Gleitzeit - ArbeitsRatgeber

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Gleitzeit - ArbeitsRatgeber
Gleitzeit
Lale Necati
Bei der Gleitzeitarbeit kann der Arbeitnehmer innerhalb eines vorgegebenen
Rahmens Lage und Dauer seiner Arbeitszeit selbst gestalten. Das Maß seiner
Arbeitszeitsouveränität hängt dabei entscheidend vom praktizierten Gleitzeitmodell
ab. Grundsätzlich lassen sich zwei Modelle unterscheiden: Bei der einfachen
Gleitzeit wird nicht nur der Rahmen der täglichen Arbeitszeit (frühestmöglicher
Beginn, spätmöglichstes Ende) vorgegeben, darüber hinaus legt der Arbeitgeber
auch eine sogenannte Kernarbeitszeit fest, während der Anwesenheits- und
Arbeitspflicht besteht. Damit ist lediglich die Arbeitszeit zwischen den
Rahmenvorgaben und dem Anfang bzw. dem Ende der Kernarbeitszeit variabel.
Derartige Vorgaben existieren bei der qualifizierten Gleitzeit i.d.R. nicht. Der
Arbeitnehmer kann seine Arbeit grundsätzlich nicht nur zu einem selbst gewählten
Zeitpunkt aufnehmen und beenden, sondern zudem auch die Länge seiner
Arbeitszeit selbst bestimmen. Vorgeschrieben ist lediglich die durchschnittliche
Arbeitszeit in der Woche, im Monat oder im Jahr.
Dieser Beitrag befasst sich mit den rechtlichen Grundlagen der Gleitzeitarbeit. Aus
dem Bereich des Individualarbeitsrechts werden einige, die qualifizierte Gleitzeit
betreffende Rechtsfragen erörtert. Dazu zählen u.a. die Grenzen der autonomen
Zeiteinteilung und die Konsequenzen einer Erkrankung oder vorübergehenden
persönlichen Verhinderung des Arbeitnehmers. Zudem wird auf das Erfordernis im
Voraus festzulegender Ruhepausen eingegangen.
Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung werden behandelt die Rechte des
Betriebsrates bei Einführung, Ausgestaltung und Durchführung der Gleitzeitarbeit,
insbesondere das Problem außerhalb der Kernarbeitszeit liegender
Betriebsversammlungen. Auch das Recht zur Überwachung der Gleitzeitkonten wird
thematisiert. Abschließend wird auf kurz auf Besonderheiten bei der
sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Behandlung von Gleitzeitarbeit
eingegangen.
Stand: Oktober 2004
Gleitzeit
Inhalt
G R U ND L AG E N
1
Begriff
1
Entwicklung
1
Arten / Modelle
„Einfache Gleitzeit“
„Qualifizierte Gleitzeit“
2
2
4
R E C HT S F R AG E N
6
Direktionsrecht
Gleitzeit mit fester Kernarbeitszeit
Gleitzeit ohne Kernarbeitszeit
6
6
7
Besondere Personengruppen
8
Höchstarbeitszeit – Spätdienstzulage
9
Pausenregelung
10
Vorübergehende Verhinderung i.S.v. § 616 BGB
12
Krankheit des Arbeitnehmers
13
Urlaub
15
Mitbestimmung
Rahmenregelungen
Überwachung der Gleitzeitkonten
Durchführung einer Betriebsvereinbarung
Bildungsveranstaltungen außerhalb der Kernzeit
16
16
17
18
19
Streikteilnahme und Gleitzeit
20
Beschäftigungsverhältnis
23
Bezugsgröße / Störfall
24
Entstehen der Lohnsteuer
25
Insolvenzsicherung
26
Gleitzeit
G R UND L AG E N
Begriff
Die Konstruktion der gleitenden Arbeitszeit, kurz „Gleitzeit“ genannt, stellt eine
frühe Ausformung der Flexibilisierung der Arbeitszeit dar. Ziel war und ist es, die
Arbeitszeit variabel, insbesondere bedarfsorientiert zu gestalten. Dafür müssen
die traditionellen festen Arbeitszeitsysteme und -strukturen zugunsten einer flexiblen
Anwendung und Verteilung der Arbeitszeit verändert werden. Das Hauptelement der
Gleitzeit liegt darin, dass es sowohl zu einer Verschiebung von Beginn und Ende
der täglichen Arbeitszeit wie auch zu einer unterschiedlich langen Arbeitszeit
mit Zeitausgleich innerhalb eines längeren Zeitraums kommen kann. Insbesondere
ist charakteristisch, dass der Arbeitnehmer nicht an eine exakt bestimmte Arbeitszeit
an einem Arbeitstag gebunden ist, sondern Lage und Dauer in gewissem Umfang
selbst gestalten kann.
Durch die Anwendung von Gleitzeit wird den Arbeitnehmern in gewissem Umfang
Arbeitszeitsouveränität zugebilligt, indem sie die Steuerung der Arbeitszeitlage
innerhalb eines vorgegebenen Arbeitszeitrahmens selbst wahrnehmen
können. Das Maß der Arbeitszeitsouveränität hängt dabei primär von der Frage ab,
für welches Modell der Gleitzeit sich der Betrieb entschieden hat.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: MÜNCHNER HANDBUCH ARBEITSRECHT-SCHÜREN, ERGÄNZUNGSBAND,
2. AUFL., § 168 RN. 1 FF.; FITTING, BETRVG, 21. AUFL., § 87 RN. 115; HAMM, FLEXIBLE
ARBEITSZEITEN IN DER PRAXIS, 2. AUFL., S. 92 FF.; SCHAUB-SCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH,
10. AUFL., § 160 RN. 1 FF.
Entwicklung
Das Gleitzeitarbeitsmodell bildete den Prototyp einer flexiblen Gestaltung der
Arbeitszeit. Im Laufe der Jahre diente es als Vorbild für viele weitere und noch
flexiblere Arbeitszeitmodelle (vgl. nur Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeitverträge,
Sabbaticals)
Das erste bekannt gewordene deutsche Gleitzeitmodell wurde bereits im Jahre
1967 von der Firma Bölkow in Ottobrunn praktiziert. Auslöser für die Einführung
eines solchen innovativen Arbeitszeitmodells war seinerzeit das Bedürfnis nach
Flexibilität, was seinen Ursprung jedoch nicht in innerbetrieblichen, sondern
vielmehr in außerbetrieblichen Gründen hatte. Es handelte sich um eine Reaktion
auf Verkehrsprobleme, die dadurch hervorgerufen wurden, dass die
Zufahrtsstraße zum Werk regelmäßig überlastet war, da der Arbeitsbeginn der
Arbeitnehmer immer zur gleichen Zeit erfolgte. Mit der Gleitzeit sollte daher in erster
Linie dem öffentlichen Interesse gedient werden, Verkehrsüberlastungen zu
Spitzenzeiten vorzubeugen. Der Grund für die fortlaufende intensive Anwendung
dieses flexiblen Arbeitszeitmodells liegt aber vor allem auch darin, dass gleichzeitig
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Gleitzeit
den Interessen des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer Rechnung getragen
wird.
Einerseits wird den Arbeitnehmern durch Gleitzeitregelungen die Möglichkeit
eröffnet, ihre Arbeitszeit in gewissem Maße auf ihre persönlichen Bedürfnisse
anpassen zu können, um z.B. an gewissen Tagen mehr oder weniger bzw. früher
oder später zu arbeiten. Zudem werden sie – je nach praktiziertem Modell – in die
Lage versetzt, Zeitreserven ansparen zu können, um diese bei Bedarf einzulösen.
Zur Abwicklung sind regelmäßig Gleitzeitkonten (LINK auf Arbeitszeitkonten)
einzurichten. Den Arbeitnehmern wird damit im Ergebnis die Möglichkeit gewährt,
ihre eigenen Arbeitszeitwünsche schnell und unkompliziert zu verwirklichen.
Andererseits erwachsen auch dem Arbeitgeber durch die gleitende Arbeitszeit
insoweit Vorteile, als dass hierdurch „Fehlzeiten“ wie z.B. Dienstbefreiungen für
Besorgungen und Arztbesuche in hohem Maße verringert werden können, da
es die Arbeitnehmer nun selbst in der Hand haben, ihre persönlichen Termine
außerhalb der Kernzeiten zu legen. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die
Arbeitgeber für die erfolgreiche Praktizierung der Gleitzeit bestimmte finanzielle
Belastungen in Kauf nehmen müssen, wie z.B. die Anschaffung von technischen
Einrichtungen zur Zeiterfassung, damit sie die nun variabel gestaltete Arbeitszeit
der Arbeitnehmer kontrollieren können.
Der Einsatzbereich von Gleitzeitarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die
Arbeitnehmer nicht voneinander abhängig sein dürfen, sondern in ihrem
Arbeitsbereich weitgehend souverän sein sollten. Denn je mehr die Arbeit von
anderen Personen oder von Maschinen abhängt oder vorgegeben wird, umso
schwieriger ist es, Gleitzeit überhaupt anzuwenden (so z.B. bei Takt- oder
Fließbandarbeit). Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Gleitzeitarbeit
lange Zeit überwiegend in der Verwaltung praktiziert wurde. Heutzutage findet man
Gleitzeitmodelle jedoch in vielen Branchen, wie etwa im Dienstleistungssektor
und auch im Produktionsbereich, wobei häufig eine Verbindung mit
Gruppenarbeit erfolgt.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: HAMM, FLEXIBLE ARBEITSZEIT IN DER PRAXIS, 2. AUFL., S. 92 FF.;
SCHAUB-SCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10. AUFL., § 160 RN. 1 FF.; MÜNCHENER HANDBUCH
ARBEITSRECHT -SCHÜREN, ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 1 FF.; REICHOLD, NZA 1998,
393, 395 FF.
Arten / Modelle
„Einfache Gleitzeit“
Bei der gleitenden Arbeitszeit lassen sich grundsätzlich zwei Modelle
unterscheiden, die insbesondere was das Maß der Arbeitszeitsouveränität betrifft,
die den Arbeitnehmern gewährt wird, voneinander divergieren. Das ursprüngliche
Modell der Gleitzeitregelungen ist in der „einfachen Gleitzeitarbeit“, bzw. der
„Gleitzeit mit fester Kernarbeitszeit“ zu sehen. Wie bereits die Synonyme deutlich
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Gleitzeit
machen, geht dieses Modell von einer relativ simplen Strukturierung der
Arbeitszeit aus, dessen Flexibilisierung sich in der Variabilität des Anfangs- und
Endzeitpunktes der Arbeitszeit erschöpft. Zwar ist der Arbeitnehmer nicht an eine
exakt definierte tägliche Arbeitszeit gebunden, auf der anderen Seite sind die
Flexibilisierungsmöglichkeiten aber auch stark eingeschränkt.
