Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher Hinsicht

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Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher Hinsicht
Economic Research
Allianz Group
Dresdner Bank
Working Paper
Nr.: 53, 10. Oktober 2005
Autoren: Dr. Thomas Beyerle (DEGI Research)
David F. Milleker (Group Economic Research)
_________________________________________________________________
Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher
Perspektive
Inhalt
1 Einleitung
1
2 Die Wohnimmobilie als Assetklasse: Hohe Wert- und Ertragsstabilität
3
3 Keine Preisblase in Deutschland
6
4 Die Europäisierung des deutschen Hypothekenmarkts
9
5 Die Entwicklung des europäischen Sekundärmarktes für Hypotheken
13
6 Hohes Marktpotenzial für deutsche Finanzdienstleister
16
7 Schlussfolgerungen
19
1 Einleitung
„Safe as Houses“ ist im Englischen eine sehr beliebte Redewendung, mit der man ausdrückt, dass
man sich seiner Sache vollkommen sicher ist. Der semantische Bezug zwischen Häusern und dem
Vertrauen in eine getroffene Aussage beruht auf der hohen Wertstabilität, die Immobilien in angelsächsischen Ländern beigemessen wird. Zumindest bis zum heutigen Tage. Denn zunehmend ist
in US-amerikanischen und britischen Medien von einer Blasenbildung am Immobilienmarkt die
Rede. „Safe as Houses“ war dann auch die ironische Überschrift eines Kommentars des USÖkonomen Paul Krugman in der New York Times vom 12. August 2005, die mit den Zeilen
schloss: „Our economy is safe as houses. Unfortunately, given current (house) prices and our dependence on foreign lenders, houses aren’t safe at all“. Auch wir sind auf Basis empirischer Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass in einer Reihe von Industrieländern die Preisentwicklung bei Wohnimmobilien nicht mehr durch die Wirtschaftsdaten gerechtfertigt, sondern weit
darüber hinausgegangen ist (David F. Milleker: Internationale Wohnimmobilienmärkte: Wie schwierig wird die Normalisierung?, Allianz Economic Research Working Paper Nr. 37).
Deutschland spielt hier freilich im internationalen Kontext eine absolute Sonderrolle: Von einem
Preisauftrieb bei Wohnimmobilien, der gar blasenartige Züge auch nur tragen könnte ist hierzulande nichts zu spüren. Die Preise stagnieren vielmehr seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.
Unter anderem ist dies Folge der Kapazitätsüberhänge aus der Phase unmittelbar nach der Wiedervereinigung.
Für die meisten Besitzer von Immobilien – zumal die große Masse der Eigennutzer – mag eine
kapitalmarktorientierte Betrachtungsweise für das Eigenheim ohnehin ein wenig seltsam erscheinen. Soll doch das Eigenheim neben der Befriedigung des Basisbedürfnisses nach „einem Dach
über dem Kopf“ vor allem Freude spenden. Dennoch ist eine kapitalmarktorientierte Betrachtungsweise gerade heute ausgesprochen sinnvoll. Denn vor dem Hintergrund, dass sich der Staat im
Rahmen der Alterssicherung zunehmend auf eine Grundversorgung zurückzieht, gewinnen individuelle Anlageentscheidungen erheblich an Bedeutung für den Lebensstandard im Alter. Und zudem hat sich im Zuge des technologischen Wandels und gesunkener Transaktionskosten das für
den Privatanleger zugängliche Spektrum an Finanzaktiva drastisch erweitert.
Ausgangspunkt unserer Studie ist somit zunächst einmal die relative Position der Wohnimmobilie
im Verhältnis zu anderen breiten Anlageklassen im Rendite-/Risikoraum. In diesem Anlageuniversum erweist sich die Anlage in Boden und Beton im Vergleich zu heimischen und internationalen
Aktien- und Rentenpapieren als zwar wenig spektakulärer Ertragstreiber, aber dafür als wert- und
ertragsstabile Anlage . Zudem weist eine immobilienökonomische Analyse darauf hin, dass in
Deutschland der Abbau von wertbelastenden Kapazitätsüberhängen im Wohnungsbereich inzwischen hinreichend vorangekommen ist, um eine Bodenbildung im Immobiliensektor erkennen zu
können. Schließlich zeigt der internationale Vergleich, dass man sich um eine Blasenbildung am
deutschen Immobilienmarkt wirklich keine Sorgen zu machen braucht.
1
Einen zweiten Schwerpunkt der Studie bildet das Hypothekensystem einschließlich des Sekundärmarktes (Mortgage Backed Securities) – also Anlageinstrumente, hinter denen Hypotheken
stehen. Hypotheken stellen nach wie vor das Hauptinstrument bei der Immobilienfinanzierung dar.
In jüngerer Zeit kommen beispielsweise aus dem angelsächsischen Bereich vermehrt Forderungen, nach einer Liberalisierung in diesem Segment. Unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass
der eher konservativ ausgestaltete Hypothekenmarkt hierzulande bestimmte Käuferklassen mit
geringer Eigenkapitalausstattung vom Immobilienerwerb ausschließe. Zudem werde der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik hierzulande durch die spezifische Ausgestaltung des Hypothekenmarktes erschwert . Dies sind auch zwei zentrale Gesichtspunkte eines Grünbuchs der EUKommission (Mortgage Credit in the EU), das im Juni 2005 veröffentlicht wurde und dessen Konsultationsprozess bis November laufen wird. Ziel der EU-Kommission ist vor allem eine weitergehende Integration der europäischen Hypothekenmärkte. Dies würde in jedem Fall zu mehr Wettbewerb auf dem Hypothekenmarkt führen. Vor dem Hintergrund ausländischer Erfahrungen von
Marktliberalisierungen bei der Immobilienfinanzierung ist jedoch nicht zuletzt das Risikomanagement der Banken erheblich gefordert. In fast allen Ländern kam es im Nachklang von Liberalisierungen zu Boom-Bust-Zyklen auf dem Immobilienmarkt selbst und vorübergehenden Schieflagen
im Bankensektor.
Die weitere Entwicklung des Sekundärmarktes für Hypotheken ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Er kann nicht nur das Anlagespektrum bedeutend erweitern, sondern auch bei der
Verarbeitung von Risiken helfen. Im Gegensatz zu den USA, die bei der Entwicklung dieses Segments stark auf öffentliche Institutionen gesetzt haben, ist der europäische Markt für Mortgage
Backed Securities (MBS) nach und nach und ohne vorgegebenes Reglement gewachsen. Somit ist
zwar die Standardisierung von MBS-Papieren in den USA höher als in Europa, freilich hat man sich
damit jenseits des Atlantik auch ein längerfristiges Problem eingehandelt. Denn die Verbriefungsinstitutionen Fannie Mae und Freddie Mac sind längst zu den größten Eignern dieser Papiere geworden, so dass der MBS-Markt in den USA nur noch unvollständig die richtigen Signale an die
Hypothekenbanken gibt. Europa steht somit vor der Herausforderung, einerseits eine Standardisierung der MBS zur Senkung der Transaktionskosten zu erreichen, ohne andererseits aber ähnliche
Marktverzerrungen wie in den USA entstehen zu lassen.
