Alpha-1-Antitrypsin- Mangel – eine versteckte Ursache der COPD

Transcription

Alpha-1-Antitrypsin- Mangel – eine versteckte Ursache der COPD
M E D I Z I N
Alexander Biedermann1
Thomas Köhnlein2
Alpha-1-AntitrypsinMangel – eine versteckte
Ursache der COPD
Überblick über Pathogenese, Diagnostik,
Klinik und Therapie
Zusammenfassung
Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel beruht auf einer häufigen, genetisch bedingten Störung.
Die Erkrankung manifestiert sich an der Lunge
in Form einer chronisch obstruktiven Bronchitis
mit Lungenemphysem (COPD) sowie an der Leber als eine chronische Hepatitis mit Übergang
zur Leberzirrhose. Die Diagnose ist durch die
Bestimmung der Alpha-1-Antitrypsin-Konzentration im Serum zu stellen. Alle Patienten mit
chronischen Atemwegserkrankungen sollten
einmal im Leben auf einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel getestet werden. Die Therapieoptionen der Lungenbeteiligung bestehen aus
antiobstruktiven und antiinflammatorischen
Maßnahmen. Das therapeutische Spektrum
wird durch die Substitutionstherapie erwei-
A
lpha-1-Antitrypsin ist ein 52kDa-Molekül, das hauptsächlich
in den Hepatozyten produziert
und in den Blutkreislauf ausgeschüttet
wird. Normalerweise beträgt die tägliche Syntheserate circa 34 mg/kg und
führt zu einer Serumkonzentration
von 150–300 mg/dL. Alpha-1-Antitrypsin (Synonym: Alpha-1-Proteinasen-Inhibitor) ist in allen Körpergeweben nachweisbar, scheint aber in erster Linie in der Lunge physiologisch
bedeutsam zu sein. Aufgrund der
großen Kontaktfläche der Lunge mit
der Atmungsluft findet in diesem Organ ständig eine Vielzahl von zellulären Abwehrvorgängen statt. Vor
allem aus neutrophilen Granulozyten
werden dabei hochaktive Proteasen in
das umgebende Lungengewebe freigesetzt.
1 III. Medizinische Klinik, Schwerpunkt Pneumologie (Leiter: Prof. Dr. med. Roland Buhl), Klinikum der Johannes
Gutenberg-Universität, Mainz
2 Abteilung Pneumologie (Direktor: Prof. Dr. med. Tobias
Welte), Medizinische Hochschule Hannover
A 1828
tert. Behandlungsziel ist eine Verlangsamung
der raschen Abnahme der pulmonalen Leistungsfähigkeit.
Schlüsselwörter: Alpha-1-Antitrypsin-Mangel,
Lungenemphysem, Leberzirrhose, neonatales
hepatisches Syndrom
Summary
Alpha-1 antitrypsin deficiency –
a rare cause for COPD
Alpha-1 antitrypsin deficiency is a widespread genetic disorder. It typically affects
the lungs, resulting in chronic obstructive
pulmonary disease (COPD), and/or the liver,
Eine der wichtigsten Proteasen ist
die neutrophile Elastase, die mit hoher Aktivität das Organ Lunge im Sinne einer „Selbstandauung“ zerstören
kann. Beim Gesunden ist das fragile
Alveolargewebe durch mehrere Antiproteasen geschützt. Diese Schutzenzyme liegen im Überschuss vor und
verursachen eine irreversible Inaktivierung vor allem der neutrophilen
Elastase.
Alpha-1-Antitrypsin ist quantitativ
und auch hinsichtlich der Bindungsaffinität zur neutrophilen Elastase die
wichtigste Antiprotease. Demzufolge
ist die Balance zwischen Proteasen
und Antiproteasen in der Lunge von
Patienten mit Alpha-1-AntitrypsinMangel zur Proteasenseite verschoben. Dieses Ungleichgewicht hat einen langsam progredienten Verlust an
Struktur- und Funktionsproteinen zur
Folge (Grafik 1) (1–3).
Die Prävalenz des homozygoten Alpha-1-Antitrypsin-Mangels wird in der
europäischen Bevölkerung auf 0,01
bis 0,02 Prozent geschätzt. In Deutsch-
where it causes chronic hepatitis and liver
cirrhosis. The diagnosis can be established
by measuring the serum alpha-1 antitrypsin
concentration. All patients with chronic pulmonary diseases should be tested for alpha-1
antitrypsin deficiency once in their live.
