Lebenswege von griechischen Arbeitnehmerinnen und

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Lebenswege von griechischen Arbeitnehmerinnen und
Angekommen! –
Aufgenommen?
Helge Hellberg, Kiel
„Unsere Heimat, das ist
meine Meinung, ist
Deutschland...“
Lebenswege von griechischen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der
Firma Danfoss in Flensburg.
1
Vorwort
Der folgende Aufsatz entstand im Rahmen des Hauptseminars „Griechen in Deutschland:
Geschichte einer Minderheit” unter Leitung von Martin Reinheimer am Historischen Seminar
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Zielsetzung meiner Arbeit war, anhand
individueller Interviews mit Beschäftigten der Firma Danfoss in Flensburg, ein Bild über die
Lebenswege griechischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Schleswig-Holstein am
Beispiel eines konkreten Industriebetriebes zu gewinnen.
Ich werde versuchen, nachdem zu Anfang ein Überblick über die Entwicklung der
Firma Danfoss geben wird, im Mittelteil die Beschreibung griechischen Lebens in SchleswigHolstein ausführlich zu behandeln. Die Darstellung stützt sich zentral auf die aus den
verschriftlichten Interviews gewonnenen Erkenntnisse. Hierbei sprechen die Texte der
Interviews für sich selbst und geben Einblick in die Lebenswirklichkeiten der Befragten.
Dieser Ansatz ist auch im Schriftbild ersichtlich, die behutsam sprachlich geglätteten
Aussagen erscheinen im kleineren Schriftsatz. Um eine Vorstellung über die Zeitdauer der
Interviews und das Kommunikationsverhalten der Befragten zu geben, wurden die
Bandlaufzeiten des Aufnahmegerätes an die Seite gestellt. Eine Beschreibung der
Gesprächsatmosphäre ergänzt im Vorfeld und im Verlauf der jeweiligen Interviews die
Darstellung.
Im zweiten Teil erfährt dieses Bild eine Ergänzung durch statistische Daten über die
Beschäftigungsentwicklung bei Danfoss von 1968-1974. Mit Hilfe dieses Datenmaterials war
es möglich, die Entwicklung des griechischen Belegschaftsanteils zu beschreiben. Als
Abschluss diskutiere ich die Ergebnisse der Untersuchung vor dem Hintergrund der
Stichworte: Menschen, Heimat, Arbeit.
Danken möchte ich der Firma Danfoss und vor allem all den Beschäftigten, die bereit waren,
sich interviewen zu lassen.
1.
Kontaktaufnahme und Besuch bei Danfoss
Mitte Mai 1999 sandte ich einen formlosen Brief an Danfoss/Flensburg mit der Bitte, mir
Informationen über griechischstämmige Mitarbeiter der Firma zuzusenden. Anfang Juni rief
daraufhin die Personalabteilung an und fragte, wie Danfoss weiterhelfen könne, nach kurzer
Beschreibung des Forschungsansatzes wurde ein Besuchstermin vereinbart.
2
Am 5. Juli 1999 war ich mit Herrn Knapp, dem Personalchef von Danfoss-Flensburg,
verabredet. Dieser erklärte zu Beginn des Besuchs die Entwicklungen im Belegschaftsbestand,
hierbei war von großem Nutzen, dass er die Entwicklung des Betriebes seit den 70er Jahren
miterlebt hatte. Weiterhin hatte er Frau Graetsch, Auszubildende in der Betriebsleitung,
gebeten, in den Firmenunterlagen den Anteil der griechischen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer aufzulisten und graphisch darzustellen. Die im zweiten Teil aufgeführten
Statistiken sind aufgrund dieses Datenmaterials erstellt worden. Frau Graetsch hatte ebenfalls
Interviewpartner gefunden - von daher war es an diesem Tag möglich, mit fünf Griechinnen
und Griechen der Belegschaft von Danfoss zu sprechen.
2.
Danfoss in Flensburg1
2.1.
Entwicklung des Unternehmens
Der dänische Unternehmer Mads Clausen gründete 1933 die Firma Danfoss, im selben Jahr
wurde das erste Werk in Nordborg/Dänemark eröffnet. Von Beginn an lag der Schwerpunkt
des Unternehmens in der Produktion und Forschung im Bereich Kälte-, Wärme- und
Regeltechnik.
1956 erfolgte die Grundsteinlegung für das Werk in Flensburg2, 1958 lief dort die
Produktion von Kompressoren für Haushaltskühl- und Gefrierschränke an. Diese
Kompressoren sorgen in der Kältetechnik dafür, dass das Kühlmittel im Kühlkreislauf
zirkuliert - sie stellen somit die Pumpe innerhalb des Kühlsystems dar.
Am Beginn des Jahres 1958 wurden pro Woche 1000 Kompressoren hergestellt, Ende
‘58 betrug die produzierte Stückzahl 1750 pro Woche, ab Januar 1959 wurden im ZweiSchichtbetrieb 8000 Einheiten erzeugt, die zum größten Teil von den deutschen
Kühlschrankherstellern Bauknecht, Siemens und Bosch abgenommen wurden. Das deutsche
„Wirtschaftswunder“ schlug in dieser Zeit voll durch, in deutschen Haushalten wurde der
Kühlschrank (später auch die Gefriertruhe) zu einem Bestandteil des alltäglichen Lebens und
1
Informationen zur Geschichte des Unternehmens in: DANFOSS A/S (Hg.): Danfoss - auf einen
Blick. Partner für industrielle Herausforderungen, o.A.; DANFOSS COMPRESSORS GMBH
Personalabteilung (Hg.): Danfoss. 40 Jahre in Flensburg 1956 - 1996, o.A.; Danfoss - Flensborg
GMBH. En rundgang gennem virksomheden, Fabrik for automatiske kontrolapparater, Flensburg
1972; DANFOSS WERK FLENSBURG: Wir begrüßen Sie...als neuen Mitarbeiter!, o.A.; daneben
Gespräch mit dem Personalchef am 5. Juli 1999 bei Danfoss-Flensburg.
2
Zur wirtschaftlichen Situation in der Nachkriegszeit in Dänemark, die zur Expansion über die
Grenze nach Deutschland führte, vgl.: ANDERSEN, Hasse Lungård: Stagnation eller dynamik? Den
okonomiske utvikling i Danmark i 1950erne, in: Historisk Tidsskrift, Bind 99, Haefte 1, Kopenhagen
1999, S.69-93.
3
verlor seine Stellung als Luxusgut, als das er bis dahin galt. Die Investition in ein neues Werk
rentierte sich, die Nachfrage nach Kompressoren stieg ununterbrochen.3 Mitte der 60er Jahre
wurde zusätzlich zum bestehenden Werk I der Grundstein für das Werk II gelegt, das 1970
fertiggestellt wurde.
Mit der Vergrößerung des Unternehmens wuchs auch die Belegschaft an, Ende der
60er Jahre - in der Bundesrepublik herrschte Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel forderte Danfoss/Flensburg zum ersten mal Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus
Griechenland an, spätere Anwerbeangebote gingen nach Jugoslawien, Algerien, Tunesien,
Spanien und in die Türkei.
Die Personalabteilung war besonders an weiblichen Arbeitskräften interessiert, weil
angenommen wurde, dass Frauen besonders für die feinen Montagearbeiten in den
Produktionsabläufen geeignet seien (Wicklung von Spulen, Zusammensetzen kleiner,
elektronischer Bauteile), die Aussage des Personalchefs dazu war bezeichnend: „Wir dachten
damals, Männer könnten das gar nicht!”4. Die Bedienung der Pressen und schweren
Maschinen war hingegen typische ”Männerarbeit”, für die ebenfalls ausländische
Arbeiternehmer gesucht wurden.
2.2.
Die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Danfoss5
Die ersten Anwerbeangebote der Firma Danfoss gingen nach Griechenland, weil die ersten
Abkommen über die Anwerbung von Arbeitskräften zwischen der Bundesrepublik und
Griechenland abgeschlossen worden waren. Die dadurch entstandene Möglichkeit, neues
Personal zu gewinnen, war für viele westdeutsche Industrieunternehmen eine willkommene
Lösung um dem Mangel an Arbeitskräften zu begegnen, der seit Beginn der 60er Jahre in
Deutschland herrschte.
Der Vorgang der Anwerbung verlief wie folgt: Danfoss meldete die Anzahl der
unbesetzten Stellen, für die ausländische Arbeitskräfte gesucht wurden, diese Zahlen wurden
in allen Industriezweigen im gesamten Bundesgebiet gesammelt und im Anschluss daran eine
3
Zur wirtschaftlichen Situation in der Bundesrepublik in den 60er Jahren vgl.: FAULENBACH,
Bernd: Modernisierung in der Bundesrepublik und in der DDR während der 60er Jahre, in:
Zeitgeschichte 25, Heft 9/10, 1998, S. 282-294.
4
Gespräch mit Herrn Knapp, Personalchef Danfoss-Flensburg, am 5. Juli 1999.
5
Die Informationen stammen vor allem aus dem Gespräch mit Herrn Knapp, Personalchef DanfossFlensburg, am 5.Juli 1999, vgl. daneben: DANFOSS COMPRESSORS GMBH Personalabteilung
(Hg.): Danfoss. 40 Jahre in Flensburg 1956 - 1996.
4
Anwerbung in Griechenland gestartet. Die Ausschreibung in Griechenland erfolgte ohne
Beschreibung der späteren Arbeitsstelle, niemand der Angeworbenen wusste vorher, in
welchem Industriebereich sie arbeiten, oder in welcher deutschen Stadt sie wohnen würden.
Die
Integration
der
ausländischen
Mitarbeiterinnen
und
Mitarbeiter
stellte
Anforderungen an das Unternehmen: Danfoss musste sich um die Unterbringung der aus dem
Ausland gekommenen Arbeitskräfte kümmern, sorgte für deren Schulung und war beim
Arbeitsbeginn und Lebenseinstieg in Deutschland behilflich. Die Personalabteilung richtete
extra ein ”Ausländerbüro” mit zwei deutschen und zwei ausländischen Mitarbeitern ein, um
Sprachprobleme zu bewältigen und den Neuankömmlingen bei Fragen und Problemen zur
Seite stehen zu können.
Unterkünfte für die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden in
Flensburg bereitgestellt, daneben wurden Übernachtungsmöglichkeiten auch im weiteren
Umkreis organisiert, von denen aus jeden Tag ein Bus die Beschäftigten nach Flensburg
brachte. In den 60er und 70er Jahren wurden insgesamt 13 Heime zur Unterbringung der
ausländischen Arbeiter von Danfoss angemietet oder umgebaut. Die erste Unterkunft war ein
kleines Haus auf dem Werksgelände, das, als es später nicht mehr notwendig war, abgerissen
wurde, daneben wurde als zweite Unterkunftsmöglichkeit ein leerstehendes Schulgebäude in
Großjörl angemietet und zum Wohnheim umgebaut.
Die Integration in den Betrieb verlief nach Angaben des Personalbüros schnell und
problemlos, so dass die soziale Betreuung durch die Firma nach einigen Jahren eingestellt
wurde. Wie sehr die ausländischen Arbeitskräfte zum Wachstum des Unternehmens
beigetragen haben, lässt sich anhand der statistischen Daten des zweiten Teils leicht
nachvollziehen: Ohne die im Ausland angeworbenen Arbeitskräfte wäre der Ausbau der
Produktion in Flensburg nicht möglich gewesen.
3.
Interviews mit Beschäftigten
Die Interviews gaben im Vergleich mit dem statistischen Material der Personalabteilung ein
gutes Bild über die Situation ausländischer Arbeitskräfte in Schleswig-Holstein. Individuelle
Lebenserinnerung ergänzte das durch die statistische Beschreibung nur unvollständige Bild
der Alltagswirklichkeit und des Lebens in der neuen Heimat. Der Arbeitsalltag in einem
dänischen Unternehmen in Deutschland war für alle Interviewten derselbe Hintergrund vor
dem sie über ihre Biographien berichteten. Da das Gespräch nicht nur die Arbeitswirklichkeit
5
sondern vor allem die persönliche Erinnerung, wie die Ankunft in Deutschland, das Einleben
im unbekannten Land, die mittlerweile in Deutschland erlebten Jahrzehnte und die
Familiensituation betraf, stellen die gewonnen Erkenntnisse eine erste Untersuchung über die
Lebenswirklichkeit und Erinnerungen von ausländischen Arbeitskräften in SchleswigHolstein dar. Dass dieses am Beispiel einer konkreten Firma und einer definierten Gruppe
(den aus Griechenland gekommenen Arbeitskräften) untersucht wurde, war vorteilhaft.
Gerade wegen der ähnlichen Lebensumstände aller Befragten, war es möglich, Vergleiche und
Parallelen zu ziehen.
Neben den zeitgeschichtlichen Ereignissen, die Voraussetzung für die Anwerbung von
ausländischen Arbeitskräften in Deutschland waren: „Wirtschaftswunder”, Vollbeschäftigung
und
Arbeitskräftemangel, Begriffe, die in den Interviews jedoch kein einziges mal
auftauchten, ergaben die Interviews Einblick in die Lebenswirklichkeiten in der
Bundesrepublik seit den 60er Jahren.
3.1.