Wohnimmobilien bilden somit nicht nur als Instrument für die private Altersvorsorge, sondern auch
für die Finanzwirtschaft interessante Perspektiven.
2
2 Die Wohnimmobilie als Assetklasse: Hohe Wert- und Ertragsstabilität
Wer sich als Individuum mit seiner Vermögensplanung beschäftigt, muss zunächst die Charakteristika verschiedener Anlageformen verstehen, um den für seine Bedürfnisse optimalen Mix finden zu
können. Die eignen vier Wände stellen dabei insofern gegenüber anderen Alternativen im Anlagespektrum eine Besonderheit dar, als sie in den allermeisten Fällen die größte Investition im Leben
eines Menschen sind und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil über einen Kredit finanziert werden
müssen. Zudem ist das Eigenheim, über den rein materiellen Aspekt hinaus, ja auch für die meisten Besitzer der persönliche Lebensmittelpunkt. Es gibt folglich auch in erheblichem Umfang immaterielle Aspekte, die den Erwerb einer Immobilie attraktiv erscheinen lassen.
Umgekehrt ist selbstverständlich auch zu beachten, dass der Markt für Wohnimmobilien sich durch
eine wesentlich geringere Liquidität auszeichnet als etwa die Märkte für Aktien oder Rententitel. So
liegt etwa die Umschlagsrate bei selbstgenutzten Wohnimmobilien gemessen am Gesamtbestand
in Deutschland bei nur knapp über 3 % pro Jahr. Doch selbst Länder, in denen die Wohnsituation
den aktuellen Lebensverhältnissen deutlich häufiger als hierzulande angepasst wird („Wohnen im
Eigenheim auf Zeit“), bringen es nur auf eine Umschlagsrate von 7 bis 8 %.
Umschlag bei selbstgenutzten Immobilien im Jahr 2000
in Prozent des Bestandes
Großbritannien
8,5
Niederlande
7,5
7,3
USA
Finnland
5,8
Frankreich
5,4
3,4
Deutschland
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Quelle: JP Morgan, National Association of Realtors
Entsprechend hohe Bedeutung hat daher für die Ertragsstärke der Wohnimmobilie als Anlageform
die Wahl des richtigen Objektes. Denn die Entwicklung des Wiederveräußerungswertes hängt natürlich in hohem Maße davon ab, ob auch eine rasche Veräußerung oder Weitervermietung möglich ist.
Im Folgenden wollen wir uns aber vor allem die aggregierte Ebene anschauen und die Anlage in
einer Wohnimmobilie hinsichtlich Ertragsstärke und Wertbeständigkeit mit anderen Assetklassen in
den vergangenen 20 Jahren (1985 bis 2004) vergleichen. Als Maß für die Ertragsstärke wählen wir
dabei den jahresdurchschnittlichen Total Return im Betrachtungszeitraum. Bei der Total ReturnBetrachtung wird kalkulatorisch unterstellt, dass neben den jährlichen Wertsteigerungen einer An3
lagekategorie, d.h. für Immobilien der Wiederverkaufswert oder für Aktien der laufende Kurs, auch
die jährlich erzielten Zahlungsströme, wie (vermiedene) Mieten für Wohnimmobilien oder Dividenden für Aktien, wieder in dieselbe Anlageklasse investiert werden. In der Total Return-Betrachtung
für Immobilien steckt implizit die Annahme, dass Immobilien unendlich teilbar sind. Mithin für den
Mietertrag auch eine Zehntel-Immobilie erworben werden könnte, was natürlich faktisch nicht so
ohne weiteres richtig ist. Gegenüber anderen Betrachtungsweisen – etwa der Anlage des Mietertrages in Rentenpapieren, wie sie den meisten anderen Studien zugrunde liegen - . bietet unser
Blickwinkel nach unserer Einschätzung jedoch den Vorteil, dass man hier nicht auf eine Mischanlage eingeht und somit den Kernbereich der Immobilienanlage besser abbildet. Grundsätzlich wird
bei der Betrachtung die Perspektive eines deutschen Investors zugrunde gelegt. Das heißt, für
ausländische Alternativanlagen wie amerikanische oder japanische Aktien oder Rentenpapieren
werden auch Wechselkursveränderungen voll eingerechnet.
Als Maß für das mit der Anlage verbundene Risiko verwenden wir die Standardabweichung der
jährlichen Total Return-Zuwachsraten. Die Standardabweichung misst die Streuung der jährlichen
Zuwachsraten um deren Mittelwert. Je höher die Standardabweichung, desto stärkere Schwankungen treten von Jahr zu Jahr beim Total Return-Ertrag auf. Wenn wir einmal die deutschen Aktien als Beispiel heranziehen, so lag der jahresdurchschnittliche Ertrag zwischen 1985 und 2004 bei
10,2 % - allerdings lagen die Schwankungen dieser Erträge bei einem Zuwachs von 44,9 % gegenüber dem Vorjahr (1997) in der Spitze und einem Verlust von 25,6 % (2002) im Tiefpunkt. Die
individuelle Ertragsperspektive deutscher Aktien ist mithin in einem ausgesprochen hohen Maß
davon abhängig, wann ge- bzw. verkauft wurde.
Performance und Volatilität verschiedener Assetklassen 1985 - 2004
aus Sicht eines deutschen Anlegers
Volatilität (Standardabweichung)
30
Jap. Aktien
25
Deutsche Aktien
20
US Aktien
Japanische
Staatsanleihen
15
US Staatsanleihen
10
Deutsche
Wohnimmobilien
5
Deutsche
Staatsanleihen
0
0
2
4
6
8
10
12
Ertrag (Total Return Basis, % jahresdurchschnittlich)
Quelle: Ecowin, Pestel Institut, eigene Berechnungen
Obige Grafik zeigt die Position deutscher Wohnimmobilien im Ertrags- / Risikoprofil im Vergleich
mit einer Reihe anderer Anlageklassen. Zwar nimmt sich der Total Return mit 4,7 % im Jahresdurchschnitt nicht sonderlich hoch aus, hinsichtlich der Ertragsstabilität sind deutsche Wohnimmobilien jedoch unübertroffen sicher. Eine nähere Betrachtung zeigt zudem, dass – sich die relative
4
Position im Anlagespektrum – sogar noch besser ausnehmen würde, schaute man allein auf die
reine Mietkomponente. Diese weist nicht nur höhere Ertragszuwächse aus, sondern auch eine
geringere Volatilität aus als die Wertkomponente. Wohnimmobilien sind somit wohl eine der am
besten geeigneten Anlagekategorien, um einen stetigen Ertragsstrom zu generieren und somit die
optimale Beimischung zur Lebensstandardsicherung innerhalb eines Vermögensportfolios.
