Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher Hinsicht
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Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher Hinsicht
Economic Research Allianz Group Dresdner Bank Working Paper Nr.: 53, 10. Oktober 2005 Autoren: Dr. Thomas Beyerle (DEGI Research) David F. Milleker (Group Economic Research) _________________________________________________________________ Wohnimmobilien in finanzwirtschaftlicher Perspektive Inhalt 1 Einleitung 1 2 Die Wohnimmobilie als Assetklasse: Hohe Wert- und Ertragsstabilität 3 3 Keine Preisblase in Deutschland 6 4 Die Europäisierung des deutschen Hypothekenmarkts 9 5 Die Entwicklung des europäischen Sekundärmarktes für Hypotheken 13 6 Hohes Marktpotenzial für deutsche Finanzdienstleister 16 7 Schlussfolgerungen 19 1 Einleitung „Safe as Houses“ ist im Englischen eine sehr beliebte Redewendung, mit der man ausdrückt, dass man sich seiner Sache vollkommen sicher ist. Der semantische Bezug zwischen Häusern und dem Vertrauen in eine getroffene Aussage beruht auf der hohen Wertstabilität, die Immobilien in angelsächsischen Ländern beigemessen wird. Zumindest bis zum heutigen Tage. Denn zunehmend ist in US-amerikanischen und britischen Medien von einer Blasenbildung am Immobilienmarkt die Rede. „Safe as Houses“ war dann auch die ironische Überschrift eines Kommentars des USÖkonomen Paul Krugman in der New York Times vom 12. August 2005, die mit den Zeilen schloss: „Our economy is safe as houses. Unfortunately, given current (house) prices and our dependence on foreign lenders, houses aren’t safe at all“. Auch wir sind auf Basis empirischer Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass in einer Reihe von Industrieländern die Preisentwicklung bei Wohnimmobilien nicht mehr durch die Wirtschaftsdaten gerechtfertigt, sondern weit darüber hinausgegangen ist (David F. Milleker: Internationale Wohnimmobilienmärkte: Wie schwierig wird die Normalisierung?, Allianz Economic Research Working Paper Nr. 37). Deutschland spielt hier freilich im internationalen Kontext eine absolute Sonderrolle: Von einem Preisauftrieb bei Wohnimmobilien, der gar blasenartige Züge auch nur tragen könnte ist hierzulande nichts zu spüren. Die Preise stagnieren vielmehr seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Unter anderem ist dies Folge der Kapazitätsüberhänge aus der Phase unmittelbar nach der Wiedervereinigung. Für die meisten Besitzer von Immobilien – zumal die große Masse der Eigennutzer – mag eine kapitalmarktorientierte Betrachtungsweise für das Eigenheim ohnehin ein wenig seltsam erscheinen. Soll doch das Eigenheim neben der Befriedigung des Basisbedürfnisses nach „einem Dach über dem Kopf“ vor allem Freude spenden. Dennoch ist eine kapitalmarktorientierte Betrachtungsweise gerade heute ausgesprochen sinnvoll. Denn vor dem Hintergrund, dass sich der Staat im Rahmen der Alterssicherung zunehmend auf eine Grundversorgung zurückzieht, gewinnen individuelle Anlageentscheidungen erheblich an Bedeutung für den Lebensstandard im Alter. Und zudem hat sich im Zuge des technologischen Wandels und gesunkener Transaktionskosten das für den Privatanleger zugängliche Spektrum an Finanzaktiva drastisch erweitert. Ausgangspunkt unserer Studie ist somit zunächst einmal die relative Position der Wohnimmobilie im Verhältnis zu anderen breiten Anlageklassen im Rendite-/Risikoraum. In diesem Anlageuniversum erweist sich die Anlage in Boden und Beton im Vergleich zu heimischen und internationalen Aktien- und Rentenpapieren als zwar wenig spektakulärer Ertragstreiber, aber dafür als wert- und ertragsstabile Anlage . Zudem weist eine immobilienökonomische Analyse darauf hin, dass in Deutschland der Abbau von wertbelastenden Kapazitätsüberhängen im Wohnungsbereich inzwischen hinreichend vorangekommen ist, um eine Bodenbildung im Immobiliensektor erkennen zu können. Schließlich zeigt der internationale Vergleich, dass man sich um eine Blasenbildung am deutschen Immobilienmarkt wirklich keine Sorgen zu machen braucht. 1 Einen zweiten Schwerpunkt der Studie bildet das Hypothekensystem einschließlich des Sekundärmarktes (Mortgage Backed Securities) – also Anlageinstrumente, hinter denen Hypotheken stehen. Hypotheken stellen nach wie vor das Hauptinstrument bei der Immobilienfinanzierung dar. In jüngerer Zeit kommen beispielsweise aus dem angelsächsischen Bereich vermehrt Forderungen, nach einer Liberalisierung in diesem Segment. Unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass der eher konservativ ausgestaltete Hypothekenmarkt hierzulande bestimmte Käuferklassen mit geringer Eigenkapitalausstattung vom Immobilienerwerb ausschließe. Zudem werde der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik hierzulande durch die spezifische Ausgestaltung des Hypothekenmarktes erschwert . Dies sind auch zwei zentrale Gesichtspunkte eines Grünbuchs der EUKommission (Mortgage Credit in the EU), das im Juni 2005 veröffentlicht wurde und dessen Konsultationsprozess bis November laufen wird. Ziel der EU-Kommission ist vor allem eine weitergehende Integration der europäischen Hypothekenmärkte. Dies würde in jedem Fall zu mehr Wettbewerb auf dem Hypothekenmarkt führen. Vor dem Hintergrund ausländischer Erfahrungen von Marktliberalisierungen bei der Immobilienfinanzierung ist jedoch nicht zuletzt das Risikomanagement der Banken erheblich gefordert. In fast allen Ländern kam es im Nachklang von Liberalisierungen zu Boom-Bust-Zyklen auf dem Immobilienmarkt selbst und vorübergehenden Schieflagen im Bankensektor. Die weitere Entwicklung des Sekundärmarktes für Hypotheken ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Er kann nicht nur das Anlagespektrum bedeutend erweitern, sondern auch bei der Verarbeitung von Risiken helfen. Im Gegensatz zu den USA, die bei der Entwicklung dieses Segments stark auf öffentliche Institutionen gesetzt haben, ist der europäische Markt für Mortgage Backed Securities (MBS) nach und nach und ohne vorgegebenes Reglement gewachsen. Somit ist zwar die Standardisierung von MBS-Papieren in den USA höher als in Europa, freilich hat man sich damit jenseits des Atlantik auch ein längerfristiges Problem eingehandelt. Denn die Verbriefungsinstitutionen Fannie Mae und Freddie Mac sind längst zu den größten Eignern dieser Papiere geworden, so dass der MBS-Markt in den USA nur noch unvollständig die richtigen Signale an die Hypothekenbanken gibt. Europa steht somit vor der Herausforderung, einerseits eine Standardisierung der MBS zur Senkung der Transaktionskosten zu erreichen, ohne andererseits aber ähnliche Marktverzerrungen wie in den USA entstehen zu lassen. Wohnimmobilien bilden somit nicht nur als Instrument für die private Altersvorsorge, sondern auch für die Finanzwirtschaft interessante Perspektiven. 