Die Interviewpartnerinnen und -partner
Die Vorgehensweise der Kontaktaufnahme brachte es mit sich, dass ausschließlich
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befragt wurden, die ihren Lebensmittelpunkt
mittlerweile in Deutschland gefunden hatten, interessant hätte es sein können, diesen
Interviews Berichte von solchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüberzustellen,
die nach einigen Jahren wieder nach Griechenland zurückgegangen waren.
Wie lange es gedauert hatte, bis die Entscheidung getroffen worden war, in Flensburg
für längere Zeit zu bleiben, darüber gab es unterschiedliche Angaben. Als entscheidende
Zeitdauer gab der erste Interviewte die ersten sechs Monate in Deutschland an. So lange habe
es gedauert, bis die Sprache so erlernt gewesen sei, dass es möglich geworden sei, sich im
Alltagsleben zurechtzufinden. Dazu hatte ebenfalls beigetragen, dass sich innerhalb der ersten
Zeit eine Organisation des Lebens im neuen Land ergeben hatte: neue Freundschaften waren
aufgebaut worden, die Arbeit und der Arbeitsplatz waren bekannt, z.T. waren erste Kontakte
zu kommenden Lebenspartnern entstanden. Ein gewisses Heimatgefühl schien mit dieser Zeit
eingetreten zu sein. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgte nach einer Zeitdauer von
rund einem halben Jahr eine Gewöhnung an die neuen Lebensverhältnisse. Ebenfalls
auffallend waren tiefergehende Ursachen wegen derer diese Entscheidung getroffen wurde.
6
Zäsuren in den Biographien waren hierbei von entscheidender Wichtigkeit: Hochzeit, Geburt
eines Kindes, oder der Tod naher Verwandter in Griechenland.
Die Faktoren ließen sich in drei unterschiedliche Gruppen aufteilen: a) in solche, die
zur einer stärkeren Verwurzelung in Deutschland geführt hatten - also alles, was das Leben in
Deutschland betraf, wie das Kennenlernen eines (in einem Fall deutschen) Ehepartners,
Freundschaften, die entstanden waren, Einschulung der Kinder in einer Schule in Deutschland
usw.; daneben gab es b) Ereignisse, die die Bindung nach Griechenland schwächten - z.B.
der Tod des Vaters, der Mutter oder Familienstreitigkeiten in Griechenland; in einer dritten
Kategorie konnten c) Faktoren gefunden werden, die zwischen der Stärkung der Bindungen in
Deutschland selbst und der Abschwächung der Beziehungen in die alte Heimat standen, also
vor allem der Nachzug von Familienmitgliedern aus Griechenland nach Deutschland, zumeist
Geschwistern (in einem Fall die Mutter einer Befragten), womit eine wichtige Komponente
des Lebens, die der Familie, sich zumindest zum Teil von Griechenland nach Deutschland
verschob.
3.2.
Ablauf der Interviews6
Drei der Interviews fanden im Besprechungsraum der Personalabteilung bei Danfoss statt,
einem ca. 18qm. großen, sachlich eingerichteten Zimmer in dem um einen zentralen Tisch
mehrere Stühle aufgestellt waren, das vierte Interview wurde in einem Arbeitszimmer in einer
der Werkhallen geführt.
Das erste Gespräch war ebenso wie das zweite ein Einzelinterview, das dritte führte
ich zusammen mit zwei Interviewpartnerinnen. Das letzte Gespräch war wiederum ein
Einzelinterview mit einem griechischen Arbeitnehmer.
Alle Interviewsituationen waren innerhalb des Betriebes angesiedelt, dass diese
Situation von Nachteil für die Gespräche war, war nicht anzunehmen und ließ sich nicht
feststellen. Statt dessen war die Interviewsituation in den Arbeitsalltag der Interviewten
integriert. Der erste Gesprächspartner kam innerhalb seiner Frühschicht, die zweite
Gesprächspartnerin vor Schichtbeginn der Spätschicht, das dritte Interview fand im Anschluss
an die Frühschicht und das letzte während der Spätschicht statt. Die Wahl des Raumes und die
6
Zur Theorie der Methode von Einzelinterviews vgl.: LEHMANN, Albrecht: Erzählstruktur und Lebenslauf.
Autobiographische Untersuchungen, Frankfurt, New York 1983. S. 3-42; die Position und Bedeutung von
autobiographischen Schilderungen in der Geschichtswissenschaft untersucht: PLATO, Alexander von: Oral
History als Erfahrungswissenschaft. Zum Stand der ”mündlichen Geschichte” in Deutschland, in BIOS 4, 1991,
S. 97-119, außerdem vgl.: BRIESEN, Detlef; GANS, Rüdiger: Über den Wert von Zeitzeugen in der deutschen
Historik. Zur Geschichte einer Ausgrenzung, in BIOS 6, 1993, S. 1-32.
7
Zeit der Gespräche waren für alle Interviewten die bequemste Möglichkeit, sich zu unterhalten
und über Leben und Arbeit zu berichten.
Da es innerhalb der Untersuchung konkret um die Situation von griechischstämmigen
Beschäftigten der Firma Danfoss ging, erschien die Durchführung der Interviews am
Arbeitsplatz berechtigt. Besondere Vorbehalte gegenüber dem Raum, in dem die Interviews
stattfanden, äußerte keine/r der Interviewten. Die Arbeitsatmosphäre im Werk schien daneben
sehr kollegial und freundlich zu sein, mehrmals war lautes Lachen aus benachbarten Räumen
zu hören. Die Angestellten sowohl aus der Personalabteilung als auch aus anderen Bereichen
des Werks begrüßten sich zum überwiegenden Teil mit Vornamen, viele schienen sich schon
sehr lange zu kennen. Dieses überraschte in Anbetracht der Arbeitsjahre, die alle Interviewten
bereits bei Danfoss verbracht hatten, nicht weiter.
Sehr positiv war daneben die Zusammenarbeit und die Offenheit der Firma Danfoss.
Der Personalchef,
H. Knapp, äußerte sich sehr erfreut über das Projekt und bestätigte
mehrmals, dass die Fragestellung für Danfoss sehr interessant sei und er selbst nicht mit einer
so großen Zahl von griechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerechnet hätte.
Insgesamt hatten 1955 griechische Beschäftigte bei Danfoss in den letzten 30 Jahren Arbeit
gefunden.
Was die Durchführung der Interviews anbelangte, so musste vom Idealfall einer
längeren, lebensbiographischen Schilderung in allen Fällen abgewichen werden. Dieses war
vor allem deswegen notwendig, weil alle Gesprächspartner gewisse Probleme hatten, ihre
Gedanken auf Deutsch auszudrücken (hier wären Griechischkenntnisse des Interviewers von
Vorteil gewesen) - aus dieser Problemlage entstand auch die Situation, dass die Interviews
z.T. recht langsam abliefen und Gesprächsinhalte sich wiederholten.
Bei der anschließenden Verschriftlichung der auf Kassetten aufgenommen
Originaltöne wurde behutsam versucht, den Redefluss so zu glätten, dass häufige
Wiederholungen, Sprachfüllsel oder Sprünge im Erzählten nicht zu stark im schriftlichen Text
auftauchten. Mit Ausnahme dieser Einschränkung sind alle Interviews im Originaltext
wiedergegeben. Am Rand der Textberichte finden sich die Minutenangaben der Bandlaufzeit.7
7
Zur Auswertung vgl.: BRECKNER, Roswitha: Von den Zeitzeugen zu den Biographen. Methoden der
Erhebung und Auswertung lebensgeschichtlicher Interviews, in: Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur
Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, hg. v. Berliner Geschichtswerkstatt, Münster 1994, S.125-138 und:
ROSENTHAL, Gabriele: Die erzählte Lebensgeschichte als historisch-soziale Realität. Methodologische
Implikationen für die Analyse biographischer Texte, in: ebenda, S. 199-222.
8
4.
Interview mit Hasan Moustafa
Geboren: 1948; Tätigkeit: Montagehelfer; Eintritt in den Betrieb: 1.11.1972; verheiratet mit
einer Griechin, zwei Töchter
Anmerkungen
Herr Moustafa kam während der Arbeitszeit seiner Frühschicht zum Interview, er trug blaue
Arbeitskleidung und hatte sich augenscheinlich direkt von seinem Arbeitsplatz zum Interview
begeben. Dieses erste Interview war schwierig zu führen, da der Berichtende nur gebrochen
Deutsch sprach, eine anfängliche Unsicherheit über das Anliegen des Gesprächs war deutlich
zu spüren, nach den ersten Minuten ergab sich aber ein längerer Erzählfluss, ein Ereignis, dass
sich im späteren Verlauf wiederholte.
Eingangsfrage: Erzählen Sie doch darüber, wie Sie nach Deutschland gekommen sind!
1-2
„Jetzt kommt schon Oktober ‘72 nach Deutschland... und bis jetzt... knapp 26 Jahre, ich hab
26 Jahre durchgearbeitet und bis jetzt noch keine Probleme, weißt Du, bis jetzt sehr gut gearbeitet
sehr gut gelaufen... und ‘73 kommt meine Frau auch und all die Jahre die ich gearbeitet, war auch
meine Frau hier... so, was soll ich sagen, bis jetzt alles sehr gut.“
Ihre Frau stammt auch aus Griechenland?
2-2.30 „Ja.. ’73 zum letzen Mal Leute mit Vertrag aus Griechenland gelassen und dann nicht mehr...“
Weswegen sind Sie ‘72 nach Deutschland gekommen?
2.30-3 „Ich hab schon in Griechenland gearbeitet, in einer Marmorfabrik, so Fenster für Küchen und
zu dieser Zeit ein bisschen weniger Geld gegeben in Griechenland... und ich habe gesagt zu meinem
Chef: ,Ich gehe nach Deutschland!’ und er konnte nicht reagieren, und er hat gesagt: ,Joo!’. Und dann
hab’ ich Arbeitserlaubnis, kriegst du bei Athen, und dann bist du eine Woche da und alles wird
untersucht, so Blut und... Urin... alles gesund gefinden... und ‘72 gekommen...“
Kommen Sie aus Athen?
3-4
„Ich komme aus Dialabi, aber zuerst musste ich nach Athen, dann wirst du nach Italien
verschickt, mit Zug zu München. Weißt du, das dauerte eine Woche und dann mit Zug nach
Flensburg... jetzt 26 Jahre durchgearbeitet...“
Wie war die Anfangszeit, haben Sie in einem Wohnheim gewohnt?
4-5
„Ja zuerst in einem Heim in der Wilhelmstraße, viele Griechen sind zuerst dahin gekommen.
Da kommt immer ein griechischer Dolmetscher. 9 Monate oder 8 Monate da gewohnt und dann hab’
ich den Personalchef gefragt: ,Kannst du meine Frau einladen?’, und ‘73 kommt meine Frau...
Weißt du, erster Anfang ist bisschen schwierig, kannst du nicht kaufen Brot, alles ganz schwierig...“
5
Wie lange hat es gedauert bis Sie sich eingelebt hatten, bis sie die Sprache gelernt haben?
„Och - 6 Monate...“
Wie war Ihr Anfang bei Danfoss
5-5.30 „Ich habe bis jetzt unter den deutschen Kollegen sehr gut gelebt, weißt Du, nicht Streit mit
deutschen Kollegen, früher auch viele griechische Kollegen, jetzt viele deutsche aber keine
Probleme...“
9
Herr Moustafa berichtete im ersten Teil des Gesprächs über den Vorgang der Entscheidung, in
Deutschland Arbeit zu suchen, der Reise nach Deutschland und dem Beginn des Lebens im
neuen, unbekannten Land. In seinen Antworten schien klar die eigene Entscheidung auf, etwas
in seinem Leben verändern zu wollen, die das entscheidende Moment für den Entschluss war,
nach Deutschland zu gehen. Ein Motiv das auch bei den weiteren Interviews immer wieder
auftauchte. Unzufriedenheit mit der Arbeit in Griechenland und die Hoffnung, in Deutschland
mehr zu verdienen, waren Grund für eine Arbeitssuche im Ausland, obwohl in Griechenland
oftmals der Ehepartner oder eine ganze Familie zurückblieb:
Was war das Schwierigste in der Anfangszeit
5.30-6.30
„Alles, weißt Du, Familie in Griechenland, ich hatte eine 18 Monate alte Tochter,
eine ganz kleine, meine Tochter, meine Frau, meine Mutter, meine Familie - alles da, so ist schwierig.
Kannst du sagen, alles ist am Anfang schwer, verstehst du, Sprache... Alles ist schwierig, 6 Monate
wollte ich zurück, hier konnte ich nicht verstehen...“
Wie wichtig dem Interviewten der Familienzusammenhalt war, wurde im gesamten Verlauf
des Gesprächs deutlich. Waren es beim Einleben in Deutschland seine in Griechenland
zurückgebliebene Ehefrau und die gemeinsame kleine Tochter, die neben der übrigen Familie
in Griechenland den Anfang in Deutschland schwierig machten, so war in der Zwischenzeit
die Familie in Deutschland, nämlich die Ehefrau, die 1973 nachgekommen war, beide Töchter
mit insgesamt vier Enkelkindern und zwei Geschwister, die mittlerweile ebenfalls in
Deutschland lebten, zum Grund geworden, nicht mehr nach Griechenland zurückkehren zu
wollen oder zu können. Wie schwer dem Befragten die Einsicht in diese Veränderung fiel,
war im Gespräch klar zu spüren. Beim Bericht über die Herzprobleme, die jedes mal beim
Urlaub in Griechenland verschwunden seien, lag Sehnsucht nach Griechenland in den
Gesichtszügen des Interviewten, daneben auch ein Blick, der Traurigkeit darüber spüren ließ,
dass auch alle längeren Urlaubspläne in Griechenland sich nicht verwirklichen lassen würden.
