorspiel zur Einheit der Deutschen in einem gemeinsamen Staatsverband dar. Bismarck war es gelungen, den norddeutschen Raum zu einigen und einen großen Teil der süddeutschen Staaten fest an Preußen zu binden. Damit war der Weg zur Schaffung des Reiches frei. Der Preis aber war hoch: Österreich war, jedenfalls fürs erste, von der Entwicklung ausgeschlossen. Der vom Norddeutschen Bund und den süddeutschen Ländern im Krieg gegen Frankreich gemeinsam errungene Sieg wird von Bismarck sofort politisch genutzt. Am 18. Januar 1871 wird Wilhelm I. im Spiegelsaal von Schloss Versailles zum deutschen Kaiser proklamiert und der einheitliche deutsche Nationalstaat ausgerufen. Otto von Bismarck wird zum ersten Kanzler dieses neu geschaffenen Reiches. Aufgrund seiner Größe, seiner militärischen Stärke und der rasant wachsenden Industrialisierung wird Deutschland zur stärksten politischen und wirtschaftlichen Macht in Europa. Doch kaum ist dieses Ziel erreicht, tauchen Probleme an der innenpolitischen Front auf. Der „Eiserne Kanzler“ „Der Lotse geht von Bord“ (im englischen Original: „Dropping the Pilot“). Karikatur von Sir John Teniel, abgedruckt im englischen Magazin Punch. Oben Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Otto von Bismarck muß das Schiff verlassen. Wikimedia genannten Dreikaiserjahr 1888 zuletzt Wilhelm II. Kaiser wird, sind die Tage Bismarcks gezählt. Anders als seine Vorgänger möchte der neue Regent die Machtbefugnisse Bismarcks beschneiden. Es kommt zum Zerwürfnis und schließlich zum Rücktritt des Reichskanzlers. Die Ära Bismarck endet im März 1890. Der Mann, dem die Schaffung des Deutschen Reiches gelang, war zweifellos der bedeutendste deutsche Staatsmann des 19. Jahrhunderts – und er ist zugleich höchst umstritten. Nicht nur bei den Zeitgenossen gingen die Meinungen über ihn weit auseinander, auch in der historischen Mit scharfen Gesetzen versucht Bismarck, die Sozialisten, in denen er eine Gefahr sieht, in die Schranken zu verweisen. Fast gleichzeitig liefert er sich mit der katholischen Kirche und der ihr nahe stehenden Zentrumspartei eine harte Auseinandersetzung. Im sogenannten Kulturkampf entkräftet er den klerikalen Einfluß auf den Staat und führt die Zivilehe bindend ein. Darüber hinaus sorgt er mit fortschrittlichen sozialen Reformen für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbei- Otto von Bismarck mit seinen Hunden Tyras II und Rebecca in Friedrichsruh, terschaft. Als im so- aufgenommen am 6. Juli 1891. Heft 2 - 2015 Geschichte Erinnerung bleibt sein Bild durch scharf kontrastierende Bewertungen gekennzeichnet – anders als bei Spitzenpolitikern des 20. Jahrhunderts wie etwa Konrad Adenauer oder Willy Brandt, bei denen die erbitterten zeitgenössischen Gegnerschaften im Ablauf der Zeit in der kollektiven Erinnerung zumeist einem milderen, auf Konsens gestimmten Urteil Platz gemacht haben. Warum scheiden sich an Bismarck bis heute die Geister? Die Antwort ist in zwei Richtungen zu suchen, zum einen in der unterschiedlichen Bewertung seines „Erbes“, zum anderen in der Ausformung eines Bismarck-Mythos, der mit dem „wirklichen“ Bismarck nur noch wenig zu tun hatte. Welches „Erbe“ hinterließ Bismarck der deutschen Nation? Der von der großen Mehrheit der Deutschen begeistert begrüßte kleindeutsche Nationalstaat, wesentlich von Bismarck geschaffen und durch zwei Jahrzehnte konsequenter Friedenspolitik im europäischen Mächtesystem verankert, ist nach den Katastrophen des 20. Burschenschaftliche Blätter Jahrhunderts häufig