2 2 Die Wohnimmobilie als Assetklasse: Hohe Wert- und Ertragsstabilität Wer sich als Individuum mit seiner Vermögensplanung beschäftigt, muss zunächst die Charakteristika verschiedener Anlageformen verstehen, um den für seine Bedürfnisse optimalen Mix finden zu können. Die eignen vier Wände stellen dabei insofern gegenüber anderen Alternativen im Anlagespektrum eine Besonderheit dar, als sie in den allermeisten Fällen die größte Investition im Leben eines Menschen sind und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil über einen Kredit finanziert werden müssen. Zudem ist das Eigenheim, über den rein materiellen Aspekt hinaus, ja auch für die meisten Besitzer der persönliche Lebensmittelpunkt. Es gibt folglich auch in erheblichem Umfang immaterielle Aspekte, die den Erwerb einer Immobilie attraktiv erscheinen lassen. Umgekehrt ist selbstverständlich auch zu beachten, dass der Markt für Wohnimmobilien sich durch eine wesentlich geringere Liquidität auszeichnet als etwa die Märkte für Aktien oder Rententitel. So liegt etwa die Umschlagsrate bei selbstgenutzten Wohnimmobilien gemessen am Gesamtbestand in Deutschland bei nur knapp über 3 % pro Jahr. Doch selbst Länder, in denen die Wohnsituation den aktuellen Lebensverhältnissen deutlich häufiger als hierzulande angepasst wird („Wohnen im Eigenheim auf Zeit“), bringen es nur auf eine Umschlagsrate von 7 bis 8 %. Umschlag bei selbstgenutzten Immobilien im Jahr 2000 in Prozent des Bestandes Großbritannien 8,5 Niederlande 7,5 7,3 USA Finnland 5,8 Frankreich 5,4 3,4 Deutschland 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Quelle: JP Morgan, National Association of Realtors Entsprechend hohe Bedeutung hat daher für die Ertragsstärke der Wohnimmobilie als Anlageform die Wahl des richtigen Objektes. Denn die Entwicklung des Wiederveräußerungswertes hängt natürlich in hohem Maße davon ab, ob auch eine rasche Veräußerung oder Weitervermietung möglich ist. Im Folgenden wollen wir uns aber vor allem die aggregierte Ebene anschauen und die Anlage in einer Wohnimmobilie hinsichtlich Ertragsstärke und Wertbeständigkeit mit anderen Assetklassen in den vergangenen 20 Jahren (1985 bis 2004) vergleichen. Als Maß für die Ertragsstärke wählen wir dabei den jahresdurchschnittlichen Total Return im Betrachtungszeitraum. Bei der Total ReturnBetrachtung wird kalkulatorisch unterstellt, dass neben den jährlichen Wertsteigerungen einer An3 lagekategorie, d.h. für Immobilien der Wiederverkaufswert oder für Aktien der laufende Kurs, auch die jährlich erzielten Zahlungsströme, wie (vermiedene) Mieten für Wohnimmobilien oder Dividenden für Aktien, wieder in dieselbe Anlageklasse investiert werden. In der Total Return-Betrachtung für Immobilien steckt implizit die Annahme, dass Immobilien unendlich teilbar sind. Mithin für den Mietertrag auch eine Zehntel-Immobilie erworben werden könnte, was natürlich faktisch nicht so ohne weiteres richtig ist. Gegenüber anderen Betrachtungsweisen – etwa der Anlage des Mietertrages in Rentenpapieren, wie sie den meisten anderen Studien zugrunde liegen - . bietet unser Blickwinkel nach unserer Einschätzung jedoch den Vorteil, dass man hier nicht auf eine Mischanlage eingeht und somit den Kernbereich der Immobilienanlage besser abbildet. Grundsätzlich wird bei der Betrachtung die Perspektive eines deutschen Investors zugrunde gelegt. Das heißt, für ausländische Alternativanlagen wie amerikanische oder japanische Aktien oder Rentenpapieren werden auch Wechselkursveränderungen voll eingerechnet. Als Maß für das mit der Anlage verbundene Risiko verwenden wir die Standardabweichung der jährlichen Total Return-Zuwachsraten. Die Standardabweichung misst die Streuung der jährlichen Zuwachsraten um deren Mittelwert. Je höher die Standardabweichung, desto stärkere Schwankungen treten von Jahr zu Jahr beim Total Return-Ertrag auf. Wenn wir einmal die deutschen Aktien als Beispiel heranziehen, so lag der jahresdurchschnittliche Ertrag zwischen 1985 und 2004 bei 10,2 % - allerdings lagen die Schwankungen dieser Erträge bei einem Zuwachs von 44,9 % gegenüber dem Vorjahr (1997) in der Spitze und einem Verlust von 25,6 % (2002) im Tiefpunkt. Die individuelle Ertragsperspektive deutscher Aktien ist mithin in einem ausgesprochen hohen Maß davon abhängig, wann ge- bzw. verkauft wurde. Performance und Volatilität verschiedener Assetklassen 1985 - 2004 aus Sicht eines deutschen Anlegers Volatilität (Standardabweichung) 30 Jap. Aktien 25 Deutsche Aktien 20 US Aktien Japanische Staatsanleihen 15 US Staatsanleihen 10 Deutsche Wohnimmobilien 5 Deutsche Staatsanleihen 0 0 2 4 6 8 10 12 Ertrag (Total Return Basis, % jahresdurchschnittlich) Quelle: Ecowin, Pestel Institut, eigene Berechnungen Obige Grafik zeigt die Position deutscher Wohnimmobilien im Ertrags- / Risikoprofil im Vergleich mit einer Reihe anderer Anlageklassen. Zwar nimmt sich der Total Return mit 4,7 % im Jahresdurchschnitt nicht sonderlich hoch aus, hinsichtlich der Ertragsstabilität sind deutsche Wohnimmobilien jedoch unübertroffen sicher. Eine nähere Betrachtung zeigt zudem, dass – sich die relative 4 Position im Anlagespektrum – sogar