Als gäbe es nicht die dunklen Stellen dazwischen
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Als gäbe es nicht die dunklen Stellen dazwischen
„Als gäbe es nicht die dunklen Stellen dazwischen“ Intertextuelle Bezüge und Gegensätze in der Kurzgeschichte Landvermessung von Thomas Stangl Bachelorarbeit Anna Aula Universität Jyväskylä Institut für moderne und klassische Sprachen Deutsche Sprache und Kultur 01.05.2016 JYVÄSKYLÄN YLIOPISTO Tiedekunta – Faculty Laitos – Department Humanistinen tiedekunta Kielten laitos Tekijä – Author Anna Aula Työn nimi – Title Als gäbe es nicht die dunklen Stellen dazwischen – Intertextuelle Bezüge und Gegensätze in der Kurzgeschichte Landvermessung von Thomas Stangl Oppiaine – Subject Työn laji – Level Saksan kieli ja kulttuuri Kandidaatin tutkinto Aika – Month and year Sivumäärä – Number of pages 04/2016 23 Tiivistelmä – Abstract Kirjallisuuden myötä avautuu uusia maailmoja, joita ei voisi muuten kokea. Kirjallisuuden avartavan luonteen vuoksi koin mielenkiintoiseksi itävaltalaisen kirjailijan Thomas Stanglin novellin Landvermessung, jota tutkin tässä kandidaatin tutkielmassani. Tutkin tekstin intertekstuaalisia viitteitä Franz Kafkan romaaniin Das Schloss, sekä tekstin sisältämien kuvien tarkoitusta. Pyrin myös työssäni tutkimaan tekstin eri motiiveja sekä teemoja, joiden avulla tutkin tekstin sisältämää symboliikkaa. Intertekstuaaliset viitteet olivat sanatasolta aina tekstien teemaan asti monipuolisia, joiden pohjalta rakensin analyysia Kafkan romaanin ja oman primääritekstini välille. Johtomotiivien avulla muodostin myös vastakohtapareja, jotka valottivat tekstin symboliikkaa. Asiasanat – Keywords intertekstuaalisuus, symboliikka, motiivit Säilytyspaikka – Depository JYX Muita tietoja – Additional information Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung: .................................................................................................................................. 7 2 Intertextualität, Intermedialität, Motiv, Thema und Leerstelle ................................................ 8 2.1. Intertextualität ................................................................................................................... 8 2.2. Intermedialität ................................................................................................................... 9 2.3. Motiv, Thema, Leerstelle ................................................................................................... 9 3 Material und Methode............................................................................................................. 10 3.1. Information zum Autor und seinen Werken .................................................................... 10 3.2. Information zum Primärtext ............................................................................................ 11 3.3. Methode .......................................................................................................................... 13 4 Verbindung Sprache und Bild in Landvermessung................................................................... 14 4.1. Intertextualität ................................................................................................................. 14 4.2. Intermedialität ................................................................................................................. 15 5 Gegensätze in Landvermessung ............................................................................................... 16 5.1. Blindsein als Metapher .................................................................................................... 16 5.2. Gegensatz Leben und Tod ................................................................................................ 18 6 Fazit .......................................................................................................................................... 20 Literaturverzeichnis: ................................................................................................................... 21 Anhang ........................................................................................................................................ 22 Anhang 1: Textbeispiel ............................................................................................................ 22 Anhang 2: Foto 1 ..................................................................................................................... 