Leseprobe 2: Vorwort und Auszug aus Kapitel 3

Transcription

Leseprobe 2: Vorwort und Auszug aus Kapitel 3
Fred Reichheld mit Rob Markey
Die ultimative
Frage 2.0
Wie Unternehmen mit dem Net Promoter System
kundenorientierter und erfolgreicher sind
Aus dem Amerikanischen von Karen Herzog
Inhalt
Vorwort
Einführung: Net Promoter – Vom Score zum System
I
15
Die Grundlagen des Net Promoter Systems
1
2
Schlechte Gewinne, gute Gewinne und die ultimative Frage 32
Schlechte Gewinne
33
Wie schlechte Gewinne Wachstum behindern
37
Die Alternative: Gute Gewinne
40
Schlechte und gute Gewinne:
Wie Unternehmen den Unterschied erkennen
45
Die ultimative Frage
49
NPS als Erfolgskennzahl
53
Die Herausforderung: Begeisterung messbar machen
54
Die Entdeckung der ultimativen Frage
56
Auswertung der Antworten
58
Fallbeispiel Intuit: Der Lösungsansatz
60
Das Ergebnis bei Intuit: Begeisterte Kunden und Aktionäre 63
Inhalt
3
4
5
NPS als Wachstumsmotor
66
Die wirtschaftliche Macht ausgezeichneter
Kundenbeziehungen
69
Beispielrechnung: Wert der Mundpropaganda bei Dell
74
Der Zusammenhang zwischen NPS und Wachstum
78
Weitere Überlegungen
81
Relativer NPS und Marktanteil
82
Erfolgsgeschichte Enterprise Rent-A-Car
85
Wie Enterprise das Messen lernte
87
Verankerung des ESQi im Unternehmen
89
Weshalb der ESQi funktioniert
90
Wie ESQi Verbesserungen anstößt
93
„The Vote“ – Abstimmung für mehr Wachstum
96
Ein einzigartiges System
97
Acht Prinzipien der Messung
99
Prinzip 1: Die ultimative Frage stellen und sonst (fast) nichts 100
Prinzip 2: Eine geeignete Skala wählen und beibehalten
102
Prinzip 3: Interne (Bottom-up-) und externe (Top-down-)
Ansätze trennen
104
Prinzip 4: Auf hohe Beteiligung der richtigen Kunden zielen 105
Prinzip 5: NPS ebenso regelmäßig erheben und
diskutieren wie die Finanzdaten
108
Prinzip 6: Mit differenzierter Datenerhebung schneller
lernen und Verantwortlichkeit stärken
109
Prinzip 7: Auf Genauigkeit ohne Verzerrungen prüfen
112
Prinzip 8: Zusammenhang zwischen NPS und
Kundenverhalten validieren
116
Zusammenfassung
118
Inhalt
II Mit NPS zum Erfolg
6
7
8
Inhalt
Resultate erzielen mit NPS
120
Charles Schwab Corporation
120
Apple Retail
123
Ascension Health
125
Carolina Biological Supply
129
Progressive Insurance
131
Rackspace
133
Virgin Media
135
Noch mehr Erfolgsgeschichten
136
Wirtschaftlichkeit und Inspiration: Der doppelte Imperativ 142
Der Pfeiler Inspiration
143
Der Pfeiler Wirtschaftlichkeit
145
Beide Pfeiler stärken
148
Beide Pfeiler austarieren
152
Die ersten Schritte
155
Feedbackschleifen schließen
160
Geschlossene Feedbackschleifen an der
Kundenschnittstelle herstellen
162
Feedbackschleifen im mittleren Management etablieren
165
Feedbackschleifen im Topmanagement schließen
169
Kunden-Communities schaffen
175
9
10
Bereit für die lange Reise
180
Geeignete Führungskräfte wählen und Erfolgsvoraussetzungen schaffen
181
Als Organisation an einem Strang ziehen
183
Organisation auf den Kunden ausrichten
186
Die richtigen Leute einstellen
189
Bei der Kopplung der Vergütung an NPS vorsichtig sein
191
Bei der IT-Unterstützung nicht am falschen Ende sparen
195
Die Unternehmenskultur verändern
200
Der Blick nach vorn
202
Mitarbeiter-NPS (eNPS)
203
Widerstand von außen und innen
205
Das wahre Risiko
206
Zuverlässige Daten
208
Weitere Verbesserungen
211
Warum ist dies alles so schwierig?
217
Anhang
Ratschläge für die Reise
222
Danksagung
242
Register
244
Die Autoren
246
Inhalt
Vorwort
Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie Unternehmen den Weg zu nachhaltigem Wachstum einschlagen können – zu Wachstum, das darauf
beruht, dass Kunden gerne bei einem Unternehmen kaufen und Mitarbeiter gerne dort arbeiten und ihre Begeisterung mit ihren Nachbarn,
Freunden und Kollegen teilen.
Dies ist die einzige nachhaltige Wachstumsformel. Durch Übernahmen, aggressive Preisstrategien, Erweiterungen des Produktportfolios, Cross-Selling-Strategien, neue Marketingkampagnen und weitere
klassische Strategien können sich Unternehmen zwar oft kurzfristig
Wachstum verschaffen. Nachhaltigen Erfolg haben sie aber nur, wenn
diese Maßnahmen letztlich zu loyalen Kunden führen. Dasselbe gilt
für Marktanteile. Eine starke Position im Markt verhilft Unternehmen
oft zu einem wirtschaftlichen Vorsprung. Wenn dieses Potential
jedoch nicht genutzt wird, um Kunden ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, werden weder der Vorsprung noch die Marktdominanz lange
halten.
Diese Erkenntnis hat an Bedeutung gewonnen, weil die Geschäftswelt
von einer stillen Revolution erfasst wird. Diese Revolution wird, wie viele
andere, die derzeit die Weltordnung verändern, auch von den Social
Media mit vorangetrieben. Kunden und Mitarbeiter posten Blogs, twittern und texten in Echtzeit über ihre Erfahrungen und überrollen so
die sorgfältig formulierten Botschaften der Marketing- und PR-Abteilungen: Macht verlagert sich weg von den Unternehmen hin zu den Menschen, die von den Unternehmen kaufen und die für sie arbeiten – zu
Kunden und Mitarbeitern.