Wo hat Ihre Frau gearbeitet?
6.30-8 „Auch bei Danfoss, ‘73 auch angefangen zu arbeiten und ‘80 raus. In dieser Zeit unser
Arbeitschef hat gesagt: ,Zu wenig Arbeit hier, deswegen muss einer aufhören!’. Da habe ich gesagt:
,Viele hier haben doppelt Arbeit.’, da hat er gesagt: ,Ja aber zuerst muss einer aufhören von denen, die
hier sind!’. Und in den 26 Jahren, die ich hier gearbeitet, habe ich gesehen viele, die haben doppelt
Arbeit, aber meine Frau musste raus. Gottseidank aber habe ich Arbeit, haben ein Haus gekauft.
Weißt Du, ich hab’ kein Geld, hab’ zwei Töchter zum Heiraten gebracht...“
Wo haben Ihre Töchter geheiratet?
„In Flensburg...“
Sind Ihre Töchter mit Griechen oder mit Deutschen verheiratet?
8.10-8.30
„Mit Griechen..., alle sind hier zu Hause, eine jetzt mit kleinem Kind, hat gearbeitet,
hat jetzt aber ein kleines Kind, ein kleines Baby und arbeitet nicht....“
8
10
Haben Sie Kontakt zu anderen Griechen?
8.30-9 „Ja, viele Griechen sind hier, sehr gut Kontakt. Wir fahren jedes Jahr nach Griechenland in
den Urlaub, fünf Wochen, vier Wochen. Bisschen schwierig nach Griechenland zu kommen, bisschen
schwierig. Einiges ist schwer, gehst du einkaufen und es gibt nicht das, was du willst. Meine Tochter
ging hier zu Schule, sie konnte die Sprache nicht richtig. Die große Tochter auch hatte
Schwierigkeiten... “
Haben Sie noch Familie in Griechenland
9-9.30 „Vater und Mutter sind noch da, zwei Brüder, eine Schwester sind auch in Deutschland,
haben auch hier Arbeit, sind nachgekommen. Die Schwester ist in Dortmund, zusammen mit dem
kleinen Bruder... (lange Pause).
Was verbinden Sie mit Griechenland, was mit Deutschland?
9.30-11 (Gelächter) „Weißt du, das ist ganz einfach, ich habe zweimal Herzanfall hier, habe oft
Schmerzen im Brustkorb, Schmerzen am Herzen, in Griechenland nach einem Monat Urlaub sind die
Herzbeschwerden immer weg. Da gibt es Sonne, da sind die Herzbeschwerden immer weg. Fünf
Wochen in Griechenland und alles ist wieder gut. Hier immer ein bisschen schlechtes Wetter jetzt. Ich
habe jetzt schon 26 Jahre hier gearbeitet, ich kann jetzt nicht zurückgehen - das ist schwierig, ist
schwer jetzt, dahin zu gehen. In den 26 Jahren ist alles in Griechenland anders geworden...“
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
11-12 (Langer Seufzer) „Wenn ich denke zurückzugehen, weißt du, ich kann nicht, die Familie ist
hier. Die Geschwister, meine Töchter, eine hat ein kleines Kind. Vielleicht
drei
oder
sechs
Monate Griechenland, dann wieder hier. Aber mal sehen, was kommt. Kannst du das verstehen...“
Was denkt Ihre Frau darüber?
12-12.30„Meine Frau hat keine Familie in Griechenland mehr, ein Bruder und eine Schwester hier,
beide Eltern schon gestorben. Meine Frau sagt: ,Wir bleiben bei der Familie!’. Ich hab’ meine Frau in
Griechenland kennengelernt, wir waren schon verheiratet und hatten eine Tochter als ich herkam. ‘68
haben wir geheiratet in Griechenland...“
Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass sie damals nach Deutschland gegangen sind?
13.30-15
„Ja - sie hat gesagt: ,Es ist besser, wenn du nach Deutschland gehst, hier gibt es keine
Arbeit.’. Und dann Griechenland war auch sehr ungünstig, um zu arbeiten. Morgens um acht bis
abends um zehn. Aber jetzt auch acht Stunden genau wie in Deutschland und jetzt auch gute Arbeit,
Fabrikarbeit. Und meine Mutter und Vater bekommen Rente in Griechenland...
‘72 gab es einen Dolmetscher hier, der hat mir geholfen, dass auch meine Frau nachkommen konnte,
auch alles wie bei mir, Arzt in Griechenland, dann alles okey, ja dann kommst du her... Meine Frau
hat gleich gearbeitet, nicht so schwer wie ich, als sie kam, aber auch für sie Anfang - so 5 oder 6
Monate - waren schwierig...“
Wie sind Ihre Töchter aufgewachsen, haben sie in der Schule Griechisch gelernt?
15-15.30
„Nein, nur Deutsch. Aber zu Hause haben wir Griechisch gesprochen..., es ist
schwierig gewesen zu Hause nur Griechisch zu sprechen. Dann kommen sie aus der Schule und
sprechen nur Deutsch.“
Ihre Töchter haben Griechen geheiratet?
15.30-16
„Ja - aber beide arbeiten hier, sie haben sich hier kennengelernt... Meine Tochter
arbeitet bei Motorola, da hat man nicht viel Zeit wegzugehen, mein Schwiegersohn und sie
haben sich da bei der Arbeit kennengelernt...“
Wie viele Enkelkinder haben Sie denn?
11
16-19 „Vier, die große ist acht Jahre, die zweite sechs Jahre, die dritte ein Jahr, die vierte auch ein
Jahr. Lernen auch ein bisschen Griechisch, aber in der Schule kein Griechisch. Können ein bisschen
Griechisch verstehen, aber nicht so gut wie ich und meine Frau.“
Den Eindruck, dass er zuerst nicht an einen längeren Aufenthalt in Deutschland gedacht habe,
bestätigte Herr Moustafa im weiteren Gespräch. Demgegenüber stand jedoch sein Bemühen,
seine Frau nach Deutschland kommen zu lassen, denn ein Jahr, nachdem der Berichtende nach
Flensburg gekommen war, kam auf seine Veranlassung auch seine Frau nach SchleswigHolstein Flensburg und fand Arbeit bei Danfoss. Schritt für Schritt verlagerte sich damit der
Lebensmittelpunkt nach Deutschland - mit der Einschulung der Kinder in einer deutschen
Schule war schließlich ein neue Qualität erreicht. Herr Moustafa erzählte, dass es nicht
einfach gewesen sei, mit den Kindern Griechisch zu sprechen, wenn diese aus der Schule
gekommen seien und nur Deutsch gesprochen hätten. Wie stark die Sprachkompetenz des
Griechischen durch drei Generationen in der Familie abgenommen hatte, konnte auch am
Bericht über die Enkelkinder erkannt werden.
Die Bedeutung der Sprache und das Bedauern darüber, dass die eigenen Kinder die
Sprache der Eltern nicht richtig erlernt hätten, kam auch in den weiteren Interviews zum
Ausdruck.
Im letzten Teil des Gesprächs berichtete der Interviewte über seine finanzielle
Lebenssituation. Dass diese schwierig sei, war schon im ersten Teil des Gespräches
angeklungen, in den Aussagen, dass es teuer gewesen sei, zwei Töchter zur Heirat zu bringen
und in der Enttäuschung darüber, dass seine Frau 1980 aus dem Arbeitsverhältnis bei Danfoss
entlassen worden sei. Hier mischte sich neben dem Bedauern über die hohen Kosten der
Arzneimittel auch Wut mit hinein:
Wenn Sie zurückschauen, haben Sie Sich vorgestellt, als Sie hier nach Deutschland
gekommen sind, dass Sie hierbleiben würden?
19-27 „Nein - das habe ich nicht erwartet. Ich habe gedacht, jetzt arbeitest du hier vier oder fünf
Jahre und dann gehst du zurück, aber dann bin ich hiergeblieben. Nach fünf Jahren hat meine Frau
dann gesagt: ‘Wir bleiben hier!’
Vieles war wichtig - die Arbeitskollegen, dass meine Familie hier war, meine Töchter sind hier zur
Schule gegangen. Und jetzt sind wir fast 30 Jahre hier...
Viele sind auch zurückgegangen und bekommen jetzt Rente in Griechenland, die haben Geld gespart.
Jetzt in den letzten 6 oder 5 Jahren hat sich viel in Griechenland verändert. Viel Arbeit da, in Fabriken
und auf der Baustelle, jetzt gibt es auch da alles: Autos....
Jetzt auch Arbeit von morgens 8 bis abends 8 und was verdienst du, eine Frau verdient 370 oder 380
DM und was brauchst du, das Leben in Griechenland ist jetzt fast genauso teuer wie in Deutschland....
Auch in Griechenland braucht man Geld.... Alles ist teuer jetzt, so wie hier...
Jetzt verdiene ich 6000 Mark Brutto, wie viel habe ich davon noch übrig, vielleicht 3000 Mark Netto.
Der Rest, weißt du, hier gibt es zu viele Asylanten, ich seh’ das ja jeden Tag. Das was ich verdiene,
muss ich wieder für die abgeben... Für 100 DM im Monat muss ich Medikamente für das Herz kaufen
12
- so viel Geld. Und die bekommen das alles umsonst... Das ist schwierig, ich kann jetzt kein Geld
sparen, wir haben ein Haus und ein Auto...“
Sehen Sie Ihre Töchter oft?
27-30 „Oh ja, jedes Wochenende, der Kontakt ist sehr wichtig, sie besuchen uns und dann kommen
oft auch noch andere Freunde und dann haben wir ein Fest...“
Dieses erste Gespräch zeigte klar, wie schwierig es zum einen war, die Interviews einfühlend
zu führen, weil auf die wiederholte Frage, ob man seine Lebenssituation verstehe, allein schon
aufgrund des Altersunterschiedes zwischen Erzählendem und Fragesteller - abgesehen von der
grundverschiedenen Lebenssituation - von einem „Verstehen” nicht gesprochen werden
konnte. Die Schwierigkeiten im „Verstehen”, die der Altersunterschied in einem Gespräch
aufkommen ließ, waren mehr oder weniger deutlich in jedem Interview spürbar. Menschen,
die seit Jahrzehnten im Berufsleben standen, berichteten jemandem, der zur Generation ihrer
Kinder gehörte.
Zum anderen erzählte Herr Moustafa über sein Leben in einer Form, die mitteilte, wie
schwierig für ihn seine Sehnsucht nach Griechenland und einem Leben dort sich mit seinem
Leben in Deutschland vereinbaren ließ. Während seine Frau, seine Töchter, vermutlich auch
seine Geschwister sich auf ein Leben in Deutschland festgelegt hatten, war seine Krankheit,
die in Griechenland immer verschwinde, Ausdruck und Bild für ein vermutetes besseres
Leben in der alten Heimat, in der noch seine Eltern lebten. Die Sehnsucht nach dem, was sich
nicht verwirklichen ließ, schien eine typische Situation im Lebens des Befragten zu sein, sei
es in der Anfangszeit in Deutschland als Frau und Kind in Griechenland waren oder,
mittlerweile in Deutschland lebend, die alte Heimat Griechenland. Doch neben diese
Sehnsucht trat das Bewusstsein, sich in Deutschland fest eingelebt zu haben. Neben der
Familie zeigte die Tatsache, dass er sich mit seiner Frau ein Haus gekauft habe und ein Auto
besitze, wie sehr der Interviewte im Leben in Deutschland verwurzelt war.
5.
Interview mit Maria Bourotzaki
Geboren: 1949; Eintritt in den Betrieb: 7.04.1970; Tätigkeit: Montagehelferin; verheiratet mit
einem Griechen, ein Sohn, eine Tochter
Anmerkungen
Frau Bourotzaki kam vor Schichtbeginn der Spätschicht zum Interview, schon im ersten
Eindruck stellte sie sich als eine lebensfrohe, gesprächige Person heraus. Dieser Eindruck
13
sollte sich im Verlauf des Gesprächs bestätigen. Zwar fiel es ihr an einigen Stellen schwer,
ihre Gedanken schnell auf Deutsch auszudrücken, alles in allem bereitete ihr die Sprache
allerdings keine Probleme. Auch dieses Gespräch fand wie das erste im Besprechungsraum
der Personalabteilung statt
Eingangsfrage: Erzählen Sie doch darüber, wie Sie nach Deutschland gekommen sind!
1-4
„Ich bin jetzt am 24. dieses Monats dreißig Jahre hier. ‘68 bin ich gekommen mit 19 Jahren.