23 Anhang 3: Foto 2 ..................................................................................................................... 23 1 Einleitung: Literatur kann uns durch Sprache Welten und Phänomene vorstellen, denen wir sonst nie begegnen würden. Ich habe immer viel gelesen, und manchmal bleiben die Bücher lange. in meinen Gedanken. Ich habe meinen Primärtext gewählt, weil er mich wegen seiner Komplexität und Mehrdeutigkeit berührt hat. In meiner Bachelorarbeit behandle ich die Kurzgeschichte Landvermessung von Thomas Stangl. Während meines Austauschjahrs in Erfurt habe ich einen Literaturkurs über die Werke des Autors besucht, wo ich einen ersten Einblick in seine Texte bekommen habe. Ich habe mich für dieses Thema entschieden, weil ich den Autor und seine Texte interessant und wichtig finde. Thomas Stangl ist ein zeitgenössischer österreichischer Autor, der 2004 seinen ersten Roman geschrieben hat, aber davor schon hat er Artikel und Kurzgeschichten veröffentlicht. Mein Primärtext Landvermessung ist eine Kurzgeschichte von einer Wanderung einer Person von Untermieming nach Sautens in Österreich. Die Kurzgeschichte beinhaltet Bilder und Text. Die Wanderung beginnt in Untermieming, und die Person erreicht Sautens am Ende des Tages. Als er Sautens erreicht, wird der Text lebendiger, weil jetzt auch andere Menschen im Text vorkommen, auch Sehenswürdigkeiten. Die Geschichte endet in einem Gasthaus. In dem ersten Theoriekapitel behandle ich den Begriff der Intertextualität, weil ich in der Analyse Franz Kafkas Roman Das Schloss und meinen Primärtext miteinander vergleiche. Ein weiteres Kapitel behandelt Intermedialität, um die Bedeutung der Bilder in Landvermessung zu beleuchten. In dem dritten Kapitel gibt es Information über den Autor, seine Werke und meine Analysemethode. Danach folgt das erste Analysekapitel über Intertextualität und Intermedialität im Primärtext. In dem fünften Kapitel wird der Primärtext nach leitmotivisch verwendeten Gegensatzpaaren strukturiert und interpretiert. In meinem Schlusskapitel gebe ich meine Schlussfolgerungen und Ideen zu weiteren Arbeiten. 7 2 Intertextualität, Intermedialität, Motiv, Thema und Leerstelle 2.1. Intertextualität Jeder Text enthält immer Spuren von anderen Texten. Intertextualität bedeutet TextText-Beziehungen und ist auch die Bezeichnung der Theorie über Text-TextBeziehungen. Intertextualität als Theorie untersucht Texte in der Hinsicht, dass die Beziehungen zu anderen Texten und ihre Funktionen im Primärtext als Bedeutungselemente gesehen werden, während zum Beispiel der Struktualismus nur den geschlossenen Text als eine Einheit untersucht. (Brackert, Stückrath. Hg., 2001.) Ein neuer Text entsteht nie aus dem Nichts, was bedeutet, dass es bei der Analyse und der Interpretation hilft, in einem neuen Text Bezüge zu anderen bekannten Texten zu suchen. Die Beziehungen zwischen Texten wurden schon in der Antike erkannt, obwohl Intertextualität als ein theoretischer Begriff erst im 20. Jahrhundert Interesse weckte. Text-Text-Beziehungen können viele Phänomene wie Zitat, Anagramm, Paraphrase, Adaption, Imitation usw. enthalten. Die Terminologie der Intertextualität stammt aus der Rhetorik, der Poetik und der Ästhetik und auch aus der Gattungstheorie. Die Begriffe Zitat, Anspielung, Paralepse, Paraphrase, Motto, Adaption usw. sind alle Phänomene der Intertextualität, was zeigt, dass die Intertextualität eine große Auswahl von kleinen bis großen Phänomenen beinhaltet. (Bernt und Tonger-Erk, 2013, 7.) Wenn man über Intertextualität spricht, muss man auch den Begriff Textualität erklären. Ein Text soll bestimmte Texteigenschaften besitzen, die im Begriff Textualität zusammengefasst werden. Ein Text ist eine Bedeutungseinheit, die sinnvoll, kohärent und semantisch geordnet ist, so dass der Leser den Text verstehen kann. Ein Text kann sprachlich oder bildlich existieren, was auf den multimedialen Textbegriff verweist. Auditive und visuelle Texte gibt es in elektronischen Medien wie Film, Fernsehen und Rundfunk; die alle dieselben Eigenschaften haben wie ein Text, der eine schriftlich fixierte Form besitzt. Intertextualität ist also eine Theorie, die auf alle Medien anwendbar ist. (Berndt und Tonger-Erk, 2013, 9.) 