Berliner Spaziezgang
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Berliner Spaziezgang
Belichter: Farbe: SERIE BERLINER MORGENPOST | , BERLINER SPAZIERGANG Die Sonntagsserie in der Berliner Morgenpost. Unsere Reporter treffen Menschen, die etwas bewegen. Treffpunkt ist ihre Lieblingsecke. Heute: ein Spaziergang mit Marek Prawda, Botschafter der Republik Polen in Deutschland „Berlin wirkt auf mich sehr polnisch“ T VON SÖREN KITTEL ∑ Der Bürgerrechtler Im Jahr 1980 trat er der gerade gegründeten Arbeiterbewegung „Solidarnosc“ bei. Er lernte in dieser Zeit viele einflussreiche Bürgerrechtler kennen und war im Herbst 1989 zuständig für die 6000 DDRFlüchtlinge, die über Polen ihr Land verlassen wollten. ∑ Der Diplomat Nur kurz nach dem Mauerfall, im Jahr 1992, wurde er zum 1. Botschaftssekretär der polnischen Botschaft in Deutschland berufen. An der Botschaft blieb er bis 1998. In dem Jahr wurde er stellvertretender Direktor im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Polens, ein Jahr darauf war Direktor der Abteilung. Zuständig war er vor allem für Westeuropa. Im Jahr 2001 wurde er zum Botschafter Polens in Schweden berufen. Dort blieb er vier Jahre, bis er in die Position des Direktors des Ministerbüros zurückkehrte. Im September 2006 trat er sein Amt als polnischen Botschafter in Deutschland an. Start/Ziel Ko llw itz str . r. Marek Prawda allerdings erwähnt Käthe Kollwitz als einen der Gründe, warum wir uns hier getroffen haben. „Ihr Wohnhaus war gleich nebenan“, sagt er über die Bildhauerin, deren Statuen häufig von Trauer und Melancholie erzählen. Für Kaiser Wilhelm II. waren sie zu deprimierend, Marek Prawda mag sie. „Im Kollwitzkiez habe ich mich mit dem Berlin-Virus infiziert.“ Wolfgang Thierse, der Bundestagsvizepräsident, sei schuld, denn der habe ihn einmal durch dieses Viertel geführt, ihm alles gezeigt, die Häuser und die Gräber, die Kulturbrauerei. Noch heute verbindet er Thierses Geschichten mit vielen Ecken hier. Er zeigt auf ein Fenster über dem Schriftzug des „Café Endlos“: Dort habe die DDR-Staatsicherheit eine Wohnung angemietet, sagt er. „Sie wollten Thierse abhören, der sich dort“, er zeigt auf den Spielplatz, „mit seinen Besuchern aus West-Berlin scheinbar ungestört unterhielt.“ Viele Jahre später konnte man die Tonbänder und Abschriften finden. ∑ Der Soziologe Geboren wurde Marek Prawda im Jahr 1956 im polnischen Kielce, zwischen Lodz und Krakau. Nachdem er zunächst Wirtschaft in Leipzig studierte, wechselte er kurz darauf das Fach und den Ort. In Warschau studierte er Philosophie und Soziologie, ein Fach, in dem er im Jahr 1984 promovierte. Drei Jahre später zog es ihn nach Hamburg, wo er bis 1989 lebte. Er ist seit 26 Jahren verheiratet und hat zwei Töchter. akst K na Von Widerstand umgeben Marek Prawda ser Schönhau Allee Senefelderplatz Infografik CHRISTIAN HAHN Viagra, gestohlene Autos oder Namen, die nur aus Zischlauten bestehen – davon handeln die meisten Polen-Witze. Das ist nicht nur einfallslos, sondern auch langweilig. Hier ein bekanntes Beispiel: „Zwei Deutsche treffen sich, sagt der eine: Warst du schon mal in Polen? – Nein, aber mein Auto ist schon da.“ Als ich Marek Prawda, den polnischen Botschafter, im „Café Endlos“ in Prenzlauer Berg treffe, erzählt er mir dafür einen polnischen Witz über Deutsche, der sich direkt auf den ersten bezieht: „Zwei Polen treffen sich, fragt der eine: Warst du schon mal in Deutschland? – Nein, aber die Gemälde meines Großvaters sind schon da.