Pflichtdienst mit Lächel-Bonus - Boje - Ausbildung
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Pflichtdienst mit Lächel-Bonus - Boje - Ausbildung
HINTERGRUND EITE 6 NORDWEST-ZEITUNG NR.226 INTERVIEW „Sehr positive Erfahrungen“ MONTAG, 27. SEPTEMBER 2010 flichtdienst mit Lächel-Bonus ERWEIGERUNG Zivis sind beliebt und nützlich – Aber als unersetzlich gelten sie nicht Was macht eigentlich ein Zivildienstleistender? Wir haben zwei junge Männer bei ihrer Arbeit begleitet. ON KARSTEN KROGMANN BILD: KLINIKUM Im Klinikum Leer arbeiten neben Zivildienstleistenden auch junge Leute, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvieren. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Holger Glienke (46). ON KARSTEN KROGMANN FRAGE: err Glienke, haben Sie eigentlich Wehrdienst oder Ersatzdienst geleistet? GLIENKE: Ich habe als junger Mann Dienst mit der Waffe geleistet. FRAGE: Jetzt sind Sie der Vorgesetzte von rund 20 Zivildienstleistenden und außerdem von rund 20 FSJlern. Welche Gruppe ist Ihnen lieber? GLIENKE: Eigentlich haben alle eine ganz ähnliche Motivation . . . FRAGE: . . . obwohl die FSJler freiwillig Dienst tun und die Zivis als Ersatzdienstleistende zwangsverpflichtet worden sind? GLIENKE: So ganz richtig ist das mit der Zwangsverpflichtung ja nicht: Die Zivis haben freiwillig den Wehrdienst verweigert, und sie haben sich ihre Dienststelle selbst ausgesucht. Wir haben mit ihnen sehr positive Erfahrungen gemacht. FRAGE: Warum bieten Sie dann seit drei Jahren außerdem das FSJ an? GLIENKE: Das war auch eine Reaktion auf die angekündigte erkürzung des Ersatzdienstes von neun auf sechs Monaten. Die Zahl der Zivildienstleistenden geht seit Jahren zurück. FRAGE: Vermutlich wird es ab Mitte 2011 überhaupt gar keine Zivis mehr geben. Reißt das ein Loch in die Personaldecke Ihres auses? GLIENKE: Die Zivis arbeiten natürlich in Bereichen, die wünschenswert sind und sonst oft schwer zu leisten sind: zusätzliche Betreuungsdienste, Hol- und Bringdienste, Fahrdienste. Aber es bricht nicht alles zusammen, wenn wir keine Zivis mehr haben. FRAGE: Kann man die Arbeit der Zivis durch Freiwillige auffangen? GLIENKE: Wir haben das gerade zu einem Großteil bei uns vollzogen, und wir haben sehr gute Erfahrung mit den FSJ-lern gemacht. Fast alle sind bisher dabeigeblieben; viele wollen sich über das FSJ beruflich in der Pflege orientieren. Einberufung nur auf Wunsch? B CKH RN/EPD – Die Zentral- stelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer hat eine sofortige Aussetzung der Einberufungspraxis gefordert. Nachdem sich die Präsidien von CDU und CSU darauf verständigt hätten, die Wehrpflicht auszusetzen, sollte jedem Widerspruch gegen die Einberufung zum Wehroder Zivildienst stattgegeben werden, sagte ZentralstellenGeschäftsführer Peter Tobiassen in Bockhorn (Friesland). P @www.zentralstelle-kdv.de LDENBURG/N RDENHAM – orn herum ist es kürzer, aber er nimmt lieber den Fußweg zwischen den Wohnblöcken, da ist er früher immer mit seiner Frau spazieren gegangen. Er sieht die Wellen nicht, die die Baumwurzeln seitdem ins Pflaster geschlagen haben, und nicht den Löwenzahn, der sich durch die Fugen bohrt; er ist fast blind. Den Himmel kann er auch nicht sehen, „Robbie“, fragt er, „regnet es heute?“ Er ist jetzt 94 Jahre alt, da hinten rechts geht es zum Friedhof, dort ruht seine Frau, aber heute will er nach links, er muss zur Bank, und deshalb ist Robbie da: Robbie schiebt den Rollstuhl, der alte Herr hat ja keine Beine mehr. Robert Plichta, 20 Jahre jung, ist Zivildienstleistender, aber so nennt ihn keiner, alle sagen nur „Zivi“. Er hat heute morgen eine gehbehinderte Frau zur Arbeit gefahren, er war für einen Rentner einkaufen, und jetzt, es ist gleich 11, schiebt er den alten Herrn zur Bank. „Nein“, brüllt Robert, der alte Herr hört sehr schlecht, „es regnet nicht!“ Der alte Mann lächelt. Recht auf Verweigerung In Deutschland gibt es eine Wehrpflicht, aber im Grundgesetz für die Bundesrepublik, Artikel 4, Absatz 3, steht: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Robert Plichta, ein ehemaliger Fachabiturient, der später gern einmal Profi-Fußballer werden möchte, hat also den Kriegsdienst verweigert, und nun gilt für ihn Artikel 12a des Grundgesetzes: „Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden.“ Seit April leistet Robert Ersatzdienst beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Oldenburg-Ammerland. Robert ist einer der letzten Zivis in Deutschland, die neun Monate arbeiten müssen. Im ersten Stock seiner Dienststelle an der Oldenburger Ziegelhofstraße, im Büro von Geschäftsführer Norbert Adolf, liegt bereits die Sonderinformation 1/2010 des Bundesamtes für Zivildienst. Darin wird verkündet, dass laut Wehrrechtsänderungsgesetz der Zivildienst zum 1. Dezember 2010 auf sechs Monate verkürzt wird. Neue Erfahrung: Zivi Ahmet Aydin arbeitet in der Küche des Seniorenzentrums mit. Behrens seufzt. „Wenn das so weitergeht, müssen wir die Betreuungsdienste wohl irgendwann einstellen.“ 17 Zivis gibt es beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, sie arbeiten im Hilfs- und Begleitdienst, sie tragen Essen auf Rädern aus, sie fahren Alte und Behinderte. „Dieser Bereich ist nicht refinanzierbar“, sagt Norbert Adolf. Der Geschäftsführer des Kreisverbandes arbeitet seit Jahrzehnten mit Ersatzdienstleistenden, früher war er selber einer, und er meint: „Natürlich wäre es gesellschaftlich vernünftig, aus Zivi-Stellen feste Arbeitsverhältnisse zu machen. Aber dann muss die Gesellschaft auch bereit sein, dafür mehr Geld auszugeben!“ 10 Euro bezahlt der alte Herr im Rollstuhl derzeit für jede Stunde Betreuung durch Robert, dazu kommen 1,60 Euro Fahrtgeld. Viele sind untauglich Ende August gab es in Deutschland 62 000 Zivis. Zehn Jahre zuvor waren es noch 100 000 Zivis, 1999 sogar 154 000. „Das ist die demografische Entwicklung, es gibt einfach weniger junge Männer als früher“, sagt Antje Mäder, die Pressechefin des Bundesamtes für Zivildienst in Köln. „Dazu kommt, dass es kein T3 mehr gibt.“ „T“ – das ist der Tauglichkeitsgrad. Beim Kreiswehrersatzamt Oldenburg an der Bremer Straße warten junge Wehrpflichtige mit nacktem Oberkörper auf ihre Musterung, die meisten von ihnen sind erst 17 oder 18 Jahre alt. 13 000 Männer aus dem Oldenburger Land untersuchen die Musterungsärzte jedes Jahr, bundesweit sind es 450 000. Wer voll verwendungsfähig ist, bekommt den Tauglichkeitsgrad T1. Wer verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten ist, wird als T2 eingestuft, der Rest gilt als untauglich: T5. Bis zum Jahr 2004 gab es auch die Tauglichkeitsstufe T3: wehrfähig mit gesundheitlichen Einschränkungen. Durch den Wegfall von T3 hat sich der Anteil der Wehrunfähigen mehr als verdoppelt. „Wir haben hier jetzt 37 Prozent Untaugliche“, erklärt Sabine Upmann, die Leiterin des Kreiswehrersatzamtes. Mehr als ein Drittel der jungen Männer werden also jährlich als ungeeignet für Wehr- und Ersatzdienst aussortiert. Hilfe in der Küche In Nordenham-Blexen, gleich hinterm Deich, liegt das Seniorenheim „To Huus achtern Diek“ der Diakonie: 108 Pflegeplätze gibt es, 90 Mitarbeiter, 3 Zivildienstleistende. Auf dem MarktEs mangelt an Zivis platz, so nennen die BeEine Treppe höher sitzt wohner die Halle hinter Katja Behrens in ihrem Büro dem Eingang, warten alte und macht sich Sorgen. Frau Menschen in Rollstühlen auf Behrens organisiert beim Padas Mittagessen. orne in ritätischen die Hilfs- und Beeinem Zimmer mit Deichgleitdienste, auf ihrem blick steht Stefan SchreiSchreibtisch stapelt sich die ber, 51 Jahre alt; früher Arbeit, die Menschen werwar er Zivi, jetzt ist er der den ja immer älter und Leiter der Einrichtung. hilfsbedürftiger. Aber Frau Er sagt: „Wir hatten hier Behrens fehlen Helfer und zuletzt immer wieder Begleiter, „es ist schwierig Zeiten ohne Zivis, weil geworden, Zivis zu finden“, es einfach zu wenige sagt sie. Durch die Dienstgibt.“ Er sagt, er merke zeitverkürzung fallen es aber sofort, wenn alle bald noch einmal 30 drei Zivi-Stellen besetzt Prozent Zivis weg, und seien: „Dann haben alle jetzt diskutiert die Bunmehr Zeit – es sind Dindesregierung auch noch ge möglich, die sonst lieüber die Aussetzung der Sportlicher Zivi: Tagsüber hilft Robert gen bleiben.