MUTTER COURAGE von Bertold Brecht Szene 11 Bearbeitung

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MUTTER COURAGE von Bertold Brecht Szene 11 Bearbeitung
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MUTTER COURAGE von Bertold Brecht
Szene 11
Bearbeitung: Thomas Faupel
Personen
SPRECHER
KATRIN
HAUPTMANN
BAUER
BÄUERIN
SOHN
ERSTER SOLDAT
ZWEITER SOLDAT
ANDERE SOLDATEN (o.T.)
(o.T.) = ohne Text
Regie- und Bühnenbild- und Lichtanweisungen
SPRECHER vorne stehend
Anna Fierling, bekannt unter dem Namen Mutter Courage,
zieht zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges mit ihrer stummen Tochter
im Planwagen quer durch Europa.
Als Marketenderin verdient sie ihr Geld mit dem Krieg.
Szene 11. Januar 1636. Die kaiserlichen Truppen bedrohen die
evangelische Stadt Halle.
Der Stein beginnt zu reden.
Mutter Courage verliert ihre Tochter.
Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende.
Der Planwagen steht zerlumpt neben einem Bauernhaus
mit riesigem Strohdach,
das sich an eine Felswand anlehnt. Es ist Nacht.
Aus dem Gehölz treten ein Hauptmann
und mehrere Soldaten mit schweren Eisen.
HAUPTMANN
Ich will keinen Lärm haben.
Wer schreit, dem haut den Spieß hinauf.
ERSTER SOLDAT
Aber wir müssen sie herausklopfen, wenn wir einen haben wollen,
der uns den Weg zeigt.
HAUPTMANN
Das ist kein unnatürlicher Lärm, das Klopfen.
Da kann eine Kuh sich an die Stallwand wälzen.
Die Soldaten klopfen an die Tür des Bauernhauses. Eine Bäuerin öffnet.
Sie halten ihr den Mund zu.
Zwei Soldaten stürmen ins Haus.
SOHN von Drinnen
Ist was?
Die Soldaten bringen den Bauern und seinen Sohn heraus.
HAUPTMANN deutet auf den Wagen, in dem Katrin aufgetaucht ist
Da ist noch eine.
Ein Soldat zerrt sie heraus.
Seid ihr alles, was hier wohnt?
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BÄUERIN
Das ist unser Sohn, und das ist eine Stumme,
ihre Mutter ist in die Stadt, einkaufen,
für ihren Warenhandel,
weil viele fliehn und billig verkaufen.
Es sind fahrende Leut, Marketender.
HAUPTMANN
Ich ermahn euch, daß ihr euch ruhig verhaltet,
sonst,
beim geringsten Lärm, gibts den Spieß über die Rübe.
Und ich brauch einen, der uns den Pfad zeigt, wo auf die Stadt führt.
Zeigt auf den Sohn.
Du, komm her!
SOHN mutig
Ich weiß keinen Pfad nicht.
ZWEITER SOLDAT grinsend
Er weiß keinen Pfad nicht.
SOHN mutig
Ich dien nicht die Katholischen.
HAUPTMANN zum dritten Soldaten
Gib ihm den Spieß in die Seit!
Der erste und der zweite Soldat halten den Sohn und zwingen ihn in die Knie.
Der dritte Soldat bedroht ihn mit dem Spieß.
SOHN mutig und verzweifelt
Ich tus nicht ums Leben.
ERSTER SOLDAT
Ich weiß was, wie er klug wird.
Er tritt auf den Stall zu.
Zwei Küh und ein Ochs.
Hör zu: wenn du keine Vernunft annimmst, säbel ich das Vieh nieder.
SOHN verzweifelt
Nicht das Vieh!
BÄUERIN weint
Herr Hauptmann, verschont unser Vieh, wir möchten sonst verhungern.
HAUPTMANN
Es ist hin, wenn er halsstarrig bleibt.
ERSTER SOLDAT
Ich fang mit dem Ochsen an.
SOHN zu seinem Vater
Muß ichs tun? Die Bäuerin nickt.
…
…
Ich tus.
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BÄUERIN
Und schönen Dank, Herr Hauptmann, daß sie uns verschont haben,
in Ewigkeit, Amen.
Der Bauer hält die Bäuerin von weiterem Danken zurück.
ERSTER SOLDAT
Hab ich nicht gleich gewußt, daß derOchs ihnen über alles geht!
Geführt vom Sohn, setzen der Hauptmann und die Soldaten ihren Weg fort.
BAUER
Ich möcht wissen, was die vorhaben. Nix Gutes.
BÄUERIN
Vielleicht sinds nur Kundschafter ...
