Hilfsbereitschaft damals – und heute?

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Hilfsbereitschaft damals – und heute?
Ungarn 1956
Die Gemeinde Andau – ein Symbol der Völkerverständigung
Hilfsbereitschaft
damals – und heute?
Oktober 1956 – dieses Datum ist mit Erinnerungen an Heldentum und Solidarität verbunden. Während der Ungarn-Krise ist Österreich ist als leuchtendes Beispiel an
Menschlichkeit in die Geschichte eingegangen.
◆ Dr. Daniela Zimper
Vor 50 Jahren, am 23. Oktober 1956,
Kilometer zu Fuß bis Andau zurücklein seinem Roman „Die Brücke von
ist in Ungarn der erste bewaffnete Aufgen. Mit grenzenloser Hingabe kümAndau“: „Müsste ich je flüchten, so hoffe
stand Osteuropas gegen die Sowjetmerten sich dort die Burgenländer um
ich, dass es nach Österreich sein kann.“
Laut Mitteilung des „Deutschen Roten
herrschaft und den Kommunismus ausdie Habenichtse aus dem Osten. In der
Kreuzes“ gab es in Andau eine caritativgebrochen. Rund
Chronik der Marktgehumanitäre Gruppe vor allem junger
200.000 Menschen flomeinde Andau heißt
Menschen, die sich „Andau Society“
hen vor dem stalinisties: „Die Andauer
nannte. Deren Mitglieder bildeten jede
schen Regime in
waren Tag und Nacht
Nacht Streifen zu zweit, um Flüchtlinge
Ungarn. Gestürzte Stamit Fuhrwerken aller
in Sicherheit zu bringen, und sie richtetuen, brennende
Art und zu Fuß unterten einen Seilzug für Schlauchboote
Bücher, Särge in den
wegs, um zu helfen.
auf dem Kanal ein.
Straßen und FlüchtDie Andauer haben
linge auf dem Weg in
zur Brücke warmen
die Freiheit und die
Tee gebracht und
1956 gesprengt,
Ungewissheit. Die BilDecken für die KleiFrüher
waren
die
der vom Ungarn-Aufnen, Alten und Kran1996 wieder aufgebaut
stand, der Angst, Tod
Leute hilfsbereiter als ken zur Verfügung
gestellt. Sie haben
Am 21. November 1956 wurde die
und einen Flüchtlingsjetzt. Die Menschen
auch den Transport in
Holzbrücke, der Weg in die Freiheit,
strom mit sich brachte,
sind wohlhabender
das Dorf besorgt. In
von ungarischen Soldaten gesprengt.
gingen um die Welt
Andau
gab
es
damals
1992 wurde der Verein „Die Brücke von
und zeigten eindringgeworden.
nur Rotkreuzhelfer
Andau“ gegründet, um das Jahr 1956
lich Geschichte. Für die
Matthias Gelbmann
und Männer der Freipolitisch, gesellschaftlich und künstlemeisten Flüchtlinge
willigen Feuerwehr.
risch aufzuarbeiten. In den darauffolwar das Burgenland
Landtagsabgeordneter und
Sie alle waren im Eingenden vier Jahren wurden mehrere
das Symbol für FreiBürgermeister von Andau
satz. Es gab in ganz
Veranstaltungen von Ungarn und Österheit. Hier trafen sie auf
Andau keinen Raum, der nicht von
reich organisiert. Auf dem ehemaligen
Menschen, die selbst nicht viel hatten
Ungarn belegt gewesen wäre. GaststätFluchtweg haben internationale Künstund die Flüchtlinge dennoch in vorbildten, Schulen, Gemeinderäume, Kino und
ler die Freiluftgalerie „Flucht und Verlicher Weise aufnahmen. Die meisten
auch private Räume. Neben zahlreichen
treibung“ gestaltet und 90 Skulpturen
Ungarn wollten ohnehin bald weiter,
Persönlichkeiten war 1956 auch der
entlang der Straße aufgestellt. Höhenach Übersee. Nur 20.000 Ungarn blieVizepräsident der Vereinigten Staaten
punkt der vierjährigen Aufarbeitungsben, 1976 wurden sie in Wien als
von Amerika, Richard
zeit war die Eröffnung
autochtone Minderheit anerkannt.
