K3 7/2004 Schwerpunkt - Kreisjugendring München
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K3 7/2004 Schwerpunkt - Kreisjugendring München
Schwerpunkt 20 Jahre HipHop in Deutschland 6 Die Geschichte der HipHop-Bewegung History Anfang der siebziger Jahre ahnte noch keiner, dass HipHop etwa 30 Jahre später eine weltumspannende Kultur sein würde. Politik oder Pimmelschau, Party oder Protest, Kunst, Kommerz oder Vandalismus: HIP HOP - eine Geschichte voller Widersprüche und Missverständnisse. Ein gängiges Vorurteil ist, dass Rapper Konsum, Gewalt und die Unterdrückung der Frau verherrlichen, dass sie sich Niggas und Gangstas nennen, mit Schusswaffen und Schmuck prahlen, schwanzgesteuert, faul und gewalttätig sind - hier spiegeln sie die Meinung des weißen Amerika. „Schon vor hundert Jahren mussten Schwarze, um akzeptiert zu werden, dem Zerrbild entsprechen, das weiße Entertainer von ihnen geschaffen hatten: dem grinsenden Nigger mit aufger i s s e n e n Au g e n “ ( A h m i r T h o m s o n , Sprachrohr der HipHop-Band The Roots). Niemals käme man darauf, darin Gesellschaftskritik zu vermuten. Graffiti-Writing ist mittlerweile eine fast über den gesamten Erdball ausgedehnte, den öffentlichen Raum verändernde, neu gestaltende Form der modernen Malerei, die für die Jugendszene unterschiedliche Erfahrungsmöglichkeiten, Chancen, aber auch Gefährdungspotenziale bietet. Die Anforderung nach eigenem Style unterstützt die Jugendlichen bei ihrem Streben nach Unverwechselbarkeit. Anfangs wollte HipHop den friedfertigen Tanz-, Spray- und Reimwettbewerb statt Bandenkrieg. Eine Jugendbewegung entwickelte sich Anfang der 70er Jahre in New York entlang einer Bürgerbewegung, die ein ausgedehntes städtisches Sanierungsvorhaben in der South-Bronx auslöste. Die Abwanderung der wohlhabenderen weißen Bevölkerung führte zu einem fortschreitenden Verfall des Stadtteils. Bewohner afrikanischer und puertoricanischer Abstammung fühlten sich diskriminiert. In diesem sozial verwüsteten Umfeld entstand HipHop als eine jugendkulturelle Gegenbewegung mit eigenen Ausdrucksformen, die der Aufwertung der eigenen Identität dienten. Aus dieser Selbstorganisation sind stabile soziale Unterstützungssysteme hervorgegangen, die gesellschaftliche Akzeptanz fordern, öffentliche Präsenz zeigen und ihre Kraft aus der eigenen Kultur schöpfen. Es bildeten sich Gemeinschaften: „Posses“ und „Crews“, eigene Seilschaften und Straßengangs, die neue Organisations- formen mit zunehmend sozialeren Funktionen entstehen ließen. Solidarische Cliquen zur Durchsetzung von Interessen, Schutz und Hilfe bietend, die auch familien- oder stammesähnliche Strukturen annahmen. Die Hauptleitfigur dieser Entwicklung ist der schwarze Künstler Afrika Bambaataa, der aus der „Black Panther“-Bewegung, die sich gegen die Rassenunterdrückung einsetzte, ausgetreten war und 1973 per Proklamation die Bewegung The Universal Zulu Nation gründete, deren oberstes Prinzip die Gewaltfreiheit ist. Sein Leitmotiv: die negative Energie der Kämpfe in die positive, konstruktive einer neuen Straßenkultur umzuwandeln - den HipHop. Neue Regeln für rivalisierende Auseinandersetzungen auf der Straße wurden eingeführt, es entstanden symbolische Machtkämpfe - „battles“ - die mit den künstlerischen Mitteln des DJing, Rap, Breakdance und Graffiti ausgetragen wurden. „Respect“ und „Fame“ - Achtung und Anerkennung - wurden Leitziele der HipHop-Kultur. Die Straßen wurden zu öffentlichen Arenen, Jugendzentren oder zu Straßenfesten (Jams) deklariert. DJs (Discjockeys), Graffiti-, Rap- und BreakdanceKünstler arbeiteten von Anfang an auf diesen Straßenfesten zusammen und entwickelten ihren Stil gemeinsam weiter. Graffitikünstler beanspruchten außer einem eigenem Künstlernamen („tag“) den Anschluss an die Werte und Normen einer Gruppe und einen eigenen Raum auf der Straße (Revier). Mitte der achtziger Jahre klangen die Reime der Niggaz with Attitude wie Polizeiberichte, die Beats peitschten wie Gewehrsalven, die Plattenhüllen zeigten Zuhälter und Prostituierte. Die Musik reflektierte soziale Spannungen, Rap wurde zum „CNN der Schwarzen“ (Chuck D, Public Enemy ). Das bürgerliche Amerika und schließlich Europa wurden infiltriert, das große Geschäft begann. 1993 betitelte Ice-T seine erste CD „Home Invasion“ - adressiert an seine kaufkräftigste Gruppe: weiße Mittelstandskids. Schwarze, Unterpriveligierte machten nun ihr eigenes Business und bestimmten die Warenwelt. Stil und Musik, Texte, Themen und Kleidung der HipHop-Jugendkultur haben sich inzwischen nicht nur in Amerika, sondern in der ganzen westlichen Welt verbreitet und entwickeln sich eigendynamisch weiter. Durch den Low-Budget Film „Wildstyle“ (1983), den Dokumentarbericht „Stylewars“ (1984/85) und den Hollywoodstreifen „Beatstreet“ (1984) wurde in Deutschland die HipHop-Welle losgetreten, die anfangs hauptsächlich durch Breakdancer weitergetragen wurde. Analog zu den New Yorker Vorbildern taten sie es den „Writern“ gleich und begannen - meist aus Neugier - mit Markern und Sprühfarben an öffentliche Flächen zu schreiben. Anfangs versuchte man die amerikanischen Vorbilder zu kopieren, entwickelte aber schnell eigene Ausdrucksformen: „1984 hat alles begonnen, aber erst im Winter 1986 kam der erste voll gefüllte Whole Car und dann ging’s richtig ab. Ein großer Teil der Münchner S-Bahnen wurde gebombt. Es fuhren Whole Cars , Window Downs und eine Menge Panels.“ (Cemnoz) 1986 bis 87 wurden die Szenen der verschiedenen Großstädte aufeinander aufmerksam. Auf Jams, HipHop-Partys und Treffpunkten von Rappern, Breakdancern, DJs und Graffiti-Writern bildete sich langsam eine gesamtdeutsche Szene. Nachdem sich die Basis für eine deutsche Szene etabliert hatte, begann ein grenzübergreifender Szeneaustausch. Fotos, Kontakte, neue Erfahrungen und Einflüsse schoben die Entwicklung an. Ab Ende 1989 erschienen dann regelmäßig Graffitimagazine, die den Wettbewerb anstachelten. Die deutschen Graffitimetropolen wuchsen und entwickelten mit ihren Protagonisten eigene Ausprägungen. GLOSSAR Battle | Wettkampf rivalisierender Crews; gewaltfrei, in Form von Breakdance, Graffiti oder DJing B-Boy | Tänzer des Breakdance, häufig auch Abkürzung für „Bad Boy“ Black-Book | Skizzenbuch des Sprühers DJ | Discjockey, mit der Funktion, nicht nur Platten aufzulegen, sondern diese auch zu mischen und mit Hilfe anderer Techniken (Scratching) Musik zu erzeugen DJing | die Technik des DJs (s.O.) Blockbuster | gerade, der Druckschrift ähnlich sehende Buchstaben Fame | Ruhm und Anerkennung innerhalb der Szene; gute Bilder und riskante Unternehmungen erhöhen den Fame Bomben | massives Verbreiten des Namens Fanzine | zusammengesetzt aus Fan und Magazine; Fachzeitschrift einer Szene B.P.M. | beats per minute: gezählte BassSchläge eines Musikstückes, ihre Anzahl pro Minute bestimmt die Geschwindigkeit Hall of Fame | Ausstellungsort. Wand o.