als eine problematische Schöpfung eingestuft worden, denn sie habe das europäische Gleichgewicht destabilisiert. Diese Behauptung geht ebenso in die Irre wie die Ansicht, das Bismarckreich habe sich als ein extrem instabiles und kurzlebiges Gebilde erwiesen. Gewiß, die Monarchie in Deutschland hat die Niederlage im Ersten Weltkrieg nicht überdauert, wohl aber das Reich; gerade in dessen Bestehen über die Niederlage hinaus sah Stresemann den „Beweis für Bismarcks Werk“. Manches, was in den Jahren der deutschen Teilung geschrieben wurde, als der deutsche Nationalstaat ein für allemal erledigt schien, ist inzwischen revisionsbedürftig – denn war es nicht das kleindeutsche Reich von 1871, das 1989/90 die Vorstellung von der Einheit aller Deutschen bestimmt hat? Darin liegt der beste Beweis für die Lebensfähigkeit des staatlichen Gebildes, das Bismarck geschaffen und mit sicherer Hand durch die ersten Jahrzehnte seiner Existenz geführt hat. Trotz territorialer Amputationen und Deutscher, die auch heute noch außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland leben, besteht ein deutscher Nationalstaat. sein, hat er auch nie behauptet –, eine deutsche Demokratie kann ihn füglich nicht als einen ihrer Ahnherren oder Promotoren feiern. Wesentliche Teile der Ziele und Methoden seines innenpolitischen Vorgehens verfallen herben Verdammungsurteilen, der Kulturkampf, die Durchsetzung der Schutzzollpolitik, die rücksichtslose Bekämpfung der Sozialdemokratie. Auch wenn Bismarck dafür jeweils parlamentarische Mehrheiten gewann, so lag die Initiative und entscheidende Verantwortung doch fraglos bei ihm, und der harte, oft brutale Umgang mit dem politischen Gegner hat tiefe Spuren im kollektiven Bewußtsein der Deutschen hinterlassen. An die negativen Auswirkungen von Bismarcks politischer Kampfesweise auf die politische Kultur in Deutschland zu erinnern, wird die zeitgeistige Geschichtsschreibung nicht müde, zumal sie von den geistigen Nachfahren jener Gruppierungen dominiert wird, die zu Bismarck in schärfstem Gegensatz standen, Linksliberalen, Sozialdemokraten, Katholiken. Es mögen allerdings Zweifel erlaubt sein, ob ein einzelner – und sei er auch noch so mächtig – die „politische Kultur“ eines Zeitalters in so maßgeblicher Weise allein zu prägen vermag, wie es Bismarck oft unterstellt wird. Schwerer wird man sich mit dem Urteil über Bismarcks innenpolitisches Erbe tun. Der Reichskanzler war kein Demokrat – das zu Bei der kritischen Beurteilung von Bismarcks innenpolitischen Erbe sollte zudem nicht dessen Ambivalenz übersehen werden. Zum Bild gehören auch planvolle Modernisierungsmaßnahmen, die Ausbildung einer funktionierenden bundesstaatlichen Ordnung und eines modernen Verwal- Das Bismarck-Denkmal im alten Elbpark in Hamburg ist mit über 34 Metern Gesamthöhe größte Bismarck-Standbild weltweit. GeorgHH/Wikimedia/CC Heft 2 - 2015 Die Bismarcksäule – eine 23 Meter hohe Feuersäule – in Dresden-Räcknitz beruht auf dem Entwurf „Götterdämmerung“ des Architekten Wilhelm Kreis, der auch das Burschenschaftsdenkmal in Eisenach entwarf. X-Weinzar/Wikimedia/CC 89 Geschichte Burschenschaftliche Blätter tungsstaats sowie die ersten Schritte auf dem Weg zum modernen Wohlfahrtsstaat durch die Einführung der Sozialversicherung. Hinter die Behauptung von der Zukunftslosigkeit der von Bismarck geschaffenen inneren Ordnung dürfte ein Fragezeichen zu setzen sein. Wo stehen wir heute? Gewiß geht uns Bismarck nach wie vor etwas an, immer noch übt diese ungemein komplexe