8 2.2. Intermedialität Intertextualität ist die Theorie, die Text-Text-Beziehungen untersucht. Die Theorie konzentriert sich auf die Bedeutungen des Textes, wobei die Form und das Medium des Textes keine Rolle spielt. Auch andere Medialitäten bieten als Texte Inhalte, die Bezüge zu anderen Werken besitzen. Wenn es um die Bezüge zwischen Text-Film, Text-Bild und Text-Musik geht, spricht man von Intermedialität. (Berndt und Tonger-Erk, 2013, 157.) Intermedialität habe ich als theoretischen Begriff gewählt, weil der Primärtext viele Fotos, also visuelle Texte, enthält. Die Bedeutungen der Fotos werden aufgrund ihrer Intermedialität mit den Bedeutungen des schriftlichen Primärtextes verbunden. Bei der Intermedialität ist es wichtig zu erkennen, dass die gleichen Inhalte in den verschiedenen Medien von der Bedeutung her Unterschiede aufweisen können. Bei solchen Texten, die zwei verschiedene Medien beinhalten, spricht man von Medienkombination. Bei solchen Medienkombinationen werden immer irgendwelche Leerstelle gelassen, weil einige Teile der Information nicht völlig von einem Medium zum anderen übertragen werden können. Die Beziehung zweier Medien in einer Gesamtheit bedeutet Intermedialität. (Berndt und Tonger-Erk, 2013, 158-159.) 2.3. Motiv, Thema, Leerstelle Thema bedeutet in der Literatur eine grundlegende Idee, die nicht explizit im Text steht und für jeden Leser unterschiedlich, aber nicht widersprechend sein kann. Oft wird das Thema mit dem Strukturbegriff Motiv vermischt. Die Identifizierung zwischen Motiv und Thema besteht darin, dass Motive Elemente im Textstoff sind, während das Thema eine abstraktere Grundidee ist. (Brackert, 2001, 31.) Leitmotiv ist eine inhaltliche oder sprachliche Einheit, die im Text wiederholt wird. Wenn die Leitmotive analysiert werden, können Hinweise auf die Symbolik und das Thema des Textes gefunden werden. Leitmotive und andere Mittel der Sprache lassen Leerstellen entstehen. Leerstellen entstehen, wenn z.B. die Textteile nicht kohärent miteinander verbunden sind. Die Textteile brechen den roten Faden des Textes und der 9 Leser muss selbst denken, wie der Text weitergehen könnte. Bei Kurzgeschichten werden oft Leerstellen gelassen, und zwar wegen der Kürze des Textes. (Wilfinger, Kurshandout.) 3 Material und Methode 3.1. Information zum Autor und seinen Werken Thomas Stangl wurde am 4.1.1996 in Wien geboren. Er machte seine Matura in Wien und studierte Philosophie und Spanisch an der Universität Wien. Er schloss das Studium 1991 ab. Schon seit den neunziger Jahren publizierte er Essays, Rezensionen und Prosaarbeiten in Tageszeitungen und Literaturzeitschriften. Stangl lebt und arbeitet in Wien. (Internet 1.) Sein erster Roman Der einzige Ort (Literaturverlag Dorschl) erschien 2004 und war ein großer Erfolg. Stangl bekam den Aspekte-Preis für das beste deutschsprachige Debut 2004, das Hermann-Lenz-Stipendium 2004 und den Literaturförderpreis des österreichischen Bundeskanzleramts 2005. Für seinen zweiten Roman Ihre Musik, der 2006 erschien, bekam er den zweiten Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb; Literaturpreis der Deutschen Wirtschaft. (Internet 2.) Sein erster Roman Der einzige Ort erzählt die Geschichte von zwei Abenteurern des 19. Jahrhunderts. Beide Forscher, Alexander Gordon Laing und Rene Caillie, die heutzutage kaum mehr bekannt sind, reisen nach Timbuktu, ohne dass sie voneinander etwas wissen. Laing reist mit einer Karawane und hat den Schutz der anderen Menschen. Er kämpft mit Liebesproblemen, während Caillie, der allein als Araber verkleidet reist, immer in Gefahr ist. Zwei verschiedene Arten des Reisens werden im Roman Stangls zu einer traumhaften Geschichte verbunden. (Internet 1.) 10 Stangls zweiter Roman Ihre Musik erzählt die Geschichte der Mutter Emilie und ihrer Tochter Dora. Sie wohnen in Wien in einer Wohnung, wo Gespenster, Erinnerungen und Realität sich vermischen. Das tragende Thema des Romans ist, wie Krankheit und Erinnerungen die Realität verändern können. (s.o.) Sein dritter Roman Was kommt ist 2009 erschienen. In dem Roman kommt nochmals die Figur der Emilie vor, die schon im Roman Ihre Musik eine Hauptfigur ist. Emilie ist eine junge Jüdin, die im Sommer 1937 in Wien, in dem Stadtviertel Leopoldstadt lebt. Andreas, die zweite Hauptfigur, ist ein Pubertierender, der in den 70er Jahren in Wien lebt und ein Antisemit ist. Die Hauptfiguren haben Gemeinsamkeiten: Beide wohnen mit ihren Großmüttern und beide sind Außenseiter, aber sie unterscheiden sich in vieler Hinsicht. Was für Andreas Geschichte ist, ist Emilies Alltag, was der Erzähler