K3 7/2004 Schwerpunkt - Kreisjugendring München

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K3 7/2004 Schwerpunkt - Kreisjugendring München
Schwerpunkt
20 Jahre HipHop in Deutschland
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Die Geschichte der HipHop-Bewegung
History
Anfang der siebziger Jahre ahnte noch keiner, dass HipHop etwa 30 Jahre später
eine weltumspannende Kultur sein würde. Politik oder Pimmelschau, Party oder
Protest, Kunst, Kommerz oder Vandalismus: HIP HOP - eine Geschichte voller
Widersprüche und Missverständnisse.
Ein gängiges Vorurteil ist, dass Rapper
Konsum, Gewalt und die Unterdrückung
der Frau verherrlichen, dass sie sich
Niggas und Gangstas nennen, mit
Schusswaffen und Schmuck prahlen,
schwanzgesteuert, faul und gewalttätig
sind - hier spiegeln sie die Meinung des
weißen Amerika. „Schon vor hundert Jahren mussten Schwarze, um akzeptiert zu
werden, dem Zerrbild entsprechen, das
weiße Entertainer von ihnen geschaffen
hatten: dem grinsenden Nigger mit aufger i s s e n e n Au g e n “ ( A h m i r T h o m s o n ,
Sprachrohr der HipHop-Band The Roots).
Niemals käme man darauf, darin Gesellschaftskritik zu vermuten.
Graffiti-Writing ist mittlerweile eine fast
über den gesamten Erdball ausgedehnte,
den öffentlichen Raum verändernde, neu
gestaltende Form der modernen Malerei,
die für die Jugendszene unterschiedliche
Erfahrungsmöglichkeiten, Chancen, aber
auch Gefährdungspotenziale bietet. Die
Anforderung nach eigenem Style unterstützt die Jugendlichen bei ihrem Streben nach Unverwechselbarkeit.
Anfangs wollte HipHop den friedfertigen
Tanz-, Spray- und Reimwettbewerb statt
Bandenkrieg.
Eine Jugendbewegung entwickelte sich
Anfang der 70er Jahre in New York entlang
einer Bürgerbewegung, die ein ausgedehntes städtisches Sanierungsvorhaben
in der South-Bronx auslöste. Die Abwanderung der wohlhabenderen weißen
Bevölkerung führte zu einem fortschreitenden Verfall des Stadtteils. Bewohner
afrikanischer und puertoricanischer Abstammung fühlten sich diskriminiert. In
diesem sozial verwüsteten Umfeld entstand HipHop als eine jugendkulturelle
Gegenbewegung mit eigenen Ausdrucksformen, die der Aufwertung der eigenen
Identität dienten. Aus dieser Selbstorganisation sind stabile soziale Unterstützungssysteme hervorgegangen, die
gesellschaftliche Akzeptanz fordern, öffentliche Präsenz zeigen und ihre Kraft
aus der eigenen Kultur schöpfen.
Es bildeten sich Gemeinschaften: „Posses“ und „Crews“, eigene Seilschaften und
Straßengangs, die neue Organisations-
formen mit zunehmend sozialeren Funktionen entstehen ließen. Solidarische Cliquen zur Durchsetzung von Interessen,
Schutz und Hilfe bietend, die auch familien- oder stammesähnliche Strukturen
annahmen.
Die Hauptleitfigur dieser Entwicklung ist
der schwarze Künstler Afrika Bambaataa,
der aus der „Black Panther“-Bewegung,
die sich gegen die Rassenunterdrückung
einsetzte, ausgetreten war und 1973 per
Proklamation die Bewegung The Universal Zulu Nation gründete, deren oberstes
Prinzip die Gewaltfreiheit ist. Sein Leitmotiv: die negative Energie der Kämpfe in
die positive, konstruktive einer neuen
Straßenkultur umzuwandeln - den HipHop.
Neue Regeln für rivalisierende Auseinandersetzungen auf der Straße wurden eingeführt, es entstanden symbolische
Machtkämpfe - „battles“ - die mit den
künstlerischen Mitteln des DJing, Rap,
Breakdance und Graffiti ausgetragen
wurden. „Respect“ und „Fame“ - Achtung
und Anerkennung - wurden Leitziele der
HipHop-Kultur.
Die Straßen wurden zu öffentlichen Arenen, Jugendzentren oder zu Straßenfesten (Jams) deklariert. DJs (Discjockeys), Graffiti-, Rap- und BreakdanceKünstler arbeiteten von Anfang an auf diesen Straßenfesten zusammen und entwickelten ihren Stil gemeinsam weiter.
Graffitikünstler beanspruchten außer einem eigenem Künstlernamen („tag“) den
Anschluss an die Werte und Normen einer Gruppe und einen eigenen Raum auf
der Straße (Revier).
Mitte der achtziger Jahre klangen die
Reime der Niggaz with Attitude wie Polizeiberichte, die Beats peitschten wie Gewehrsalven, die Plattenhüllen zeigten Zuhälter und Prostituierte. Die Musik reflektierte soziale Spannungen, Rap wurde
zum „CNN der Schwarzen“ (Chuck D,
Public Enemy ).
Das bürgerliche Amerika und schließlich
Europa wurden infiltriert, das große Geschäft begann. 1993 betitelte Ice-T seine
erste CD „Home Invasion“ - adressiert
an seine kaufkräftigste Gruppe: weiße
Mittelstandskids.
Schwarze, Unterpriveligierte machten
nun ihr eigenes Business und bestimmten die Warenwelt.
Stil und Musik, Texte, Themen und Kleidung der HipHop-Jugendkultur haben sich
inzwischen nicht nur in Amerika, sondern
in der ganzen westlichen Welt verbreitet
und entwickeln sich eigendynamisch weiter.
Durch den Low-Budget Film „Wildstyle“
(1983), den Dokumentarbericht „Stylewars“ (1984/85) und den Hollywoodstreifen „Beatstreet“ (1984) wurde in
Deutschland die HipHop-Welle losgetreten, die anfangs hauptsächlich durch
Breakdancer weitergetragen wurde. Analog zu den New Yorker Vorbildern taten
sie es den „Writern“ gleich und begannen
- meist aus Neugier - mit Markern und
Sprühfarben an öffentliche Flächen zu
schreiben. Anfangs versuchte man die
amerikanischen Vorbilder zu kopieren,
entwickelte aber schnell eigene Ausdrucksformen:
„1984 hat alles begonnen, aber erst im
Winter 1986 kam der erste voll gefüllte
Whole Car und dann ging’s richtig ab. Ein
großer Teil der Münchner S-Bahnen wurde gebombt. Es fuhren Whole Cars ,
Window Downs und eine Menge Panels.“
(Cemnoz)
1986 bis 87 wurden die Szenen der verschiedenen Großstädte aufeinander aufmerksam. Auf Jams, HipHop-Partys und
Treffpunkten von Rappern, Breakdancern, DJs und Graffiti-Writern bildete sich
langsam eine gesamtdeutsche Szene.
Nachdem sich die Basis für eine deutsche Szene etabliert hatte, begann ein
grenzübergreifender Szeneaustausch.
Fotos, Kontakte, neue Erfahrungen und
Einflüsse schoben die Entwicklung an. Ab
Ende 1989 erschienen dann regelmäßig
Graffitimagazine, die den Wettbewerb
anstachelten. Die deutschen Graffitimetropolen wuchsen und entwickelten mit
ihren Protagonisten eigene Ausprägungen.
GLOSSAR
Battle | Wettkampf rivalisierender Crews;
gewaltfrei, in Form von Breakdance,
Graffiti oder DJing
B-Boy | Tänzer des Breakdance, häufig
auch Abkürzung für „Bad Boy“
Black-Book | Skizzenbuch des Sprühers
DJ | Discjockey, mit der Funktion, nicht
nur Platten aufzulegen, sondern diese
auch zu mischen und mit Hilfe anderer
Techniken (Scratching) Musik zu erzeugen
DJing | die Technik des DJs (s.O.)