Zum einen wird diese Variabilität durch Grenzwerte bzw. Rahmendaten, welche
die zeitliche Schwankungsbreite des Arbeitstages und damit den frühestmöglichen
Arbeitsbeginn und die spätestmögliche Arbeitsbeendigung festlegen, beschränkt.
Darüber hinaus besteht bei der einfachen Gleitzeitarbeit auch eine sog.
„Kernarbeitszeit“, durch die der Zeitraum bestimmt wird, in dem alle Arbeitnehmer
anwesend zu sein und zu arbeiten haben. Variabel ist damit allein die Arbeitszeit,
die zwischen den Rahmenvorgaben und dem Anfang bzw. Ende der Kernarbeitszeit
liegt (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: „einfache Gleitzeit“
Gleitzeitrahmen
7h
Kernarbeitszeit
10 h
variabel
Gleitzeitrahmen
17 h
fix
20 h
variabel
Beispiel:
Gleitzeitarbeit mit festen Kernzeiten wird beispielsweise in der Andreas Stihl AG
und Co. KG praktiziert. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Waiblingen (bei
Stuttgart) und ist mit über ca. 7200 Arbeitnehmern der weltweit größte
Motorsägenhersteller.
In ihrem Stammhaus in Deutschland wird schon seit etwa 30 Jahren
Gleitzeitarbeit angewandt.
Die Bandbreite der Arbeitszeit reicht derzeit von 6.45 Uhr bis 18.00 Uhr, Kernzeit
ist der Zeitraum zwischen 9.15 Uhr und 15.00 Uhr. Somit haben die Arbeitnehmer
in der Zeitspanne von 6.45 Uhr bis 9.15 Uhr und von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr die
Möglichkeit zu gleiten.
Daneben ist noch auf ein besonderes Element innerhalb des von der Andreas Stihl
AG und Co. KG derzeit angewandten Arbeitszeitsystems zu verweisen, welches in
der parallelen Anwendung einer Gleitzeitsteuerung nach dem Ampelprinzip zu
sehen ist. Danach wird der Auf- und Abbau des Gleitzeitkontos in der Weise
mitgesteuert, dass für das Überschreiten bestimmter Guthabengrenzwerte
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Gleitzeit
Konsequenzen angeordnet werden. Dadurch soll die Bildung von zu hohen
Zeitkontensalden vermieden und ein zeitnaher Ausgleich des Kontos gewährleistet
werden.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: PREIS-PREIS, DER ARBEITSVERTRAG, II A 90 RN. 146 FF.; SCHAUBSCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10. AUFL., § 160 RN. 1 FF.; HAMM, FLEXIBLE ARBEITSZEITEN
IN DER PRAXIS, 2. AUFL., S. 92 FF.; MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -SCHÜREN,
ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 1 FF.; MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -ANZINGER,
2. AUFL., § 218 RN. 54 FF.; NEUMANN/BIEBL, ARBZG, 13. AUFL., § 3 RN. 26 FF.;
LINNENKOHL/RAUSCHENBERG/GRESSIERER/SCHÜTZ, ARBEITSZEITFLEXIBILISIERUNG, 4. AUFL., S. 54
FF., 102 FF.; REICHOLD, NZA 1998, 393, 395 FF.; SCHÜREN, AUR 1996, 381 FF.
„Qualifizierte Gleitzeit“
Die „qualifizierte Gleitzeit“ bzw. die „Gleitzeit ohne feste Kernarbeitszeit“ stellt
eine Fortentwicklung der einfachen Gleitzeitarbeit dar. Dort wird das
Flexibilisierungspotential hinsichtlich der Variabilität der Arbeitzeit weiter gesteigert.
Der elementare Unterschied zwischen den beiden Gleitzeitvarianten liegt darin,
dass die qualifizierte Gleitzeit die Breite der Kernarbeitszeit auf ein Minimum
reduziert bzw. gänzlich auf die Festlegung einer Kernarbeitszeit verzichtet.
Vorgeschrieben ist lediglich die vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit in der
Woche, im Monat oder im Jahr. Alle darüber hinausgehenden Entscheidungen
hinsichtlich der Arbeitszeitplanung, wie z.B. die Lage und Dauer der Arbeitszeit
an den einzelnen Tage, sind dem Arbeitnehmer selbst überlassen und
eigenverantwortlich von ihm zu regeln. Dabei kann es durchaus dazu kommen, dass
der Arbeitnehmer an einzelnen Tagen beispielsweise nur halbtags oder sogar gar
nicht arbeitet.
Charakteristisch für die qualifizierte Gleitzeitarbeit ist somit, dass der Arbeitnehmer
nicht nur zu einem selbst gewählten Zeitpunkt seine Arbeit aufnehmen und
beenden, sondern dass er darüber hinaus auch die Länge seines Arbeitstages
selbst bestimmen kann (vgl. Abb. 2). Damit hat er die Möglichkeit, mit Hilfe von
Gleitzeitkonten Arbeitszeit anzusparen oder nachzuholen und (je nach
Vereinbarung) sowohl Zeitguthaben als auch Zeitschulden „aufzubauen“.
Abbildung 2: „qualifizierte Gleitzeit“
Gleitzeitrahmen
7h
Kernarbeitszeit
12 h
Gleitzeitrahmen
15 h
20 h
wenn
vorgegeben: fix
Beispiel:
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Sowohl Lage als
auch Dauer: variabel
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Gleitzeit
Das Arbeitszeitmodell der Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit wird beispielsweise
von der Kreissparkasse München angewendet, welche insgesamt etwa 400
Mitarbeiter in der Zentrale und ca. weitere 500 in den über 60 Filialen beschäftigt.
Während zuvor die Gleitzeitarbeit mit festen Kernzeiten praktiziert wurde, entschied
sich die Kreissparkasse im Laufe der Zeit und als Antwort auf den in der Praxis
bereits zu beobachtenden freieren Umgang der Beschäftigten mit ihrer
Arbeitszeit, auf die Kernarbeitszeit zu verzichten.
Daher wurde in der anschließenden Dienstvereinbarung festgelegt, dass die
tägliche Bandbreite der Arbeitszeit von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr reichen solle. Eine
zwingende und permanente Anwesenheitspflicht zu bestimmten Zeiten wurde aber
gerade nicht bestimmt, so dass die Arbeitnehmer innerhalb der „variablen
Arbeitszeit“ befugt sind, ihre persönliche Arbeitszeit unter Berücksichtigung der
betrieblichen Belange nach eigenem Ermessen festzulegen.
Besonders hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die parallele Praktizierung
eines Ampelmechanismus, wonach der zeitnahe Ausgleich der Gleitzeitkonten bei
Überschreiten bestimmter Grenzwerte mitgesteuert werden soll.
Weiterführende Literatur: Jelenski/Weidinger, Forschungsbericht: Dokumentation
Arbeitszeit – Praxisbeispiele – Teil 2 „Fallstudien“ – S. 319 ff.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: PREIS-PREIS, DER ARBEITSVERTRAG, II A 90 RN. 146 FF.; SCHAUBSCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10. AUFL., § 160 RN. 1 FF.; HAMM, FLEXIBLE ARBEITSZEITEN
IN DER PRAXIS, 2. AUFL., S. 92 FF.; MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -SCHÜREN,
ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 1 FF.; MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -ANZINGER,
2. AUFL., § 218 RN. 54 FF.; NEUMANN/BIEBL, ARBZG, 13. AUFL., § 3 RN. 26 FF.;
LINNENKOHL/RAUSCHENBERG/GRESSIERER/SCHÜTZ, ARBEITSZEITFLEXIBILISIERUNG, 4. AUFL., S. 56
FF., 102 FF.; REICHOLD, NZA 1998, 393, 395 FF.; SCHÜREN, AUR 1996, 381 FF.
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Gleitzeit
R E C HT S FR AG E N
Direktionsrecht
Gleitzeit mit fester Kernarbeitszeit
Bei der einfachen Gleitzeitarbeit mit Kernarbeitszeit findet keine Übertragung
des die Arbeitszeitgestaltung betreffenden Leistungsbestimmungsrechts auf
den Arbeitnehmer statt, da die Arbeitsaufnahme innerhalb der (relativ engen)
Arbeitszeitvorgaben lediglich die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflicht
darstellt.
Im Rahmen von traditionellen Arbeitszeitmodellen mit starren Arbeitszeiten obliegt
alleine dem Arbeitgeber die Bestimmung der konkreten Arbeitszeit, insbesondere
deren Beginn und Ende. Die Arbeitszeitverteilung hat dabei durch Gestaltungsakt
nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) unter Beachtung der Vorgaben von
Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag und Arbeitszeitgesetz zu erfolgen.
Allerdings stellt sich die Frage, wie die Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts
bei der einfachen Gleitzeit zu beurteilen ist. Möglicherweise ist eine Übertragung
des Leistungsbestimmungsrechts anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer seinen
Arbeitstag innerhalb der Gleitzeitspanne selbst bestimmen kann.
Dagegen spricht jedoch, dass der Arbeitnehmer durch sein „Gleiten“ innerhalb der
Gleitzeitspanne keine Leistungsbestimmung im eigentlichen Sinne vornimmt.
Vielmehr erfolgt der bei der Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 1 BGB
angestrebte Interessenausgleich bereits bei der Festlegung des Zeitrahmens
der Gleitzeitarbeit, der Gleitspanne und der Kernarbeitszeit. Sein betriebliches
Interesse bringt der Arbeitgeber gerade durch die Festlegung der Kernarbeitszeit
zum Ausdruck. Die tatsächliche Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers innerhalb der
Gleitspanne stellt dann nur noch die Erfüllung der arbeitsvertraglichen
Leistungspflicht dar.1
Bei der einfachen Gleitzeitarbeit mit Kernarbeitszeit erfolgt somit keine
Übertragung des Leistungsbestimmungsrechts auf den Arbeitnehmer.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -SCHÜREN,
ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 5 FF., 11 FF.; SCHÜREN, AUR 1996, 381 FF.