ä., auf der sich die besten Sprayer verewigen; manche Sprayer haben ihre eigene Wand Breakdance | Straßentanz, der in Wettkämpfen zwischen rivalisierenden Crews getanzt wird Hit | andere Bezeichnung für Tag King of the Line | Titel für die besten und anerkanntesten Sprayer der Szene Rap | engl. „to rap“ = schwätzen; schneller als 60 b.p.m. Scratching | besondere Technik beim Plattenauflegen; mit der Tonabnehmernadel wird rhythmisch über die Plattenscheibe „gekratzt“ Shout outs | Respektbekundung, besonders an Vorbilder gerichtet Sprayer | der Graffiti-Szene zugehöriger Aerosolkünstler, der sich auf Hauswänden u.ä. mit Sprühfarbe verewigt Style | der Stil einzelner Sprayer, an dem sie für andere erkennbar sind und in dem sie ihre eigene Person ausdrücken Tag | engl. Namensschild; in der GraffitiSzene das Hinterlassen des eigenen Namens (oder dem der Crew) bzw. des Namenskürzels auf einer freien Fläche MC | Master of Ceremony; Rapper, der bei Jams die Veranstaltung zelebriert Toasting | musikalischer Vorläufer des Rap; Ansage eines Musikstückes im Rhythmus des Stückes (Entstehung: Jamaica) Caps | Sprühköpfe, die den Sprühdosen aufgesetzt werden können und die Qualität des Farbstrahls beeinflussen New School | Nachfolgegeneration der Old School ab ca. 1990 Throw up | schnell schraffierte großflächige Buchstaben mit Outlines Old School | erste HipHop-Generation Characters | Figuren, die das Bild ergänzen Outlines | Umrandung von Buchstaben Toy | Anfänger oder auch Bezeichnung für ein schlechtes Piece Biten | den Stil eines anderen Sprühers kopieren Cans | Bezeichnung für Sprühdosen Crew | kleinster Zusammenschluss von Sprayern, zugleich die stärkste Bezugsgruppe Crossen | Übersprühen eines fremden Piece Dissen | einen anderen Sprayer oder dessen Crew beleidigen Panelpiece | ein Bild auf einem Zug, das von der Oberkante des Waggons bis auf die Unterkante reicht Piece | ausgefüllte Buchstaben, meist mit Hintergrund Posse | größerer Zusammenschluss von Jugendlichen; Crews sind häufig organisiert in Posses Whole Car | Bild über die gesamte Länge und Höhe eines Zugwagons Wild Style | Kultfilm der Graffiti-Szene Writer | andere Bezeichnung für Sprayer, vorzugsweise von diesen selbst verwendet Yard | Abstellanlage für Züge 7 20 Jahre HipHop in Deutschland Schwerpunkt 20 Jahre HipHop in Deutschland 8 Schwerpunkt Dreißig Jahre nach seiner Entstehung umspannt HipHop die Welt. Selbst Menschen, die mit der Kultur nicht viel anfangen können, fühlen sich von HipHop angezogen: In was schlüpft der junge Banker nach getaner Arbeit? In eine saloppe Trainings- Literaturempfehlungen: Bianchi, Paolo (Hg.): Graffiti, Basel – Boston – Stuttgart, 1984 Chalfant Henry, Henry und Prigoff, James: Spraycan Art, London 1987 Cooper, Martha und Chalfant, Henry: Subway Art, London 1984 Castleman, Craig: Getting up, Subway Graffiti in New York, Cambridge; M.I.T:Press Michalski, Peter: Graffiti, Überlegungen zum Stilbegriff, Magisterarbeit, Düsseldorf 2004 Odem, Deppe: On the Run, eine Jugend in der Graffitiszene, Berlin 1997 Peters, G., Zahlmann, H., Reisser, M.: Urban Discipline. GraffitiArt 2000 – 2002 (Ausstellungskataloge) Robitzky, Niels: Von Swipe zu Storm, Breakdance in Deutschland, Hamburg 2000 Uduwerella, Barbara: Graffiti-Projekt, Qualifizierter Sachbericht, Hamburg 1999 jacke der Marke Tommy Hilfiger. Snowboarden ist HipHop auf Schnee, Mc Donald‘s wirbt mit Werberap, eine Firma verspricht „voll fette“ Lehrstellen, ein Autohersteller nennt ein Modell „Graffiti“, Werbung und Layout bedienen sich der Stilelemente des Graffiti. HipHop durch- Weindl, Astrid: Theorie des Style, die Befreiung des Alphabets, München 1996 Wiese, Markus: Graffiti Dortmund, die Kunst der Sachbeschädigung, Aragon 1996 Schwarzkopf&Schwarzkopf: Graffiti Art Deutschland, Berlin 1993 Schwarzkopf&Schwarzkopf: Joe the Ripper, Writing in München, München 1995 Stahl, Johannes: An der Wand, Graffiti zwischen Anarchie und Galerie, Köln 1989 Magazine: Backspin PO Box 710 203, 22162 Hamburg Radio: AFK 94,5 Fresh Inside Hip Hop Sendung dringt heute jeden Lebensbereich. HipHop ist prägend für eine ganze Generation, vergleichbar mit der Hippie-Bewegung. Trotz aller Versuche durch den Kommerz, sich diese Kultur einzuverleiben sind HipHopper nicht einfach dauerbekifft, apolitisch und konsumgeil. Im Gegenteil: Sie sind initiativ, mit der Geschichte ihrer Jugendkultur vertraut. Sie sprayen, tanzen, rappen Selbstgeschaffenes. HipHop bietet Jugendlichen in München, Neapel, Osaka und Dakar die Möglichkeit ihr Lebensgefühl in der eigenen Sprache zu artikulieren. Die wortgewaltigste und farbigste Teenkultur der Geschichte führt die Fans, die zunächst den englischsprachigen Idolen nacheiferten zur Muttersprache - HipHop stiftet Kreativität und Identität. Astrid Weindl Dipl. Sozialpädagogin FH DIE FÄRBEREI (KJR) Bedeutung des HipHop als Jugendkultur und kulturpädagogische Arbeitsmöglichkeiten Be real! Stay Original! Was haben Nena (sorry), DJ Tommeck, Fanta 4 (doppelt sorry) und die Sportsfreunde Stiller alle gemeinsam? Sie kommen aus dem Jugendhaus! Auch wenn man nicht so weit gehen mag wie Baur/Woog (in der Zeitschrift AGF Baden Württemberg 2/2004), die die steile These wagen, dass die Förderung populärer Musik ihren Ursprung in der offenen Jugendarbeit hat, so ist das Leben im Jugendhaus ohne Musik - aktiv wie passiv - ebenso undenkbar wie die Karriere mancher mittlerweile populärer Musikstars ohne Jugendarbeit. Diese Verbindung ist keineswegs zufällig und hat seit den sechziger Jahren immer ihre aktuelle jugendkulturelle Einbettung erfahren. Waren es zunächst die Rockmusik und folkige Hippieklänge, denen später Punkmusik den Garaus machte, ehe er sich in seine Bandfraktionen wie Garagenrock, Hardcore, NuMetall und Independent teilte, so tritt mit dem HipHop Anfang der neunziger Jahre eine völlig neue Jugendkultur auf den Plan. ■ Der künstlerische Beitrag des HipHop oder Jugendkultur der heiligen Vierfalt Im Unterschied zu Rockmusik, die Musik und Attitude darstellte, im Unterschied zu Punk, der Musik und vitale Destruktion vorführte, tritt HipHop als jugendkulturelle Strömung auf den Plan, die direkt vier künstlerische Elemente vereinnahmt und weiterentwickelt: ■ das Wort über den Rap ■ das Tanzen über das Breaken ■ das Komponieren über DJing ■ das Malen über das Writing RAP: Rap ist „message music“, der Text steht im Mittelpunkt, gleich ob es um Belanglosigkeit wie das Aussehen von diesem oder jenem geht, um Sex oder Aids, um Knast oder Politik. RAP-Musik lebt vom Text, vom