Blockbuster | gerade, der Druckschrift
ähnlich sehende Buchstaben
Fame | Ruhm und Anerkennung innerhalb
der Szene; gute Bilder und riskante Unternehmungen erhöhen den Fame
Bomben | massives Verbreiten des Namens
Fanzine | zusammengesetzt aus Fan und
Magazine; Fachzeitschrift einer Szene
B.P.M. | beats per minute: gezählte BassSchläge eines Musikstückes, ihre Anzahl pro Minute bestimmt die Geschwindigkeit
Hall of Fame | Ausstellungsort. Wand
o.ä., auf der sich die besten Sprayer
verewigen; manche Sprayer haben ihre
eigene Wand
Breakdance | Straßentanz, der in Wettkämpfen zwischen rivalisierenden
Crews getanzt wird
Hit | andere Bezeichnung für Tag
King of the Line | Titel für die besten
und anerkanntesten Sprayer der Szene
Rap | engl. „to rap“ = schwätzen; schneller als 60 b.p.m.
Scratching | besondere Technik beim
Plattenauflegen; mit der Tonabnehmernadel wird rhythmisch über die Plattenscheibe „gekratzt“
Shout outs | Respektbekundung, besonders an Vorbilder gerichtet
Sprayer | der Graffiti-Szene zugehöriger
Aerosolkünstler, der sich auf Hauswänden u.ä. mit Sprühfarbe verewigt
Style | der Stil einzelner Sprayer, an dem
sie für andere erkennbar sind und in
dem sie ihre eigene Person ausdrücken
Tag | engl. Namensschild; in der GraffitiSzene das Hinterlassen des eigenen
Namens (oder dem der Crew) bzw. des
Namenskürzels auf einer freien Fläche
MC | Master of Ceremony; Rapper, der bei
Jams die Veranstaltung zelebriert
Toasting | musikalischer Vorläufer des
Rap; Ansage eines Musikstückes im
Rhythmus des Stückes (Entstehung:
Jamaica)
Caps | Sprühköpfe, die den Sprühdosen
aufgesetzt werden können und die Qualität des Farbstrahls beeinflussen
New School | Nachfolgegeneration der
Old School ab ca. 1990
Throw up | schnell schraffierte großflächige Buchstaben mit Outlines
Old School | erste HipHop-Generation
Characters | Figuren, die das Bild ergänzen
Outlines | Umrandung von Buchstaben
Toy | Anfänger oder auch Bezeichnung
für ein schlechtes Piece
Biten | den Stil eines anderen Sprühers
kopieren
Cans | Bezeichnung für Sprühdosen
Crew | kleinster Zusammenschluss von
Sprayern, zugleich die stärkste Bezugsgruppe
Crossen | Übersprühen eines fremden
Piece
Dissen | einen anderen Sprayer oder
dessen Crew beleidigen
Panelpiece | ein Bild auf einem Zug, das
von der Oberkante des Waggons bis
auf die Unterkante reicht
Piece | ausgefüllte Buchstaben, meist mit
Hintergrund
Posse | größerer Zusammenschluss von
Jugendlichen; Crews sind häufig organisiert in Posses
Whole Car | Bild über die gesamte Länge und Höhe eines Zugwagons
Wild Style | Kultfilm der Graffiti-Szene
Writer | andere Bezeichnung für Sprayer, vorzugsweise von diesen selbst
verwendet
Yard | Abstellanlage für Züge
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20 Jahre HipHop in Deutschland
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20 Jahre HipHop in Deutschland
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Schwerpunkt
Dreißig Jahre nach seiner Entstehung
umspannt HipHop die Welt. Selbst Menschen, die mit der Kultur nicht viel anfangen können, fühlen sich von HipHop angezogen:
In was schlüpft der junge Banker nach
getaner Arbeit? In eine saloppe Trainings-
Literaturempfehlungen:
Bianchi, Paolo (Hg.): Graffiti, Basel – Boston – Stuttgart, 1984
Chalfant Henry, Henry und Prigoff, James: Spraycan Art, London 1987
Cooper, Martha und Chalfant, Henry: Subway Art, London 1984
Castleman, Craig: Getting up, Subway Graffiti in New York,
Cambridge; M.I.T:Press
Michalski, Peter: Graffiti, Überlegungen zum Stilbegriff,
Magisterarbeit, Düsseldorf 2004
Odem, Deppe: On the Run, eine Jugend in der Graffitiszene, Berlin
1997
Peters, G., Zahlmann, H., Reisser, M.: Urban Discipline. GraffitiArt 2000 – 2002
(Ausstellungskataloge)
Robitzky, Niels: Von Swipe zu Storm, Breakdance in Deutschland,
Hamburg 2000
Uduwerella, Barbara: Graffiti-Projekt, Qualifizierter Sachbericht,
Hamburg 1999
jacke der Marke Tommy Hilfiger. Snowboarden ist HipHop auf Schnee, Mc
Donald‘s wirbt mit Werberap, eine Firma
verspricht „voll fette“ Lehrstellen, ein
Autohersteller nennt ein Modell „Graffiti“,
Werbung und Layout bedienen sich der
Stilelemente des Graffiti. HipHop durch-
Weindl, Astrid: Theorie des Style, die Befreiung des Alphabets,
München 1996
Wiese, Markus: Graffiti Dortmund, die Kunst der
Sachbeschädigung, Aragon 1996
Schwarzkopf&Schwarzkopf: Graffiti Art Deutschland, Berlin
1993
Schwarzkopf&Schwarzkopf: Joe the Ripper, Writing in München,
München 1995
Stahl, Johannes: An der Wand, Graffiti zwischen Anarchie und
Galerie, Köln 1989
Magazine:
Backspin PO Box 710 203, 22162 Hamburg
Radio:
AFK 94,5 Fresh Inside Hip Hop Sendung
dringt heute jeden Lebensbereich. HipHop
ist prägend für eine ganze Generation,
vergleichbar mit der Hippie-Bewegung.
Trotz aller Versuche durch den Kommerz,
sich diese Kultur einzuverleiben sind
HipHopper nicht einfach dauerbekifft,
apolitisch und konsumgeil. Im Gegenteil:
Sie sind initiativ, mit der Geschichte ihrer
Jugendkultur vertraut. Sie sprayen, tanzen, rappen Selbstgeschaffenes. HipHop
bietet Jugendlichen in München, Neapel,
Osaka und Dakar die Möglichkeit ihr Lebensgefühl in der eigenen Sprache zu
artikulieren.
Die wortgewaltigste und farbigste Teenkultur der Geschichte führt die Fans, die
zunächst den englischsprachigen Idolen
nacheiferten zur Muttersprache - HipHop
stiftet Kreativität und Identität.
Astrid Weindl
Dipl. Sozialpädagogin FH
DIE FÄRBEREI (KJR)
Bedeutung des HipHop als Jugendkultur und kulturpädagogische Arbeitsmöglichkeiten
Be real! Stay Original!
Was haben Nena (sorry), DJ Tommeck, Fanta 4 (doppelt sorry) und die Sportsfreunde Stiller alle gemeinsam?
Sie kommen aus dem Jugendhaus! Auch wenn man nicht so weit gehen mag wie Baur/Woog (in der Zeitschrift
AGF Baden Württemberg 2/2004), die die steile These wagen, dass die Förderung populärer Musik ihren Ursprung
in der offenen Jugendarbeit hat, so ist das Leben im Jugendhaus ohne Musik - aktiv wie passiv - ebenso
undenkbar wie die Karriere mancher mittlerweile populärer Musikstars ohne Jugendarbeit.
Diese Verbindung ist keineswegs zufällig und hat seit den
sechziger Jahren immer ihre
aktuelle jugendkulturelle Einbettung erfahren. Waren es
zunächst die Rockmusik und
folkige Hippieklänge, denen
später Punkmusik den Garaus machte, ehe er sich in
seine Bandfraktionen wie Garagenrock, Hardcore, NuMetall und Independent teilte,
so tritt mit dem HipHop Anfang
der neunziger Jahre eine völlig neue Jugendkultur auf den
Plan.
■ Der künstlerische
Beitrag des HipHop oder
Jugendkultur der heiligen
Vierfalt
Im Unterschied zu Rockmusik,
die Musik und Attitude darstellte, im Unterschied zu
Punk, der Musik und vitale
Destruktion vorführte, tritt
HipHop als jugendkulturelle
Strömung auf den Plan, die direkt vier künstlerische Elemente vereinnahmt und weiterentwickelt:
■ das Wort über den Rap
■ das Tanzen über das
Breaken
■ das Komponieren über
DJing
■ das Malen über das
Writing
RAP:
Rap ist „message music“, der
Text steht im Mittelpunkt, gleich
ob es um Belanglosigkeit wie
das Aussehen von diesem
oder jenem geht, um Sex oder
Aids, um Knast oder Politik.