Treatment of the pulmonary manifestations
comprises anti-obstructive and anti-inflammatory drugs, as for COPD of other aetiologies. Additionally, substitution with human
alpha-1 antitrypsin can be considered. All treatment is aimed at preventing the otherwise
rapid decline of lung function and exercise
capacity.
Key words: alpha-1 antitrypsin deficiency, emphysema, liver cirrhosis, neonatal hepatic syndrome
land beträgt die Zahl der homozygot
Betroffenen etwa 12 000, davon ist
schätzungsweise ein Drittel manifest erkrankt. Der Großteil aller Alpha-1-Antitrypsin-Mangelträger ist heute nicht
identifiziert oder wird unter anderen
Diagnosen, wie zum Beispiel Asthma
bronchiale oder chronische obstruktive
Lungenerkrankung (COPD) geführt
(4, 5). Die mittlere Lebenserwartung
von homozygoten Mangelträgern liegt
derzeit bei Rauchern zwischen 48 und
52 Jahren, und bei Nichtrauchern zwischen 60 und 68 Jahren (6).
Genetik und
Krankheitsverlauf
Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist
eine autosomal rezessiv vererbbare
Erkrankung, das heißt, die geerbten
Allele von beiden Elternteilen müssen
einen Defekt aufweisen, damit das
Krankheitsbild erkennbar wird. Die
gesunden Phänotypen werden mit den
Buchstaben M (M1 bis M6) gekenn-
⏐ Jg. 103⏐
⏐ Heft 26⏐
⏐ 30. Juni 2006
Deutsches Ärzteblatt⏐
M E D I Z I N
Grafik 1
Schematische Darstellung der
Proteasen und Antiproteasen in
der Lunge beim Gesunden (rechts)
und bei Patienten mit Alpha-1Antitrypsin-Mangel (links)
Grafik 2
Synthese und Freisetzung von Alpha-1-Antitrypsin. Mutationen beziehungsweise Synthesestörungen können auf der genetischen Ebene und/oder während der Proteinsynthese auftreten. Modifiziert nach (21).
⏐ Jg. 103⏐
⏐ Heft 26⏐
⏐ 30. Juni 2006
Deutsches Ärzteblatt⏐
zeichnet. Gebräuchlich ist die Kurzformel PI*MM, die zwei M-Allele als
genetischen Code für den Proteinaseninhibitor (PI) beschreibt.
Mutationen im genetischen Code
für Alpha-1-Antitrypsin bewirken eine verminderte und/oder fehlerhafte
Synthese und Freisetzung von Alpha1-Antitrypsin-Molekülen (Grafik 2).
Der häufigste Defekttyp ist der homozygote Z-Phänotyp (PI*ZZ). Dieser
geht mit einer erheblich verringerten
Serumkonzentration an Alpha-1-Antitrypsin einher, meist sind nur circa 20
bis 50 mg/dL nachweisbar. Dadurch ist
die antiproteolytische Kapazität hochgradig herabgesetzt.
Neben den homozygoten gibt es
auch heterozygote Varianten, zum
Beispiel PI*MZ und PI*SZ. Träger
von heterozygoten Gen-Varianten haben meistens eine normale Alpha-1Serumkonzentration und nur in Ausnahmefällen pulmonale oder hepatische Manifestationen (7).
Man geht heute davon aus, dass ein
dauerhafter Abfall der Serumkonzentration unter 35 Prozent des mittleren
Normalwertes, also unter 80 mg/dL,
schwere Lungenschäden in Form von
chronisch obstruktiver Bronchitis und
Lungenemphysem (COPD) verursacht. Erste pulmonale Symptome, also Husten, Auswurf, Dyspnoe unter
Belastung und später auch in Ruhe,
treten typischerweise zwischen dem
30. und 40. Lebensjahr auf. Bis zu 20
Prozent der Patienten entwickeln zusätzlich eine bronchiale Hyperreaktivität. Das Krankheitsbild ist progredient und endet in einer respiratorischen Insuffizienz mit ausgeprägtem,
basal betontem Lungenemphysem
(Abbildung) (8).
Die Entstehung von Leberschäden
ist weniger gut aufgeklärt als die Pathogenese der Lungenerkrankung. Eine Lebererkrankung wird nur bei einer kleinen Zahl von Patienten mit
homozygotem Alpha-1-AntitrypsinMangel vom Typ PI*ZZ beobachtet.