M i t t e i l u n g s b e d ü r f n i s Ve r stummter, vom Kommunikationsbedürfnis verschiedener Szenen, Ethnien oder Schichten. Hier finden sie sich wieder, in diesen Texten, die vom Alltag handeln, von ihrer Welt. Hier wird diskutiert, was cool ist, hier werden die Regeln des „dissens“ (des Heruntermachens) geklärt, hier geht es um Haltungen zu Nazis, zu den Größen des Show-Geschäfts, zu Drogen und zur Arbeit. Eine Wertediskussion abseits von dere (Tänzer, Sprüher, DJ, Sänger) wird ernst genommen und zu übertrumpfen versucht. den gesellschaftlich wahrgenommen Diskursen. Breakdance Was als „headspin“ oft als tänzerische Variante des Bodenturnens von Turnvater Jahn daherkommt, ist nichts weiter als eine letzte Revolution der Tanzfiguren. Hat schon Rockmusik mit ihrer Geschwindigkeit und rasanten Figuren die Vertikale des Tanzens überwunden, so werden jetzt die Verhältnisse buchstäblich auf den Kopf gestellt. Überall am Körper werden neue Achsen und Zentren vorstellbar und eröffnen damit Spielräume für bisher unvorstellbare Tanzfiguren. Schock und Schöpfung at its best! DJing Nichts anders als Komponieren in moderner Form stellt das computergestützte Sampeln und Scratchen dar. Vorgefundene Musik wird in Bruchstücke zerlegt, einzelne Elemente werden in neuer Form zusammengestellt. Die klassische Musik kennt den Begriff des „Umgangs mit dem musikalischen Erbe“ - hier wird er radikal mit allen verfügbaren medialen Mitteln vollzogen. Gerade die Ergänzung oder der Ersatz traditioneller Musikinstrumente bietet reichlich Platz für kreatives Ausprobieren. Es mag nicht alles Kunst sein, kulturelle Alltagspraxis von Jugendlichen ist es allemal - und die Zeit wird darüber richten, was Bestand hat oder untergeht. Writing Im Writing vereinen sich sowohl eine politische Haltung (sich seinen Platz suchen in der Illegalität) und ein radikales Kunstverständnis, das nicht auf Erhalt und Überlieferung setzt, sondern schonungslos auf den Alltagsnutzen und morgen schon wieder übersprüht sein kann. In den „tags“ schließlich findet sich eine Sehnsucht nach Verortung, nach individueller Kennzeichnung, die ihren Ursprung in der Gesichtslosigkeit und Gleichförmigkeit der Städte hat. ■ Die kulturelle Praxis des HipHop HipHop ist natürlich mehr als Musik und Tanz, er ist ein umfassendes Lebensgefühl, das sich schon rein äußerlich an der Mode festmacht: von den berühmten „Hose frisst Arsch“-Jeans über die Kapuzenshirts bis zu den eigenen Modelabels. HipHop kennzeichnet nicht den Veränderungswillen oder die Verweigerungshaltung früherer Jugendkulturen, sondern passt sich vollkommen den ■ Die Prinzipien des HipHop HipHop ist eine hybride Kultur: Hiphop ist geprägt von einem Spannungsfeld verschiedener kultureller Einflüsse: schwarzer Musik und weißer Musik, deutschem HipHop und türkischem HipHop. In der Auseinandersetzung mit der jeweilig vorgefundenen Musik entsteht eine neue Authentizität, deren Grundprinzipien überall auf der Welt verstanden werden. Als hybride Kultur ist sie zwar nicht frei von Nationalismen, aber sie verfügt über einen Kanon, der rund um den Erdball verstanden wird. Marktmechanismen an. Indem man deren Formen übernimmt (Labels, Studios, Agenturen) versucht man der Vereinnahmung des Marktes zu entgehen. Obwohl die Szene leistungsorientiert wie keine Jugendkultur vor ihr ist, bleibt der Erfolg in den Charts, auf den Theaterbühnen oder in den Galerien suspekt und permanentes Streitobjekt. Nicht nur an der Kleidung sind HipHopper zu erkennen, auch an typischen Ritualen - wie der Umarmung, der Art, sich die Hände zu reichen - oder der Sprache erkennt man den echten HipHopper in all seinen differenzierten Schattierungen. Wer diese Sprache nicht hat, hat auch nicht dieses Lebensgefühl, das bewusst entspannt („cool“) rüberkommt. Freude und Gelassenheit konterkarieren den normalen und unerfreulichen Teil des Alltags. Relaxtheit im Tun und Nichtstun als zeitgeistige Antwort auf Hektik, auf als sinnlos empfundene Anforderungen und auf die Ungewissheiten der Zukunft. Der übliche Alltag findet sich auf der Ebene der „battles“ wieder, wenn es um Wettkampf gegeneinander geht, oder auf der Ebene des „dissens“, des Heruntermachen nach gewissen Regeln. Auch hier gibt es den Verlierer, aber nie bleibt man ihm das schuldig, was den höchsten Wert der HipHop-Kultur bedeutet: den „respect“. Battles und Jams sind Ersatzwettkämpfe, ursprünglich auch Ersatzkriege der einzelnen Vorstadtgangs, die eben nach gewissen Regeln ablaufen. Respect bedeutet hier ein dialogisches Prinzip: Der an- HipHop ist eine globale Kultur: Bestimmte künstlerische Formen in den vier Ebenen zirkulieren weltweit, zum Teil vermarktet über den Mainstream der Popmusik, zum Teil zirkulierend im globalen Underground. In den lokalen Szenen bilden sich dann die jeweiligen Stile heraus: Graffitis aus dem Osten sehen anders aus als westdeutsche, brasilianische anderes als französische; die Stuttgarter Reimschule unterscheidet sich fundamental von der Hamburger, Advanced Chemistry sind in ihrer Aussage näher an Public Enemy als an ihren örtlichen Nachbarn aus Mannheim. „HipHop-Kultur ist ein Beleg dafür, dass kulturelle Globalisierung nicht, wie in der Globalisierungsdebatte oft angenommen, automatisch zu kulturellen Vereinheitlichung führt (Gabriele Klein, Is this real, 2003, S. 10) HipHop ist eine Kultur der Produzenten: HipHop-Jams unterscheiden sich fundamental von anderen Musikereignissen: Hier ist die Trennung zwischen Konsument und Produzent tendenziell aufgehoben. Insbesondere bei Rap-Battles, wo jeder auf die Bühne darf, oder beim Tanzen, wo die Grenze zwischen Tanzfläche und Zuschauerraum permanent durchbrochen wird, ist dieses Prinzip deutlich sichtbar. Ein Grundsatz der HipHop-Kultur lautet, dass nichts unantastbar ist so wird jegliches bisherige künstlerische Produkt zur Fundgrube eigener Kreativität. HipHop ist leistungsorientiert: Der Wettkampf („battle“) als ritualisierte Form des Leistungsdenkens kommt ohne eine bestimmte anerkannte Leistung nicht 9 20 Jahre HipHop in Deutschland Schwerpunkt Schwerpunkt 20 Jahre HipHop in Deutschland 10 ben und sich entwickeln können. Die Kids ernst nehmen bedeutet weiterhin, ihnen Möglichkeiten zu Battles und Jams zu verschaffen, alleine oder im Verbund, damit die Vergleichsmöglichkeit gegeben ist. aus. Gefiel sich Punk oder Independent noch in der Rolle des bewussten Dilettanten, so wird hier Leistung an sich zu einem positiven Ziel - nur eben nicht in der von Erwachsenen dominierten Welt. HipHop hat strenge Verhaltensregeln und widerspricht damit Thesen zur Herausbildung bloß flüchtiger Gemeinschaften unter Jugendlichen. Vielleicht drücken sich darin - ähnlich wie in den „tags“ auch nur