Fall 9 – „Sammlers Leid“ Lösung
Transcription
Fall 9 – „Sammlers Leid“ Lösung
Juristische Fakultät Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I WS 2012/2013 Fall 9 – „Sammlers Leid“ Lösung Teil 1 A. Anspruch des U gegen K auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung gemäß § 433 I 1 BGB U könnte gegen K einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung gemäß § 433 I 1 BGB haben. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages zwischen U und K über die Briefmarkensammlung. Ein Kaufvertrag kommt durch zwei inhaltlich korrespondierende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB), zustande. I. Angebot des U gegenüber K Es könnte ein Angebot des U gegenüber K vorliegen. 1. Objektiver und subjektiver Erklärungstatbestand Das besonders gute Angebot des U erfüllt objektiven und subjektiven Erklärungstatbestand. [Anmerkung: Der Sachverhalt gibt es hier nicht her objektiven und subjektiven Erkl.TB ausführlich zu prüfen.] 2. Abgabe und Zugang der Willenserklärung Der U müsste seine Willenserklärung in Richtung des Empfängers des Angebots, hier K als Verkäufer der Briefmarkensammlung, auf den Weg gebracht haben. Die Willenserklärung des U wurde jedoch in Richtung des Viktors auf den Weg gebracht. Viktor könnte indes richtiger Empfänger sein. Dies ergibt sich aus § 164 III BGB. Voraussetzung ist das Vorliegen einer wirksamen Empfangsstellvertretung. Dies ist im Rahmen der Zurechnung der Willenserklärung zu prüfen. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 1 Auch der Zugang erfolgt nicht bei K. Jedoch könnte hier ebenfalls der V als Empfangsvertreter fungieren, § 164 III BGB. [Anmerkung: Aufbautechnisch können bereits hier die Voraussetzungen der Stellvertretung geprüft werden. Sollten Sie zu dem Ergebnis gelangen, dass diese nicht vorliegen, so müssten sie dennoch auf die Annahme eingehen. Dies ergibt sich aus §§ 177, 179 BGB. § 177 I BGB ordnet im Fall der fehlenden Vertretungsmacht die schwebende Unwirksamkeit des Vertrags an. Für einen Vertrag brauchen Sie aber zwei Willenserklärungen.] II. Annahme des Angebots durch K Die Annahme wurde durch V erklärt. K selbst entäußert keine Willenserklärung. Die Willenserklärung des V könnte aber dem K zurechenbar sein, § 164 I 1 BGB. Voraussetzung ist das Vorliegen einer wirksamen Stellvertretung. Dies ist im Rahmen der Zurechnung der Willenserklärung zu prüfen. [Anmerkung: Aufbautechnisch könnten die Voraussetzungen der Stellvertretung auch bereits unter diesem Gliederungspunkt inzident geprüft werden.] III. Zurechnung Fraglich ist, ob der Zugang des Angebots bei V und die Annahmeerklärung des V dem K zuzurechnen sind. Die Zurechnung des Zugangs des Angebots würde im Wege des § 164 III BGB erfolgen, die der Annahmeerklärung im Wege des § 164 I BGB. Voraussetzung der Zurechnung ist das Vorliegen einer wirksamen Stellvertretung. Dies ist im folgenden zu prüfen. 1. Eigene WE des V Eine eigene Willenserklärung des V liegt im Rahmen der Annahmeerklärung durch V vor. Hinsichtlich des Zugangs des Angebots bei V entfällt dieser Prüfungspunkt. Hinweis: Gem. § 164 III BGB gelten die Vorschriften über die Stellvertretung bei Abgabe von Willenserklärungen entsprechend für den Zugang. Bei § 164 III BGB kann es deshalb auch nicht auf die Abgabe einer eigenen Willenserklärung ankommen. Der Prüfungspunkt „Abgabe einer eigenen Willenserklärung“ entfällt daher. 2. Handeln im fremden Namen V müsste offenkundig im Namen des Vertretenen gehandelt haben. V verkauft die Briefmarkensammlung im Namen des K an den U. Hinsichtlich seiner Annahme handelt V daher offenkundig im Namen des K. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 2 V fungiert jedoch auch als Empfangsvertreter des K. Im Fall der Empfangsvertretung ist erforderlich, dass die Offenkundigkeit durch den Geschäftsgegner verdeutlicht wird. U richtet sein Angebot an K. U verdeutlicht daher, dass er Geschäftsgegner des K ist. 3. Mit Vertretungsmacht, § 164 I 1 BGB V müsste jedoch auch mit Vertretungsmacht gehandelt haben und zwar sowohl hinsichtlich des Empfangs von U’s Angebot als auch hinsichtlich seiner eigenen WE, der Annahme. V müsste also zum Verkauf der Briefmarkensammlung mit Wirkung für K ermächtigt sein. V könnte hier von K bevollmächtigt worden sein, gem. § 167 BGB. Hinweis: Man unterscheidet drei Arten der Vertretungsmacht: 1. Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht = Vollmacht (Legaldefinition in § 166 II 1 BGB); die Vollmachtserteilung (§ 167 BGB) ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, bestehend aus einer empfangsbedürftigen Willenserklärung. 2. Gesetzliche Vertretungsmacht (z.B. §§ 1629, 1793, 1902 BGB) 3. Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins Anscheinsvollmacht; §§ 170 ff. BGB) (z.B. Duldungs- oder a) Erteilung der Vollmacht, § 167 BGB Laut Sachverhalt hat der K den V „beauftragt“, für ihn (K) seine alte Briefmarkensammlung mit Marken des Jugendstils zu verkaufen. Darin liegt zum einen eine Beauftragung im Innenverhältnis (Auftrag i.S.d. § 662 BGB). Zum anderen ist aber davon auszugehen, das K den V zugleich mit einer entsprechenden Vertretungsmacht im Außenverhältnis ausstatten wollte (Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB). Damit hat K den V zum Abschluss eines Kaufvertrags über seine Briefmarkensammlung bevollmächtigt. Da die Vollmachtserteilung des K gegenüber dem Vertreter V erfolgte, handelt es sich um eine Innenvollmacht i.S.d. § 167 I Alt. 1 BGB. Hinweis: Auftrags- und Vollmachtserteilung fallen in der Praxis und in Klausursachverhalten i.d.R. zeitlich zusammen, d.h. erfolgen durch eine einzige Erklärung (hier: „K beauftragt V“). Trotzdem ist in rechtlicher Sicht immer streng zwischen Innen- und Außenverhältnis zu trennen: K erklärt mit der „Beauftragung“ des V zum einen ein Angebot, das auf einen Vertragsabschluss mit V im Innenverhältnis (= „rechtliches Dürfen“) gerichtet ist (Auftrag i.S.d. § 662 BGB). Eine Annahme dieses Angebots durch V erfolgte konkludent. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 3 K will den V aber zugleich mit entsprechender Vertretungsmacht ausstatten, damit dieser im Außenverhältnis (= „rechtliches Können“) mit Wirkung für ihn (K) die entsprechenden Rechtsgeschäfte abschließen kann. In der „Beauftragung“ liegt also zugleich eine Vollmachtserteilung i.S.d. § 167 BGB. Da K dem V eine Innenvollmacht erteilt hat, ist V grundsätzlich vertretungsberechtigt. b) Erlöschen der Vollmacht Die Vollmacht des V, für K die Briefmarkensammlung zu verkaufen, könnte jedoch durch die Mitteilung des K gegenüber V, er solle sich nicht mehr um die Angelegenheit kümmern, erloschen sein. Fraglich ist hierbei, wie die Mitteilung des K gegenüber V zu verstehen ist. Anmerkung: Auch beim Erlöschen der Vollmacht ist grundsätzlich zwischen Innen- und Außenverhältnis zu trennen. Zwar ist dieser Gedanke nicht ganz konsequent im BGB durchgehalten; denn gem. § 168 S. 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem ihrer Erteilung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis. Die Abstraktheit von Vollmacht und Auftrag zeigt sich aber wieder in § 168 S. 2 BGB: Hiernach soll die Vollmacht auch bei dem Fortbestehen dieses Rechtsverhältnis frei widerruflich sein, wenn sich aus dem Rechtsverhältnis nicht ein anderes ergibt. Denkbar ist, dass K entweder den Auftrag widerrufen hat (dies hätte gem. § 168 S. 1 BGB zugleich das Erlöschen der Vollmacht zur Folge) oder dass K nur die Vollmacht widerrufen hat (isolierter Widerruf der Vollmacht möglich gem. § 168 S. 3 BGB i.V.m. § 167 I Alt. 1 BGB). Fraglich ist also, wie die Mitteilung