Der Bauer holt eine Leiter
... was willst?
BAUER stellt die Leiter ans Dach und klettert hinauf
Sehn, ob die allein sind.
Von oben.
Im Gehölz bewegt sichs.
Bis zum Steinbruch hinab seh ich was.
Und da sind auch Gepanzerte in der Lichtung.
Und eine Kanone.
Das ist mehr als ein Regiment.
Gnade Gott der Stadt und allen, wo drin sind.
BÄUERIN
Ist Licht in der Stadt?
BAUER
Nix. Da schlafens jetzt.
Er klettert herunter.
Wenn die eindringen, stechen sie alles nieder.
BÄUERIN
Der Wachposten wirds rechtzeitig entdecken.
BAUER
Den Wachtposten im Turm oben aufm Hang
müssen sie hingemacht haben,
sonst hätt der ins Horn gestoßen.
BÄUERIN
Wenn wir mehr wären ...
BAUER
Mit dem Krüppel allein hier oben ...
BÄUERIN
Wir können nix machen, meinst ...
BAUER
Nix.
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BÄUERIN
Wir können nicht hinunter laufen, in der Nacht.
BAUER
Der ganze Hang hinunterist voll von ihnen.
Wir können nicht einmal ein Zeichen geben.
BÄUERIN
Daß sie uns hier oben auch umbringen?
BAUER
Ja, wir können nix machen.
BÄUERIN zu Katrin
Bet, armes Tier, bet! Wir können nix machen, gegen das Blutvergießen.
Wenn du schon nicht reden kannst, kannst doch beten.
Er hört dich, wenn dich keiner hört.
Ich helf dir.
Alle knien nieder, Katrin hinter den Bauersleuten.
BÄUERIN
Vater unser, der du bist im Himmel, hör unser Gebet,
laß die Stadt nicht umkommen mit alle, wo drinnen sind
und schlummern und ahnen nix.
Erweck sie, daß sie aufstehn
und gehn auf die Mauern und sehn,
wie sie auf sie kommen mit Spießen und Kanonen
in der Nacht über die Wiesen,
herunter vom Hang.
Zu Katrin gewandt.
Beschirm unsre Mutter und mach, daß der Wächter nicht schläft,
sondern aufwacht,
sonst ist es zu spät.
Unserem Schwager steh auch bei,
er ist drin mit seine vier Kinder,
laß sie nicht umkommen,
sie sind unschuldig und wissen von nix.
Zu Katrin, die Laute von sich gibt.
Eins ist unter zwei, das älteste sieben.
Katrin steht auf.
Vater unser, hör uns, denn nur du kannst helfen,
wir möchten zugrund gehn,
warum,
wir sind schwach und haben keine Spieß und nix
und können uns nix traun und sind in deiner Hand
mit unserm Vieh und dem ganzen Hof,
uns so auch die Stadt,
sie ist auch in deiner Hand,
und der Feind ist vor den Mauern mit großer Macht.
Katrin hat sich unbemerkt zum Wagen geschlichen,
die Trommel herausgenommen,
und ist die Leiter hoch aufs Dach geklettert.
Gedenk der Kinde, wo bedroht sind, der allerkleinsten besonders,
der Greise, wo sich nicht rühren können,
und aller Kreatur.
BAUER
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Amen.
Katrin beginnt, auf dem Dach sitzend, die Trommel zu schlagen.
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BÄUERIN
Himmel, was macht die?
BAUER
Sie hat den Verstand verloren.
BÄUERIN
Hol sie runter, schnell!
Der Bauer läuft auf die Leiter zu, aber Katrin zieht sie aufs Dach.
Sie bringt uns ins Unglück.
BAUER
Hör auf der Stell auf mit Schlagen, du Krüppel!
BÄUERIN
Sie wird die Kaiserlichen auf uns ziehn.
BAUER sucht Steine am Boden
Ich bewerf dich!
BÄUERIN
Hast denn kein Mitleid? Hast gar kein Herz?
Hin sind wir, wenn sie auf uns kommen!
Abstechen tuns uns.
Katrin hält einen Moment inne, starrt in Richtung Stadt und trommelt weiter.
Bäuerin zu ihrem Mann.
Ich hab dir gleich gesagt, laß das Gesindel nicht auf den Hof.
Was kümmerts die, wenn sie uns das letzte Vieh wegtreiben.
HAUPTMANN kommt mit seinen Soldaten und dem Sohn gelaufen
Euch zerhack ich!
BÄUERIN
Herr Hauptmann, wir sind unschuldig, wir können nix dafür.