Um aus dieser Revolution als Gewinner hervorzugehen, müssen Unternehmenslenker Wege finden, dass ihre Mitarbeiter die Kunden begeistern können. Die meisten Manager wollen zufriedene Kunden. Die entscheidende Frage lautet also: Woher wissen Unternehmen, was Kunden
fühlen, und wie können sie individuelle und organisatorische Veranwortlichkeiten für die Kundenerfahrungen in ihrem Unternehmen etablieren? Hier helfen weder traditionelle Zufriedenheitsumfragen noch
Finanzkennzahlen weiter. Erstere erreichen nur wenige im Unternehmen wirklich und werfen für viele mehr Fragen und Zweifel auf, als
dass sie aktives Handeln treiben. Und bei Letzteren lassen sich nicht
Vorwort
11
einmal „gute“ Gewinne (die Wachstum ermöglichen) von „schlechten“
(die Wachstum behindern) unterscheiden.
Mit diesem Buch stellen wir einen völlig neuen Ansatz vor. Ausgangspunkt ist eine einzige Frage – die ultimative Frage – die regelmäßig,
systematisch und am besten direkt nach einem Geschäftsvorfall
gestellt wird. Aus den Antworten erkennt ein Unternehmen, welche
Kunden begeistert sind, welche eher genervt und welche indifferent
sind. Daraus kann eine einfache und leicht verständliche Kennzahl
abgeleitet werden – der Net Promoter® Score. Dieser zeigt, wie es wirklich um die Kundenbeziehungen bestellt ist. Diese Kennzahl kann
genauso Woche für Woche ermittelt und verfolgt werden wie die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens.
Danach beginnt im Net Promoter Unternehmen die eigentliche Arbeit:
direkten Kontakt mit den Kunden aufnehmen, ihnen richtig zuhören,
die Probleme lösen, die zu Schwierigkeiten oder Verärgerung geführt
haben, und täglich Kundenerfahrungen schaffen, die mehr und mehr
Begeisterung wecken. In die Aufgabe, wahre Kundenorientierung in
den Arbeitsalltag einzubetten, kann jeder einzelne Mitarbeiter eingebunden werden. Manager, die heute Finanzberichte nutzen, um sicherzustellen, dass sie selbst und ihr Team die Umsatz- und Gewinnziele
erreichen, können mit dem Net Promoter Score ihre Zielerreichung in
Bezug auf Kundenloyalität messen und sich mit dem Net Promoter
System kontinuierlich verbessern. Auf diese Weise ermöglicht das Net
Promoter System Unternehmen, aus dieser „stillen Revolution“ als
Gewinner hervorzugehen.
Diejenigen Unternehmen, die das Net Promoter System bereits erfolgreich anwenden – in den folgenden Kapiteln werden Sie einiges über
diese Pioniere lesen –, haben diese Lektion schon gelernt und die Konkurrenz hinter sich gelassen. Das Spektrum reicht von kleinen Firmen
mit lokalem oder regionalem Einzugsgebiet über Superstars aus dem
Silicon Valley bis hin zu Riesen wie General Electric. („Dies ist die beste
Messgröße für Kundenzufriedenheit, die ich je kennengelernt habe –
ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemand von uns nicht nutzen
wollte!“, so Jeff Immelt, CEO von General Electric, bei einem Führungskräftetreffen im Jahr 2005.) Obwohl sich diese Net Promoter Unternehmen in vielerlei Hinsicht unterscheiden, haben sie eines gemeinsam:
Sie sind getrieben von der Goldene Regel „Behandle andere so, wie du
selbst behandelt werden möchtest“. Sie alle wollen Kunden, die so vom
Umgang mit ihnen so begeistert sind, dass sie gerne wiederkommen
und auch noch ihre Freunde und Kollegen mitbringen. Auch wenn die
meisten der hier vorgestellten Beispiele aus der Wirtschaftswelt stam12
Vorwort
men, lassen sich diese Ideen in allen Organisationen anwenden – Schulen, Krankenhäuser, Wohltätigkeitseinrichtungen und sogar Behörden. Denn diese haben ebenfalls Kunden, Nutzer oder Mitglieder, die
sie begeistern sollten, und können von einem Managementsystem, das
auf schnellem, regelmäßigem Feedback ihrer Kunden beruht, enorm
profitieren.
Wenn Sie das Buch gelesen haben, besuchen Sie bitte auch die Webseite
www.netpromotersystem.com. Wir möchten gemeinsam eine Community von Menschen aufbauen, die Institutionen wollen, die das Leben
der Menschen bereichern und echte Loyalität verdienen – und die
überzeugt sind, dass Unternehmen nur dann die Chance auf nachhaltiges Wachstum und wahre Größe haben, wenn sie ihre Leistungen in
dieser Dimension genauso sorgfältig messen und vorantreiben wie
ihre Finanzkennzahlen.
Ein Hinweis an alle, die die erste Auflage von „Die ultimative Frage“
gelesen haben: Jedes Kapitel dieser Neuauflage enthält wichtige Ergänzungen und Erläuterungen, und viele Kapitel sind völlig neu. Wenn Sie
die Erstauflage bereits gut kennen, lesen Sie bitte die Einführung
(neu), überfliegen die Kapitel 1 bis 4 und arbeiten das Kapitel 5 durch,
als würden Sie es zum ersten Mal lesen. Kapitel 5 erläutert einige der
kostspieligsten Irrtümer, die sich ergeben können, wenn die aufgeführten Prinzipien nicht vollständig verstanden wurden. Teil II des Buches
(Kapitel 6 bis 10) ist nahezu komplett neu. Diese Kapitel beschreiben
und analysieren die Erfolge der Anwender des Net Promoter Systems
seit Erscheinen der ersten Auflage.