noch besser ausnehmen würde, schaute man allein auf die reine Mietkomponente. Diese weist nicht nur höhere Ertragszuwächse aus, sondern auch eine geringere Volatilität aus als die Wertkomponente. Wohnimmobilien sind somit wohl eine der am besten geeigneten Anlagekategorien, um einen stetigen Ertragsstrom zu generieren und somit die optimale Beimischung zur Lebensstandardsicherung innerhalb eines Vermögensportfolios. Gerade diese Ertragszuwächse machen Wohnungsportfolien zunehmen interessanter für Investoren. Deutschlands Wohnungsmärkte stehen gerade deshalb im Sommer 2005 vor neuen Herausforderungen. Wie attraktiv sich die deutschen Wohnimmobilienmärkte gegenwärtig vordergründig zeigen, verdeutlicht das hohe Investitionsvolumen ausländischer Investmentgesellschaften wie z.B. Private-Equity-Fonds bzw. Opportunity–Fonds beim Erwerb von zumeist kommunalen Wohnungsportfolien. Dass diese Unternehmen sich Deutschland als Investitionshafen herausgesucht haben ist letztlich zu begrüßen, denn die Preise sind seit 1995 gefallen und nun kommt der kluge Investor und kann billiger einkaufen als er es eben vor Jahren konnte. Hinter dieser Logik verbirgt sich die sehr positive Einschätzung über die zukünftige Entwicklung der Wohnungsmärkte in Deutschland, zu der die Akteure vor Ort, vielleicht durch nationale Betriebsblindheit, noch nicht gekommen sind. Dies hängt mit der Sondersituation auf dem deutschen Immobilienmarkt zusammen. Denn trotz historisch niedriger Zinsen verspürt der Deutsche, im Gegensatz zu den US-Amerikanern keine grenzenlose Lust am Bauen und Finanzieren. Denn eine Masse an Bauvorschriften verteuert die Häuser, die oftmals als einmalige Investitionen angesehen und dementsprechend dimensioniert werden. Entsprechend sind Finanzierungen so gestrickt, dass auch sie ein Leben lang halten. Unter diesen Konstellationen kann, ein Markt nicht sehr viel Dynamik entfalten, selbst wenn die Zinsen noch so niedrig sind. Trotz aller Euphorie, vor allem bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, sei nochmals angemerkt, dass es sich um Engagement auf Zeit handelt. Erkauft wird sich der Vorteil i.e.L durch eine sehr hohe Leveragefinanzierung, begünstigt durch die globale Zinsentwicklung. Insofern handelt es sich primär um eine finanzwirtschaftliche Investition und nicht um eine Investition in die Immobilien selbst. Nach unserer Ansicht beginnt sich denn auch das Fenster für große Wohnungsmarkttransaktionen bereits langsam wieder zu schließen. Investitionen in Wohnimmobilienpakete? Die Pro´s und Con´s Pro Kontra • Stabilität: geringe Preisschwankungen und geringe Korrelation mit anderen Märkten • Konjunkturerholung/ Verbesserung der Verbraucherstimmung in den nächsten Jahren unsicher • niedrige Wohneigentumsquote • kaum inländische Nachfrager • zukünftige Versorgungsengpässe in Wachstumsregionen • im internationalen Vergleich günstige (Wohn-)Immobilien • guter Zustand deutscher Wohnimmobilien • sehr niedrige Zinsen • hohe Verkaufsbereitschaft derzeitiger Eigentümer • extreme regionale Unterschiede der Nachfragepotenziale • ungünstige demographische Entwicklung • strenge Regularien am deutschen Wohnungsmarkt • künftige Reduzierung staatlicher Förderung für Wohnungsprivatisierung zu erwarten • baldiger Anstieg des Zinsniveaus Quelle: DEGI Reseach 2005 5 3 Keine Preisblase in Deutschland Regelmäßige Leser der internationalen Wirtschaftspresse dürften an Schlagzeilen gewöhnt sein, die nach der Preisblase an den Aktienmärkten nun vor einer Blase bei Wohnimmobilien warnen. So schrieb etwa der britische Economist: „The worldwide rise in house prices is the biggest bubble in history. Prepare for economic pain when it pops“ (In come the waves, Special report: The global housing boom, 18. Juni 2005). Oder etwa Paul Krugman: „Now we're starting to hear a hissing sound, as the air begins to leak out of the bubble. And everyone - not just those who own Zoned Zone real estate - should be worried“ (That hissing sound, New York Times, 8. August 2005). In der Tat haben die Preise für Wohnimmobilien international gesehen seit 2001 deutlich zugelegt. Nicht nur absolut oder in realer Rechnung, sondern etwa auch in Relation zu den verfügbaren ProKopf-Einkommen. Diese stellen neben der Höhe des Zinses einen ganz wesentlichen Faktor für den Immobilienerwerb und damit ökonomisch auch für die Immobilienpreisentwicklung dar. Immobilienpreise in Relation zum verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen Index 1991 = 100 210 200 190 180 170 160 150 140 130 120 110 100 90 80 70 Deutschland 1991 1992 1993 Großbritannien 1994 1995 1996 USA 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Quelle: Ecowin, Bulwien, eigene Berechnungen Die vorangehende Grafik stellt diese Relation beispielhaft für Deutschland, Großbritannien und die USA dar. Im Gegensatz zu den beiden angelsächsischen Vergleichsländern ist von einem übermäßigen Preisauftrieb in Deutschland nichts zu sehen. Im Gegenteil: hierzulande fallen seit Anfang der neunziger Jahre die Immobilienpreise in Relation zum verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen. Man würde somit dem Trugschluss der Verallgemeinerung verfallen, wenn man die Mahnungen vor einer internationalen Immobilienblase einfach so auf Deutschland übertragen wollte. Der Grund, dass es in Deutschland trotz der ausgeprägten Niedrigzinsphase gegenwärtig keinen Aufwärtsdruck bei den Preisen am Immobilienmarkt gibt, dürfte maßgeblich darin liegen, dass hierzulande noch die erheblichen Schocks aus der Phase unmittelbar nach der Wiedervereinigung verarbeitet werden müssen. Bei der Analyse des Immobilienmarktes lassen sich grundsätzlich zwei Grundformen von Regionen ausmachen. Im ländlichen Raum kann auf eine steigende Nachfrage nach Wohnraum relativ einfach durch eine Ausweitung von Bauflächen reagiert werden. Daher 6 sind hier die Baukosten die wesentliche Determinante des Immobilienpreises. Im städtischen Bereich ist dies nicht so leicht