Sie hat sich raufgeschlichen. Eine Fremde.
HAUPTMANN schaut sich suchend um
Wo ist die Leiter?
BAUER
Oben.
HAUPTMANN schaut nach oben
Ich befehl dir, schmeiß die Trommel runter!
Katrin trommelt unbeirrt weiter.
HAUPTMANN zu den Bauersleuten
Ihr seids alle verschworen. Das hier überlebt ihr nicht.
BAUER
Drüben im Holz haben sie Fichten geschlagen.
Wenn wir einen Stamm holen und stochern sie herunter ...
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ERSTER SOLDAT zum Hauptmann
Ich bitt um Erlaubnis, daß ich einen Vorschlag mach.
Der Hauptmann nickt. Der Soldat ruft hinauf zu Katrin.
Hörst du, wir machen dir einen Vorschlag zum Guten.
Komm herunter und geh mit uns in die Stadt, stracks voran.
Zeig uns deine Mutter, und sie soll verschont werden.
Katrin hält einen Moment inne, schaut den Soldaten an
und trommelt heftiger weiter.
HAUPTMANN schiebt den Soldaten roh weg
Sie traut dir nicht. Bei deiner Fresse, kein Wunder.
Der Hauptmann ruft hinauf zu Katrin.
Wenn ich dir mein Wort geb? Ich bin ein Offizier und hab ein Ehrenwort.
Katrin trommelt noch heftiger.
Der Hauptmann zu sich selbst.
Der ist nix heilig.
ERSTER SOLDAT
Lang dürfts nicht mehr fortgehn. Das müssen sies hörn in der Stadt.
HAUPTMANN schaut sich suchend um
Wir müssen einen Lärm mit irgendwas machen,
wo größer ist als ihr Trommeln.
Mit was können wir einen Lärm machen?
ERSTER SOLDAT
Wir dürfen doch keinen Lärm machen.
HAUPTMANN
Einen unschuldigen, Dummkopf.
Einen nicht kriegerischen.
BAUER
Ich könnt mit der Axt Holz hacken.
HAUPTMANN
Ja, hack.
Der Bauer holt eine Axt und hackt.
Hack mehr! Mehr!
Du hackst um dein Leben!
Katrin hat zugehört und dabei leiser getrommelt,
sie schaut sich unruhig um
und trommelt dann weiter.
HAUPTMANN zum Bauer
Zu schwach.
zum ersten Soldaten
Hack du auch.
BAUER
Ich hab nur eine Axt.
HAUPTMANN
Wir müssen den Hof anzünden. Ausräuchern müssen wir sie.
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BAUER
Das nützt nix, Herr Hauptmann.
Wenn sie in der Stadt hier Feuer sehen, wissen sie alles.
Katrin lacht.
HAUPTMANN
Sie lacht uns aus, schau. Ich halts nicht aus.
Ich schieß sie herunter, und wenn alles hin ist.
BÄUERIN
Ich habs Herr Hauptmann. Da drüben steht ihr Wagen.
Wenn wir den zusammenhaun, hört sie auf.
Sie haben nix als den Wagen.
HAUPTMANN zum Sohn
Hau ihn zusammen.
Zu Katrin.
Wir haun deinen Wagen zusammen, wenn du nicht mit Schlagen
aufhörst.
Der Sohn führt einige schwache Tritte gegen den Planwagen.
BÄUERIN zu Katrin
Hör auf, du Vieh!
Katrin stößt, verzweifelt nach dem Wagen schauend, jämmerliche Laute aus.
HAUPTMANN zu Katrin
Sie hörn dich gar nicht.
Und jetzt schieß ich dich ab.
Ein letztes Mal. Wirf die Trommel herunter!
SOHN tritt nicht mehr auf den Wagen ein
Schlag die Trommel weiter! Sonst sind alle hin!
Schlag weiter, schlag weiter ...
Der erste Soldat wirft ihn nieder und beginnt auf ihn einzuschlagen.
Katrin weint, trommelt aber weiter.
BÄUERIN zum Soldaten, der ihren Sohn schlägt
Schlagts ihn nicht in Rücken!
Gottes Willen, ihr schlagt ihn tot!
ZWEITER SOLDAT
Wir kommen all vors Kriegsgericht.
HAUPTMANN
Zum allerletzten Mal. Hör auf mit Trommeln!
Er schießt auf Katrin. Sie fällt in sich zusammen.
HAUPTMANN
Schluß is mit dem Lärm!
Plötzlich hört man Sturmglocken läuten.
ERSTER SOLDAT
Sie hats geschafft.
ENDE
Licht aus, alle auf die Bühne, Licht an