mit „Geschichte heißt, das kommt erst“ kommentiert. (s.o.) Stangls vierter Roman Reisen und Gespenster ist 2012 erschienen. Reisen und Gespenster ist eine Sammlung von Essays und Kurzgeschichten, die über viele Jahre hinaus entstanden sind. Die Erzählungsweise und Themen der Essays bilden eine Einheit, die den Leser auf eine Reise um die Welt mitnehmen. Die Geschichten und Texte erzählen über Mexikoreisen, Landschaften und die Rock-Ikone Iggy-Pop, und alles wird in einem für Stangl typischen Stil miteinander verbunden. (s.o.) Der fünfte Roman Regeln des Tanzes ist 2013 erschienen. Dr. Walter Steiner, ein alter Kunsthistoriker, findet alte Fotos. Die Fotos zeigen eine Familie mit zwei Töchtern und einem Begräbnis. Die Menschen auf die Fotos sind schon gestorben, als Steiner sich in den Versuch, die Geschichte der Familie zu untersuchen, vertieft. Das Leben von Steiner und das der mysteriösen Familie umschlingen einander. (s.o.) 3.2. Information zum Primärtext Landvermessung ist eine Kurzgeschichte aus dem Buch Reisen und Gespenster (2012) von Thomas Stangl. In Landvermessung geht es um einen Mann, der von Untermieming 11 nach Sautens wandert. Das ist eine Route im östlichen Teil Österreichs, die auf der Karte eine gerade Linie darstellt. Das Thema der Geschichte kann unterschiedlich vorgestellt werden. Inhaltlich erzählt die Geschichte von einer Reise eines Mannes, der allein wandert und die Umgebung beobachtet. Es könnte auch eine Geschichte über die Gedanken eines Mannes sein, bei der der Handlungsverlauf nicht erforderlich oder zentral ist. Das Geschlecht der Hauptfigur ist nicht ausführlich gesagt, aber der Text benutzt das Maskulin. Es könnte das generische Maskulin sein, das man noch oft im Deutschen benutzt, aber in diesem Text spielt das Geschlecht der Hauptfigur eigentlich keine Rolle und deswegen ist die Frage nach dem Geschlecht der Hauptfigur unbedeutend. Die anonyme Hauptfigur wandert allein durch die Wälder und andere Landschaften. Auf dem Weg trifft er zwar auf einige Menschen, aber er bleibt allein und betrachtet die Umgebung. Der Erzähler ist ein autoritärer oder allwissender Erzähler, der die Gedanken, die Gefühle, die Geschichten und die Zukunft der Figuren kennt, wie auf Seite 87: […] kurze schneidende Sätze reihen sich in seinem Kopf aneinander. Die erzählte Zeit des Textes, also die Zeitdauer des Geschehens, umfasst eine Nacht und einen Tag, also cirka 24 Stunden. In Landvermessung kommen viele Leerstellen vor. Der Erzähler versteckt die Wahrheit unter anderem mit der Benutzung des Konjunktivs, und der Leser selbst kann die Schlussfolgerungen ziehen. Die Benutzung des Konjunktivs bedeutet, dass irgendetwas sein oder nicht sein kann. Der Konjunktiv verweist auf Möglichkeiten und nicht auf sichere Fakten oder Lösungen. Auf Seite 90 gibt es viele Beispiele für die Benutzung des Konjunktivs: […] käme ihr eine Bestimmung zu […] als gäbe es nicht die dunklen Stellen dazwischen […]. Unwahrscheinlichkeit wird auch mit anderen Mitteln vorgestellt, wie auf Seite 90: […] vielleicht aber nur, weil sie durch die Nähe oder das Gegenüber der Burg einen Ort und einen Maßstab haben. Auch die Klammern im Text stören die Ordnung des Textes. Wenn man die Texte Stangls liest und das Lesen oder der rote Faden der Geschichte zerstört wird, muss man 12 nochmals von vorne beginnen, um zu erfahren, was schon passiert ist. Dadurch, dass der Leseprozess immer wieder gestört wird, werden auch die eigenen Gedanken und Vorstellungen zum Text immer wieder in Frage gestellt. So wird der Text bzw. die Bedeutungen für jeden Leser und für jeden Lesevorgang anders. Beim Lesen merkt man auch, wie Sätze und Bilder konkret und realistisch behandelt werden. Ein Beispiel dafür ist auf Seite 99: […] auf seinem Rückweg der Ötztaler Ache entlang zum Bahnhof lernt er, die klare Luft zu atmen, wie von selbst gehen seine Schritte in Bilder und Sätze über. Die Gedanken und die Träume der Hauptfigur werden beim Wandern konkretisiert. Die Bilder und die Sätze haben die Eigenschaft, dass sie jetzt wirklich und konkret sind. Die Konkretisierung der Bilder und der Sätze führen auch die Vergleiche zwischen Leben und Tod fort, weil man sie als Gegensätze beschreiben kann. Das Thema des Textes ist vielschichtig und offen. Mein erster Eindruck war, dass man die Natur schätzen und verherrlichen will. Die Natur ist farbig und sie wird vielseitig vorgestellt. Die ganze Geschichte spiegelt das Gleichgewicht von Mensch und Natur. Die beiden Bereiche existieren nebeneinander, ohne einander zu stören. Das Thema könnte auch das Leben darstellen. Eine Reise mit ihren Höhepunkten und Niederlagen könnte das Leben an sich symbolisieren. Auch im Leben muss jeder seinen eigenen Weg finden zwischen den vielen Möglichkeiten. 