des K gegenüber V auszulegen ist (§§ 133, 157 BGB). Da für K – für einen objektiven Dritten erkennbar – am Fortbestand des Auftrags im Innenverhältnis kein Interesse besteht, spricht vieles dafür, von einem Widerruf des Auftrages gem. § 671 I BGB auszugehen. Letztendlich kann die Frage jedoch offen bleiben, da die Vollmacht nach beiden Lösungen erloschen wäre. Vertiefung: Im Folgenden ein (beispielhafter!) Überblick über mögliche Gründe für das Erlöschen einer Vollmacht: Gründe: Beendigung des Grundverhältnisses, § 168 S. 1 BGB (ausnahmsweise Verknüpfung zwischen Vollmacht und Grundverhältnis), s.o. Widerruf der Vollmacht, § 168 S. 2, 3 BGB, s.o. Fristablauf bei befristeter Vollmacht Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingter Vollmacht Tod (§ 673 S. 1 i.V.m. § 168 S. 1 BGB) Anfechtung (§ 142 I BGB) Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 4 Folgen: Grundsätzlich: Vertretung ohne Vertretungsmacht, §§ 177 ff. BGB Ausnahme: Fortbestand der Vertretungsmacht kraft Rechtsschein (u.a. §§ 170 ff. BGB) c) Ergebnis V ist damit zum Zeitpunkt der Entgegennahme der Willenserklärung des U nicht vertretungsberechtigt, da er keine Vertretungsmacht hat. V handelte damit als Vertreter ohne Vertretungsmacht (sog. falsus procurator). 4. Rechtsfolge Die Zurechnung der Annahme des V an den K sowie die Zurechnung des Zugangs des Angebots für den K scheitern wegen der fehlenden Vertretungsmacht. Gemäß § 177 BGB ist der Vertrag schwebend unwirksam. Der K könnte das Geschäft gemäß §§ 177 I, 182, 184 I BGB genehmigt haben. Insoweit wäre dann ein wirksamer Vertrag zwischen K und U entstanden. Denn grundsätzlich liegen ja zwei Willenserklärungen vor. K verweigert jedoch seine nachträgliche Zustimmung, § 184 I BGB, so dass der Vertrag endgültig unwirksam ist. IV. Ergebnis Ein wirksamer Vertragsschluss liegt nicht vor. B. Anspruch des U gegen K aus 433 I 1 BGB U könnte gegen K einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung gemäß § 433 I 1 BGB haben. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages zwischen U und K über die Briefmarkensammlung. Ein Kaufvertrag kommt durch zwei inhaltlich korrespondierende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB), zustande. I. Angebot des U ggü. K In dem Moment in dem U den Bildband bei K abholen will, könnte sein Verhalten durch Auslegung als neues konkludentes Angebot zu verstehen sein. Es ergibt sich aus dem Verhalten des U, dass dieser mit K einen Vertrag schließen möchte. Mithin liegen alle Voraussetzungen eines wirksamen Angebots vor. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 5 II. Annahme durch K Karl will jedoch von dem Geschäft mit U nichts wissen. Sein Verhalten ist nicht als Annahme eines Angebots auszulegen. Es fehlt bereits am objektiven Tatbestand der Annahme. III. Ergebnis Mithin hat U mangels Kaufvertragsschluss keine Anspruch gegen K auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung. C. Anspruch des K gegen U aus 433 II BGB Aufgrund der soeben geprüften Unwirksamkeit des Kaufvertrages zwischen K und U kann auch ein Anspruch des K gegen U auf Kaufpreiszahlung nicht entstanden sein. D. Anspruch des U gegen V aus § 179 I BGB U könnte jedoch gegen V ein Anspruch auf Erfüllung oder auf Schadensersatz gem. § 179 I BGB haben. I. Voraussetzungen Hierfür müsste V als Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Vertrag abgeschlossen haben, K müsste die Genehmigung des Vertrages verweigert haben und der Anspruch dürfte nicht gem. § 179 III BGB ausgeschlossen sein. 1. Vertreter ohne Vertretungsmacht V hat einen Vertrag ohne Vertretungsmacht geschlossen (siehe oben). 2. Keine Genehmigung des Vertrages Dieser Vertrag ist vom Berechtigten K zudem nicht genehmigt worden (siehe oben). 