Vorwort
13
3
NPS als Wachstumsmotor
Gerard Kleisterlee stand als CEO von Royal Philips Electronics vor großen Herausforderungen. Philips war durch seine stark produktorientierte Ingenieurskultur zu einem der weltweit größten Elektronikkonzerne geworden. Kleisterlee wusste, dass er dieser Stärke viel zu
verdanken hatte – er selbst war gelernter Ingenieur und hatte, wie
zuvor schon sein Vater, sein ganzes Berufsleben bei Philips verbracht.
Aber nun musste sich die Unternehmenskultur ändern. Der Markt war
sehr viel wettbewerbsintensiver geworden. Die Kundenerwartungen
waren gestiegen. Seiner Ansicht nach musste sich Philips stärker auf
seine Kunden ausrichten, um erfolgreich weiter wachsen zu können.
Also gab Kleisterlee dem damaligen Marketingchef Geert van Kuyck die
Aufgabe zu untersuchen, wie die Unternehmenskultur verändert werden könne und welches der beste Ansatz für Philips sei. Der ideale
Ansatz würde im Einklang mit der Firmenphilosophie „Sense and Simplicity“ stehen müssen. Er müsste durch Genauigkeit und Sorgfalt
auch die Ingenieure überzeugen und weltweit anwendbar sein. Mit
einem Umsatz von über 25 Milliarden Euro im Jahr 2010 und rund
125.000 Mitarbeitern in über 60 Ländern war Philips ein großes und
weltweit tätiges Unternehmen. Die Geschäfte erstreckten sich über
drei Branchen: Medizinprodukte (u.a. Tomografie- und Röntgengeräte
sowie Patientenüberwachungssysteme für Kliniken und die häusliche
Pflege), Konsumgüter (u.a. Kaffeemaschinen, Produkte für Mutter und
Kind, Küchen- und Haushaltsgeräte, Audio und Video sowie Körperpflege) und Licht (u.a. Leuchtmittel für Arbeitsplätze, Wohnräume und
Fahrzeuge). Kleisterlee war sich im Klaren, dass die Veränderung der
Unternehmenskultur in einer so komplexen Organisation eine schwierige Aufgabe war. Er verdeutlichte dem Vorstand, welche er folgskritische Bedeutung diese Veränderung hatte und dass sie oberste
Priorität für die gesamte Unternehmensführung haben musste.
Van Kuyck hatte Erfahrung mit kundenorientierten Unternehmen, da er
vor seinem Eintritt bei Philips bereits bei Procter & Gamble und Starbucks gearbeitet hatte. Daher wusste er, welch tiefgreifende Veränderungen dem Unternehmen bevorstanden. Er verschaffte sich einen Überblick
über alle möglichen Optionen, mit denen das Unternehmen stärker auf
den Kunden ausgerichtet werden konnte. Nachdem er die Ansätze der
großen Unternehmen weltweit untersucht hatte, fiel seine Wahl auf NPS.
66
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems
Seine Begründung lautete:
„NPS gefiel uns, da es ein einheitlicher Standard ist, auf den sich alle
Geschäftsbereiche einigen konnten. Zuvor hatte jeder Bereich seinen eigenen
Ansatz für die Messung der Kundenzufriedenheit entwickelt, aber nur wenige
erzielten Ergebnisse. Und keiner der Ansätze stellte einen Zusammenhang zur
wirtschaftlichen Performance des Unternehmens her. Daher mussten wir
außerhalb des Konzerns nach der richtigen Lösung suchen. NPS stellt einen
direkten Zusammenhang zum Umsatzwachstum her – und es regt zum Handeln an.“
„… ein direkter Zusammenhang zum Umsatzwachstum …“ Als van
Kuyck und das Führungsteam NPS näher betrachteten, entdeckten sie
einen engen Zusammenhang zwischen dem von Philips erzielten NPSWert relativ zu dem des stärksten Wettbewerbers und dem eigenen
Net Promoter Score
–40%
–30%
–20%
–10%
0%
Philips liegt zurück
왕
왕
10%
20%
왕
왕
왕
//
Philips im Mittelfeld
//
//
왕 //
Philips ist Marktführer
왕 //
//
왕
//
왕
//
// 왕
왕
//
왕
// 왕
//
왕
왕
//
왕
//
//
왕
//
//
70%
왕
//
//
60%
//
왕
// 왕
50%
//
왕
왕 //
40%
//
//
왕
30%
//
// 왕
//
왕
왕
왕
왕
Legende
왕 NPS von Philips
// Durchschnitts-NPS im Markt
Spanne der Wettbewerber
Abbildung 3-1: Relativer NPS-Vergleich mit direkten Wettbewerbern (Top-down-Ansatz) bringt die
besten Ergebnisse (Beispiel: Haushaltsgeräte und Personal Care).
(Quelle: Philips; Bain-Studie)
3 NPS als Wachstumsmotor
67
Wachstum relativ zu dem der Konkurrenten im Markt. Die Analyse
wird in den Abbildungen 3-1 und 3-2 dargestellt.
In Abbildung 3-1 werden die NPS-Werte der Wettbewerber für einen
bestimmten Geschäftsbereich als Balken abgebildet. Der Durchschnitt
ist durch // markiert, der von Philips erzielte NPS durch ein Dreieck.
Wie andere Unternehmen hat auch Philips gelernt, dass es darauf
ankommt, im Marktvergleich vor den Konkurrenten zu liegen, und weniger darauf, ein bestimmtes NPS-Niveau zu erreichen. In den
Geschäftsbereichen (zum Beispiel Rasierer in China), in denen Philips
NPS-führend war, lag die durchschnittliche Wachstumsrate 8 Prozent
über dem der jeweiligen Wettbewerber (siehe Abbildung 3-2). In den
Märkten, in denen Philips’ NPS hinter den Wettbewerbern zurücklag,
fiel das Wachstum um 5 Prozentpunkte schwächer aus. Als Philips
genauer hinschaute und detailliertere Daten zu NPS und den lokalen
Wachstumsraten sowie Marktanteilsveränderungen erhob, wurde der
Zusammenhang noch deutlicher. So ließen sich im amerikanischen
Markt für Medizintechnik 90 Prozent aller Marktanteilsveränderungen
zwischen Philips und seinen Hauptkonkurrenten durch einen Vergleich der NPS-Werte erklären.