RAP-Musik lebt vom Text, vom
M i t t e i l u n g s b e d ü r f n i s Ve r stummter, vom Kommunikationsbedürfnis verschiedener
Szenen, Ethnien oder Schichten. Hier finden sie sich wieder,
in diesen Texten, die vom Alltag handeln, von ihrer Welt.
Hier wird diskutiert, was cool
ist, hier werden die Regeln des
„dissens“ (des Heruntermachens) geklärt, hier geht es um
Haltungen zu Nazis, zu den
Größen des Show-Geschäfts,
zu Drogen und zur Arbeit. Eine
Wertediskussion abseits von
dere (Tänzer, Sprüher, DJ,
Sänger) wird ernst genommen
und zu übertrumpfen versucht.
den gesellschaftlich wahrgenommen Diskursen.
Breakdance
Was als „headspin“ oft als tänzerische Variante des Bodenturnens von Turnvater Jahn
daherkommt, ist nichts weiter
als eine letzte Revolution der
Tanzfiguren. Hat schon Rockmusik mit ihrer Geschwindigkeit und rasanten Figuren die
Vertikale des Tanzens überwunden, so werden jetzt die
Verhältnisse buchstäblich auf
den Kopf gestellt. Überall am
Körper werden neue Achsen
und Zentren vorstellbar und
eröffnen damit Spielräume für
bisher unvorstellbare Tanzfiguren. Schock und Schöpfung
at its best!
DJing
Nichts anders als Komponieren
in moderner Form stellt das
computergestützte Sampeln
und Scratchen dar. Vorgefundene Musik wird in Bruchstücke
zerlegt, einzelne Elemente
werden in neuer Form zusammengestellt. Die klassische
Musik kennt den Begriff des „Umgangs
mit dem musikalischen Erbe“ - hier wird
er radikal mit allen verfügbaren medialen
Mitteln vollzogen. Gerade die Ergänzung
oder der Ersatz traditioneller Musikinstrumente bietet reichlich Platz für kreatives Ausprobieren. Es mag nicht alles
Kunst sein, kulturelle Alltagspraxis von
Jugendlichen ist es allemal - und die Zeit
wird darüber richten, was Bestand hat
oder untergeht.
Writing
Im Writing vereinen sich sowohl eine politische Haltung (sich seinen Platz suchen
in der Illegalität) und ein radikales Kunstverständnis, das nicht auf Erhalt und
Überlieferung setzt, sondern schonungslos auf den Alltagsnutzen und morgen
schon wieder übersprüht sein kann. In
den „tags“ schließlich findet sich eine
Sehnsucht nach Verortung, nach individueller Kennzeichnung, die ihren Ursprung in der Gesichtslosigkeit und
Gleichförmigkeit der Städte hat.
■ Die kulturelle Praxis des HipHop
HipHop ist natürlich mehr als Musik und
Tanz, er ist ein umfassendes Lebensgefühl, das sich schon rein äußerlich an der
Mode festmacht: von den berühmten
„Hose frisst Arsch“-Jeans über die Kapuzenshirts bis zu den eigenen Modelabels. HipHop kennzeichnet nicht den
Veränderungswillen oder die Verweigerungshaltung früherer Jugendkulturen,
sondern passt sich vollkommen den
■ Die Prinzipien des HipHop
HipHop ist eine hybride
Kultur:
Hiphop ist geprägt von einem
Spannungsfeld verschiedener
kultureller Einflüsse: schwarzer Musik und weißer Musik,
deutschem HipHop und türkischem HipHop. In der Auseinandersetzung mit der jeweilig
vorgefundenen Musik entsteht
eine neue Authentizität, deren
Grundprinzipien überall auf der
Welt verstanden werden. Als
hybride Kultur ist sie zwar nicht
frei von Nationalismen, aber
sie verfügt über einen Kanon,
der rund um den Erdball verstanden wird.
Marktmechanismen an. Indem man deren
Formen übernimmt (Labels, Studios,
Agenturen) versucht man der Vereinnahmung des Marktes zu entgehen. Obwohl die Szene leistungsorientiert wie
keine Jugendkultur vor ihr ist, bleibt der
Erfolg in den Charts, auf den Theaterbühnen oder in den Galerien suspekt und
permanentes Streitobjekt.
Nicht nur an der Kleidung sind HipHopper
zu erkennen, auch an typischen Ritualen
- wie der Umarmung, der Art, sich die
Hände zu reichen - oder der Sprache erkennt man den echten HipHopper in all
seinen differenzierten Schattierungen.
Wer diese Sprache nicht hat, hat auch
nicht dieses Lebensgefühl, das bewusst
entspannt („cool“) rüberkommt. Freude
und Gelassenheit konterkarieren den
normalen und unerfreulichen Teil des Alltags. Relaxtheit im Tun und Nichtstun als
zeitgeistige Antwort auf Hektik, auf als
sinnlos empfundene Anforderungen und
auf die Ungewissheiten der Zukunft.
Der übliche Alltag findet sich auf der Ebene der „battles“ wieder, wenn es um Wettkampf gegeneinander geht, oder auf der
Ebene des „dissens“, des Heruntermachen nach gewissen Regeln. Auch hier
gibt es den Verlierer, aber nie bleibt man
ihm das schuldig, was den höchsten Wert
der HipHop-Kultur bedeutet: den
„respect“.
Battles und Jams sind Ersatzwettkämpfe,
ursprünglich auch Ersatzkriege der einzelnen Vorstadtgangs, die eben nach gewissen Regeln ablaufen. Respect bedeutet hier ein dialogisches Prinzip: Der an-
HipHop ist eine globale
Kultur:
Bestimmte künstlerische Formen in den vier Ebenen zirkulieren weltweit, zum Teil vermarktet über den Mainstream
der Popmusik, zum Teil zirkulierend im globalen Underground. In den
lokalen Szenen bilden sich dann die jeweiligen Stile heraus: Graffitis aus dem
Osten sehen anders aus als westdeutsche, brasilianische anderes als französische; die Stuttgarter Reimschule unterscheidet sich fundamental von der Hamburger, Advanced Chemistry sind in ihrer
Aussage näher an Public Enemy als an
ihren örtlichen Nachbarn aus Mannheim.
„HipHop-Kultur ist ein Beleg dafür, dass
kulturelle Globalisierung nicht, wie in der
Globalisierungsdebatte oft angenommen,
automatisch zu kulturellen Vereinheitlichung führt (Gabriele Klein, Is this real,
2003, S. 10)
HipHop ist eine
Kultur der Produzenten:
HipHop-Jams unterscheiden sich fundamental von anderen Musikereignissen:
Hier ist die Trennung zwischen Konsument und Produzent tendenziell aufgehoben. Insbesondere bei Rap-Battles, wo
jeder auf die Bühne darf, oder beim Tanzen, wo die Grenze zwischen Tanzfläche
und Zuschauerraum permanent durchbrochen wird, ist dieses Prinzip deutlich
sichtbar. Ein Grundsatz der HipHop-Kultur lautet, dass nichts unantastbar ist so wird jegliches bisherige künstlerische
Produkt zur Fundgrube eigener Kreativität.
HipHop ist leistungsorientiert:
Der Wettkampf („battle“) als ritualisierte
Form des Leistungsdenkens kommt ohne
eine bestimmte anerkannte Leistung nicht
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20 Jahre HipHop in Deutschland
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ben und sich entwickeln
können. Die Kids ernst nehmen bedeutet weiterhin, ihnen Möglichkeiten zu Battles
und Jams zu verschaffen,
alleine oder im Verbund, damit die Vergleichsmöglichkeit gegeben ist.
aus. Gefiel sich Punk oder Independent
noch in der Rolle des bewussten Dilettanten, so wird hier Leistung an sich zu
einem positiven Ziel - nur eben nicht in
der von Erwachsenen dominierten Welt.
HipHop hat strenge Verhaltensregeln und
widerspricht damit Thesen zur Herausbildung bloß flüchtiger Gemeinschaften
unter Jugendlichen. Vielleicht drücken
sich darin - ähnlich wie in den „tags“ auch nur die Sehnsüchte nach einer
heileren, wärmeren Welt aus, schlechthin
das tragende Motiv jeglicher jugendkultureller Bewegung.