1
Schüren, AuR, 1996, 381, 382.
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Gleitzeit
Gleitzeit ohne Kernarbeitszeit
Bei der Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit kommt es zu einer Übertragung
des Leistungsbestimmungsrechts betreffend die Arbeitszeitregelung auf den
Arbeitnehmer. Dabei hat der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit nach billigem
Ermessen zu gestalten (§ 315 BGB), insbesondere hat er Rücksicht auf die
betrieblichen Belange zu nehmen.
Eine besonders hohe Flexibilisierung der Arbeitszeit erfolgt bei der qualifizierten
Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit, da dem Arbeitnehmer lediglich vorgegeben
wird, die vereinbarte durchschnittliche Arbeitszeit in der Woche, im Monat etc.
einzuhalten. Dabei stellt sich die Frage, wie sich diese Ausgestaltung auf das
Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers auswirkt.
Durch das Fehlen einer festgesetzten Kernarbeitszeit wird dem Arbeitnehmer die
Entscheidung überlassen, wann und wie lange er arbeitet, so dass insoweit
durchaus eine Übertragung des Leistungsbestimmungsrechts hinsichtlich der
Arbeitszeitverteilung auf den Arbeitnehmer angenommen werden kann. Während
bei der Gleitzeitarbeit mit Kernarbeitszeiten die Leistungsbestimmung bereits durch
die Festlegung der Kernarbeitzeit und der Gleitspanne abschließend erfolgt ist, ist
die Situation bei der Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit insoweit eine andere, als
dass die Festlegung des Zeitrahmens für sich gesehen noch keine vollständige
Arbeitszeitregelung darstellt, denn ein Interessenausgleich der betrieblichen und
persönlichen Belange ist nicht erfolgt. Die anschließende Ausfüllung des
Zeitrahmens obliegt den Arbeitnehmern.
Das daraus resultierende Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitnehmers ist jedoch
nicht gleichbedeutend mit dem Gedanken, dass der Arbeitnehmer bei der
Zeiteinteilung völlig frei wäre. Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit wird aus der Sicht
der Arbeitgeber praktiziert, damit es zu einer erhöhten, bedarfsorientierten
Verteilung der Arbeitszeit kommt. Ebenso wie sich der Arbeitgeber bei der
Gestaltung der Arbeitszeit, die nach billigem Ermessen zu erfolgen hat, primär an
den betrieblichen Belangen orientiert, da er schließlich das Risiko der Verwertung
der Arbeitsleistung trägt, muss gleiches auch für das Leistungsbestimmungsrecht
des Arbeitnehmers gelten.
Wird dem Arbeitnehmer ein solches Leistungsbestimmungsrecht gewährt, so stellt
die „Bedarfsorientierung“ automatisch einen wesentlichen Aspekt im nach § 315
BGB anzustrebenden Interessenausgleich dar. Schließlich trifft die Regelung des
§ 315 BGB keine Unterscheidung dahingehend, von wem die Leistung bestimmt
wird. Somit hat auch die Billigkeitskontrolle nach denselben Maßstäben zu
erfolgen, wie es bei der Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber der Fall wäre.
Der Arbeitnehmer hat vorrangig die Bedürfnisse des Betriebes zu berücksichtigen.
Unbillig wäre es demnach, die Arbeitnehmerinteressen immer auf derselben
Ebene wie die betrieblichen Belange anzusiedeln. Vielmehr ist die betrieblich
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Gleitzeit
notwendige Arbeitszeitverteilung immer dann als „billig“ anzusehen, wenn sie nicht
zu außergewöhnlichen, unzumutbaren Belastungen des Arbeitnehmers führt.
Die Bewertung der Billigkeit knüpft dabei in der Regel an einen innervertraglichen
und damit einzelfallabhängigen Maßstab an.
Beispiel
Als unüblich und damit unbillig ist es zu bewerten, wenn beispielsweise von einer
Bürohilfe verlangt wird, Arbeitsleistungen nach 19:00 Uhr oder samstags und
sonntags zu erbringen.
Somit hat der Arbeitnehmer bei der Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit das
Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich seiner Arbeitszeitgestaltung inne. Dabei
muss er die Zeiteinteilung im Grunde genauso vornehmen, wie es auch ein
vernünftiger Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechts zu tun hätte, ohne
dass er sich dabei aber unzumutbaren Belastungen auszusetzen hat.
Aus dem Billigkeitserfordernis ergibt sich demnach, dass die Arbeitszeit der
Arbeitnehmer nicht so verteilt werden darf, dass ein Arbeitsplatz durch die
Abwesenheit einzelner oder mehrerer Mitarbeiter verwaist. Insoweit können
Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer(n) oder die Bildung von
Arbeits- oder Projektgruppen von Bedeutung sein, da hierdurch insbesondere die
Einhaltung der Mindestbesetzungsstärke der Abteilung sichergestellt werden
kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die fachgerechte und ordnungsgemäße
Aufgabenerledigung in der Regel umso einfacher zu bewerkstelligen ist, je breiter
und umfassender die Gruppenmitglieder ausgebildet und qualifiziert sind. Hier
reichen zumeist (kurzfristige) Absprachen, insbesondere ist auch eine gegenseitige
Vertretung möglich.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -SCHÜREN,
ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 5 FF.; SCHÜREN, AUR 1996, 381, 382 FF.; REICHOLD, NZA
1998, 393, 395 FF.; HÖLTING, FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG, S. 113.
Besondere Personengruppen
Die Anwendbarkeit der Gleitzeitarbeit kann insoweit begrenzt sein, als dass
bestimmte Personengruppen besonderen Schutzregelungen unterliegen.
Insbesondere bei Jugendlichen und Schwangeren ist Gleitzeitarbeit aufgrund
der bestehenden Höchstarbeitszeitgrenzen nur eingeschränkt praktizierbar.
Ebenso wie die Praktizierung der Gleitzeitarbeit bei bestimmten Tätigkeiten, wie
z.B. bei Arbeit im Takt oder am Fließband, von vorneherein ausgeschlossen sein
kann, gibt es auch Personengruppen, bei denen die Anwendung von gleitender
Arbeitszeit - wenn überhaupt - nur in beschränktem Rahmen zulässig ist und damit
dem Zweck von Gleitzeitarbeit - nämlich der teilweisen Flexibilität der Arbeitszeit -
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Gleitzeit
nicht wirklich gerecht werden kann. Dies betrifft insbesondere Jugendliche und
Schwangere.
Bei Jugendlichen ist die Höchstarbeitszeit von acht Stunden täglich und 40
Stunden wöchentlich zwingend zu beachten (§ 8 Abs. 1 JArbSchG). Die
Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 JArbSchG, in der eine begrenzte Erhöhung
der Arbeitszeit bei der Verbindung von Feiertagen mit Werktagen, an denen nicht
gearbeitet wird, vorgesehen ist, gelangt nicht zur Anwendung. Ebenfalls ist die
Pausenregelung des § 11 JArbSchG zu beachten, die bestimmt, dass Jugendliche
nicht länger als 4 ½ Stunden ohne Pause beschäftigt werden dürfen (bei
Erwachsenen liegt diese Grenze bei 6 Stunden, § 4 S. 3 ArbZG), wobei die Pause
schon im Voraus bestimmt sein muss (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 JArbSchG).
Bei Schwangeren wiederum ist zu beachten, dass sie gemäß § 8 Abs. 1 und 2
MuSchG nicht mehr als 8 bzw. 8 ½ Stunden täglich oder 80 bzw. 90 Stunden in der
Doppelwoche (jeweils abhängig vom Alter der Schwangeren) arbeiten dürfen, so
dass das zulässige tägliche Arbeitszeitvolumen hier ebenfalls zwingenden
Schranken unterliegt.
Insbesondere die Begrenzung der täglichen Arbeitsdauer bei diesen speziellen und
besonders schutzwürdigen Personengruppen bewirkt, dass im Grunde kein
besonders großer Schwankungsspielraum, insbesondere in Bezug auf die
qualifizierte Gleitzeitarbeit, möglich ist. Somit kann z.B. ein Ansparen von
Zeitelementen auf dem Gleitzeitkonto - wenn überhaupt - nur äußerst beschränkt
erfolgen.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: SCHAUB-SCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10. AUFL., § 160 RN.
8, 13.
Höchstarbeitszeit – Spätdienstzulage
Wird die Gleitspanne sehr groß gewählt, stellt sich die Frage, ob für spät
geleistete Arbeit ein Anspruch auf eine Spätdienstzulage besteht. Dies ist
jedoch abzulehnen, da der Arbeitnehmer die Lage und Verteilung seiner
Arbeitszeit selbst festlegt und er daher einer besonderen Belastung
regelmäßig nicht ausgesetzt ist.
Es stellt sich die Frage, ob sich für einen Arbeitnehmer, der innerhalb eines
Gleitzeitsystems arbeitet, in arbeitszeitrechtlicher Hinsicht Besonderheiten im
Hinblick auf Höchstarbeitszeiten und Spätdienstzulagen ergeben. Bei der
qualifizierten Gleitzeit ist dabei vor allem auf die Einhaltung der Höchstarbeitszeit
von 8 bzw. 10 Stunden hinzuweisen (§ 3 ArbZG). Durch die Flexibilisierung der
täglichen Dauer der Arbeitszeit kann der Arbeitnehmer bei der Ausübung seiner
Arbeitszeitsouveränität häufig die Gefahr der Überschreitung der gesetzlich
vorgeschriebenen Höchstarbeitszeit verkennen. Insoweit sollten die
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Gleitzeit
Arbeitnehmer durch geeignete Informationsveranstaltungen über die rechtlichen
Rahmenbedingungen unterrichtet werden.
Bei der einfachen Gleitzeit besteht diese Gefahr dagegen nicht, da sich durch die
Gleitzeitarbeit mit Kernbereich letztlich nichts an der vertraglich festgelegten
täglichen Arbeitszeitdauer ändert. Variabel ist lediglich die Lage der täglichen
Arbeitszeit (d.h. deren Anfang und Ende), nicht hingegen deren Länge, so dass
es im Grunde lediglich zu einer „Verschiebung“ der fixen Arbeitszeit kommt.