Gerade diese Ertragszuwächse machen Wohnungsportfolien zunehmen interessanter für Investoren. Deutschlands Wohnungsmärkte stehen gerade deshalb im Sommer 2005 vor neuen Herausforderungen. Wie attraktiv sich die deutschen Wohnimmobilienmärkte gegenwärtig vordergründig
zeigen, verdeutlicht das hohe Investitionsvolumen ausländischer Investmentgesellschaften wie z.B.
Private-Equity-Fonds bzw. Opportunity–Fonds beim Erwerb von zumeist kommunalen Wohnungsportfolien. Dass diese Unternehmen sich Deutschland als Investitionshafen herausgesucht haben
ist letztlich zu begrüßen, denn die Preise sind seit 1995 gefallen und nun kommt der kluge Investor
und kann billiger einkaufen als er es eben vor Jahren konnte. Hinter dieser Logik verbirgt sich die
sehr positive Einschätzung über die zukünftige Entwicklung der Wohnungsmärkte in Deutschland,
zu der die Akteure vor Ort, vielleicht durch nationale Betriebsblindheit, noch nicht gekommen sind.
Dies hängt mit der Sondersituation auf dem deutschen Immobilienmarkt zusammen. Denn trotz
historisch niedriger Zinsen verspürt der Deutsche, im Gegensatz zu den US-Amerikanern keine
grenzenlose Lust am Bauen und Finanzieren. Denn eine Masse an Bauvorschriften verteuert die
Häuser, die oftmals als einmalige Investitionen angesehen und dementsprechend dimensioniert
werden. Entsprechend sind Finanzierungen so gestrickt, dass auch sie ein Leben lang halten. Unter diesen Konstellationen kann, ein Markt nicht sehr viel Dynamik entfalten, selbst wenn die Zinsen noch so niedrig sind. Trotz aller Euphorie, vor allem bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, sei nochmals angemerkt, dass es sich um Engagement auf Zeit handelt. Erkauft wird sich
der Vorteil i.e.L durch eine sehr hohe Leveragefinanzierung, begünstigt durch die globale Zinsentwicklung. Insofern handelt es sich primär um eine finanzwirtschaftliche Investition und nicht um
eine Investition in die Immobilien selbst. Nach unserer Ansicht beginnt sich denn auch das Fenster
für große Wohnungsmarkttransaktionen bereits langsam wieder zu schließen.
Investitionen in Wohnimmobilienpakete? Die Pro´s und Con´s
Pro
Kontra
• Stabilität: geringe Preisschwankungen und
geringe Korrelation mit anderen Märkten
• Konjunkturerholung/ Verbesserung der
Verbraucherstimmung in den nächsten Jahren unsicher
• niedrige Wohneigentumsquote
• kaum inländische Nachfrager
• zukünftige Versorgungsengpässe in Wachstumsregionen
• im internationalen Vergleich günstige
(Wohn-)Immobilien
• guter Zustand deutscher Wohnimmobilien
• sehr niedrige Zinsen
• hohe Verkaufsbereitschaft derzeitiger Eigentümer
• extreme regionale Unterschiede der Nachfragepotenziale
• ungünstige demographische Entwicklung
• strenge Regularien am deutschen Wohnungsmarkt
• künftige Reduzierung staatlicher Förderung
für Wohnungsprivatisierung zu erwarten
• baldiger Anstieg des Zinsniveaus
Quelle: DEGI Reseach 2005
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3 Keine Preisblase in Deutschland
Regelmäßige Leser der internationalen Wirtschaftspresse dürften an Schlagzeilen gewöhnt sein,
die nach der Preisblase an den Aktienmärkten nun vor einer Blase bei Wohnimmobilien warnen.
So schrieb etwa der britische Economist: „The worldwide rise in house prices is the biggest bubble
in history. Prepare for economic pain when it pops“ (In come the waves, Special report: The global
housing boom, 18. Juni 2005). Oder etwa Paul Krugman: „Now we're starting to hear a hissing
sound, as the air begins to leak out of the bubble. And everyone - not just those who own Zoned
Zone real estate - should be worried“ (That hissing sound, New York Times, 8. August 2005).
In der Tat haben die Preise für Wohnimmobilien international gesehen seit 2001 deutlich zugelegt.
Nicht nur absolut oder in realer Rechnung, sondern etwa auch in Relation zu den verfügbaren ProKopf-Einkommen. Diese stellen neben der Höhe des Zinses einen ganz wesentlichen Faktor für
den Immobilienerwerb und damit ökonomisch auch für die Immobilienpreisentwicklung dar.
Immobilienpreise in Relation zum verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen
Index 1991 = 100
210
200
190
180
170
160
150
140
130
120
110
100
90
80
70
Deutschland
1991
1992
1993
Großbritannien
1994
1995
1996
USA
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Quelle: Ecowin, Bulwien, eigene Berechnungen
Die vorangehende Grafik stellt diese Relation beispielhaft für Deutschland, Großbritannien und die
USA dar. Im Gegensatz zu den beiden angelsächsischen Vergleichsländern ist von einem übermäßigen Preisauftrieb in Deutschland nichts zu sehen. Im Gegenteil: hierzulande fallen seit Anfang
der neunziger Jahre die Immobilienpreise in Relation zum verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen. Man
würde somit dem Trugschluss der Verallgemeinerung verfallen, wenn man die Mahnungen vor
einer internationalen Immobilienblase einfach so auf Deutschland übertragen wollte.
Der Grund, dass es in Deutschland trotz der ausgeprägten Niedrigzinsphase gegenwärtig keinen
Aufwärtsdruck bei den Preisen am Immobilienmarkt gibt, dürfte maßgeblich darin liegen, dass hierzulande noch die erheblichen Schocks aus der Phase unmittelbar nach der Wiedervereinigung
verarbeitet werden müssen. Bei der Analyse des Immobilienmarktes lassen sich grundsätzlich zwei
Grundformen von Regionen ausmachen. Im ländlichen Raum kann auf eine steigende Nachfrage
nach Wohnraum relativ einfach durch eine Ausweitung von Bauflächen reagiert werden. Daher
6
sind hier die Baukosten die wesentliche Determinante des Immobilienpreises. Im städtischen Bereich ist dies nicht so leicht möglich, so dass hier die Baulandpreise die wesentliche Determinante
des Immobilienpreises darstellen. Selbstverständlich sind der ländliche und der städtische Markt
nicht vollkommen losgelöst voneinander, denn auf individueller Ebene kann ja stets eine Abwägung zwischen den relativen Preisniveaus beider Regionen einerseits und den persönlichen Präferenzen hinsichtlich der Kosten langer Pendelwege andererseits getroffen werden. Es kann daher
nicht verwundern, dass sich statistisch eine hohe Korrelation zwischen der Entwicklung der Baukosten einerseits und den Immobilienpreisen andererseits feststellen lässt.