3.3. Methode Landvermessung habe ich als meinen Primärtext gewählt, weil es ein interessanter, geheimnisvoller und neuer Text ist. Ich beginne in Kapitel 4 mit der Analyse der Intertextualität, weil es bei Landvermessung um einen neuen Text geht. Ein neuer Text enthält aber immer auch Verweise auf ältere Texte, deren Analyse hilft, um sich ein 13 Gesamtbild über den Text zu bilden. Die Verweise auf Kafka geben Hinweise auf mögliche Bedeutungen, denn sonst würde der Autor sie nicht in seinen Text einbeziehen. Das Kapitel 5 behandelt die Textinhalte, die auf den Gegensatz Leben-Tod verweisen. Das Leitmotiv Leben-Tod wird mit Hilfe von textuellen Strukturen untersucht. 4 Verbindung Sprache und Bild in Landvermessung Wegen der unterschiedlichen Thematik habe ich das Analysekapitel in zwei eigene Kapitel gegliedert. Das erste Analysekapitel beschäftigt sich mit der Analyse der Intertextualität und der Intermedialität. Das zweite Kapitel behandelt die leitmotivische Verwendung des Gegensatzpaars Leben-Tod. 4.1. Intertextualität „Zum Schreiben gekommen bin ich, so wie wahrscheinlich fast alle, durchs Lesen.“ Thomas Stangl in einem Interview. (Internet 3.) In diesem Kapitel vergleiche ich meinen Primärtext Landvermessung mit dem Roman Das Schloss (1926) von Franz Kafka. Kafka konnte den Roman nicht vor seinem Tod zu Ende schreiben. Landvermessung hat schon im Titel einen intertextuellen Bezug zu dem Roman Das Schloss, weil in dem Roman Das Schloss eine Figur vorkommt, der Landvermesser von Beruf ist. Landvermesser ist ein älteres Wort, das heutzutage nicht so oft vorkommt. Vermessen bedeutet etwas genau messen. In meinem Text wird die Natur vermessen. Die Benutzung des Wortes Landvermessung vermittelt schon einen anderen Eindruck und andere Assoziationen als zum Beispiel Schilderung der Landschaften oder Beschreibung der Landschaften. Die Verweise auf die Figur des 14 Landvermessers verstärkt die Idee, dass Landschaften fast mathematisch genau zu beschrieben werden. Im Roman Schloss versucht der Landvermesser vergeblich seinen Weg zum Schloss zu finden und eine Arbeitsstelle in dem Schloss zu bekommen. Beide Versuche sind aber aussichtslos. Er wird den Weg zum Schloss nicht finden, und auch die Arbeitsstelle nicht bekommen. Auch in Landvermessung verändert sich der Weg des Wanderers. Manchmal wegen des Zustands des Wegs und manchmal wegen der Menschen, die sehr skeptisch gegenüber fremden Leuten sind. In Landvermessung hat der Mann Schwierigkeiten mit der Sprache, weil er lieber Hallo als Grüß di sagt. Der Landvermesser hat Schwierigkeiten ins Schloss zu kommen, weil er ohne Erlaubnis ins Schloss gehen will. Die Figuren versuchen ihr Ziel zu erreichen, obwohl die Ziele unerreichbar erscheinen. Hier liegt auch ein Kontrast zur Realität, weil in der Realität, die Route von Sautens nach Untermieming eine gerade Linie darstellt, obwohl im Text der Weg große Umwege macht. Der Erzählungsbau der beiden Texte ist auch ähnlich. Die Hauptfiguren werden kaum vorgestellt. Der Leser bekommt zwar im Lauf des Textes neue Informationen zu dem Benehmen der Figur. Die Figuren in beiden Texten sind zentral, aber verursachen auch viele Fragen beim Leser bzw. sie enthalten Leerstellen. In Landvermessung kommen auch an anderen Stellen viele Leerstellen vor. Wegen des Gebrauchs des Konjunktivs, der Klammern und der Leitmotive wird der Text sehr mehrdeutig. Für Kafka ist es sehr charakteristisch, dass er mehrdeutige Texte schreibt. Durch Mehrdeutigkeit erreicht man es einen Text zu schreiben, dessen Bedeutungen zeitlos sind, so dass die Texte von Kafka und Stangl immer auf eine neue Art mit dem Leser kommunizieren. 