möglich, so dass hier die Baulandpreise die wesentliche Determinante des Immobilienpreises darstellen. Selbstverständlich sind der ländliche und der städtische Markt nicht vollkommen losgelöst voneinander, denn auf individueller Ebene kann ja stets eine Abwägung zwischen den relativen Preisniveaus beider Regionen einerseits und den persönlichen Präferenzen hinsichtlich der Kosten langer Pendelwege andererseits getroffen werden. Es kann daher nicht verwundern, dass sich statistisch eine hohe Korrelation zwischen der Entwicklung der Baukosten einerseits und den Immobilienpreisen andererseits feststellen lässt. Baukosten und Immobilienpreisentwicklung Index 1987 = 100 150 140 130 120 Baukosten 110 Immobilienpreis 100 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Quelle: Bulwien, Statistisches Bundesamt Die Entwicklung der Baukosten wiederum hängt sehr eng mit der Kapazitätsauslastung in dieser Branche zusammen. Wie aus der obigen Graphik hervorgeht, kam es insbesondere zwischen dem Mauerfall 1989 und 1995 in Deutschland zu einem sehr starken Anstieg der Baukosten. Denn erstens gab es in den Neuen Bundesländern einen erheblichen Nachholbedarf bei der Qualität des Wohnungsbestandes, zweitens auch die Notwendigkeit einer Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur und drittens wurde von Seiten der Politik durch die Sonderabschreibungen für ostdeutsche Immobilieninvestitionen der Bauboom durch westdeutsche Investoren weiter verstärkt. Trotz erheblicher Kapazitätserweiterungen in der Baubranche . konnte die enorme Nachfrage aber zunächst kaum befriedigt werden, was die steigenden Preise erklärt. Wie stets in Folge von Nachholprozessen – in diesem Fall sogar noch durch die falschen wirtschaftspolitischen Rahmensetzungen der damaligen Politik verschärft – sind aber erhebliche Überkapazitäten entstanden. Seit 1995 sind die realen Bauinvestitionen rückläufig und schrumpft die Baubranche bundesweit erheblich. 7 Reale Bauinvestitionen Index 1991 = 100 250 200 150 100 50 Ostdeutschland Westdeutschland 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Quelle: Statistisches Bundesamt Verschärft wird dies noch durch zwei weitere Faktoren. Zum einen besteht in den neuen Bundesländern ein erheblicher Kapazitätsüberhang an Wohnraum. Nach Angaben des Bundesverbandes der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW Jahres-Pressekonferenz „Daten und Trends der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft 2004/2005“, 8. Juni 2005) liegt die Leerstandsquote von Wohnimmobilien in Ostdeutschland bei stolzen 16 % (Westdeutschland: 3,1 %). 1994 hat die Quote in Ostdeutschland bei nur 3,4 % gelegen. Die jüngste Stabilisierung beim Leerstand ist maßgeblich auf das Städteumbauprogramm des Bundes zurückzuführen, bei dem überdimensionierte Wohneinheiten beseitigt und zu einer Entkernung der Siedlungszentren genutzt werden. Dies hat den Vorteil, dass Baukapazitäten ausgelastet werden, ohne eine weitere Ausdehnung des eh schon überdimensionierten Bestandes zu verursachen. Der GdW schätzt, dass ohne das Städteumbauprogramm die Leerstandsquote sogar noch weiter ansteigen würde. Zum anderen sind die öffentlichen Investitionen – insbesondere bei den Kommunen, die für das Gros der deutschen Infrastruktur zuständig sind – seit Jahren deutlich rückläufig. Die Bundesbank hat jüngst in ihren gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnungen (Monatsbericht Juni 2005), dass in den Jahren 2003 und 2004 die Bruttoinvestitionen des Staates nicht einmal mehr die Höhe der Abschreibungen erreicht haben. Damit ergibt sich in der Nettobetrachtung ein Substanzverzehr der öffentlichen Hand. Auch dies belastet natürlich in erheblichem Ausmaß die Kapazitätsauslastung der Baubranche und senkt ihre Möglichkeiten, Preissteigerungen durchzusetzen. Die massiven Belastungen, die der Schrumpfungsprozess am deutschen Bau mit sich bringt, sind überdies eine der Hauptursachen für den augenscheinlichen Stillstand im ostdeutschen Aufholprozess gegenüber den alten Bundesländern. Denn bei einem Wertschöpfungsanteil von rund 17 % des Bausektors an der gesamten Wertschöpfung in den neuen Ländern gegenüber nur etwa 10 % Wertschöpfungsanteil für das produzierende Gewerbe, muss letzteres kräftig wachsen, um bei Konstanz der allgemeinen Wertschöpfung den Schrumpfungsprozess im Bau auszugleichen. 8 Als durchaus positiv für den deutschen Immobilienmarkt kann aber angesehen werden, dass sich die Bauaktivität für Deutschland insgesamt inzwischen wieder auf einem Niveau befindet, dass mit konstanten Leerstandsquoten durchaus kompatibel ist. Zudem erweist sich die Miet-Preis-Relation im internationalen Vergleich mittlerweile als so günstig, dass der deutsche Markt auch für längerfristig orientierte ausländische Investoren zunehmend attraktiv wird. Dies zeigen unter anderem die Übernahmen größerer Immobilienportfolios. Im Gegensatz zu einigen Auslandsmärkten, für die man sich ernsthaft Sorgen machen muss, bestehen in Deutschland keine Anzeichen für eine Preisblase. Eher klaren die preislichen Perspektiven deutscher Wohnimmobilien derzeit wieder auf. 4 Die Europäisierung des deutschen Hypothekenmarkts Neben erheblichen sozio-ökonomischen, demographischen und rechtlichen Veränderungen, die wir in vorangegangenen Studien (Beyerle/Milleker: Die private Wohnimmobilie in 2030: Phoenix aus der Asche?, Allianz Economic Research Working Paper Nr. 40 und Beyerle/Milleker/Partisch: Wohnimmobilienmarkt im Umbruch: eine Trendanalyse bis 2010, Allianz Economic Research Working Paper Nr. 44) beschrieben haben, wird auf den deutschen Wohnimmobilienmarkt auch noch eine weitere Änderung zukommen: nämlich die Europäisierung des Hypothekenmarktes. In den vergangenen Jahren mehrten sich – nicht zuletzt aus der ausländischen Fachpresse – zunehmend kritische Stimmen zu den institutionellen Arrangements am deutschen Hypothekenmarkt. Zum einen lautet die Kritik, dass sehr hohe Anforderungen an die Kreditnehmer den