Persönlichkeit, bei der neben Licht auch Schatten anzutreffen ist, große Faszination auf die Nachlebenden aus. Aber nachdem die Kämpfe jener Jahre uns nicht mehr unmittelbar bewegen, endgültig Vergangenheit sind, ist die Zeit für eine konsequente Historisierung Bismarcks gekommen. Der Instrumentalisierung im Dienste dieser oder jener Ideologie ist ebenso eine Absage zu erteilen wie der nicht selten praktizierten Stilisierung Bismarcks zum allmächtigen Übermenschen, den man dann dämonisiert und dem alle Fehlentwicklungen der jüngeren deutschen Geschichte zur Last gelegt werden. Vielmehr gilt es, in einer an Quellen orientierten unvoreingenommenen Beschäftigung mit Persönlichkeit und Wirken Otto von Bismarcks diesen auf menschliches Maß zu bringen. Man nimmt dem Reichsgründer dadurch nichts von seiner Bedeutung. Briefmarke und Münze anläßlich des 200. Geburtstages von Otto von Bismarck. Unser Autor Verbandsbruder Mag. Jan Ackermeier, geboren 1978, Alter Herr der Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld sowie der Wiener akad. Burschenschaft Teutonia, studierte Politikwissenschaft in Bielefeld und Wien und schrieb seine Magisterarbeit 2012 zu „Privaten Gewaltakteuren und ihre Auswirkungen auf Staatlichkeit am Beispiel des Drogenkriegs in Mexiko“. Von 1997 bis 2005 war er Zeitsoldat bei der Panzergrenadiertruppe und zuletzt Oberleutnant. Seit 2008 ist er Parlamentarischer Mitarbeiter im Nationalratsklub der FPÖ und war seit 2007 zunächst als freier Redakteur, von 2011 bis 2015 dann als Chef vom Dienst bei der nationalkonservativen österreichischen Wochenzeitung Zur Zeit beschäftigt. Darüber hinaus publizierte er zahlreiche Texte zu politischen und historischen Themen in vielen Medien des „Dritten Lagers“ in Österreich, darunter auch mehrere Buchbeiträge. Das kleine 1x1 der Kennung der Burschenschaften und der Beireitungen Bei einigen Verbandsbrüdern tauchte die Frage auf, wie sich die Kennungen des Dachverbands ergeben. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossenen, daß wir einen kleinen Exkurs unternehmen. Als kleines Beispiel nehmen wir folgende Kennung: 1HB04. Die 1 steht für die Aktivitas, wenn es um den jeweiligen Altherrenbund gehen würde, würde dort eine 2 stehen. HB steht für den Ort; damit ist natürlich nicht die Hansestadt Bremen gemeint. H steht für den Anfangsbuchstaben des Ortes, B zeigt an, daß es sich um den zweiten Ort in alphabetischer Reihenfolge mit einem H handelt, hier also Hannover. Hamburg hat zum Beispiel HA, Heidelberg HC. Halle kommt im Alphabet zwar vor Hannover, da die Kennungen aber vor der Wiedervereinigung 1990 eingeführt worden waren, gilt hier die Ausnahme mit HD. Die hintere Zahl gibt an, daß es sich um den vierten Bund in alphabetischer Reihenfolge vor Ort handelt. Sollte ein neuer 90 Bund bei einem Hochschulort hinzu kommen, so erhält er die nächste fortlaufende Nummer. Selbst wenn ein Bund nicht mehr existent ist oder die DB verlassen hat, bleibt dessen Kennung weiterhin bestehen. Bei 1HB04 handelt es sich also um die Aktivitas der Hannoverschen Burschenschaft Ghibellinia-Leipzig. Bei Beireitungen folgt nach der Kennung die Konkretisierung, wie zum Beispiel bei dieser fiktiven Beireitung: 1HB04/Daten15/2. Es handelt sich um die o.g. Aktivitas, die beigeritten wird, da Sie das Datenblatt nicht fristgerecht im Sinne der Beireitungsordnung der Deutschen Burschenschaft eingereicht hat. Die 2 am Schluß der Beireitungskennung zeigt an, daß es sich hierbei schon um die zweite Beireitung in derselben Sache