Als problematisch kann die Wahl einer sehr großen Gleitspanne angesehen
werden. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer, der seine
Arbeitszeit so legt, dass er noch bis in die späten Abendstunden arbeitet, Anspruch
auf Spätdienstzulagen hat. Dies ist jedoch abzulehnen, da der Grund für die
Gewährung solcher Zulagen allein darin zu sehen ist, dass die besonderen
Erschwernisse und Beanspruchungen, die dem Arbeitnehmer durch den
Arbeitgeber auferlegt werden, zumindest in gewissem Umfang abgegolten werden
sollen. Wählt der Arbeitnehmer die Lage seiner Arbeitszeit dagegen freiwillig so
spät, ist darin kein Erfordernis für eine Abgeltung besonderer Erschwernisse zu
erkennen. Dem Arbeitnehmer steht es schließlich frei, seine Arbeit zu früherer
Stunde zu erbringen.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: SCHAUB-SCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10. AUFL., § 160 RN.
10 F.
Pausenregelung
Als problematisch kann es sich erweisen, dass nach § 4 S. 1 ArbZG die
Ruhepausen im Voraus festzulegen sind. Dem kann allerdings durch die
Bestimmung „fester Pausenzeitpunkte“, „Pausenfenster“ oder die
„Anbindung der Pause an die Arbeitsaufnahme“ wirksam begegnet werden.
Bei Gleitzeitarbeit kann es zu Schwierigkeiten bei der Einhaltung der gesetzlich
vorgegebenen Pausenregelungen kommen. In § 4 S. 1 ArbZG ist vorgeschrieben,
dass die Ruhepausen „im voraus“ feststehen müssen. Dies ergibt sich aus dem
Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers, der sich auf die Pause einrichten können
muss. Problematisch ist eine bereits im voraus zu definierende Lage der Pause
jedoch insoweit, als dass es sich bei der Gleitzeitarbeit gerade um kein starres
Arbeitszeitsystem mit fixen Anfangs- und Endzeitpunkten handelt, sondern die
Arbeitnehmer – abhängig von der konkreten Ausgestaltung des Gleitzeitmodells –
ihre persönliche Arbeitszeit in gewissen Grenzen frei einteilen können.
Damit stellt sich die Frage, wie man den Voraussetzungen des § 4 ArbZG gerecht
werden kann, ohne dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeitsouveränität verliert.
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10
Gleitzeit
In der Literatur2 werden drei Gestaltungsmöglichkeiten vorgeschlagen, die zu
interessengerechten Ergebnis zu führen vermögen:
•
Fester Pausenzeitpunkt: Es besteht die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber
fixe Zeitpunkte für die Pausen festlegt, die innerhalb der Kernarbeitszeit
liegen. Dabei hat er jedoch zu berücksichtigen, dass nach § 4 S. 3 ArbZG
kein Arbeitnehmer länger als sechs Stunden hintereinander beschäftigt
werden darf. Es ist deshalb von besonderer Bedeutung, dass der
Arbeitgeber bei der Festlegung der Pausenzeitpunkte auch den
Gleitzeitrahmen berücksichtigt.
Beispiel
Kernarbeitzeit: 11 bis 15 Uhr
Gleitzeitrahmen: 7 bis 11 Uhr und 15 bis 21 Uhr
Legt der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Pause auf 13 bis 14 Uhr, so sollte das nur
unter Berücksichtigung des Beginns des morgendlichen Gleitzeitrahmens
geschehen (7 Uhr), denn es ist erforderlich, dass – wenn der Arbeitnehmer seine
Arbeit um 7 Uhr aufnimmt – der Zeitpunkt der Pause nicht später als 6 Stunden
nach Arbeitsbeginn liegt. Bei dem vorliegenden Beispiel wäre diese Voraussetzung
bei einer Mittagspause beginnend um 13 Uhr gegeben. § 4 S. 3 ArbZG ist aber
auch für den Zeitpunkt nach der Pause zu berücksichtigen, so dass bei einer Pause
bis 14 Uhr spätestens um 20 Uhr erneut eine Pause einzulegen ist.
•
Pausenfenster: Daneben besteht die Möglichkeit, anstatt fester Zeitpunkte
einen Zeitrahmen für die Pausen zu definieren, innerhalb dessen der
Arbeitnehmer seine Pause – je nach persönlicher Arbeitszeitplanung –
legen kann. Dies steht auch mit der Rechtsprechung des BAG3 in
Einklang. Das Gericht hat festgestellt, dass das Schutzbedürfnis des
Arbeitnehmers zumindest einen zu Beginn der täglichen Arbeitszeit
feststehenden zeitlichen Rahmen erfordert, in dem die Pause genommen
werden muss.
Beispiel
Kernarbeitszeit: 11 bis 15 Uhr
Gleitzeitrahmen: 7 bis 11 Uhr und 15 bis 21 Uhr
Pausenfenster: 12 bis 14 Uhr und 17 bis 18 Uhr
2
Hamm, Flexible Arbeitszeiten in der Praxis, 2. Aufl., S. 103 f.; vgl. auch Neumann/Biebl,
ArbZG, 13. Aufl., § 4 Rn. 3.
3
BAG 27.2.1992 AP Nr. 5 zu § 3 AZO Kr = DB 1992, 2247; BAG 23.9.1992 AP Nr. 6 zu § 3
AZO Kr = NZA 1993, 752.
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11
Gleitzeit
Innerhalb des Pausenfensters von 12 bis 14 Uhr kann sich der Arbeitnehmer
selbst aussuchen, wann er seine persönliche Ruhepause nehmen möchte. Der
Arbeitgeber hat die Zeitspanne für das Pausenfenster ebenfalls so zu wählen, dass
nicht gegen § 4 S. 3 ArbZG verstoßen wird.
•
Anbindung an die Arbeitsaufnahme: Insbesondere für Gleitzeitarbeit
ohne Kernarbeitszeiten ist es empfehlenswert, den Zeitpunkt der Pause an
den individuellen Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme des einzelnen
Arbeitnehmers zu koppeln, so dass die Arbeitnehmer in der Verteilung und
täglichen Dauer ihrer Arbeitszeit weitgehend souverän bleiben, aber
gleichzeitig den Vorgaben des § 4 S. 1 ArbZG genüge getan wird.
Beispiel
Unabhängig von der jeweiligen Lage und Dauer der täglichen Arbeitszeit, haben alle
Arbeitnehmer nach 4 ½ Stunden ab dem Zeitpunkt ihrer Arbeitsaufnahme eine
halbstündige Pause einzulegen.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: HAMM, FLEXIBLE ARBEITSZEITEN IN DER PRAXIS, 2. AUFL., S. 102 FF.;
NEUMANN/BIEBL, ARBZG, 13. AUFL., § 4 RN. 1 FF.
Vorübergehende Verhinderung i.S.v. § 616 BGB
Da der Arbeitnehmer bei der Gleitzeit die Planung seiner Arbeitszeit
zumindest zum Teil selbst in der Hand hat, ist im Rahmen dessen für die
Anwendung des § 616 BGB kein Raum. Etwas anders gilt hingegen für
tarifliche Freistellungsansprüche des Arbeitnehmers.
Problematisch ist, inwieweit die Regelung des § 616 BGB bei der qualifizierten
Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit sowie außerhalb der Kernarbeitszeit bei der
einfachen Gleitzeit in der Praxis noch Anwendung findet. § 616 BGB gibt dem
Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung bei
Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung. Dazu zählen beispielsweise die schwere
Erkrankung oder der Tod eines nahen Angehörigen sowie die Pflege eines
erkrankten Kindes.4 Berücksichtigt man jedoch, dass bei dem flexiblen System der
qualifizierten Gleitzeit die Planung der Arbeitszeit in der Hand des
Arbeitnehmers liegt, bleibt für die Anwendung des § 616 BGB kein Raum. Der
Arbeitnehmer, für den die Leistung der Arbeit im konkreten Fall unzumutbar ist, wird
einfach nicht zur Arbeit erscheinen. Da die Festlegung der Arbeitspflicht bei der
qualifizierten Gleitzeitarbeit allein durch die tatsächliche Arbeitsaufnahme erfolgt,
liegen die Fälle der Unzumutbarkeit somit automatisch in der Freizeit des
Arbeitnehmers. Ebenso gilt für die einfache ‚Gleitzeit’, dass wegen der fehlenden
Arbeitspflicht persönliche Verhinderungen während der Gleitzeit keinen Anspruch
4
Palandt-Putzo, BGB, 63. Aufl., § 616 Rn. 8; Erfurter Kommentar-Dörner, 4. Aufl., § 616
BGB Rn. 4 ff.
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12
Gleitzeit
auf Arbeitsbefreiung und somit keinen Anspruch auf die Gutschrift von Stunden
begründen können.5
Das Ergebnis erscheint insoweit befremdlich, als dass eine „Benachteiligung“ der
Arbeitnehmer gegenüber Beschäftigten mit festen Arbeitszeiten – zumindest was
die bezahlte Freistellung angeht – droht. Dagegen ist jedoch auf den Zweck des
§ 616 BGB zu verweisen, der gerade nicht darin liegt, dem Arbeitnehmer
„Sonderurlaub“ zu gewähren. Vielmehr ermöglicht die Vorschrift lediglich eine
Korrektur für die fremdbestimmte Arbeitszeitverteilung.6 Insoweit ist es auch
sachgerecht, dass § 616 BGB bei der Gleitzeitarbeit praktisch nicht zur Anwendung
gelangt.
Anders ist die Sachlage bei tariflichen Freistellungsansprüchen, die dem
Arbeitnehmer für besondere Anlässe gewährt werden, zu beurteilen, da es sich
dabei um zusätzliche Begünstigungen handelt. Die Beschneidung des
tarifvertraglich zugesicherten Anspruchs würde eine wesentliche Benachteiligung
der betroffenen Arbeitnehmer bedeuten. Daher wird in der Literatur7 zu Recht
vorgeschlagen, dem betroffenen Arbeitnehmer in einem solchen Fall eine
entsprechende Reduzierung seines Arbeitszeitvolumens zu gewähren.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: SCHÜREN, AUR 1996, 381, 385; MÜNCHENER HANDBUCH
ARBEITSRECHT -SCHÜREN, ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 53; REICHOLD, NZA 1998, 393,
398.
Krankheit des Arbeitnehmers
Auch bei Gleitzeit hat der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle einen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EZFG, so dass es auch zu
einer Verminderung seines Arbeitszeitdeputats kommt.
Fraglich ist, ob sich aus dem Arbeitszeitmodell der Gleitzeit Besonderheiten für den
Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1
EFZG ergeben. Danach ist in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit
verbundener Krankheit dem betroffenen Arbeitnehmer für den Zeitraum von
höchstens 6 Wochen das Entgelt zu 100 % fortzuzahlen.