Das gleichzeitige Auftreten von Lungen- und Leberschäden im selben Individuum wurde bisher nur sehr selten
beobachtet (9).
Im Neugeborenenalter entwickelt
sich bei einem kleinen Teil der Alpha1-Antitrypsin-defizienten Patienten
A 1829
M E D I Z I N
ein neonatales hepatisches Syndrom
mit Ikterus, der meist nach wenigen
Wochen spontan rückläufig ist. Diese
Manifestationen sind nicht zwangsläufig mit einer Lebererkrankung in späteren Lebensjahren verbunden.
Ab dem Kindes- beziehungsweise
Jugendalter können die Symptome einer Hepatitis oder einer Leberzirrhose auftreten. Die abnorm synthetisierten Alpha-1-Antitrypsin-Moleküle der
Phänotypen PI*ZZ und einiger sehr
seltener M-Varianten (PI*MMalton
oder PI*MDuarte) haben die Eigenschaft, durch Polymerisation riesige
Molekülverbände zu bilden.
Diese Prozesse finden kurze Zeit
nach der Synthese noch innerhalb der
Leberzelle statt. Histologisch kann eine Akkumulation von Alpha-1-Antitrypsin im rauhen endoplasmatischen
Retikulum beobachtet werden. Die
gebildeten Molekülkomplexe sind für
die Hepatozyten nicht mehr exportierbar und führen längerfristig zur
Zellschädigung und über eine Fibrose
zur Leberzirrhose (10). Bei Alpha-1Antitrypsinmangel-bedingter Leberzirrhose ist die Inzidenz eines primären Leberzellkarzinoms deutlich
erhöht (11).
Diagnostik
Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zählt
innerhalb von Atemwegserkrankungen zu den häufig erst spät oder gar
nicht erkannten Krankheitsursachen.
Der Verdacht auf das Bestehen der Erkrankung ist durch die Bestimmung
der Serum-Alpha-1-Antitrypsin-Konzentration zu bestätigen oder zu widerlegen.
Allerdings ist Alpha-1-Antitrypsin
ein Akute-Phase-Protein, dessen Synthese beispielsweise bei einem Infekt
gesteigert wird. In dieser Situation
kann bei einem Mangelträger eine
deutlich höhere Alpha-1-AntitrypsinSerumkonzentration gemessen werden, als im infektfreien Intervall. Daraus folgt die Empfehlung, zeitgleich
zur Alpha-1-Antitrypsin-Bestimmung
das C-reaktive Protein (CrP) zu messen, um die genannte Situation mit
pseudonormalem Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel ausschließen zu können.
A 1830
Abbildung: Basal betontes Lungenemphysem mit Rarefizierung der Gefäßzeichnung, abgeflachten Zwerchfellkuppen und horizontal verlaufenden Rippen: 34-jährige Patientin mit schwerem,
homozygotem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel
Gegenüber der Absolutwertbestimmung im Serum ist das Abschätzen des
Alpha-1-Antitrypsin-Gehalts aus der
Serumelektrophorese („alpha-1 Zacke“)
wesentlich unsicherer. Die Sensitivität der Serumelektrophorese scheint
stark zu variieren. Deshalb wird nur
die Serumkonzentration als Basis für
die Diagnosestellung empfohlen (12).
Bei einer verminderten Konzentration kann in einem zweiten Schritt eine Phänotypisierung des Alpha-1-Antitrypsins erfolgen. Die zusätzliche Bestimmung des Genotyps bringt für die
klinische Routine keine weiteren Informationen.
Zumindest die Serumkonzentrationsbestimmung wird von den meisten
Laboratorien für Klinische Chemie
angeboten. Vor wenigen Jahren wurde
in den USA mit dem Projekt „dried
blood spot“ eine außergewöhnlich
kostengünstige Quantifizierungsmöglichkeit des Alpha-1-Antitrypsins eingeführt. Am Deutschen Alpha-1-Antitrypsin-Zentrum an der Philipps-Universität Marburg besteht die Möglichkeit, durch Einsendung eines so genannten „Alpha-1-kit“ den Phänotyp
beziehungsweise den Genotyp im
Rahmen eines Pilotprojekts kostenlos
bestimmen zu lassen (Kasten 1). Alpha-1-kits sind spezielle Filterpapierstreifen, auf die wenige Bluttropfen eines Probanden aufgebracht werden.