“ Es hat also nur einige Minuten gedauert, bis zum ersten Mal das Wort „Großvater“ zwischen uns steht. Wir lachen zwar beide höflich, aber es entsteht eine merkwürdige Gesprächspause, in der noch ganz viele andere Wörter und Bilder aus der deutschen Vergangenheit auftauchen: Sie handeln von Krieg, Vertreibung, Erschießungskommando, KZ, vielleicht auch Befreiung, irgendwann dann sicher Willy Brandts Kniefall in Warschau … Er, der 54 Jahre alte Pole, der perfektes Deutsch spricht, lange in Leipzig und Hamburg gewohnt hat, sich im Labyrinth der deutsch-polnischen Geschichte so gut auskennt, als wäre er bei jedem wichtigen Ereignis persönlich dabei gewesen, dieser Marek Prawda also weiß um die Last, die auf jedes Gespräch zwischen Deutschen und Polen drücken kann. Doch gerade deshalb ist es vielleicht gut, sie sich auch hier bewusst zu machen. Er sagt aber auch: „Wenn sich Deutsche und Polen heute unterhalten, kommt nur noch selten die Frage danach, was der Großvater im Krieg gemacht hat.“ Viele Polen seien da wie er und schauen lieber nach vorn. „Denn die Zukunft sieht für mein Land gerade sehr gut aus.“ Ein Diagramm, das in Polen fast jeder kennt, untermauert diese These. Es zeigt alle Länder der Europäischen Union alphabetisch aufgelistet mit deren Wirtschaftswachstum 2009 in Prozent. Insgesamt 27 Balken, von denen 26 rot sind und nach unten zeigen. Weit hinter D wie Deutschland (minus 5,4 Prozent), genau zwischen den Ländern Österreich (minus 4,0) und Portugal (minus 3,7) glänzt Polen mit dem einzigen grünen Balken. Die polnische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent gestiegen. Marek Prawda verbreitet gern solch gute Nachrichten. Überhaupt wird Polen in den kommenden Wochen viel in den Schlagzeilen sein: Polen ist im kommenden Jahr Partnerland bei der Grünen Woche und der Internationalen Tourismus-Börse, Polen übernimmt im kommenden Juli die EU-Ratspräsidentschaft – und Polen richtet zusammen mit der Ukraine im Sommer 2012 die Fußball-Europameisterschaft aus. Vielleicht ist es auch deshalb kein Zufall, dass sich Prawda, dessen Nachname „Wahrheit“ bedeutet, für den Kollwitzkiez als Treffpunkt entschieden hat. Wie in keiner anderen Gegend Berlins sei hier der Wandel besonders spürbar, sagt er. „In Polen sind gerade alle Menschen im Wandelrausch – alles verändert sich.“ In diesem Kiez allerdings ist der Wandel abgeschlossen. Früher habe er ihn als verkommen und hässlich erlebt, heute gibt es hier kein unsaniertes Haus mehr, auf dem Markt nebenan wird jeden Sonnabend teure italienische Salami verkauft, ein Großteil der Kunden im „Café Endlos“ bestellt auf Bayerisch, Schwäbisch oder Englisch. Schon längst denkt hier niemand mehr an die Frau, deren Namen der Kiez trägt. Dann schaut Prawda nach links oben, als könnte er dort etwas ablesen. Er nennt Namen von anderen Ost-Politikern, die Freunde von ihm waren, die heute aber nicht mehr ganz so bekannt sind: Jürgen Fuchs, ein DDR-Bürgerrechtler, der im Jahr 1999 wahrscheinlich an den Langzeitfolgen seiner Haft im Stasi-Gefängnis starb; Ludwig Mehlhorn, ein vor allem in Polen bekannter Aktivist, der sich um die Aussöhnung verdient machte; Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR im Kabinett von Lothar de Maizière. Marek Prawda war selbst immer Teil des Widerstands im Osten, gehörte zu den Solidarnosc-Mitgliedern der ersten Stunde. Im Jahr 1980 trat er der berühmten polnischen Arbeiterbewegung bei, die letztlich den Systemumsturz im Ostblock vorbereitete. Der Osten wollte Westen werden, und der 24-jährige Marek Prawda war mittendrin. Wir stehen auf, doch bevor wir in Richtung Wasserturm laufen, gibt der Diplomat seine Lederaktentasche