handelt. Die Beireitungsordnung der Deutschen Burschenschaft erlaubt maximal drei Beireitungen in einer Sache. Nach der Nicht- zahlung der dritten Beireitung kann die Vorsitzende Burschenschaft die säumige Mitgliedsvereinigung vor den Verbandsrat zitieren und dort deren Suspension bis zum nächsten Burschentag beantragen. Da einige Zahlungen nicht direkt von den Konten der Bünde, sondern von einer natürlichen Person getätigt werden, ist es teilweise sehr beschwerlich diese ordnungsgemäß zuzuordnen, wenn keine Bundeskennung im Überweisungstext vorhanden ist, respektive bei Beireitungen die komplette Kennung fehlt. Aus diesem Grund bitten wir alle Einzahler bei Tätigung der Überweisungen die exakte Kennung aufzuschreiben, um uns unnötige Arbeit zu ersparen. Volker Ralf Lange (Raczeks Breslau zu Bonn) & Wilhelm E. Nordmeier (Ghibellinia-Leipzig Hannover, Germania Leipzig, Raczeks Breslau zu Bonn) Heft 2 - 2015 Personalien Personalien Fabricius-Medaille für Dr. Walter Egeler Im Rahmen des Frühjahrsconvents des Convents Deutscher Akademikerverbände (CDA) im fränkischen Städtchen Aub erhielt Verbandsbruder Dr. Walter Egeler (Hohenheimia Stuttgart 1968-2009, Ehrenmitglied der Burschenschaft Arminia zu Leipzig 2000) am Samstag, den 28. März 2015 die Fabricius-Medaille verliehen. Die Laudatio hielt mit Herrn Rechtsanwalt und Notar a.D. Klaus Gerstein (Corps Rheno-Guestphalia Münster, Corps Rhenania Tübingen) ein namhafter Studentenhistoriker. In seiner Laudation ging er neben den Verdiensten von Dr. Egeler auf die Ambivalenz von Burschenschafter und Corpsstudent ein und zeigte das spannende, sich gegenseitig befruchtende Verhältnis zwischen ihm und Dr. Egeler auf. Die Fabricius-Medaille wird vom CDA in unregelmäßiger Folge an besonders verdiente Korporationsstudenten verliehen, die sich nicht nur in ihren eigenen Bünden und Verbänden, sondern insbesondere auch für die Korporationen allgemein verdient gemacht haben. Die Verdienste von Verbandsbruder Egeler sind vielfältig und wurden in verschiedener Weise gewürdigt. Zwei Verdienste stechen jedoch besonders hervor: Zum einen bekleidete er genau zehn Jahre lang vom 1. Juli 1992 bis zum 30. Juni 2002 die Schriftleitung der Burschenschaftlichen Blätter. In dieser Zeit hat er die Burschenschaftlichen Blätter sowohl gestalterisch wie auch inhaltlich mit einem neuen Gesicht geprägt und vom reinen Mitteilungsorgan eines Korporationsverbandes zum Burschenschaftliche Blätter weithin beachteten burschenschaftlichen Periodikum gemacht. Immer wieder gab er durch das Setzen von Themenschwerpunkten der Deutschen Burschenschaft politische Denkanstöße und Handlungsanleitungen. In den Burschenschaftlichen Blättern kamen nicht mehr nur Verbandsbrüder zu Wort, regelmäßig Verbandsbruder Dr. Walter Egeler (mitte) mit der Fabricius-Medaille des Converfaßten Politiker, vents Deutscher Akademikerverbände (CDA). Wissenschaftler und Korporierte anderer Verbände Beiträge. henheim Agrarökonomie mit dem AbDie Deutsche Burschenschaft hat dieses schluss Diplom-Agrarökonom. Danach proEngagement im Jahr 2004 mit dem Ehren- movierte er zum Dr. sc. agr., bevor er seine berufliche Tätigkeit als Abteilungsleiter band gewürdigt. beim Württembergischen Genossenschaftsverband in Stuttgart 1980 aufnahm. Zum anderen geht die Beteiligung der Burschenschaft an der Leipziger Buchmesse im Anläßlich seines Ausscheidens erhielt er Rahmen des CDA-Standes im Wesentlichen 2004 in Anerkennung und Würdigung seiauf die Ideen und die Arbeit von Verbands- ner besonderen