Ähnlich wie beim NeugeborenenScreening kann daraus die genannte
Diagnostik erfolgen. Die Blutproben
können für die Serumkonzentrations-
bestimmung mehrere Tage, für die
Phänotyp- oder Genotyp-Bestimmung
mehrere Wochen bei Raumtemperatur gelagert werden.
Zusätzlich zu den Patienten mit den
beschriebenen Symptomen sollte bei
allen Patienten mit einer chronischen
Atemwegserkrankung einmal im Leben eine Diagnostik bezüglich Alpha1-Antitrypsin-Mangel erfolgen (Kasten 2). In weiteren Schritten sollten
auch die eventuell noch asymptomatischen Blutsverwandten eines bekannten Alpha-1-Antitrypsin-Mangelträgers untersucht werden, um rechtzeitig prophylaktische Maßnahmen ergreifen zu können.
Therapie
Das therapeutische Vorgehen unterscheidet sich zunächst nicht von der
Standardtherapie der chronisch obstruktiven Bronchitis (13). Nikotinkarenz ist Grundvoraussetzung für den
Erfolg aller weiteren Maßnahmen.
Obligatorisch ist eine regelmäßige
Physio- und Atemtherapie. Zur Infektionsprophylaxe ist die Pneumokokken-Schutzimpfung, in den Herbstmonaten auch eine Grippeschutzimpfung,
zu empfehlen.
In den letzten Jahren wurde die chirurgische Lungenvolumen-Reduktion
(„lung volume reduction surgery“)
auch bei Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel bedingtem Lungenemphysem versucht. Die langfristigen Re-
⏐ Jg. 103⏐
⏐ Heft 26⏐
⏐ 30. Juni 2006
Deutsches Ärzteblatt⏐
M E D I Z I N
Kasten 1
Diagnostik
Die Alpha-1-Antitrypsin-Serumkonzentration kann
in nahezu allen Laboratorien für Klinische Chemie
bestimmt werden. Die Kosten liegen bei 3 bis
5 Euro pro Bestimmung. Die Messung des Phänotyps beziehungsweise des Genotyps wird seltener
angeboten. Beides kann mithilfe eines „Alpha-1
kit“ im Labor des Deutschen Alpha-1-AntitrypsinZentrums an der Philipps-Universität Marburg kostenlos bestimmt werden.
Kontakt:
Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere
Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie, Prof. Dr.
Vogelmeier, Priv.-Doz. Dr. Bals, Baldingerstr. 1,
35043 Marburg
Internet: www.med.uni-marburg.de/einrichtungen/
pneumologie/patienten/2253/#a1
E-Mail: [email protected]
sultate waren bei diesen Patienten jedoch enttäuschend, sodass sich diese
Methode nicht als Standardtherapie
etablieren konnte (14). In weit fortgeschrittenem Krankheitsstadium kann
die Therapieoption der Lungentransplantation diskutiert und der Patient
an einem entsprechenden Zentrum
vorgestellt werden.
Seit einigen Jahren misst man der Substitution mit humanem Alpha-1-AntiKasten 2
Wann ist die Diagnostik auf
Alpha-1-Antitrypsin-Mangel sinnvoll?
> Bei Patienten mit Lungenemphysem im
jungen Erwachsenenalter
> Einmal im Leben aller Patienten mit einer
chronischen Lungenerkrankung
> Bei Blutsverwandten von Patienten mit
bekanntem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel
> Bei Patienten mit neonatalem hepatischem
Syndrom
> Bei Patienten mit Leberzirrhose aus sonst
unklarer Ursache
Kasten 3
Weiterführende Informationen
> Standards for the Diagnosis and Management
of Individuals with Alpha-1 Antitrypsin Deficiency.
American Thoracic Society/European Respiratory Society Statement [8]
> Arbeitsgruppe Alpha-1-Center,
www.alpha-1-center.de
trypsin, die derzeit in einigen Ländern
Europas und in den Vereinigten Staaten
an etwa 4 000 Patienten durchgeführt
wird, hohe Bedeutung zu. Dabei handelt
es sich um die parenterale Gabe von Alpha-1-Antitrypsin, das aus humanem
Spenderblut gewonnen wird und in
Deutschland seit 1987 erhältlich ist.