an seinen Fahrer. Der grüßt, nickt, wendet sich wieder zum Auto. Sie sind ein eingespieltes Team, arbeiten seit vier Jahren zusammen. So lange, wie er hier Botschafter ist. Heute Abend wird er eine Feier für ihn und seine Familie veranstalten. Der Fahrer zieht um, nach Bern, in die Schweiz. Marek Prawda aber bleibt in Berlin, mindestens noch weitere eineinhalb Jahre. Ohne Aktentasche könnte er die Arme eigentlich locker am Körper hängen lassen, aber er wird sie auch beim Laufen vor der Brust verschränken. In der international gültigen Körpersprache heißt das: Abwehr. Das hat nichts mit meinem Großvater, sondern eher mit seinem Beruf zu tun. Um den Diplomaten aufzulockern, reden wir über Sport (er hat kürzlich den Tennis-Cup der Berliner Diplomaten ge- wonnen) und Urlaubsziele (er fährt gern an die Ostsee, um Tennis zu üben). Dann frage ich ihn, ob er gern in Berlin ist. Doch bei dieser Frage muss er erst nachdenken. Als Diplomat kritisiert er nicht gern, sagt er. Dann: „Berlin wirkt auf mich sehr polnisch.“ Alles was ihn in seiner Heimat störte, stört ihn auch hier: dieses Unperfekte, das Chaotische. Aber das internationale Flair gefalle ihm sehr. Überall könne ,, „Es gibt Menschen, die emigrieren können, ich gehöre nicht dazu“ Marek Prawda, polnischer Botschafter in Berlin man sehen, dass hier Osten auf den Westen trifft. Seinen beiden Töchtern gegenüber hat er diesen recht pathetischen Satz immer als Argument angegeben, warum es ihnen in Berlin gefallen wird. Immerhin hatten sie bereits vier Jahre in einem schönen Haus in Stockholm gewohnt, dort war Prawda bis 2005 Diplomat. Wenn sie jetzt hier in Berlin abends zu spät von einer Party nach Hause kommen, murmeln sie trotzig etwas von „wichtigen Begegnungen“ und „Ost“ und „West“. Eine seiner Töchter wird jetzt in Warschau studieren – und damit den Schritt ihres Vaters in die umgekehrte Richtung gehen. Auch Prawda verließ sein Elternhaus als junger Mann. Mit 19 Jahren ging er in den Westen, der damals noch Teil des Ostens war. In Leipzig lernte eine neue Sprache und ein anderes Land kennen. Die DDR war grau damals, und es hat gestunken, weil irgendein Kombinat in der Nähe seiner Wohnung war. Als wir langsam den Hügel hinter dem Wasserturm hinaufsteigen erzählt er eine Geschichte: Einmal lud ihn ein Dresdner zu sich nach Hause ein und fragte, ob er etwas essen möchte. Marek Prawda sagte „Nein“ und der Deutsche glaubte ihm. Das Gespräch war beendet, und Prawda ging hungrig ins Bett. „In Polen fragt ein Gastgeber immer dreimal“, sagt er. Nur eine von vielen deutschen Regeln. „In Deutschland zählt das einzelne Wort eben mehr.“ Das war jetzt schon wieder ein Satz, dem automatisch eine kurze Pause folgt, wie nach dem Witz mit dem Großvater. Stumm laufen wir auf einen kleinen Platz zu, auf dem mehrere Bänke stehen. Wir setzen uns und schauen uns um. Ein Springbrunnen plätschert, drei kleine Löwen aus Bronze sonnen sich, eine junge Frau sitzt gegenüber und hat ein Notenbuch aufgeblättert. Sie schaut so konzentriert auf die Seiten, als könnte sie die Musik hören, die dort aufgeschrieben ist. Der Ort strahlt etwas Melancholisches, fast Romantisches aus. Vielleicht ist es aber auch Marek Prawda, der diese Stimmung verbreitet. Er sagt, das sei der polnischen Kultur fast eigen, auch wenn das in Witzen nie erwähnt wird. Er erwähnt eines der häufigsten Füllwörter im Polnischen. Es heißt „trudno“ und bedeutet in etwa: „schwierig“. Häufig wird es seufzend ausgesprochen, gern als Antwort auf die Frage „Wie geht’s?“: „Truuuudno!