Radfahren am Canal du Midi - Sud de France Languedoc

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Radfahren am Canal du Midi - Sud de France Languedoc
http://www.schwarzaufweiss.de/frankreich/canal-du-midi-rad.htmKanal genial
Radfahren am Canal du Midi
Text und Fotos: Judith Weibrecht
Entlang des Canal du Midi und des Canal de la Robine führt eine Radroute auf Treidel-, Radwegen und
Straßen durch Frankreichs Süden, das Languedoc.
Ginge es so zu wie damals, dann herrschte hier reges Treiben: Menschen, Waren und Boote auf dem Wasser und
Pferde oder Ochsen auf den Treidelpfaden. Aber irgendwann war es damit vorbei. Der Canal du Midi, im 17.
Jahrhundert wahr gewordener Traum und Vision des genialen Pierre Paul Riquet, kam aufs Abstellgleis. Die
Bahn war schneller und günstiger. Heutzutage herrscht vordergründige Ruhe. Still ruht der Kanal.
Hausbootkapitäne fahren gemächlich in Schleusen ein, Radfahrer treten auf den alten Treidelwegen in die
Pedale. Licht flimmert durchs grüne Dach der Tausenden von Platanen und Pappeln, Pinien und Zypressen.
Wolkenfetzen jagen über den Himmel. Der ist ein blaues Band zwischen dem Grünstreifen links und rechts.
Beschaulich nennt man das wohl. Très jolie.
Sète und Hafen von Sète
Am Ende kommt der Wind von vorn. Jedenfalls ist hier für die meisten das Ende der Radtour am Canal du Midi:
in Sète (1). Warum die Mehrheit kanalabwärts fährt, wird schnell klar: Der Mistral! Allnachmittäglich fegt er
einem entgegen zwischen dem Mittelmeer und dem Salzwassersee Étang de Thau. Auf dem 12 Kilometer langen
und nur 2 Kilometer breiten Sandstreifen wachsen sogar Weinreben, der Sandwein Vin de sable l’Istelle, und ein
glatt asphaltierter Radweg führt entlang. Den nutzen Einheimische und Urlauber verständlicherweise weidlich,
um an den Strand zu radeln oder nach Sète (mehr zu Sète).
Im Restaurant „La Ola“ am Strand von Sète
Dort spricht man Sétois, einen lokalen Dialekt, durchsetzt mit italienischen Wörtern. Vieles kommt einem hier
italienisch vor, denn Einwanderer kamen einst von der Amalfiküste in die Stadt. Im Hafen dümpeln Sardinenund Thunfischkutter, Frachter und Hafenschlepper, die Fähre nach Marokko hat gerade abgelegt. Ganze fünf
mobile Brücken gibt es in der Stadt, die zweimal pro Tag hochgeklappt werden, damit Schiffe hindurch fahren
können. Fast alles dreht sich hier um Fische, Schiffe und Meer: Im überdachten Markt werden jährlich um die
10.000 Tonnen Fisch versteigert. Mit ganzen 53 Kilometern Sichtweite ist der hiesige Leuchtturm der
bedeutendste ganz Frankreichs. Die Altstadt überragt der Turm der Kirche Saint Louis mit ihrer Marienstatue,
Schutzengel der Fischer. Und hier findet der Canal du Midi schlussendlich seinen Zugang zum Meer. Die
Meereswogen brechen sich an einem steinernen Wellenbrecher. Darauf grillt man, sonnt sich oder springt in die
Fluten.
Unterm Blätterdach
In Marseillan
Direkt am Hafen von Marseillan (2) lockt „Noilly Prat“. Hier reifen zwei verschiedene Weißweine in
Eichenholzfässern, Picpoul und Clairette. Manche gären draußen in der Sonne, und ein Teil des Weins
verdunstet durchs Holz. „Der ist für die Engel“, sagt Kellermeister Jean-Louis Mastoro, der durch die heiligen
Hallen führt. Später werden die Weine mit Wermut und Kräutern verschnitten, und der goldgelbe Noilly Prat
Original Dry entsteht. Doch das geheime Rezept, 1813 von Joseph Noilly erfunden, wird nicht verraten. Pur
schmeckt er als Aperitif. Vor einem mehrgängigen Mahl im legendären Restaurant „La Table d’Emilie“ vor Ort
sollte man sich einen gönnen. Wir schlemmen stundenlang, doch das strampeln Radfahrer am nächsten Morgen
schließlich locker wieder weg.