Nixon, in Andau, um
der von österreichischen
Müsste ich je
die Tragödie an der
und ungarischen Solda70.000 flohen nach Andau Brücke zu sehen. Die
ten wiedererrichteten
flüchten, so hoffe
Allein über „die Brücke von Andau“ im
Hilfsbereitschaft der
„Brücke von Andau“ im
ich, dass es nach
Seewinkel, wo der Einser-Kanal die
Andauer soll ihn
Jahre 1996.
Österreich sein
österreichisch-ungarische Grenze bilbesonders beeindruckt
Hört und liest man über
det, kamen rund 70.000 Ungarn nach
haben.“
die aufopfernde Hilfsbekann.
Österreich. Vom Einser-Kanal mussten
Und der Autor James
reitschaft der Menschen
James M. Michener
die erschöpften Flüchtlinge noch neun
M. Michener schreibt
zu dieser Zeit, so ist
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«
»
«
58 KOMMUNAL
n seinem Roman „Die Brücke
von Andau“
Eine Brücke der Hoffnung
Ungarn 1956
fraglich, wie die Bevölkerung heute
reagieren würde. Die Österreicher sind
bekannt für ihre Spendenbereitschaft,
doch wie sieht die Lage aus, wenn wir
selbst mit
anpacken müssten? Offenkundig ist, dass mit
steigendem
ie Brücke
Wohlstand die
von Andau bleibt
Angst vor dem
Fremden steigt.
für immer ein
LandtagsabgeSymbol für den
ordneter und
Bürgermeister
Beginn der Freivon Andau, Matheit und Völkerthias Gelbmann,
ist stolz auf seine
verständigung.
Gemeinde und
hofft, „dass die
Gemeindebürger wieder so handeln
würden“. Auf die Frage nach der aktuellen Flüchtlingsproblematik antwortet
er: „Früher waren die Leute hilfsbereiter als jetzt. Die Menschen sind
wohlhabender geworden, wollen aber mit den Problemen
der Flüchtlingspolitik nichts zu
tun haben.“ Vielleicht befürchtet dies auch Bundespräsident
Heinz Fischer, der bei der heurigen 50-jährigen Gedenkfeier
in Andau appellierte: „Denn
eins ist uns wohl allen klar:
Dass es auch heute hilfsbedürftige Menschen gibt, dass es
auch heute Flüchtlinge gibt,
Menschen, die ihre Heimat
verlassen müssen, und dass wir auch
heute Verantwortung haben für die
Mitmenschen.“
D
Oben: Flüchtlinge überqueren die Brücke von Andau
im Jahr 1956.
Links: Ungarn auf der Flucht
Foto: Otto Pammer
Unten: Nach 1956 senkte
sich der „Eisene Vorhang“ an
der Grenze zwischen dem
Burgenland und Ungarn.
Österreicher halten
immer noch zusammen
Die Brücke von Andau
(oben) über den „EinserKanal“(rechts) heute. Es ist
kein Problem mehr, auf die
ungarische Seite zu gehen und ein paar Fotos zu
machen.
Links: Auf dem ehemaligen Fluchtweg haben
internationale Künstler die Freiluftgalerie „Flucht
und Vertreibung“ gestaltet und 90 Skulpturen
entlang der Straße aufgestellt – und dieses
„Peace“-Zeichen im Boden eingelassen.
Offenkundig ist allerdings auch, dass
die Österreicher sehr wohl
zusammen halten, wenn es
darauf ankommt. So wurde
die aufopfernde Hilfsbereitschaft der Bevölkerung
während der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2002
international bewundert.
Voraussichtlich im Jahr 2008
wird Ungarn das Schengener
Abkommen unterzeichnen
und die Grenzen werden geöffnet. Das
durch die Europäische Union gelebte
Miteinander wird dadurch immer mehr
zur Selbstverständlichkeit. Die Brücke
von Andau aber bleibt für immer ein
Symbol für den Beginn der Freiheit
und Völkerverständigung.
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