Markt für bestimmte Käuferschichten abriegeln und somit das allgemeine Nachfrageniveau dämpfen. Zum anderen, dass die hohen Kosten bei einer Refinanzierung (in Form von Vorfälligkeitsentschädigungen) bei sinkenden Zinsen auch die konjunkturelle Wirksamkeit geldpolitischer Impulse behinderten. Entsprechend formulierte der britische „Economist“ die These, dass eine Deregulierung der kontinentaleuropäischen Hypothekenmärkte der wohl beste Weg sei, endlich die Binnennachfrage anzukurbeln (Lifting the roof – the best way for the euro zone to boost demand is to deregulate its mortgage markets, 9. Dezember 2004). Auch das französische Autoren-Duo Anton Brender und Florence Pisani (America’s New Economy, Paris 2005) stoßen ins gleiche Horn, wenn sie die Organisation des US-Hypothekenmarktes für die schnelle Überwindung der Rezession 2001 und die relative Schockstabilität der US-Wirtschaft verantwortlich machen. Die EU-Kommission, ohnehin seit längerem an einer stärkeren Integration des europäischen Retailmarktes für Banken interessiert, hat diese Ansätze in ihrem Grünbuch „Mortgage Credit in the EU“ (Juni 2005) als diskussionswürdig aufgenommen. Zwar läuft der Konsultationsprozess über das Grünbuch noch bis November 2005, EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat als Ziel jedoch bereits formuliert: „Ideal wäre ein Markt, in dem ein Kunde in Dänemark sich im Internet Angebote aus der ganzen EU ansieht und dann einen Kredit in Belgien aufnimmt“ (Financial Times Deutschland, 20. Juli 2005). Wie deutlich die europäischen Hypothekenmärkte aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen historischen Entwicklung in der Tat noch voneinander abweichen, zeigt eine 9 Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Kostas Tsatsaronis/Haibin Zhu: What drives housing price dynamics: cross-country evidence, BIS Quarterly Review March 2004), die verschiedene Hypothekensysteme nach fünf Kriterien klassifiziert hat. Erstens, ob es sich um ein System mit eher fixen oder variablen Hypothekenzinsen handelt. Im Falle variabler Zinsen ändert sich die Belastung des Hypothekennehmers unmittelbar mit den Zinsänderungen. Leitzinsänderungen schlagen somit stärker auf die Konjunktur durch, belasten aber nicht die Bankbilanzen. Im Falle von fixen Hypothekenzinsen ist dies umgekehrt. Zweitens, ob das System die Möglichkeit des Mortgage Equity Withdrawal (MEW) vorsieht oder nicht. Unter MEW versteht man, dass bei steigenden Immobilienpreisen das Hypothekenvolumen aufgestockt und die zusätzliche Leihsumme zu Konsumzwecken verwendet werden kann. MEW kann dazu führen, dass sich Immobilien- und Konjunkturzyklus gegenseitig verstärken: Ein Immobilienboom verstärkt über die leichtere Kreditverfügbarkeit die konjunkturelle Aufwärtsdynamik, die dann wieder den Auftrieb der Immobilien verstärkt. Drittens die maximale Beleihungsgrenze (Relation von Kreditsumme zu Immobilienbewertung). Je höher diese Relation ausfällt, desto geringere Eigenmittel müssen aufgebracht werden, um eine Immobilie zu erwerben. Im Zweifelsfall kann dies den kreditfinanzierten und spekulativen Hauserwerb begünstigen. Viertens die Bewertungsmethode bei der Aufstockung oder Refinanzierung von Hypothekarkrediten. Diese kann sich entweder auf den jeweils aktuellen Wert der Immobilie beziehen oder auf den zur Erstvergabe der Hypothek. Zwar kann bei keinem der beiden Systeme ausgeschlossen werden, dass es zu einer positiven Rückkopplung zwischen Immobilienpreis- und Kreditvergabeentwicklung kommt, jedoch sind die Chancen hierfür im erstgenannten System größer als bei letzterem. Fünftens wird die Verbreitung der Kreditverbriefung für Hypotheken genannt. Die Bank verkauft hier die vergebenen Kredite an den Markt und entlastet letztlich ihre Bilanz vom Risiko der Insolvenz des Kreditnehmers. Da die Bank das Ausfallrisiko gar nicht oder nur in vermindertem Umfang tragen muss, steigt ihr Anreiz, im Wettbewerb besonders viele Kredite zu vergeben. 10 Eine internationale Gegenüberstellung der Kriterien für eine Auswahl von Industrieländern findet sich in der nachfolgenden Tabelle. Charakteristika von Hypothekensystemen Zinsanpassung Mortgage Beleihungs- Bewertungs- Kreditverbrie- Equity With- grenze methode fung drawal (Prozent) Historischer Nein (MEW) Deutschland Fix Nicht ge- 60 bräuchlich Frankreich Fix Nicht ge- Wert 80 bräuchlich Großbritan- Variabel Gebräuchlich 90 – 100 Aktueller Ja Marktwert Fix Nicht ge- 75 bräuchlich Niederlande Nein Marktwert nien Kanada Aktueller Fix Gebräuchlich Aktueller Ja Marktwert 75 Aktueller Ja Marktwert Schweden Variabel Nicht ge- 80 bräuchlich Spanien Variabel Nicht ge- Fix Gebräuchlich Nein Marktwert 80 bräuchlich USA Aktueller Aktueller Nein Marktwert 75 – 80 Aktueller Ja Marktwert Quelle: Kostas Tsatsaronis / Haibin Zhu: What drives housing price dynamics: cross-country evidence, BIS Quarterly Review March 2004. Selbstverständlich handelt es sich bei der Darstellung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) nur um eine grobe Charakterisierung der jeweiligen Hypothekenmärkte. Denn auch in Deutschland sind für Kunden mit recht hoher Bonität höhere Beleihungsgrenzen natürlich möglich. Dennoch ist auffallend, dass die Kreditvergabepraxis bei Hypotheken auch im Vergleich mit den europäischen Nachbarländern eher konservativ ausgelegt ist. Der verhältnismäßig hohe Anteil an Eigenmitteln, der durch den Immobilienkäufer in Deutschland aufgebracht werden muss, dürfte auch einer der Hauptgründe dafür sein, dass die allgemeine Eigentümerquote in Deutschland am Ende der europäischen Rangliste liegt. Insbesondere bei jüngeren Altersjahrgängen bleibt die Eigentümerquote nochmals weit überproportional hinter dem europäischen Mittel zurück. Jüngere Altersschichten – so sie das Eigenheim nicht geerbt haben – sind derzeit schlicht aus dem Markt ausgeschlossen. Welches Potenzial eine Flexibilisierung der Hypothekenmarktinstitutionen in Deutschland bieten kann, zeigt sich in der nachfolgenden