Der Lindenplatz und die „Bismarck
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Der Lindenplatz und die „Bismarck
Raum: Kaiser & Vaterland Themenwand: Gesellschaftliches Leben Exponat: Foto „Pflanzung der Bismarck-Eiche“ Der Lindenplatz und die „Bismarck-Eiche“ Um den ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) posthum und dauerhaft zu ehren, versammelte sich die Haller Bevölkerung am Montag, den 3. April 1905 zu abendlicher Stunde auf dem Lindenplatz. Anlaß war der 90. Geburtstag des „eisernen Kanzlers“.1 Amtmann Ernst Schwollmann hatte aus dem Sachsenwald2 bei Hamburg eine junge Eiche kommen lassen, und er ließ sie ebendort einpflanzen, wo bis 1726 die Haller Gerichtslinde ihren Platz behauptet hatte, unter deren Blätterdach jahrhundertelang um Recht gestritten worden war. Ein Gedenkstein aus schwarzem Granit am Fuße des Baumes erklärte durch die Noch etwas unscheinbar: die Bismarck-Eiche (vorne) umringt von der Festgemeinde. Foto: Privatbesitz. Inschrift „Bismarck-Eiche 1905“ dessen Bedeutung. Der Fleischfabrikant Ferdinand Rolff und der Arzt Dr. Gustav Adolf Japing stifteten ein eisernes Schutzgitter. Unter dem Gedenkstein vergrub man eine fest verschlossene Flasche, in der sich eine Spenderliste befand, der Frachtbrief über die Lieferung der Eiche und ein Exemplar des „Haller Kreisblattes“ vom Tage der Pflanzung. 31 Jahre später, im Jahre 1936, rüstete die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), Ortsgruppe Halle, zum großen Kreisparteitag, der zur Sommersonnenwende vom 20. bis 21. Juni geplant war. Wieder stand der Lindenplatz mit der Bismarck-Eiche im Mittelpunkt. Kreisbaumeister Erich Schluchtmann erhielt den Auftrag, den Platz ansprechend zu gestalten und den Vorplatz des Amtsgerichtes mit einzubeziehen. 1 2 Quelle dieser sowie aller weiteren Informationen und Zitate: Stadtarchiv Halle (Westf.), Akte B 180. Im Sachsenwald lag das Anwesen der Familie von Bismarck. Was im Einzelnen geschah, darüber gibt ein als „Urkunde“ bezeichnetes Schriftstück mit Datum vom 17. Juni 1936 Auskunft: „Der Lindenplatz und der gegenüber liegende Kriegerdenkmalsplatz haben im Juni 1936 eine Umgestaltung erfahren. Unter der Bauleitung des Kreisbaumeisters Schluchtmann ist der Lindenplatz in eine Ebene gelegt worden und hat vor der Besitzung Schürmann und Meyer durch Setzen einer Trockenmauer einen wirkungsvollen Abschluß erhalten. Die Bismarckeiche ist von dem unschönen Gitterwerk befreit und wird jetzt von einer runden sogenannten Dorfbank umgeben.3 Der Bismarck-Gedenkstein4, der bisher ohne Untermauerung auf dem Erdboden stand, wird auf einen Klinkersockel gehoben.“ Die Bismarck-Eiche mit der „Dorfbank“ und einem Klinkersockel unter dem Gedenkstein. Foto: Stadtarchiv Halle (Westf.). „Die dem Lindenplatz zugekehrte (unschön wirkende [dieser Zusatz wurde gestrichen]) Brunesche Hauswand ist durch eine Holztafel5 mit beiderseitiger Bepflanzung aufgegliedert worden. Die Holztafel trägt als Arbeit des heimischen Holzbildhauers Möller das Stadtwappen und die Inschrift 'Die Stadt Halle (Westf.) ladet ein zum Sommeraufenthalt und Wochenend'. Der untere Teil der Tafel steht der NSDAP für Bekanntmachungen zur Verfügung6. Die Holztafel von 1936 an der Hauswand des ehemaligen Kolonialwarenladens Brune um 1950. Foto: Stadtarchiv Halle (Westf.). 3 4 5 6 Die Dorfbank hat der Tischlermeister August Vollmer laut seinem Angebot vom 28. April 1936 hergestellt. Nach einer Aktennotiz vom 21./22. März 1972 hat Dr. Ferdinand Horstmann den Stein am 31. August 1972 für seinen Garten bekommen. Die Bismarck-Eiche hatte zuvor wegen Trockenheit gefällt werden müssen. Gemeint ist die rötliche Ziegelwand des ehemaligen Kolonialwarenladens Brune, Bahnhofstraße 5. Die Holztafel (mit Schaukasten) ist von Tischlermeister Eduard Schlüter nach seiner Offerte vom 24. April 1936 für 225 Reichsmark angefertigt worden. Dort gab es vier Schaukästen. Den linken nutzte die Hitler-Jugend (HJ), den rechten die NSDAPOrtsgruppe, die mittleren dienten dem Aushang der antisemitischen Hetzschrift „Der Stürmer“. Auf dem Mittelfelde soll ein künstlerisch ausgeführter Wegeplan von Halle und Umgebung mit Erläuterungen und Bezeichnung der Ausflugsorte angebracht werden. Der Kriegerdenkmalsplatz hat eine zweckmäßige Bepflanzung erhalten. Das Denkmal wird durch ein Rosenbeet geschmückt. Die freien Flächen beider Plätze haben eine Grundbefestigung durch Packlage und einen Belag aus roter Kesselschlacke erhalten. Die Stadtverwaltung gibt sich der Hoffnung hin, mit diesen einfachen Maßnahmen den Mittelpunkt unseres schönen Städtchens seiner Eigenart entsprechend am besten erhalten zu können. Möge die Verschönerung des Stadtbildes dazu beitragen, daß Halle einmal Ferienort wird.7 Am 20. und 21. Juni findet in Halle das Kreistreffen der NSDAP statt. Zu diesem Tage sollen die beiden Plätze fertig werden und zum ersten Male in ihrem neuen Gewande den vorgesehenen großen Kundgebungen dienen.“ Der 1936 mit roter Schlacke befestigte Lindenplatz als Ort „großer Kundgebungen“ der NSDAP - hier die Taufe eines Segelflugzeuges im Juni 1939. Foto: Privatbesitz. Das zitierte Schriftstück stammt vermutlich aus der Feder des damaligen Bürgermeisters Eduard Meyer zu Hoberge - die Kopie im Stadtarchiv trägt seine Paraphe. Es gibt in derselben Akte eine Notiz vom 19. Juni 1936, wonach die obengenannte „Urkunde“ dem Inhalt jener Flasche hinzugefügt worden ist, die bei der Erneuerung des Sockel für den Bismarck-Gedenkstein aufgefunden worden war. Die Flasche sei anschließend wieder eingemauert worden, heißt es.8 Im Jahre 2014 wurde die Tafel von 1936 renoviert und dient nun wieder ihrem damaligen Zweck. In die Schaukästen allerdings zogen historische Fotos ein. Der Gedenkstein „Bismarck-Eiche 1905“ ist bislang verschollen. Wolfgang Kosubek Januar 2016 Die Wandertafel im Jahr 2014. Foto: Wolfgang Kosubek. 7 8 Halle brachte es damals bis zum Luftkurort. Die Notiz, in der Bismarck als „Altreichskanzler“ bezeichnet wird − der amtierende hieß ja Adolf Hitler - stammt definitiv von Eduard Meyer zu Hoberge.