Baukosten und Immobilienpreisentwicklung
Index 1987 = 100
150
140
130
120
Baukosten
110
Immobilienpreis
100
1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
Quelle: Bulwien, Statistisches Bundesamt
Die Entwicklung der Baukosten wiederum hängt sehr eng mit der Kapazitätsauslastung in dieser
Branche zusammen. Wie aus der obigen Graphik hervorgeht, kam es insbesondere zwischen dem
Mauerfall 1989 und 1995 in Deutschland zu einem sehr starken Anstieg der Baukosten. Denn erstens gab es in den Neuen Bundesländern einen erheblichen Nachholbedarf bei der Qualität des
Wohnungsbestandes, zweitens auch die Notwendigkeit einer Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur und drittens wurde von Seiten der Politik durch die Sonderabschreibungen für ostdeutsche
Immobilieninvestitionen der Bauboom durch westdeutsche Investoren weiter verstärkt. Trotz erheblicher Kapazitätserweiterungen in der Baubranche . konnte die enorme Nachfrage aber zunächst
kaum befriedigt werden, was die steigenden Preise erklärt.
Wie stets in Folge von Nachholprozessen – in diesem Fall sogar noch durch die falschen wirtschaftspolitischen Rahmensetzungen der damaligen Politik verschärft – sind aber erhebliche Überkapazitäten entstanden. Seit 1995 sind die realen Bauinvestitionen rückläufig und schrumpft die
Baubranche bundesweit erheblich.
7
Reale Bauinvestitionen
Index 1991 = 100
250
200
150
100
50
Ostdeutschland
Westdeutschland
0
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Quelle: Statistisches Bundesamt
Verschärft wird dies noch durch zwei weitere Faktoren. Zum einen besteht in den neuen Bundesländern ein erheblicher Kapazitätsüberhang an Wohnraum. Nach Angaben des Bundesverbandes
der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW Jahres-Pressekonferenz „Daten und
Trends der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft 2004/2005“, 8. Juni 2005) liegt die Leerstandsquote von Wohnimmobilien in Ostdeutschland bei stolzen 16 % (Westdeutschland: 3,1 %). 1994
hat die Quote in Ostdeutschland bei nur 3,4 % gelegen. Die jüngste Stabilisierung beim Leerstand
ist maßgeblich auf das Städteumbauprogramm des Bundes zurückzuführen, bei dem überdimensionierte Wohneinheiten beseitigt und zu einer Entkernung der Siedlungszentren genutzt werden.
Dies hat den Vorteil, dass Baukapazitäten ausgelastet werden, ohne eine weitere Ausdehnung des
eh schon überdimensionierten Bestandes zu verursachen. Der GdW schätzt, dass ohne das Städteumbauprogramm die Leerstandsquote sogar noch weiter ansteigen würde.
Zum anderen sind die öffentlichen Investitionen – insbesondere bei den Kommunen, die für das
Gros der deutschen Infrastruktur zuständig sind – seit Jahren deutlich rückläufig. Die Bundesbank
hat jüngst in ihren gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnungen (Monatsbericht Juni 2005),
dass in den Jahren 2003 und 2004 die Bruttoinvestitionen des Staates nicht einmal mehr die Höhe
der Abschreibungen erreicht haben. Damit ergibt sich in der Nettobetrachtung ein Substanzverzehr
der öffentlichen Hand. Auch dies belastet natürlich in erheblichem Ausmaß die Kapazitätsauslastung der Baubranche und senkt ihre Möglichkeiten, Preissteigerungen durchzusetzen.
Die massiven Belastungen, die der Schrumpfungsprozess am deutschen Bau mit sich bringt, sind
überdies eine der Hauptursachen für den augenscheinlichen Stillstand im ostdeutschen Aufholprozess gegenüber den alten Bundesländern. Denn bei einem Wertschöpfungsanteil von rund 17 %
des Bausektors an der gesamten Wertschöpfung in den neuen Ländern gegenüber nur etwa 10 %
Wertschöpfungsanteil für das produzierende Gewerbe, muss letzteres kräftig wachsen, um bei
Konstanz der allgemeinen Wertschöpfung den Schrumpfungsprozess im Bau auszugleichen.
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Als durchaus positiv für den deutschen Immobilienmarkt kann aber angesehen werden, dass sich
die Bauaktivität für Deutschland insgesamt inzwischen wieder auf einem Niveau befindet, dass mit
konstanten Leerstandsquoten durchaus kompatibel ist. Zudem erweist sich die Miet-Preis-Relation
im internationalen Vergleich mittlerweile als so günstig, dass der deutsche Markt auch für längerfristig orientierte ausländische Investoren zunehmend attraktiv wird. Dies zeigen unter anderem die
Übernahmen größerer Immobilienportfolios.
Im Gegensatz zu einigen Auslandsmärkten, für die man sich ernsthaft Sorgen machen muss, bestehen in Deutschland keine Anzeichen für eine Preisblase. Eher klaren die preislichen Perspektiven deutscher Wohnimmobilien derzeit wieder auf.
4 Die Europäisierung des deutschen Hypothekenmarkts
Neben erheblichen sozio-ökonomischen, demographischen und rechtlichen Veränderungen, die
wir in vorangegangenen Studien (Beyerle/Milleker: Die private Wohnimmobilie in 2030: Phoenix
aus der Asche?, Allianz Economic Research Working Paper Nr. 40 und Beyerle/Milleker/Partisch:
Wohnimmobilienmarkt im Umbruch: eine Trendanalyse bis 2010, Allianz Economic Research Working Paper Nr. 44) beschrieben haben, wird auf den deutschen Wohnimmobilienmarkt auch noch
eine weitere Änderung zukommen: nämlich die Europäisierung des Hypothekenmarktes.
In den vergangenen Jahren mehrten sich – nicht zuletzt aus der ausländischen Fachpresse – zunehmend kritische Stimmen zu den institutionellen Arrangements am deutschen Hypothekenmarkt.
Zum einen lautet die Kritik, dass sehr hohe Anforderungen an die Kreditnehmer den Markt für bestimmte Käuferschichten abriegeln und somit das allgemeine Nachfrageniveau dämpfen. Zum anderen, dass die hohen Kosten bei einer Refinanzierung (in Form von Vorfälligkeitsentschädigungen) bei sinkenden Zinsen auch die konjunkturelle Wirksamkeit geldpolitischer Impulse behinderten. Entsprechend formulierte der britische „Economist“ die These, dass eine Deregulierung der
kontinentaleuropäischen Hypothekenmärkte der wohl beste Weg sei, endlich die Binnennachfrage
anzukurbeln (Lifting the roof – the best way for the euro zone to boost demand is to deregulate its
mortgage markets, 9. Dezember 2004). Auch das französische Autoren-Duo Anton Brender und
Florence Pisani (America’s New Economy, Paris 2005) stoßen ins gleiche Horn, wenn sie die Organisation des US-Hypothekenmarktes für die schnelle Überwindung der Rezession 2001 und die
relative Schockstabilität der US-Wirtschaft verantwortlich machen.