Die Grundsätze der Entgeltfortzahlung finden auch auf flexible Arbeitszeitmodelle
Anwendung. Der Vorschrift des § 4 Abs. 1 EZFG liegt dabei das sog.
„Lohnausfallprinzip“ zugrunde, wonach der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer
so zu stellen ist, wie er stünde, wenn er im Zeitraum der Erkrankung gearbeitet
hätte. Diesbezüglich muss die Erkrankung die alleinige Ursache für den
Arbeitsausfall sein.
5
LAG Köln 10.2.1993 LAGE Nr. 7 zu § 616 BGB.
So Schüren, AuR 1996, 381, 385.
7
Schüren, AuR 1996, 381, 385.
6
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13
Gleitzeit
Weitgehend unproblematisch ist der Fall, dass der Arbeitnehmer über den
gesamten Abrechnungszeitraum erkrankt und ihm somit für diese Zeit
(höchstens jedoch bis 6 Wochen) seine „normale“ Vergütung fortzuzahlen ist.
Wird der Arbeitnehmer dagegen lediglich einige Tage krank, ist unklar, in
welchem Verhältnis diese Tage zu dem restlichen, noch zu leistenden
Arbeitszeitdeputat für den aktuellen Abrechnungszeitraum stehen. Abzulehnen ist
die Schlussfolgerung, dass es dadurch zu keiner Verminderung des
Arbeitszeitdeputats kommen kann, weil der Arbeitnehmer zur freien Einteilung der
Arbeitszeit befugt ist. Damit würde durch die Einführung der qualifizierten Gleitzeit
beispielsweise der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 S. 1 EZFG im
Grunde ausgehöhlt und praktisch leer laufen. Eine derartige Abweichung von der
zwingenden Regelung des § 3 Abs. 1 EZFG ist jedoch wegen § 12 EZFG nicht
möglich. Die Arbeitszeitsouveränität des Arbeitnehmers kann daher für den
Entgeltfortzahlungsanspruch keine Rolle spielen. Auch der zeitsouveräne
Arbeitnehmer ist folglich so zu stellen, wie er stünde, wenn er gearbeitet hätte.
Insoweit ist auf die hypothetische Arbeitszeitlage abzustellen. Maßgeblich ist
dabei die individuelle regelmäßige Arbeitszeit. Die Bestimmung der
regelmäßigen Arbeitszeit ist bei flexiblen Arbeitszeitmodellen mitunter schwierig,
weshalb bei Schwankungen in der individuellen Arbeitszeit eine
vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten ist.8 Die Dauer der
regelmäßigen Arbeitszeit bemisst sich dabei nach der Rechtsprechung des BAG9
grds. nach dem Durchschnitt der letzten 12 Monate. Der Vergleichszeitraum dient
nicht nur der praktikablen Berechnung der regelmäßigen Arbeitszeit, sondern
bezweckt auch die sichere Erfassung dessen, was die Parteien als regelmäßige
Arbeitszeit des Arbeitnehmers gewollt haben. Damit das Arbeitsverhältnis also
umfassend in den Blick genommen wird und Zufallsergebnisse vermieden werden,
genügt es nicht, einen dreimonatigen Referenzzeitraum zugrunde zu legen.10 Von
Bedeutung ist der lange Vergleichszeitraum auch für die Feststellung möglicher
nicht zu berücksichtigender Überstunden. Besteht das Arbeitsverhältnis noch keine
12 Monate, ist die gesamte Dauer maßgeblich.
Diese vergangenheitsbezogene individuelle Durchschnittsberechnung bestimmt also
die Höhe der Entgeltfortzahlung bzw. der Verminderung des Arbeitszeitdeputats.
Korrespondiert das Arbeitszeitmodell der Gleitzeit mit entsprechenden
Arbeitszeitkonten, besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch in einem Anspruch auf
Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: SCHÜREN, AUR 1996, 381; MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT SCHÜREN, ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 44 FF.
8
BAG 24.3.2004 AP Nr. 66 zu § 4 EntgeltFG = BB 2004, 1572 ff.; BAG 21.11.2001 AP Nr.
56 zu § 4 EZFG = NZA 2002, 439 ff.
9
BAG 21.11.2001 AP Nr. 56 zu § 4 EZFG = NZA 2002, 439.
10
So noch BAG 8.5.1972 AP Nr. 3 zu § 2 LohnFG.
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14
Gleitzeit
Urlaub
Bei einer „Freizeitphase“ muss eine Unterscheidung möglich sein, ob es sich
um Urlaub oder den Ausgleich des Zeitkontos handelt. Andernfalls ist die
Anwendbarkeit des § 9 BUrlG problematisch, der nur den Fall der Kollision
von Urlaub und Krankheit betrifft. Nur dann werden die nachgewiesenen Tage
der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet.
Auch in hochflexiblen Arbeitszeitmodellen - wie der qualifizierten Gleitzeitarbeit besteht der gesetzliche Urlaubsanspruch i.H.v. mindestens 24 Werktagen (§§ 3
Abs. 1, 13 Abs. 1 BUrlG). Schwierigkeiten können sich hier allerdings insoweit
ergeben, wenn aus dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht hervorgeht, ob er
lediglich bereits vorgearbeitete Arbeitszeit durch Freizeitnahme ausgleicht oder ob
es sich um Urlaub handelt.
Gerade im Hinblick auf § 9 BUrlG ist es von Bedeutung, dass sich der
Urlaubszeitraum feststellen lässt. Nach dieser Regelung werden im Falle einer
Kollision von Urlaub und Krankheit die nachgewiesenen Tage der
Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Für anderweitige
Freistellungen, wie im Falle des Ausgleichs des Zeitkontos, besteht dieser Anspruch
dagegen nicht.
Hinweis
Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, ob es sich um eine
Freistellungsphase oder um Urlaub handelt, ist beispielsweise die Verwendung
unterschiedlicher Formulare zu erwägen.
Schwierigkeiten bereiten kann auch der Fall, dass der Arbeitgeber die Festlegung
des Urlaubszeitpunktes gänzlich in das Belieben des Arbeitnehmers stellt.
Hinweis
Dieser Fall ist jedoch von der sog. „Selbstbeurlaubung“ zu unterscheiden. Sie liegt
vor, wenn der Arbeitnehmer eigenmächtig seine Beurlaubung vornimmt, ohne
dass es eine „Freistellungserklärung“ des Arbeitgebers vorliegt.
Eine solche Regelung steht durchaus mit den Bestimmungen des BUrlG im
Einklang. Zwar handelt es sich im Grunde um eine Abweichung von § 7 Abs. 1
BUrlG, sie wirkt aber zugunsten des Arbeitnehmers und ist daher gemäß 13 Abs. 1
BUrlG zulässig. Einzige Voraussetzung ist auch hier allerdings – im Hinblick auf § 9
BUrlG – dass der Urlaubszeitraum deutlich wird.
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15
Gleitzeit
Hinweis
Unklarheit herrscht, ob die obigen Ausführungen auch für Urlaubsansprüche
gelten, die über den gesetzlich vorgeschriebenen Urlaubsanspruch
hinausgehen. Dies ist im Ergebnis zumindest für vertragliche Regelungen, die
sich auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch beziehen, anzunehmen.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: MÜNCHENER HANDBUCH ARBEITSRECHT -SCHÜREN,
ERGÄNZUNGSBAND, 2. AUFL., § 168 RN. 57 FF.; SCHÜREN, AUR 1996, 381, 385; ERFURTER
KOMMENTAR-DÖRNER, 4. AUFL., § 7 BURLG RN. 4 FF.
Mitbestimmung
Rahmenregelungen
Bei der Einführung und Ausgestaltung der Gleitzeitarbeit wird sich die
Beteiligung des Betriebsrates in der Regel auf die Mitbestimmung von
Rahmenregelungen beschränken, da es in gewissem Maße zu einer
Verlagerung des zeitlichen Leistungsbestimmungsrechts auf den
Arbeitnehmer kommt.
Besteht in einem Betrieb, in dem die Gleitzeit eingeführt, ausgestaltet oder
abgeschafft werden soll, kein Betriebsrat, so erfolgen die Implementierung dieses
Arbeitszeitmodells sowie sonstige diesbezügliche Regelungen grundsätzlich im
Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers.
Existiert jedoch ein Betriebsrat in dem betroffenen Betrieb, ist die Einführung, die
Ausgestaltung und die Abschaffung – sowohl der einfachen, als auch der
qualifizierten Gleitzeit - nur unter Berücksichtigung der Mitbestimmungsrechte
des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 BetrVG möglich. Durch die Einführung
eines Gleitzeitsystems wird insbesondere die zeitliche Lage der Arbeitszeit sowie
u.U. auch deren tägliche Dauer berührt. Eine derartige Regelung kann nur unter
Beteiligung des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfolgen.
Mitbestimmungspflichtig gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3, 6 BetrVG sind auch die Art und
Handhabung der Erfassung der Arbeitszeit sowie die Anordnung von Überstunden
(vgl. die Ausführungen bei Arbeitszeitkonten).
In diesem Zusammenhang gerät die Mitbestimmung des Betriebsrats häufig in ein
Spannungsverhältnis zur Autonomie der in Gleitzeit tätigen Arbeitnehmer: Soweit
diesen von Seiten des Arbeitgebers im Rahmen des Gleitzeitmodells ein gewisses
Maß an Arbeitszeitsouveränität zugewiesen ist, droht ihre Autonomie durch die
Mitbestimmung wieder eingeschränkt zu werden. In der Praxis wird das
Spannungsverhältnis regelmäßig in der Weise aufgelöst, dass sich der Betriebsrat
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16
Gleitzeit
auf die Regelung von Rahmenvorschriften beschränkt und die weitere Ausübung
der Arbeitszeitkonkretisierung den betroffenen Arbeitnehmern überlässt.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates endet dort, wo zwingende tarifliche
Regelungen bestehen, an die der Arbeitgeber gebunden ist, § 87 Abs. 1 ES
BetrVG. Regelt der Tarifvertrag – wie beispielsweise § 7 MTV der Metallindustrie
Nordwürttemberg-Nordbaden vom 18.12.1996 - die Höchstdauer der
Ausgleichszeiträume für Arbeitszeitmodelle mit ungleichmäßiger Verteilung der
regelmäßigen Arbeitszeit, so sind Betriebsvereinbarungen in Bezug auf
anderweitige Regelungen des Ausgleichszeitraums unwirksam.11
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: SCHAUB-SCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10. AUFL., § 160
RN. 4.
