Thema: Familienplanung - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg

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Thema: Familienplanung - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg
Thema: Familienplanung
Information der KBV 222/2011
An die
Kassenärztlichen Vereinigungen
Rechtsabteilung
Ass. jur. Corina Glorius
Tel. (030) 40 05 – 1710
Fax (030) 40 05 – 27 1710
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3. November 2011
Künstliche Befruchtung: Leistungsauschluss nach drei erfolgslosen
Behandlungszyklen – Auslegung des BSG-Urteils vom 25. Juni 2009
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Bundessozialgericht (BSG) hat sich in seinem Urteil zur künstlichen Befruchtung vom
25. Juni 2009 (AZ: B 3 KR 9/08 R) mit dem in § 27a Abs. 1 SGB V verankerten
Leistungsausschluss nach drei erfolglos durchgeführten Behandlungszyklen befasst. Dabei
hat das BSG in seiner Urteilsbegründung auch Aussagen zum Anspruch auf künstliche
Befruchtungsmaßnahmen zu Lasten der GKV nach einer Geburt getroffen. Diese Aussagen
wurden in der Praxis jedoch unterschiedlich ausgelegt mit der Folge, dass es zu
Rechtsunsicherheiten darüber gekommen ist, ob nach insgesamt drei erfolgslos
durchgeführten Behandlungszyklen der Anspruch auf eine Kostenübernahme erlischt oder
ob nach der Geburt eines Kindes diese Zählung wieder von vorne beginnt.
Der GKV-Spitzenverband hat daraufhin die Problematik auf einer Fachkonferenz mit
Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene diskutiert. Wir möchten Ihnen im
Folgenden die Ergebnisse dieser Fachkonferenz mitteilen sowie Sie über die Forderungen
und Empfehlungen der KBV informieren. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Thematik
stellen wir Ihnen einleitend kurz noch einmal die Eckpunkte der Diskussion vor.
Einzelheiten zur künstlichen Befruchtung sind in den Richtlinien des G-BA
festgelegt
Nach § 27a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch
medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn u. a. nach
ärztlicher Feststellung die hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine
Schwangerschaft herbeigeführt wird. Eine hinreichende Aussicht besteht dann nicht mehr,
wenn die Maßnahme dreimal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Diese Regelung enthält
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damit einen Leistungsausschluss für den vierten und alle weiteren Versuche und nicht nur
eine im Einzelfall widerlegliche Vermutung der mutmaßlichen Aussichtslosigkeit.
Die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen sind
in den Richtlinien des G-BA über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
(„Richtlinien über künstliche Befruchtung“) festgelegt. Nach Ziffer 2 Satz 3 der Richtlinien
besteht nach Geburt eines Kindes erneut ein Anspruch auf Herbeiführung einer
Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung, sofern die sonstigen Voraussetzungen
nach den Richtlinien gegeben sind.
Vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. Juni 2009 (AZ: B 3 KR 9/08 R)
war der G-BA davon ausgegangen, dass nach der Geburt eines Kindes ein erneuter
Anspruch auf die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bis zur Höchstzahl von drei
erfolgslosen Versuchen auch dann bestehen kann, wenn vor der Geburt bereits
Maßnahmen der künstlichen Befruchtung erbracht wurden.
BSG vertritt andere Auffassung als G-BA
Das BSG vertritt allerdings in seiner oben zitierten Entscheidung in Form eines
sogenannten obiter dictums die Auffassung, dass der Anspruch der Versicherten erlischt,
wenn insgesamt, d. h. auf Lebenszeit, die Zahl von maximal drei erfolglos durchgeführten
Versuchen der künstlichen Befruchtung erreicht wurde. Aus Sicht des BSG entspricht dies
auch den Richtlinien des G-BA, da nach dem Wortlaut zwar: „nach Geburt eines Kindes…
erneut ein Anspruch auf Herbeiführung einer Schwangerschaft durch künstliche
Befruchtung entsteht“, allerdings nur „sofern die sonstigen Voraussetzungen nach diesen
Richtlinien gegeben sind“. Zu diesen Voraussetzungen gehöre aber, dass die Zahl von drei