Die EU-Kommission, ohnehin seit längerem an einer stärkeren Integration des europäischen Retailmarktes für Banken interessiert, hat diese Ansätze in ihrem Grünbuch „Mortgage Credit in the
EU“ (Juni 2005) als diskussionswürdig aufgenommen. Zwar läuft der Konsultationsprozess über
das Grünbuch noch bis November 2005, EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat als Ziel
jedoch bereits formuliert: „Ideal wäre ein Markt, in dem ein Kunde in Dänemark sich im Internet
Angebote aus der ganzen EU ansieht und dann einen Kredit in Belgien aufnimmt“ (Financial Times
Deutschland, 20. Juli 2005). Wie deutlich die europäischen Hypothekenmärkte aufgrund ihrer sehr
unterschiedlichen historischen Entwicklung in der Tat noch voneinander abweichen, zeigt eine
9
Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Kostas Tsatsaronis/Haibin Zhu: What
drives housing price dynamics: cross-country evidence, BIS Quarterly Review March 2004), die
verschiedene Hypothekensysteme nach fünf Kriterien klassifiziert hat.
Erstens, ob es sich um ein System mit eher fixen oder variablen Hypothekenzinsen handelt. Im
Falle variabler Zinsen ändert sich die Belastung des Hypothekennehmers unmittelbar mit den
Zinsänderungen. Leitzinsänderungen schlagen somit stärker auf die Konjunktur durch, belasten
aber nicht die Bankbilanzen. Im Falle von fixen Hypothekenzinsen ist dies umgekehrt.
Zweitens, ob das System die Möglichkeit des Mortgage Equity Withdrawal (MEW) vorsieht oder
nicht. Unter MEW versteht man, dass bei steigenden Immobilienpreisen das Hypothekenvolumen
aufgestockt und die zusätzliche Leihsumme zu Konsumzwecken verwendet werden kann. MEW
kann dazu führen, dass sich Immobilien- und Konjunkturzyklus gegenseitig verstärken: Ein Immobilienboom verstärkt über die leichtere Kreditverfügbarkeit die konjunkturelle Aufwärtsdynamik, die
dann wieder den Auftrieb der Immobilien verstärkt.
Drittens die maximale Beleihungsgrenze (Relation von Kreditsumme zu Immobilienbewertung). Je
höher diese Relation ausfällt, desto geringere Eigenmittel müssen aufgebracht werden, um eine
Immobilie zu erwerben. Im Zweifelsfall kann dies den kreditfinanzierten und spekulativen Hauserwerb begünstigen.
Viertens die Bewertungsmethode bei der Aufstockung oder Refinanzierung von Hypothekarkrediten. Diese kann sich entweder auf den jeweils aktuellen Wert der Immobilie beziehen oder auf den
zur Erstvergabe der Hypothek. Zwar kann bei keinem der beiden Systeme ausgeschlossen werden, dass es zu einer positiven Rückkopplung zwischen Immobilienpreis- und Kreditvergabeentwicklung kommt, jedoch sind die Chancen hierfür im erstgenannten System größer als bei letzterem.
Fünftens wird die Verbreitung der Kreditverbriefung für Hypotheken genannt. Die Bank verkauft
hier die vergebenen Kredite an den Markt und entlastet letztlich ihre Bilanz vom Risiko der Insolvenz des Kreditnehmers. Da die Bank das Ausfallrisiko gar nicht oder nur in vermindertem Umfang
tragen muss, steigt ihr Anreiz, im Wettbewerb besonders viele Kredite zu vergeben.
10
Eine internationale Gegenüberstellung der Kriterien für eine Auswahl von Industrieländern findet
sich in der nachfolgenden Tabelle.
Charakteristika von Hypothekensystemen
Zinsanpassung
Mortgage
Beleihungs-
Bewertungs-
Kreditverbrie-
Equity With-
grenze
methode
fung
drawal
(Prozent)
Historischer
Nein
(MEW)
Deutschland
Fix
Nicht ge-
60
bräuchlich
Frankreich
Fix
Nicht ge-
Wert
80
bräuchlich
Großbritan-
Variabel
Gebräuchlich
90 – 100
Aktueller
Ja
Marktwert
Fix
Nicht ge-
75
bräuchlich
Niederlande
Nein
Marktwert
nien
Kanada
Aktueller
Fix
Gebräuchlich
Aktueller
Ja
Marktwert
75
Aktueller
Ja
Marktwert
Schweden
Variabel
Nicht ge-
80
bräuchlich
Spanien
Variabel
Nicht ge-
Fix
Gebräuchlich
Nein
Marktwert
80
bräuchlich
USA
Aktueller
Aktueller
Nein
Marktwert
75 – 80
Aktueller
Ja
Marktwert
Quelle: Kostas Tsatsaronis / Haibin Zhu: What drives housing price dynamics: cross-country evidence, BIS Quarterly Review March 2004.
Selbstverständlich handelt es sich bei der Darstellung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) nur um eine grobe Charakterisierung der jeweiligen Hypothekenmärkte. Denn auch in
Deutschland sind für Kunden mit recht hoher Bonität höhere Beleihungsgrenzen natürlich möglich.
Dennoch ist auffallend, dass die Kreditvergabepraxis bei Hypotheken auch im Vergleich mit den
europäischen Nachbarländern eher konservativ ausgelegt ist. Der verhältnismäßig hohe Anteil an
Eigenmitteln, der durch den Immobilienkäufer in Deutschland aufgebracht werden muss, dürfte
auch einer der Hauptgründe dafür sein, dass die allgemeine Eigentümerquote in Deutschland am
Ende der europäischen Rangliste liegt. Insbesondere bei jüngeren Altersjahrgängen bleibt die Eigentümerquote nochmals weit überproportional hinter dem europäischen Mittel zurück. Jüngere
Altersschichten – so sie das Eigenheim nicht geerbt haben – sind derzeit schlicht aus dem Markt
ausgeschlossen.
Welches Potenzial eine Flexibilisierung der Hypothekenmarktinstitutionen in Deutschland bieten
kann, zeigt sich in der nachfolgenden Grafik schön am Beispiel Großbritanniens und der Nieder11
lande. Dass die Eigentümerquoten dieser beiden Länder bei der mittleren Altersklasse (30 bis 64)
höher liegen als in der Alterskategorie 65+, hat nichts mit Verkäufen und einem Umsatteln auf Miete zu tun, sondern damit dass in den achtziger Jahren jeweils eine Flexibilisierung des Hypothekenmarktes stattgefunden hat, von der die heutige Rentnergeneration nicht mehr in vollem Umfang
hat profitieren konnte .