3. Kein Ausschluss nach § 179 III BGB Da U den Mangel der Vertretungsmacht bei V weder kannte, noch kennen musste, liegt der Ausschlussgrund des § 179 III BGB nicht vor. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 6 II. Rechtsfolge Gemäß § 179 I BGB ist derjenige, der als Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Vertrag geschlossen hat, dem anderen Teil nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet. 1. Haftung des V auf Erfüllung U könnte von V gem. § 179 I Alt. 1 BGB Erfüllung verlangen. Hinweis: Ein Erfüllungsverlangen des K würde nicht etwa dazu führen, dass der Vertrag doch noch wirksam und V zum Vertragspartner des U wird. Es handelt sich bei § 179 I Alt. 1 BGB also nicht um einen vertraglichen Anspruch. Vielmehr beruht der Erfüllungsanspruch auf Gesetz: Der Vertreter wird kraft Gesetzes wie eine Vertragspartei behandelt. Fraglich ist aber, ob die die Wahl des Erfüllungsverlangens ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Bei dem unwirksamen Kaufvertrag zwischen U und K handelt es sich nämlich um einen Stückkauf; d.h. es ist nur die konkrete Briefmarkensammlung des K, nicht etwa irgendeine gleichartige geschuldet. V müsste also, um überhaupt erfüllen zu können, Eigentümer und Besitzer der Briefmarkensammlung des K sein, d.h. er müsste sie zunächst von K erwerben. Dies kommt aber nicht in Frage, da K die Sammlung gerade behalten will. Nach der wohl h.M. soll der Anspruch auf Erfüllung bei Stückschulden deswegen von vornherein ausgeschlossen sein. 2. Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, § 179 I Alt. 2 BGB Daher kann U von V nur Schadensersatz gem. § 179 I Alt. 2 BGB verlangen. Ersatzfähig ist i.R.d. § 179 I Alt. 2 BGB das positive Interesse. Dies ergibt sich zum einen aus dem Nebeneinander von Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch in § 179 I BGB, zum anderen aus einem Umkehrschluss aus § 179 II BGB. Hinweis: Erfüllungsschaden (positives Interesse, Erfüllungsinteresse) ist der Schaden, der dadurch entsteht, dass der Vertrag nicht ordnungsgemäß zustande kommt oder der Vertragspartner seine Verpflichtung nicht (ordnungsgemäß) erfüllt. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er bei Zustandekommen des Vertrags und ordnungsgemäßer Erfüllung stehen würde. Daher hat V den U so zu stellen, wie dieser stünde, wenn der Kaufvertrag ordnungsgemäß zustande gekommen und erfüllt worden wäre. Wäre der Vertrag erfüllt worden, hätte U einen Gewinn von 100 € gemacht (dass der entgangene Gewinn zum Erfüllungsschaden gehört, wird in § 252 BGB klargestellt). Daher steht U gegen V ein Anspruch in Höhe von 100 € zu. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 7 Allerdings kann U nicht den Ersatz der 15 € Fahrtkosten verlangen, da ihm diese Kosten auch bei wirksamem Vertrag entstanden wären. Es handelt sich um einen Vertrauensschaden (= negatives Interesse). Dies könnte U geltend machen, wenn V den Mangel seiner Vertretungsmacht nicht gekannt hätte, § 179 II BGB. Da V aber Kenntnis von seiner fehlenden Vertretungsmacht hat, greift § 179 II BGB nicht ein. Hinweis: Vertrauensschaden (negatives Interesse, Vertrauensinteresse) ist der Schaden, der dadurch entsteht, dass der Vertragspartner auf die Gültigkeit einer Erklärung (oder eines Geschäftes) vertraut. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er auf die Gültigkeit der (vermeintlich wirksamen) Erklärung nicht vertraut hätte, wenn er also von dem Geschäft „nie etwas gehört“ hätte. III. Ergebnis U hat gegen V einen Schadensersatzanspruch aus § 179 I Alt. 2 BGB in Höhe von 100 €. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 8 Teil 2 A. Anspruch des U gegen K auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung, § 433 I 1 BGB Der U könnte gegen K einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung gem. § 433 I 1 BGB haben. Dazu müsste zwischen U und K ein wirksamer Kaufvertrag vorliegen. I. Angebot des U Laut Sachverhalt liegt ein wirksames Angebot des U vor. Dieses ist dem K zugegangen, § 130 I 1 BGB, und somit wirksam geworden. II. Annahme des K Weiterhin müsste K dieses Angebot angenommen haben. K hat selbst keine Willenserklärung abgegeben. Allerdings könnte dem K die Willenserklärung des V gem. § 164 I 1 BGB zugerechnet werden. Dazu müssten die Voraussetzungen der Stellvertretung vorliegen. [Anmerkung: Aufbautechnisch können bereits hier die Voraussetzungen der Stellvertretung geprüft werden.] III. Zurechnung der Willenserklärung des V Es müssten die Voraussetzungen der Stellvertretung vorliegen. 1. Eigene WE V hat eine eigene Willenserklärung abgegeben. 2. Im Namen des Vertretenen Indem V dem U die Vollmachtsurkunde vorgelegt hat, machte er deutlich, dass er nicht für sich, sondern im Namen des Vertretenen K handeln wollte. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 9 3. Mit Vertretungsmacht V müsste zudem mit Vertretungsmacht gehandelt haben. V könnte mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht (Vollmacht) gehandelt haben. a) Vollmacht erteilt K hat dem V eine Vollmacht als Innenvollmacht i.S.d. § 167 I Alt. 1 BGB erteilt. b) Vollmacht erloschen Die Vollmacht könnte jedoch erloschen sein. Das wäre dann der Fall, wenn K gemäß § 671 I BGB das Auftragsverhältnis (§ 168 S. 1 BGB) oder die Vollmacht selbst (§ 168 S. 2 BGB) widerrufen hätte. Hinweis: Die Verweisung des § 168 S. 3 BGB auf § 167 I BGB ist gerade nicht so zu verstehen, dass der Widerruf der Vollmacht auf die gleiche Art und Weise erfolgen muss, auf der die Vollmachtserteilung erfolgte (hier also gegenüber V). Vielmehr hat der Vollmachtgeber erneut ein Wahlrecht, gegenüber wem er die Vollmacht widerrufen will (Beachte: dies gilt nur für den isolierten Widerruf der Vollmacht; das Auftragsverhältnis kann nur gegenüber dem Vertragspartner, also dem Beauftragten widerrufen werden, hier also gegenüber V). Vom Erlöschen der Vollmacht (= rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht) zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins (§§ 170 ff. BGB) vorliegt. Vorliegend hat K dem V mitgeteilt, dass sich V nicht mehr um die Angelegenheit kümmern soll. Zwar ist es nicht eindeutig, ob dies als Widerruf des Auftragsverhältnisses oder nur der Vollmacht gemeint ist. Diese Frage kann aber letztlich offenbleiben, da die Vollmacht nach beiden Lösungen erloschen wäre. V handelte somit nicht mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht. c) Aber: Vertretungsmacht wegen des fortdauernden Rechtsscheins der Vollmachtsurkunde, § 172 II BGB? Allerdings könnte sich eine Vertretungsmacht aufgrund des fortdauernden Rechtsscheins der Vollmachtsurkunde des V aus § 172 II i.V.m. § 171 II BGB ergeben. Hintergrund: § 172 BGB ist eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsgedankens, dass das an bestimmte Rechtsscheinstatbestände anknüpfende Vertrauen im Rechtsverkehr schutzwürdig sein kann. Liegen die Voraussetzungen vor, so muss sich derjenige, dem der Rechtsscheintatbestand (Vollmachtsurkunde) zurechenbar ist, gegenüber gutgläubigen Dritten so behandeln lassen, als wäre der Rechtsschein wahr. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 10 aa) Vollmachtsurkunde erteilt (§ 172 I BGB) § 172 I BGB setzt zunächst voraus, dass eine Vollmachtsurkunde erteilt worden ist. K dem V eine solche Urkunde erteilt. Der im Rahmen von § 172 BGB erforderliche Rechtsscheintatbestand ist somit gegeben. bb) Vollmachtsurkunde bei Vertragsschluss vorgelegt (§ 172 I BGB) Des Weiteren müsste gem. § 172 I BGB die Vollmachtsurkunde bei Vertragsschluss vorgelegt worden sein. Erst wenn diese Voraussetzung gegeben ist, kann überhaupt schützenswertes Vertrauen beim Vertragspartner entstehen. Hier