Ich bin zuerst nach Satrup gekommen, zur Firma Redleffsen, Wurstfabrik, da hab’ ich 20 Monate
gearbeitet, und dann hab’ ich meine Mann kennengelernt. Mein
Mann hat hier angefangen im
September ‘69. Da hab ich meinen Mann kennengelernt und hab’ mich verlobt. Dann hab’ ich ganz
schnell hier angefangen. Ich hab’ gekündigt und dann bin ich hier geblieben. Meine Familie hab’ ich
hier gebaut, zwei Kinder hab’ ich. Das hat geklappt, immer hat das geklappt mit dem Schichtwechsel,
das war natürlich nicht einfach mit den Kindern und dem Schichtwechsel. Doch bis jetzt haben wir
das geschafft. Ja- doch das Leben ist gar nicht so einfach. Man muss immer kämpfen, man kann nie
sagen, ,jetzt ist genug!’. Man muss immer weitermachen. Meine Kinder sind jetzt groß, mein Sohn
studiert. Meine Tochter lernt Zahntechnikerin, wir haben hier auch ein Haus gekauft. Hier in der Nähe
der Arbeit, nicht zu weit. Na und - wir warten jetzt, mal sehen, ob die Kinder was machen. Wir
möchten auf keinen Fall jetzt zurück. Die Kinder sind auch beide hier zufrieden, die Kinder haben
hier ihre Freunde. Die eine ist mit einem Deutschen zusammen, der andere auch mit einer
Ausländerin. Naja - die Mutter ist Dänin, der Vater Italiener, die studiert auch in Kiel. Wir haben hier
unsere Arbeit noch. Gottseidank.“
Schon in dieser ersten Äußerung waren alle Punkte angelegt, die im nachfolgenden Gespräch
weitere Erklärungen erfuhren - ihr Ehepartner, ihr Sohn und ihre Tochter, vor allem auch
Probleme mit der Schichtarbeit im Wechsel der Ehepartner als ihre Kinder noch klein waren.
Es überraschte mit welcher Sicherheit Frau Bourotzaki über ihren Anfang bei Danfoss und die
Länge ihrer Arbeitszeit in der Firma spontan Auskunft gab. Ebenso wie im ersten Gespräch
entwickelten sich auch hier die Gedanken vom Arbeitsplatz weg hin zum Beginn des Lebens
in Deutschland.
Die Tatsache, dass sie zuerst in einer anderen Fabrik gearbeitet hatte und dann wegen
ihres Mannes zu Danfoss gewechselt war, zeigte, dass es ihr recht einfach möglich gewesen
sein musste, den Arbeitsplatz zu wechseln. Die anpackende Lebenseinstellung, „man muss
immer kämpfen...”, war Grundmotiv im Leben dieser Erzählenden. Wie schwierig die
Anfangszeit gewesen war, welche Hürden es im Alltagsleben zu überwinden gegolten habe,
darauf ging sie in der zweiten Hälfte ihres Berichtes ein. Vorher jedoch erzählte sie über den
Entschluss, nach Deutschland zu gehen: die Schwierigkeiten mit ihrem Vater in Griechenland
seien so groß gewesen, dass sie die Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten, als Chance
begriffen habe, aus diesem problematischen Verhältnis zu fliehen. Damit war allerdings nicht
der Bruch zur übrigen Familie vollzogen, sie habe ihre Mutter über Jahre finanziell
unterstützt, denn ihr Vater und ihre Mutter hätten sich scheiden lassen. Dass sie ihre Mutter
14
mittlerweile zu sich nach Deutschland geholt habe, berichtete Frau Bourotzaki später, zwei
ihrer vier Geschwister lebten ebenfalls in Deutschland, eine Schwester arbeitete ebenfalls bei
Danfoss.
Weswegen sind Sie nach Deutschland, nach Satrup gekommen?
4-8
„Ich wollte Arbeit bekommen. Ich hab viele gesehen aus meinem Dorf, wir waren Bauern, wir
haben auf dem Land gelebt und gearbeitet. Wir haben gutes Land gehabt und auch Land verpachtet.
Mein Vater - wir waren vier kleine Kinder und das war viel Arbeit auf dem Land zu arbeiten. Wir
hatten zu Hause Kühe und das und das und das. Und dann sah ich die Leute, die aus Deutschland
kamen, die sahen besser aus und ich hab’ sie gefragt, wie das da ist. Und die haben gesagt: ,Hier
arbeitest du so viel für deinen Vater so viele Stunden und da arbeitest du für dich!’. ,Du hast Lust zu
arbeiten!’, haben sie gesagt, ,also geh’ doch mal hin!’
Mein Vater hat sich natürlich geweigert, hat gesagt, ,Nein!’. Aber ich bin trotzdem gekommen und
hab’ in Satrup angefangen. Damals hab ich jeden Tag 11 Stunden gearbeitet, das war viel Geld für
mich. Meine Mutter war krank, so hab ich Geld zu meiner Mutter geschickt. Meine Mutter und mein
Vater hatten sich geschieden. Sie war krank, ich hab 800 DM oder 850 DM geschickt. Denn ich hab
320 Stunden pro Monat gearbeitet. Ja - und dann mit meinem Mann da haben wir beide zusammen
900 DM. Aber ich war sehr zufrieden, die Firma in Satrup war gut. Wir haben Wurst gemacht. Da
konnte man auch immer gut essen, das Geld haben wir gespart... Das war wunderbar. Aber nachher
hat mein Mann gesagt: ,Ich kann nicht nach Satrup kommen, denn ich hab den Vertrag hier für ein
Jahr. Kommst du zu mir?’, dann bin ich hier hergekommen. Aber hier bin ich auch zufrieden.
Mensch... - was braucht ein Mensch überhaupt?
Wir haben genug erreicht - unser Haus, unsere Kinder sind groß, wir sind zufrieden in Deutschland.
Wenn man Arbeit hat, wenn beide Arbeit haben, dann geht es einem gut.“
Tägliche Arbeitszeiten von 11 Stunden, eine Monatsarbeitszeit mehr als 300 Stunden, dabei
wenig Verdienst, von dem sie einen Teil nach Griechenland schickte. Diese beispielhaften
Beschreibungen machten klar, wie sehr die aufblühende deutsche Wirtschaft von den
ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern profitierte. Gegen geringen Lohn
arbeiteten die ausländischen Beschäftigten zu Bedingungen wie sie die Tarifverträge für die
meisten deutschen Beschäftigten nicht zugelassen hätten. Auch bei Frau Bourotzaki war in der
Anfangszeit, der Gedanke nach Griechenland zurückzukehren, Grund, Geld zu sparen und
sich mit einfachsten Lebensverhältnissen zu begnügen. Die Möglichkeit auf der Arbeitstelle
kostenlos zu essen, wurde als praktischer Nebeneffekt der ersten Beschäftigung in der
Lebensmittelindustrie erinnert.
In der folgenden Antwort wurde ersichtlich, welche Wichtigkeit das Treffen mit
anderen Griechinnen und Griechen hatte. Frau Bourotzaki hatte in der Griechischen Gemeinde
ihren späteren Ehemann kennengelernt, neben der Arbeit als Treffpunkt waren solche
gemeinsamen Freizeitaktivitäten wichtige Kontaktmöglichkeiten. In Städten mit größerer
griechischstämmiger Bevölkerung habe es noch mehr gemeinsame Aktivitäten der
Griechinnen und Griechen gegeben:
Wo haben Sie ihren Mann kennengelernt?
15
8-9.30 „Hier in der griechischen Gemeinde, damals gab es einen dänischen Pastor, hier in der Breiten
Straße ist eine dänische Kirche, er hat viel für die Griechen organisiert, damit alle zusammenkommen
konnten. Hier alle aus Schleswig-Holstein, dann gab es Kaffeetrinken und Tanz und Musik gab es,
damals gab es so viele Griechen. Jetzt ja nicht mehr so viele. Viele sind zurück, oder in eine andere
Stadt. In anderen Städten sind mehr Griechen. Die haben es besser. Wir sind hier in einer Ecke in
Schleswig-Holstein. In Stuttgart und in den anderen Städten sind sehr viele Griechen. Die haben viel
Spaß. Aber wir sind hier geblieben, wir sind auch zufrieden.
Haben Sie ihren Mann dann geheiratet?
9.30-10 „Ja, sofort, fast sofort, ich hab meinen Mann im Januar kennengelernt und im April haben wir
uns verlobt und am 24 Mai haben wir geheiratet und sind sofort zusammengezogen Zuerst in eine
ganz kleine Wohnung. Das war damals nicht so wie
jetzt. Damals war Flensburg nicht so wie jetzt,
nicht so modern. Wir haben immer gedacht, einen Tag geht es zurück, deswegen mussten wir das
Geld behalten und sparen. Da gab es keine Heizung, keine Dusche und so - nichts.
Und jetzt leben wir viel viel besser. Die Leute haben es jetzt aber auch gut in Griechenland. Da
kommen viel Touristen. Ich bin jetzt 39 Jahre hier. Mein ganzes Leben kenn’ ich jetzt von
Deutschland. ich bin zufrieden mit den Leuten und so.
Wann sind Ihre Kinder zur Welt gekommen
10-16 „Mein Sohn ist im Januar ‘71 zur Welt gekommen, er ist jetzt 28, meine Tochter ist 24. Mein
Sohn wollte in Griechenland zur Schule gehen - also zum Gymnasium. Bis 13 hat er hier die
Hauptschule fertiggemacht - Griechisch und Deutsch. Damals gab es auch viel griechische Kinder
hier. Haben wir viele Stunden Griechisch gehabt, fast vier Stunden jeden Tag und Deutsch. und
dann sagte mein Sohn: .Ich glaube, ich möchte in Griechenland zur Schule gehen!’, und ich hab
gesagt: ,Wir können jetzt noch nicht zurückgehen, wir haben noch nicht das erreicht, was wir
möchten. Vielleicht finden wir in Griechenland keine Arbeit!’. Und dann hat meine Schwester ihn zu
sich genommen, sie war Hausfrau und hatte zwei große Kinder, und sie hat ihn zu sich genommen. 6
Jahre hat er da bei seiner Tante gelebt, 6 Kilometer außerhalb der nächsten Stadt. Mein Sohn war da
ganz gut in der Schule. er stand sogar in der Zeitung. und dann nach zwei Jahren wollte er wieder
zurück zu uns. Da haben wir gesagt: ,Nee, nee, nee, das geht nicht. Jetzt musst du da fertig werden
und dann kommst du nachher zurück, wenn du studieren möchtest!’. Und dann hat er Geduld gehabt
und hat das fertig gemacht. Aber er ist immer Weihnachten und in den Sommerferien hier
hergekommen. Er hat Schmerzen gehabt, seine Schwester war hier, Mama und Papa...
Und dann haben wir gesagt, als er fertig war, ,Wenn du möchtest können wir jetzt nach Griechenland
kommen!’. Mein Mann hat zum Glück zwei rechte Hände. Er hat auch studiert ‘75 - so mit Schreiben
von Griechenland, das hieß Clemens - Clemens, das war für Radio- und Fernsehmechaniker, das hatte
er gelernt. [Frau Bourotzaki meinte hier ein Fernstudium, Anm. d. Verf.]
Und wir wollten einen solchen Laden aufmachen. Bisschen Geräte kaufen und verkaufen und
reparieren und sowas. Aber der Sohn wollte unbedingt in Deutschland studieren er hat gesagt: ,In
Griechenland gibt es nicht so moderne Geräte, da in der Schule so wie in Deutschland.’. Er kam ja
jedes Jahr hierher und hat sich alles angeguckt. So die Computer in der Schule und der hat gesagt. ,So
etwas haben wir da nicht.’. Dann ist er hier hergekommen, hat sich an der Kieler Universität
beworben und er ist da angenommen worden. Mal sehen, jetzt möchte er seine Diplomarbeit
schreiben, hoffentlich ist er in diesem Jahr fertig, er studiert Informatik.
Meine Tochter ist ‘75 zur Welt gekommen, die lernt jetzt Zahntechnikerin. Meine Tochter war nicht
in Griechenland, sie hat hier die Schule gemacht, auch Griechisch und Deutsch, sie hat auch ihr
Abitur gemacht. Und sie wollte auch studieren, aber dann hat sie gesagt: ,Mensch, mein Bruder
studiert jetzt schon so lange mit Computern und er hat noch nichts fertig!’. ,Da’, sagte sie, ,dann will
ich eine Lehre machen!’. Sie wollte ihren Eltern auch Miete bezahlen. Sie hat gesagt: ,Das ist doch
eine Belastung für euch und dann hat sie ihre Ausbildung als Zahntechnikerin begonnen...mal sehen
was sie macht, wenn sie fertig ist...“
16
Hier erzählte Frau Bourotzaki über die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben. Sie kam zu
diesem Gedanken im nachfolgenden Gespräch noch zweimal zurück. Vor dem
Ausbildungsgang ihres Sohnes beschrieb sie oben die Entwicklung ihres Entschlusses auf die
Weise, dass sie und ihr Mann tatsächlich zu einer Zeit daran gedacht hätten, nach
Griechenland zurückzukehren. Die Lebenssituation der Tochter, die zu diesem Zeitpunkt in
Deutschland noch zur Schule gegangen sein musste, spielte in den Überlegungen über eine
Rückkehr keine wichtige Rolle. Auf ihre Tochter ging die Interviewte am Ende dieses
Gesprächteils kurz ein, scheinbar beiläufig erwähnte sie deren Ausbildungsgang
voraussetzend, dass deren Leben ganz normal weiterverlaufen werde.
Wie sehen Ihre Verbindungen nach Griechenland aus?