Andere Unternehmen haben ähnliche Analysen durchgeführt und
weitgehend übereinstimmende Ergebnisse erhalten. Die Allianz Gruppe untersuchte die relativen NPS-Werte und Wachstumsraten in ihrem
Versicherungsgeschäft auf dieselbe Weise wie Philips und erhielt ähnliche Ergebnisse. Beide Unternehmen haben auf Basis dieses Konzepts
Differenz der Wachstumsraten von Philips zum Marktdurchschnitt
10%
8%
5%
2%
0%
–5%
–5%
Philips ist
Marktführer
Philips im
Mittelfeld
Philips liegt
zurück
Abbildung 3-2: „NPS-Leader“ unter den Philips-Geschäftsbereichen wachsen schneller als ihr Markt
(Quelle: Philips; Bain-Studie)
68
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems
strategische Ziele gesetzt und diese ihren Aktionären und Analysten
präsentiert.
Philips gab in seinem Geschäftsbericht 2009 bekannt, dass 60 Prozent
des Konzernumsatzes inzwischen aus solchen Geschäftsbereichen
stammte, in denen Philips beim NPS allein oder gleichauf vorne im
Markt lag. Das für die Vergütung aller Führungskräfte relevante Langfristziel ist nun, alleiniger NPS-Leader zu sein (eines unter mehreren
führenden Unternehmen zu sein reicht nicht mehr aus). Bis zum Jahr
2015 will Philips rund 50 Prozent des Umsatzes in Geschäftsbereichen
erwirtschaften, die NPS-Leader sind.
„… und NPS regt zum Handeln an.“ Der NPS war hilfreich, um Ziele zu
setzen und Fortschritte zu messen. Besonders mochten van Kuyck und
die Geschäftsbereichsleiter aber, dass NPS hilft, Veränerungen anzustoßen. Das Kundenfeedback ist gezielt, greifbar und direkt. Mitarbeiter
im gesamten Unternehmen können erfassen, was der NPS-Wert bedeutet und welches die angemessene Reaktion sein könnte. So fanden die
Führungskräfte im Firmenkundengeschäft mit Medizinprodukten
rasch Möglichkeiten, wie sie den Service für MRT-, CT- und Ultraschallgeräte verbessern konnten, nachdem sie Feedback ihrer Kunden aus
Praxen und Kliniken erhalten hatten. Auf Basis dieses Feedbacks entwickelten sie Vorgaben für die Weiterentwicklung von Produkten und
Dienstleistungen. In den folgenden Kapiteln lesen Sie weitere Beispiele
von Philips und anderen Unternehmen, die zeigen, wie NPS Veränderungen anstößt, die zu Wachstum führen.
Die wirtschaftliche Macht ausgezeichneter
Kundenbeziehungen
Wer den Zusammenhang zwischen Kundenbeziehungen und Wachstum verstehen will, sollte mit einer einfachen Tatsache beginnen: Im
Geschäftsleben sind letztlich alle Entscheidungen mit Kosten verbunden. Alle Unternehmen würden sich um bessere Kundenbeziehungen
bemühen, wenn diese kostenlos zu haben wären. Alle Unternehmensführer würden ihre Gewinnziele lieber durch gute Gewinne erreichen
als durch schlechte, wenn das ohne zusätzliche Kosten möglich wäre.
Mit Sicherheit würden alle Kunden ab sofort gut behandelt, wenn sich
das nicht auf die finanzielle Situation der Unternehmen auswirken
würde. Doch es kostet natürlich etwas, wirklich gute Beziehungen aufzubauen – oft sogar beträchtliche Summen. Es erfordert Investitionen.
Unternehmen müssen ihre Abhängigkeit von schlechten Gewinnen
3 NPS als Wachstumsmotor
69
verringern. Kunden zu täuschen oder auszubeuten und gleichzeitig
bessere Beziehungen zu ihnen aufzubauen, ist schlicht nicht möglich,
zumindest nicht langfristig.
Um wirklich gute Kundenbeziehungen aufzubauen, müssen Unternehmen häufig mehr in den Wert ihrer Produkte, in Service, Personalausstattung, Schulungen oder Technologie investieren als ihre Wettbewerber. Viele großartige Unternehmen – rasch wachsende, profitable
Firmen wie Apple Retail, Costco, Vanguard, TD Bank und Chick-A-fil –
haben in ihre Beziehungen investiert und trotzdem hervorragende
finanzielle Ergebnisse erzielt. Für manche Investmentanalysten ist der
Erfolg von Unternehmen wie Costco oder TD Bank beinahe rätselhaft.
Ausgehend von ihren zahlenorientierten Analysen erscheinen ihnen
einige Investitionen sehr hoch und einige Erträge dagegen niedrig. Die
Unternehmen erwirtschaften jedoch nach wie vor gesunde Gewinne
und wachsen stärker als die Konkurrenz.
Die eigentliche Frage ist also weniger die nach den Kosten wirklich
guter Kundenbeziehungen – diese sind meist leicht der Gewinn- und
Verlustrechnung oder den Berichten des Controllings zu entnehmen –,
sondern die nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Unternehmen müssen
verstehen, welchen wirtschaftlichen Nutzen ihnen der Aufbau besserer
Kundenbeziehungen bringt. Sie müssen zum Beispiel folgende Fragen
beantworten können: Was wäre es wert, wenn wir einen Kritiker in
einen passiv zufriedenen oder begeisterten Kunden verwandelten? Was
wäre es wert, wenn wir unseren NPS um 10 Prozentpunkte steigerten?
Wo würde sich diese Verbesserung finanziell zeigen?
Derzeit können nur wenige Manager diese Fragen beantworten. In diesem Kapitel werden wir beginnen, die Wirtschaftlichkeitsaspekte zu
klären, und zwar mit Begriffen, die zahlenorientierte Führungskräfte
verstehen. Die Analyse mag zunächst komplex erscheinen, sie zeigt
jedoch, worauf es bei NPS schlussendlich ankommt.