Grafik schön am Beispiel Großbritanniens und der Nieder11 lande. Dass die Eigentümerquoten dieser beiden Länder bei der mittleren Altersklasse (30 bis 64) höher liegen als in der Alterskategorie 65+, hat nichts mit Verkäufen und einem Umsatteln auf Miete zu tun, sondern damit dass in den achtziger Jahren jeweils eine Flexibilisierung des Hypothekenmarktes stattgefunden hat, von der die heutige Rentnergeneration nicht mehr in vollem Umfang hat profitieren konnte . Eigenheimbesitzeranteile unter Single-Haushalten nach Alter 2001 in Prozent 70 unter 30 60 50 30 - 64 65+ 40 30 20 10 0 Deutschland Niederlande Großbritannien EU15 Quelle: Eurostat Zwar ist Deutschland unverändert der bedeutendste Hypothekenmarkt in der EU, die Europäisierung dieses Marktsegmentes dürfte über den Wettbewerbsmechanismus dennoch einiges an Liberalisierungsimpulsen mit sich bringen. Nicht zuletzt wird so ausländischen Wettbewerbern der Zugang zum deutschen Markt mit den Vergabepraktiken ihres Heimatlandes ermöglicht. Allerdings hat diese Lockerung der Vergabepraxis auch ihren Preis. Denn eine flexiblere Vergabepraxis lässt auch die Risiken der entsprechenden Kredite steigen. Zwar ist der grundsätzliche Vorteil von Hypotheken –nämlich der Marktwert des beliehenen Vermögens – weiterhin gegeben, aber der Vorteil nimmt ab, je weiter die Beleihungsgrenze hinausgeschoben wird. Entsprechend größere Bedeutung kommt dem Risikomanagement der vergebenden Institute zu. 12 Zinsspread Festzinshypothek mit 10+ Jahren Laufzeit gegenüber 10j. Staatsanleihe in Basispunkten (2004) 110 105 100 95 90 85 80 Deutschland USA Großbritannien Quelle: Bundesbank, Federal Reserve, Bank of England Dies reflektieren auch die landesspezifischen Risikoprämien, die sich etwa aus dem Spread einer Festzinshypothek mit einer Laufzeit von über 10 Jahren gegenüber einer Staatsanleihe mit 10 Jahren Laufzeit ablesen lassen. In den USA lag dieser im Jahr 2004 um 5 Basispunkte über dem deutschen Niveau, in Großbritannien um 15. 5 Die Entwicklung des europäischen Sekundärmarktes für Hypotheken Ein gut entwickelter Sekundärmarkt für Hypotheken ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Bankensystem die erhöhten Risiken eines flexibilisierten Hypothekenmarktes verarbeiten kann. Unter einem Sekundärmarkt wird verstanden, dass Hypothekarkredite – mit einer räumlichen oder Typenmischung – gebündelt und als Wertpapier an den offenen Markt gebracht werden. Für den Bankensektor hat dies den Vorteil, dass die Kreditrisiken auf den Käufer eines solchen Papiers übergehen. Für den Käufer besteht der Vorteil darin, dass er von vornherein ein gemischtes Portfolio aus beispielsweise Hypotheken in Hamburg und München, oder Einfamilien- und Mietshaushypotheken erwirbt und damit die Anfälligkeit seiner Erträge für regionale und/oder immobiliensegmentbezogene Marktschwankungen geringer wird. Im internationalen Vergleich ist auffällig, dass es nicht ein einziges Land gibt, in dem die Möglichkeit zu Mortgage Equity Withdrawal gebräuchlich ist, ohne dass nicht gleichzeitig ein hoch entwickelter Verbriefungsmarkt existiert. Für den Bankensektor scheint somit ein Sekundärmarkt eine zwingende Voraussetzung zu sein, dass solche Operationen wie MEW überhaupt für den Bankensektor machbar werden. Erstaunlich ist zudem, dass die BIZ in ihrer Studie bei Deutschland hinsichtlich der Kreditverbriefung zu der Aussage kommt, es gäbe hierzulande kein Verbriefungssystem für Hypotheken. Das ist deswegen erstaunlich, weil Deutschland mit dem Pfandbriefsystem in diesem Markt eine der Vorreiterrollen gespielt hat. Freilich unterscheiden sich die Pfandbriefe in einer Reihe von Eigenschaf13 ten erheblich von ihren amerikanischen Pendants, den Mortgage Backed Securities wie sie sowohl von den großen Verbriefungsagenturen Fannie Mae und Freddie Mac sowie auch einzelnen Hypothekenbanken begeben werden. Zunächst einmal liegt die Obergrenze von Hypotheken, die in einen Pfandbrief eingebracht werden können, bei 60 % des Beleihungswertes. Zudem wird dem Käufer des Pfandbriefes eine feste Verzinsung auf den Nennwert garantiert. Wesentliche Charakteristika des deutschen Hypothekensystems wie die im internationalen Vergleich niedrigen Standardbeleihungsgrenzen oder die hohen Vorfälligkeitsentschädigungen erklären sich damit unmittelbar aus der Konstruktion des Pfandbriefes. Denn bei einer vorzeitigen Refinanzierung zu einem niedrigeren Zinssatz muss ja das Institut gegenüber dem Halter des Pfandbriefes für die entstehende Differenz aufkommen. MBS amerikanischer Machart sind dagegen anders konstruiert. Hier trägt der Käufer von vornherein auch das Risiko einer vorzeitigen Refinanzierung durch den Hypothekennehmer mit. Er wird freilich zum Teil dadurch entschädigt, dass bei Refinanzierungen traditionell auch Laufzeitverkürzungen (plus einer geringen Vorfälligkeitsentschädigung, die auf die Restlaufzeit umgelegt wird) vorgenommen werden. Während sich somit die Verzinsung der Hypothek mindert, steigt für den Halter des MBS der laufende Cash-Flow aus dem Instrument. Parallel zum deutschen Pfandbriefmarkt (über den freilich auch Kredite der öffentlichen Hand verbrieft werden) hat sich in den letzten Jahren auch ein europäischer MBS Markt herausgebildet. Nach Angaben des European Securitisation Forum wurden 2004 europaweit Pfandbriefe im Wert von 209 Mrd. EUR emittiert. Das Gesamtvolumen für europäische MBS lag bei 138,5 Mrd. EUR, davon 120 Mrd. EUR mit Unterlegung durch Wohnungsbaukredite. Damit setzte sich der Trend fort, dass die Bedeutung von MBS gegenüber der von Pfandbriefen im Emissionsvolumen steigt. Nach Angaben der Bond Market Association lag freilich das Emissionsvolumen von MBS Papieren in den USA (Kreditagenturen plus Emissionen einzelner Hypothekarbanken) mit annähernd 1,5 Billionen USD um ein erhebliches höher als das in Europa. Der hohe Rückstand des europäischen gegenüber dem amerikanischen Markt bezieht sich nicht nur auf das Emissions-, sondern natürlich