Überwachung der Gleitzeitkonten
Der Betriebsrat hat einen Anspruch auf Überwachung der Gleitzeitkonten.
Gemäß § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG kann er im Rahmen der Wahrnehmung seiner
allgemeinen Aufgaben nach § 80 Abs. 1 BetrVG vom Arbeitgeber verlangen,
dass ihm die dafür erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden.
Kommt es zwischen den Betriebspartnern zu einer Regelung in Form einer
Betriebsvereinbarung, die die monatliche Aufstellung der Anwesenheitszeiten auf
einem Gleitzeitkonto normiert, ist dem Betriebsrat diesbezüglich ein
Überwachungsrecht zuzubilligen. Denn die Gleitzeitkontoauszüge, die der
Arbeitgeber in Vollzug der Betriebsvereinbarung erstellt und als
Kontrollinstrument zur Einhaltung der Regelungen der Gleitzeitvereinbarung
verwendet, unterliegen dem Überwachungsrecht des Betriebsrates aus § 80 Abs.
1 Nr. 1 BetrVG und sind diesem daher auf Verlangen zur Verfügung zu stellen.
Der Anspruch des Betriebsrates auf Überlassung der Gleitzeitkontoauszüge ist
dabei aus § 80 Abs. 2 S. 2 1. HS BetrVG abzuleiten.12 Danach kann der Betriebsrat
im Rahmen der Wahrnehmung seiner allgemeinen Aufgaben vom Arbeitgeber
verlangen, dass ihm die dafür erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt
werden.
Eine weitere dem Betriebsrat vom Gesetz zugewiesene Überwachungsaufgabe
i.S.v. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht in der Einhaltung des ArbZG. Der
Betriebsrat kann somit auch Auskunft und Vorlage hinsichtlich der
Arbeitszeitaufzeichnungen nach § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG gemäß § 80 Abs. 2 S. 2
1. HS BetrVG verlangen.13
11
BAG 29.4.2004 AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG Durchführung = NZA 2004, 670, 675 f.
So grundlegend LAG Baden-Württemberg 21.2.1994 BB 1994, 1352.
13
BAG 6.5.2003 AP Nr. 61 zu § 80 BetrVG = NZA 2003, 2445 ff.
12
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Gleitzeit
Hinweis
Dem kann der Arbeitgeber auch nicht entgegensetzen, dass es sich bei den
Gleitzeitkontoauszügen um einen Bestandteil der Personalakte handelt. Zwar
kann der Betriebsrat Einsicht in die gesamte Personalakte nicht verlangen. Der
Arbeitgeber kann jedoch im Einzelfall durchaus dazu verpflichtet sein, konkrete
Informationen daraus zu erteilen, wenn diese für die Aufgabenerfüllung des
Betriebsrates notwendig sind.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: GEMEINSCHAFTSKOMMENTAR-BETRVG-WIESE, 7. AUFL., § 87 RN.
334 FF. ; DÄUBLER/KITTNER/KLEBE-KLEBE, BETRVG, 8. AUFL., § 87 RN. 80.
Durchführung einer Betriebsvereinbarung
Den Arbeitgeber trifft gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG die Pflicht der
Durchführung einer Betriebsvereinbarung über Gleitzeit. Sieht diese eine
verbindliche Festlegung des Gleitzeitrahmens vor, hat der Arbeitgeber
Maßnahmen zu treffen, die Arbeitsleistungen außerhalb des Rahmens
verhindern. Der Betriebsrat hat einen entsprechenden Anspruch auf die
Durchführung (ggf. auch die Gewerkschaft).
Werden Kernarbeitszeit, Gleitzeitspanne und Grenzwerte des Gleitzeitkontos etwa
durch Betriebsvereinbarung geregelt, trifft den Arbeitgeber gemäß § 77 Abs. 1 S. 1
BetrVG die Pflicht, die Betriebsvereinbarung im Betrieb durchzuführen. Wie das
BAG14 unlängst entschieden hat, gehört zur Durchführungspflicht nicht nur, dass der
Arbeitgeber betriebsvereinbarungswidrige Maßnahmen unterlässt, sondern auch,
dass er aktiv dafür sorgt, dass sich die Arbeitnehmer in seinem Betrieb an die
Regelungen einer Betriebsvereinbarung halten.
Legt die Betriebsvereinbarung – wie im vom BAG15 zu entscheidenden Fall – einen
Gleitzeitrahmen (z.B. von 6:00 Uhr bis 19:00 Uhr) fest, so handelt es sich dabei um
eine verbindliche Festlegung des zulässigen täglichen Arbeitszeitrahmens.
Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut, dem systematischen
Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Regelung. Außerhalb des
vereinbarten Rahmens erbrachte Arbeitsleistungen verstoßen somit - ohne
Zustimmung des Betriebsrates oder eine diese ersetzenden Spruch der
Einigungsstelle - gegen die Betriebsvereinbarung. Der Arbeitgeber ist daher
verpflichtet, die Arbeitsleistung außerhalb des festgelegten Gleitzeitrahmens
zu verhindern. Zumutbare Maßnahmen sind dabei insbesondere entsprechende
Anweisungen gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer sowie solche technischer
oder organisatorischer Art. Erforderliche Anweisungen zur Einhaltungen des
Gleitzeitrahmens kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmern aufgrund seines
Direktionsrechts erteilen und deren Befolgung auch mit individualrechtlichen
Sanktionen durchsetzen.
14
15
BAG 29.4.2004 AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG Durchführung = NZA 2004, 670 ff.
BAG 29.4.2004 AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG Durchführung = NZA 2004, 670 ff.
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18
Gleitzeit
Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Arbeitgeber außerhalb des
Gleitzeitrahmens geleistete Arbeit nicht vergütet.16 Denn die Einschätzung der
Wirkung bestimmter Maßnahmen bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber der
Erbringung betriebsvereinbarungsfeindlicher Arbeitsleistung tatenlos zuschauen
kann. Vielmehr muss er seinen Betrieb so organisieren, dass die
betriebsverfassungsrechtlich geregelten Arbeitszeiten eingehalten werden, und
erforderlichenfalls korrigierend in die betrieblichen Abläufe eingreifen. Dieser
Verpflichtung kann sich der Arbeitgeber nicht entziehen.
Voraussetzung für Durchführungspflicht ist Wirksamkeit der
Betriebsvereinbarung. An dieser fehlt es insbesondere, wenn sie gegen
zwingende tarifvertragliche Bestimmungen verstößt.
Mit der Durchführungspflicht des Arbeitgebers nach § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG
korrespondiert ein Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber, die
Betriebsvereinbarung durchzuführen. Er hat mithin auch einen
Unterlassungsanspruch im Hinblick auf betriebsvereinbarungsfeindliches Verhalten
des Arbeitgebers.
Bei groben Verstößen gegen die Betriebsvereinbarung steht auch der im Betrieb
vertretenen Gewerkschaft ein Unterlassungsanspruch zu. Dieser ergibt sich aus
§ 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG.
Bildungsveranstaltungen außerhalb der Kernzeit
Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt – ohne Beteiligung des Betriebsrates einseitig „freiwillige“ Bildungsveranstaltungen (mit betrieblichem
Hintergrund) festzulegen, die außerhalb der Kernarbeitszeit angesiedelt sind,
wenn den Arbeitnehmern durch das Fernbleiben Informationsrückstände und
damit berufliche Nachteile erwachsen können.
Problematisch ist es, ob der Arbeitgeber befugt ist, (freiwillig zu besuchende)
Schulungs- und Informationsveranstaltungen für seine Arbeitnehmer außerhalb
der in der Betriebsvereinbarung geregelten Kernarbeitszeit anzusetzen, ohne dabei
den Betriebsrat beteiligt zu haben.
Beispiel:
Gleitzeit: 7:00 Uhr bis 8:30 Uhr und 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Kernzeit: 8:30 Uhr bis 13:00 Uhr
Schulungs- und Informationsveranstaltung: 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr
16
BAG 29.4.2004 AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG Durchführung = NZA 2004, 670, 677.
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19
Gleitzeit
Bereits Ende der 80er Jahre hat das BAG17 entschieden, dass der Betriebsrat auch
dann mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber Bildungsveranstaltungen für
Mitarbeiter außerhalb der „regulären Arbeitszeit“, d.h. der Kernarbeitszeit, jedoch
noch innerhalb der „Bandbreite“ der Gleitzeit ansetzt und es sich bei der
Veranstaltung um eine solche im „dienstlichen Interesse“ handelt. Denn es kann
gerade nicht mehr von der Freiwilligkeit der Teilnahme gesprochen werden,
wenn die vermittelten Kenntnisse für die Arbeit der Beschäftigten notwendig
sind und auf Grund der Überschaubarkeit des teilnehmenden Personenkreises
festgestellt werden kann, wer daran nicht teilgenommen hat. Durch das Fernbleiben
können den Arbeitnehmern schließlich – mit dem Argument des
Informationsrückstands – durchaus berufliche Nachteile erwachsen.
Damit würde den Arbeitnehmern die – in der Betriebsvereinbarung durch die
Regelung der Gleitspannen - eröffnete Freiheit, selbst über Beginn und Ende der
Arbeitszeit zu bestimmen faktisch in unzulässiger Weise durch den Arbeitgeber
beschränkt. Auch die ausdrücklich erklärte Freiwilligkeit der Teilnahme vermag das
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG bei
Informations- und Schulungsveranstaltungen außerhalb der Kernzeiten nicht
auszuschließen. Vielmehr ist bei Bildungsveranstaltungen im dienstlichen Interesse
ein „ freiwilliger Zwang“ anzunehmen, im Grunde ist die Teilnahme der
Arbeitnehmer obligatorisch.
Somit ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, einseitig Bildungsveranstaltungen (mit
betrieblichem Hintergrund) festzulegen, die außerhalb der Kernarbeitszeit
stattfinden sollen. Daran vermag auch die „Freiwilligkeit“ der Anwesenheit nichts zu
ändern.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: HAMM, FLEXIBLE ARBEITSZEITEN IN DER PRAXIS, 2. AUFL.;
GEMEINSCHAFTSKOMMENTAR -BETRVG-WIESE, 7. AUFL., § 87 RN. 336; RICHARDI-RICHARDI,
BETRVG, 8. AUFL., § 87 RN. 279.