Zunächst soll anhand einiger Beispiele der Kundenwert beleuchtet
werden. Der Wert eines Promotors oder Kritikers lässt sich quantifizieren. Angesichts der großen Bedeutung von Promotoren für den Aufbau
eines Geschäfts muss man die Verbesserung des NPS-Werts sogar quantifizieren und in finanzielle Werte übersetzen. Wenn die erforderlichen Daten nicht direkt verfügbar sind, können die meisten Unternehmen sie erheben. Bitte bedenken Sie dabei, dass diese Quantifizierung
noch eine junge Wissenschaft ist – selbst nach einigen Jahren Erfahrung sind die meisten Anwender noch dabei, ihr Bild von den wirtschaftlichen Vorteilen zu verfeinern und die Berechnungsverfahren zu
70
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems
verbessern. Lassen Sie also nicht das Beste zum Feind des Guten werden, nutzen Sie Schätzwerte, wenn keine exakten Daten vorliegen –
und bleiben Sie innovativ!
Zunächst wird der Kapitalwert des Durchschnittskunden berechnet. Das
Vorgehen wird in Fred Reichhelds Buch „Der Loyalitäts-Effekt“6 beschrieben (oder auch auf der Webseite www.netpromotorsystem.com). Kurz
gesagt, werden alle Geldflüsse, die im Lauf einer typischen Kundenbeziehung anfallen, erfasst und unter Verwendung eines angemessenen
Abzinsungssatzes ihr Gegenwartswert berechnet. Ausgehend vom Kapitalwert des Durchschnittskunden kann der Kapitalwert von Promotoren, passiv zufriedenen Kunden und Kritikern berechnet werden. Diese
zeigen sehr unterschiedliche Verhaltensweisen und produzieren erheblich abweichende ökonomische Ergebnisse. Im Folgenden werden die
Unterschiede zwischen den Kundenkategorien beschrieben und einige
Hinweise genannt, wie man die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das
eigene Unternehmen abschätzen kann.
• Kundenbindungsrate. Da Kritiker gewöhnlich in höheren Raten
abwandern als Promotoren, sind ihre Beziehungen zum Unternehmen kürzer und nicht so profitabel. Indem die Kunden
anhand ihrer Antwort auf die Frage nach der Empfehlungsbereitschaft als Promotoren oder Kritiker eingestuft werden, können
ihre Bindungsmuster bestimmt und die Auswirkungen quantifiziert werden. So lässt sich die durchschnittliche Beziehungsdauer
der derzeitigen Kundenmischung aus Kritikern und Promotoren
bereits abschätzen, bevor Zeitreihendaten vorliegen. Dazu muss
man die Frage nach der Empfehlungsbereitschaft nur um die
Frage ergänzen, wie lange der Befragte bereits Kunde ist. Aus dieser durchschnittlichen Beziehungsdauer lassen sich wahrscheinliche Bindungsmuster ableiten. (Das kann teilweise schwierig sein,
Hinweise sind im Kapitel 2 des Buches „Der Loyalitäts-Effekt“
sowie auf der Webseite www.netpromotersystem.com enthalten.)
• Preisgestaltung. Promotoren sind gewöhnlich weniger preissensibel
als andere Kunden. Meist haben sie das Unternehmen nicht aufgrund des Preises gewählt, sie schätzen die Gesamtqualität und
die Wertigkeit des Angebots. Sie wollen, dass das Unternehmen
gedeiht. Das Gegenteil gilt für Kritiker: Sie sind meist preissensibler und haben kein Interesse daran, wie es dem Unternehmen
geht. Man muss den jeweiligen Warenkorb aus Produkten und
6
Frederick F. Reichheld, Bain & Company, Der Loyalitäts-Effekt: Die verborgene Kraft
hinter Wachstum, Gewinnen und Unternehmenswert, Frankfurt 1997
3 NPS als Wachstumsmotor
71
Dienstleistungen über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten untersuchen, um die Gewinnspanne für Promotoren und Kritiker unter Berücksichtigung von Rabatten und Preiszugeständnissen zu berechnen.
• Jährliche Ausgaben. Promotoren steigern ihre Ausgaben meist
schneller als Kritiker, weil sie dazu neigen, ihre Käufe in der jeweiligen Produktkategorie zunehmend bei ihrem bevorzugten Anbieter zu tätigen. Der Anteil des Unternehmens am Kundenbudget
(Share of Wallet) wächst ferner in dem Maß, in dem Promotoren
auf höherwertige Produkte umsteigen und begeistert auf neue
Produktangebote oder Dienstleistungen reagieren. Promotoren
interessieren sich viel stärker für neue Produkte und Markenerweiterungen als passiv Zufriedene und Kritiker.
• Kosteneffizienz. Kritiker beschweren sich häufiger und erfordern
damit mehr Kundendienst-Ressourcen. Manche Unternehmen stellen auch fest, dass Zahlungsausfälle bei dieser Kundengruppe
höher sind (vielleicht ist das die „Rache“ der Kritiker). Entsprechend
sollte auch ein Großteil der Prozesskosten Kritikern zugeschrieben
werden, da Gerichtsprozesse mit Promotoren selten sind.
Aufwendungen für Vertrieb, Marketing und Werbung sowie
andere Akquisitionskosten sind bei Promotoren ebenfalls geringer, weil die Geschäftsbeziehung zu ihnen länger dauert und ihr
Interesse an Angeboten oder zusätzlichen Produkten und Dienstleistungen höher ist. Das durchschnittliche Bestellvolumen ist
bei Promotoren gewöhnlich größer; ihre Kaufmuster sind vorhersehbarer (und können manchmal angepasst werden, um den
Produktionsprozess reibungsloser zu gestalten), wodurch Verwaltungs- und Lagerkosten gesenkt werden können. Die größte
Wirkung – wenn auch am schwierigsten zu quantifizieren –
zeigt das positive Feedback der Promotoren an die Mitarbeiter im
Kundenkontakt: die positive Energie und Stärkung der Moral
wirkt als kräftige Produktivitätssteigerung. Daraus folgen weitere Produktivitätsverbesserungen und Kosteneinsparungen, da
die Fluktuation dieser Mitarbeiter sinkt.