16-17 „Wir fahren regelmäßig nach Griechenland, meine Mutter wohnt aber seit 20 Jahren bei mir,
so lang hab ich sie hier und sie hat Asthma und Bronchitis. Deswegen können wir nicht jedes Jahr
nach Griechenland fahren, aber jedes zweite oder jedes dritte Jahr fahren wir. Die Kinder, mein Sohn,
nicht so oft, aber meine Tochter ist jedes Jahr in Griechenland. Sie hat ja ihre Cousinen da, das macht
ihr Spaß, ein bisschen Klimawechsel, das tut gut. Ich finde es wichtig, das meine Kinder diese Heimat
kennenlernen. Hier wissen sie, die Deutschen sind manchmal ein bisschen so zu. Ich weiß nicht, ob
unser Temperament das so macht, wir haben die Familie, die muss zusammenhalten. Also nicht mit
Geld zu unterstützen, die haben auch ganz gut Geld da, aber es ist gut wenn man Kontakt mit der
Familie hat. Viele Cousinen gibt es, es ist eine große Familie. Fünf Geschwister, die haben alle
Kinder. Die eine ist Lehrerin, die andere das und das. Und möchte, das meine Kinder die Erfahrung
machen - 1000 DM bezahlst du und machst einen Monat da Urlaub...“
Was machen denn Ihre Geschwister?
17-17.30
„Zwei Schwestern sind hier, eine arbeitet auch hier bei Danfoss. Ich war die erste, die
hier nach Deutschland gekommen ist. Ich war die Älteste und dann alle fünf Jahre noch ein Kind...“
Wie war der Anfang in Deutschland?
17.30-19
„Ich war zufrieden in Satrup, wie schon gesagt, da bekomme ich so viel Geld. Und für
mich war das in Griechenland nicht, für meinen Vater hab’ ich gearbeitet und hab nichts für mich
gehabt, außer Kleidung und so. Wenn ich Sachen mache, dann vollständig, so konnte ich meinen
Geschwistern helfen und meiner Mutter - ich hab Geld geschickt und so konnte ich meiner Familie
helfen. Denn mein Vater hat immer sein persönliches Leben gemacht. Und ich war zufrieden. Und
dann hab ich meinen Mann kennengelernt, einen sehr, sehr guten Menschen, den kennen alle hier in
Flensburg und bei Danfoss. Wir haben eine gute Familie, meine Kinder sind sehr gut - nicht rauchen,
nicht trinken und so... sehr gut. Wir sind zufrieden.“
Wann war es für Sie so, dass Sie gesagt haben: „Wir bleiben in Deutschland!“?
19-20 „Als mein Sohn gesagt hat, dass er hier studieren will. Ich hab so oft zu den Freunden in
Griechenland gesagt, ,kommt doch vorbei und besucht uns in Deutschland!’. Aber das ging immer
nicht. Sie können nicht kommen - und wir konnten ja reisen.
In Deutschland ist das Leben anders. Deutschland ist viel, viel vor Griechenland. Griechenland ist
vielleicht in 50 Jahren später so weit wie Deutschland. In Deutschland zu leben ist, glaub ich, noch
billiger als in Griechenland...”
Dass die Entscheidung der Familie in Deutschland zu bleiben, so von der Entscheidung des
Sohnes abhing, erschien unglaubwürdig - waren doch in der Zwischenzeit zwei Geschwister
17
nach Deutschland gekommen, ging die Tochter in Deutschland zur Schule, war der
Lebensmittelpunkt eindeutig nach Deutschland gewandert.
Im letzten Gesprächsteil kam die Interviewte noch einmal auf die Entscheidung, in
Deutschland zu bleiben, zu sprechen, dabei bekam ihre eigene damalige Beurteilung mehr
Gewicht als in der obigen Beschreibung.
Der Lebensweg des Sohnes warf ein interessantes Licht auf die Familiensituation - er
war das einzige Beispiel für jemanden von dem in den Interviews berichtet wurde, dass er von
Deutschland aus für eine Zeit nach Griechenland gegangen sei, von dort jedoch (zu seinem
Studium) zurück nach Deutschland kam. Im Leben des Sohnes, der in seiner Entscheidung als
14 oder 15 Jahre alter Schüler nach Griechenland zu gehen, um dort das Gymnasium zu
besuchen, sicherlich nicht so frei von den Entscheidungen seiner Eltern war, wie es der erste
Bericht über ihn beschrieb, zeigte sich die unbewusste Sehnsucht der Berichtenden, doch als
ganze Familie nach Griechenland gegangen zu sein. So habe es auch den Plan ihres Mannes
gegeben, sich in Griechenland selbständig zu machen und ein Elektrogeschäft zu eröffnen.
Gleichzeitig war jedoch auch das Wissen um die damalige Unmöglichkeit dieses Vorhabens
in der Erzählung ersichtlich - während zuerst die Familie nicht zusammen mit dem Sohn nach
Griechenland gehen konnte, weil „noch nicht alles erreicht gewesen” sei, war später der
Wunsch des Sohnes, in Deutschland zu studieren, das Argument wegen dessen die Familie
nicht mehr gehen konnte und wollte.
Was finden Sie in Griechenland und was in Deutschland ganz wichtig?
20-21.30
„In Griechenland da Klima ist so schön, die Leute sind so warmherzig. Du bist immer
herzlich willkommen - überall. Aber in Deutschland bin ich auch zufrieden. Ich komme mit allen
zurecht, ich habe noch nie einen gefunden, der schlecht zu mir gewesen ist - natürlich gibt es auch
Leute, die haben so Eifersucht. Aber die Deutschen sind als Menschen okey! Aber in Griechenland
sind die Leute mehr warm, alle sind auf der Straße und fragen, wie ist es denn in Deutschland. Die
Deutschen bisschen - mmmhh! Die haben alle eine harte Woche, deswegen möchten sie nichts von
den anderen wissen. Diese Erfahrung habe ich gemacht!“
Kennen Sie Griechen, die zurück nach Griechenland gegangen sind?
21.30-22
„Ja, ja, hier in Flensburg war mein Schwager und viele aus seinem Dorf. Und ich bin
ja auch aus meinem Dorf weggegangen und nach Satrup gekommen. Und alle, die mit mir da
gearbeitet und im Wohnheim gewohnt haben, wir haben Spaß gehabt, die sind jetzt alle wieder in
Griechenland. Alle in Athen oder Thessaloniki - das mag ich auch nicht. Ich mag hier auch in
Flensburg gehen, es ist nicht eine ganz so große Stadt und die Firma ist nicht zu weit weg. Ich bin
immer mit Fahrrad unterwegs - ungefähr ein Kilometer ist es bis zu meinem Haus. In manchen Plätzen
hier in Deutschland, da musst du einen Zug oder einen Bus nehmen, um zur Arbeit zu kommen...“
Waren die Schichtwechsel zwischen Ihrem Mann und Ihnen nicht schwierig?
22-26 „Ja, das war ein bisschen schwierig. beide Kinder und so... Da hab ich es schwer, Kinder nach
Hause. Und für die eine Stunde, die mein Mann und ich nicht zu Hause waren [während des
Schichtwechsels, Anm. d. Verf.], brauchte ich immer ein Mädchen, das aufpasst. Und das ist
18
manchmal nicht gekommen, dann hab ich meinen Sohn im Kinderwagen mitgenommen. Einen Tag
hat es so geregnet, da war der ganze Kinderwagen voller Wasser. Ja, man hat es schon schwer gehabt.
Aber wir haben es trotzdem geschafft, mein Mann war gut.
Die nächste Generation hat es viel, viel besser als wir. Drei Jahre zu Hause zu bleiben, wenn du ein
Kind hast, Geld kriegst du... Mein 2 Monate altes Baby musste ich zu Hause lassen und arbeiten.
Windelwechsel - es gab keine Waschmaschine da - und es gab keine Pampers. Als ich meine Tochter
geboren habe, da gab es Pampers-Windeln. Für meinen Sohn hab’ ich abends die Windeln mit der
Hand gewaschen und da war keine Heizung, so musste ich Feuer machen und die Windeln darüber
trocknen. Das war sehr schwer.
Gottseidank haben wir es geschafft, aber wir haben immer gedacht, wenn wir zurückgehen, müssen
wir sparen und dann habe ich jetzt gesagt: ,Jetzt ist Schluss!’.
Ich bin jetzt 51, mein Mann ist 53, jetzt muss das ein bisschen anders gehen. Gottseidank haben wir
unser Haus gekauft. Also ich muss nicht jede Woche zum Essen nach draußen gehen, da hab ich
meinen Grill zu Hause und meine Schwestern kommen und meine Kinder - es ist schön so.
Es war eine schwere Zeit, aber wir haben es geschafft. Wenn man will schafft man das alles... und
wenn sich beide Partner verstehen. Ich hab’ einen ganz guten Partner, mein Mann war ganz gut. er hat
mich verstanden, er hat mir geholfen. Dann hab’ ich geschlafen, dann ist mein Mann nach Hause
gekommen um zwölf, bisschen aufwachen, dann hab ich ein bisschen das Baby gefüttert. Haben wir
es geschafft. Aber wir haben gesagt, zwei Kinder sind genug, jetzt ist Schluss.”
Im Bericht über die Schwierigkeiten mit ihren kleinen Kindern war ihre Haltung „man muss
immer kämpfen”, so deutlich zu spüren wie in keinem anderen Teil des Gesprächs. Daneben
war Stolz darüber zu bemerken, dass sie es trotz aller Schwierigkeiten geschafft habe und
Freude über die Zusammenarbeit mit und das Verhältnis zu ihrem Mann. Die Berichtende trat
in diesem Teil als jemand auf, die die wichtigen Entscheidungen ihres Lebens aufgrund ihrer
eigenen Beschlüsse getroffen hatte. Ähnlich wie sie bei ihren Entschluss, nach Deutschland zu
gehen gegen den Willen ihres Vaters durchgesetzt hatte, so war die Entscheidung, in
Deutschland zu bleiben nach dieser Beschreibung - und mit einer stärkeren Betonung auf
ihrem eigenen Willen als im ersten Teil des Gesprächs - ihr persönlicher Entschluss. Eine
Entscheidung mit der es ihr und ihrem Ehemann ebenfalls möglich wurde, sich in
Deutschland niederzulassen und ein Haus zu kaufen.
Haben Sie Kontakt zu anderen Griechen in Flensburg?
26-28 „Ja - zu zwei oder drei anderen Familien, zu den Freunden meines Mannes. Meine Freunde,
unsere Trauzeugen, das waren auch die Paten zu meinem Sohn. Meine Schwestern sind da, die haben
auch Kinder.... (Gelächter) oh ja, es sind genug da...
Und die, die zurückgegangen sind, denen geht es auch gut, die haben Auto und ein kleines Häuschen.
Ich glaube, wenn mein Mann und ich zurückgegangen wären, wär’ es uns auch gutgegangen, mein
Mann kann seine Hände gebrauchen. Wenn wir Urlaub machen, lassen sie uns nicht gehen: ,Meine
Wachmaschine ist kaputt, mein Radio ist kaputt!’. ,Kommst du, kommst du?’ und dann sag ich: ,Ja
gut, aber dann musst Du auch bezahlen, er hat das gelernt!’. Wer zwei, drei Arbeiten macht, schafft
gut, aber wer das nicht kann, für den ist es schwierig.
Wir haben viele besucht, die zurückgegangen sind, einige haben es gut, einige nicht. Hätten wir eine
Firma gehabt und gearbeitet, dann gut. Aber es gibt nicht so viele Arbeit in Griechenland.
Aus welcher Region stammt Ihre Familie?
19
28
„Aus Nordgriechenland, mein Dorf ist ungefähr 80 km, das Dorf meines Mannes ungefähr 30
km von Saloniki entfernt. Aber in meinem Dorf hatten wir gute Erde, so hatten wir Baumwolle,
Tomaten, Mais, Wassermelonen, Honigmelonen. Wir hatten Wasser und so auch Süßwasserfische.
Wir haben immer Fisch gegessen, aber da wo mein Mann herkommt, da gibt es nichts. Das ist bergig
da, nicht so große Berge, aber die Äcker sind nicht so gut. Und es gibt nicht genug Wasser - das macht
auch einen großen Unterschied. Das Leben von meinem Mann und mir war sehr unterschiedlich. Mein
Leben war viel, viel besser als das Leben meines Mannes. Mein Mann hat Käse und Brot und Wasser
gehabt. Wir haben alles gehabt und so viel Wassermelonen, das wir den Kühen zu fressen gegeben
haben und den Schweinen. Wir haben Schweinefleisch gehabt...
Aber wie gesagt, ich möchte selbständig arbeiten, nicht für meinen Vater das Geld, deswegen bin ich
nach Deutschland gekommen.
Es ist auch so, wenn man heiratet, muss man in das Dorf seines Mannes gehen, und als wir uns
überlegt haben, vielleicht einen Laden zu kaufen, hat der Sohn gesagt: ,Ich komme zurück!’. Da hab
ich gesagt: ,Dann bleibe ich auch hier.’.
Hier habe ich meine Kinder bei mir, so kann ich kontrollieren, ob es meinen Kindern gut geht, ich
möchte nicht weg von meinen Kindern.
Zuletzt war mein Sohn sehr krank... Also am 13 Mai - er spielt viel Schach, er wollte da groß werden,
deswegen hat er ein bisschen weniger studiert - und er hat verloren und hat ganz viel Traurigkeit
gehabt und hat Enzephalitis bekommen. Er war 17 Tage in Kiel in der Uniklinik und da habe ich
gesagt, ,Nie wieder!’.
(Lachen) Jetzt muss ich jede Woche kontrollieren, wie es meinen Kindern geht.