4.2. Intermedialität Intermedialität untersucht die Bezüge, die zwischen verschiedenen Medien entstehen. Der Roman Stangls hat viele Fotos, die vom Autor stammen, und ein Gemälde am Anfang des Textes. Auf der ersten Seite von Landvermessung gibt es das Gemälde 15 Bildnis eines jungen Mädchens von Cornelius von Poelenburgh, das in der Alten Pinothek in München ausgestellt ist. Das Gemälde hat keine direkte Bedeutung in Landvermessung, aber indirekte Verweise gibt es. Als die Hauptfigur zu einem Friedhof kommt, erzählt er über das Aussehen und das Leben der verstorbenen Menschen, deren Fotos auf den Grabsteinen abgebildet sind. Das Bildnis eines jungen Mädchens ist ein altes Gemälde, das ein Mädchen zeigt, das schon gestorben ist. Das Gemälde zeigt also einen verstorbenen Menschen, der jedoch im Bild weiterlebt, wie eingefroren in der Zeit, wie auch die Menschen auf den Bildern im Friedhof. Die Fotos, die in Landvermessung vorkommen, sind im Text beschrieben. Sie stellen Landschaften dar, die auch im Text bekannt sind. Wenn die Hauptfigur ein altes Haus sieht und es beschreibt, zeigt das Foto ein ähnlich aussehendes Haus, obwohl man nicht sicher sein kann, ob diese Fotos dieselben Landschaften beschreiben oder nicht. Wenn die Hauptfigur einen Kirchenturm sieht und ihn beschreibt, wird der Kirchenturm visuell dargestellt. Diese Medienkombination gibt eine umfassendere Beschreibung der Landschaft. Obwohl die Fotos und der Text dasselbe Ding vorstellen, geben die beiden Medien Text und Foto verschiedenen Informationen. Ein Foto zeigt die materielle Seite von einem Phänomen, während der schriftliche Text abstraktere Information vermittelt. 5 Gegensätze in Landvermessung 5.1. Blindsein als Metapher In Landvermessung formen Geräusche ein Leitmotiv. An vielen Stellen wird der Leser etwas Neues bemerken und zwar wegen der Auffälligkeit der Geräusche, wie auf Seite 89: […] das Rauschen eines unsichtbaren Wasserfalls zu hören, von den Fichtennadeln tropft es zu Boden. Der Grund, für diese akustische Beschreibung könnte sein, dass die Hauptperson blind ist. Sie muss die Landschaft auf bestimmte Weise beschreiben, weil die Sinneswahrnehmung verschieden ist. An manchen Stellen des Textes wirkt es, wie wenn die Landschaft nur mit Hilfe des Gehörs und der Erinnerungen beschrieben 16 würde, weil der allwissende Erzähler auch die Gedanken der Hauptfigur weiß. Mit dem Satz: […] als gäbe es nicht die dunklen Stellen dazwischen (S. 90) könnte gemeint sein, dass die Hauptfigur sich vorstellt, wie die Landschaft wäre, wenn er sehen könnte. Blindsein bedeutet konkret ohne Sehvermögen zu sein, aber blind für etwas sein ist auch eine Metapher dafür, wenn man etwas nicht bemerkt oder nicht bemerken will. Man kann blind für sein Glück, seine Liebe oder eine schöne Aussicht sein. An einer Textstelle kommt die Hauptfigur zu einem Kreuz mit der Aufschrift: […] dem Auge fern, dem Herzen nah (S.88). Hier ist ein junger Mann viele Jahre früher verunglückt. Diese Aufschrift gibt einen Verweis auf etwas Vergangenes. Die Metapher und die Aufschrift symbolisieren Augenblicke, die schon vorbei sind, die also auf Tod verweisen. Wenn die Hauptfigur blind wäre, würde es auch verdeutlichen, warum sie sich anders als die anderen Menschen verhält, wie es auch im Text beschrieben wird: Er ist wirklich nicht unter Menschen. […] macht ihm schon den Eindruck des ungehörigen Eindringens in die Privatsphäre, als würde es hier keinen öffentlichen Raum geben. (S. 93). Auch die Unterscheidung zwischen Schlaf und Wachsein wäre schwerer, weil nur die Geräusche dem Blinden erzählen, ob es Tag oder Nacht ist, und nicht zum Beispiel das Licht des Sonnenaufgangs und –Untergangs oder die Helligkeit. Der Blinde kann Tag und Nacht nur vom Hören unterscheiden. Schlaf und Wachsein wird auch später im Text miteinander verglichen: 17 [….] beinahe schweben, ohne den Boden zu berühren, wie er in manchen Träumen gleitend. (S. 91). Die Beschreibung der Landschaft beruht auch auf den Informationen einer Landkarte, was eigentlich kein Sehvermögen voraussetzt; Im Text steht: […] der auf seiner Landkarte „Schöne Aussicht“ heißt. (S. 92). Schöne Aussicht ist auch ein besonderes Beispiel, weil jeder Mensch seine eigene Vorstellung von einer schönen Aussicht hat. Die Beschreibung der Landschaft ist auch manchmal ebenso eindeutig wie auf einer Landkarte. Eine Karte kann man lesen und erfährt so vieles über die Landschaft, aber immer bleibt dabei Platz für die eigene Fantasie. Die Zweidimensionalität ist heutzutage leicht zu erreichen. Mit Google Maps, Film, Fotos usw. erreicht man eine fast totale Erfahrung über beliebigen Ort. Mit einer normalen Landkarte wie sie in Landvermessung vorkommt, gibt es wiederum Platz für die eigene Fantasie, weil das Medium Landkarte abstrakter bzw. symbolischer ist als z.B. Google Maps. 5.2. Gegensatz Leben und Tod In Landvermessung wird mit Gegensätzen gespielt. Eine von diesen Gegensätzen ist der