die Sehnsüchte nach einer heileren, wärmeren Welt aus, schlechthin das tragende Motiv jeglicher jugendkultureller Bewegung. Der Bildungsaspekt Es ist kein Zufall, dass die Förderung von HipHop-Projekten durch die Jugendarbeit einen wesentlichen Einflussfaktor auf die HipHop-Kultur gewonnen hat, sieht man doch hier eine optimale Möglichkeit, Ausgegrenzten und Erfolglosen eine Stimme zu verleihen, Selbstbewusstsein zu stärken und den ritualisiert friedlichen Umgang auf einer gemeinsamen Basis zu üben. Diese Integrations ist für die Gesellschaft die aktuellste Form der Bildungsleistung. Gerade durch die Art und Weise des Umgangs mit dem musikalischen „Erbe“ versetzt HipHop die Jugendlichen in die Lage, dynamische Entwicklungen produktiv zu verarbeiten. Die Aufhebung von Konsumenten- und Produzentenrolle führt zu einer ausgeprägten Form der sozialen Kommunikation, letztlich zu Teamar- beit und Verantwortungsübernahme. Wegen der Bejahung des Leistungsgedankens und des ständigen miteinander Vergleichens wird beim aktiven HipHopper die Fähigkeit zu selbstreflektivem Handeln gefördert. Der Alltag im Jugendzentrum wird pädagogisch gesehen durch ein Dreieck gebildet: Der erwachsene Pädagoge als Repräsentant der Mehrheitskultur, das Jugendzentrum als gestaltete Welt und der Jugendliche, der mit seiner kulturellen Einbettung oder Lebensweltorientierung diese Welt vorfindet. Die Auseinandersetzung um die Gestaltung dieses Dreiecks bildet den Rahmen für die Gestaltung des Bildungsprozesses in der offenen Jugendarbeit. Bei den Inhalten dieser Bildungsarbeit geht es sowohl um eine Handlungsdimension als auch um eine ästhetisch-wertorientierte Dimension Die Handlungsdimension: Gelegenheiten schaffen bedeutet erst einmal Räume gestalten zum Üben (zum DJing und Tanzen), Musik - und zwar laute - zulassen im offenen Bereich für spontane Reim-Battles, auch zum Diskutieren darüber, es heißt Gestaltungsräume für die Sprüher - im Jugendhaus und im Stadtteil - erschließen. Darüber hinaus heißt es, „Lehrer“ zu gewinnen, d.h. schon ältere Jugendliche, die in der Szene legitimiert sind, verpflichten als Workshop-Leiter, damit die Kids Vorbilder ha- Kleine Literaturauswahl zum Thema HipHop Blümer, Heike: Street Credibility – HipHop und Rap. In: „Alles so schön bunt hier“, die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute, Hrsg. Von Peter Kemper, Stuttgart 1999 Farin, Klaus: generation kick.de – Jugendsubkulturen heute. München 2001 Klein, Gabriele und Friedrich, Malte : Is this real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt 2003 Mayer, Ruth und Terkessidis, Mark (HG.): Global kolorit. Multikulturalismus und Populärkultur. St. André 1998 AG SpoKK (HG.): Kursbuch Jugendkulturen – Stile, Szenen und Identitäten vor der Jahrtausendwende. Mannheim 1997 Winkler, Thomas, Von der Posse zum Pop – Der Weg des deutschen HipHop in den Mainstream. In: Journal der Jugendkulturen, Heft 4/2001 Die ästhetische Dimension: Neben dem Vergleich der künstlerischen Qualität geht es gerade im HipHop nicht nur um das Agieren, sondern auch darum, was erlaubt und was verboten ist, wen man hasst, wer einem gleichgültig ist, wen man mag. All dies vollzieht sich in Formen kultureller Praxis - wofür früher einmal ein Stadtteil oder Ort herhalten musste. Abgrenzung und Einbezug geschehen nach ästhetischen Dimensionen, in die oft Werturteile einfließen (man sehe sich unter diesem Gesichtspunkt Eminems „8 mile“ an, aber in der amerikanischen Originalfassung). Wo anders als in der Jugendarbeit gibt es einen so offenen Diskussions- und Kommunikationszusammenhang, um solche für die Jugendlichen wichtigen Fragen zu klären. Ein/e Jugendarbeiter/in, der/die diesen Auseinandersetzungswillen mit der vorgefundenen Welt zu dechiffrieren weiß, ist gerade für marginalisierte Jugendliche der letzte Weg zur Gesellschaft hin. Last Exit. Die Arbeit mit Musik und Tanz, mit der Sprache und mit dem Sprühen ermöglicht Prozesse ästhetischer Bildung. Sie führen in letzter Konsequenz zu einer Verheimatung in der Gesellschaft, sofern sie den Rahmen dafür zur Verfügung stellt. Der Jugendliche, der sich selbst als Mensch erlebt, der Neues dazulernt, der etwas Anerkennenswertes für Andere schafft, steigert nicht nur sein eigenes Selbstwertgefühl, sondern fühlt sich in seinem Handeln eingebettet in die Gesellschaft. Was Schule oder Familie durch ihren je eigenen Kontext nicht geben können, kann ihnen die Jugendarbeit durch den Lebensweltbezug und die offenen Rahmenbedingungen geben: Schock und Schöpfung¸ Anpassung und Widerstand, Annahme von Bestehendem und Schaffung von Neuem. Kulturpädagogisch gesehen steckt in keiner anderen jugendkulturellen Ausdrucksform ein solches Ausmaß an kreativem und künstlerischem Potential, das zusätzlich durch sein Integrationspotential an aktueller Bedeutung gewonnen hat. Albert Fußmann Institut für Jugendarbeit, Gauting Mädchen und HipHop-Tanz – kulturpädagogisch betrachtet Girls in Motion Tanz ist in allen Kulturen ein immanentes Ausdrucksmittel. Tanz basiert auf individuellen und kollektiven Bewegungsformen, meist verbunden durch einen gemeinsamen Rhythmus und oft unterstützt durch die Musik. In allen Kulturen haben sich eigene Formen des Tanzes entwickelt, die trotz aller Schichtspezifik, soziokulturell eine Identität bilden. Für Jugendliche ist Tanz zum einen private Kommunikation (Partys, Discos..) und zum anderen die Möglichkeit, ihre gruppen- und geschlechtspezifischen Interessen auszudrücken... (Quelle: Tanzkultur in aller Welt) Der momentane Trend der Mädchen geht eindeutig zu HipHop-Tanz - sicherlich stark durch die Medien - Jugendzeitschriften, Videos - beeinflusst. HipHop als Oberbegriff einer Bewegung, die sowohl die Graffitiszene, bestimmte Klamotten und eine spezielle Musikrichtung beinhaltet als auch verschiedene Ausdrucksformen des Tanzes. Dazu gehört neben dem Breakdance auch der HipHop-Tanz, der sich aus dem Streetdance heraus und von verschiedenen HipHop-Videos beeinflusst bis heute immer weiterentwickelt hat. Breakdance wird in den meisten Jugendzentren überwiegend von Jungen getanzt, nicht zuletzt wegen der Battles, Contests und der Akrobatik. Obwohl es inzwischen auch immer mehr B’girls gibt (u.a. beim Battle of the Year), die sich an Powermoves, Headspins und Styles ausprobieren, ist der Großteil der Mädchen doch mehr an gemeinsamen Choreographien innerhalb einer Gruppe interessiert. So gibt es inzwischen in sehr vielen KJRFreizeitstätten HipHop-Tanz-Mädchengruppen. Beim AnderArt Festival 2002 waren 90 Prozent der teilnehmenden Tanzgruppen Mädchen, und fast alle tanzten zu HipHop-Musik. Was fasziniert sie so daran? Zunächst einmal ist die Musik cool. HipHop-Musik und Black Music wird