Eigenheimbesitzeranteile unter Single-Haushalten
nach Alter 2001 in Prozent
70
unter 30
60
50
30 - 64
65+
40
30
20
10
0
Deutschland
Niederlande
Großbritannien
EU15
Quelle: Eurostat
Zwar ist Deutschland unverändert der bedeutendste Hypothekenmarkt in der EU, die Europäisierung dieses Marktsegmentes dürfte über den Wettbewerbsmechanismus dennoch einiges an Liberalisierungsimpulsen mit sich bringen. Nicht zuletzt wird so ausländischen Wettbewerbern der Zugang zum deutschen Markt mit den Vergabepraktiken ihres Heimatlandes ermöglicht. Allerdings
hat diese Lockerung der Vergabepraxis auch ihren Preis. Denn eine flexiblere Vergabepraxis lässt
auch die Risiken der entsprechenden Kredite steigen. Zwar ist der grundsätzliche Vorteil von Hypotheken –nämlich der Marktwert des beliehenen Vermögens – weiterhin gegeben, aber der Vorteil
nimmt ab, je weiter die Beleihungsgrenze hinausgeschoben wird. Entsprechend größere Bedeutung kommt dem Risikomanagement der vergebenden Institute zu.
12
Zinsspread Festzinshypothek mit 10+ Jahren Laufzeit
gegenüber 10j. Staatsanleihe in Basispunkten (2004)
110
105
100
95
90
85
80
Deutschland
USA
Großbritannien
Quelle: Bundesbank, Federal Reserve, Bank of England
Dies reflektieren auch die landesspezifischen Risikoprämien, die sich etwa aus dem Spread einer
Festzinshypothek mit einer Laufzeit von über 10 Jahren gegenüber einer Staatsanleihe mit 10 Jahren Laufzeit ablesen lassen. In den USA lag dieser im Jahr 2004 um 5 Basispunkte über dem
deutschen Niveau, in Großbritannien um 15.
5 Die Entwicklung des europäischen Sekundärmarktes für Hypotheken
Ein gut entwickelter Sekundärmarkt für Hypotheken ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass
das Bankensystem die erhöhten Risiken eines flexibilisierten Hypothekenmarktes verarbeiten
kann. Unter einem Sekundärmarkt wird verstanden, dass Hypothekarkredite – mit einer räumlichen
oder Typenmischung – gebündelt und als Wertpapier an den offenen Markt gebracht werden. Für
den Bankensektor hat dies den Vorteil, dass die Kreditrisiken auf den Käufer eines solchen Papiers
übergehen. Für den Käufer besteht der Vorteil darin, dass er von vornherein ein gemischtes Portfolio aus beispielsweise Hypotheken in Hamburg und München, oder Einfamilien- und Mietshaushypotheken erwirbt und damit die Anfälligkeit seiner Erträge für regionale und/oder immobiliensegmentbezogene Marktschwankungen geringer wird.
Im internationalen Vergleich ist auffällig, dass es nicht ein einziges Land gibt, in dem die Möglichkeit zu Mortgage Equity Withdrawal gebräuchlich ist, ohne dass nicht gleichzeitig ein hoch entwickelter Verbriefungsmarkt existiert. Für den Bankensektor scheint somit ein Sekundärmarkt eine
zwingende Voraussetzung zu sein, dass solche Operationen wie MEW überhaupt für den Bankensektor machbar werden.
Erstaunlich ist zudem, dass die BIZ in ihrer Studie bei Deutschland hinsichtlich der Kreditverbriefung zu der Aussage kommt, es gäbe hierzulande kein Verbriefungssystem für Hypotheken. Das ist
deswegen erstaunlich, weil Deutschland mit dem Pfandbriefsystem in diesem Markt eine der Vorreiterrollen gespielt hat. Freilich unterscheiden sich die Pfandbriefe in einer Reihe von Eigenschaf13
ten erheblich von ihren amerikanischen Pendants, den Mortgage Backed Securities wie sie sowohl
von den großen Verbriefungsagenturen Fannie Mae und Freddie Mac sowie auch einzelnen Hypothekenbanken begeben werden. Zunächst einmal liegt die Obergrenze von Hypotheken, die in
einen Pfandbrief eingebracht werden können, bei 60 % des Beleihungswertes. Zudem wird dem
Käufer des Pfandbriefes eine feste Verzinsung auf den Nennwert garantiert. Wesentliche Charakteristika des deutschen Hypothekensystems wie die im internationalen Vergleich niedrigen Standardbeleihungsgrenzen oder die hohen Vorfälligkeitsentschädigungen erklären sich damit unmittelbar aus der Konstruktion des Pfandbriefes. Denn bei einer vorzeitigen Refinanzierung zu einem
niedrigeren Zinssatz muss ja das Institut gegenüber dem Halter des Pfandbriefes für die entstehende Differenz aufkommen.
MBS amerikanischer Machart sind dagegen anders konstruiert. Hier trägt der Käufer von vornherein auch das Risiko einer vorzeitigen Refinanzierung durch den Hypothekennehmer mit. Er wird
freilich zum Teil dadurch entschädigt, dass bei Refinanzierungen traditionell auch Laufzeitverkürzungen (plus einer geringen Vorfälligkeitsentschädigung, die auf die Restlaufzeit umgelegt wird)
vorgenommen werden. Während sich somit die Verzinsung der Hypothek mindert, steigt für den
Halter des MBS der laufende Cash-Flow aus dem Instrument.
Parallel zum deutschen Pfandbriefmarkt (über den freilich auch Kredite der öffentlichen Hand verbrieft werden) hat sich in den letzten Jahren auch ein europäischer MBS Markt herausgebildet.
Nach Angaben des European Securitisation Forum wurden 2004 europaweit Pfandbriefe im Wert
von 209 Mrd. EUR emittiert. Das Gesamtvolumen für europäische MBS lag bei 138,5 Mrd. EUR,
davon 120 Mrd. EUR mit Unterlegung durch Wohnungsbaukredite. Damit setzte sich der Trend
fort, dass die Bedeutung von MBS gegenüber der von Pfandbriefen im Emissionsvolumen steigt.
Nach Angaben der Bond Market Association lag freilich das Emissionsvolumen von MBS Papieren
in den USA (Kreditagenturen plus Emissionen einzelner Hypothekarbanken) mit annähernd 1,5
Billionen USD um ein erhebliches höher als das in Europa. Der hohe Rückstand des europäischen
gegenüber dem amerikanischen Markt bezieht sich nicht nur auf das Emissions-, sondern natürlich
auch auf das Verbriefungsvolumen insgesamt. Nur rund 4 % aller Wohnungsbaukredite in den
EU15-Staaten sind verbrieft, in den USA liegt der Anteil um rund das zehnfache höher.
Freilich sollte man sich davor hüten, den US-Markt als in jeder Hinsicht überlegen anzusehen.
