Einzigartiges System zur Bearbeitung grösster Teile
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Einzigartiges System zur Bearbeitung grösster Teile
38 Produktions- und Fertigungstechnik | Grossteilebearbeitung Technische Rundschau 7/2014 Einzigartiges System zur Bearbeitung grösster Teile Die Schweizer Fertigungsindustrie ist bekannt für hohe Präzision, vor allem bei kleinen Teilen. Was wenige wissen: In Altdorf steht bei der Berghoff Mechanical Engineering AG ein einzigartiges automatisiertes Fertigungszentrum zur Bearbeitung grosser bis sehr grosser Werkstücke in hoher Genauigkeit. Auf 87 m Länge sind sechs Gross-BAZ und eine Messmaschine miteinander verkettet, um Teile bis zu 25 t Gewicht rund um die Uhr zu bearbeiten. Die «Technische Rundschau» hat sich vor Ort umgesehen und war mehr als angetan. Am Anfang steht eine Naturkatas trophe. Es geschah in der dritten Augustwoche 2005. Bereits vorher hatte es in der Zentralschweiz hef tig geregnet. Dann setzte Genua Tief «Norbert» zum verheerenden Starkregenangriff an. Sonst harm lose Flüsschen wie der Schächen bach in Altdorf konnten die Was sermengen nicht mehr aufnehmen und traten über die Ufer. Auch die Gebäude der Ruag und damit der Grossteilefertigung standen kom plett unter Wasser. Für die damalige Ruag Mecha nical Engineering war die Überflu tung der Fertigungseinrichtungen der Startschuss zu einem wegwei senden Projekt und gleichzeitig grossen Schritt nach vorne. Seit vorigem Jahr ist die ehemalige Grossteilefertigung der Ruag Teil der BerghoffGruppe. Das im deutschen Drolshagen domizi lierte Unternehmen zählt zu den Weltmarktführern für industrielles Outsourcing im Bereich der me chanischen Fertigung. Die Über nahme rundet das Angebotsport folio der Gruppe nach oben ab. Bereits vor dem Hochwasser standen in den RuagHallen fünf Grossbearbeitungszentren der «Multitec»Baureihe von Waldrich Coburg. Die Grossteilefertigung übernahm schon damals Fremd aufträge von externen Kunden mit Genauigkeitsanforderungen im HundertstelmmBereich. Auf dieser Expertise im HighEndMa chining grosser Werkstücke beruht die Zusammenarbeit mit bedeuten den Unternehmen. Unter anderem zählen ASML, Weltmarktführer bei Lithografiesystemen für die Halbleiterindustrie, und die Kraft werkssparte von Siemens zu den langjährigen Kunden. Auch von diesen Partnern kam nach dem Hochwasser der Anstoss, ein einmaliges Fertigungskonzept zu konzipieren und zu realisieren. Ein Manko der früheren Bearbei tung war nämlich, dass die Gross BAZ nur über Kran beladbar waren, mit deutlich negativen Auswirkun gen auf die Nebenzeiten. So konnte ein Werkstückwechsel schon mal eine Stunde in Anspruch nehmen. «Wir sprechen hier immerhin von Teilen mit bis zu vier Meter Durch messer und 25 Tonnen Gewicht», erklärt Rolf Achermann, Leiter Grossteilefertigung bei Berghoff Mechanical Engineering, die Her ausforderungen seiner Abteilung. Im Mai 2006 erhielt der deut sche Werkzeugmaschinenhersteller Waldrich Coburg dann als Gene Technische Rundschau 7/2014 ralübernehmer den Auftrag, das wegweisende Projekt umzusetzen. Herausgekommen ist eine fast Fussballfeldgrosse Anlage, die auf 87 Meter Länge über Schienen sechs GrossBAZ und eine Mess maschine verkettet, 22 Paletten plätze bereithält, über vier separate Rüstplätze und einen Waschplatz verfügt und vollautomatisch rund um die Uhr arbeiten kann. (Siehe Kasten «Auf einen Blick».) Eine Hauptschwierigkeit bei der Umsetzung war, die einzelnen Bestandsmaschinen auf die neue Lösung mit den Transferschienen auszurichten. Stefan Engel war da mals für Waldrich Coburg in Alt Grossteilebearbeitung | Produktions- und Fertigungstechnik dorf vor Ort und arbeitet heute bei Berghoff Mechanical Engineering: «Für das reibungslose Funktio nieren des Transfersystems ist es wichtig, dass sich Schienen, Rüst plätze, Palettenspeicher, Messma schine und Bearbeitungszentren auf einem einheitlichen Niveau befinden. Ausserdem mussten die vorhandenen Rechtwinkligkeits abweichungen der einzelnen Ma schinen zu den Transfermaschinen kompensiert werden.» Keine noch so kleine Stufe durfte den Trans port der Werkstücke behindern. Und es gelang. Die Höhendiffe renz der gesamten Anlage liegt im ZehntelmmBereich. Mit 87 m Länge hat die Transferanlage nahezu die Abmessungen eines Fussballfeldes. (Bilder: TR) Ihr SolidWorks Lösungspartner in der Schweiz BMC Mountainbikes: Leidenschaft und Perfektion im Detail, konstruiert mit SolidWorks. Solid Solutions AG Zürich / Arbon TG / Gümligen BE www.solidsolutions.ch 39 40 Produktions- und Fertigungstechnik | Grossteilebearbeitung Eine weitere Herausforde rung lag darin, die im Rahmen des Projekts neu beschafften zwei «DMC 340 FD» von DMG (De ckelMahoGildemeister) mit den vorhandenen vier Maschinen von Waldrich Coburg in bearbeitungs technischen Einklang zu bringen. Auch hier, so erinnert sich Stefan Engel, betrat man Neuland, da bis anhin beide Hersteller noch nie zusammen an so einem Projekt ge arbeitet hatten: «Zwar verfügt jede Maschine über eine Siemenssteue rung 840 D, aber die Signale müs sen von jeder Maschine identisch verarbeitet werden. Zudem muss die Indexierung der Paletten auf jeder Maschine gleich sein, da wir sonst die Wiederholgenauigkeit der Bearbeitung beim Weitertakten der Werkstücke vergessen können.» Erst wenn man weiss, dass die Werkstücke teilweise bis zu 7 oder 8mal umgeschlagen werden und Technische Rundschau 7/2014 Palettenwechsel: Schienensystem und BAZ sind niveaugleich und genau rechtwinklig zueinander ausgelegt. die Positioniergenauigkeit der GrossBAZ im Bereich von weni gen µm liegt, kann man die Aussage von Stefan Engel richtig einordnen. Um die Genauigkeitsanforderun gen beim Palettenwechsel einhal ten zu können, musste Waldrich Coburg die Zuführung zum Palet tenwechsler der eigenen Maschinen teilweise sogar neu kon struieren. Wie genau damals Transferanlage für Grossteilebearbeitung gearbeitet wurde, zeigt die Tatsache, dass we Transfersystem Eigenschaften der die im Boden einge Bearbeitungszentren • 1/Mastertec 4000 AR • Verfahrweg: 5,5 x 5,5 x 3,5 m gossenen dreispurigen (Waldrich Coburg) (X, Y, Z) Transferschienen mit • 1/Multitec 2500 AR • Verfahrweg: 4 x 3,5 x 2,25 m einer Spurweite von ins (Waldrich Coburg) (X, Y, Z) • 2/Multitec 2500 AP gesamt 2,5 Meter noch • Verfahrweg: 5 x 3,5 x 2,25 m (Waldrich Coburg) (X, Y, Z) die Zuführungen zu den • 2/DMC 340 FD • Verfahrweg: 2,8 x 3,4 x 1,6 m Maschinen bisher nach (DMG Mori Seiki) (X, Y, Z) justiert werden mussten. Messmaschine • Verfahrweg: 3 x 6 x 2 m (X, Y, Z) • Länge: 87 m • 3-spurig mit Spurweite je 1,25 m Paletten • Werkstückgewicht: maximal 25 t • Palettengewicht: maximal 15,5 t • Palettengrösse: • 3/2 x 3 m • 9/2,25 x 4 m • 10/Durchmesser 2,5 m • 4/Durchmesser 3 m Palettenwagen • Ausführung als Doppelwagen • Palettenverschiebung durch Schnecke • Balluff-Lese- und -Schreibeinheit • Verfahrgeschwindigkeit Q3-Achse: 45 m/min • Verfahrgeschwindigkeit Q4-Achse: 30 m/min • Verfahrgeschwindigkeit Q5-Achse: 20 m/min Hauptrüstplätze • 1/Standard für Rundpaletten • 1/Präzision für Rundpaletten • 1/Standard für Rechteckpaletten • 1/Präzision für Rechteckpaletten jeweils 1/Wasch-, Übergabe-, Messrüstplatz Das Einrichten und Aufspannen der Werkstücke erfolgt an einem separaten Rüstplatz mit vier Auf spannplätzen ausserhalb der Zer spanungszone. Dazu stehen rund um die Uhr vier Rüstprofis bereit. Nicht umsonst. Denn aufgrund der Grösse