Bei „Noilly Prat“ in Marseillan (mit Likörprobe)
Ab dem einst griechischen Agde (3) mit seiner runden Schleuse fährt man hautnah den Canal du Midi entlang.
Die Treidelwege sind teils schmal und durch Steine und Wurzeln ab und an etwas holprig, so dass man sich gut
konzentrieren sollte. Kontemplation erreicht man eher auf einem tuckernden Hausboot (mehr zu Hausbooten auf
dem Canal du Midi). Ein auffallend rot-schwarz-weiß gestrichenes Hausboot mit Pool auf dem Dach, Buddhas
und liebevoller Verzierung ist das von Christophe und Jean-Philippe. Seit fünf Jahren vermieten die beiden hier
drei liebevoll mit Mitbringseln aus aller Welt eingerichtete Doppelzimmer. In jedem schwimmt zudem irgendwo
in einem Glas ein kleiner Goldfisch. Das kühle Bier auf der lauschigen Terrasse schmeckt unter dem
romantischen Blätterdach der Platanen. Doch die Schatten spendenden Bäume sind krank, und viele von ihnen
müssen gefällt werden. Ein Stück des Zaubers ist so für eine Weile dahin, bis neue Schattenspender
nachgewachsen sind. Ausprobieren kann man das kurz vor Béziers, wo einem die Sonne erbarmungslos auf den
Pelz brennt. In Béziers direkt an der Radroute liegt die Schleusentreppe von Fonséranes (4), bestehend aus
neun Schleusen. Ein geniales System, das Schiffen erlaubt, auf 312 Metern einen Höhenunterschied von 21,5
Metern zu überwinden. Dazu fahren sie von einem ovalen Schleusen-Becken zum anderen.
Christophe, einer der beiden Besitzer,
serviert Radfahrern kühle Getränke
Ein anderes beeindruckendes Bauwerk folgt auf dem Fuß: Der Tunnel von Malpas, erster schiffbarer Tunnel
weltweit, ist ein Durchstich durch den Hügel von Ensérune und eine der Meisterleistungen Riquets. Schleusen,
Tunnel, Wehre, Aquädukte - Wunderwerke der Technik finden sich viele entlang des Canal des Deux Mers.
Kanal der zwei Meere wird er auch genannt, da er u. a. mittels des Canal latéral à la Garonne den Atlantik mit
dem Mittelmeer verbindet. Er ist der älteste immer noch arbeitende europäische Kanal und wurde 1666 bis 1681
erbaut.
Das Weltkulturerbe Wasserstraße ist ein Meisterwerk der Baukunst und verdient, dass einiges darüber gesagt
wird, einige Zahlen genannt werden. Am 240 Kilometer langen Traum des Pierre Paul Riquet werkelten fünf
Jahre lang an die 12.000 Menschen, um das Werk mit seinen 350 Bauwerken, davon 65 Schleusen, zahllosen
Brücken, Aquädukten, Überlaufbecken und hydraulischen Systemen fertig zu stellen. Nicht umsonst wurde der
königliche Kanal des Languedoc, Canal Royal du Languedoc, wie er einst genannt wurde, 1996 unter den Schutz
der UNESCO gestellt. Ein kolossales Projekt.
Die gotische Kollegiatskirche Saint-Etienne
Schon von Weitem sichtbar ragt der 44 Meter hohe Turm der Kirche Saint-Etienne in Capestang (5) empor.
„Die Kirche“, sagt Monsieur Beziat vom Bürgermeisteramt, „ist unser Leuchtturm, denn man sieht sie lange,
bevor man den Ort erreicht.“ In der Tat wirkt sie wie eine etwas überdimensionierte Kathedrale. Einst war
Capestang eine Stadt mit bis zu 5.000 Einwohnern, jüdischem Viertel, Schulen und Weinmanufakturen.