im Radio, bei VIVA und MTV rauf- und runtergespielt. Sie hat sich etabliert und ist nicht mehr nur für eine kleine Szene interessant. Im HipHop-Tanz wird ein anderes Frauenbild vermittelt. Sie müssen nicht mehr nur schlank und graziös wie beim Ballett sein und vorgeschriebene Kostüme tragen. Sie tragen ihre Lieblingsklamotten, ihre Sneakers, und auch das Gewicht spielt keine wesentliche Rolle mehr. Der Vorteil ist außerdem, dass die Mädchen keine besonderen Grundkenntnisse mitbringen müssen. Es geht vielmehr um den Spaß an der Bewegung, an der Musik und am Rhythmus. Es gibt die Motivation, selber kreativ zu werden und sich eigene Combis auszudenken. HipHop-Tanz bietet ihnen eine gute Möglichkeit, sich in den Vordergrund zu stellen, lautstark und frech aufzutreten. Sich neu zu definieren, ihr eigenes „Ding“ zu machen, sich nicht in Konkurrenz zu den B´boys zu sehen, sondern gut nebeneinander in der Szene zu existieren - genau das ist ihre Intention. Außerdem wollen viele Mädchen vom Image und von den Klischees aus Werbung und Videos wegkommen: nur auf Busen, Bauch und Po reduziert zu werden und auch sonst eher die passive Nebenrolle zu spielen (z.B. Bikinimodel in Gangsta-Rap-Videos). Missy Elliott, selbst erfolgreiche Produzentin, Rapperin und Tänzerin in der HipHop-Szene, zeigt uns in ihren Videos und dem Kultfilm „Honey“ dass es auch anders geht. Die Mädchen entdecken beim Tanzen die Fähigkeiten des eigenen Körpers und dessen Ausdrucksfähigkeit. Sie erlernen in relativ kurzer Zeit Schrittkombinationen, die ihnen ein Erfolgserlebnis verschaffen und sie in ihrem Selbstbewusstsein stärken. Sie bekommen und nehmen sich den Raum und die Öffentlichkeit, in denen sie sich frei ausprobieren und ihre eigene Identität mit ihren Vorstellungen und Wünschen entwickeln können. Kerstin Hof Soundcafé (KJR) Kulturpädagogin mit Schwerpunkt Tanz, gibt seit über sieben Jahren Workshops im Bereich HipHop-Tanz 11 20 Jahre HipHop in Deutschland Schwerpunkt 12 Schwerpunkt 20 Jahre HipHop in Deutschland Interview „Each One Teach One“ 20 Jahre HipHop in Deutschland - Wie hat sich die Musik-Szene in dieser Zeit entwickelt und verändert? Olly Künzner hat in der „Färberei“ mit Leuten aus München gesprochen, die seit langem erfolgreich in der deutschen HipHop-Szene mitmischen: MC Heinemann von „Blumentopf“, Produzent Glammerlicious und Rapper David Pe von „Main Concept“ sowie Michi Kuchar, Moderator der Radio-Show „Fresh Inside“ auf M94,5. Rap ist kein Spaß, wenn da einfach einer auf Deutsch ankommt...!“. Mit geschriebenen deutschen Texten ging´s so ab 1991 los, 1992 haben wir ein Demo gemacht, da war dann schon „Münchenz Diktatur“ drauf. Und das Freestylen wurde immer lustiger, weil einfach viel mehr ging, du hattest nicht so einen begrenzten Wortschatz wie im Englischen. Wie ging das denn eigentlich so los mit HipHop in Deutschland? Glammerlicious: Also 1984 ist diese erste große Breakdance- und Graffiti-Welle aus New York nach Europa rübergeschwappt. Das war ja so ein richtiger Boom hier in Deutschland. Da gab es Filme wie „Wildstyle“ oder Videos von der „Rocksteady Crew“. Und dann haben hier auch die ersten Leute angefangen Breakdance zu tanzen. Im Fernsehen lief da ja sogar dieser Breakdance-Kurs mit Eisi Gulp. Die Musik war damals auch noch anders, da gab´s zum Beispiel Afrika Bambaataa mit seinem Elektro-Funk. Insgesamt klang das alles irgendwie noch viel elektronischer. Michi Kuchar: In dieser ersten großen Welle 1984 steckte eine wahnsinnige Power drin. Das gibt´s heute ja gar nicht mehr, dass etwas Neues auftaucht und sich da eine ganze Generation draufstürzt: Fans, die dann wirklich alle selber aktiv auch was machen. Das waren ja Massen, du hast sogar in der Fußgängerzone Leute gehabt, die gebreakt haben. Alles was es da so gab, Breaken, Sprühen oder einfach nur cool rumlaufen, gab den Leuten, wenn auch unbewusst, eine Möglichkeit sich aufzulehnen. Das war eine Revoluzzer-Geschichte. Damals bist du noch richtig aufgefallen, heute interessiert das doch keinen mehr, ob du ‘ne weite Hose trägst oder nicht. Zunächst gab es HipHop ja nur auf Englisch. Wie sind „Blumentopf“ und „Main Concept“ zum Rappen auf Deutsch gekommen? Heinemann: Im Jugendzentrum in Unterschleißheim gab´s so ‘ne HipHop-Jam und da haben wir eigentlich zum ersten Mal Freestyle gesehen. Auch der David stand da auf der Bühne. Wir haben das überhaupt nicht fassen können, einfach so auf die Bühne gehen, improvisieren, in Taktform Reime setzen und da auch noch Sinn reinbringen. Und dann haben wir uns so aus dem Ehrgeiz raus: „Das wollen wir jetzt auch mal probieren, das muss doch irgendwie gehen...“ für 20 Mark ein Mikrofon gekauft, ins Mischpult eingesteckt und einfach so „Yoyoyo, jetzt geht’s mal los, aber ich bin nicht groß...“ angefangen. Und diese Faszination am FreestyleRappen hat uns dann auch dazu gebracht, ohne dass wir es eigentlich bemerkt hätten, selber aktiv Musik zu machen. David Pe: Wir sind 1990 in die HipHopSzene reingerutscht, die damals auch krasse Regeln hatte: Das Ganze war sehr gangstermäßig und alle haben so pseudoenglisch rumgeredet, sich wichtig gemacht. Das war ein einziges Gepose! Ich kannte da noch keinen deutschen Rap, hab‘ aber schon auch so zum Spaß auf Deutsch gefreestylt, weil das halt so einfach ging. War schon lustig, aber nichts was man ernst genommen hat: „Weißt du, „Blumentopf“ und „Main Concept“ kennen sich seit 1994, ein Jahr später erschien auf der EP „Münchmob“ ihre erste Zusammenarbeit. Wie hat sich die deutsche Rap-Szene seit ihrer Entstehung Anfang der Neunziger Jahre entwickelt? David Pe: „Blumentopf“ waren damals eine der ersten Gruppen, die den Humorfaktor im HipHop betont haben, witzige Reime, coole Geschichten und so. Vorher war alles eher ernst, gegen Nazis, gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen den Staat, gegen das Geld, gegen den Ausverkauf, immer gegen irgendwas. Heinemann: Wir haben natürlich auch mitbekommen, dass es in der HipHop-Kultur strikte Regeln gibt, so von wegen: „Du musst halt Underground sein und scheiß aufs Geld, dann bist du cool“. Wir haben dann auch mal so einen Text geschrieben, unser eigenes „Untergrund-Lied“ halt, und als das dann komplett fertig war, saßen wir so da und haben uns gedacht: „Das ist doch eigentlich der totale Scheiß!