Verdienste der genossenbruder Egeler zurück. Er war es, der immer schaftlichen Arbeit die Ehrennadel in Gold wieder Anstöße für ein Rahmenprogramm des deutschen Genossenschafts- und Raifgab und namhafte Persönlichkeiten zu Vor- feisen-Verbandes e.V. in Berlin. Für sein ehträgen oder Diskussionen einlud. Unver- renamtliches Engagement im Sozialvergessen bleibt beispielsweise das Aufeinan- band VdK erhielt er bereits im Jahr 1988 dertreffen der Nachfahren der Familien die Verdienstnadel in Gold des LandesverKotzebue und Sand im Rahmen einer Podi- bandes Baden-Württemberg. umsdiskussion. So entwickelte sich der CDA-Stand auf der Leipziger Buchmesse zu Wir gratulieren unserem Bundes- und einer interessanten Plattform vor allem für Verbandsbruder Dr. Walter Egeler herzlich die aktiven Leipziger Korporationen, die zur Auszeichnung mit der Fabricius-Medort im Laufe der Jahre den einen oder an- daille! deren Fux keilen konnten. Walter Egeler wurde am 17. Juni 1949 geboren und studierte an der Universität Ho- Lönnecker habilitiert (EM) sowie S! Normannia-Danzig Braunschweig (EM)) studierte Geschichte, Rechtswissenschaft, Evangelische Theologie, Geographie, Volkskunde, Lateinische Philologie und Germanistik in Marburg, Gießen, Heidelberg, Freiburg i. Br. und Frankfurt a. M. und promovierte 1989 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über das spätmittelalterliche Notariat, 2013 zum Dr. iur. mit einem vereinsrechtlichen Thema. Wir gratulieren im Namen der Deutschen Burschenschaft unserem Verbandsbruder und Leiter des Archivs der Deutschen Burschenschaft Harald Lönnecker. Nach erfolgreicher Habilitation (zum Thema Scharnier zwischen Macht und Musik, Politik und Kultur. Sängervereinigungen an den Hochschulen des deutschen Sprachgebiets ca. 1815–1914) und der Ernennung zum Privatdozenten durch die Technische Universität Chemnitz heißt es jetzt ganz offiziell Priv.Doz. Dr. iur. Dr. phil. habil. Harald Lönnecker. Vbr. Lönnecker (Normannia-Leipzig zu Marburg, Normannia Leipzig, Germania Kassel, Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken Heft 2 - 2015 Dr. Wolfgang Völger (Arminia FrankfurtLeipzig 1991, Arminia zu Leipzig 1994) Vbr. Priv.-Doz. Dr. iur. Dr. phil. habil. Harald Lönnecker. Außer zur Universitäts- und Studentengeschichte arbeitete Vbr. Lönnecker zur Rechts-, Landes- und Musikgeschichte, zu Historischen Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft. Bisher liegen von ihm anderthalb Dutzend Bücher und über 200 Aufsätze vor. 91 Rezensionen Burschenschaftliche Blätter Rezensionen Kräfte zwischen Ostmärkern und Reichsdeutschen. Bereits die Beteiligung an der Besetzung des Sudetenlandes und von Böhmen und Mähren wirkte integrativ. Das verstärkte sich in den Feldzügen des Krieges: Schützengrabengemeinschaft. Schnell verflog sich der den Ostmärkern anhaftende etwas negative Ruf von dem Kamerad Schnürschuh. Offizielle und die Presse stellten die militärischen Erfolge der Ostmärker heraus. Ein Österreicher gehörte zu den ersten beiden Ritterkreuzträgern. Thomas R. Grischany, Assistenzprofessor für Geschichte an der Webster Vienna Private University, stellt sein neues Buch „Der Ostmark treue Alpensöhne“ vor. Das 2015 bei Vienna University Press erschienene Buch behandelt die Mechanismen, welche die erfolgreiche Integration österreichischer Soldaten in die Streitkräfte des Dritten Reiches während des II. Weltkriegs ermöglichten, und basiert auf der englischsprachigen Dissertation, die Grischany an der Universität Chicago unter