Denn die USA haben bei der Entwicklung ihres Marktes sehr stark auf staatsnahe Institutionen, die
sogenannten Government Sponsored Enterprises (GSEs) gesetzt. Für den Sekundärmarkt von
Hypotheken sind dies die als Fannie Mae und Freddie Mac bekannten Institutionen. Diese erfüllen
den Zweck, Hypothekenkredite von den Geschäftsbanken zu kaufen, in geeigneter Weise zu bündeln und letztlich wieder an den Markt zu verkaufen. Der unmittelbare Vorteil einer solchen Vorgehensweise besteht darin, dass sich sehr schnell ein Markt mit standardisierten Produkten herausbildet. So machen die GSE-Emissionen von MBS rund zwei Drittel des Gesamtmarktes aus. Dagegen ist der europäische Markt eher kleinteilig und die Art der MBS variiert stark mit den örtlichen
Gepflogenheiten des Hypothekensystems. So werden die europäischen Emissionen von den Briten
14
mit ihren eher variabel verzinslichen Hypotheken dominiert, während bei französischen und niederländischen Emissionen Festzinspapiere dominieren. Dies behindert die rasche Herausbildung von
Marktliquidität und erhöht die Informationskosten der Marktteilnehmer gegenüber dem amerikanischen System .
Kritisch muss man das US-System jedoch dahingehend beurteilen, dass Fannie Mae und Freddie
Mac inzwischen weniger ihre eigentlich vorgesehene Brückfunktion zwischen Kreditgeschäft und
Kapitalmarkt wahrnehmen als vielmehr Eigengeschäfte zu betreiben. Allein zwischen 1990 und
2003 hat sich die kombinierte Bilanzsumme der beiden Institutionen auf 1.813 Mrd. USD verzehnfacht. Rund 86 % davon bestehen aus MBS. Damit stehen letztlich etwa 23 % aller USWohnungsbaukredite als Aktiva in den Büchern dieser beiden Einrichtungen . Das Geschäftsmodell von Fannie Mae und Freddie Mac ist so einfach wie ertragreich. Aufgrund ihres Status als
GSEs wird gemeinhin angenommen, dass es eine implizite Garantie der US-Bundesregierung gibt,
so dass die Institutionen zu einem Zins am Kapitalmarkt Geld aufnehmen können, der deutlich
günstiger liegt als bei Unternehmensanleihen bester Bonität. Zwar kaufen und bündeln sie weiter
Hypothekenkredite, halten diese Papiere jedoch zu einem beträchtlichen Teil selbst weiter und
verdienen so einen Zinsspread, der aufgrund des niedrigen Refinanzierungssatzes deutlich höher
liegt als es rein privatwirtschaftlichen Wettbewerbern möglich wäre.
Unter dem Aspekt der Finanzmarktstabilität wird durch ein solches Verhalten der Verbriefungsagenturen freilich eine der Hauptfunktionen des Sekundärmarktes unterlaufen. Denn neben der
breiteren Risikostreuung soll ja vor allem das dezentral vorhandene Wissen um Risiken genutzt
werden, um den Kreditinstituten rechtzeitig Marktsignale für eine Lockerung oder Straffung der
Vergabebedingungen zu geben. Kommt aber ein beträchtlicher Teil der vergebenen Hypotheken
gar nicht mehr an den Markt, weil sie bereits an der Quelle abgeschöpft werden, stehen die Kreditsignale für die Hypothekenbanken viel länger auf „grün“ als dies eigentlich sinnvoll ist. Mit der Gefahr, dass sich gravierende Marktungleichgewichte aufbauen.
15
Gesamtvermögen der US-Verbriefungsagenturen
Mrd. USD
2000
1800
Fannie Mae
1600
Freddie Mac
1400
1200
1000
800
600
400
200
20
03
20
01
19
99
19
97
19
95
19
93
19
91
19
89
19
87
19
85
19
83
19
81
19
79
19
77
19
75
19
73
19
71
0
Quelle: Office of Federal Home Enterprise Oversight
Die US-Notenbank sieht die Geschäftspraktiken der Institutionen aufgrund der hohen Konzentration von Hypothekenrisiken inzwischen als erhebliches regulatorisches Problem an (Alan Greenspan: Regulatory reform of the government-sponsored enterprises, Aussage vor dem Committee
on Banking, Housing, and Urban Affairs, U.S. Senate, 6. April 2005) und hat vorgeschlagen, eine
Obergrenze für den von den Agenturen gehaltenen Gesamtanteil der Hypotheken einzuführen.
Während der europäische Markt erheblich davon profitieren könnte, wenn durch eine Angleichung
der MBS-Produkte die Informationskosten vermindert und die Marktliquidität vergrößert würde, ist
der amerikanische Weg mit durchaus gefährlichen Nebenwirkungen verbunden.
6 Hohes Marktpotenzial für deutsche Finanzdienstleister
Der Markt für Wohnimmobilienfinanzierer bietet für die deutschen Finanzdienstleister in den kommenden Jahren ein großes Potenzial. Bereits in den letzten Jahren hat sich das Segment der
Wohnungsbaukredite als eines der wenigen Kreditaggregate nachhaltig positiv entwickelt, während
im Geschäft mit Krediten an Unternehmen und Selbstständige sogar Rückgänge zu verzeichnen
waren.
16
Kreditvolumen des deutschen Bankensektors
Index Q1 1999 = 100
140
135
Wohnungsbaukredite
130
Kredite an inländische Unternehmen und Selbstständige
125
sonstige Kredite an Privatpersonen
120
115
110
105
100
20
05
20
04
20
03
20
02
20
01
20
00
19
99
95
Quelle: Deutsche Bundesbank
In den kommenden Jahren dürfte sich das Potenzial des Marktes jedoch aus drei Gründen nochmals wesentlich erweitern.
Altersgruppe der 40 bis 65-Jährigen
32
39%
in Millionen (linke Achse)
30
37%
in % der Gesamtbevölkerung (rechte
Achse)
28
35%
33%
26
31%
24
29%
20
50
20
45
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen Allianz Group Economics
20
40
20
35
20
30
20
25
20
20
20
15
20
10
20
05
20
00
19
95
19
90
19
85
19
80
19
75
19
70
19
65
25%
19
60
20
19
55
27%
19
50
22
Erstens ist die ohnehin geringe Eigentümerquote in Deutschland zu nennen. Hierzulande sind nur
43 % der Haushalte Eigentümer von Wohnimmobilien, im Vergleich zu 64 % im Mittel der EU15Staaten und 85 % (Spanien) oder 72 % (Großbritannien) in der Spitzengruppe. Sozio-ökonomisch
erweisen sich zwei Bevölkerungsgruppen als besonders affin für den Immobilienerwerb: junge
Familien mit Kindern und Personen, die sich in der späteren zweiten Hälfte ihres Berufslebens
befinden. Rein demographisch betrachtet befindet sich Deutschland gegenwärtig in einer Situation
in der besonders die letztgenannte immobilienaffine Altersgruppe noch starke Zuwächse in Relation zur Bevölkerung zu verzeichnen hat.