Für eine Substitutionstherapie kommen Alpha-1-Antitrypsin-defiziente Patienten infrage, deren Serumspiegel unter 80 mg/dL liegt, und die nicht rauchen.
Eine weitere Bedingung ist eine mittelgradig eingeschränkte Lungenfunktion,
gemessen am Atemstoß (FEV1), der zwischen 35 Prozent und 65 Prozent vom
Soll liegen muss. Darüber hinaus kommen Patienten mit normaler Lungenfunktion und nachgewiesenem raschen
FEV1-Verfall von 100 mL pro Jahr in
Betracht. Bei Patienten mit sehr weit
fortgeschrittenem Emphysem konnte ein
Therapieerfolg bisher nicht nachgewiesen werden (15, 16).
Es empfiehlt sich,aus Sicherheitsgründen die erste Applikation in der Klinik zu
verabreichen.Bei problemloser Substitution können alle weiteren Applikationen
in der Praxis des Haus- oder Facharztes
erfolgen.
Zur Effizienz der langjährigen Substitutionstherapie wurden bisher nur wenige klinische Studien publiziert. Der
retrospektive Vergleich zweier Patientenkollektive, eines aus Deutschland, bei
denen eine wöchentliche Substitution
mit Alpha-1-Antitrypsin vorgenommen
wurde, und eines aus Dänemark, wo keine Substitution erfolgte, zeigte einen geringeren Abfall der Ausgangs-FEV1 bei
den substituierten deutschen Patienten
(53 mL pro Jahr). Im Gegensatz dazu lag
der Abfall bei den nichtsubstituierten
dänischen Teilnehmern bei 75 mL/Jahr.
Statistisch signifikant waren die Unterschiede nur in der Subgruppe mit einem
Ausgangs-FEV1-Wert zwischen 31 Prozent und 65 Prozent der Norm (p < 0,02)
(17, 18).
In den Vereinigten Staaten wurden die
klinischen Verläufe von 1 129 Patienten
aus einem Alpha-1-Antitrypsin-Patienten-Register retrospektiv analysiert (19).
In einer Multivarianz-Analyse zeigte sich
in der Gruppe der substituierten Patienten eine niedrigere Mortalitätsrate
(Odds Ratio 0,79; p < 0,02). Die jährliche
Abnahme der FEV1 konnte bei Patien-
⏐ Jg. 103⏐
⏐ Heft 26⏐
⏐ 30. Juni 2006
Deutsches Ärzteblatt⏐
ten mit mittelgradig fortgeschrittenem
Krankheitsbild, das heißt bei Patienten
mit einem FEV1 zwischen 35 Prozent
und 49 Prozent vom Soll, signifikant vermindert werden (p < 0,03).
Die beiden genannten Observationsstudien erlauben lediglich die Schlussfolgerung, dass der Abfall der spirometrischen Messwerte bei Patienten mit
mittelgradig bis hoher Einschränkung
des Atemstoßes reduziert werden kann.
Prospektive Studien, die auch andere
Parameter wie Mortalität, Lebensqualität, körperliche Leistungsfähigkeit und
Dichtemessung des Lungengewebes einbeziehen, liegen bislang noch nicht vor
(20).
Manuskript eingereicht: 3. 1. 2006, revidierte Fassung angenommen: 26. 1. 2006
Dr. Köhnlein bekam Vortragshonorare und Reisekostenunterstützung von den Firmen Bayer Vital, Talecris und
ZLB Behring.
Dr. Biedermann erhielt Vortragshonorare und Reisekostenerstattungen von den Firmen Bayer AG und Talecris.
❚ Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2006; 103(26): A 1828–32.
Literatur
1. Morse JO: Alpha-1 antitrypsin deficiency. N Engl J Med
1978; 299: 1045–8.
2. Köhnlein T, Klein H, Welte T: Alpha-1 Proteinaseninhibitormangel. Diagnostik, Krankheitsverlauf und Therapieoptionen. Med Klin 1999; 7: 371–6.
3. Brantly ML, Wittes JT, Vogelmeier CF, Hubbard RC, Fells
GA, Crystal RG: Use of a highly purified alpha-1 antitrypsin standard to establish ranges for the common
normal and deficient alpha-1 antitrypsin phenotypes.
Chest 1991; 100: 703–8.