John W. Boyer verfaßte. Der renommierte Wiener Historiker Prof. Dr. Oliver Rathkolb, Herausgeber der Reihe Zeitgeschichte im Kontext, Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien, schreibt im Vorwort, Grischanys Publikation leiste einen „Perspektivenwechsel zu einer neuen und kritischen Militärgeschichtsschreibung“. Grischany stelle den Nachkriegsmythos in Frage, die Österreicher seien „unwilligere Soldaten“ und auch nicht „aktivere Wehrmachtsdeserteure“ gewesen. Grischany arbeitet in seinen Untersuchungen heraus, es habe keinen Unterschied im Verhalten zwischen österreichischen Soldaten und ihren Kameraden aus dem Altreich gegeben. Sie hätten „loyal und entschlossen bis zum Kriegsende“ gekämpft. Der einzige meßbare Unterschied bestand in der Quote der Gefallenen. Hier lag die aus dem österreichischen Staatsgebiet permanent etwas unterhalb des Reichsdurchschnitts. Das könne ursächlich in „statistischer Ungenauigkeit“ begründet sein. Grischany hat in seiner Arbeit umfangreiches Quellenmaterial ausgewertet: Kriegsarchiv in Wien, Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, weitere Archive der Republik in Wien. Nachlässe bilden das „Rückgrat dieser Studie“. Die Friedenszeit (1938–39) war bezüglich der Integration beider Heere nicht problemlos. Die historische militärische Rivalität von Österreichern und Reichsdeutschen (besser: Altreichsdeutsche) galt es zu 92 Heute für manchen gewöhnungsbedürftig, daß Fronterlebnisse gemeinschaftsbildende Kräfte entfalten. Erziehung, politische Öffentlichkeitarbeit als Wirkungsmächte. Thomas R. Grischany: Der Ostmark treue Alpensöhne: Die Integration der Österreicher in die großdeutsche Wehrmacht, 1938-45. Gebundene Ausgabe. V&R unipress. 327 Seiten. ISBN-13: 978-3847103776. Eine Publikation, deren Forschungsergebnisse manches österreichische Geschichtsbild verändert. überwinden. Reibungen wie verschiedene Sichtweisen, Mentalitäten, Traditionen mußten abgebaut werden. Sprachlich unterschiedliche Kuriositäten erheitern heute: „Rührt euch“ statt „Ruht“, „Augen rechts“ statt „Rechts schaut“. Solipsismus als österreichische Eigenart hatte Oliver Rathkolb bereits aufgezeigt. Das Konzept Volksgemeinschaft wurde durch die bewaffnete Volksgemeinschaft befördert und entwickelte integrative Kräfte. Grischany weist darauf hin, daß sich im Weltkrieg II mit jedem Feldzug die Gruppen der Deutschen erweitert und regionale Identitäten eingebracht hätten. Er kritisiert, daß die Forschung das bisher nicht berücksichtigt hat. Als Mitglied einer ehemals in Straßburg beheimateten Burschenschaft war er gegenüber diesem Problem vielleicht besonders sensibilisiert. Besondere Bedeutung in der Eingliederungszeit habe der großdeutsche Gedanken gespielt, aber auch der Bezug auf die Waffenbrüderschaft im I. Weltkrieg und als einer „Gemeinschaft der Besiegten“. Grischany konstatiert, daß die meisten österreichischen Soldaten „die Eingliederung des Bundesheeres in die Wehrmacht als positiv empfunden hat“. Bis zum Kriegsende zeichnete sich die österreichische Loyalität aus. Das belegt die Fülle der Primärquellen, die Grischany akribisch ausgewertet hat. Sie rechtfertigen den Titel seiner Arbeit „Der Ostmark treue Alpensöhne“. Belegt wird, dass die Österreicher im Vergleich zu den Reichsdeutschen nicht unwilligere Soldaten gewesen seien. Dieser Nachkriegsmythos sei nicht zu halten. In seinem Resümee heißt es ferner, dass die Entwicklung eines tiefgreifenden österreichischen Nationalbewusstseins noch nicht abgeschlossen ist. Noch