17
Zum zweiten kann in den kommenden Jahren mit einem deutlich steigenden Volumen an Erbschaften gerechnet werden. Mit der entsprechenden Vermögensübertragung im Wohnimmobilienbereich
stehen dem Empfänger drei Optionen offen: Eigennutzung, Vermietung oder Verkauf. In den ersten
beiden Fällen ist mit einer verstärkten Kreditnachfrage für die Modernisierung der Objekte zu rechnen, im letzteren Fall mit einem steigenden Kreditvolumen beim Käufer.
Erwartetes Erbvermögen für Immobilien und Grundstücke
Mrd. EUR
1400
1200
1000
Grundstücke und Immobilien
Geldvermögen
800
600
400
200
0
2000-2005
2006-2010
2011-2015
Quelle: Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen Allianz Group Economics
Als dritter Faktor kommt hinzu, dass die erhöhten Anforderungen an die Mobilität von Arbeitskräften ein höheres Transaktionsvolumen auf dem Immobilienmarkt erwarten lassen . Wie bereits in
Abschnitt 2 dargestellt, liegt ja die Umschlagsrate bei gerade nur einmal der Hälfte vergleichbarer
Industrieländer wie der Niederlande oder Großbritannien.
Eine Abschätzung über das Marktpotenzial lässt sich alternativ über eine top-down Betrachtung
oder eine bottom-up Betrachtung erstellen. So liegt das Volumen der Wohnungsbaukredite in
Deutschland bei rund 50 % des BIP, während es etwa in Großbritannien und den USA bei knapp
über 60 % liegt. Eine Angleichung Deutschlands an die Vergleichsländer entspräche – auf Basis
der heutigen Ausgangslage – einem Wert von ca. 200 Mrd. EUR. Alternativ kann man in einer bottom-up Betrachtung unterstellen, dass die Eigentümerquote von heute 43 % auf 54 % steigt. Der
Eigenheimbesitzeranteil läge dann auf demselben Niveau wie in der Niederlanden. Unter Einrechnung der bis 2020 zu erwartenden Zunahme der absoluten Zahl an privaten Haushalten entspräche dies etwa 4,7 Millionen zusätzlichen Immobilienbesitzern. Rechnet man zudem ein, dass die
Beleihung durch diese Personen bei rund 50 % des Immobilienwertes liegen wird und dadurch die
bestehende Altbeleihung von rund 18 % des Immobilienwertes abgelöst wird, errechnet sich ein
Marktpotenzial für Wohnungsbaukredite von knapp über 100 Mrd. EUR. Der Wohnimmobilienmarkt
könnte somit allein auf der Kreditseite in den nächsten Jahren ein zusätzliches Volumenpotenzial
von 100 bis 200 Mrd. EUR generieren, wobei noch nicht einmal die Potenziale aus einer Flexibilisierung des Hypothekenmarktes eingerechnet sind.
18
Darüber hinaus bestehen noch Potenziale im Bereich der Kreditverbriefung ebenso wie in neuen,
speziell auf die Altersvorsorge zugeschnittenen Produkten. Zu letzteren gehört etwa die „reverse
mortgage“, bei der eine Immobilie letztlich in eine ausgezahlte Rente umgewandelt wird und bei
Ableben an den Finanzdienstleister übergeht. Die Entwicklung eines solchen Konzepts in Deutschland dürfte jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da Reverse Mortgages ein höheres Maß
an Risikoabschätzung erfordern und im Interesse von Kunden wie Finanzdienstleistern durch eine
Rückversicherung abgefedert sein sollten. In den USA wurde 1987 ein staatliches Rückversicherungsprogramm (Home Equity Conversion Program) eingerichtet, um die Marktentwicklung voranzutreiben. Das Marktvolumen ist dennoch mit knapp über 40.000 Verträgen derzeit eher klein und
von der Kundenseite auf besonders hochwertige Objekte, die insbesondere von älteren, alleinstehenden Frauen gehalten werden, konzentriert.
7 Schlussfolgerungen
Sowohl für den Privatanleger wie auch die Finanzwirtschaft bietet der Wohnimmobilienmarkt günstige Anlage- und Geschäftsmöglichkeiten. Zwar ist die eigengenutzte Wohnimmobilie nicht der
große Werttreiber im Portfolio, sie bietet aber ganz konkrete Vorteile gegenüber anderen Assetklassen. Hier ist insbesondere der stetige und kaum von Schwankungen gekennzeichnete Nutzenstrom aus den eingesparten Mietzahlungen zu nennen. Im Rahmen der privaten Altersvorsorge
ist die selbstgenutzte Wohnimmobilie somit ein optimales Vehikel zur Transformation des aufgebauten Vermögens in einen stetigen und vor potenziellen Widrigkeiten des Geschehens an den
Kapitalmärkten geschützten Nutzenstrom. Zudem brauchen deutsche Investoren sich keine Sorgen
um das Platzen einer internationalen Immobilienblase zu machen. Denn relativ zu den verfügbaren
Einkommen, die ja Grundlage für die Finanzierbarkeit von Immobilien sind, sind Immobilien im
Gegensatz zu vielen anderen Industrieländern in den letzten Jahren sogar noch billiger geworden.
Das gilt auch für eine Vielzahl von anderen Indikatoren wie etwa der „Mietrendite“ als Verhältnis
von Mietzahlungen zum Kaufpreis.
Für das Finanzgewerbe bieten Dienstleistungen rund um die Immobilie noch beträchtliche Wachstumspotenziale. Erstens, weil derzeit demographisch eine sehr immobilienaffine Altersgruppe sowohl absolut als auch in Relation zur Gesamtbevölkerung starke Zuwächse verbucht. Zweitens,
weil die innerhalb der nächsten zehn Jahre erfolgende Welle an Erbschaften ein erhebliches Potenzial an Krediten für Renovierungs- und Modernisierungsinvestitionen nach sich ziehen wird.
Drittens bieten sich auf dem bislang nur rudimentär entwickelten europäischen Sekundärmarkt für
Wohnungsbaukredite Chancen. Und viertens dürfte die Integration des europäischen Retailbankmarktes zwar den Wettbewerbsdruck im Segment der Immobilienfinanzierung erhöhen, gleichzeitig
aber insbesondere auf einem Markt mit geringer Verbreitung von Immobilienbesitz wie Deutschland ganz erhebliche Potenziale zur Volumensausweitung von Wohnungsbaukrediten nach sich
ziehen.
Fazit: Aktien unterliegen Schwankungen; Immobilien dagegen sind eine sichere Anlage für die
Rente. Wohneigentum bildet somit als Instrument für die Altersvorsorge und für die Finanzwirtschaft interessante Perspektiven.
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