“ Und dann haben wir im nächsten Atemzug das Thema wieder aufgegriffen, aber von der komplett anderen Seite und das Lied genau dagegen geschrieben. Und damit haben wir dann gesagt: „Also eigentlich ist das unser Denken, so stehen wir dazu: Schimpft doch nicht immer auf die Leute, die damit Geld verdienen, wenn ihr das Geld bekommen würdet, würdet ihr es doch genauso nehmen und wir auch“. HipHop ist im Lauf der Zeit zu einer Mainstream-Jugendkultur in Deutschland geworden. Welche Veränderungen und Unterschiede in der Musik-Szene gibt es heute im Vergleich zu früher? David Pe: Es ist nicht mehr so naiv und so unbefangen wie früher. Da hat einfach jeder drauf los gemacht und es war cool. Heutzutage gehen die Leute mit einem Anspruch ran, es muss so und so klingen, es muss gewisse Standards und Normen erfüllen. Momentan gibt es einen großen Hype um deutschen „Gangster“-Rap vom Platten-Label „Aggro-Berlin“. Ist das die Weiterentwicklung des deutschen HipHop oder was bringt die Zukunft? David Pe: Das ist für mich keine Weiterentwicklung, das ist auch nicht Neues, vielleicht hier in Deutschland. In Amerika gibt´s diesen „Gangster-Scheiß“ schon seit zehn, fünfzehn Jahren, bloß wir haben das hier immer bewusst gemieden. Und jetzt kommen halt irgendwelche Typen an, die sagen: „Wir machen das einfach auf Deutsch!“ Der Witz an deutschem HipHop ist sowieso, dass das komplett an Amerika gekoppelt ist. Das was da passiert, passiert auch hier, eins zu eins, nur transformiert auf unsere Kultur und 13 Sprache. Im Endeffekt ist das ja auch o.k. Ein paar erfinden es, alle kopieren es, und dann lutscht es sich aus, wie das heute halt so ist mit der „Subkultur“. Mann muss auch sehen, so eine Welle wie dieses „Aggro-Ding“ löst immer auch eine Gegenbewegung innerhalb vom HipHop aus. Wenn zu viel „gepimpt“, „gebitcht“ und „gehustlet“ wird, dann kommen bald die ganzen „conscious“-Typen an, so von wegen: „Hey, das könnt ihr doch nicht machen: each one - teach one!“ 20 Jahre HipHop in Deutschland Glammerlicious: Es gibt heute auf jeden Fall mehr MCs als früher. Du siehst zum Teil Leute auf der Straße, die bilden ‘nen Kreis, der eine rappt, der andere macht Beatbox und der dritte vielleicht noch ein Instrument dazu. Ich sehe das voll oft und finde das auch sehr erfrischend. Heinemann: Ich glaube, dass es dahin führt, dass HipHop sich immer mehr aus anderen Sparten bedient. Bei uns zum Beispiel ist das auch so: Vor zwei Jahren hätte noch keiner gedacht, dass einer von uns mal ein Instrument in die Hand nimmt und jetzt sitzen wir auch da und haben Spaß dran. Vom Sound her glaube ich, dass die Äste aus diesem „HipHop-Baum“, um mal bildlich zu sprechen, immer weiter rauswachsen. Schwerpunkt links: www.blumentopf.com www.58beats.com www.m945.afk.de www.diefaerberei.de Graffiti - ein uraltes Phänomen Kunst oder Sachbeschädigung? Die Frage stellt sich so eigentlich nicht, weil das eine das andere nicht ausschließt. Ob legal oder illegal hängt nicht vom ästhetischen Empfinden oder künstlerischen Anspruch ab, sondern allein davon, ob das Eigentumsrecht eines anderen verletzt wird. Dazu gehört, dass jeder das Recht hat, seine Wand so zu gestalten, wie er möchte. Entdeckt ein Hausbesitzer eines Morgens unerwartet ein Graffiti an seiner Hauswand, schießen ihm vielleicht unwillkürlich Gedanken wie „Ach diese Jugend!“ oder „Früher hätte es das nicht gegeben“ durch den Kopf. Der Drang des Menschen, die Wände in seiner Umgebung zu gestalten, geht jedoch bis in die Steinzeit zurück. Die ältesten Wandgemälde befinden sich in Südfrankreich und werden auf ein Alter von 21.000 Jahren geschätzt. Solche Wandmalereien waren in vielen frühen Gesellschaften üblich. Leider setzt die Forschung andere Schwerpunkte, so dass wir wohl nie erfahren werden, ob diese Malereien allen Höhlenmenschen gefallen haben oder ob schon damals die Meinungen über den künstlerischen Anspruch von Wandgemälden auseinander gingen. Anzunehmen ist aber, dass auch damals die ungefragte Gestaltung fremder Wände auf das Missfallen der Bewohner der entsprechenden Höhle gestoßen sein dürfte. 21.000 Jahre später hat sich viel verändert: Die meisten Menschen wohnen in Häusern, einfache Kohle und Kreide wurden durch hartnäckige Sprühlacke ersetzt - und doch erfreut sich die Gestaltung von Wänden nach wie vor großer Beliebtheit. Ganz offensichtlich blieb der Drang seine Umwelt zu gestalten und ihr einen individuellen „Anstrich“ zu verleihen auch dem neuzeitlichen Menschen erhalten. Selbstverständlich hat sich der Stil weiterentwickelt. Heute werden statt Büffelherden Schriftzüge („tags“) oder größere Bilder („pieces“) gemalt, und die möglichst realitätsnahe Darstellung weicht mehr und mehr den Abstraktionen. Und doch ist die Gestaltung des eigenen Lebensraums nach wie vor ein grundlegendes Motiv. Allerdings findet der berechtigte Drang, in der eigenen Umgebung Spuren zu hinterlassen dort seine Grenzen, wo ungefragt das Eigentum anderer beschädigt wird. „Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.“ heißt es in § 303 Strafgesetzbuch. Hier wird das öffentliche Interesse verteidigt, dass jeder das Eigentum des anderen achten soll. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder sonstiges Recht eines an- 14 Schwerpunkt 20 Jahre HipHop in Deutschland deren wiederrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“, steht in § 823 BGB. Unabhängig vom Strafrecht, ist jeder verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, den er anderen verursacht hat. Graffiti sind dann ein Schaden, wenn der Eigentümer Aufwendungen hat, um sie wieder zu entfernen. „Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat. Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern gleich“, steht in §830 BGB. Mitgefangen – mitgehangen, der Geschädigte muss nicht das Maß der Tatbeteiligung herausfinden, wer dabei war, haftet auch für den Schaden. Vielen Graffitiwritern ist es unbegreiflich, wieso sich die Geschädigten nicht über das Kunstwerk auf ihrer Wand freuen, schließlich haben sie viel Mühe in die Gestaltung investiert. Gerade bei anonymen Flächen wie Autobahnbrücken oder Bahnsteigen, die scheinbar niemandem gehören, ist das Unrechtsbewusstsein gering. Erst wenn sie sehen, dass das Entfernen ein Vielfaches an Zeit und Mühe in Anspruch nimmt, wird ihnen das Ausmaß der Schädigung bewusst. Andererseits haben viele Geschädigte ein falsches Bild von den Sprayern. Sie sehen die Jugendlichen als Randalierer, die mutwillig Schäden verursachen. Häufig fällt es ihnen schwer, sich vorzustellen, dass es den Sprayern nicht bewusst war, welchen Schaden sie anrichten. Geschädigten und den Sprayern persönlichen Kontakt herzustellen. So ist es leichter, über eine Wiedergutmachung zu verhandeln, die den Schaden beseitigt und für die Jugendlichen leistbar ist. Meist besteht die Wiedergutmachung in der naheliegendsten Form: Reinigen und Überstreichen der bemalten Fläche. Dadurch erfährt der Jugendliche am eigenen Leib wie viel Arbeit die Beseitigung von Graffitis erfordert. Robert Lehmann Wolfgang Goß ProGraM „Projekt Graffiti München“ der BRÜCKE MÜNCHEN Daher ist es das Ziel von