Der Bildungsaspekt
Es ist kein Zufall, dass die Förderung von
HipHop-Projekten durch die Jugendarbeit
einen wesentlichen Einflussfaktor auf die
HipHop-Kultur gewonnen hat, sieht man
doch hier eine optimale Möglichkeit, Ausgegrenzten und Erfolglosen eine Stimme
zu verleihen, Selbstbewusstsein zu stärken und den ritualisiert friedlichen Umgang auf einer gemeinsamen Basis zu
üben. Diese Integrations ist für die Gesellschaft die aktuellste Form der Bildungsleistung.
Gerade durch die Art und Weise des
Umgangs mit dem musikalischen „Erbe“
versetzt HipHop die Jugendlichen in die
Lage, dynamische Entwicklungen produktiv zu verarbeiten. Die Aufhebung von
Konsumenten- und Produzentenrolle führt
zu einer ausgeprägten Form der sozialen Kommunikation, letztlich zu Teamar-
beit und Verantwortungsübernahme. Wegen der Bejahung des Leistungsgedankens und des ständigen miteinander
Vergleichens wird beim aktiven HipHopper
die Fähigkeit zu selbstreflektivem Handeln gefördert.
Der Alltag im Jugendzentrum wird pädagogisch gesehen durch ein Dreieck gebildet: Der erwachsene Pädagoge als
Repräsentant der Mehrheitskultur, das
Jugendzentrum als gestaltete Welt und
der Jugendliche, der mit seiner kulturellen Einbettung oder Lebensweltorientierung diese Welt vorfindet. Die Auseinandersetzung um die Gestaltung dieses
Dreiecks bildet den Rahmen für die Gestaltung des Bildungsprozesses in der
offenen Jugendarbeit.
Bei den Inhalten dieser Bildungsarbeit
geht es sowohl um eine Handlungsdimension als auch um eine ästhetisch-wertorientierte Dimension
Die Handlungsdimension:
Gelegenheiten schaffen bedeutet erst
einmal Räume gestalten zum Üben (zum
DJing und Tanzen), Musik - und zwar laute
- zulassen im offenen Bereich für spontane Reim-Battles, auch zum Diskutieren
darüber, es heißt Gestaltungsräume für
die Sprüher - im Jugendhaus und im
Stadtteil - erschließen. Darüber hinaus
heißt es, „Lehrer“ zu gewinnen, d.h.
schon ältere Jugendliche, die in der Szene legitimiert sind, verpflichten als Workshop-Leiter, damit die Kids Vorbilder ha-
Kleine Literaturauswahl zum Thema HipHop
Blümer, Heike: Street Credibility – HipHop und Rap. In: „Alles
so schön bunt hier“, die Geschichte der Popkultur von den
Fünfzigern bis heute, Hrsg. Von Peter Kemper, Stuttgart 1999
Farin, Klaus: generation kick.de – Jugendsubkulturen heute.
München 2001
Klein, Gabriele und Friedrich, Malte : Is this real? Die Kultur des
HipHop. Frankfurt 2003
Mayer, Ruth und Terkessidis, Mark (HG.): Global kolorit.
Multikulturalismus und Populärkultur. St. André 1998
AG SpoKK (HG.): Kursbuch Jugendkulturen – Stile, Szenen und
Identitäten vor der Jahrtausendwende. Mannheim 1997
Winkler, Thomas, Von der Posse zum Pop – Der Weg des
deutschen HipHop in den Mainstream. In: Journal der
Jugendkulturen, Heft 4/2001
Die ästhetische
Dimension:
Neben dem Vergleich der
künstlerischen Qualität geht
es gerade im HipHop nicht
nur um das Agieren, sondern auch darum, was erlaubt und was verboten ist,
wen man hasst, wer einem
gleichgültig ist, wen man
mag. All dies vollzieht sich
in Formen kultureller Praxis
- wofür früher einmal ein
Stadtteil oder Ort herhalten
musste. Abgrenzung und
Einbezug geschehen nach
ästhetischen Dimensionen, in die oft Werturteile einfließen (man sehe sich unter
diesem Gesichtspunkt Eminems „8 mile“
an, aber in der amerikanischen Originalfassung). Wo anders als in der Jugendarbeit gibt es einen so offenen Diskussions- und Kommunikationszusammenhang, um solche für die Jugendlichen
wichtigen Fragen zu klären.
Ein/e Jugendarbeiter/in, der/die diesen
Auseinandersetzungswillen mit der vorgefundenen Welt zu dechiffrieren weiß,
ist gerade für marginalisierte Jugendliche
der letzte Weg zur Gesellschaft hin. Last
Exit.
Die Arbeit mit Musik und Tanz, mit der
Sprache und mit dem Sprühen ermöglicht
Prozesse ästhetischer Bildung. Sie führen in letzter Konsequenz zu einer
Verheimatung in der Gesellschaft, sofern
sie den Rahmen dafür zur Verfügung stellt.
Der Jugendliche, der sich selbst als
Mensch erlebt, der Neues dazulernt, der
etwas Anerkennenswertes für Andere
schafft, steigert nicht nur sein eigenes
Selbstwertgefühl, sondern fühlt sich in
seinem Handeln eingebettet in die Gesellschaft. Was Schule oder Familie durch
ihren je eigenen Kontext nicht geben können, kann ihnen die Jugendarbeit durch
den Lebensweltbezug und die offenen
Rahmenbedingungen geben: Schock und
Schöpfung¸ Anpassung und Widerstand,
Annahme von Bestehendem und Schaffung von Neuem.
Kulturpädagogisch gesehen steckt in keiner anderen jugendkulturellen Ausdrucksform ein solches Ausmaß an kreativem und künstlerischem Potential, das
zusätzlich durch sein Integrationspotential an aktueller Bedeutung gewonnen hat.
Albert Fußmann
Institut für Jugendarbeit, Gauting
Mädchen und HipHop-Tanz – kulturpädagogisch betrachtet
Girls in Motion
Tanz ist in allen Kulturen ein immanentes Ausdrucksmittel. Tanz basiert auf individuellen
und kollektiven Bewegungsformen, meist verbunden durch einen gemeinsamen Rhythmus
und oft unterstützt durch die Musik. In allen Kulturen haben sich eigene Formen des Tanzes
entwickelt, die trotz aller Schichtspezifik, soziokulturell eine Identität bilden. Für Jugendliche ist Tanz zum einen private Kommunikation (Partys, Discos..) und zum anderen die
Möglichkeit, ihre gruppen- und geschlechtspezifischen Interessen auszudrücken...
(Quelle: Tanzkultur in aller Welt)
Der momentane Trend der Mädchen geht
eindeutig zu HipHop-Tanz - sicherlich
stark durch die Medien - Jugendzeitschriften, Videos - beeinflusst.
HipHop als Oberbegriff einer Bewegung,
die sowohl die Graffitiszene, bestimmte
Klamotten und eine spezielle Musikrichtung beinhaltet als auch verschiedene Ausdrucksformen des Tanzes.
Dazu gehört neben dem Breakdance auch
der HipHop-Tanz, der sich aus dem
Streetdance heraus und von verschiedenen HipHop-Videos beeinflusst bis heute
immer weiterentwickelt hat.
Breakdance wird in den meisten Jugendzentren überwiegend von Jungen getanzt,
nicht zuletzt wegen der Battles, Contests
und der Akrobatik. Obwohl es inzwischen
auch immer mehr B’girls gibt (u.a. beim
Battle of the Year), die sich an Powermoves, Headspins und Styles ausprobieren, ist der Großteil der Mädchen doch
mehr an gemeinsamen Choreographien
innerhalb einer Gruppe interessiert.
So gibt es inzwischen in sehr vielen KJRFreizeitstätten HipHop-Tanz-Mädchengruppen. Beim AnderArt Festival 2002 waren 90 Prozent der teilnehmenden Tanzgruppen Mädchen, und fast alle tanzten
zu HipHop-Musik.
Was fasziniert sie so daran?
Zunächst einmal ist die Musik cool.
HipHop-Musik und Black Music wird im
Radio, bei VIVA und MTV rauf- und
runtergespielt. Sie hat sich
etabliert und ist
nicht mehr nur für eine kleine Szene interessant.