würden punktuell Kameradschaftsvereine wie auch das Bundesheer einer Gedächtniskultur anhängen, mit dem das offizielle Österreich nicht sympathisiert. Kriege werden als D-Züge der Weltgeschichte verstanden. So beschleunigte auch der II. Weltkrieg die integrativen Jürgen Hinrichs (Alemannia Straßburg zu Hamburg 1955, Hansea-Alemannia Hamburg) Heft 2 - 2015 Termine Heft 2 - 2015 Burschenschaftliche Blätter 93 Termine / Rezensionen / Anschriften Burschenschaftliche Blätter Termine 7. Juli 2015, 20 Uhr Burschenschaftlicher Abend mit Michael von Prollius – „Die Organisation einer ökonomischen Herrschaft: Krisenüberwindung, Kriegsvorbereitung, Knechtschaft im Nationalsozialismus “ Berliner Burschenschaft der Märker, Haus Eisenach – Podbielskiallee 15, 14195 Berlin – Dahlem Um Anmeldung wird gebeten: [email protected] www.maerker-berlin.de 4. Juni 2015, 19 Uhr s. t. Festkonzert des Grazer Korporationsringes anläßlich des Jubiläums „200 Jahre Deutsche Burschenschaft“. Aula der Karl-Franzens-Universität Graz. 5. Juni 2015, 18 Uhr s. t. Festkommers der ARGE Grazer Burschenschaften 200 Jahre Deutsche Burschenschaft. Kasematten am Grazer Schloßberg. Harald Lönnecker (Hrsg.): „Deutschland immer gedient zu haben ist unser höchstes Lob“ – Zweihundert Jahre Deutsche Burschenschaften. Eine Festschrift zur 200. Wiederkehr des Gründungstages der Burschenschaft am 12. Juni 1815 in Jena (Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, im Auftrag der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung, Bd. 21), Heidelberg 2015, ISBN 978-3-8253-6471-7, ca. 1250 Seiten, Leinen, Euro 88,– (für GfbG-Mitglieder Euro 24,–, zu bestellen über den GfbG-Kassenwart: hans-juergen. [email protected]). Festschrift– Zweihundert Jahre Deutsche Burschenschaften Der Herausgeber ist als langjähriger Leiter von Archiv und Bücherei der Deutschen Burschenschaft im Bundesarchiv ein herausragender Kenner der archivalischen Überlieferung und des historisch-wissenschaftlichen Forschungsstandes. Er legt als Festschrift 14 Aufsätze vor, die von der Vorgeschichte im 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichen und die Vielfalt der burschenschaftlichen Geschichte dokumentieren, deren Traditionen, Umbrüche und Widersprüche gleichermaßen. Die Blütezeit der Burschen- schaft von 1815 bis 1848/49 ist mit fünf Beiträgen stark vertreten, vier Beiträge haben regionale Schwerpunkte in Jena, Bonn oder Würzburg. Auch die Epoche von 1850 bis 1918 ist gut repräsentiert. Die so schwierige Zeit von 1919 über 1933 und 1945 bis in die Gegenwart ist mit vier Darstellungen vertreten, die sich alle um die Vermeidung jeglicher Apologie mit Blick auf zum Teil tragische Fehleinschätzungen und Irrtümer bemühen, aber auch die Verdienste der Burschenschafter hervorheben, die bis in die Gegenwart reichen. Melden Sie Ihre Veranstaltungen bitte frühzeitig der Schriftleitung. Anschriften der Burschenschaftlichen Amtsstellen 1. Deutsche Burschschaft Vertreten durch die Vorsitzende Burschenschaft, siehe unter Herausgeber im Impressum. Verbandsobmann für Hochschul- und allgemeine Politik Patrick Koerner (Brixia Innsbruck), Innstrasse 18, A-6020 Innsbruck Telefon: +43 (0)650 3245591, E-Post: [email protected] Verbandsobmann für Nachwuchswerbung und Sport Fritz Hoewer (Germania Köln), Bayenthalgürtel 3, D-50968 Köln, Telefon: +49 (0)157 38836135, E-Post: [email protected] Beisitzer im Verbandsrat Dr. Wilhelm Haase (Saxo-Silesia Freiburg), Detmolder Straße 52 a, 33813 Oerlinghausen, Telefon: +49 (0)5202 5230, E-Post: [email protected] Beisitzer im Verbandsrat Daniel Stock (Stauffia München), c/o Münchener Burschenschaft Stauffia, Stollbergstraße 16, D-80539 München, E-Post: [email protected] Vorsitzender des Rechtsausschusses der Deutschen Burschenschaft Christian Balzer (Rheinfranken Marburg), Barmer Straße 4, D-40545 Düsseldorf, Telefon: +49 (0)176 22365876, E-Post: [email protected] Referent für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit Walter Tributsch (Teutonia Wien), Landstraßer Hauptstraße 4, A-1030 Wien, Telefon: +43 (0)676 7379745, E-Post: [email protected] 2. Verband der Vereinigungen Alter Burschenschafter (VVAB) Vorort des VVAB: Vereinigung Alter Burschenschafter Oberösterreich zu Linz Vorsitzender: Arch. Dipl.-Ing. Paul-Ernst Huppert (Suevia Innsbruck, Arminia Czernowitz zu Linz), Tel. +43 (0)664 5528515, Kassenwart: Mag. Wolfgang Rochowanski (Oberösterreicher Germanen zu Wien), Tel. +43 (0)650 7222332, Kanzleiadresse: Rechtsanwälte Klicnik Lang, Taubenmarkt 1 / Domgasse 22, A-4020 Linz Über die E-Post-Adresse obmann@burschenschafter turm.at werden alle Amtsträger des Vorortes parallel erreicht. Schatzmeister Volker-Ralf Lange (ABB Raczeks Bonn), Drachenfelsstraße 35, D-53757 Sankt Augustin Telefon: +49 (0)171 7799000 E-Post: [email protected] 3. Bund Chilenischer Burschenschaften (BCB) Burschenschaft Araucania La Serena 478, 758-0259 Las Condes, CHILE +56 2 833 57 85, [email protected] Konto Deutsche Burschenschaft, Raiffeisenbank Sankt Augustin, IBAN: DE48 3706 9707 1007 0190 13, BIC: GENODED1SAM 4. Burschenschaftlicher Verein für nationale Minderheiten Vorsitzender: Dr. Bruno Burchhart (Olympia Wien), A-9184 St. Jakob i. Ros. 130, Tel.: +43 (0)664 9163853, E-Post: [email protected] 94 5. Burschenschaftsdenkmalverein in Eisenach Vorsitzender: Dr. Marc Natusch (Cheruscia Dresden, Rheinfranken Marburg), Leiblweg 12, D-70192 Stuttgart, Tel. +49 / (0)711 82086679, Fax +49 (0)711 82086683, E-Post: [email protected] 6. Denkmalerhaltungsverein Eisenach e.V. Thomas Mayer-Steudte (Normannia Heidelberg), Auf dem Hundshövel 6, D-46446 Emmerich am Rhein, Telefon: +49 (0)172 2093255, E-Post: [email protected] 7. Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e.V. Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e.V. Vorsitzender: Dr. Klaus Oldenhage (Norddeutsche und Niedersachsen, Germania Trier), Bismarckstr. 9–11, D-56068 Koblenz, Tel. +49 (0)261 36256, E-Post: [email protected] 1. Stellvertretender Vorsitzender und Schatzmeister: Hans-Jürgen Schlicher (Alemannia München, Germania Trier) Am Zieglerberg 10, D-92331 Lupburg-Degerndorf, Tel. +49 (0)9492 6168, Fax +49 / (0)9492 7449, E-Post: [email protected], Bankverbindung: Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e.V., BW-Bank Stuttgart, Konto-Nr.: 4 320 061, BLZ: 600 501 01, IBAN: DE37 6005 0101 0004 3200 61, BIC: SOLADEST600 2. Stellvertretender Vorsitzender und Schriftenempfänger: Dr. Frank Grobe M.A. (Teutonia Aachen), Dotzheimer Straße 56, 65197 Wiesbaden, Tel.: +49 (0)176 20123495, E-Post: [email protected] 8. Archiv und Bücherei der Deutschen Burschenschaft PD Dr. Dr. Harald Lönnecker (Normannia-Leipzig zu Marburg, Normannia Leipzig, Germania Kassel, Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken EM, S! Normannia-Danzig Braunschweig EM) Bundesarchiv, Potsdamer Straße 1, D-56075 Koblenz, Tel. +49 (0)172 4255965, E-Post: [email protected] Heft 2 - 2015 Post AG – Entgelt bezahlt – H 2024 Gieseking Print- und Verlagsservices GmbH Postfach 13 01 20, 33544 Bielefeld