Meine Tochter wohnt bei uns zu Hause, sie hat einen deutschen Freund, in drei Wochen fahren die
beiden zusammen nach Griechenland in den Urlaub. Er ist ein Original-Deutscher.”
Was ist ein Original-Deutscher?
34-42 „Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater ist Deutscher. Er möchte nicht zu viel Kontakt mit uns,
er möchte meine Tochter, aber von uns möchte er nichts wissen, er ist so... Und das macht meine
Tochter wütend. ,Er ist so ein Holzkopf’, sagt sie, ,mal gucken, wie weit es mit ihm geht. Er fragt
mich nicht, wie es meinen Eltern geht!’. Er kommt mit Auto, wenn sie zu spät kommt, bestraft er sie
und sie ist so ein nettes Mädchen...
Dieses Theater geht jetzt schon so seit vier Jahren und jetzt fahren die beiden nach Griechenland. Mal
sehen wie es den beiden geht. Ich hab den beiden gesagt: ,Ich misch’ mich nicht in Euer Leben ein’.
Mal sehen!” (Lachen)
6.
Interview mit Sofia Anthopoulou (A)
Eintritt in den Betrieb: 1.12.1969; Tätigkeit: Montagehelferin; verheiratet mit einem Griechen,
eine Tochter, zwei Söhne
und Evgenia Stavropoulou (S)
Geboren: 1952; Eintritt in den Betrieb: 29.06.1970; Tätigkeit: Montagehelferin; verheiratet
mit einem Griechen, ein Sohn, eine Tochter
Anmerkungen
Dieses dritte Interview fand mit zwei Interviewpartnerinnen statt, der Ort an dem wir uns
unterhielten war derselbe wie bei den Gesprächen zuvor. Der Ablauf des Interviews sah
ebenfalls ähnlich aus. Beide Interviewpartnerinnen trugen noch ihre Arbeitskleidung und
20
kamen wie sich am Ende des Gesprächs herausstellte, direkt aus der Schicht. Beide
unterstützten sich gegenseitig in ihren Erzählungen, sehr oft kam ein gegenseitiges Bestärken
in ihren Ausführungen vor. Beide kannten sich schon lang und machten den Eindruck, sehr
gut befreundet zu sein.
Eingangsfrage: Wie kommt es, dass Sie nach Deutschland gekommen sind, wie lange sind Sie
schon hier?
1-4
A: „Knapp 30 Jahre kann man sagen. Im November ‘69 bin ich hergekommen. Da haben wir
nicht so viel Arbeit in Griechenland gehabt. Wir haben in einem kleinen Dorf Bauarbeit gemacht,
dann kamen wir hierher - (Lachen) für ein paar Jahre. Nicht viele - ein paar Jahre. Und jetzt sind es
knapp 30 Jahre (Lachen). Zunächst erst einmal aus Zuhause weg, da war das ein bisschen schwer für
uns und die Sprache und dann hatten wir die Arbeit und die Kollegen. Kein Probleme gehabt. Der
Familie hier geht es auch gut. Mein ältestes Kind, das ich eine Tochter, lebt in Griechenland. Die war
bei uns hier zweieinhalb Jahre, länger wollte sie das nicht machen und die anderen - zwei Jungs. Der
älteste ist verheiratet mit einem deutschen Mädchen und der jüngste, der ist jetzt hier Lehrling bei
IBF. Als Industriemechaniker, er wollte das machen und mein Mann arbeitet auch hier.“
4-8
S: „Ich komme hier her als ich 18 Jahre alt war, ich bin jetzt auch 29 Jahre hier in
Deutschland. Ich bin nicht von dort, wo ich herstamme, weggegangen, denn ich komme vom Land
und wir haben keine Lust gehabt, auf dem Land zu arbeiten. Wir haben gedacht, vielleicht gibt es in
Deutschland bessere Arbeit. Und so hatte ich auch meine Idee, nach Deutschland zu gehen, und dann
bin ich hier hergekommen und hab’ geheiratet. Zehn Jahre später war ich verheiratet und hab’ zwei
Kinder, die sind noch jung. Aber, die gehen immer noch in die Schule. Ich habe jetzt mit meinem
Mann zusammen Arbeit, weil mein Mann bei Obi arbeitet. Ich habe es schwer gehabt als ich hier bei
Danfoss angefangen habe, denn ich war ja ganz alleine - natürlich. Da habe ich zuerst gedacht, ,was
kannst du hier machen, gehst du wieder nach Hause zurück!’. Aber da hab’ ich gedacht, wenn ich
zurückgehe nach Griechenland muss ich wieder probieren, auf dem Land zu arbeiten. Und dann hab’
ich geheiratet und arbeite immer noch.“
Wie schon im Gespräch mit Frau Bourotzaki erwähnten auch diese beiden Frauen, dass sie
mit den Arbeitsbedingungen auf dem Land in Griechenland nicht zufrieden gewesen seien.
Auf dem Land habe es hauptsächlich schwere, schlechtbezahlte Arbeit gegeben. Beide
berichteten über Pläne der Anfangszeit, wieder nach Griechenland zurückzukehren, doch die
Bindungen in Deutschland und die Furcht vor unattraktiver Arbeit in Griechenland, seien die
entscheidenden Punkte gewesen, in Deutschland zu bleiben. Beide hatten die Entscheidung,
ein Arbeitsangebot in Deutschland anzunehmen, als junge Frauen getroffen. Während Frau
Anthopoulou ihren Mann und ihre Tochter in Griechenland zurückließ, war Frau
Stavropoulou ungebunden.
Was war das Schwierigste als Sie hier nach Deutschland gekommen sind
8
S: „Die Sprache.“
8-12 A: „Die Sprache war zuerst, dann war der Winter.“ (Beide Lachen), A: „Wir sind im Winter
hier hergekommen, schon Ende Oktober gab es den ersten Schnee. Dann haben wir eine Spätschicht
gemacht und dann kam ja so ein Sturm und der Meister und hat gesagt, der Bus kommt heute nicht,
denn wir haben in einem Heim gewohnt bei Krusau - wie weit weg von hier: 20 km. Wir sind täglich
mit dem Bus gekommen. Da kam ja kein Bus, dann sollten wir übernachten hier bei Danfoss, ein
bisschen länger Pause machen und weiterarbeiten, in der Nachtschicht und dann um halb eins kam ja
der Bus und dann sind wir losgefahren und mitten auf der Straße konnte er nicht weiter. Und dann
21
ging es nach zwei oder drei Stunden weiter. Und dann kam ja drei Tage gar nichts - kein Bus, gar
nichts. Wir haben es auch mit dem Essen ein wenig schwer gehabt.“
S: „Ja, aber ‘69 ja. Aber ich bin ‘70 gekommen. Ich komme im Sommer nicht im Winter. Und ‘69 war
der viele Schnee. Und dann noch einmal ‘78 - da habe bis jetzt nur einmal diesen vielen Schnee
erlebt...“
Aus welchen Gegenden Griechenlands stammen Sie?
13
A: „Ich bin aus Makedonien, ich bin aus Katerini gekommen, da sind wir etwa 70 km von
Saloniki nach Athen gefahren, etwa 70 km.“ S: „Und ich bin zuerst nach Saloniki gegangen...“
Haben Se ihre Ehemänner in Deutschland kennengelernt?
14
S: „Wir haben erst mal als Bauarbeiter in Griechenland gearbeitet, dann bin ich hier nach
Deutschland gekommen. Hab’ mich hier natürlich mit Kollegen getroffen, hab’ die kennengelernt.
Und wir machen hier weiter...“
15
Und Sie kennen ihren Mann schon aus Griechenland?
A: „Ja - ich war verheiratet und hatte ein Kind als ich hier hergekommen.“
Sie sind zuerst allein hier hergekommen?
15-16 A: „Zuerst allein, ich bin mit Vertrag hier hergekommen. Und dann haben wir einen Italiener
gefunden und der hat dann die Einladung gemacht für meinen Mann. Er hat da 14 Monate gearbeitet
beim Tiefbau und dann kam er hierher. und dann haben wir unser zweites Kind bekommen...“
Haben Sie Sich gedacht, als Sie hier nach Deutschland gekommen sind, dass Sie hier einmal
ihre Familie haben würden?
16
Beide: „Ja - mmmh!“
16-17 A: „Zuerst haben wir das nicht so gedacht. Wir haben zuerst gedacht, ,so vier, fünf Jahre’,
dann bekam ich meinen Sohn, mein zweites Kind. Die Älteste war in Griechenland als wir hier
hergekommen sind. Und wir haben gedacht, ,in sechs Jahren da beginnt für ihn die Schule und dann
gehen wir zurück.’. Aber trotzdem (Lachen) sind wir immer noch da und jetzt sind die Enkelkinder
hier in Deutschland, das ist schön.“
17-18 S: „Ja - jetzt kann ich nicht zurückgehen, denn die Kinder gehen in die Schule. Weil ich
natürlich die Sprache nicht so richtig spreche, die Kinder kommen aus der Schule und dann gibt es
Schwierigkeiten. Die Kinder haben alles hier - die Schule, die Spielkameraden, deswegen ist es
besser, wenn wir hierbleiben. Später machen sie eine Ausbildung. Mein Mann sagt immer, ,später
gehen wir nach Griechenland zurück!’, doch ich glaube immer, sie wollen - die Kinder - nicht mit uns
kommen, glaub ich nicht.“
Der Entschluss in Deutschland zu bleiben entstand also bei beiden eher zufällig. Die Tochter
Frau Antropolous blieb sogar in Griechenland zurück, als ihr Mann ebenfalls nach
Deutschland kam. Auch Frau Stavropoulou berichtete, dass sie jetzt wegen der Kinder nicht
zurück nach Griechenland gehen wolle. Dass die zweite Generation in der Sicht ihrer Eltern
eine neue Heimat in Deutschland gefunden habe wurde an der Einschätzung sichtbar, die
Kinder würden nicht mit nach Griechenland kommen, wenn die Eltern zurückgingen.
19
A: „Aber wir haben auch unsere Eltern da gelassen und sind hier hergekommen. Und da war
ja Familie und alles drum und dran aber die sind nicht gekommen....“
Fahren Sie oft nach Griechenland in den Urlaub?
22
19-20 A: „Ja, jedes Jahr, die Kinder kommen auch manchmal mit. Bis vor zwei oder drei Jahren
hatten wir immer unterschiedlich Urlaub, so mussten wir später Urlaub nehmen, um fünf Wochen zu
bekommen - aber sonst sind mein Mann und ich allein gefahren...“
20-21 S: „Wir fahren nicht so oft, denn die Kinder sind noch in der Schule. Am Anfang hatten wir
immer nur vier Wochen Urlaub, und dann lohnt es sich nicht. Muss man mit dem Auto fahren und das
lohnt nicht.... Die Zeit war das auch viel zu teuer, als die Kinder noch nicht zur Schule gegangen
sind...“
Wachsen Ihre Kinder zweisprachig auf?
21-23 A: „Ja, das war sehr schwierig, aber zu Hause haben wir fast nur Griechisch gesprochen. Jetzt
aber mit der Schwiegertochter sprechen wir Deutsch, und versuchen wir ihnen auch ein bisschen
Griechisch beizubringen...., aber die Kinder zweisprachig. Das ging auch hier an der Schule, die erste
Sprache war Deutsch und dann gab es hier ja noch Griechisch auf der Hauptschule. Aber jetzt in den
letzten Jahren hat sich das verändert...“
23-25 S: „Die beiden Kinder sprechen Deutsch, die sprechen nicht Griechisch... Und meine Tochter
möchte auch mit mir Deutsch sprechen, aber mein Deutsch ist nicht so gut... das ist schwierig, die
Kinder der Kollegen haben ja Griechisch auf der Schule gelernt, aber die haben dann doch immer
Deutsch gesprochen... “
Der Verlust der Sprachkompetenz des Griechischen bei den Kindern war in jedem Interview
ein Faktor, der von den Befragten bedauert wurde. In den ‘70ern habe es das Angebot von
griechischem Unterricht in Flensburg gegeben, dieses Angebot sei jetzt aber weggefallen. Wie
im ersten Gespräch mit Herrn Moustafa beschrieb hier Frau Stavropoulou das Problem, mit
den eigenen Kindern Griechisch zu sprechen, wenn diese mit den Eltern Deutsch sprechen
wollten.
Was ist für Sie das Wichtigste in Griechenland und in Deutschland?
26
S: „Unsere Heimat, das ist meine Meinung, ist Deutschland, weil wir hier jetzt schon länger
geblieben sind als in Griechenland... “
Was ist für Sie wichtig in Griechenland?
27
S: „Das Wetter und die Familie...“
28-35 A: „Die Familie, da sind ja die. In Griechenland leben wir etwas anders, kann man sagen. Hier
geht das jetzt auch so - mit der Arbeitslosigkeit und so. Und für uns war das so: wir lebten auf dem
Land und dann haben wir Bauarbeit gemacht und da haben wir uns gesagt: ,Na, ein paar Jahre
arbeiten wir in Deutschland und versuchen hier ein bisschen zu sparen und dann gehen wir zurück!’.