4. Konietzko N: Therapeutische Strategien bei a1-Proteaseninhibitormangel. Intensivmed 1995; 32: 261–5.
5.Van Steenbergen W: Alpha-1 Antitrypsin deficiency: an
overview. Acta Clinica Belgica 1993; 48: 171–89.
6.Wittes J, Wu MC: Natural history of alpha-1 antitrypsin
deficiency. In: Crystal RG, ed.: Alpha-1 antitrypsin deficiency. New York: Marcel Dekker 1996: 281–91.
7. Brantly ML, Paul LD, Miller BH, Falk RT, Wu M, Crystal
RG: Clinical features and natural history of the destructive lung disease associated with alpha-1 antitrypsin
deficiency of adults with pulmonary symptoms.Am Rev
Respir Dis 1988; 138: 327–36.
8.American Thoracic Society/European Respiratory Society Statement: Standards for the diagnosis and management of individuals with alpha-1 antitrypsin deficiency. Am J Respir Crit Care Med 2003; 168: 818–900
oder www.thoracic.org/adobe/statements/alpha1.pdf
9. Peitz U, Röcken C: Lebererkrankung bei Alpha-1 Antitrypsin-Mangel. In: Köhnlein T, Welte T, Hrsg.: Alpha-1
Antitrypsin-Mangel. Referenz für Klinik und Praxis. Bremen: Unimed 2003; 40–5.
10. Perlmutter DH: Clinical manifestations of alpha 1-antitrypsin deficiency. Gastroenterol Clin North Am 1995;
24: 27–43.
A 1831
M E D I Z I N
11. Eriksson S, Carlson J, Verlez R: Risk of cirrhosis and
primary liver cancer in alpha-1 antitrypsin deficiency. N Engl J Med 1986; 314: 736–9.
12. Brantly M.: Laboratory diagnosis of alpha-1 antitrypsin deficiency. In: Crystal RG, ed.: Alpha 1-antitrypsin deficiency. New York: Marcel Dekker; 1996:
211–26.
13. Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD): Executive summary of the National Institutes of Health. April 1998. www.goldcopd.com.
14. Teschler H, Stamatis G, el-Raouf Farhat AA, Meyer
FJ, Costabel U, Konietzko N: Effect of surgical lung
volume reduction on respiratory muscle function
in pulmonary emphysema. Eur Respir J 1996; 9:
1779–84.
15. Barker AF, Siemsen F, Pasley D, D'Silva R, Buist AS:
Replacement therapy for hereditary alpha1-anti-
trypsin deficiency. A program for long-term administration. Chest 1994; 105: 1406–10.
16. Graf HJ, Konietzko N: Substitutionstherapie bei
schwerem Alpha-1 Proteasen Inhibitor-Mangel und
Lungenemphysem. Dtsch Arztebl 1992; 89 (33):
2701–3.
17. Seersholm N, Wencker M, Banik N et al.: Does alpha-1 antitrypsin augmentation therapy slow the
annual decline in FEV1 in patients with severe hereditary alpha-1 antitrypsin deficiency? Eur Respir J
1997; 10: 2260–3.
18. Wencker M, Banik N, Buhl R, Seidel R, Konietzko N.:
Long-term treatment of alpha-1 antitrypsin deficiency-related pulmonary emphysema with human
alpha-1 antitrypsin. Eur Respir J 1998; 11: 428–33.
19. Alpha 1-Antitrypsin Deficiency Registry Study
Group: Survival and FEV1 decline in individuals
with severe deficiency of alpha-1-antitrypsin. Am J
Respir Crit Care Med 1998; 158: 49–59.
20. Abboud RT, Ford GT, Chapman KR: Emphysema in
alpha1-antitrypsin deficiency: does replacement
therapy affect outcome? Treat Respir Med 2005; 4:
1–8.
21. Crystal RG: Alpha-1 antitrypsin deficiency. In: Fischman AP, Hrsg.: Update: Pulmonary disease and disorders. New York: McGraw-Hill 1992.
DISKUSSION
Mai der Jahre 2002 und 2003 verglichen.
Diese Stichprobe umfasste circa 24 000
Messungen.
Im Frühjahr 2002 waren 61,7 Prozent
aller LDH-Werte kleiner oder gleich
dem Referenzwert (240 U/L für Erwachsene, beide Geschlechter), im Frühjahr
2003 waren es nur noch 42,7 Prozent.