auch auf das Verbriefungsvolumen insgesamt. Nur rund 4 % aller Wohnungsbaukredite in den EU15-Staaten sind verbrieft, in den USA liegt der Anteil um rund das zehnfache höher. Freilich sollte man sich davor hüten, den US-Markt als in jeder Hinsicht überlegen anzusehen. Denn die USA haben bei der Entwicklung ihres Marktes sehr stark auf staatsnahe Institutionen, die sogenannten Government Sponsored Enterprises (GSEs) gesetzt. Für den Sekundärmarkt von Hypotheken sind dies die als Fannie Mae und Freddie Mac bekannten Institutionen. Diese erfüllen den Zweck, Hypothekenkredite von den Geschäftsbanken zu kaufen, in geeigneter Weise zu bündeln und letztlich wieder an den Markt zu verkaufen. Der unmittelbare Vorteil einer solchen Vorgehensweise besteht darin, dass sich sehr schnell ein Markt mit standardisierten Produkten herausbildet. So machen die GSE-Emissionen von MBS rund zwei Drittel des Gesamtmarktes aus. Dagegen ist der europäische Markt eher kleinteilig und die Art der MBS variiert stark mit den örtlichen Gepflogenheiten des Hypothekensystems. So werden die europäischen Emissionen von den Briten 14 mit ihren eher variabel verzinslichen Hypotheken dominiert, während bei französischen und niederländischen Emissionen Festzinspapiere dominieren. Dies behindert die rasche Herausbildung von Marktliquidität und erhöht die Informationskosten der Marktteilnehmer gegenüber dem amerikanischen System . Kritisch muss man das US-System jedoch dahingehend beurteilen, dass Fannie Mae und Freddie Mac inzwischen weniger ihre eigentlich vorgesehene Brückfunktion zwischen Kreditgeschäft und Kapitalmarkt wahrnehmen als vielmehr Eigengeschäfte zu betreiben. Allein zwischen 1990 und 2003 hat sich die kombinierte Bilanzsumme der beiden Institutionen auf 1.813 Mrd. USD verzehnfacht. Rund 86 % davon bestehen aus MBS. Damit stehen letztlich etwa 23 % aller USWohnungsbaukredite als Aktiva in den Büchern dieser beiden Einrichtungen . Das Geschäftsmodell von Fannie Mae und Freddie Mac ist so einfach wie ertragreich. Aufgrund ihres Status als GSEs wird gemeinhin angenommen, dass es eine implizite Garantie der US-Bundesregierung gibt, so dass die Institutionen zu einem Zins am Kapitalmarkt Geld aufnehmen können, der deutlich günstiger liegt als bei Unternehmensanleihen bester Bonität. Zwar kaufen und bündeln sie weiter Hypothekenkredite, halten diese Papiere jedoch zu einem beträchtlichen Teil selbst weiter und verdienen so einen Zinsspread, der aufgrund des niedrigen Refinanzierungssatzes deutlich höher liegt als es rein privatwirtschaftlichen Wettbewerbern möglich wäre. Unter dem Aspekt der Finanzmarktstabilität wird durch ein solches Verhalten der Verbriefungsagenturen freilich eine der Hauptfunktionen des Sekundärmarktes unterlaufen. Denn neben der breiteren Risikostreuung soll ja vor allem das dezentral vorhandene Wissen um Risiken genutzt werden, um den Kreditinstituten rechtzeitig Marktsignale für eine Lockerung oder Straffung der Vergabebedingungen zu geben. Kommt aber ein beträchtlicher Teil der vergebenen Hypotheken gar nicht mehr an den Markt, weil sie bereits an der Quelle abgeschöpft werden, stehen die Kreditsignale für die Hypothekenbanken viel länger auf „grün“ als dies eigentlich sinnvoll ist. Mit der Gefahr, dass sich gravierende Marktungleichgewichte aufbauen. 15 Gesamtvermögen der US-Verbriefungsagenturen Mrd. USD 2000 1800 Fannie Mae 1600 Freddie Mac 1400 1200 1000 800 600 400 200 20 03 20 01 19 99 19 97 19 95 19 93 19 91 19 89 19 87 19 85 19 83 19 81 19 79 19 77 19 75 19 73 19 71 0 Quelle: Office of Federal Home Enterprise Oversight Die US-Notenbank sieht die Geschäftspraktiken der Institutionen aufgrund der hohen Konzentration von Hypothekenrisiken inzwischen als erhebliches regulatorisches Problem an (Alan Greenspan: Regulatory reform of the government-sponsored enterprises, Aussage vor dem Committee on Banking, Housing, and Urban Affairs, U.S. Senate, 6. April 2005) und hat vorgeschlagen, eine Obergrenze für den von den Agenturen gehaltenen Gesamtanteil der Hypotheken einzuführen. Während der europäische Markt erheblich davon profitieren könnte, wenn durch eine Angleichung der MBS-Produkte die Informationskosten vermindert und die Marktliquidität vergrößert würde, ist der amerikanische Weg mit durchaus gefährlichen Nebenwirkungen verbunden. 6 Hohes Marktpotenzial für deutsche Finanzdienstleister Der Markt für Wohnimmobilienfinanzierer bietet für die deutschen Finanzdienstleister in den kommenden Jahren ein großes Potenzial. Bereits in den letzten Jahren hat sich das Segment der Wohnungsbaukredite als eines der wenigen Kreditaggregate nachhaltig positiv entwickelt, während im Geschäft mit Krediten an Unternehmen und Selbstständige sogar Rückgänge zu verzeichnen waren. 16 Kreditvolumen des deutschen Bankensektors Index Q1 1999 = 100 140 135 Wohnungsbaukredite 130 Kredite an inländische Unternehmen und Selbstständige 125 sonstige Kredite an Privatpersonen 120 115 110 105 100 20 05 20 04 20 03 20 02 20 01 20 00 19 99 95 Quelle: Deutsche Bundesbank In den kommenden Jahren dürfte sich das Potenzial des Marktes jedoch aus drei Gründen nochmals wesentlich erweitern. Altersgruppe der 40 bis 65-Jährigen 32 39% in Millionen (linke Achse) 30 37% in % der Gesamtbevölkerung (rechte Achse) 28 35% 33% 26 31% 24 29% 20 50 20 45 Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen Allianz Group Economics 20 40 20 35 20 30 20 25 20 20 20 15 20 10 20 05 20 00 19 95 19 90 19 85 19 80 19 75 19 70 19 65 25% 19 60 20 19 55 27% 19 50 22 Erstens ist die ohnehin geringe Eigentümerquote in Deutschland zu nennen. Hierzulande sind nur 43 % der Haushalte Eigentümer von Wohnimmobilien, im Vergleich zu 64 % im Mittel der EU15Staaten und 85 % (Spanien) oder 72 % (Großbritannien) in der Spitzengruppe. Sozio-ökonomisch erweisen sich zwei Bevölkerungsgruppen als besonders affin für den Immobilienerwerb: junge Familien mit Kindern und Personen, die sich in der späteren zweiten Hälfte ihres