“ Wehrpflicht und damit Plichta anderen Menschen, abends Den Flur hinunter, des Ersatzdienstes. Frau trainiert er beim fB Oldenburg. auf Station 3, steckt Ah- met gerade seinen Kopf in einen Kühlschrank: Heute ist Mittwoch, da sind die Kühlschränke dran, das ist besser als Donnerstag, dann ist Mülleimer-Tag. Ahmet putzt den Medikamentenkühlschrank im Schwesternzimmer, danach macht er mit dem in der Küche weiter. NWZ-RECHERCHE Karsten Krogmann KL ARTEXT or wenigen Monaten hat Ahmet Aydin, 19 Jahre jung, Abitur gemacht, bald will er studieren, „was, das weiß ich noch nicht“. Seit fünf Wochen arbeitet er jetzt erst einmal als hauswirtschaftlicher Zivi im Seniorenheim. or kurzem hat er den Änderungsbescheid bekommen: Statt neun Monate braucht er nur sechs Monate Dienst zu tun. Es ist bald Mittag, gleich wird Ahmet das Essen aus der Küche holen, es gibt Bohnensuppen-Eintopf. Ein paar alte Damen nehmen im Speisesaal Platz. Ahmet sagt: „Ich lerne hier so viele Menschen kennen – diese Erfahrung sollte jeder einmal machen.“ Unterstützen, nicht ersetzen In den Anerkennungsrichtlinien des Bundesamtes für Zivildienst heißt es: „Zivildienstleistende sollen die hauptamtlich Beschäftigten ihrer Einrichtung unterstützen, nicht ersetzen.“ Schreibers drei Zivildienstplätze am Deich gehören zu 548 Plätzen in 169 Dienststellen im Raum Oldenburg, Ostfriesland und Bremen, die von der Diakonie betreut werden. „Bei uns ist keine Einrichtung gefährdet, wenn der Zivildienst wegfällt“, erklärt Diakonie-Sprecher Frerk Hinrichs in der Zentrale an der Oldenburger Kastanienallee. ermissen würde er den Dienst aber doch – und zwar als Lerndienst. „Hier lernen junge Menschen etwas für ihre Persönlichkeit“, weiß er. Ein Dienst „ohne diese starren orschriften“, also ein Freiwilligendienst, wäre der Diakonie dafür zwar sehr viel lieber, aber: „Da müsste sich erst einiges ändern“, so Hinrichs. Er vergleicht den Zivildienst mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), das es seit 1964 gibt. Noch ist der Sold der Zivis höher als das Ta- BILD: KARSTEN KROGMANN schengeld der FSJ-ler: Ein Zivi bekommt mit erpflegungsund Kleidungsgeld um die 500 Euro, FSJ-ler liegen bei 379 Euro. Auch für die Dienststellen gibt es einen finanziellen Unterschied: Während ein Zivi die Einrichtung mit monatlich 375 Euro belastet, kostet der FSJ-ler fast das Doppelte. Freiwillige Verlängerung Aber wer Freiwillige gewinnen möchte, darf nicht nur an Geld denken: „Wir brauchen eine neue Wertigkeit“, fordert Hinrichs, und Norbert Adolf fragt beim Paritätischen: „Wie geht die Gesellschaft künftig mit der Bescheinigung über ein FSJ um? Haben FSJ-ler einen orteil bei der Bewerbung als Azubi oder Student?“ Als ersuchsballon startet das Familienministerium nun neben dem FSJ die freiwillige erlängerung des Zivildienstes: Laut Sonderinformation 2/2010 können Zivis an ihre Dienstzeit von sechs Monaten bald drei bis sechs Monate anhängen. „Wir gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der Zivis freiwillig verlängern wird“, plant Bundesministerin Kristina Schröder (CDU). Wie realistisch diese Rechnung ist, weiß keiner: „Es gibt noch keine Zahlen, Anträge auf erlängerung kann man frühestens nach zwei Dienstmonaten stellen“, berichtet Antje Mäder vom Bundesamt. Ahmet Aydin weiß aber schon: Freiwillig verlängern will er seinen Dienst nicht. Und Robert Plichta sagt beim Spazierenschieben, er möchte seinen Zivildienst nicht missen, „das ist eine tolle Bereicherung“. Aber er sagt auch: „Freiwillig wäre ich nie auf die Idee gekommen.“ Freude als Lohn Der alte Mann ist zurück in seiner Etagenwohnung, er tastet die Kommode ab, hier muss irgendwo der Zettel liegen, Robbie soll doch noch einkaufen für ihn: die Alpenmilch, den Joghurt, Toffifee fehlen auch. „Fahr’ vorsichtig, Robbie“, ruft er, „du weißt ja . . .“ „. . . man muss immer mit der Dummheit der anderen rechnen“, ergänzt Robert. Der Zivi lächelt, er muss sich sputen: In der Innenstadt wartet schon sein Schlaganfall-Patient, jeden Tag spielen sie „Mensch ärgere dich nicht“. Er sagt: „Das ist das Schönste am Zivildienst: Alle Leute freuen sich, wenn ich zu ihnen komme.“