Im HipHop-Tanz wird ein anderes Frauenbild vermittelt. Sie müssen nicht mehr nur
schlank und graziös wie beim Ballett sein
und vorgeschriebene Kostüme tragen. Sie
tragen ihre Lieblingsklamotten, ihre
Sneakers, und auch das Gewicht spielt
keine wesentliche Rolle mehr.
Der Vorteil ist außerdem, dass die Mädchen keine besonderen Grundkenntnisse
mitbringen müssen. Es geht vielmehr um
den Spaß an der Bewegung, an der Musik und am Rhythmus. Es gibt die Motivation, selber kreativ zu werden und sich
eigene Combis auszudenken.
HipHop-Tanz bietet ihnen eine gute Möglichkeit, sich in den Vordergrund zu stellen, lautstark und frech aufzutreten. Sich
neu zu definieren, ihr eigenes „Ding“ zu
machen, sich nicht in Konkurrenz zu den
B´boys zu sehen, sondern gut nebeneinander in der Szene zu existieren - genau
das ist ihre Intention.
Außerdem wollen viele Mädchen vom
Image und von den Klischees aus Werbung und Videos wegkommen: nur auf
Busen, Bauch und Po reduziert zu werden und auch sonst eher die passive
Nebenrolle zu spielen (z.B. Bikinimodel in
Gangsta-Rap-Videos). Missy Elliott,
selbst erfolgreiche Produzentin, Rapperin
und Tänzerin in der HipHop-Szene, zeigt
uns in ihren Videos und dem Kultfilm
„Honey“ dass es auch anders geht.
Die Mädchen entdecken beim Tanzen die
Fähigkeiten des eigenen Körpers und
dessen Ausdrucksfähigkeit. Sie erlernen
in relativ kurzer Zeit Schrittkombinationen,
die ihnen ein Erfolgserlebnis verschaffen
und sie in ihrem Selbstbewusstsein stärken.
Sie bekommen und nehmen sich den
Raum und die Öffentlichkeit, in denen sie
sich frei ausprobieren und ihre eigene
Identität mit ihren Vorstellungen und Wünschen entwickeln können.
Kerstin Hof
Soundcafé (KJR)
Kulturpädagogin mit Schwerpunkt
Tanz, gibt seit über sieben Jahren
Workshops im Bereich HipHop-Tanz
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Schwerpunkt
20 Jahre HipHop in Deutschland
Interview
„Each One Teach One“
20 Jahre HipHop in Deutschland - Wie hat sich die Musik-Szene in dieser Zeit entwickelt und
verändert? Olly Künzner hat in der „Färberei“ mit Leuten aus München gesprochen, die seit
langem erfolgreich in der deutschen HipHop-Szene mitmischen: MC Heinemann von „Blumentopf“, Produzent Glammerlicious und Rapper David Pe von „Main Concept“ sowie Michi Kuchar,
Moderator der Radio-Show „Fresh Inside“ auf M94,5.
Rap ist kein Spaß, wenn da einfach einer
auf Deutsch ankommt...!“. Mit geschriebenen deutschen Texten ging´s so ab
1991 los, 1992 haben wir ein Demo gemacht, da war dann schon „Münchenz
Diktatur“ drauf. Und das Freestylen wurde immer lustiger, weil einfach viel mehr
ging, du hattest nicht so einen begrenzten Wortschatz wie im Englischen.
Wie ging das denn eigentlich so los
mit HipHop in Deutschland?
Glammerlicious: Also 1984 ist diese erste große Breakdance- und Graffiti-Welle
aus New York nach Europa rübergeschwappt. Das war ja so ein richtiger
Boom hier in Deutschland. Da gab es Filme wie „Wildstyle“ oder Videos von der
„Rocksteady Crew“. Und dann haben hier
auch die ersten Leute angefangen Breakdance zu tanzen. Im Fernsehen lief da ja
sogar dieser Breakdance-Kurs mit Eisi
Gulp. Die Musik war damals auch noch
anders, da gab´s zum Beispiel Afrika
Bambaataa mit seinem Elektro-Funk.
Insgesamt klang das alles irgendwie noch
viel elektronischer.
Michi Kuchar: In dieser ersten großen
Welle 1984 steckte eine wahnsinnige Power drin. Das gibt´s heute ja gar nicht
mehr, dass etwas Neues auftaucht und
sich da eine ganze Generation draufstürzt: Fans, die dann wirklich alle selber
aktiv auch was machen. Das waren ja
Massen, du hast sogar in der Fußgängerzone Leute gehabt, die gebreakt haben. Alles was es da so gab, Breaken,
Sprühen oder einfach nur cool rumlaufen,
gab den Leuten, wenn auch unbewusst,
eine Möglichkeit sich aufzulehnen. Das
war eine Revoluzzer-Geschichte. Damals
bist du noch richtig aufgefallen, heute interessiert das doch keinen mehr, ob du
‘ne weite Hose trägst oder nicht.
Zunächst gab es HipHop ja nur auf
Englisch. Wie sind „Blumentopf“ und
„Main Concept“ zum Rappen auf
Deutsch gekommen?
Heinemann: Im Jugendzentrum in Unterschleißheim gab´s so ‘ne HipHop-Jam und
da haben wir eigentlich zum ersten Mal
Freestyle gesehen. Auch der David stand
da auf der Bühne. Wir haben das überhaupt nicht fassen können, einfach so auf
die Bühne gehen, improvisieren, in Taktform Reime setzen und da auch noch Sinn
reinbringen. Und dann haben wir uns so
aus dem Ehrgeiz raus: „Das wollen wir
jetzt auch mal probieren, das muss doch
irgendwie gehen...“ für 20 Mark ein Mikrofon gekauft, ins Mischpult eingesteckt
und einfach so „Yoyoyo, jetzt geht’s mal
los, aber ich bin nicht groß...“ angefangen. Und diese Faszination am FreestyleRappen hat uns dann auch dazu gebracht,
ohne dass wir es eigentlich bemerkt hätten, selber aktiv Musik zu machen.
David Pe: Wir sind 1990 in die HipHopSzene reingerutscht, die damals auch
krasse Regeln hatte: Das Ganze war sehr
gangstermäßig und alle haben so pseudoenglisch rumgeredet, sich wichtig gemacht. Das war ein einziges Gepose! Ich
kannte da noch keinen deutschen Rap,
hab‘ aber schon auch so zum Spaß auf
Deutsch gefreestylt, weil das halt so einfach ging. War schon lustig, aber nichts
was man ernst genommen hat: „Weißt du,
„Blumentopf“ und „Main Concept“
kennen sich seit 1994, ein Jahr später
erschien auf der EP „Münchmob“ ihre
erste Zusammenarbeit.
Wie hat sich die deutsche Rap-Szene
seit ihrer Entstehung Anfang der Neunziger Jahre entwickelt?
David Pe: „Blumentopf“ waren damals eine
der ersten Gruppen, die den Humorfaktor
im HipHop betont haben, witzige Reime,
coole Geschichten und so. Vorher war alles eher ernst, gegen Nazis, gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen den Staat, gegen das Geld, gegen den Ausverkauf,
immer gegen irgendwas.
Heinemann: Wir haben natürlich auch mitbekommen, dass es in der HipHop-Kultur
strikte Regeln gibt, so von wegen: „Du
musst halt Underground sein und scheiß
aufs Geld, dann bist du cool“. Wir haben
dann auch mal so einen Text geschrieben,
unser eigenes „Untergrund-Lied“ halt, und
als das dann komplett fertig war, saßen
wir so da und haben uns gedacht: „Das ist
doch eigentlich der totale Scheiß!“ Und
dann haben wir im nächsten Atemzug das
Thema wieder aufgegriffen, aber von der
komplett anderen Seite und das Lied genau
dagegen geschrieben. Und damit haben wir
dann gesagt: „Also eigentlich ist das unser Denken, so stehen wir dazu: Schimpft
doch nicht immer auf die Leute, die damit
Geld verdienen, wenn ihr das Geld bekommen würdet, würdet ihr es doch genauso
nehmen und wir auch“.
HipHop ist im Lauf der Zeit zu einer
Mainstream-Jugendkultur in Deutschland geworden. Welche Veränderungen
und Unterschiede in der Musik-Szene
gibt es heute im Vergleich zu früher?