erfolglosen Behandlungszyklen (noch) nicht erreicht sei.
G-BA empfahl Vorgehensweise entsprechend dem BSG-Urteil
Aufgrund dieser Entscheidung hat der G-BA dem Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ) auf dessen Anfrage über die zukünftige
Vorgehensweise in einem Schreiben (April 2010) mitgeteilt, dass eine rechtssichere
Anwendung nur auf Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung empfohlen werden
könne, zumal damit gerechnet werden müsse, dass sowohl niederinstanzliche Gerichte als
auch das BSG an dieser Auslegung festhalten werden.
Krankenkassen haben damit begonnen, Ansprüche zurückzuweisen
Daraufhin haben die Krankenkassen im Sinne des BSG-Urteils damit begonnen, Ansprüche
zurückzuweisen, wenn – trotz zwischenzeitlicher Geburt eines Kindes aufgrund einer
künstlichen Befruchtung – drei Versuche insgesamt erfolglos durchgeführt wurden.
In den zuständigen Gremien des G-BA sind sich die Vertreter der KBV, des GKVSpitzenverbandes und der Patientenorganisationen aber darüber einig, dass die bis zu dem
Urteil erfolgte Praxis, dass nach der Geburt eines Kindes ein erneuter Anspruch auf die
Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bis zur Höchstzahl von drei erfolgslosen
Versuchen besteht, fortgeführt werden sollte.
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Ergebnis der Fachkonferenz des GKV-Spitzenverbandes
Der GKV-Spitzenverband hat daraufhin die Problematik auf einer Fachkonferenz mit
Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene diskutiert. Die Ergebnisse haben wir im
Folgenden aufgeführt (siehe auch Anlage). Das vor dem Hintergrund der oben skizzierten
Thematik entscheidendste Ergebnis ist unter Punkt 3 aufgeführt.
Kosten werden nicht mehr übernommen, wenn die maximal zulässige Anzahl von
Behandlungszyklen durchgeführt wurde, ohne dass es zu einer Schwangerschaft
kam
1. Die nach § 27a Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB V für die Leistungsgewährung
vorausgesetzte Erfolgsaussicht besteht nicht mehr, wenn die maximal zulässige
Anzahl von Behandlungszyklen zu Lasten der GKV durchgeführt worden ist, ohne
dass es zu einer (klinisch nachgewiesenen) Schwangerschaft gekommen ist.
Darüber hinaus begehrte künstliche Befruchtungsversuche mit derselben oder einer
ggf. auf die jeweilige Höchstversuchszahl anrechenbaren anderen Methode können
somit nicht mehr zu Lasten der GKV erbracht werden.
Dies gilt auch dann, wenn es in weiteren – ggf. von Versicherten selbst finanzierten
– künstlichen Befruchtungsversuchen mit derselben oder einer auf die
entsprechende Höchstversuchszahl anrechenbaren anderen Methode zu einer
Schwangerschaft oder zu einer Geburt gekommen ist.
Im Hinblick auf künstliche Befruchtungsmaßnahmen zu Lasten der GKV ergibt sich
für den Arzt keinerlei Beurteilungsnotwendigkeit mehr zur Feststellung einer
hinreichenden Erfolgsaussicht nach Erreichen der maximal zulässigen Anzahl von
erfolglosen Behandlungszyklen. Durch den gesetzlichen Leistungsausschluss
besteht für den G-BA auch keinerlei Regelungskompetenz für eine Ausweitung von
Leistungsansprüchen in den „Richtlinien über künstliche Befruchtung“, etwa
aufgrund zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen über eine erhöhte
Erfolgsaussicht nach Eintritt einer Schwangerschaft oder Geburt, wenn es in – ggf.
von Versicherten selbst (teil)finanzierten – künstlichen Befruchtungsversuchen mit
derselben oder einer auf die entsprechende Höchstversuchszahl anrechenbaren
anderen Methode zu einer Schwangerschaft oder Geburt gekommen ist.
Nach Eintritt einer Schwangerschaft, die jedoch in einer Fehlgeburt endet, besteht
ein Anspruch auf Finanzierung weiterer Behandlungszyklen – solange, bis die Zahl
von drei erfolglosen Behandlungen erreicht ist
2. Bezüglich der Zählweise müssen die erfolglosen Versuche nicht zwingend
hintereinander verlaufen, so dass nach Eintritt einer (klinisch nachgewiesenen)
Schwangerschaft ein Anspruch auf Finanzierung weiterer Behandlungszyklen
besteht, solange nur die Zahl von drei erfolglosen Versuchen nicht erreicht ist.
Beispiel ICSI, Höchstzahl drei:

erster Versuch: ohne Schwangerschaft

zweiter Versuch: Schwangerschaft, aber Fehlgeburt

dritter Versuch: ohne Schwangerschaft
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
vierter und fünfter Versuch: Schwangerschaft, aber Fehlgeburt

sechster Versuch: ohne Schwangerschaft
Nach dem sechsten Versuch besteht kein Anspruch auf weitere Versuche.
Der für das Erlöschen des Leistungsanspruchs maßgeblichen Anzahl erfolgloser
Behandlungsversuche ist auch ein zu Lasten der GKV im Ausland durchgeführter
Behandlungszyklus mit derselben oder einer ggf. auf die jeweilige
Höchstversuchszahl anrechenbaren anderen Methode zuzurechnen.
Ob Zählung auch erfolglose Behandlungen einbeziehen sollte, die nicht von der
Krankenkasse bezahlt wurden, wird zu einem späteren Zeitpunkt geklärt
Die teilweise auch vertretene Rechtsauffassung, wonach § 27a Abs. 1 Nr. 2
Halbsatz 2 SGB V so zu verstehen sei, dass ein erneuter Anspruch auf eine der
jeweiligen Höchstzahl entsprechende Anzahl von Versuchen besteht, wenn in einem
der Versuche innerhalb der jeweiligen zulässigen Höchstzahl eine klinische
Schwangerschaft eingetreten ist, wird aus leistungsrechtlicher Sicht ausdrücklich
nicht als haltbar angesehen. Ob in die Zählung auch erfolglose Versuche
einzubeziehen sind, an deren Kostentragung die GKV nicht beteiligt war, wird zu
einem späteren Zeitpunkt in der Fachkonferenz Leistungs- und Beziehungsrecht
geklärt.
Wenn es innerhalb der bezahlten Zyklen zu einer Geburt kommt, dann besteht im
Anschluss erneut der Anspruch auf die Kostenübernahme für drei
Behandlungszyklen für das Geschwisterkind
3. Nach der Lebend- oder Totgeburt eines Kindes im Sinne des
Personenstandsgesetzes bzw. der Personenstandsverordnung innerhalb der
jeweiligen zulässigen Höchstzahl von erfolglosen Versuchen besteht ohne
Anrechnung der vorangegangenen Versuche ein erneuter Anspruch auf eine der
jeweiligen Höchstzahl entsprechende Anzahl von Versuchen, soweit die übrigen
Voraussetzungen der „Richtlinien über künstliche Befruchtung“ erfüllt sind.
Dieses Ergebnis ist der KBV, dem BRZ und nachrichtlich dem Bundesgesundheitsministerium, dem Bundeministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
sowie dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit Schreiben
vom 5. September 2011 mitgeteilt worden.
KBV fordert im G-BA Änderung der Richtlinie
Die KBV hält das Schreiben jedoch nicht für ausreichend, um eine rechtssichere Grundlage
für die reproduktionsmedizinisch tätigen Vertragsärzte zu schaffen. Daher fordern wir im
G-BA eine rechtssichere Lösung durch eine entsprechende Änderung der Richtlinien.
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Bis zu einer Richtlinienänderung, die allerdings nicht vor Beginn des nächsten Jahres zu
erwarten ist, empfiehlt die Kassenärztliche Bundesvereinigung den Kassenärztlichen
Vereinigungen entsprechend dem beigefügten Schreiben des GKV-Spitzenverbandes vom
5. September zu verfahren, um eine einheitliche Vorgehensweise zu gewährleisten.
Mit freundlichen Grüßen
i. A.
Corina Glorius
Referentin
Anlage
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