Streikteilnahme und Gleitzeit
Die Belastung des Gleitzeitkontos anstatt der Entgeltkürzung für die Zeit eines
Streiks ist grundsätzlich zulässig, vorausgesetzt es existiert auch eine dies
anordnende, wirksame Regelung.
Fraglich ist, wie sich das Arbeitszeitmodell der Gleitzeit auf die Streikteilnahme der
Arbeitnehmer auswirkt. Die Teilnahme am Streik führt grds. dazu, dass die Pflichten
aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert werden und so beispielsweise der
Lohnanspruch des Arbeitnehmers entfällt. Dazu ist erforderlich, dass der
Arbeitnehmer seine Teilnahme am Streik ausdrücklich oder konkludent erklärt.
17
BAG 18.4.1989 AP Nr. 33 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = DB 1989, 1978.
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20
Gleitzeit
Problematisch erscheint insoweit, dass im Rahmen der qualifizierten Gleitzeit und
außerhalb der Kernarbeitszeit im Rahmen der einfachen Gleitzeit zum Zeitpunkt des
Streiks keine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht. Des Weiteren stellt sich
die Frage, wie der zeitsouveräne Arbeitnehmer seine mögliche Streikteilnahme
konkludent erklären kann. Das BAG18 vertritt in ständiger Rechtsprechung die
Ansicht, dass auch der nicht arbeitspflichtige Arbeitnehmer am Streik teilnehmen
kann mit der Folge, dass sein Lohnanspruch für die Zeit des Streiks entfällt. Denn
auch der nicht zur Arbeitsleistung verpflichtete Arbeitnehmer kann durch die
tatsächlich gezeigte doch wenigstens erklärte Solidarität den Druck eines Streiks
ausüben und verstärken. Für die Erklärung der Streikteilnahme im Rahmen von
flexiblen Arbeitszeitmodellen, bei denen keine Arbeitspflicht besteht, kann das bei
bestehender Arbeitspflicht ausreichende Fernbleiben vom Arbeitsplatz nicht
genügen. In diesen Fällen kann der Arbeitgeber nämlich nicht ohne weiteres davon
ausgehen, dass sich diese Arbeitnehmer am Streik beteiligen.19
Ausreichend hingegen ist in jedem Fall, dass der Arbeitnehmer Streikposten20
steht und somit tatsächlich und aktiv21 am Streik teilhat. Fraglich ist jedoch, ob das
Ausstempeln als solches bei Wiedereinstempeln am Ende des Streiks als
konkludente Erklärung der Streikteilnahme ausreicht. Das Ausstempeln bedeutet
regelmäßig den Übergang in private Freizeit; das Freizeitverhalten eines
Arbeitnehmers ist arbeitskampfneutral. In seiner Entscheidung vom 15.1.2004 hat
das LAG Schleswig-Holstein22 das Ausstempeln als konkludente
Streikteilnahmeerklärung abgelehnt. Das Verhalten eines Arbeitnehmers, der sich
nach dem Ausstempeln unter die Streikenden begibt und aktiv am Streikgeschehen
teilnimmt, kann unter keinen Umständen als arbeitskampfneutral gewertet werden.
Entscheidend nach der Ansicht des LAG Schleswig-Holstein ist daher nicht das
Ausstempeln, sondern das darauf folgende Verhalten des Arbeitnehmers.
Auch problematisch ist die Bewertung der Behandlung der Gleitzeitkonten
während eines Arbeitskampfes. Es geht insbesondere um die Frage, ob es zu der
Zeit, in der die Arbeitspflicht ruht bzw. suspendiert ist, zu einer Belastung des
Gleitzeitkontos kommen kann oder ob vielmehr immer eine Minderung des
Arbeitsentgelts zu erfolgen hat. Das BAG23 hat diesbezüglich festgestellt, dass
eine Regelung, nach der Zeiten der Teilnahme an einem Arbeitskampf nicht zur
Kürzung des Entgelts, sondern zur Belastung des Gleitzeitkontos führen, zulässig
sein kann und insbesondere nicht gegen die Chancengleichheit im
Arbeitskampf (Art. 9 Abs. 3 GG) verstößt.
18
für viele: BAG 1.10.1991 AP Nr. 121 zu Art 9 GG Arbeitskampf.
BAG 1.10.1991 AP Nr. 121 zu Art 9 GG Arbeitskampf.
20
BAG 1.10.1991 AP Nr. 121 zu Art 9 GG Arbeitskampf.
21
LAG Schleswig-Holstein 15.1.2004 - 4 TaBV 10/03 -.
22
LAG Schleswig-Holstein 15.1.2004 - 4 TaBV 10/03 -.
23
BAG 30.8.1994 AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1995, 183; BAG 30.8.1994
AP Nr. 131 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1995, 32.
19
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21
Gleitzeit
Zwar ergeben sich für Betriebsvereinbarungen Grenzen daraus, dass die von Art. 9
Abs. 3 GG geschützte Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien der Disposition
der Betriebspartner entzogen ist, so dass diese keine die Kampfparität
beeinträchtigende Regelungen treffen können. Eine solche Beeinträchtigung ist
jedoch bei der Kürzung des Zeitkontensaldos für Zeiten des Streiks nach Ansicht
des BAG nicht anzunehmen. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass die
Arbeitnehmer durch entsprechende Regelungen keine Vergütung für die Ausfallzeit
des Streiks erhalten, sondern vielmehr allein der durch die Verrechnung
streikbedingter Ausfallzeiten erwachsende Nachteil auf eine andere Ebene
verschoben wird. D.h., dass der Streikende für seine Streikteilnahme bereits
erarbeitete, nicht vergütete Arbeitszeit (etwa ein Zeitguthaben) einsetzen, oder aber
entsprechend nacharbeiten muss, ohne dafür Entgelt zu erhalten. Diese
Argumentation kann auch den vereinzelt kritischen Stimmen in der Literatur24
entgegengehalten werden, die in der Zulässigkeit einer solchen Klausel die
Abschwächung des Charakters des Streiks als kollektives
Arbeitsverweigerungsinstrument sehen, da die entscheidende, grundsätzlich
negative Konsequenz für die streikbeteiligten Beschäftigten auch im Fall einer
solchen Klausel weiterhin einsetzt, allerdings in anderer Form. Da Regelungen in
Betriebsvereinbarungen, nach denen Streikzeiten bei Gleitzeitarbeit Abzüge vom
Gleitzeitguthaben bewirken, somit im Allgemeinen weder zu einer Erhöhung noch
zu einer Abschwächung der Wirkung des Streiks führen, sind sie grundsätzlich
zulässig.
Fraglich ist hingegen, ob diese Regelungen den Arbeitnehmern auch ein Wahlrecht
hinsichtlich eines Abzuges vom Gleitzeitguthaben oder einer Kürzung des Gehalts
einräumen dürfen. Entscheidend ist wiederum, ob durch derartige
Betriebsvereinbarungen die Chancengleichheit der Tarifparteien beeinträchtigt wird.
Das BAG25 hatte diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen.
In der Literatur26 wird den Arbeitnehmern zum Teil ein generelles Wahlrecht
eingeräumt – sogar unabhängig vom Bestehen einer Betriebsvereinbarung. Richtig
ist, dass die Frage, ob der Arbeitnehmer die Verrechnung der Streikzeiten mit dem
Gleitzeitguthaben oder die Entgeltkürzung als geringere Belastung ansieht,
einzelfall- und personenabhängig und nicht verallgemeinerungsfähig ist. Auch für
den Arbeitgeber kann sich die Belastung der Gleitzeitkonten, die u.U. das Aufholen
streikbedingter Rückstände ermöglicht, ohne dass dafür Überstundenzuschläge
anfallen, als günstiger darstellen. Abhängig von der wirtschaftlichen Lage kann
umgekehrt die Belastung der Gleitzeitkonten für den Arbeitgeber aber auch von
Nachteil sein. Das LAG Schleswig-Holstein27 hält dem Wahlrecht der
Arbeitnehmer entgegen, dass bei Arbeitszeitregelungen mit der Möglichkeit der
Ansparung großer Zeitsalden ohne Verfall die Arbeitskampfparität nicht mehr
gewahrt sei. Die Arbeitnehmer könnten nämlich ggf. bis zu mehr als vier Wochen
24
Hamm, Flexible Arbeitszeiten in der Praxis, 2. Aufl., S. 106.
BAG 30.8.1994 AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1995, 183
26
Kissel, Arbeitskampfrecht, § 46 Rn. 13.
27
LAG Schleswig-Holstein 11.12.2003 – 1 Sa 361/03 - .
25
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Gleitzeit
trotz der Teilnahme am Streik gezielt Vergütung fordern und den Arbeitsausfall
später nachholen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber ohne Erträge durch die
Produktion und ohne die Möglichkeit der Kalkulation auch während des Streiks
Vergütung zahlen.
Eine Entscheidung des BAG bleibt abzuwarten. Ohne eine Regelung durch eine
Betriebsvereinbarung ist nach der Rechtsprechung jedenfalls allein eine Kürzung
des Entgelts zulässig.
Hinweis
Das BAG28 hat in beiden Fällen zwar generell die Zulässigkeit solcher Regelungen
angenommen, die hinsichtlich der Zeiten der Streikteilnahme nicht zur Kürzung des
Entgelts sondern zur Belastung des Gleitzeitkontos führen. In beiden Fällen ergab
jedoch die Auslegung der zu überprüfenden Betriebsvereinbarungen, dass
Regelungen, die den Zeitausfall während der Teilnahme an Arbeitskämpfen
betreffen, nicht existierten.
Festzuhalten bleibt somit, dass eine Regelung diesen Inhalts immer ausdrücklich
vereinbart werden muss.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: DÄUBLER/KITTNER/KLEBE-KLEBE, BETRVG, 8. AUFL., § 87 RN. 80;
GEMEINSCHAFTSKOMMENTAR -BETRVG-WIESE, 7. AUFL., § 87 RN. 343; HAMM, FLEXIBLE
ARBEITZEITEN IN DER PRAXIS, 2. AUFL., S. 106; SCHAUB-SCHAUB, ARBEITSRECHTS-HANDBUCH, 10.
AUFL., § 160 RN. 15.