hat V dem U die Vollmachtsurkunde vorgelegt. cc) Vollmachtsurkunde nicht zurückgegeben (§ 172 II BGB) Gem. § 172 II BGB dürfte V dem K die Vollmachtsurkunde nicht zuvor zurückgegeben haben und die Vollmachtsurkunde dürfte nicht für kraftlos erklärt worden sein. Beides ist hier nicht der Fall. dd) Keine Kenntnis oder Kennenmüssen des U vom Erlöschen nach, § 173 BGB Die Rechtsscheinshaftung wäre gem. § 173 BGB ausgeschlossen, wenn der Dritte bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts das Erlöschen der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste (vgl. § 122 II BGB). In diesem Fall wäre der Dritte nicht schutzwürdig, weil dann ein Vertrauen auf den Rechtsschein der Vollmachtsurkunde nicht gegeben ist. U hatte weder Kenntnis noch fahrlässige Unkenntnis von der fehlenden Vertretungsmacht des V. ee) Zwischenergebnis Gem. § 172 II i.V.m. § 171 II BGB wird K so behandelt, als sei die Vollmacht nicht erloschen. ff) Innerhalb der Vertretungsmacht V handelte auch innerhalb der Vertretungsmacht. d) Ergebnis V handelte mit und im Rahmen seiner Vertretungsmacht. 4. Ergebnis Es ist daher eine wirksame Stellvertretung des K durch V gegeben. Die Annahmeerklärung des V wirkt somit für und gegen K, gem. § 164 I BGB. Eine Annahme des K liegt somit vor. Rechtsvernichtende Einwendungen oder rechtshemmende Einreden sind nicht ersichtlich. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 11 IV. Es liegen weder rechtvernichtende Einwendungen noch rechtshemmende Einreden vor Ergebnis Da K aufgrund der Anwendung der Rechtsscheinvorschrift des § 172 I BGB wirksam durch V vertreten wurde, hat der U einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Briefmarkensammlung gegen ihn gemäß § 433 I 1 BGB. B. Anspruch des K gegen U aus § 433 II BGB K hat auch gegen U aufgrund des wirksamen Kaufvertrages einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 II BGB. C. Ansprüche des U gegen V aus § 179 I BGB Da V mit Vertretungsmacht (kraft Rechtsschein) gehandelt hat (siehe oben), ist ein Anspruch des U gegen V aus § 179 I BGB ausgeschlossen. Exkurs: Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz aus Pflichtverletzung des Auftrags, § 280 I i.V.m. § 662 BGB Hinweis: Auf diesen Schadensersatzanspruch müsste man an sich eingehen, da der Bearbeitervermerk nach der Rechtslage, also nach allen in Betracht kommenden Ansprüchen fragt. Die Schadenersatzansprüche aus §§ 280 ff. BGB werden jedoch erst im 2. Semesters (Schuldrecht) behandelt. Der Vollständigkeit halber wird der Anspruch hier im Rahmen eines Exkurses dargestellt. K könnte einen Schadensersatzanspruch gegen V aus § 280 I i.V.m. § 662 BGB haben. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 12 I. Schuldverhältnis Dazu müsste gem. § 280 I 1 BGB ein Schuldverhältnis vorliegen. Zwischen K und V bestand ursprünglich ein Auftragsverhältnis i.S.d. § 662 BGB. Auch wenn dieses zum Zeitpunkt der Handlung des V schon beendet war (durch Widerruf, vgl. oben), können sich daraus auch nachwirkende Vertragspflichten ergeben. Insofern ist ein Schuldverhältnis zwischen K und V gegeben. II. Pflichtverletzung Da V entgegen der Anweisung des K handelte, hat er eine Pflicht aus dem Auftragsverhältnis verletzt. III. Vertretenmüssen, §§ 280 I 2, 276 I 1BGB V hat die Pflicht zumindest fahrlässig verletzt, so dass er diese Pflichtverletzung gem. §§ 280 I 2, 276 I 1 BGB auch zu vertreten hat. IV. Schaden Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 I 1 BGB setzt zudem das Vorliegen eines Schadens voraus. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, ob das Geschäft für K vermögensmäßig vor- oder nachteilhaft ist. Je nach Beurteilung dieser Frage ist ein Anspruch des K gegen U aus § 280 I i.V.m. § 662 BGB gegeben oder nicht. Konversatorium BGB AT WS 2012/2013 Fall 9 Lösung 13