Aubervilliers
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15. Mai 2003 V. Jeaner Französische Tage: Gesichter Aubervilliers: Madonnas Schwarz-Weiß-Mann Der Graumaler Jean-Baptiste Mondino: Pop-Fotograf und Trendsetter Von Günter Platzdasch Jena/Aubervilliers. (tlz) Wenn dieser Tage Superstar Madonna mit ihrer neuen CD „American Life“ durch die Shows tourt, wissen nur wenige, daß Wurzeln ihres Erfolges auch in Jenas Partnerstadt Aubervilliers liegen. Hier wurde 1949 Jean-Baptiste Mondino geboren, inzwischen einer der einflußreichsten Werbefotografen und Videoproduzenten der Gegenwart. Als Madonna einen Schwarz-Weiss-Videotrend schuf, war Mondino Regisseur des hocherotischen, Blautöne-Videoclips zum 1990er Song „Justify My Love“. Wer das Parfum „Jazz“ von Yves Saint Laurent in Händen hält, ist vielleicht auch von dem Image-Guru verführt worden. Als Disc-Jockey kam Mondino durch Zufall zum Fotografieren: Er sprang für einen kranken Fotografen ein, der einen Sänger für sein Plattencover porträtieren sollte. Den Sänger kennt heute keiner mehr Mondino machte Karriere. Er drehte Videos für Popstars wie David Bowie, Neneh Cherry, Bryan Ferry, Boy George, Vanessa Paradis, Sting oder Madonna. Von ihm stammt das Prince-Aktphoto auf dem „Lovesexy“-Cover. Mondino selbst blieb von seiner Berühmtheit unbeeindruckt. Charakteristisch ist das ihn eher versteckende als darstellende Foto des Bildbands mit seinen Werken - es gibt kaum Fotos von ihn. Vielleicht hat es mit Aubervilliers zu tun, dass er Bodenhaftung bewahrte. „Mich inspirieren das Fernsehen, die Leute. Das Leben macht kreativ.“ Mondino möchte keine Spielfilme machen, um nicht abzuheben - da bliebe zu wenig Zeit für die Familie: „Ich muss ja arbeiten, ich habe zwei Kinder.“ Der Sohn einer Einwandererfamilie hat nicht vergessen, woher er kommt, und besinnt sich mit einem neuen Projekt auf seine Wurzeln. „La Source (Quelle) heisst eine Organisation, die ich zur Zeit aufbaue. Sie soll begabten Jugendlichen ermöglichen, einen künstlerischen Beruf zu lernen und zu ergreifen.“ 17. Mai 2003 Gesichter Aubervilliers: Kommunisten und Menschenfresser Der Politkrimiautor Didier Daenincks Von Günter Platzdasch Jena/Aubervilliers. (tlz) Im Land Kommissar Maigrets gilt Didier Daeninckx als bedeutender Kriminalschriftsteller; seine Bücher erscheinen auch in Deutsch. Als 1977 Rationalisierungen den Druckereiarbeiter arbeitslos machten, wurde er Schriftsteller mit bösem Blick, schwarzen Humor und gnadenloser Recherche. Der 1949 Geborene lebt abseits elitärer Pariser Intellektuellenzirkel in seinem Häuschen in Aubervilliers. Ein anarchistischer Großvater desertierte 1917 aus dem Krieg, ein anderer war kommunistischer Bürgermeister und widersetzte sich dem Hitler/Stalin-Pakt. Seine Mutter kochte in Aubervilliers Stadtkantine und schüttelte dem Kosmonauten Gagarin die Hand. Sozialwohnungen prägten ihn: „Dieses Völkergemisch hier, auch die Gleichheit und Solidarität unter Arbeitern.