ProGraM - „Projekt Graffiti München“ - zwischen den Interview Massenmedium Spraydose Neben Rap und Breaken ist Graffiti ein wichtiger Bestandteil der HipHop-Kultur. Gecko Wagner sprach mit dem Graffiti-Profi Loomit (36) und den Nachwuchssprühern Janis (17) und Markus 1 (16) darüber, was Sprayen für sie bedeutet. Wie nennt ihr eigentlich das, was ihr tut? Sprayen? Loomit: Am ehesten Graffiti. Es gibt verschiedene Unterarten, zum Beispiel StreetArt, die sich dadurch unterscheidet, dass eher grafisch gearbeitet wird, mit Drucken, Aufklebern und Plakaten. Graffiti ist eher die gemalte Geschichte. Markus: Ich nenne es malen. Janis: Zeichnen ist das Wichtigste daran. Anfangs ist’s auch nicht so wichtig, ob es jemand besonders gut macht, er sollte Spaß daran haben. Und wissen, wieso er es macht. Und wieso macht ihr es? Janis: Zeichnen war schon immer mein Hobby, ich finde, dass ich Talent dazu habe. Und ich mache es natürlich, weil’s mir gefällt. So wie HipHop überhaupt. Ich mache auch Freestyle, Breakdance - mir gefällt alles an HipHop. Markus: Ich hab’ nicht so viel Zeit, daher ist es nicht mein Lebensinhalt. Aber phasenweise könnte ich pausenlos malen. Seit wann sprayt ihr? Markus: Ich hatte zum ersten Mal vor zwei Jahren eine Dose in der Hand. Janis: Ich zeichne, seit ich klein bin - früher waren das ganz normale Dinge, zum Beispiel Stilleben und so. Vor drei Jahren hab ich in Polen zum ersten Mal Graffiti entdeckt und die Inspiration dazu gefunden. Das hat mir gefallen und ich hab’s selber versucht und seitdem immer öfter. Seitdem eigentlich jeden Tag was. Wie seid ihr dazu gekommen? Markus: Anfangs war’s der Freundeskreis, der mich dazu gebracht hat. Loomit: Genau wie die beiden Jungs hab’ ich als Kind schon sehr viel gezeichnet, inzwischen sprühe ich seit 21 Jahren, bei mir ist ein Beruf daraus geworden. Mit 15 habe ich zum ersten Mal mitbekommen, dass die Jungs aus New York da ihre UBahn anmalen. Das hab ich dann hier kräftig ausprobiert. Faszinierend ist für mich, dass man ein Massenmedium hat, weil man im öffentlichen Raum arbeitet und damit nicht nur die sechs Buchstaben seines Namens transportieren kann, sondern auch Nachrichten; dass man Jugendliche auf gewisse Sachverhalte hinweisen kann in einer Sprache, die sie gut verstehen, die sie interessiert und mit der sie sich auch beschäftigen. Du willst eine Message loswerden? Loomit: Ja sicher. Aber nicht DIE Message wie „esst keine Fliegenpilze“, sondern jedes Bild hat seine Inspiration in gewissen Themen und daher hat jedes Bild seine Message. Ich selbst habe keine grundsätzliche Botschaft, die ich vermitteln will, außer: So lange malen wie’s geht. Seht ihr das genauso? Markus: Schon, aber ich glaube das ist bei uns, die wir noch ganz am Anfang stehen, noch nicht so ausgeprägt. Anfangs ist erst mal Fame 2 wichtig, daraus entwickelt sich’s dann. Und es stimmt schon, jedes Bild hat seine Message. Die Frage ist, wie tiefgründig die ist. An welche Botschaft denkst du bei dem Bild, das da gerade entsteht? Markus: Die amerikanischen Wölfe heiß übergießen. Aber das kam spontan. Ich hatte nicht zuerst die Idee, etwas gegen die amerikanische Außenpolitik zu malen, sondern hab einfach nach einem coolen Motiv gesucht. Daraus hat sich das entwickelt. Loomit: Aber du hast dir ja einiges dabei gedacht, allein bei der Motivwahl. Die amerikanischen Wölfe übergießen, das ist ein Propaganda-Plakat der Chinesen aus den fünfziger Jahren, in dem es um die Erhöhung der Stahlproduktion und den amerikanischen Imperialismus geht. Das ist ein wahnsinnig komplexes Thema, und dass du dich da durcharbeitest gefällt mir sehr gut. Aber auch, weil das Plakat sehr schön, sehr ästhetisch ist. Das hätte mich auch angesprochen. Da sehe ich, dass du sehr wohl die Nachricht dieses Plakats für dein Motiv nutzt. Wo hast du das Motiv gefunden? Markus: In meinem Geschichtsbuch. Kostet Sprayen nicht ein Schweinegeld? Janis: Nein, das Zeichnen kostet ja nichts. ? ? Fotos: Gecko Wagner Ich denke, du sprayst jeden Tag? Janis: Ich zeichne jeden Tag, das heißt nicht, dass ich ständig mit der Dose unterwegs bin. Das hab‘ ich noch eher selten gemacht. Aber Zeichnen muss ich ständig, auch im Unterricht. Wenn ich einen Stift in der Hand habe und ein Blatt Papier vor mir liegt, dann kann ich gar nicht anders. Oder statt in der U-Bahn rumzusitzen, hole ich mein Heft raus und zeichne. Trotzdem, was kostet es? Loomit: Bei mir kann ich es genau sagen, der Quadratmeter kostet meine Auftraggeber etwa 130 Euro, also mit Material, Ausführung und allem anderen. Ist es ein teures Hobby? Loomit: Auf jeden Fall, obwohl es sehr viel besser geworden ist. Die heutige Generation hat ein ganz anderes Verhältnis dazu. Als ich angefangen habe, gab es keinen einzigen HipHop-Shop... ... aber Spraydosen gab’s ja wohl schon ... Loomit: ... klar gab’s die, aber auch eine andere Art, da ran zu kommen. Da musste man schon sehen, dass man die in B a u m ä r k t e n u n d Fa r b e n g e s c h ä f t e n irgendwie „organisiert“ bekommen hat, Ladendiebstahl eingeschlossen. Das hat sich jetzt gründlich geändert, es gibt jetzt einen Markt dafür und daher HipHop-Läden, die das viel günstiger und bei weitem besser anbieten als jeder Baumarkt. Markus: Es ist ganz klar ein teures Hobby, weil ich aber nicht so oft an eine Wand gehe, hält sich’s in Grenzen. Ist Graffiti für euch Kunst? Markus: Schon Janis: Auf jeden Fall, das kann auch nicht jeder. Jeder hat einen anderen Style. Loomit ist von seinen Bildern her für mich ein großer Künstler. Markus: Ich würde auf jeden Fall sagen, dass Graffiti Kunst ist und eine Ausdrucksform. Janis: Und dann gibt’s noch die Leute, die gar keine Ahnung haben. Loomit: Eigentlich ist Graffiti erst mal nur eine Ausdrucksform, ein Medium, wie ein Bleistift. Du kannst damit eine Telefonnummer aufschreiben, das ist keine Kunst. Du kannst damit aber auch eine wunderschöne Zeichnung machen. Oder ihn jemandem ins Auge stoßen. Genauso kannst du Graffiti verwenden: Wunderschöne Zeichnungen anfertigen, deinen Namen irgendwo hinschreiben oder Züge zerstören. Jeder Writer hat seine eigene Art, dieses Medium zu benutzen. Es ist wie Fernsehen: da gibt’s sowohl RTL 2 als auch Arte, beides ist Fernsehen und doch ist’s nicht das gleiche. 