Aber hier jetzt nach diesen Jahren wieder zurückzugehen, das geht nicht, mit fünfzig jetzt
zurückzugehen, das geht nicht. Da bleiben wir hier ein paar Jahre noch, arbeiten ein paar Jahre noch nicht bis zum Schluss, das ist so schwer. Das ist zu viel...“
S: (Unterbricht sie): „Mein Mann will auch immer zurückgehen..“
A: (Setzt neu an): „In Griechenland ist das etwas anderes... “
S: (Erneut unterbrechend): „In Griechenland war das schwer mit dem Geld, meine Meinung...., wenn
wir jetzt nach Griechenland zurückgehen. Nun - der erste Grund weswegen wir hier bleiben ist wegen
der Kinder und wenn wir nach Griechenland gehen, wieder müssen wir arbeiten. Sonst kannst du da
nicht so leben wie hier. Weißt du, wir finden, hier haben wir es auf der anderen Seite doch noch
besser... Hier haben wir sichere Arbeit. So ganz sicher ist das nicht, aber wir haben hier jetzt schon so
lange gearbeitet. Deswegen, so denk’ ich, und wir haben hier gute Arbeit. Wenn wir nach
Griechenland kommen, so müssen wir uns auch da Arbeit suchen. Und hier machen wir schon
jahrelang diese Arbeit...“
Wie ist das Arbeitsklima bei Danfoss?
23
35-40 A: „Zu Anfang war die Sprache, als wir nach Deutschland gekommen sind, ein bisschen
schwer, da konnten wir nicht richtig miteinander sprechen. Ich hab’ aber kein Problem gehabt in all
den Jahren. In all den Jahren mit Kollegen oder in der Arbeit. Haben wir auch in drei Schichten
gearbeitet. Ich hab’ in der Frühschicht gearbeitet, hab’ in dem Zweischichtsystem gearbeitet und mein
Mann hat auch in der Frühschicht gearbeitet - das ist die beste. Und ansonsten gut, kein Problem
gehabt.
S: „Das war anstrengend da in Schichten zu arbeiten... - werd’ ich nie vergessen...“
A: „Oh, ja - haben wir die Kinder zum Mittagsschlafen gelegt und sind schnell zur Arbeit gegangen.
Und dann ist der Mann nach Hause gegangen - schnell, schnell! Die Frühschicht ging von halb sieben
bis viertel nach drei und die Spätschicht von viertel nach drei bis Mitternacht.... und mit den Kindern
war das ein bisschen schwer... Der eine hat ja Frühschicht gehabt und der andere hat ja Spätschicht
gemacht - so haben wir es gemacht.“
Die Doppelbelastung durch Kinder und Arbeit, stellte auch für diese beiden Interviewten ein
großes Problem dar, dieses verkomplizierte sich bei unterschiedlichem Schichtwechsel der
Ehepartner oder unterschiedlichen Arbeitsstellen. Das Leben von zwei Vollzeit-Berufstätigen
und die Sorge um die kleinen Kinder zu koordinieren, erforderte von beiden Partnern einen
hohen Kraftaufwand. Einer der beiden Partner war immer in der Schicht; Zeit miteinander zu
sprechen konnten nur die gemeinsamen Pausen, Wochenenden oder die wenigen Stunden
zwischen Arbeitsende der Nachtschicht und Arbeitsbeginn der Frühschicht bieten.
Wie ist Ihr Kontakt zu anderen Griechinnen und Griechen hier in Flensburg?
40-46 Beide: „Oh - da haben wir gute Kontakte...“
A: „Haben wir auch die griechische Gemeinde hier, da haben wir einmal im Monat Gottesdienst.
Haben wir auch Feiern gemacht - die Schule und die Gemeinde zusammen, da haben wir schon einen
guten Kontakt dahin...., da haben wir auch gefeiert Weihnachten, Ostern und so weiter...“
S: „Wir haben schon die Feiern natürlich auch, aber wir haben hier nicht die großen Feiern. Ich meine
in Griechenland gibt es auch viele, die singen, singen und so und da feiern dann alle. Aber hier ist es
auch gut... - ja klar! Aber hier auch bei der Arbeit gibt es ab und zu mal Schwierigkeiten. Das werd’
ich nie vergessen, mein Mann war bei einer anderen Firma, ich arbeitete bei Danfoss. Mein Mann
hatte jahrelang immer Schichtwechsel - und dann waren die Kinder da. Da hat er gesagt: ,Du musst in
der normalen Schicht arbeiten!’, und ich hab’ gesagt: ,Ich kann das nicht!’. Und mein Mann konnte
nicht Schichtwechsel, denn er arbeitete auch Schichtwechsel und bestimmt die ersten paar Jahre hatte
ich es so schwer mit den Kindern. Aber bis jetzt habe ich es, Gottseidank!, ja geschafft. Die Kinder
sind groß genug jetzt, kommen auch allein zu Recht - meine Tochter ist fünfzehn und mein Sohn bald
achtzehn. Beide kommen allein zu Recht, aber früher war es schwer. Mein Mann hatte auch
Nachtschicht und ich hatte Frühschicht. Das waren die schwersten Jahre, als ich nicht die selbe
Schicht wie mein Mann hatte - immer Arbeit. Manchmal hatte ich drei Wochen Frühschicht und eine
Woche Spätschicht. Mein Mann machte sehr viel Teamarbeit, der hat es auch schwer gehabt. Aber
mal kommst du zurecht, mal kommst du nicht zurecht. So ist das Leben einfach, da kannst du nichts
machen...“
Wie geht es Ihren Kindern?
46-50 A: „Ja, die eine Tochter war ja in Griechenland, mit dreizehn, vierzehn haben wir sie hier
hergeholt, aber sie wollte das nicht hier leben, denn sie wollte in Griechenland sein. Zweieinhalb
Jahre hier hat sie mit uns gewohnt, dann ist sie wieder zurück nach Griechenland gegangen. Hat ihren
Freund da gefunden und es geht ihr gut, sie hat ihr Haus da und geht arbeiten und jetzt lebt sie allein.
Und der Sohn hat gute Arbeit und er arbeitet jetzt schon sieben Jahre. Und die Schwiegertochter, die
hat auch da gelernt und arbeitet da jetzt auch bei Motorola....“
24
Es fiel auf, dass der Lebensweg der Tochter Frau Anthopoulous sich sozusagen genau
umgekehrt zum Lebensweg des ältesten Sohnes Frau Bourotzakis gestaltet hatte. Die Tochter
war in Griechenland geboren und auch dort geblieben als ihr Vater zu ihrer Mutter nach
Deutschland gegangen war, im Alter von „13,14 Jahren” hätten sie die Eltern dann nach
Deutschland geholt aber nach zweieinhalb Jahren sei sie wieder zurück nach Griechenland
gegangen, weil sie nicht in Deutschland habe leben wollen.
Zwei Lebensläufe, die die Probleme der älteren Kinder der zweiten Generation
zeigten, die zwischen den Überlegungen der Eltern nach Griechenland zurückzugehen und der
endgültigen Entscheidung, in Deutschland zu bleiben, selbst ihren Weg zwischen
Griechenland und Deutschland finden mussten.
Müssen Sie jetzt zur Arbeit?
51
Beide: „Nein!!“
51
A: „Wir haben jetzt noch ein Interview.“ (Beide lachen lange und laut)
A: „Wir arbeiten im Betriebsrat und haben jetzt noch eine Sitzung und müssen jetzt da noch hin. Da
unterhalten wir uns über die Arbeit und müssen heute organisieren wegen Urlaub und so.“
7.
Interview mit Lampros Siamorelis
Tätigkeit: Einrichter; Eintritt in den Betrieb: 18.06.1970; verheiratet mit einer Deutschen, ein
Sohn
Anmerkungen
Das letzte der vier Interviews wurde nicht im Besprechungsraum der Personalabteilung
geführt, sondern in einem Arbeitszimmer in einer der Werkhallen direkt in Nähe zum
Arbeitsplatz des Befragten. Dieser arbeitete an einer Presse, die Kompressorgehäuse aus
Metallplatten formte. Der Geräuschpegel in der gesamten Halle war aufgrund der vielen
schweren Maschinen sehr hoch, dieses irritierte jedoch keinen der dort Arbeiteten, statt dessen
fing Herr Siamorelis spontan an zu erzählen, ohne dass die Aufnahme überprüft werden
konnte. Wegen der Nebengeräusche der Bandaufnahme ließ sich die zweite Hälfte des
Interviews in der späteren Auswertung leider nicht verschriftlichen.
Herr Siamorelis war der einzige, der mit einem deutschen Ehepartner verheiratet war,
er war auch der einzige, der berichtete, dass er sich von Anfang an vorgestellt habe, in
Deutschland bleiben zu können. Neben der zweiten Erzählenden war er auch derjenige, der
Flensburg ausdrücklich als schöne Stadt beschrieb, in der er gerne wohne. Auch in seiner
25
Biographie wurde wieder deutlich, dass er mit dem Wunsch mehr zu verdienen, nach
Deutschland gekommen war, durch seine Zeit bei der griechischen Marine habe er jedoch
ohnehin früh Beziehungen in Griechenland verloren.
In Deutschland habe er dann seine Frau kennengelernt, zusammen hätten sie einen
Sohn, seine Familie war für den Erzählenden das Wichtigste in Deutschland und die Zukunft
seines Sohnes der dominierende Gedanke im zweiten Teil des Gesprächs.
Eingangsfrage: Erzählen Sie doch darüber, wie Sie nach Deutschland gekommen sind!
1-5
„Ja - das ist eine lange Geschichte: ich bin zur Schule gegangen, zur Hauptschule und hab’ da
den Abschluss gemacht und dann bin ich zur Offizierschule gegangen und da war ich nicht der beste,
aber es hat gereicht. Und dann bin ich nach Athen gegangen, da wohnte mein Onkel und da hab’ ich
bei der Marine gearbeitet. Und dann war meine Militärzeit vorbei und ich hab’ mich gefragt, was ich
dann machen kann. Und dann bin ich nach Flensburg gekommen, um hier zu arbeiten... Das war da
etwas schwierig in Griechenland und es gab wenig Arbeit.... Und dann hab ich hier meine Frau
kennengelernt, sie ist Deutsche und wir haben einen Sohn....“
Haben sie sich vorgestellt, dass sie hier in Deutschland bleiben würden?
5-8
„An sich - ja. Als ich hier herkam war ich ja schon lange von zu Hause in Griechenland weg
und dann hab’ ich meine Frau hier kennengelernt. (lange Pause) Da hab’ ich mir eigentlich schon
gedacht, dass ich hier bleibe... Der Entschluss war dann klar, als unser Sohn zur Welt kam. Der
Anfang hier in Deutschland war nicht leicht. Ich konnte nicht die Sprache. Alles war neu...
Was denken Sie über ihre Zukunft
8-15 „Ich bleibe hier... (lange Pause), ich möchte, dass mein Sohn es einfacher hat als ich.
Deswegen muss er gut sein in Schule. Heute ist Schule sehr, sehr wichtig. Als ich noch in
Griechenland war, Schule nicht so wichtig aber jetzt... Mein Sohn ist sehr wichtig... Arbeit hier in
Ordnung, aber schwer, immer viel zu tun. Deswegen mein Sohn etwas anderes machen soll, vielleicht
studieren oder gute Ausbildung... Flensburg ist gut... Wetter nicht so wie in Griechenland, aber jetzt
auch Freunde hier, auch mit meiner Frau. Arbeit ist gut. Doch habe gleich schon gewusst, dass ich
hier bleibe. Bin gern am Meer, hier in Flensburg auch Meer. Immer Spaziergänge machen mit meinem
Sohn an der Förde - das ist schön. Der Winter ist kalt hier, aber im Sommer ist es schön.
(Pause) Ich bin hier, das ist gut. Ich habe nicht viel Kontakt nach Griechenland.....”
8.
Parallelen der Lebenswege
Alle Befragten mit Ausnahme des letzten Interviewpartners hatten griechische Ehepartner, die
sie zum Teil aus Griechenland kannten, mit denen sie schon in Griechenland verheiratet
gewesen waren oder die sie in Deutschland kennengelernt hatten, alle waren als junge
Menschen von Griechenland nach Deutschland gekommen. Sie waren oftmals die ersten und
somit ältesten in einer Geschwisterreihe, teilweise kamen die übrigen Geschwister später
ebenfalls nach Deutschland. Alle stammten aus ländlichen Regionen. In einem Fall wurde
darüber berichtet, dass die Ehefrau mit einer kleinen Tochter in Griechenland zurückblieb und
später nach Deutschland nachkam, in einem anderen Fall blieben der Ehemann und eine
Tochter in Griechenland. Nur einmal berichtete einer der Befragten, dass es von Anfang an für
26
ihn im Bereich des Denkbaren gelegen habe, in Deutschland zu bleiben. Alle übrigen hatten in
der Anfangszeit die Idee, nach einiger Zeit wieder zurück nach Griechenland zu gehen, ein
Vorhaben, das viele andere ihrer griechischen Arbeitskollegen der 60er und 70er Jahren
tatsächlich verwirklichten, wie die statistischen Materialien aufweisen konnten.
Bei allen zeigte sich ein ähnliches Muster im Lebensweg: Nachdem am Anfang der
Gedanke zurückzugehen der wichtigste gewesen war, wurde dieser immer mehr durch das
Einleben in Deutschland verändert: Ehepartner waren gefunden, eine Familie gegründet und
die Sprache erlernt worden.