Gegensatz zwischen Leben und Tod. Einerseits schildert der Text eine farbige Landschaft mit Vögeln und Menschen, während andererseits die Welt des Textes wieder farblos und einsam erscheint. Die Hauptfigur besucht eine Kirche, wo er sich mit Grabsteinen bekannt macht. Er untersucht die Fotos und die kleinen Geschichten über die verstorbenen Menschen, wie es z.B. auf Seite 96 steht: Ein Herr mit Schnurrbart wird auf einer verblassenden Schrift als Gerichts=Oberinspektor und Witzebürgermeister bezeichnet. Die Geschichten und Fotos bilden eine Verbindung vom Tod zum Leben. Nachdem die Hauptfigur die Kirche besucht hat, geht sie in einem Wirtshaus etwas trinken und essen. Da wird ein sehr starker Kontrast zwischen den menschlichen Funktionen wie essen und trinken einerseits und mit dem Tod andererseits gebildet. 18 Im Zusammenhang mit dem Gegensatz Leben und Tod könnte man auch daran zweifeln, ob Bilder überhaupt lebendig sind. Sie besitzen Eigenschaften von etwas Lebendigem. Ein Foto vermittelt auch einen Aspekte der Realität mit. Bildnis eines jungen Mädchens, das am Anfang meines Primärtextes steht, stellt ein junges Mädchen dar, dessen Blick geheimnisvoll nach unten gerichtet ist. Das Mädchen ist schon lange gestorben, nur dieses Gemälde ist von ihr geblieben. Im Gemälde aber lebt sie weiter. 1 Um das Leben zu betonen, bekommen auch leblose Dinge wie Stoffhäschen und Teddybären menschliche, lebendige Eigenschaften wie zum Beispiel auf Seite 99: […] auf den Fensterbänken schauen Osterhäschen und Teddybären mit Schürzen nach draußen. Die Farben schildern auch den Gegensatz zwischen Leben und Tod. Mit vielen Farben erreicht man die Illusion einer realistischen, lebendigen Umwelt. Schwache und wenige Farben geben einen Eindruck von einem unrealen, traumhaften Milieu. Schwarz symbolisiert Trauer und Tod. Rot symbolisiert traditionell Liebe und die Farbe weiß Unschuld. Die Farben funktionieren mit Licht. Ohne Licht gibt es keine Farben, aber auch kein Leben. Wenn es dunkel ist, sieht man keine Farben, somit gibt es kein Leben. Mit dem Wechsel des Farbenmilieus wird im Text gespielt, um verschiedene Arten von Stimmungen zu erschaffen. In Landvermessung kommt die Amsel zweimal vor. Die Amsel ist hier ein Motiv, das auch im Zusammenhang mit Tod stehen kann. Die Amsel ist ein gewöhnlicher Vogel, aber kommt wegen seiner dunklen Farbe und seines schönen Gesangs oft in der Lyrik vor, wie auch auf Seite 90 und 89: Könnte er besser pfeifen, würde er versuchen, den Amseln abseitige Melodien beizubringen. […] Er geht auf schwarzgewordenen zusammengepressten Blättern durch Amselmusik [...] 1 Stangl hat einen Artikel über seine Assoziationen zu dem Gemälde geschrieben. Momente, nah am Traum http://derstandard.at/1246541346804/Momente-nah-am-Traum 19 In der christlichen Symbolik wird die Amsel in Verbindung mit Einsiedlern wie dem heiligen Kevin gebracht (Internet 4). Wie der heilige Kevin ist auch die Hauptfigur des Textes eine Art von Einsiedler. 6 Fazit Literatur kann man endlos untersuchen. Es gibt so viele Interpretationen wie Leser. Die Arbeit ist eine subjektive Untersuchung, die Einblicke in den vielschichtigen Primärtext Landvermessung gibt. Bei den intertextuellen Bezügen zu dem Roman Das Schloss von Franz Kafka war die Form und die Mehrdeutigkeit ein gemeinsames Merkmal. Daraus könnte man folgen, dass es auch Übereinstimmungen in Bezug auf Thema und Symbolik geben könnte, wie z.B. auf die Vorstellung des Lebens als eine sinnlose ewige Suche. Die Bedeutung der Bilder ist in meiner Arbeit von dem Blickwinkel der Intermedialität untersucht worden. In Bezug die Intermedialität wird gezeigt wie Bilder und der sprachliche Text zusammen Bedeutungen schaffen. Ein weiterer interessanter Untersuchungsbereich wäre die Verbindung der Philosophie von Maurice Blanchot mit der Erzählung, u.a. weil Blanchot im Vorwort des Romans Reisen und Gespenster erwähnt wird. 20 Literaturverzeichnis: Primärliteratur: Stangl, Thomas. 2012. Reisen und Gespenster. Graz: Literaturverlag Droschl. Sekundärliteratur: Berndt, Frauke und Lily Tonger-Erk. 2013. Intertextualität: eine Einführung. Berlin: Schmidt. Brackert, Helmut und Stückrath, Jörn (Hg.). 2001. Literaturwissenschaft: Ein Grundkurs. 7. erweitere und durschgesehere Auflage. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Wilfinger, Rolf. 2013. Erzählstrukturen. Literatur I Kurshandout. Internet 1: Webseiten des Autors Thomas Stangl: http://www.thomasstangl.com/ Internet 2: http://www.droschl.com/programm/person.php?person_id=236 Internet 3: https://www.youtube.com/watch?v=barRIRYuNLU Internet 4: Kafka, Franz: Das Schloss http://www.digbib.org/Franz_Kafka_1883/Das_Schloss_.pdf Internet 5: „Bildnis eines jungen Mädchens“ - Gemälde http://www.bildergipfel.de/artist/cornelis_poelenburgh 21 Anhang Anhang 1: Textbeispiel Auf keinem der zweiundsiebzig Bilder ist eine Person zu sehen (es sei denn, man rechnet die gemalten Figuren auf den Hauswänden und in den Kirchen, die Toten auf ihren Fotografien dazu), erst nach und nach, in den Zwischenräumen, zeigen sich auch Bewohner. Am Vorabend ist er in seinem Gasthof in Untermieming auf der großen Terrasse im ersten Stockwerk mit dem Boden aus rauhen Steinplatten gestanden und hat auf sein Zimmer zurückgeschaut, das einzige beleuchtete Zimmer rundum: ein kleines Rechteck aus Licht, vom Weiß des Bettzeugs bestimmt; dort liegen ein Buch und eine Landkarte, auf der dünne rote Linien die schneebedeckten Berge in seinem Rücken durchziehen. Hinter dem Hoteldach ragen ein Baukran und der spitze Kirchturm in die Höhe. Der Himmel ist schwarz und ohne Wolken, der Mond eine breite Sichel. Neben der Terrassentür ist eine Satellitenschüssel aufgestellt; das österreichische Fernsehen ist im Gasthof aber nur über die Zimmerantenne, mit krächzendem Ton und körnigem, sich immer wieder auflösendem Bild zu empfangen, er stellt sich vor, daß im erwarteten Regen die Landschaft in ähnlicher Weise aus einem fernen Geflimmer auftaucht, sich für Momente in sein Gesichtsfeld schiebt. Er wartet die ganze Nacht lang, mit geschlossenen Augen daliegend, vergißt, was Schlaf ist, kurze schneidende Sätze reihen sich in seinem Kopf aneinander, während die Stille rundherum wächst; gegen zehn Uhr vormittags bricht er auf, will im Gehen die fremden Sätze in lange Perioden, nah an der Stille, auflösen, lernen, die klarere Luft hier zu atmen. […] In ein Dorf zu kommen, macht ihm schon den Eindruck des ungehörigen Eindringens in die Privatsphäre, als würde es hier keinen öffentlichen Raum geben und die in den Städten so klare Unterscheidung von Innen und Außen verschwimmen, vielleicht ist er auch nur enttäuscht, wieder unter Menschen zu sein. Der Nah-und-Frisch-Markt in Mötz ist über Mittag geschlossen, ebenso die Pfarrkirche Maria Schnee. Er ist nicht wirklich unter Menschen: […]. Er macht ein Foto von Wolken, die sich in einer Wasserlache spiegeln. Eine junge Frau mit Hund und rotem Anorak sagt Griaß di zu ihm, der sich seit langem angewöhnt hat, mit Hallo zu grüßen. Der Fremde spürt jetzt seinen Rücken und seine Beine; der Weg dem Inn entlang zieht sich, zwischen ihm und dem Wasser wachsen kahle Sträucher, die Autobahn schneidet über den Fluß und füllt das Tal mit ihrem Lärm, rechts läuft eine mächtige Hochspannungsleitung. Die Berge dahinter werden zu einer einzigen bedrohlichen Wand, mit dem ihm vertrauten Namen Simmering. Der weißgraue Himmel ist ohne alle Konturen: keine Wolken, kein Blau, keine Sonne, keine Nebelstreifen, die sich ins Land herabsenken oder aus dem Land aufsteigen, er geht auf Beton, durch einen Tunnel unter der Autobahn hindurch, durch Matsch, weicht größeren Wasserlachen aus; der Fluß ist graugrün, ein Holztrumm liegt am Kiesufer und sieht aus wie ein enthäuteter Riesenkopf. Eine Wegstunde: in Vergessenheit geratene Maßeinheit; zwischen jedem der Orte im Inntal kann ein Zwischenraum von einer Wegstunde liegen, der keine Bezeichnung braucht, weil er nicht mehr recht weiß, wozu er überhaupt da ist; weil hier keiner etwas verloren hat und keiner sich hier aufhalten will. […] Im „Dorfgasthaus Bikertreff“, für das er sich entschließt, nachdem im anderen Restaurant gerade der Koch fortgegangen ist, tönt aus dem Radio die Sendung „Musikanten spielts auf“ mit Blasmusik aus Tirol, auf den Fensterbänken schauen 22 Osterhäschen und Teddybären mit Schürzen nach draußen. Um acht Uhr abends ist er der letzte Gast; als er hinausgeht, beginnt es stechend zu regnen. Er wird tief schlafen, am nächsten Morgen vom Balkon aus auf die von frischem Schnee bedeckten Wälder auf den Bergen gegenüber und auf die kleine weiße Kapelle schauen, die wie eine Widerspiegelung der Kirche über Mötz erscheint; auf seinem Rückweg der ötztaler Ache entlang zum Bahnhof lernt er, die klare Luft zu atmen, wie von selbst gehen seine Schritte in Bilder und Sätze über. Anhang 2: Foto 1 Kuva 1: Lähde: Internet 5 Anhang 3: Foto 2 23