• Mundpropaganda. Diese NPS-Komponente verdient eine detailliertere Betrachtung, da sie so wichtig ist, sich zugleich aber nicht
leicht analysieren lässt. Zunächst muss man (falls nötig durch
eine Befragung) bestimmen, wie groß der Anteil der Neukunden
ist, die sich aufgrund des Renommees oder von Empfehlungen für
das Unternehmen entschieden haben. Bei denjenigen Kunden, die
72
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems
mehr als einen Grund für ihre Wahl nennen, muss die Bedeutung
der Empfehlung für ihre Entscheidung geschätzt werden. Der
Kapitalwert dieser Neukunden, einschließlich eventueller Einsparungen bei den Vertriebs- und Marketingkosten, wird den Promotoren zugeschlagen (von denen zwischen 80 und 90 Prozent aller
Empfehlungen stammen). Bedenken Sie auch, dass Kunden, die
auf Empfehlung kommen, gewöhnlich größere wirtschaftliche
Vorteile bieten; zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ebenfalls zu Promotoren werden, höher – was die positive Spirale der
Weiterempfehlungen weiter beschleunigt.
Kritiker hingegen sind für 80 bis 90 Prozent der negativen Mundpropaganda verantwortlich; daher sollten die negativen Auswirkungen dieser Wachstumsbremse ihnen zugerechnet werden.
Diese Kosten lassen sich am ehesten abschätzen, indem man überlegt, wie viele positive Empfehlungen durch einen negativen
Kommentar neutralisiert werden und wie viele potentielle empfohlene Kunden dadurch verloren gegangen sind. Diese Zahl lässt
sich nur durch eine Kundenbefragung exakt ermitteln. Für eine
erste Schätzung kann man (nach der Erfahrung von Bain-Kunden
und Berichten anderer Marktforscher) jedoch davon ausgehen,
dass ein negativer Kommentar zwischen drei und zehn positive
Äußerungen aufhebt. Nehmen Sie als Beispiel die Suche nach
einem neuen Zahnarzt nach einem Umzug: Wie viele positive
Äußerungen werden nötig sein, damit Sie sich für einen bestimmten Zahnarzt entscheiden, wenn sie bereits einen negativen Kommentar von einem guten Freund oder Kollegen über ihn gehört
haben?
Bain nutzt diesen Ansatz regelmäßig und weltweit zur Berechnung des
Kapitalwerts von Kunden mit Hilfe interner Kundendaten. Selbstverständlich müssen diese Daten vertraulich bleiben, aber wir können
anhand öffentlich zugänglicher Daten die Vorgehensweise zeigen. So
können Sie auch die Kundenbeziehungen eines Übernahmekandidaten oder eines Wettbewerbers untersuchen. Bain benutzte die beschriebene Methode, um den Wert der Kunden für Retail-Banken in Nordamerika im Jahr 2008 zu berechnen. Zunächst befragte Bain 4.300
Bankkunden in Nordamerika. Auf dieser Grundlage wurden die Kunden jeder Bank in Promotoren, passiv Zufriedene und Kritiker kategorisiert. Die Umfrage beinhaltete auch Fragen zu den genutzten Bankprodukten, Dienstleistungen und Kontoguthaben. Es wurde nach der
Dauer der Kundenbeziehung gefragt und wie die Befragten zu Kunden
dieser Bank geworden waren, ob sie beabsichtigten, weiter Kunde zu
bleiben, und ob sie die Bank schon einmal weiterempfohlen hatten.
3 NPS als Wachstumsmotor
73
Aus den Antworten ergaben sich signifikante Unterschiede im Verhalten
der Promotoren, passiv Zufriedenen und Kritiker. Diese Ergebnisse
stimmten mit den Erkenntnissen überein, die wir im Lauf der Jahre aus
unserer Arbeit mit Retail-Banken gewonnen hatten. Promotoren überlassen ihrer Hausbank fast 45 Prozent mehr ihres Haushaltsguthabens als
Kritiker. Sie kaufen durchschnittlich 25 Prozent mehr Produkte und
Dienstleistungen der Bank als Kritiker – und ihr Produktmix enthält
mehr profitable Giro- und Sparkonten. Die Fluktuationsrate der Promotoren beträgt nur etwa ein Drittel der von Kritikern. Und Promotoren
empfehlen ihre Bank etwa siebenmal so häufig weiter wie Kritiker.
Um die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Verhaltens abzuschätzen, verwendeten wir branchendurchschnittliche Werte für die Nettozinsspannen für Guthaben und Kredite und für Overhead- und andere
Kosten und erstellten daraus eine Gewinn- und Verlustrechnung. Diese
dividierten wir, um einen Wert pro Kunde zu erhalten. Dann erstellten
wir ein einfaches Modell, um den finanziellen Effekt des Verhaltens
von Promotoren, passiv Zufriedenen und Kritikern zu bewerten. Dabei
zinsten wir die zukünftigen Cashflows auf einen Gegenwartswert ab.
Ausgehend von dieser Untersuchung, ist ein Promotor für eine Bank
rund 9.500 Dollar mehr wert als ein Kritiker (siehe Abbildung 3-3). Tatsächlich haben Kritiker einen negativen Kapitalwert: Sie vernichten
Unternehmenswert für Aktionäre und Mitarbeiter.