“ Marek Prawda sagt, dass dieses Wort sehr vielschichtig sei. „Es bedeutet, dass man die Realität akzeptiert, wie sie ist.“ So langsam bekomme ich das Gefühl, er hat sich diese Sätze schon lange überlegt, damit er sie hier, mit Bronzelöwen im Rücken, aufsagen kann. Zudem: Wenn er von „Realität“ spricht, klingt es eher nach „Härten des Lebens“. Als ob dieser Mann schon viel mehr wirkliches „trudno“ erlebt hat, als er über seine verschränkten Arme hinweg erzählen will. Ich frage ihn, ob er vor dem „Wandel“ in Polen an Ausreise gedacht hat. Als Antwort erzählt er wieder eine Geschichte, diesmal eine längere, die von Pflicht, Freundschaft, Liebe und von einer Entscheidung handelt. Emigration ausgeschlossen Es begann mit einer jungen Französin, die er vor 30 Jahren auf einer Reise nach London kennengelernt hat. Er sagte ihr, er wolle sie wiedersehen. Sie sagte, komm nach Bordeaux. Zusammen mit seinem besten Freund Adam fuhr er von Krakau nach Frankreich, die drei besichtigten Bordeaux und Paris und dann am Ende der Reise trennte Prawda sich doch von ihr. Er entschied für sich, dass er in Polen bleiben wollte. Vielleicht auch: Bleiben musste. Auch wenn er noch heute fließend Französisch spricht. Auf dem Rückweg nach Krakau gestand ihm Adam auf halber Strecke, dass er ihn nicht bis nach Hause begleiten, sondern in West-Deutschland aussteigen wird. Innerhalb kurzer Zeit hatte Marek Prawda also zwei Menschen in seinem Leben verloren. Er sagt heute: „Es gibt Leute, die emigrieren können, ich weiß, ich gehöre nicht dazu, vielleicht, weil mir das Zeug dazu fehlt.“ Kollwitzplatz Wasserturm Be lfo Str rter . I mm anu e str. lkirch - PRENZLAUER BERG ∑ Der Spaziergang Die Route beginnt beim „Café Endlos“, führt über die Knaackstraße zum Wasserturm und auf den dortigen Hügel. Anschließend geht es den Weg wieder hinunter und auf der Kollwitzstraße zurück. Wieder so ein großer Satz, diesmal allerdings macht er keine Pause, denn die Geschichte ist noch nicht zu Ende: Adam nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an, promovierte bei einer großen Landesbank. Ausgerechnet zu einer Zeit, den 80er-Jahren, in der das Leben in Polen immer hoffnungsloser wurde, ging es dem ausgewanderten Freund richtig gut. Prawda: „Wenn wir am Telefon redeten, hat er mich ausgelacht.“ Der Auswanderer fühlte sich bestätigt, während Prawda nach Argumenten suchte, die bewiesen, dass es richtig war, auszuharren. Heute aber ist das andersherum: Adam hatte Kredite an Island vergeben hat, ein Land, das inzwischen Insolvenz anmeldete. Jetzt kann Prawda am Telefon lachen, sich über die 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum freuen. Und das Gefühl vom ständigen Wandel. Wir verlassen den Hügel und laufen langsam zurück zum „Café Endlos“, wo sein Fahrer auf die letzte Fahrt mit seinem Chef wartet. An der Ecke Kollwitzstraße/ Knaackstraße bleiben wir noch einmal stehen, genau vor dem Haus von Käthe Kollwitz. An einem Tisch vor uns sitzt eine Frau und blättert in einem Reiseführer für eine Stadt namens „Berlino“. Ich will von Marek Prawda wissen, ob er irgendetwas nicht mag, an den Deutschen. Er verschränkt wieder die Arme, aber wirkt nicht abwehrend. Körpersprache ist wohl doch nicht international gleich. Er überlegt einige Sekunden, in die perfekt das Wort „trudno“ gepasst hätte. Dann: „Wenn es um die deutsch-polnischen Beziehungen geht, weiß ich immer genau, was die Deutschen von uns erwarten, aber ich weiß immer nicht genau, was sie von sich selbst erwarten.“ Vielleicht entstehen die Pausen nach seinen Sätzen nur deshalb, weil man als Zuhörer nicht weiß, was man dazu noch sagen soll.