und teilweise Fragilität der Werkstücke fordert das Aufspannen viel Geschick und Erfahrung. Vor allem Frames aus Alumi nium werden in nicht wenigen Fällen aus dem vollen Material ge arbeitet. «Von 4 Tonnen Ausgangs material bleiben dann vielleicht noch 1,5 Tonnen stehen», verdeut licht Teamleiter Adrian Arnold die Zerspanungsquote. Stegbreiten von wenigen Millimetern sind daher keine Seltenheit. Die hohe Zerspanungsrate schlägt sich auch bei den Maschi • MMZ G (Zeiss) Schienensystem Hier fliegen noch Späne: Die Zerspanungsquote liegt teilweise über 50 Prozent; die Wechselköpfe der Waldrich-Coburg-Maschinen erlauben eine sehr flexible Bearbeitung. Technische Rundschau 7/2014 Hansjörg Murer, Adrian Arnold, Rolf Achermann und Stefan Engel (von links nach rechts), Berghoff Mechanical Engineering: «Der Invest hat sich gelohnt. Die Auslastung der Maschinen konnte deutlich verbessert werden.» nenzeiten nieder. Es gibt Werkstü cke, so Fertigungsleiter Achermann, die laufen bis zu 100 Stunden und mehr am Stück in einer Aufspan nung: «Wir haben Teile, die kom men auf über 300 Stunden reine Zerspanungszeit.» 18 der insgesamt rund 100 Mitar beiter arbeiten an den 6 verketteten GrossBAZ; je nach Auslastung im 2,5 bis 3SchichtBetrieb. Bis auf ei nen speziellen Dauerauftrag laufen alle Teile über das Transfersystem. Schon diese Zahlen machen deut lich, wie sich der 4,5Mio.Invest für die damalige Ruag Mechanical En gineering gerechnet hat: Die Spin dellaufzeiten gingen deutlich nach oben, Nebenzeiten und Personal quote nach unten. Wobei für Geschäftsführer Hans jörg Murer die Besonderheit des Systems im Zusammenspiel vieler Elemente liegt: «Die gesamte Anla ge und das Umfeld sind einzigartig. Wir rüsten die Paletten hauptzeit parallel und bringen sie genau nach Fertigungszeiten getaktet auf die Maschinen. Zudem arbeiten wir in einer klimatisierten Umgebung und realisieren daher hohe Genauig keitsanforderungen. Und, die Qua litätssicherung läuft ebenfalls voll automatisch ab, da wir wie bei einer InProcessMessung die Werkstücke auf der Palette in die Messmaschine verfahren können.» Um den Messvorgang gegen äus sere Einflüsse zu schützen, ist die GantryKoordinatenmessmaschine «MMZ G» von Zeiss in der Maschi nenhalle in einem separaten Raum untergebracht. Sie lagert auf einem entkoppelten Fundament; Erschüt terungen durch die Zerspanungs maschinen sind ausgeschlossen. Im Gegensatz zur Maschinen halle, die sich auf ± 1,5 °C tempe raturstabil halten lässt, kann der Messraum im Toleranzbereich von ± 0,5 °C temperiert werden. Wobei der Begriff «Messraum» die Grös se nur ansatzweise wiedergibt: In der rund 8 Meter hohen und 9 Me ter breiten Halle bleiben neben der Messmaschine eine gefühlte Hand breit Luft zu den Seitenwänden und zur Decke. Überhaupt überwältigt den Be trachter die Dimension der Anlage. Vor allem, wenn das Rolltor aufgeht, das den klimatisierten Arbeitsraum von den Rüstplätzen trennt und den Blick auf die 87 Meter Schienenweg mit Maschinen und Palettenplät zen freigibt. Und alles nur deshalb, weil der ansonsten kleine, friedliche Schächenbach 2005 seine Hochwas sermuskeln spielen liess. ■ Nicht alles wissen, aber wissen wo finden! Fachartikel und Produktinformationen finden Sie in unserem Archiv. www.technische-rundschau.ch Wir machen mehr aus Kunststoff Wolfgang Pittrich Berghoff Mechanical Enginnering AG 6460 Altdorf, Tel. 041 875 75 15 [email protected] DMG Mori Seiki Europe AG 8600 Dübendorf, Tel. 044 801 12 41 [email protected] Waldrich Coburg GmbH DE-96450 Coburg, Tel. +49 9561 65-0 [email protected] Martignoni AG Dorfmattweg 5 Postfach 1204 CH-3110 Münsingen Fon +41 (0)31 724 10 10 Fax +41 (0)31 724 10 19 www.martignoni.ch [email protected]