David Pe: Es ist nicht mehr so naiv und
so unbefangen wie früher. Da hat einfach
jeder drauf los gemacht und es war cool.
Heutzutage gehen die Leute mit einem
Anspruch ran, es muss so und so klingen, es muss gewisse Standards und
Normen erfüllen.
Momentan gibt es einen großen Hype
um deutschen „Gangster“-Rap vom
Platten-Label „Aggro-Berlin“. Ist das
die Weiterentwicklung des deutschen
HipHop oder was bringt die Zukunft?
David Pe: Das ist für mich keine Weiterentwicklung, das ist auch nicht Neues,
vielleicht hier in Deutschland. In Amerika
gibt´s diesen „Gangster-Scheiß“ schon
seit zehn, fünfzehn Jahren, bloß wir haben das hier immer bewusst gemieden.
Und jetzt kommen halt irgendwelche Typen an, die sagen: „Wir machen das einfach auf Deutsch!“ Der Witz an deutschem
HipHop ist sowieso, dass das komplett
an Amerika gekoppelt ist. Das was da
passiert, passiert auch hier, eins zu eins,
nur transformiert auf unsere Kultur und
13
Sprache. Im Endeffekt ist das ja auch o.k.
Ein paar erfinden es, alle kopieren es,
und dann lutscht es sich aus, wie das
heute halt so ist mit der „Subkultur“. Mann
muss auch sehen, so eine Welle wie dieses „Aggro-Ding“ löst immer auch eine
Gegenbewegung innerhalb vom HipHop
aus. Wenn zu viel „gepimpt“, „gebitcht“
und „gehustlet“ wird, dann kommen bald
die ganzen „conscious“-Typen an, so von
wegen: „Hey, das könnt ihr doch nicht
machen: each one - teach one!“
20 Jahre HipHop in Deutschland
Glammerlicious: Es gibt heute auf jeden
Fall mehr MCs als früher. Du siehst zum
Teil Leute auf der Straße, die bilden ‘nen
Kreis, der eine rappt, der andere macht
Beatbox und der dritte vielleicht noch ein
Instrument dazu. Ich sehe das voll oft und
finde das auch sehr erfrischend.
Heinemann: Ich glaube, dass es dahin
führt, dass HipHop sich immer mehr aus
anderen Sparten bedient. Bei uns zum
Beispiel ist das auch so: Vor zwei Jahren
hätte noch keiner gedacht, dass einer von
uns mal ein Instrument in die Hand nimmt
und jetzt sitzen wir auch da und haben
Spaß dran. Vom Sound her glaube ich,
dass die Äste aus diesem „HipHop-Baum“,
um mal bildlich zu sprechen, immer weiter rauswachsen.
Schwerpunkt
links:
www.blumentopf.com
www.58beats.com
www.m945.afk.de
www.diefaerberei.de
Graffiti - ein uraltes Phänomen
Kunst oder Sachbeschädigung?
Die Frage stellt sich so eigentlich nicht, weil das eine das andere nicht ausschließt. Ob legal
oder illegal hängt nicht vom ästhetischen Empfinden oder künstlerischen Anspruch ab, sondern
allein davon, ob das Eigentumsrecht eines anderen verletzt wird. Dazu gehört, dass jeder das
Recht hat, seine Wand so zu gestalten, wie er möchte.
Entdeckt ein Hausbesitzer eines Morgens
unerwartet ein Graffiti an seiner Hauswand, schießen ihm vielleicht unwillkürlich Gedanken wie „Ach diese Jugend!“
oder „Früher hätte es das nicht gegeben“
durch den Kopf.
Der Drang des Menschen, die Wände in
seiner Umgebung zu gestalten, geht jedoch bis in die Steinzeit zurück. Die ältesten Wandgemälde befinden sich in
Südfrankreich und werden auf ein Alter
von 21.000 Jahren geschätzt. Solche
Wandmalereien waren in vielen frühen
Gesellschaften üblich. Leider setzt die
Forschung andere Schwerpunkte, so
dass wir wohl nie erfahren werden, ob
diese Malereien allen Höhlenmenschen
gefallen haben oder ob schon damals die
Meinungen über den künstlerischen Anspruch von Wandgemälden auseinander
gingen. Anzunehmen ist aber, dass auch
damals die ungefragte Gestaltung fremder Wände auf das Missfallen der Bewohner der entsprechenden Höhle gestoßen
sein dürfte.
21.000 Jahre später hat sich viel verändert: Die meisten Menschen wohnen in
Häusern, einfache Kohle und Kreide wurden durch hartnäckige Sprühlacke ersetzt - und doch erfreut sich die Gestaltung von Wänden nach wie vor großer
Beliebtheit. Ganz offensichtlich blieb der
Drang seine Umwelt zu gestalten und ihr
einen individuellen „Anstrich“ zu verleihen auch dem neuzeitlichen Menschen
erhalten. Selbstverständlich hat sich der
Stil weiterentwickelt. Heute werden statt
Büffelherden Schriftzüge („tags“) oder
größere Bilder („pieces“) gemalt, und die
möglichst realitätsnahe Darstellung
weicht mehr und mehr den Abstraktionen.
Und doch ist die Gestaltung des eigenen
Lebensraums nach wie vor ein grundlegendes Motiv. Allerdings findet der berechtigte Drang, in der eigenen Umgebung Spuren zu hinterlassen dort seine
Grenzen, wo ungefragt das Eigentum
anderer beschädigt wird.
„Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.“
heißt es in § 303 Strafgesetzbuch. Hier
wird das öffentliche Interesse verteidigt,
dass jeder das Eigentum des anderen
achten soll.
„Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder sonstiges Recht eines an-
14
Schwerpunkt
20 Jahre HipHop in Deutschland
deren wiederrechtlich verletzt, ist dem
anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“, steht in §
823 BGB. Unabhängig vom Strafrecht, ist
jeder verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, den er anderen verursacht hat. Graffiti sind dann ein Schaden, wenn der Eigentümer Aufwendungen hat, um sie
wieder zu entfernen.
„Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene Handlung einen
Schaden verursacht, so ist jeder für den
Schaden verantwortlich. Das gleiche gilt,
wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von
mehreren Beteiligten den Schaden durch
seine Handlung verursacht hat.
Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern
gleich“, steht in §830 BGB. Mitgefangen
– mitgehangen, der Geschädigte muss
nicht das Maß der Tatbeteiligung herausfinden, wer dabei war, haftet auch für den
Schaden.
Vielen Graffitiwritern ist es unbegreiflich,
wieso sich die Geschädigten nicht über
das Kunstwerk auf ihrer Wand freuen,
schließlich haben sie viel Mühe in die
Gestaltung investiert. Gerade bei anonymen Flächen wie Autobahnbrücken oder
Bahnsteigen, die scheinbar niemandem
gehören, ist das Unrechtsbewusstsein
gering. Erst wenn sie sehen, dass das
Entfernen ein Vielfaches an Zeit und Mühe
in Anspruch nimmt, wird ihnen das Ausmaß der Schädigung bewusst.
Andererseits haben viele Geschädigte ein
falsches Bild von den Sprayern. Sie sehen die Jugendlichen als Randalierer, die
mutwillig Schäden verursachen. Häufig
fällt es ihnen schwer, sich vorzustellen,
dass es den Sprayern nicht bewusst war,
welchen Schaden sie anrichten.
Geschädigten und den Sprayern persönlichen Kontakt herzustellen. So ist es
leichter, über eine Wiedergutmachung zu
verhandeln, die den Schaden beseitigt und
für die Jugendlichen leistbar ist. Meist
besteht die Wiedergutmachung in der
naheliegendsten Form: Reinigen und
Überstreichen der bemalten Fläche.
Dadurch erfährt der Jugendliche am eigenen Leib wie viel Arbeit die Beseitigung
von Graffitis erfordert.
Robert Lehmann
Wolfgang Goß
ProGraM „Projekt Graffiti München“
der BRÜCKE MÜNCHEN
Daher ist es das Ziel von ProGraM - „Projekt Graffiti München“ - zwischen den
Interview
Massenmedium Spraydose
Neben Rap und Breaken ist Graffiti ein wichtiger Bestandteil der HipHop-Kultur.
Gecko Wagner sprach mit dem Graffiti-Profi Loomit (36) und den Nachwuchssprühern Janis (17) und Markus 1 (16) darüber, was Sprayen für sie bedeutet.