15 20 Jahre HipHop in Deutschland Schwerpunkt denen wir arbeiten, wird nirgends unterrichtet. In keiner Kunstakademie wird man lernen, wie man in einen Yard3 reinkommt. Das lernen jetzt die Jungs von dir? Loomit: So was bringe ich ihnen natürlich nicht bei. Aber Zeichentechnik. Würdest du nicht von dir behaupten, du bist Künstler? Loomit: Das sagen eher andere von mir. Wie lernt man es dann? Janis: Das kommt mit der Zeit. Anfangs konnte ich’s auch noch nicht so gut. Man lernt es durch Freunde, durchs Fernsehen und Zeitungen, indem man andere Styles sieht und sich davon inspirieren lässt. Loomit: Ich gebe Graffiti-Workshops an Schulen, als Ergänzung zum Kunstunterricht. Lehrer haben gemerkt, dass Jugendliche viel aufmerksamer sind, wenn sie lernen sollen, eine Hand mit der Dose zu zeichnen als wenn sie das gleiche mit Wasserfarben malen sollen. Das ist eine ganz andere Motivation, ein viel größerer Reiz. Aber die Inhalte sind die gleichen: Dinge zeichnerisch darstellen können. Für die allermeisten gilt jedoch: Augen auf und learning by doing. Markus: Ich würde sagen, man lernt’s durch äußere Einflüsse, Erfahrung und Entwicklung. Was bist du dann? Loomit: Ich bin Graffiti-Handwerker. Ich tue das, was ich seit 21 Jahren tue: mit Dosen große Wände bemalen. Und dazu gehört sehr viel handwerkliches Können, das ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe, weil man viele Dinge in keiner Schule lernen kann. Arbeiten im öffentlichen Raum, besonders in diesen Räumen, in Könnt ihr euch vorstellen, ganz klassische Maler zu werden, also Öl auf Leinwand? Markus: Klar, warum nicht? Ich probiere gerne anderes aus, Radierungen interessieren mich auch. Aber ich kann mir nicht vorstellen, nur noch Pastell zu malen. Janis: Schon, ich will sowieso später im Schwerpunkt ? 20 Jahre HipHop in Deutschland 16 Beruf etwas mit Kunst und Musik zu tun haben. Wisst ihr noch, was euer allererstes Stück war? Janis: Das war illegal, der Schriftzug „MUS“, das ist eine Abkürzung für Munich Underground Sprayer. Markus: Ich glaube, bei mir war’s auch eine Buchstabenkombination, ich weiß nicht mehr genau, was. Auf jeden Fall auch illegal. Loomit: Buchloer Wasserturm, 1983. Natürlich illegal. Warum eigentlich? Gibt’s keine andere Möglichkeit oder reizt das Verbotene? Janis: Beides. Als Anfänger hat man kaum Möglichkeiten, legal zu sprühen, außer auf Leinwände. Aber ich hab einfach nur das Illegale gekannt. Als Anfänger hätte ich auch nie auf einer legalen Wand andere Stücke gecrosst 4 , die viel besser aussehen als meines. Ist illegal Sprayen eine Mutprobe? Markus: Es ist keine Mutprobe, aber natürlich reizt es, dass es verboten ist, ganz klar. Und es geht auch einfach ums Ausprobieren. Beides war für mich gleich wichtig. Wo kann man in München legal sprayen? Loomit: Tumblinger Straße, nahe dem KVR. Und in Kirchseeon gibt’s ein altes Fabrikgelände, das zwar nicht wirklich freigegeben ist, wo aber auch kein Hahn danach kräht. Ist eine freig eg ebene Wand nicht ratzfatz voll? Loomit: In der Großstadt bestimmt. Aber wenn man sich Plätze ein bisschen versteckter, für sich behält, dann geht’s. Aber man will doch gesehen werden? Loomit: Ja klar, aber es gibt ja legal und legal. Neben den für alle freigegebenen Wänden gibt es ja auch den Writer, der zu Hausbesitzern hingeht und sie so lange weichkocht, bis er die Fläche legal bemalen darf. Das ist dann nur seine Fläche. Kommt das in München vor, dass Hausbesitzer ihre Wände freigeben? Loomit: Es kommt so oft vor, wie Leute fragen. Und das ist nicht oft. Ich hab’ das schon öfters gemacht, aber scheinbar bin ich in München der einzige. Da muss man schon mit Leuten reden, sich auch mal für Lokalpolitik interessieren. Aber die meisten Sprayer bekommen den Arsch nicht hoch. Ich kenne Beispiele von Kollegen in Paris, Sevilla, Barcelona, die diese Ochsentour machen und jetzt riesengroße Bilderparks haben mitten in der Stadt. Ihr beklagt euch also nicht darüber, dass man nirgends sprayen dürfte? Loomit: Immer alles auf andere schieben, die das für einen regeln sollen - das ist nur Faulheit, das habe ich noch nie akzeptiert. Natürlich ist es für Writer cooler, nachts irgendwo zu malen. Für 14- bis 20-Jährige ist das natürlich auch Abenteuer. Wie stehen eure Eltern dazu? Oder wissen sie’s gar nicht? Markus: Doch doch, aber ich male ja nicht so viel, deshalb hat meine Mutter nichts dagegen, wenn ich ab und zu legal malen gehe. Aber sie sieht’s nicht so gerne. Janis: Meine Mutter ist eigentlich schon damit einverstanden, aber wir hatten schon oft Auseinandersetzungen deswegen. Aber es ist mein Leben, das muss ich entscheiden. Und inzwischen akzeptiert sie das. Gab’s schon mal Probleme mit der Polizei? Janis: Ich wurde mal erwischt, da gab’s natürlich Stress. Ich hatte im Keller und draußen rumgesprüht und ein Mädchen hat mich verpfiffen. Da sind die halt mor- gens mal bei mir eingelaufen. Das war vor eineinhalb Jahren. Markus: Ich bin auch indirekt erwischt worden, genauer: Ein Freund von mir wurde erwischt und hat in der Hoffnung auf mildernde Umstände die Namen anderer Sprayer genannt. Eben meinen. Wo ist das Problem: Dass ihr etwas getan habt, was nicht erlaubt ist oder dass nicht erlaubt ist, was ihr getan habt? Markus: Dass es nicht erlaubt war, das ist uns klar. Es ist Sachbeschädigung, keine Frage. Ich fände es nicht ok, wenn man ein Privatauto anmalt. Bei einem Zug stört’s mich nicht. Loomit: Natürlich gehört der Reiz des Illegalen dazu. Aber in Ländern wie Ungarn oder Polen, in denen Zugmalen nicht sonderlich hart verfolgt wird, stirbt es trotzdem nicht aus, im Gegenteil. Für klassische Kunst werden teure Museen gebaut, Sprayer werden aber verfolgt. Fordert ihr nicht freie Wände für alle? Loomit: Wir haben die Museen doch schon viel länger! Andere müssen ein Leben lang arbeiten, bis sie mal an einen Ort kommen an den die Leute hingehen und sich denken: „Aha, das ist Kunst“. Wir dagegen arbeiten direkt in der Umwelt der Menschen, wenn wir einen Strich malen, ist er sofort veröffentlicht. Das ist ein riesengroßer Vorteil gegenüber der Museumsmalerei. Er kann von jedem gesehen, aber auch von jedem überarbeitet werden. Man lernt, mit der Vergänglichkeit seiner Werke zu leben. Aber auch das, was jetzt im Haus der Kunst hängt, gibt’s in 10.000 Jahren nicht mehr. Bei Graffiti kann es sein, dass dein Bild nur zwei Wochen an der Wand ist, aber dann sind 20.000 Leute daran vorbeigekommen. Das schafft im Museum manches Bild in zehn Jahren nicht. Was wollt ihr in fünf Jahren machen? Markus: Ich will studieren, weiß aber noch nicht was. Für mich kommt Graffiti als Beruf nicht in Frage, es ist Hobby, Spaß. Janis: Wahrscheinlich werde ich Architektur studieren, aber noch lieber würde ich Musik machen, rappen. Loomit: Ich hab mir noch nie Jahrespläne gemacht und meine Träume lebe ich jetzt. Der einzige Wunsch wäre mal in Ulaanbaatar zu malen, der Hauptstadt der Mongolei, wo sie mit Graffiti wahrscheinlich gar nichts anfangen können. 1 2 3 4 Da gegen beide Jugendlichen derzeit ein Strafverfahren in Sachen Graffiti anhängig ist wurde ihr Name von der Redaktion geändert Bekanntheit, Anerkennung in der Graffiti-Szene U-Bahn-Depot übermalen