Capestang bedeutet Kopf des Étang, des Salzsees, denn das Meer reichte einst bis hierher und man widmete sich
der Salzgewinung. „Das Salz, das war das weiße Gold“, weiß Beziat. Auch das fantasievoll mit Wandmalereien
ausgestaltete Schloss der Erzbischöfe von Narbonne ist einen Besuch wert: Pflanzen, Tiere und Fabelwesen,
Menschen und Wappen zieren die Decke aus dem 15. Jahrhundert.
Jean-Marc Thibaut von „L’Oulibo“ erklärt alles über Oliven
Außer jeder Menge Sehenswürdigkeiten findet man auch Olivenöl, und zwar fünf Kilometer neben dem Kanal in
Bize-Minervois (6) bei „L’Oulibo“, dem okzitanischen Wort für Ölmühle. 1942 als Kooperative gegründet gibt
es sie bis heute. Passion et Patience seien notwendig, Leidenschaft und Geduld, erklärt Jean-Marc Thibaut, der
durch die Ölmühle führt. Vor einem kleinen Olivenbaum bleiben wir stehen: „Das ist ein Baby“, lacht er, „denn
er ist nur 100 Jahre alt.“ Nur? „Olivenbäume sterben nie!“, ist Jean Marc überzeugt. „In Griechenland fand man
einen 2.500 Jahre alten.“ Oft stünden sie daher als Symbol für ewiges Leben. Nach so viel Philosophie schreiten
wir zur praktischen Tat: Olivenölprobe. Auch das ist eine Wissenschaft für sich. Die Sorte Lucques zergeht zart
auf der Zunge mit kräftigem Nachgeschmack.
Mekka der Bücher
„Stilleben“ in einer der Gassen von Pouzols-Minervois
Im Maison d’hôtes Creva Tinas in Pouzols-Minervois (7) geht es nicht um Oliven, sondern um Wein. Die
charmante Besitzerin Madame Chardonnet ist nämlich Winzerin und Besitzerin von Weinbergen. Zum
Abendessen darf deshalb eine kleine Weinprobe nicht fehlen. Wir radeln zurück zum Canal du Midi und nach Le
Somail (8). So mancher, der in dem romantischen Örtchen mit seiner Efeu umrankten Brücke und den
verwunschenen kleinen Hutzelhäuschen einläuft, reibt sich verwundert die Augen. Am Ufer lockt ein wahres
Kleinod weg vom Lenker oder Steuerrad: Die „Libriarie Ancienne“. Der geneigte Hausbootkapitän, die geneigte
Radlerin sind sicher nicht die ersten, die hier die Bremsen ziehen. Draußen wacht eine Stele mit Büchern, die in
den Himmel zu wachsen scheinen. Ein Schild „Librairie Ancienne du Somail - Le Trouve tout du Livre“,
„Antiquarische Buchhandlung von Le Somail - Der Allesfinder für Bücher” zeigt den Laden an. Drinnen
befindet sich das Mekka der Bücher. Das Buchantiquariat ist in einem hübschen, umgebauten Lagerhaus und
Weinkeller untergebracht und beherbergt über 50.000 Bücher aller Genres, dazu Klassiker, Zeitschriften,
Grafiken oder einfach Postkarten, aufgereiht für Bibliophile und Käufer.
Weinprobe mit Anne Chardonnet-Torres
Den Canal de la Robine entlang geht es schlussendlich gen Narbonne (9), der ersten Tochter Roms. „Wir
nennen sie so, denn sie war die erste römische Gründung außerhalb Roms“, erklärt die Stadführerin. Die
römische Kolonie wurde später die Hauptstadt der Provinz Narbonensis an der Via Domitia, die sich ebenfalls
per Rad erkunden lässt (siehe Via Domitia). So gibt es einen Stadtteil, der auf die Römer zurück geht und ein
mittelalterliches Viertel mit dem imposanten Erzbischofspalast und der gotischen Kathedrale. In der Tat, auf der
auf die Römer zurückgehenden Brücke der Händler herrscht auch heute noch reges Treiben. (Mehr zu
Narbonne).
Kathedrale Saint-Just in Narbonne