Wie nennt ihr eigentlich das, was ihr
tut? Sprayen?
Loomit: Am ehesten Graffiti. Es gibt verschiedene Unterarten, zum Beispiel
StreetArt, die sich dadurch unterscheidet, dass eher grafisch gearbeitet wird,
mit Drucken, Aufklebern und Plakaten.
Graffiti ist eher die gemalte Geschichte.
Markus: Ich nenne es malen.
Janis: Zeichnen ist das Wichtigste daran.
Anfangs ist’s auch nicht so wichtig, ob es
jemand besonders gut macht, er sollte
Spaß daran haben. Und wissen, wieso er
es macht.
Und wieso macht ihr es?
Janis: Zeichnen war schon immer mein
Hobby, ich finde, dass ich Talent dazu
habe. Und ich mache es natürlich, weil’s
mir gefällt. So wie HipHop überhaupt. Ich
mache auch Freestyle, Breakdance - mir
gefällt alles an HipHop.
Markus: Ich hab’ nicht so viel Zeit, daher
ist es nicht mein Lebensinhalt. Aber
phasenweise könnte ich pausenlos malen.
Seit wann sprayt ihr?
Markus: Ich hatte zum ersten Mal vor zwei
Jahren eine Dose in der Hand.
Janis: Ich zeichne, seit ich klein bin - früher waren das ganz normale Dinge, zum
Beispiel Stilleben und so. Vor drei Jahren
hab ich in Polen zum ersten Mal Graffiti
entdeckt und die Inspiration dazu gefunden. Das hat mir gefallen und ich hab’s
selber versucht und seitdem immer öfter.
Seitdem eigentlich jeden Tag was.
Wie seid ihr dazu gekommen?
Markus: Anfangs war’s der Freundeskreis, der mich dazu gebracht hat.
Loomit: Genau wie die beiden Jungs hab’
ich als Kind schon sehr viel gezeichnet,
inzwischen sprühe ich seit 21 Jahren, bei
mir ist ein Beruf daraus geworden. Mit 15
habe ich zum ersten Mal mitbekommen,
dass die Jungs aus New York da ihre UBahn anmalen. Das hab ich dann hier kräftig ausprobiert. Faszinierend ist für mich,
dass man ein Massenmedium hat, weil
man im öffentlichen Raum arbeitet und
damit nicht nur die sechs Buchstaben
seines Namens transportieren kann, sondern auch Nachrichten; dass man Jugendliche auf gewisse Sachverhalte hinweisen kann in einer Sprache, die sie gut
verstehen, die sie interessiert und mit der
sie sich auch beschäftigen.
Du willst eine Message loswerden?
Loomit: Ja sicher. Aber nicht DIE Message wie „esst keine Fliegenpilze“, sondern jedes Bild hat seine Inspiration in
gewissen Themen und daher hat jedes
Bild seine Message. Ich selbst habe keine grundsätzliche Botschaft, die ich vermitteln will, außer: So lange malen wie’s
geht.
Seht ihr das genauso?
Markus: Schon, aber ich glaube das ist
bei uns, die wir noch ganz am Anfang stehen, noch nicht so ausgeprägt. Anfangs
ist erst mal Fame 2 wichtig, daraus entwickelt sich’s dann. Und es stimmt schon,
jedes Bild hat seine Message. Die Frage
ist, wie tiefgründig die ist.
An welche Botschaft denkst du bei
dem Bild, das da gerade entsteht?
Markus: Die amerikanischen Wölfe heiß
übergießen. Aber das kam spontan. Ich
hatte nicht zuerst die Idee, etwas gegen
die amerikanische Außenpolitik zu malen,
sondern hab einfach nach einem coolen
Motiv gesucht. Daraus hat sich das entwickelt.
Loomit: Aber du hast dir ja einiges dabei
gedacht, allein bei der Motivwahl. Die
amerikanischen Wölfe übergießen, das ist
ein Propaganda-Plakat der Chinesen aus
den fünfziger Jahren, in dem es um die
Erhöhung der Stahlproduktion und den
amerikanischen Imperialismus geht. Das
ist ein wahnsinnig komplexes Thema, und
dass du dich da durcharbeitest gefällt mir
sehr gut. Aber auch, weil das Plakat sehr
schön, sehr ästhetisch ist. Das hätte mich
auch angesprochen. Da sehe ich, dass
du sehr wohl die Nachricht dieses Plakats für dein Motiv nutzt.
Wo hast du das Motiv gefunden?
Markus: In meinem Geschichtsbuch.
Kostet Sprayen nicht ein Schweinegeld?
Janis: Nein, das Zeichnen kostet ja nichts.
?
?
Fotos: Gecko Wagner
Ich denke, du sprayst jeden Tag?
Janis: Ich zeichne jeden Tag, das heißt
nicht, dass ich ständig mit der Dose
unterwegs bin. Das hab‘ ich noch eher
selten gemacht. Aber Zeichnen muss ich
ständig, auch im Unterricht. Wenn ich einen Stift in der Hand habe und ein Blatt
Papier vor mir liegt, dann kann ich gar
nicht anders. Oder statt in der U-Bahn
rumzusitzen, hole ich mein Heft raus und
zeichne.
Trotzdem, was kostet es?
Loomit: Bei mir kann ich es genau sagen,
der Quadratmeter kostet meine Auftraggeber etwa 130 Euro, also mit Material,
Ausführung und allem anderen.
Ist es ein teures Hobby?
Loomit: Auf jeden Fall, obwohl es sehr viel
besser geworden ist. Die heutige Generation hat ein ganz anderes Verhältnis
dazu. Als ich angefangen habe, gab es
keinen einzigen HipHop-Shop...
... aber Spraydosen gab’s ja wohl
schon ...
Loomit: ... klar gab’s die, aber auch eine
andere Art, da ran zu kommen. Da musste man schon sehen, dass man die in
B a u m ä r k t e n u n d Fa r b e n g e s c h ä f t e n
irgendwie „organisiert“ bekommen hat,
Ladendiebstahl eingeschlossen. Das hat
sich jetzt gründlich geändert, es gibt jetzt
einen Markt dafür und daher HipHop-Läden, die das viel günstiger und bei weitem besser anbieten als jeder Baumarkt.
Markus: Es ist ganz klar ein teures Hobby, weil ich aber nicht so oft an eine Wand
gehe, hält sich’s in Grenzen.
Ist Graffiti für euch Kunst?
Markus: Schon
Janis: Auf jeden Fall, das kann auch nicht
jeder. Jeder hat einen anderen Style.
Loomit ist von seinen Bildern her für mich
ein großer Künstler.
Markus: Ich würde auf jeden Fall sagen,
dass Graffiti Kunst ist und eine Ausdrucksform.
Janis: Und dann gibt’s noch die Leute, die
gar keine Ahnung haben.
Loomit: Eigentlich ist Graffiti erst mal nur
eine Ausdrucksform, ein Medium, wie ein
Bleistift. Du kannst damit eine Telefonnummer aufschreiben, das ist keine Kunst. Du
kannst damit aber auch eine wunderschöne Zeichnung machen. Oder ihn jemandem ins Auge stoßen. Genauso kannst
du Graffiti verwenden: Wunderschöne
Zeichnungen anfertigen, deinen Namen
irgendwo hinschreiben oder Züge zerstören. Jeder Writer hat seine eigene Art,
dieses Medium zu benutzen. Es ist wie
Fernsehen: da gibt’s sowohl RTL 2 als
auch Arte, beides ist Fernsehen und doch
ist’s nicht das gleiche.
15
20 Jahre HipHop in Deutschland
Schwerpunkt
denen wir arbeiten, wird nirgends unterrichtet. In keiner Kunstakademie wird man
lernen, wie man in einen Yard3 reinkommt.
Das lernen jetzt die Jungs von dir?
Loomit: So was bringe ich ihnen natürlich
nicht bei. Aber Zeichentechnik.
Würdest du nicht von dir behaupten,
du bist Künstler?
Loomit: Das sagen eher andere von mir.
Wie lernt man es dann?
Janis: Das kommt mit der Zeit. Anfangs
konnte ich’s auch noch nicht so gut. Man
lernt es durch Freunde, durchs Fernsehen und Zeitungen, indem man andere
Styles sieht und sich davon inspirieren
lässt.