(Referenzwert der 37-Grad-Celsius-Methode 225 U/L für Männer, 214 U/L für
Frauen). Ein Anhalt für eine Änderung
der Patientenpopulation bestand dabei
nicht. Unser Bestreben war, einen Referenzwert festzulegen, der das Verhältnis
von normalen zu erhöhten Werten wieder so reproduziert, wie es vor der Umstellung der Fall war. Dies wurde mit einem Grenzwert von 241 U/L für 18- bis
60-Jährige und 266 U/L für über 60-Jährige erreicht. Die Werte liegen nah bei dem
von den Verfassern vorgeschlagenen vorläufigen Normalbereich von < 250 U/L.
Die LDH im Serum, aber auch andere
Enzymaktivitäten, zeigen eine allmähliche Erhöhung mit zunehmendem Lebensalter. Für uns stellt sich die Frage, ob
dieser Tatsache nicht durch altersabhängige Normbereiche Rechnung getragen
werden sollte.
Schlusswort
zu dem Beitrag
Neue vorläufige
Normalbereiche für neun
Serumenzyme
von
Prof. Dr. med. Lothar Thomas
Dr. rer. nat. Gerhard Klein
in Heft 7/2006
Altersabhängige
Normbereiche
Wir können die geschilderte Problematik eines „gestörten Verhältnisses“ der
Anwender zu den neuen Normbereichen der Serumenzyme durch Daten aus
unserem Labor unterstützen. Nach der
im Januar 2003 vorgenommenen Umstellung der Messmethode für Enzymaktivitäten von 22 Grad Celsius auf
37 Grad Celsius kam es gehäuft zu
Rückfragen bezüglich der Validität und
Interpretation der Messwerte. Exemplarisch sei hier die Lactatdehydrogenase
(LDH) herausgegriffen. Mit einfacher,
beschreibender Statistik ließ sich zeigen,
dass der vom Hersteller des Tests angegebene Normwert nach der Methodenumstellung zu anderen Ergebnissen
führte. Hierzu wurden alle Werte für
LDH im Serum vom 15. Januar bis 15.
A 1832
Literatur
Ostendorf N, Niggemann H, Hoeher P: Performance of new
reference values for LDH and AP in clinical routine. Clin
Chem Lab Med 2004; 42 (10): A 141
Dr. med. Norbert Ostendorf
Medizinische Informatik
HELIOS Klinikum Wuppertal
Institut für Medizinische Mikrobiologie und
Immunologie
Heusnerstraße 40, 42283 Wuppertal
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Alexander Biedermann
Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
III. Medizinische Klinik,
Schwerpunkt Pneumologie
Langenbeckstraße 1, 55131 Mainz
E-Mail: [email protected]
Nach den europäischen Richtlinien für
In-vitro-Diagnostika müssen die Laboratorien die Normalbereiche, die im Beipackzettel des Reagenzherstellers angegeben sind, an den einsendenden Arzt
weitergeben. Die Alternative ist, eigene
Normalbereiche zu erstellen. Das ist für
viele Laboratorien schwer möglich, weil
Normalbereiche an klinisch gesunden
Probanden nach festgelegten Kriterien
der International Federation of Clinical
Chemistry ermittelt werden müssen.
Zielsetzung der Kommission der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie
und Laboratoriumsmedizin und dem
Verband der Diagnostica-Industrie war,
aus publizierten Normalwertstudien, Berichten von Laboratorien und eigenen
Erfahrungen vorläufige Normalbereiche
zu erstellen. Es ist erfreulich, dass die Untersuchungen von Dr.Ostendorf den vorläufig festgelegten Normalbereich für die
LDH bestätigen. Die Ermittlung altersabhängiger Normalbereiche für Enzyme
halten wir bei Erwachsenen für generell
nicht notwendig, denn aufgrund von Einflussgrößen sind die Überlappungen der
Bereiche so groß, dass medizinisch sinnvolle altersabhängige Normalbereiche
nicht zu erstellen sind.
Prof. Dr. med. Lothar Thomas
Laboratoriumsmedizin am Krankenhaus Nordwest
Steinbacher Hohl 2–26, 60488 Frankfurt am Main
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International
Committee of Medical Journal Editors besteht.
⏐ Jg. 103⏐
⏐ Heft 26⏐
⏐ 30. Juni 2006
Deutsches Ärzteblatt⏐