Beschäftigungsverhältnis
Gemäß § 7 Abs. 1a SGB IV liegt auch dann ein sozialversicherungsrechtliches
Beschäftigungsverhältnis vor, wenn der Arbeitnehmer für einen Zeitraum von
seiner Arbeitspflicht freigestellt wurde, aber weiterhin sein Arbeitsentgelt
erhält und die weiteren Voraussetzungen der Norm erfüllt sind.
Besonderheiten hinsichtlich ihrer sozialversicherungsrechtlichen Behandlung
bestehen insbesondere bei der qualifizierten Gleitzeitarbeit ohne Kernarbeitszeit
und mit Zeitausgleich. Hier kommt es häufig dazu, dass ein bestimmtes Guthaben
auf dem Gleitzeitkonto angesammelt wird. Vor allem bei der qualifizierten Gleitzeit
wird der Arbeitnehmer in bestimmten Zeiträumen durchaus in hohem Maße von
der „Normalarbeitszeit“ abweichen, was sich aber nicht unmittelbar auf sein
Entgelt auswirkt. Im Rahmen solcher flexibler Arbeitszeitmodelle hängt zwar der
Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers von der Auftragslage und dem daraus
resultierenden Arbeitsanfall ab, doch wird sein monatliches Entgelt in der Regel,
unabhängig von dem Guthaben auf seinem Zeitkonto, kontinuierlich
weitergezahlt. Eine Entlohnung des Arbeitnehmers auf Grundlage der tatsächlich
28
BAG 30.8.1994 AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1995, 183; BAG 30.8.1994
AP Nr. 131 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1995, 32.
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Gleitzeit
aufgewendeten Arbeitszeit ist als unzumutbar anzusehen, da dies jeder finanziellen
Planung des Arbeitnehmers entgegenstünde.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der
sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Freistellungsphase. Bei der
qualifizierten Gleitzeit kann sich das Gleitzeitkonto des Arbeitnehmers so weit
auffüllen, dass die komplette Freizeitgewährung den Zeitraum von einem Monat
übersteigt. Fraglich ist, ob auch in dieser Zeit, in der der Arbeitnehmer sein
Kontoguthaben einlöst und damit keine physische Arbeitsleistung erbringt, ein
sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 SGB IV
besteht.
Die Frage nach der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung arbeitsfreier Zeiten
bei flexiblen Arbeitszeitmodellen ist mit Einführung des § 7 Abs. 1a SGB IV
beantwortet worden. Danach liegt auch dann ein sozialversicherungsrechtliches
Beschäftigungsverhältnis vor, wenn der Arbeitnehmer für einen gewissen
Zeitraum von seiner Arbeitspflicht freigestellt wurde. Voraussetzung ist aber, dass er
währenddessen weiterhin kontinuierlich sein Arbeitsentgelt erhält und darüber
hinaus die übrigen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1a SGB IV erfüllt sind.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR:
DILLER, NZA 1998, 793; GAUL, BB 1998, 1635 F.; STIEFERMANN,
ARBG 1997, 198; WONNEBERGER, DB 1998, 982; PREIS-PETERS-LANGE, DER ARBEITSVERTRAG, II
A 90 RN. 197 FF.
Bezugsgröße / Störfall
Nach § 23b Abs. 1 SGB IV richten sich bei Vereinbarungen nach § 7 Abs. 1a
SGB IV die Sozialversicherungsbeiträge nur nach dem tatsächlich verdienten
Arbeitsentgelt.
Im Falle einer unvermuteten Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein
negativer Saldo des Arbeitszeitkontos keine Auswirkungen zu Lasten des
Sozialversicherungsschutzes des Arbeitnehmers (§ 7 Abs. 1 S. 3 SGB IV).
Demgegenüber ist ein positiver Saldo, sofern dem Arbeitnehmer dieser
Vermögenswert auch tatsächlich ausgezahlt wird, gemäß
§ 23b Abs. 2, 2a SGB IV beitragspflichtig.
Es stellt sich auch im Zusammenhang mit der sozialversicherungsrechtlichen
Behandlung von Gleitzeitmodellen die Frage, nach welcher Bezugsgröße sich die
zu entrichtenden Beiträge bemessen. Dabei kommen entweder das gleich
bleibende Arbeitsentgelt oder die ständig schwankende Arbeitszeit in Betracht.
Eine Antwort gibt § 23b Abs. 1 SGB IV. Dieser stellt klar, dass sich bei
Vereinbarungen nach § 7 Abs. 1a SGB IV die Sozialversicherungsbeiträge –
unabhängig von der Arbeitszeit – nach dem jeweiligen Arbeitsentgelt bemessen.
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Gleitzeit
Einen besonderen, gerade in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht relevanten
Störfall stellt es dar, wenn es zu einer vorzeitigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses kommt. Gerade bei einem unvermuteten Ende, z.B. im Falle
einer fristlosen Kündigung oder des Todes des Arbeitnehmers, kann das
Arbeitszeitkonto trotz grundsätzlich entgegenstehender Bemühungen der
Vertragsparteien einen positiven oder negativen Saldo aufweisen.
Während im Falle eines negativen Saldos – wobei dieser Fall bei
Gleitzeitvereinbarungen seltener vorkommen wird, als im Rahmen der neueren
Arbeitszeitkontenmodelle – ein rückwirkender Eingriff in den
Sozialversicherungsschutz des Arbeitnehmers nach § 7 Abs. 1a S. 3 SGB IV
ausgeschlossen ist, ist ein positiver Saldo gemäß § 23 Abs. 2, 2a SGB IV
beitragspflichtig.
Hinweis
Für den Fall der Insolvenz stellt § 23 b Abs. 2 Nr.1 SGB IV eine Ausnahme dar.
Zu beachten ist, dass diese Folge nur unter der ungeschriebenen Voraussetzung
eintritt, dass dem Arbeitnehmer dieser Vermögenswert auch tatsächlich
ausgezahlt wird.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR: DILLER, NZA 1998, 792, 793; PREIS-PETERS-LANGE, DER
ARBEITSVERTRAG, II A 90 RN. 212.
Entstehen der Lohnsteuer
Bei Zeitkontenmodellen entsteht die Lohnsteuerschuld erst im Zeitpunkt des
Lohnzuflusses und nicht schon bei Fälligkeit des Lohns.
Das charakteristische Merkmal der flexiblen Arbeitszeitmodelle, vor allem der
Zeitkonten, besteht darin, dass die tatsächlich aufgewandte Arbeitszeit und das
erzielte Arbeitsentgelt oft nicht in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander
stehen. Das Arbeitsentgelt bleibt in der Regel gleich, unabhängig davon, ob der
Arbeitnehmer gerade sein Konto auffüllt oder entleert. Dabei stellt sich allerdings
das Problem, wann genau die Lohnsteuerschuld entsteht.
Möglich wären zwei Zeitpunkte,
•
zum einen der Zeitpunkt der Gutschrift der Mehrarbeit auf dem Konto,
•
zum anderen der Zeitpunkt der Auszahlung des Arbeitsentgeltes.
Zwar ist es in der Praxis üblich, den für das Entstehen der Lohnsteuerschuld
relevanten Zeitpunkt arbeitsvertraglich auf den Auszahlungszeitpunkt zu
verschieben, doch herrscht eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob dies auch in
steuerrechtlicher Hinsicht gilt. Da der Gesetzgeber diesbezüglich keine speziellen
Regelungen getroffen hat, ist dieses Problem an den allgemeinen Grundsätzen zu
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Gleitzeit
messen. Gemäß § 38 Abs. 2 EStG entsteht die Lohnsteuerschuld dann, wenn der
Arbeitslohn dem Arbeitnehmer „zufließt“, der Zeitpunkt der Fälligkeit des
Arbeitslohns (d.h. der Zeitpunkt der Gutschrift) ist demgegenüber irrelevant. Der
Begriff des „Zufließens“ wiederum ist in der Weise zu verstehen, dass der
Arbeitnehmer in der Lage sein muss, wirtschaftlich über seinen Lohn zu
verfügen. Dem Arbeitnehmer ist der Arbeitslohn also regelmäßig dann zugeflossen,
wenn er an ihn ausgezahlt oder auf sein Konto überwiesen worden ist, so dass
dementsprechend auch erst zu diesem Zeitpunkt die Besteuerung einsetzt.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR:
TAUSCH, ARBG 1998, 237; HANAU/ARTEAGA, BB 1998, 2054.
Insolvenzsicherung
Das Problem der Insolvenzsicherung von Zeitgutschriften stellt sich im
Rahmen der Gleitzeit nur, wenn hohe Kontoguthaben erreicht werden können.
Das Bedürfnis nach insolvenzrechtlicher Sicherung besteht im Rahmen der
Gleitzeit dann, wenn die Zeitgutschriften auf entsprechenden Konten verbucht
werden und von nicht unerheblichem Wert sind. Dies kommt bei der Gleitzeit, die in
aller Regel nur auf kurzzeitige Ausgleichszeiträume angelegt ist, eher selten vor.
Das Problem stellt sich jedoch regelmäßig bei den auf dem Modell der Gleitzeit
beruhenden Arbeitszeitkontenmodellen Besteht jedoch im Rahmen der Gleitzeit die
Möglichkeit, dass ein hohes Kontoguthaben erreicht wird, ist an die
insolvenzrechtliche Sicherung des Zeitkontenguthabens zu denken. Gesetzlich
normiert ist diese in § 7d SGB IV. Zu den Voraussetzungen der Vorschrift sowie den
Rechtsfolgen und Instrumentarien zur Sicherung der Kontoguthaben sei auf die
Ausführungen im Text Arbeitszeitkonten Gliederungspunkt Insolvenzsicherung
verwiesen.
Allerdings ist in den seltensten Fällen bei Gleitzeitmodellen zu erwarten, dass die
relativ hohen Anforderungen des § 7d SGB IV erfüllt werden. Denkbar wäre dies
jedoch dann, wenn die Tarifpartner von § 7d SGB IV abweichende geringere
Grenzwerte für das Eingreifen des Insolvenzschutzes geregelt haben (vgl. § 7d
Abs. 1 Nr. 2 SGB IV). Auch sind eine freiwillige Sicherung und damit entsprechende
tarifvertragliche Regelungen oder Betriebsvereinbarungen möglich.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR DILLER, NZA 1998, 794; WONNEBERGER, DB 1998, 984; GAUL, BB
1998, 1636; HANAU/ARTEAGA, BB 1998, 2054.
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