Berufslebens befinden. Rein demographisch betrachtet befindet sich Deutschland gegenwärtig in einer Situation in der besonders die letztgenannte immobilienaffine Altersgruppe noch starke Zuwächse in Relation zur Bevölkerung zu verzeichnen hat. 17 Zum zweiten kann in den kommenden Jahren mit einem deutlich steigenden Volumen an Erbschaften gerechnet werden. Mit der entsprechenden Vermögensübertragung im Wohnimmobilienbereich stehen dem Empfänger drei Optionen offen: Eigennutzung, Vermietung oder Verkauf. In den ersten beiden Fällen ist mit einer verstärkten Kreditnachfrage für die Modernisierung der Objekte zu rechnen, im letzteren Fall mit einem steigenden Kreditvolumen beim Käufer. Erwartetes Erbvermögen für Immobilien und Grundstücke Mrd. EUR 1400 1200 1000 Grundstücke und Immobilien Geldvermögen 800 600 400 200 0 2000-2005 2006-2010 2011-2015 Quelle: Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen Allianz Group Economics Als dritter Faktor kommt hinzu, dass die erhöhten Anforderungen an die Mobilität von Arbeitskräften ein höheres Transaktionsvolumen auf dem Immobilienmarkt erwarten lassen . Wie bereits in Abschnitt 2 dargestellt, liegt ja die Umschlagsrate bei gerade nur einmal der Hälfte vergleichbarer Industrieländer wie der Niederlande oder Großbritannien. Eine Abschätzung über das Marktpotenzial lässt sich alternativ über eine top-down Betrachtung oder eine bottom-up Betrachtung erstellen. So liegt das Volumen der Wohnungsbaukredite in Deutschland bei rund 50 % des BIP, während es etwa in Großbritannien und den USA bei knapp über 60 % liegt. Eine Angleichung Deutschlands an die Vergleichsländer entspräche – auf Basis der heutigen Ausgangslage – einem Wert von ca. 200 Mrd. EUR. Alternativ kann man in einer bottom-up Betrachtung unterstellen, dass die Eigentümerquote von heute 43 % auf 54 % steigt. Der Eigenheimbesitzeranteil läge dann auf demselben Niveau wie in der Niederlanden. Unter Einrechnung der bis 2020 zu erwartenden Zunahme der absoluten Zahl an privaten Haushalten entspräche dies etwa 4,7 Millionen zusätzlichen Immobilienbesitzern. Rechnet man zudem ein, dass die Beleihung durch diese Personen bei rund 50 % des Immobilienwertes liegen wird und dadurch die bestehende Altbeleihung von rund 18 % des Immobilienwertes abgelöst wird, errechnet sich ein Marktpotenzial für Wohnungsbaukredite von knapp über 100 Mrd. EUR. Der Wohnimmobilienmarkt könnte somit allein auf der Kreditseite in den nächsten Jahren ein zusätzliches Volumenpotenzial von 100 bis 200 Mrd. EUR generieren, wobei noch nicht einmal die Potenziale aus einer Flexibilisierung des Hypothekenmarktes eingerechnet sind. 18 Darüber hinaus bestehen noch Potenziale im Bereich der Kreditverbriefung ebenso wie in neuen, speziell auf die Altersvorsorge zugeschnittenen Produkten. Zu letzteren gehört etwa die „reverse mortgage“, bei der eine Immobilie letztlich in eine ausgezahlte Rente umgewandelt wird und bei Ableben an den Finanzdienstleister übergeht. Die Entwicklung eines solchen Konzepts in Deutschland dürfte jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da Reverse Mortgages ein höheres Maß an Risikoabschätzung erfordern und im Interesse von Kunden wie Finanzdienstleistern durch eine Rückversicherung abgefedert sein sollten. In den USA wurde 1987 ein staatliches Rückversicherungsprogramm (Home Equity Conversion Program) eingerichtet, um die Marktentwicklung voranzutreiben. Das Marktvolumen ist dennoch mit knapp über 40.000 Verträgen derzeit eher klein und von der Kundenseite auf besonders hochwertige Objekte, die insbesondere von älteren, alleinstehenden Frauen gehalten werden, konzentriert. 7 Schlussfolgerungen Sowohl für den Privatanleger wie auch die Finanzwirtschaft bietet der Wohnimmobilienmarkt günstige Anlage- und Geschäftsmöglichkeiten. Zwar ist die eigengenutzte Wohnimmobilie nicht der große Werttreiber im Portfolio, sie bietet aber ganz konkrete Vorteile gegenüber anderen Assetklassen. Hier ist insbesondere der stetige und kaum von Schwankungen gekennzeichnete Nutzenstrom aus den eingesparten Mietzahlungen zu nennen. Im Rahmen der privaten Altersvorsorge ist die selbstgenutzte Wohnimmobilie somit ein optimales Vehikel zur Transformation des aufgebauten Vermögens in einen stetigen und vor potenziellen Widrigkeiten des Geschehens an den Kapitalmärkten geschützten Nutzenstrom. Zudem brauchen deutsche Investoren sich keine Sorgen um das Platzen einer internationalen Immobilienblase zu machen. Denn relativ zu den verfügbaren Einkommen, die ja Grundlage für die Finanzierbarkeit von Immobilien sind, sind Immobilien im Gegensatz zu vielen anderen Industrieländern in den letzten Jahren sogar noch billiger geworden. Das gilt auch für eine Vielzahl von anderen Indikatoren wie etwa der „Mietrendite“ als Verhältnis von Mietzahlungen zum Kaufpreis. Für das Finanzgewerbe bieten Dienstleistungen rund um die Immobilie noch beträchtliche Wachstumspotenziale. Erstens, weil derzeit demographisch eine sehr immobilienaffine Altersgruppe sowohl absolut als auch in Relation zur Gesamtbevölkerung starke Zuwächse verbucht. Zweitens, weil die innerhalb der nächsten zehn Jahre erfolgende Welle an Erbschaften ein erhebliches Potenzial an Krediten für Renovierungs- und Modernisierungsinvestitionen nach sich ziehen wird. Drittens bieten sich auf dem bislang nur rudimentär entwickelten europäischen Sekundärmarkt für Wohnungsbaukredite Chancen. Und viertens dürfte die Integration des europäischen Retailbankmarktes zwar den Wettbewerbsdruck im Segment der Immobilienfinanzierung erhöhen, gleichzeitig aber insbesondere auf einem Markt mit geringer Verbreitung von Immobilienbesitz wie Deutschland ganz erhebliche Potenziale zur Volumensausweitung von Wohnungsbaukrediten nach sich ziehen. Fazit: Aktien unterliegen Schwankungen; Immobilien dagegen sind eine sichere Anlage für die Rente. Wohneigentum bildet somit als Instrument für die Altersvorsorge und für die Finanzwirtschaft interessante Perspektiven. 19