Loomit: Ich gebe Graffiti-Workshops an
Schulen, als Ergänzung zum Kunstunterricht. Lehrer haben gemerkt, dass
Jugendliche viel aufmerksamer sind,
wenn sie lernen sollen, eine Hand mit der
Dose zu zeichnen als wenn sie das gleiche mit Wasserfarben malen sollen. Das
ist eine ganz andere Motivation, ein viel
größerer Reiz. Aber die Inhalte sind die
gleichen: Dinge zeichnerisch darstellen
können. Für die allermeisten gilt jedoch:
Augen auf und learning by doing.
Markus: Ich würde sagen, man lernt’s
durch äußere Einflüsse, Erfahrung und
Entwicklung.
Was bist du dann?
Loomit: Ich bin Graffiti-Handwerker. Ich
tue das, was ich seit 21 Jahren tue: mit
Dosen große Wände bemalen. Und dazu
gehört sehr viel handwerkliches Können,
das ich mir im Laufe der Zeit angeeignet
habe, weil man viele Dinge in keiner Schule lernen kann. Arbeiten im öffentlichen
Raum, besonders in diesen Räumen, in
Könnt ihr euch vorstellen, ganz klassische Maler zu werden, also Öl auf
Leinwand?
Markus: Klar, warum nicht? Ich probiere
gerne anderes aus, Radierungen interessieren mich auch. Aber ich kann mir
nicht vorstellen, nur noch Pastell zu malen.
Janis: Schon, ich will sowieso später im
Schwerpunkt
?
20 Jahre HipHop in Deutschland
16
Beruf etwas mit Kunst und Musik zu tun
haben.
Wisst ihr noch, was euer allererstes
Stück war?
Janis: Das war illegal, der Schriftzug
„MUS“, das ist eine Abkürzung für Munich
Underground Sprayer.
Markus: Ich glaube, bei mir war’s auch
eine Buchstabenkombination, ich weiß
nicht mehr genau, was. Auf jeden Fall auch
illegal.
Loomit: Buchloer Wasserturm, 1983. Natürlich illegal.
Warum eigentlich? Gibt’s keine andere Möglichkeit oder reizt das Verbotene?
Janis: Beides. Als Anfänger hat man kaum
Möglichkeiten, legal zu sprühen, außer
auf Leinwände. Aber ich hab einfach nur
das Illegale gekannt. Als Anfänger hätte
ich auch nie auf einer legalen Wand andere Stücke gecrosst 4 , die viel besser
aussehen als meines.
Ist illegal Sprayen eine Mutprobe?
Markus: Es ist keine Mutprobe, aber natürlich reizt es, dass es verboten ist, ganz
klar. Und es geht auch einfach ums Ausprobieren. Beides war für mich gleich wichtig.
Wo kann man in München legal sprayen?
Loomit: Tumblinger Straße, nahe dem
KVR. Und in Kirchseeon gibt’s ein altes
Fabrikgelände, das zwar nicht wirklich
freigegeben ist, wo aber auch kein Hahn
danach kräht.
Ist eine freig eg ebene Wand nicht
ratzfatz voll?
Loomit: In der Großstadt bestimmt. Aber
wenn man sich Plätze ein bisschen versteckter, für sich behält, dann geht’s.
Aber man will doch gesehen werden?
Loomit: Ja klar, aber es gibt ja legal und
legal. Neben den für alle freigegebenen
Wänden gibt es ja auch den Writer, der
zu Hausbesitzern hingeht und sie so lange weichkocht, bis er die Fläche legal
bemalen darf. Das ist dann nur seine Fläche.
Kommt das in München vor, dass
Hausbesitzer ihre Wände freigeben?
Loomit: Es kommt so oft vor, wie Leute
fragen. Und das ist nicht oft. Ich hab’ das
schon öfters gemacht, aber scheinbar bin
ich in München der einzige. Da muss man
schon mit Leuten reden, sich auch mal
für Lokalpolitik interessieren. Aber die
meisten Sprayer bekommen den Arsch
nicht hoch. Ich kenne Beispiele von Kollegen in Paris, Sevilla, Barcelona, die diese Ochsentour machen und jetzt riesengroße Bilderparks haben mitten in der
Stadt.
Ihr beklagt euch also nicht darüber,
dass man nirgends sprayen dürfte?
Loomit: Immer alles auf andere schieben,
die das für einen regeln sollen - das ist
nur Faulheit, das habe ich noch nie akzeptiert. Natürlich ist es für Writer cooler,
nachts irgendwo zu malen. Für 14- bis
20-Jährige ist das natürlich auch Abenteuer.
Wie stehen eure Eltern dazu? Oder
wissen sie’s gar nicht?
Markus: Doch doch, aber ich male ja nicht
so viel, deshalb hat meine Mutter nichts
dagegen, wenn ich ab und zu legal malen
gehe. Aber sie sieht’s nicht so gerne.
Janis: Meine Mutter ist eigentlich schon
damit einverstanden, aber wir hatten
schon oft Auseinandersetzungen deswegen. Aber es ist mein Leben, das muss
ich entscheiden. Und inzwischen akzeptiert sie das.
Gab’s schon mal Probleme mit der Polizei?
Janis: Ich wurde mal erwischt, da gab’s
natürlich Stress. Ich hatte im Keller und
draußen rumgesprüht und ein Mädchen
hat mich verpfiffen. Da sind die halt mor-
gens mal bei mir eingelaufen. Das war vor
eineinhalb Jahren.
Markus: Ich bin auch indirekt erwischt
worden, genauer: Ein Freund von mir
wurde erwischt und hat in der Hoffnung
auf mildernde Umstände die Namen anderer Sprayer genannt. Eben meinen.
Wo ist das Problem: Dass ihr etwas getan habt, was nicht erlaubt ist oder
dass nicht erlaubt ist, was ihr getan
habt?
Markus: Dass es nicht erlaubt war, das
ist uns klar. Es ist Sachbeschädigung,
keine Frage. Ich fände es nicht ok, wenn
man ein Privatauto anmalt. Bei einem Zug
stört’s mich nicht.
Loomit: Natürlich gehört der Reiz des Illegalen dazu. Aber in Ländern wie Ungarn
oder Polen, in denen Zugmalen nicht sonderlich hart verfolgt wird, stirbt es trotzdem nicht aus, im Gegenteil.
Für klassische Kunst werden teure
Museen gebaut, Sprayer werden aber
verfolgt. Fordert ihr nicht freie Wände
für alle?
Loomit: Wir haben die Museen doch schon
viel länger! Andere müssen ein Leben lang
arbeiten, bis sie mal an einen Ort kommen an den die Leute hingehen und sich
denken: „Aha, das ist Kunst“. Wir dagegen arbeiten direkt in der Umwelt der
Menschen, wenn wir einen Strich malen,
ist er sofort veröffentlicht. Das ist ein riesengroßer Vorteil gegenüber der Museumsmalerei. Er kann von jedem gesehen,
aber auch von jedem überarbeitet werden. Man lernt, mit der Vergänglichkeit
seiner Werke zu leben. Aber auch das,
was jetzt im Haus der Kunst hängt, gibt’s
in 10.000 Jahren nicht mehr. Bei Graffiti
kann es sein, dass dein Bild nur zwei
Wochen an der Wand ist, aber dann sind
20.000 Leute daran vorbeigekommen.
Das schafft im Museum manches Bild in
zehn Jahren nicht.
Was wollt ihr in fünf Jahren machen?
Markus: Ich will studieren, weiß aber noch
nicht was. Für mich kommt Graffiti als
Beruf nicht in Frage, es ist Hobby, Spaß.
Janis: Wahrscheinlich werde ich Architektur studieren, aber noch lieber würde
ich Musik machen, rappen.
Loomit: Ich hab mir noch nie Jahrespläne
gemacht und meine Träume lebe ich jetzt.
Der einzige Wunsch wäre mal in Ulaanbaatar zu malen, der Hauptstadt der
Mongolei, wo sie mit Graffiti wahrscheinlich gar nichts anfangen können.
1
2
3
4
Da gegen beide Jugendlichen derzeit ein
Strafverfahren in Sachen Graffiti anhängig
ist wurde ihr Name von der Redaktion geändert
Bekanntheit, Anerkennung in der Graffiti-Szene
U-Bahn-Depot
übermalen