Die Analyse von Bain lässt allerdings immer noch einige Einflüsse
außer Acht. Es hat sich gezeigt, dass die durch Empfehlung geworbenen Neukunden selbst häufiger zu Promotoren werden und somit
wertvoller sind als der durchschnittliche Neukunde. Wären wir weniger konservativ vorgegangen, hätten wir diesen zusätzlichen Kundenwert den Promotoren zugeschlagen. Ebenso haben Bain-Kunden die
Erfahrung gemacht, dass die Servicekosten bei Kritikern erheblich
höher sind als bei Promotoren. Sie rufen häufiger beim Kundendienst
an, haben mehr Probleme, die gelöst werden müssen, und nutzen
unterdurchschnittlich häufig Selbstbedienungs-Tools wie Online-Banking. Würde man diese zusätzlichen Kosten einbeziehen, ergäbe sich
eine genauere Schätzung der Wertdifferenzen.
Beispielrechnung: Wert der Mundpropaganda bei Dell
In der Beispielrechnung für Retail-Banken setzte Bain Schätzwerte für
positive und negative Kundenempfehlungen ein. Wie Sie Abbildung 3-3
entnehmen können, ergibt sich ein Großteil der Wertedifferenz zwi74
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems
Kapitalwert der wohlhabenden Privatkunden
in Tsd. US$
6,7
8
Mundpropaganda
5
Bindung
Anteil am Haushaltsbudget
3
2,0
2,0
Durchschnittskunde (Basis)
Zusätzliches
Wertsteigerungspotential
(nicht quantifiziert)
– Wert erneuter
Weiterempfehlungen
der durch Empfehlung
geworbenen Neukunden
– Geringere Servicekosten
für Promotoren
0
– Cross-Selling-Raten für
Anlageprodukte bei
Promotoren
–2,8
–3
–4,8
–5
Kritiker
Passiv
Zufriedene
Promotoren
Abbildung 3-3: Im gehobenen Privatkundengeschäft der Banken sind Promotoren 9.500 Dollar mehr
wert als Kritiker (Quelle: Bain North America Financial Services NPS Survey 2008)
schen Promotoren und Kritikern durch diesen Effekt der Mundpropaganda. Ähnliche Muster konnten wir in vielen Unternehmen erkennen, für die wir gearbeitet haben. Dennoch sind Managementteams oft
zögerlich, überhaupt zu versuchen, den Wert von Empfehlungen zu
berechnen. Denn in der Finanz- und Managementfachliteratur ist nur
wenig zum Thema zu finden ist. Dennoch ist es wichtig: Ein guter Ruf
kann erhebliches Neugeschäft generieren, während ein schlechter Ruf
das Wachstum behindern kann.
Bain benutzte einen ähnlichen Ansatz, um den Wert von Promotoren
und Kritikern im PC-Geschäft zu berechnen. Der PC-Hersteller Dell
hatte zu dieser Zeit gravierende Probleme mit seinen Kundenbeziehungen. Bain berechnete den Wert der Kritiker und Promotoren für das Privatkundengeschäft mit Hilfe eines Modells, das die genannten Variablen einbezog. Wertpapieranalysten gingen zum damaligen Zeitpunkt
davon aus, dass der Durchschnittskunde für Dell 210 Dollar wert war.
Abweichend von diesem Durchschnittswert, ergab die Bain-Analyse,
dass ein Kritiker das Unternehmen tatsächlich 57 Dollar kostete, während ein Promotor 328 Dollar brachte. Lassen Sie uns ansehen, wie das
Bain-Team bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung der Mundpropaganda
vorging.
Zunächst entwickelte es gemeinsam mit Satmetrix eine kurze E-MailUmfrage, um Dell-Kunden aus öffentlich zugänglichen Quellen herauszufiltern. Dann stellte es diesen Kunden eine Reihe von Fragen, darun3 NPS als Wachstumsmotor
75
ter auch die, warum sie sich für Dell und nicht für einen anderen
Anbieter entschieden hatten. Die Ergebnisse zeigten, dass etwas mehr
als 25 Prozent der Neukunden auf Empfehlung von Freunden oder Kollegen zu Dell kamen. Auch die Frage nach der Weiterempfehlungsbereitschaft wurde gestellt, um die Befragten als Promotoren, passiv
Zufriedene oder Kritiker einstufen zu können. Schließlich fragte Bain
nach der Zahl positiver oder negativer Äußerungen gegenüber Freunden und Kollegen. Aus den Antworten ergab sich, dass rund 60 Prozent
der damaligen Dell-Kunden Promotoren waren, 25 Prozent passiv
Zufriedene und 15 Prozent Kritiker. Ausgehend von den positiven und
negativen Äußerungen dieser Kunden schätzten die Berater, dass die
damals acht Millionen Kunden von Dell etwa 40 Millionen positive und
fünf Millionen negative Kommentare abgegeben hatten.
Der Wert dieser positiven Mundpropaganda wurde dann Schritt für
Schritt wie folgt berechnet:
• Bei unserer Umfrage gaben 25 Prozent der Neukunden an, dass
sie sich hauptsächlich aufgrund von Empfehlungen für Dell entschieden hatten. Mit anderen Worten: Eine Million der vier Millionen Neukunden dieses Jahres verdankte Dell positiver Mundpropaganda.
• Da jeder Neukunde durchschnittlich 210 Dollar wert war, belief
sich der Gesamtwert jener Million Neukunden für Dell auf 210
Millionen Dollar.
• 40 Millionen positive Äußerungen erzeugten also einen Wert von
210 Millionen Dollar; jede einzelne positive Äußerung war demnach 5,25 Dollar wert.
• Ein durchschnittlicher Promotor gab an, etwa acht Personen
gegenüber positive Kommentare abgegeben zu haben – daher ist
seine positive Mundpropaganda 42 Dollar wert (8 mal 5,25 Dollar).
Die Kunden wurden auch nach ihren durchschnittlichen Ausgaben
pro Jahr, der Dauer ihrer Kundenbeziehung zu Dell sowie nach der
Zahl ihrer Anrufe beim Kundendienst befragt. Aus all diesen Angaben
konnte Bain die anderen wirtschaftlichen Vorteile der Promotoren
schätzen. Insgesamt kam man zu dem Ergebnis, dass jeder Promotor
118 Dollar mehr wert war als der Durchschnittskunde – nämlich 328
Dollar. Wäre diese Analyse mit internen Daten von Dell durchgeführt
worden, wäre die Differenz vermutlich noch höher ausgefallen, da
man den höheren Wert der empfohlenen Kunden über die Zeit ermit76
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems
teln und das Folgekaufverhalten der Promotoren genauer hätte untersuchen können.