Mit zwei Ausnahmen war ein Wohlfühlen in der neuen Heimat nicht an das konkrete
Leben in Flensburg gebunden - alle Befragten vermissten das griechische Wetter, für alle
waren die Deutschen nette Menschen aber keine/r benannte enge Freundschaften zu
Deutschen als Grund des Bleibens. Deutsche seien freundlich aber kühl im Umgang, Familie
bedeute in Deutschland weniger als in Griechenland.
Die deutsche Mentalität wurde als sachlich und durchaus sympathisch aber gleichzeitig
als kühl und zurückgezogen beschrieben, demgegenüber gälten in Griechenland Werte wie
freundschaftlicher Zusammenhalt stärker.
Das Bild und die Vorstellung von Griechenland war sehr unterschiedlich - teilweise
wurde ausgesagt, dass es noch Jahre dauern werde, bis in Griechenland ein solches Leben
möglich sei wie in Deutschland, teilweise gab es die Meinung, dass es mittlerweile sehr teuer
geworden sei, in Griechenland zu wohnen und eine Befragte vermutete sogar, dass das Leben
mittlerweile in Griechenland teurer als in der Bundesrepublik sein könne.
In vielen erfolgreichen Lebensgeschichten war doch in einigen Punkten Resignation
und Enttäuschung über das Geschehene zu bemerken, dieses zeigte sich in Äußerungen über
Krankheiten, über Probleme der Kinder, über Unzufriedenheit mit dem kalten Flensburger
Wetter und in Berichten über familiäre Probleme.
9.
Leben in Deutschland
Alle interviewten Frauen beschrieben ihre Entscheidung nach Deutschland zu gehen als
eigenen Entschluss, hierbei war in einem Fall die Lösung vom Vater eine wichtige Ursache.
Eigenes Geld zu verdienen, nicht mehr abhängig sein zu wollen, waren sehr selbständige
Entschlüsse. Alle hatten nach der Geburt ihrer Kinder weitergearbeitet, dieses schien
selbstverständlich und notwendig gewesen zu sein. Zwei Einkommen waren zum Leben in
27
Deutschland notwendig, die Betreuung der Kinder wurde zwischen den Ehepartnern auf
manchmal höchst kompliziert und anstrengend erscheinende Weise organisiert. Die Einsicht,
für das eigene Leben allein verantwortlich zu sein, war vor dem Entschluss im Ausland Arbeit
zu suchen, allen Befragten klar geworden.
Die Partnerschaften und ihre Kinder waren neben dem Gesichtspunkt der
Familienzusammengehörigkeit jedoch ebenso wichtig wie die Verwirklichung der
eigenständigen Lebensziele. Alle Partnerschaften waren nach Auskunft der Befragten
glücklich, das Zusammenleben wurde als das wichtigste Element im Leben in Deutschland
empfunden.
Die Integration in den Berufsalltag und in die Firmenstruktur war auch daran
ersichtlich, dass zwei der interviewten Frauen nach Abschluss des Gesprächs zu einer
Betriebsratsitzung gingen. Ihre Mitarbeit in der Arbeitnehmervertretung war ihnen so
selbstverständlich, dass sie sie nur beiläufig erwähnten und über die Überraschung des
Interviewers sichtlich amüsiert waren.
Das Zusammenleben zwischen den Generationen in Deutschland war nicht immer
problemlos, jedoch überwogen in den Erzählungen Beschreibungen von einem guten
Familienleben und von Zufriedenheit mit den eigenen Kindern.
In einem Fall war sogar die Mutter einer der Befragten nach Deutschland gekommen, somit
waren mit dem Entschluss nach Deutschland zu gehen, später drei Generationen einer
griechischen Familie in Deutschland geboren bzw. angekommen.
10.
Deutsche und Griechen
Insgesamt konnte das Zusammenleben zwischen Griechen und Deutschen und die Integration
der Befragten in die deutsche Gesellschaft als gelungen beurteilt werden. Niemand der
Interviewten berichtete über ausländerfeindliche Erfahrungen oder Ausgrenzungen im Alltag.
Ob es jedoch von einem freundlichen Nebeneinander am Arbeitsplatz und im Alltag zu einem
Miteinander von Deutschen und Griechen gekommen war, musste nach den Aussagen
bezweifelt werden - das
freundliche
Nebeneinander
überwog
eindeutig
in
den
Beschreibungen. Die zweite Generation der Kinder wiederholte das Vorbild der Eltern, auch
deren Leben spielte sich zu einem großen Teil in der griechischen Gemeinschaft und der
Familie ab - viele hatten ebenfalls griechischstämmige Lebenspartner oder Freunde.
28
11.
Danfoss und die Griechen
Aus dem Datenmaterial der Personalabteilung konnte die Entwicklung des Anteils der
griechischen Beschäftigten von 1968 bis 1974 rekonstruiert werden. Diese Zeitspanne war
genau die, in der griechische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Danfoss kamen. Deren
Position im Arbeitsmarkt wurde in den späteren 70er Jahren von Beschäftigten aus anderen
ausländischen Staaten eingenommen, vor allem türkische Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer kamen seit Mitte der 70er verstärkt zur Arbeit nach Deutschland.
Leider bot das Firmenarchiv abgesehen von den angeführten Datenmaterialien und
aufgeführten Firmenbeschreibungen wenig Material zur konkreten Geschichte des
Unternehmens in Bezug auf seine ausländischen Mitarbeiter. Die Materialien, die z.B. über
die Unterkünfte der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die soziale
Betreuung durch das Unternehmen hätten Auskunft geben können, waren nicht mehr
vorhanden. Niemand hatte mit einem späteren Interesse an diesen Materialien gerechnet.
Der Gesamtbestand des griechischen Belegschaftsanteils zeigte starke Schwankungen,
augenscheinlich waren viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur für kurze Zeit bei
Danfoss tätig gewesen. Zum Teil waren, wie die Interviews zeigten, Wechsel zwischen
Arbeitsstellen möglich und wurden oftmals dann organisiert, wenn zwei Ehepartner bei
unterschiedlichen Arbeitgebern tätig waren. Der mit Abstand größte Teil der griechischen
Arbeitskräfte ging jedoch nach der Zeitspanne einiger Monate oder einiger weniger Jahre
zurück nach Griechenland.
Durch diese kurzen Zeiten entstand das Problem der Fluktuation auf den
Arbeitsplätzen in den jeweiligen Industrie- und Wirtschaftsbetreiben, dieses scheint allerdings
durch die Vorteile ausgeglichen worden zu sein: Die ausländischen Arbeitskräfte boten die
Möglichkeit, schnell und ohne Probleme auf die Auftragslage zu reagieren. Bei verstärkter
Produktion wurden einfach mehr ausländische Beschäftigte eingestellt, die bei schlechterer
Auftragslage wieder hätten entlassen werden können. Da der überwiegende Teil der ersten
ausländischen Arbeitskräfte aber ohnehin nach kurzer Zeit in die Heimatländer zurückging,
waren
dauernde
Neuanforderungen
erforderlich.
Dieses
Modell
funktionierte
in
Westdeutschland so lange die Wirtschaft kontinuierlich wuchs, neue Arbeitskräfte gesucht
wurden und die angeworbenen Arbeitskräfte zum überwiegenden Teil wieder in ihre alten
Heimatländer zurückkehrten. Die Situation veränderte sich mit der wirtschaftlichen
Depression in den 70ern, dem zunehmenden Abbau von Arbeitsplätzen in Folge von
29
Technisierung
und
Automatisierung
und
vor
allem
wegen
Unterschieden
im
Rückkehrverhalten der späteren ausländischen Arbeitergruppen.
Der Höhepunkt in der Beschäftigung von griechischen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern bei Danfoss lag am Ende der 60er Jahre. Von einem auf das nächste Jahr
fanden rund 700 neue griechische Beschäftigte bei Danfoss Arbeit, ebenso rapide wie die
Anzahl der Griechinnen und der Griechen zugenommen hatte, nahm sie nach 1972 auch
wieder ab. Die folgende Tabelle zeigt den Anteil der griechischen Beschäftigten bei Danfoss
in Relation zum Gesamtbelegschaftsbestand - 1969 stellten griechische Arbeitskräfte rund
39% des Bestands.
Anteil der griechischen Beschäftigten am Gesamtpersonalbestand 1968-1974
Jahr
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
Griechen
gesamt
Griechinnen
gesamt
Griechen und
Griechinnen
gesamt
Personalbestand
Prozent
6
405
203
106
142
55
16
73
359
212
226
103
39
10
79
764
415
332
245
94
26
1334
1967
1782
1773
1973
2551
2379
5,92%
38,84%
23,29%
18,73%
12,42%
3,68%
1,09%
Die Auflistung bestätigte die Erinnerung des Personalchefs, dass Danfoss viele griechische
Frauen eingestellt habe. Frauen galten als geschickter, die bei der Produktion von
Kompressoren
anfallenden
Feinarbeiten
auszuführen.
Wie
stark
die
griechischen
Arbeitnehmerinnen am Anteil der weiblichen Belegschaft vertreten waren, zeigte die
prozentuale Aufstellung ihres Anteils an der weiblichen Belegschaft:
Prozentualer
Anteil
der
griechischen
Arbeitnehmerinnen
am
weiblichen
Personalbestand 1968-1974
Jahr
1968
1969
1970
1971
1972
1973
Griechinnen
Personalbestand
Frauen
Prozent
73
359
212
226
103
39
478
704
633
760
851
1139
15,2%
60%
33,5%
29,7%
12,1%
3,42%
30
1974
10
1002
1%
Im Jahr 1960 stammte mehr als jede zweite Beschäftigte bei Danfoss aus Griechenland. Der
Anteil ging allerdings nach einem Jahr auf 33% zurück, wobei neben der Abnahme in der
Zahl der Griechinnen die Zunahme des Gesamtpersonalbestandes die Ursache war.
Zwar brachte das Jahr 1969 auch einen Höhepunkt in der Zahl der griechischen
Arbeiter bei Danfoss mit sich, deren Zahl übertraf allerdings nie mehr als rund 34% der
männlichen Gesamtbelegschaft. Wie im Fall der Arbeitnehmerinnen auch waren die Jahre
1969-71 der Höhepunkt griechischer Arbeitnehmer bei Danfoss in Flensburg:
Prozentualer Anteil der griechischen Arbeitnehmer am männlichen Personalbestand
1968-1974
Jahr
Griechen
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
6
405
203
106
142
55
16
Personalbestand
Männer
805
1207
1077
948
1074
1361
1331
Prozent
0,75%
33,55%
18,85%
11,18%
13,22%
4,04%
1,20%
Insgesamt hatten nach Auskunft der Personalabteilung 1955 griechische Beschäftigte bei
Danfoss über die Jahre hinweg Arbeit gefunden. Von all diesen war nur ein verschwindet
kleiner Teil in Flensburg geblieben - die Interviewten gehörten dazu. Die Zeit der griechischen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Danfoss ist zu Geschichte geworden.
Innerhalb von sieben Jahren waren Hunderte von Griechinnen und Griechen zur Arbeit
nach Schleswig-Holstein gekommen, nur durch sie war es möglich, genügend Personal zu
finden, sie halfen, die westdeutsche Wirtschaft aufzubauen und zu expandieren.
Durch ihre Arbeitskraft erst war der Sprung der Gesellschaft der alten Bundesländer in
die industrielle Postmoderne möglich. Die Produktion von Kühlschrankkompressoren bei
Danfoss steht beispielhaft für die Modernisierung der Haushalte seit den 60ern.
12.
Menschen, Heimat, Arbeit
Ohne die sogenannten „Gastarbeiterinnen” und „Gastarbeiter“ wäre das deutsche
Wirtschaftswunder mangels Arbeitskräften in sich zusammengebrochen. Wie problematisch
31
allerdings die Vorstellung von zeitlich begrenzter Arbeit ausländischer Arbeitskräfte sein
konnte, das zeigten die Interviews: Weder hatten die interviewten Griechinnen und Griechen
zu Anfang daran gedacht, für Lebenszeit in Deutschland zu bleiben, noch war dieses in den
Anwerbungsverträgen angelegt.
Menschen aus ihrer alten Heimat in eine neue anzuwerben, stellte und stellt aber auch
immer die Möglichkeit und Chance dar, dass sich für diese ein neues Zuhause bildet und
findet.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Zusammenleben von Deutschen und
ausländischen Mitbürgern, so stellt sich die Frage, ob die deutsche Gesellschaft wirklich
ihrem Integrationsauftrag gerecht geworden ist: Erst Ende der ´90er über 30 Jahre seit
Abschluss der ersten Anwerbungsverträge ist das Einbürgerungsverfahren vereinfacht und den
Kindern in der zweiten Generation eine Wahlmöglichkeit zwischen deutscher und (alter)
Staatsbürgerschaft ihrer Eltern eingeräumt worden. Auch sollte die Möglichkeit kulturelle,
sprachliche und religiöse Traditionen weiterzuleben und weiterzugeben, von der Gesellschaft,
die in hohem Maß von der Arbeitskraft der ausländischen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer profitierte und fortwährend profitiert, unterstützt und gefördert werden.
Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass Deutschland zur neuen Heimat der Menschen
aus Griechenland geworden ist. Die potentielle Möglichkeit einer neuen Heimatfindung war
auch gleichzeitig Vorraussetzung für ein tolerantes und verständnisvolles Miteinander
zwischen Deutschen und Griechen, so dass die Aussage einer Interviewten gelten kann:
„Unsere Heimat, das ist meine Meinung, ist Deutschland...“.
32