“ Daeninckx erzählt von der Deutschen in seiner Straße, die von allen Nachbarn etwas anpflanzte, so daß ein „Garten der Welt“ entstand. Die Umgebung spiegele „den Charakter der französischen Fußballnationalmannschaft von 1998 wider“ - ein multikulturelles Völkergemisch. Hier findet der Schriftsteller, der 1982 aus der kommunistischen Partei austrat, seine spannenden Stoffe, die er mit erstaunlichen politischen Hintergründen zu einer Art Gegengeschichte Frankreichs ausbreitet. Daß Kanake - in der Sprache Neukaledoniens bedeutet es schlicht „Mensch“ - zum Schimpfwort wurde, spricht Bände. Frankreich wurde 1998 mit dem Kanaken Christian Karembeu Fußball-Weltmeister. Im selben Jahr erzählte Daeninckx’ Buch „Reise eines Menschenfressers nach Paris“ die Verfrachtung von Kanaken in „Menschenfresser“-Schauen der Pariser Kolonialausstellung und des Frankfurter Zoos anno 1931 als Kriminalgeschichte (Berlin: Wagenbach-Verlag, 12.90 Euro). Zwei Urgroßväter des französischen Fußballhelden gehörten zu jenen „Kannibalen“. An französischen Gymnasien ist das Buch Unterrichtsstoff. Im Krimi „Bei Erinnerung Mord“ (Heilbronn: Distel-Literaturverlag, 12.80 Euro) wird eine andere in die Gegenwart reichende Kolonialgeschichte aufgerollt: der Algerienkrieg. Deutsche, die kollektives Vergessen nach 1945 oder 1990 für einzigartig halten, belehrt Daeninckx ohne moralische Besserwisserei à la Derrick eines Anderen: „Die Gestalten meiner Kriminalromane verdrängen das Vergangene in der Illusion, so die Gegenwart besser meistern zu können. Aber gerade das wird für sie zum oft tödlichen Trugschluß, und die Katastrophe, der sie durch ihre wohlkalkulierte Vergeßlichkeit entfliehen wollten, holt sie nun erst recht ein.“ Im Roman „Nazis in der Métro“ geht es um merkwürdige Allianzen von Nazis und Kommunisten. Der stellvertretende Vorsitzende der französischen Kommunisten Doriot gründete 1936 eine faschistische Partei - die erste Runde der Präsidentschaftswahlen 2002 gewann im kommunistisch regierten Aubervilliers der rechtsradikale Front-National-Chef Le Pen. 21. Mai 2003 Gesichter Aubervilliers: Vom Kindermodel zur gefragten Mimin Die Schauspielerin Virginie Ledoyen Von Günter Platzdasch Jena/Aubervilliers. (tlz) In den Straßen Aubervilliers spielte der Thriller, der unlängst im ARDTV lief: „Verhängnisvolles Alibi“ (Frankreich 1998). Eine Neuverfilmung des Brigitte-BardotKlassikers „Mit den Waffen einer Frau". Die Rolle der Bardot bekam Virginie Ledoyen. Die 1976 im Vielvölkerstädtchen Aubervilliers Geborene stand bereits als Kind vor der Kamera: Als Zweijährige wirkte sie in Werbespots mit und war Kindermodel für Lacoste. Heute hat sie einen ModelVertrag beim Kosmetikkonzern L’Oréal. 1987 begann ihre Schauspielerinkarriere. Woody Allen bemühte sich um sie und sie spielte mit Gérard Depadieu in „Les Misérables“, mit Leonordo DeCaprio in „The Beach“ und mit Catherine Deneuve und Isabelle Huppert in „8 Frauen“. Die Leseratte mag Dostojewski, die einst als obszön verschrieenen Bilder Egon Schieles und engagiert sich in der Tibet-Solidarität. Außerdem interessieren sie die U-Bahnen der Welt seitdem sie als Neunjährige mit der Métro zwanzig Stationen zur Schule in den 5. Pariser Bezirk fuhr. Leute beobachtete sie auch, wenn ihr Vater als Marktverkäufer unterschiedlichste Artikel den Leuten aufschwatzte. Gegenüber Freunden war sie privilegiert, da sie in einem großen Haus wohnte und diese einladen konnte. „Man traf sich am Burger King gegenüber der Haltestelle“, erinnert sich Ledoyen, „qualmte und trank.“ In Aubervilliers gehörte sie in der Schule zur Minderheit: „In meiner Klasse waren 80 Prozent Einwanderer.“ Die Pariser Schule, wo Schwarze und Einwanderer in der Minderheit waren, habe sie schockiert. Der Weltstar bevorzugt Mulitkulturelles: „Ich lebte immer mit Leuten von allen Horizonten. Ich habe baskische und andalusische Vorfahren, schwarze und nordafrikanisch-kabyle Cousins und eine chinesische Stiefmutter.“