Bei der Berechnung der von Kritikern verursachten Kosten stellte das
Bain-Team zunächst fest, dass die Kritiker für den größten Teil der
negativen Mundpropaganda über Dell verantwortlich waren. Um die
damit verbundenen Kosten abschätzen zu können, fragte man die Kunden, wie viele positive Äußerungen von Freunden oder Kollegen erforderlich seien, um eine einzelne negative Äußerung zu neutralisieren.
Im Durchschnitt sagten die Kunden, dass mindestens fünf positive
Kommentare erforderlich seien. Da sich die Kritiker den Umfragedaten
zufolge jährlich etwa vier Personen gegenüber negativ äußerten, neutralisierte jeder von ihnen 20 positive Kommentare (mit einem Wert
von je 5,25 Dollar) und kostete Dell damit allein in dieser Hinsicht jährlich 105 Dollar.
Die Umfrage ergab auch, dass Kritiker fast dreimal so häufig beim
Kundendienst anriefen wie Durchschnittskunden, weniger kauften
und auch seltener Folgekäufe bei Dell tätigten. Über die gesamte
Dauer ihrer Beziehung zu Dell erzeugten Kritiker einen um 267 Dollar niedrigeren Wert für das Unternehmen als die Durchschnittskunden – das heißt, jeder Kritiker vernichtete 57 Dollar für Dell und seine
Aktionäre.
Wie bei der Analyse der Retail-Banken unterschätzt auch diese Berechnung die Gesamtkosten der Kritiker für das Unternehmen. Sie berücksichtigte nicht zusätzliche Faktoren wie den Effekt negativer Mundpropaganda auf die Bestandskunden, die mögliche Beeinträchtigung des
Firmenkundengeschäfts durch unzufriedene Verbraucher und den
negativen Einfluss des Umgangs mit verärgerten Kunden auf Engagement und Bindung der Belegschaft. Bain konnte auch mehrere potentiell wichtige, indes nur mit Hilfe interner Informationen schätzbarer
Effekte nicht berücksichtigen, wie zum Beispiel Zahlungsausfälle und
Prozesskosten. Dennoch ergibt die Berechnung einen brauchbaren
Schätzwert, der sich zur Beurteilung von Investitionen heranziehen
lässt, die dem Aufbau besserer Kundenbeziehungen dienen.
Die Analyse von Bain zeigt, wie stark die wirtschaftliche Wirkung der
Promotoren ist. Zum Zeitpunkt der Untersuchung hatte Dell rund
acht Millionen Einzelkunden. Jene 15 Prozent Kritiker kosteten das
Unternehmen rund 68 Millionen Dollar (1,2 Millionen Kritiker mit
einer Einbuße von je 57 Dollar). Wenn es gelänge, nur die Hälfte der
Kritiker in Durchschnittskunden zu verwandeln – angesichts der Tatsache, dass andere Unternehmen der Branche mit hohen Net Promoter
3 NPS als Wachstumsmotor
77
Scores 3 bis 8 Prozent Kritiker haben, ein realistisches Ziel –, könnte
Dell sein Jahresergebnis um über 160 Millionen Dollar verbessern
(600.000 Kritiker mit einer Verbesserung von jeweils 267 Dollar). Diese
einfache Rechnung könnte den Managern bei Dell helfen, der Reduzierung von Kritiker und der Gewinnung von Promotoren die richtige
Priorität beizumessen. Dell und andere Unternehmen könnten größere Investitionen, mit denen die Kundenerfahrung verbessert werden
soll, jetzt ebenso exakt wirtschaftlich analysieren wie dies bei anderen
Investitionen schon seit langem üblich ist.
Kurz gesagt: Indem Unternehmen die herkömmlichen Zufriedenheitsumfragen aufgeben und stattdessen NPS-Wirtschaftlichkeitsberechnungen anstellen, können sie endlich einen Zusammenhang zwischen
Kundenfeedback und Zahlungsströmen herstellen. So können sie
beginnen, die schlechten Gewinne aus ihrer Gewinn- und Verlustrechnung zu tilgen und ihren Wachstumsmotor auf eine nachhaltig überlegene Leistung einzustellen.
Der Zusammenhang zwischen NPS und Wachstum:
relativer NPS im Wettbewerbsvergleich
Die Detailsicht des Kundenwerts ist die Basis für Kosten-Nutzen-Analysen, mit denen Investitionen in verbesserte Kundenbeziehungen überprüft werden können. Topmanager müssen allerdings auch die Unternehmensperspektive im Blick behalten. Sie müssen ermitteln können,
wie wertvoll die NPS-Verbesserungen insgesamt sind, so dass sie entsprechende Ziele vorgeben und Führungskräften die Verantwortung
für die Umsetzung übertragen können.
Es ist zwar verlockend, jährlich absolute Werte für den NPS vorzugeben oder ihn branchen- oder regionenübergreifend zu vergleichen.
Erfahrene NPS-Anwender wie Philips und Allianz haben jedoch
erkannt, dass sie sich besser darauf konzentrieren, sich in jedem
(genau definierten) Geschäftsbereich rascher zu verbessern als die Konkurrenz (das heißt, als die relevanten Wettbewerber in einer bestimmten Region, die für die Kunden eine realistische Alternative sind). Ein
durchschnittlicher NPS-Wert aus verschiedenen Geschäftsfeldern oder
Regionen kann dagegen verzerrend wirken. In einigen Geschäftsbereichen oder Regionen kann der NPS systematisch niedriger ausfallen – so
haben fast alle Kraftfahrzeugversicherer in Australien einen negativen
NPS. Aber wie in einem Fußballspiel kommt es nicht darauf an, wie
viele Tore man erzielt, sondern nur darauf, dass die eigene Mannschaft
78
Teil I: Die Grundlagen des Net Promoter Systems